Nilsitz Jagd Jagdgruppe3

Kapitel 14: Jagdgruppe 3 (7. Ingerimm)

Eines alten Jägers letzter Kamp

Thalissa di Triavus hatte sich für die Jagd in robuste, praktische Lederkleidung gehüllt. Sie trug Rapier und Linkhand am Gürtel, dazu eine Armbrust über den Rücken. Ihre treue Balestra führte sie in einem Halfter am Gürtel ebenfalls mit, man wusste ja nie, wozu es gut war. Immerhin hatte sie damit schon einmal zu ihrem eigenen Erstaunen einen Vampir erlegt. Ihre Haare trug sie mit Bändern zusammengebunden, damit sie sie nicht in einem ungünstigen Moment behinderten, sie gab das Bild der stilvollen, zu jeder Zeit auf ihr Aussehen bedachten Vinsalterin, ohne jedoch unnützen Schmuck zu tragen.

Tar’anam dagegen. trug seinen schwarzen maraskanischen Hartholzharnisch und sein Tuzakmesser in der Rückenscheide. Feste Lederstiefel und eine Lederhose vervollständigten das Bild des praktisch gekleideten Kriegers. Auf eine Schusswaffe verzichtete er, das war nicht sein Spezialgebiet, das überließ er anderen. Doch im Nahkampf würde er jegliche Gefahr von der Baronin von Rickenhausen fernhalten, wie er es seit vielen Jahren tat.

Früher hätte es keinen Unterschied gemacht, egal ob bei der Jagd oder nicht Otgar von Salmfang hätte das gleiche getragen. Diese Zeiten wären jedoch vorbei! Er war noch immer bescheiden und zog einfache Kleidung vor, dennoch hatte die Belehnung mit einem reichen Junkergut ihre Wirkung gezeigt. Neben einigen sehr feinen Gewändern besaß der Krieger meist eher einfache Kleider, inzwischen jedoch von ausgesprochen guter Qualität und ebenso verhielt es sich auch bei allem anderen. Eng an seinen muskulösen Oberkörper angeschmiegt lag eine robuste Lederrüstung, die es sich offensichtlich zur Aufgabe machte die darunter befindlichen Muskeln nachzuzeichnen. Hohe Stiefel mit weichen Sohlen ließen ihn lautlos durch den Wald Schleichen, während seine Lederhose mit wattiert gelagerten Kettenelementen vor den Hauern eines Ebers schützen sollten. Die beiden Hainritter, die ihn auch auf die Jagd begleiteten, trugen identische Rüstungen, nur die Waffen der drei Männer unterschieden sich. Dabei war deutlich daß die beiden Untergebenen nicht an der Jagd teilnehmen würden, mit Schwert und Schild, sowie Zweihänder zählte einzig und allein der Schutz ihres Herren zu ihren Aufgaben. Otgar hingegen hatte sein Schwert auf den Rücken geschnallt, trug diagonal dazu seinen Bogen, dessen Pfeile in einem Köcher an seiner Hüfte lagerten und hatte einen Speer in der Hand. So wie die Hainritter Wachen waren, so war lag die Vermutung nahe daß der Junker ein erfahrener und vermutlich auch gefährlicher Jäger war.

"Firun zum Gruße, Hochgeboren. Ich hoffe Ihr habt gut geruht und fühlt Euch bereit für die Jagd?" Begrüßte er Thalissa freundlich, zugleich nicht den Eindruck erweckend ihr das in ein Verhör ausgeartetes Gespräch vom Vorabend übel zu nehmen. Dem Leibwächter der Baronin nickte er hingegen grüßte er wortlos mit einem Nicken, so wie es ihm auch seine beiden Beschützer nach machten.

“Firun zum Gruße, Herr von Salmfang”, grüßte Thalissa zurück. “Das habe ich und das bin ich”, beantwortete sie dann lächelnd die Frage. Mal sehen, was die Jagd so bringen würde. Tar’anam hingegen nickte lediglich stumm zurück, allerdings nicht, ohne die Erscheinung Otgars und seiner Begleiter ausgiebig in Augenschein zu nehmen. 

"Firun zum Gruß die Herrschaften", rief da der Trollpforzer scheinbar gut gelaunt die bereits Versammelten an und neigte zusätzlich kurz das Haupt in Richtung der Baronin. Das "Hochgeboren", kam ihm an diesem Tage auch vollkommen ohne Spott in der Stimme über die Lippen.  Der Junker gedachte sich ebenfalls nicht allein auf die Jagd zu begeben. Seine beiden Begleiter jedoch blieben vollkommen stumm und reglos in ihrer dunkelbraunen und vollkommen schmucklosen Lederrüstungen. Die ledernen Kapuzen waren soweit nach vorne gezogen, dass man ihre Gesichter nur erkennen konnte, wenn man ihnen direkt gegenüberstand. Beide trugen einen Stoßspeer in Händen, sowie einen Langbogen samt Köcher auf dem Rücken. 

Die Aufmachung Thankreds unterschied sich  grundlegend von denen seiner Männer. Er trug zu einer dunklen Lederhose und hohen, geschnürten Stiefeln einen vorne mit Schnallen versehenen, langen Gambeson in einem dunklen Grünton. Die Bewaffnung hingegen war identisch, außer das Thankred auf seine Standeswaffe - in seinem Falle der Streitkolben, offensichtlich nicht verzichten konnte.  “Firun zum Gruße”, antwortete Thalissa auch dem Trollpforzer. Der Mann kam ein wenig grobschlächtig daher, sie kannte ihn nicht und konnte ihn nicht einschätzen. Aber eine Jagd war eine gute Gelegenheit, beides zu ändern.

Tar’anam nickte nur. Auch diese Jagdteilnehmer wurden von ihm einer ausgiebigen Musterung unterzogen, der allerdings wie immer kein Kommentar folgte. “Nun, ich denke, damit sind wir vollzählig”, ergriff die Baronin von Rickenhausen wieder das Wort. “Dann kann es losgehen!” Sie nickte den Jagdhelfern auffordernd zu. Auch Otgar hatte den Nilsitzer im Namen des Jagdgottes begrüßt, seine beiden Begleiter hingegen beließen es bei ihrem wortlosen Nicken. 

Die erste Spur

Nur Schlecht konnte man sich des Eindrucks erwehren, dass dieser Jagdausflug große Gefahren barg oder aber die drei Jäger sehr auf ihre persönliche Sicherheit bedacht waren. Wie sonst sollten die wehrhaft aussehenden Begleiter gewertet werden? Dem Ostendorfer sollte es aber auch egal sein. Er wusste sowohl um die Fähigkeiten seiner beiden Begleiter als auch um das Kampfgeschick Tar’anams, die unbekannten Faktoren waren lediglich der Tollpforzer und seine Begleiter. Sie konnte Otgar nicht einschätzen, weder ihr Verhalten noch ihr Können, allerdings war er sich sehr Sicher eine unangenehme Begegnung wie während der Anreise unbeschadet überstehen zu können.

Nachdem sich alle Teilnehmer der Jagdgesellschaft eingefunden hatten, brach man alsbald in den Wald auf. An der Spitze der Gruppe liefen die fünf Jagdhelfer mit ihren Hunden, deren Schnauzen stets knapp über dem Waldboden schnüffelten. Die erste nennenswerte Fährte, die von den Hunden aufgespürt wurde, befanden sich nicht weit von der Jagdhütte entfernt. Wölfe, ein großes Rudel von etwa zehn Tieren war dem Nachtlager um den Versammlungsort recht nah gekommen. Offenbar hatten sie die vielen, kleinen Feuer und die Geräusche neugierig gemacht.  Als sie dann endlich auf die nächste Fährte stießen, befand sich die Jagdgesellschaft bereits bedeutend tiefer im Wald. Offenbar hatten die Jäger des Waldes das Wild vertrieben, wen sollte es wundern? Um so erfreute waren die Jagdhelfer, als sie dann verkünden konnten, dass es die Spur eines ausgewachsenen Bären war, auf die sie gestoßen waren.  “Nun?” fragte Thalissa mit gerunzelter Stirn in die Runde. “Sollen wir es wagen? Wobei ich gleich betonen möchte, dass ich sicher nicht mit einem Bären in den Nahkampf gehen werde.” Sie tätschelte ihre Armbrust. Sie war eine passable Schützin, mehr allerdings nicht. Aber die Männer in ihrer Begleitung sahen sahen alle so aus, als könnten sie es fast allein mit einem Bären aufnehmen, also machte sie sich keine allzu großen Sorgen. Und wenn irgendetwas schief ging, hatte sie immer noch Tar’anam.  "Das sollten wir", gab der Junker von Trollpforz energisch zur Antwort. "Firun erweist uns eine ganz besondere Ehre mit der Spur eines Bären. Diese Gelegenheit dürfen wir nicht ungenutzt verstreichen lassen." Thankred ließ seinen Blick einmal über die versammelte Jagdgesellschaft schweifen bevor er fortfuhr. "Wenn ich alleine wäre mit meinen Männern würde ich zögern, aber wir sind genug, um ihn Notfall mit Speeren und Spießen einkreisen zu können, wenn jemand ernsthaft verletzt wird. Vorher aber sollten wir versuchen ihn auf firungefällige Weise zu erlegen - drei gegen einen, mit Pfeil und Bogen und dem Speer." Der Trollpforzer nickte zuerst Otgar und dann der Baronin zu, um ihnen zu signalisieren, dass er sie meinte.  “Pfeil und Bogen?” Thalissa hob eine Augenbraue und tätschelte erneut ihre Armbrust. “Damit kann ich nicht dienen, wie Ihr seht. Wenn Ihr darauf besteht, muss ich passen.” Das wäre zwar schade, aber sie würde nicht streiten, wenn jemand es sich unbedingt schwer machen wollte. Sie blickte zu Otgar und seinen Mannen. “Was meint Ihr? Es ist ja nicht so, dass Firun die Jagd mit der Armbrust verbietet.” Wenn sie allein daran dachte, wie viele Zwerge sie heute Morgen mit Armbrüsten ausgerüstet in den Wald hatte gehen sehen, musste sie leicht schmunzeln.  Thankred, obwohl er in diesem Falle gar nicht gefragt war, winkte ab und schnaubte amüsiert. "Ich bin nicht kleinlich und ich bezweifle, dass der Weiße Mann vom Berg es ist. Bedeutend ist der Mut sich dem Bären von Angesicht zu Angesicht zu stellen." Angesichts der gefundenen Fährten, hatten sich die beiden Beschützer des Kyndocher noch aufmerksamer umgesehen. Auch wenn ihr Herr auf eine Jagd zu gehen beliebte, ihre Pflicht würden sie deshalb nicht vernachlässigen. Zugegeben unterschied sich das Angebote vor Ort allerdings doch sehr von dem, was sie aus Kyndoch kannten.  Der Junker selbst, machte nicht den Eindruck in irgendeiner Form beunruhigt zu sein. Vom Gut seiner Mutter war ihm so manche Gefahr des Waldes wohl vertraut, sodass er weder Wolf noch Bär fürchtete - gesunden Respekt hingegen hatten sie allemal verdient. Und bei Rondras haarigen Zitzen, diese ehrenvolle Jagdtrophähe war ihr Risiko wert. “Dem grimmen Herrn Firun geht es nicht darum welche Waffe wir nutzen! Sofern wir auf Fallen verzichten, wird er uns eine Armbrust nicht zürnen. Es ist der Wettstreit in dem Glück, Erfahrung, Geschick und Wissen gefordert sind um zu beweisen dass wir des Herrn würdig sind. Ein guter Schuss, egal ob mit Bogen oder Nicht, ist und bleibt noch immer ein guter Schuss.” Dabei bereitete ihm die vermutlich anstehende Begegnung zu keiner Zeit Kopfzerbrechen. Die Wölfe hätte ihnen aufgrund ihrer Agilität und größeren Zahl große Probleme bereitet, ein Bär hingegen sollte machbar sein. Doch um die im Wald stehende Frage zu beantworten, nahm er seinen Bogen vom Rücken und bereitete ihn vor. “Also, ich für meinen Teil denke, dass wird ein Riesenspaß!”

Da lang

Die Entscheidung war also gefallen. Sodann ging es weiter. Die Anführerin der Gemeinen, eine Frau in den Vierzigern namens Wiborada, setzte sich an die Spitze der ihres kleinen Zuges durch den Wald.  Die Hunde wurden nun ans Ende der Jagdgruppe gebracht. Lediglich einer von ihnen blieb vorn bei Wiborada und verfolgte mit ihr gemeinsam die gefundene Fährte. Der Rest der Jagdhelfer lief in Sichtweite auf den Flanken und behielt den Wald in der Umgebung im Auge.  Ein Bär konnte unberechenbar sein. Scheu war ihnen fremd. Was war, wenn er sie witterte, ihnen entgegenkam und dann überraschend von der Seite angriff? Auch darauf musste man gefasst sein. Mehr als ein Wassermaß verging, dann erreichten die Jäger einen bewaldeten Hügel. Er mochte sich vier, vielleicht fünf Schritt vom Rest des Terrains erheben. Dicke Wurzelstränge, der auf ihm wachsenden Nadelbäume, ragten aus seinen Flanken und es schien den Jägern so, als liege dazwischen der Eingang zu einer Höhle. Wiborada blieb stehen und deute auf den schwarzen Fleck hinter dem Wurzelwerk. Sie kam jedoch nicht mehr dazu das Wort zu ergreifen, da ertönte bereits das wütende Brüllen eines Bären. Es kam zweifelsohne nicht aus dem inneren des Hügels, sondern von weiter  oben. Zwischen den dicht stehenden Stämmen der Bäume zeigte sich kurz der dicke, braune Pelz des Tieres. Durch das Brüllen des Bären in aller höchste Alarmbereitschaft versetzt, wappneten sich die beiden Hainritter um zur Not zum Schutz ihres Herren einzugreifen. Der jüngere der Männer zog seinen Zweihänder, während ältere Schild und Schwert in Position brachte.  Ihr Herr hingegen hatte das Jagdfieber gepackt. Kaum hatte ihr Beutetier auf sich aufmerksam gemacht, hatte er auch schon seinen Speer in den Boden gerammt, den Bogen in Anschlag gebracht und einen ersten Pfeil auf den Weg geschickt. Doch anstatt wie gebannt dem Geschoss hinterher zu blicken und damit nur unnötig Zeit zu verlieren, machte er sich sogleich daran den nächsten Pfeil an der Sehne anzunocken. Für Siegrond und Hlûthard eine unangenehme Situation, sie mussten ihren Herren beschützen, wollten ihm zugleich aber durch ein verfrühtes oder unüberlegtes Eingreifen nicht den Spaß an der Jagd verderben. So hielten sie sich einen Schritt hinter dem Junker bereit und machten ein wenig den Eindruck als würden sie auf heißen Kohlen sitzen.    Als Wiborada anhielt, hatte Thalissa die Armbrust von der Schulter genommen und wollte gerade beginnen, sie zu spannen, als das Brüllen ertönte und Otgar bereits den ersten Pfeil fliegen ließ. Er hatte bereits den zweiten auf der Sehne, da war die Baronin gerade fertig mit Spannen und fingerte nach einem Bolzen im Köcher. Bei Firun, würde sie überhaupt zum Schuss kommen?

Der Braunpelz

Tar’anam hatte beim ersten Laut des Bären in einer fließenden Bewegung sein Tuzakmesser gezogen und stellte sich ein wenig rechts der Gruppe auf, so dass er niemanden behinderte, aber im Zweifelsfall schnell genug eingreifen konnte. Er lenkte seine Sinne nicht nur auf die offensichtliche Bedrohung, sondern versuchte auch den Rest des Waldes in Blick und Gehör zu behalten, denn nicht immer war die offensichtliche Gefahr die tödlichste.  Auch Thankred war bedeutend  langsamer als Otgar und erst schussbereit mit seinem Bogen, als dieser bereits das zweite Projektil an die Sehne geführt hatte. Der erste Pfeil des Ostendorfers hatte sich indes zwischen den Bäumen verloren und es blieb ungewiss, ob er getroffen hatte.

Der Trollpforzer Junker war dann der erste, der einige Schritte auf den Hügel zuschritt und sich dabei leicht parallel zu dessen Fuß bewegte, als wolle er ihn umrunden. Seine beiden Waffenknechten folgten ihm auf Schritt und Tritt. Sie hielten die Stoßspeer nun angriffsbereit gesenkt, um ihren Herrn im Notfall schützen zu können.  Der Wald war Unterdessen fast vollkommen ruhig, kein Vogel schrie, nur dann und wann war ein Schnauben zu vernehmen, dass unzweifelhaft zu dem großen Raubtier gehörte, das sie erlegen wollten. Der Bär schien sich nach den Lauten zu urteilen auf dem Hügel im Dickicht der tiefhängenden Äste der Nadelbäume zu verstecken.  Nachdem sein erster Pfeil im Dickicht verschollen ging, ließ sich Otgar mit dem zweiten Pfeil mehr Zeit. Sorgfältig zielte er, bewegte sich dabei mit sicheren Schritt leicht Seitlich und Vorwärts um eine bessere Schussbahn zu ermöglichen und spannte zugleich den Bogen stärker um mehr Wucht in den Schuss zu bekommen. Erst als er sich sicher war, dass sein zweiter Schuss auch ein Treffer werden würde, ließ er den Pfeil davon schnellen. Derweil hatte er seine Umwelt vollkommen ausgeblendet, einen Luxus den er sich nur erlauben konnte weil seine beiden Begleiter diese umso kritischer im Auge behielten.  Tatsächlich, Otgar hatte getroffen. Anders konnte man das wütende Brüllen das einsetzte gar nicht deuten. Der Pfeil musste seinen Weg durch das das Grün gefunden haben. Firun musste sein Hand gelegt haben, denn das braune Fell des Räubers war nur sehr schwer im Dickicht des Waldes auszumachen.  Die Reaktion des Bären folgte auf dem Fuße. Er brach durch das Unterholz und stürmte den Hang hinunter. Voller Inbrunst brüllte das Tier, als habe ihn die wilde Wut gepackt. Die Menschen hatten ihn schon zu lange gereizt, indem sie ihn bedrängt und weh getan hatten. Der Bär sah furchteinflößend aus, riesig und mit einem braunen Pelz, indem an so mancher Stelle große Bissspuren und Narben zu sehen waren. In seiner Schnauze klaffte an einer Seite ein grässlich anzusehendes Loch, seine Lefzen hingen zum Teil in Fetzen herab. Dieser Bär scheute den Kampf ganz sicher nicht, nein, er musste erst vor wenigen Tagen einen bestritten haben. 

Otgars Pfeil ragte aus seiner Flanke. Der Pfeil Thankmars traf in seinem Rücken und auch der Bolzen, den Thalissa abgefeuerte fand ihr Ziel, einen der stämmigen Vorderläufe. Das Tier jedoch brüllte weiter, bereits in Raserei. Ihn würde kein Projektil aufhalten, zumal man ihn frontal kaum tödlich treffen konnte. Nur noch wenige Schritt war das Ungetüm entfernt und würde unweigerlich zwischen die Menschen fahren, wenn diese nicht ausweichen würden. Die beiden Waffenknechte des Trollpforzers stellten sich rasch seitlich auf. Einen Fuß auf dem Ende des Stoßspeeres gestellt, dessen Spitz in Richtung des Bären Ausgerichtet. Thankred selbst ließ den Bogen fallen und riss seinen Speer aus dem Boden um seinerseits Aufstellung zu nehmen. Sie würden nicht weichen. Zeit seinen Treffer zu bejubeln hatte der Ostendorfer keine und der Anblick den die Kreatur nur wenige Augenblicke später bot, lud auch nicht unbedingt dazu ein. Das ihre Geschossen ernstzunehmenden Schaden angerichtet hatten, bezweifelte er sogar. Sein dickes Fell schützte ihn und derart zugerichtet wie er aussah, hatte er reichlich Erfahrung darin sich mit Artgenossen und wer wusste schon welchen anderen Kreaturen um Reviere, Beute, Leben und Tod zu kämpfen. Kräftig geschleuderte Wurfspeere hätten vermutlich etwas bewirkt, doch dafür war es nun zu spät. Zu schnell würde der Bär heran sein, zu schnell um sich anschließend noch zu wappnen. Stattdessen tat Otgar es dem Trollpforzer gleich, ließ seinen Bogen fallen und packte seinen Speer und schloss zu dessen Linie auf. Mit diesem Entschluss ließ er seinen Beschützern keine andere Wahl als ebenfalls Stellung zu beziehen. Mit Schild und Schwert bewaffnet war Hlûthard nicht der Richtige um den ersten Ansturm zu begegnen, deshalb hielt er sich nahe bei seinem Herrn und würde seinen Schild schützend einsetzen wo sich ihm die Gelegenheit böte. Ob jugendlicher Übermut oder persönlicher Überzeugung heraus reihte sich Siegrond hingegen in die Reihe mit ein und brachte seinen Zweihänder, ähnlich zu den Speeren, in Stellung, wobei er viel Können aufbieten und die Fehlschärfe der Klinge nutzen musste um die notwendigen Stabilität und ausreichend Widerstand erzeugen zu können.

Thalissa versuchte, nochmals die Armbrust zu spannen, doch ihrem Leibwächter ging das nicht schnell genug. Ohne Rücksicht auf Etikette fasste er sie am Arm und zog sie zur Seite, möglichst weit weg aus der Bahn des anrennenden wütenden Tieres, dann stellte Tar’anam sich mit dem Tuzakmesser in beiden Händen schützend vor sie. Die erste Priorität war es, die Baronin vor Schaden zu bewahren, erst in zweiter Linie würde er sich direkt am Kampf mit dem Bären beteiligen. Falls sich eine günstige Gelegenheit ergab, von der Seite oder von hinten anzugreifen, würde er diese allerdings ausnutzen. Schneller als erwartet war der Bär heran. Die Raserei schien ihn jeden Schmerz und jedwede Furcht vergessen zu lassen. Ohne Rücksicht auf die eigene Versehrtheit, würde ein Raubtier solche Gedanken kennen, griff der Bär an. 

Unmittelbar vor den Jägern riss das Tier den Kopf nach oben, richtete sich auf und warf sich aus dem Lauf in die eng stehende Gruppe der Menschen. Drei Speere bohrten sich in jenem Moment durch Brust und Bauch des Ungetüms, doch war sein Gewicht und die Wucht seines Ansturmes zu gewaltig, als das er einfach hätte zu Boden fallen können. Nein, die wenigen Momente, die dem Bären blieben, bis er den vermeintlich tödlichen Wunden erlegen würde, nutzte er und Hieb dem Trollpforzer mit seiner Pranke vor die Brust. Thankred schrie schmerzerfüllt auf und wurde schwer getroffen zurückgeworfen.  Der Bär indes weigerte sich noch immer zu sterben und brüllte voller Urgewalt. Erneut versuchte er sich aufzurichten, um noch ein letzten Mal unter den nun sich in seiner Reichweite befindenden Jägern zu wüten.  Thalissa hatte zwar inzwischen trotz Tar’anams energischen Eingreifens die Armbrust erneut gespannt, traute sich aber nicht, in das Getümmel kaum fünf Schritt vor ihr zu schießen. Tar’anam hingegen hatte den Bären an sich vorbei rennen lassen, wobei er innerlich den Kopf schüttelte über die anderen Jäger, die sich der rasenden Bestie frontal stellten. Aber immerhin lag die Aufmerksamkeit des Bären nun woanders, so dass er einen schnellen Schritt nach vorne machte und das Tuzakmesser dem Tier von schräg hinten in die linke Flanke trieb, auf das Herz zu.

Der Bär hatte sich stärker auf die ersten drei Männer konzentriert, sodass Otgar und seine Begleiter unbehelligt geblieben waren. Zeitgleich mit dem Beschützer der Baronin packte er seinen Speer und rammte ihn dem Tier in den Leib. Nichts anderes tat der junge Hainritter, auch er stieß mit aller Wucht die er aufbieten konnte die Spitze seines Zweihänders und anschließend Zoll für Zoll der Klinge in den Bären hinein. Der erfahrene Hainritter hingegen versuchte dem verletzten Trollpforzer beizustehen und ihn aus dem Zugriff des Untiers zu befreien.

Sieg mit Kosten

Derart vielfältig und zugleich schwer getroffen flohen die Lebensgeister aus dem Bären. Das Raubtier fiel vornüber und riss den Angreifern dabei durch sein enormes Gewicht die Waffen aus den Händen. Einer von Thankreds Knechten wurde gar halb von ihm begraben, als er schließlich mit einem tiefen, grollenden Stöhnen auf dem Boden zum Liegen kam. Zum Glück des Mannes war es nur Hals und Kopf des Bären, der ihn begrub. Und doch, sein leises Keuchen verriet, das ihm die Last schmerzte.  Thankred selbst kam indes langsam in eine sitzende Position hoch, da der Bär tot war. Die Anstrengung kostete ihm sichtlich Mühe. Sein Gambeson und das dicke Leder darunter war dort auf der Brust, wo ihn die mächtige Tatze getroffen hatte aufgerissen und vier lange, dunkelrot blutende Risse zogen sich durch die Haut. Dennoch konnte der Junker wahrlich von Glück reden, dass er derart durch das gehärtet Leder geschützt gewesen war, ansonsten hätte ihn das Tier vermutlich so schwer getroffen, dass er der Verwundung hätte erliegen können. Trotz dieser Tatsache würde er sein Leben lang durch den Bär gezeichnet sein.  Unter gemeinsamen Anstrengungen machten sich die beiden Hainritter daran den Helfen des Trollpforzers zu befreien. Ächzend unter dem Gewicht wuchtete einer von ihnen den Bären etwas hoch, sodass der andere den Knecht unter dem Tier herausziehen konnte. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass dieser keine ernsthaften Verletzungen erlitten hatte machten sie sich daran die Waffen aus dem toten Leib zu ziehen.

Noch während seine beiden Beschützer beschäftigt waren, nahm sich Otgar des verletzten Junkers an. “Wenn es Euch nichts ausmacht, werde ich mir das einmal ansehen!” Das war mehr eine Feststellung und weniger eine Frage. “Wie geht es Euch?” Erkundigte er sich direkt darauf, während er sich mit etwas Brand aus einer Gürteltasche die Hände wusch.  Trotz der Schmerzen durch die erlittenen Wunden, zeigte sich ein schiefes Lächeln auf dem Zügen des Trollpforzer, als er ein wenig gepresst antwortete. "Ich wäre Euch zu Dank verpflichtet. Allerdings ist das doch das mindeste oder, immerhin habe ich doch bereitwillig den Prügelknaben gespielt?" Mit der Erlaubnis des Verletzten tastete er vorsichtig die Wundränder ab. Der Bär hatte sich auf der Haut des Junkers verewigt. Vier parallele Schnitte zogen sich quer über die Brust des Mannes. Skeptisch lag sein Blick auf den Spuren die die Tatze hinterlassen hatte. Immerhin waren die Wundränder nicht sehr ausgefranst, der eine oder andere Streich eines Räubers hatte schon schlimmere Scharten hinterlassen. “Hier kann ich nur wenig für Euch tun, als eine erste Versorgung. Zurück im Lager kann ich oder ein fachkundiger Heiler der Verletzung sicher angemessen annehmen.”

“Ich danke Euch trotzdem”, krächzte Thankred. “Immerhin werde ich mich nicht von den Zwergen heimtragen lassen müssen. Dem hätte ich mich nur äußerst ungern ausgesetzt.” Der Ansatz eines Lachen ging Husten über. “Das würde ich mir nämlich bis zu meinem Lebensende anhören müssen. Sie können Lästern wie die Waschweiber und hier in Nilsitz kann man ihnen unmöglich aus dem Weg gehen.” Einer der Gemeinen reichte Otgar saubere Verbände und ging dem Ostendorfer Junker im Folgenden zur Hand. Gemeinsam halfen sie Thankred sich aufzusetzen und im Anschluss zu entkleiden.

Glaubensfragen

“War schon schlimmer zugerichtet”, berichtete Thankred selbstironisch, als die beiden Männer sich anschickten ihm einen Verband anzulegen. “Diese Wunden jedoch werde ich stets voller Stolz tragen. Dem Weiße Mann vom Berg habe ich mich stets am verbundensten gefühlt von den Zwölfen. Zudem gibt es in meiner Familie einen sehr urtümlichen Glauben an Ingerimm.  Wie stets damit in eure Familie ‘von Salmfang?’” Ganz auf seine Aufgabe konzentriert brauchte Otgar einen Moment um die Frage zu beantworten. “Traditionell ehren die Kämpfer unserer Familie die Herrin Rondra, im allgemeinen folgt das Haus jedoch dem Launenhaften.” Tatsächlich pflegten die Salmfangs eine lange Verbindung an die Kirche des Herrn Efferd, die sich mit Quelina von Salmfang als Metropolitin der Kirche deutlich zeigte.  Ein wenig bedauernd hatte Thalissa ihren nicht verschossenen Bolzen von der Armbrust genommen und diese wieder entspannt. Wegen der Tollkühnheit ihrer Mitstreiter war sie nicht mehr zum Schuss gekommen, dafür hatte sich zumindest ihren Augen ein zwar kurzes, aber eindrucksvolles Schauspiel geboten. Tar’anam hatte seine Waffe gesäubert, und da weder die Baronin noch er selbst mehr als grundlegende Fähigkeiten im Heilen von Wunden aufwiesen, sich nicht eingemischt, als Otgar die Erstversorgung des Verletzten übernahm. Statt dessen hatte der alte Krieger sich ein wenig von der Gruppe entfernt und behielt die Gegend im Auge, während alle anderen beschäftigt waren. Der Bär musste ja immerhin auch noch seiner Trophäen beraubt werden, aber dass sollten Kundigere als er tun, er würde dafür sorgen, dass sie nicht von einer weiteren Gefahr überrascht wurden, sollte dennoch eine auftauchen. Während ihr Herr beschäftigt war, hatten sich die beiden Hainritter daran gemacht ihre Ausrüstung wieder auf zu lesen, einer ersten Reinigung zu unterziehen und wieder zu verstauen. Als dieser nun endlich fertig war, schaute er sich mit noch immer blutigen Händen die von ihnen erlegte Beute an.

Zwei der Jagdhelfer begannen inzwischen damit den Bär auszunehmen, die anderen beiden sahen sich mit den Hunden vor und in der Höhle des Bären um und kamen mit einer Vielzahl an Chitinplatten und langen Spinnenbeinen zurück. Der Bär war ganz offensichtlich ein Spinnenjäger gewesen und hatte die Narben in Fell und an der Schnauze wohl den Kämpfen mit den Achtbeinern zu verdanken.  Als Thalissa die Spinnenüberreste sah, hob sie fragend eine Augenbraue. “Sieh einer an. Lohnt es sich, hier noch nach weiterer Jagdbeute Ausschau zu halten? Dem Vogt würden wir mit Zutaten zu einer weiteren Spinnensuppe sicher eine Freude machen.” Sie blickte die Jagdhelfer und ihre Jagdgefährten der Reihe nach an.  Wiborada schaute skeptisch in Richtung der Baronin. "Wenn ihr es auf eines von diesen achtbeinigen Viechern abgesehen habt vielleicht. So wie es aussieht haben Spinnen und Bär um dieses Revier konkurriert. Wahrscheinlich müssten wir weit laufen, um wieder auf anderen Fährten zu stoßen."

Genug

“Das macht die Sache doch recht klar”, wandte sich Thalissa daraufhin an Otgar und Thankred, wobei sie letzteren etwas sorgenvoll musterte ob seiner Verletzung “Sollen wir Spinnen suchen? Da ich mich nur mit der Armbrust betätigen werde, muss ich natürlich die letztendliche Entscheidung in Eure Hände legen, meine Herren.” Sie streifte Tar’anam mit einem Blick. Dessen Haltung sah für Außenstehende entspannt aus, seine Miene nichtssagend, doch kannte sie ihren Leibwächter mittlerweile gut genug, um zu erkennen, dass er von einer Spinnenjagd abraten würde, sollte er gefragt werden. Deshalb fragte sie ihn nicht.

Der Trollpforzer, dem in diesem Moment von seinen beiden Knechten aufgeholfen wurde schnaufte angestrengt. “Ich bin mit der erlegten Beute mehr als zufrieden.” Er versuchte eine entspannte Miene zur Schau zur stellen, doch das wollte ihm nicht gelingen. Dennoch fuhr er fort. “Eine Spinne kann den Bären niemals in den Schatten stellen, von daher ist mein Verlangen mich in meinem angeschlagenen Zustand weiter unnötig durch den Wald zu schleppen sehr begrenzt.” “Ich weiß nicht welche Überraschungen dieser Wald noch bereithält, aber ich denke das ein Bär - besonders ein Prachtexemplar wie dieser hier - eine ansehnliche Beute darstellt. Abgesehen davon haben wir mit diesem Brummer mehr als genügend Ballast, dass wir zurück zur Jagdhütte schleppen müssen.” Stellte er recht nüchtern und ohne groß nach weiterer Abenteuerlust zu klingen. Auf die Jagd zu gehen war das eine, aber dennoch hatte er unbeschadet und rechtzeitig zu Hause wieder anzukommen. Thalissa zuckte die Schultern. Sie war zwar nicht versessen auf die Jagd gewesen, aber nun, da sie schon mal daran teilnahm, regte sich ein gewisser Ehrgeiz in ihr - allerdings nicht um jeden Preis. Wenn ihre Gefährten nicht mehr konnten oder wollten, dann sollte es so sein. Und der Salmfanger hatte ja recht, der Bär war eine mehr als ordentliche Jagdbeute. Fast konnte sie Tar’anam aufatmen hören, als die Entscheidung feststand, wenn sich der alte Krieger auch äußerlich wie immer nichts anmerken ließ.

Ohne weitere Verzögerung machte sich die Gruppe bereit zum Marsch zurück zur Jagdhütte. Die Jagdhelfer verstauten alle Beutestücke möglichst reisegerecht und sicher, dann ging es los. Wiborada führte die Gesellschaft auf verschlungenen Wegen durch den Wald, in dem die zunehmend schräg einfallenden Sonnenstrahlen seltsame, verwirrende Schatten warfen, die es den Waldunkundigen unter den Adligen sicher schwer gemacht hätten, den Weg zurück überhaupt zu finden. Zudem war sich Thalissa sicher, dass die Gemeine einige Umwege einschlug, um unwegsame Stellen zu meiden, denn schwer beladen, wie die Jagdhelfer waren, stellten manche Abhänge und Dickichte ein zu großes Hindernis dar. Das ein oder andere Mal scheuchte die Gruppe auch noch weitere Jagdbeute auf, doch war nun keine Zeit mehr, sich darum zu kümmern. Als die Gruppe in einem besonders dicht bewachsenen Waldstück fast buchstäblich über nicht allzu alte Reste eines riesigen Spinnennetzes stolperte - war es doch über eine große Mulde im Boden gespannt gewesen und von Blättern, Ästen und Nadeln soweit bedeckt gewesen, dass es in intaktem Zustand vermutlich kaum aufgefallen wäre - stieg die Wachsamkeit der Jagdgesellschaft sprunghaft an, die nächsten paar hundert Schritt bewegte man sich mit deutlicher Vorsicht, Thalissa hatte ihre Armbrust wieder gespannt. Doch nichts stellte sich den Jägern in den Weg, weder Riesenspinne noch sonst eine Gefahr, und schließlich schälte sich das imposante Bauwerk der Jagdhütte aus dem Zwielicht des Waldes, denn eben war die Sonne vollends untergegangen.