Nilsitz Jagd Jagdgruppe1

Kapitel 12: Jagdgruppe 1 (7. Ingerimm)

Die steinernen Herrn der Wälder

Sie war spät dran, aber noch waren die Gruppen nicht aufgebrochen und es herrschte reges Treiben auf dem Platz vor der Jagdhütte, wie Wunnemine erleichtert feststellte. Sie verlangsamte ihren vom Zeltplatz kommend raumgreifenden Schritt und legte das letzte Stück in standesgemäßer Ruhe zurück. Die Baronin trug leichte Lederstiefel, die sie einerseits vor Gestrüpp schützen würden, ihr aber genügend Feingefühl für die schleichende Pirschjagd ließen, eine robuste braune Lederhose, eine hellbraune Tunika und darüber einen dunkelgrünen Wams, auf dem lediglich das über ihrem Herzen aufgestickte Ambelmunder Wappen ihre Herkunft verriet. Schwert und Jagdmesser steckten in Scheiden an ihrem Gürtel, während ihr Bogen und Köcher sowie der Proviantrucksack (Leodegar hatte für alles gesorgt oder sorgen lassen) in wenigen Schritt Abstand von einer abgehetzt wirkenden Abarhild hinterhergetragen wurden. Nickend den einen oder anderen grüßend hielt sie Ausschau: Wo waren der Rabensteiner und die beiden Geweihten der Rondra und des Kor? War sie vielleicht doch nicht die letzte? Wunnemine war jedenfalls sehr gespannt, wie gut dieses Gespann auf der Jagd zusammenspielen würde.

Eine große, in braunes Wildleder gekleidete Gestalt kam aus dem Zeltlager direkt auf die Baronin von Ambelmund zu. Über die Schulter hinaus ragte der Griff eines langen Jagdschwerts. Neben der Klinge trug sie einen Rucksack auf dem Rücken, der neben der Wegzehrung auch so profane Dinge wie Wundverbände oder ein Seil enthielt. An der Seite hingen ein Jagdmesser und ein Eberfänger.  Erst auf den zweiten Blick entpuppte sich die Gestalt als der Rondrageweihte. “Firun zum Gruße, Hochgeboren.” grüßte er die Baronin und gesellte sich zu ihr.  Der Rabensteiner Baron hatte zur Jagd auf seine Robe verzichtet und trug stattdessen schwarze, lederne Jagdkleidung und ebensolche Handschuhe. Aus einem Stiefelschaft ragte kaum sichtbar das Heft eines schlanken Dolches, und über den Rücken trug er seine Armbrust geschnallt, am Gürtel Rapier, Linkhand und einen Köcher mit Bolzen. Eine kleine Jagdtasche hing über seine Schulter, die einen Wasserschlauch, Verbandszeug, Seil, etwas Proviant und ein feines Tuch enthielt. Er grüßte seine Mitjäger mit einem knappen Kopfnicken, verzichtete aber auf weitere Ansprachen. Unterwegs würde dafür noch mehr als genug Zeit sein. Der Baron war entspannt, denn er kannte das Gelände, lag seine Heimat doch lediglich auf der anderen Seite des Eisenwaldes.

Fährte

Gemeinsam brach man schließlich zur Jagd auf, an der Spitze die Gemeinen mit den Vierbeinern, dahinter die adligen Herrschaften.  Die erste Fährte konnten die Jagdhelfer beziehungsweise deren Hunde dann nach etwas mehr als einem Stundenglas ausmachen. Die Spur war recht leicht als die einer ganze Rotte Wildschweine zu erkennen, die wohl einen halben Tag alt sein mochte. Eine kleine Schneise zog sich selbst durch das Unterholz. Allerlei Schnauzen hatten sich auf der Suche nach essbarem durch den feuchten Boden geschoben. Etwa sechs ausgewachsene, sowie sicher ein Dutzend kleinere Tiere gehörten zu der Rotte, so wurde gemutmaßt.  Der Rondrageweihte hörte den Jagdhelfern zu und besah sich dabei die Spuren. Zwanzig oder mehr Schwarzkittel? Er hatte Geschichten über Wildschweine und die von ihnen ausgehende Gefahr gehört. Im Nahkampf waren das ernstzunehmende Gegner und vier gegen zwanzig war kein gutes Kräfteverhältnis, selbst wenn es Halbwüchsige waren. Fragend sah er zu seinen Jagdgefährten auf. “Eine große Rotte. Was meint Ihr?”

Der alte Baron schüttelte kaum vernehmlich den Kopf. “Wir haben keine Treiber und zu wenig Hunde. Wie alt ist die Fährte?” Wollte er von den Jagdhelfern wissen. Auf die Aussage, dass diese schon über einen halben Tag alt war, zogen sich seine Augenbrauen zusammen. “Das bringt nichts - zu alt.”  Auch wenn das bedeuten würde, sich einige Stunden länger durch die Wildnis zu arbeiten. “Sucht eine neue.” wies er die Jagdhelfer an. “Welches lohnenswerte Wild hat Euer Jagdmeister in diesem Revier für die Jagd ausgemacht? Welche Einzelstücke?” Setzte er hinterher.  Der älteste der Jagdhelfer, Jorgast war sein Name, sah den Baron leicht skeptisch an. Es war klar das er antworten würde, die jüngeren der Gemeinen blickten rasch in seine Richtung, als die Frage gestellt wurde.  "An Einzelgängern haben wir hier nur den Großen Schröter und leider die Fischerspinne, selten einmal einen Wald- oder Höhlenbären. An kleineren Beutegreifern hier unten im Wald sollten zudem Fuchs und Luchs genannt sein. Weiter oben gibt's noch andere. Für diese sind wir jedoch allesamt zu viele und dadurch zu laut.  Das eigentliche Jagdwild, sowie Wölfe treten wie üblich in kleinen oder großen Gruppen auf."

“Eure Rehe und Hirsche haben wohl die Wölfe gefressen,” bemerkte der Rabensteiner trocken, zuckte die Schultern und meinte dann, an den Jagdhelfer gewandt: “Eure Jagd.  Sucht etwas Passendes.” Der Vogt hatte zur Jagd eingeladen, also würde er auch - hoffentlich, die Zwerge waren manches mal in vielen Dingen sehr eigen - dafür gesorgt haben, dass sich seine Jagdhelfer vorher über Wildwechsel, Dickungen und jagbares Wild allgemein informiert hätten. Er musterte die Gesichter seiner Begleiter, und rückte seine Armbrust zurecht. ”Was meint Ihr?” “Ich bin bei Euch, Hochgeboren” pflichtete Wunnemine dem Rabensteiner bei. “Die Spuren sind deutlich zu alt. Wären sie jünger, würde mich die Zahl der Schwarzkittel aber nicht besorgen. Auch wenn diese wehrhaft sind und wir recht wenige, sollten wir mit der hier versammelten  Erfahrung sicher einige - und zwar die Richtigen - aus der Rotte erlegen können, ohne dass uns die anderen dann viel zu gefährlich werden. Und ein wenig Nervenkitzel gehört doch zur Jagd, oder?” Sie sah in die Runde. Dann schloss sie: “Lasst uns jedenfalls eine frischere Fährte suchen!

Und so stießen noch tiefer in den Wald vor. Diesmal dauerte es bedeutend länger, bis die Hunde nervös wurden, die Ohren spitzen und an ihren Leinen zerrten. Gute drei Stunden waren bis zu jenem Ereignis vergangen. "Paarhufer", kommentierte Jorgast knapp, bevor er sich die Spuren genauer ansah um weiteres sagen zu können.  Kurze Zeit später erhob er sich wieder und sprach zu den hohen Herrschaften. "Vier Tiere, vermutlich eine Gruppe Hirsche. Die männlichen Tiere leben außerhalb der Brunft in Gruppen zusammen. Nur die alten werden zu Einzelgänger. Die Abdrücke sind tief, ausgeprägter als bei Kühen." Der Gemeine wog kurz den Kopf hin und her. "Sie sollten noch nicht weit sein, ziehen gemächlich durch den Wald." Mit einer knappen Geste, einem Kopfnicken an die anderen Helfer, gab er Zeichen, dass diese sich mit den Hunden ruhig verhalten sollten.  Fragend sah er dann die Adligen und den Geweihten an. "Ich gehe davon aus, dass ihr dieser Fährte folgen wollt.  Benötigt ihr unsere Hilfe für die weitere Spurensuche und das aufscheuchen, oder soll ich euch das Horn mitgeben, falls ihr in Bedrängnis geratet, oder Hilfe benötigt?"  Wunnemine war erfreut, endlich auf eine frischere Fährte gestoßen zu sein. So sehr sie es zuweilen genoss, durch die Wälder zu streifen, so froh war sie, dass aus dem Pirschen und Suchen nun endlich ein Jagen werden würden. “In der Tat wäre ich dafür, diese Fährte aufzunehmen. Und ich denke, dass wir das selbst in die Hand nehmen, oder was meinen die Herren?” fragte sie auffordernd in die Runde, wobei sich ihr Blick vor allem in Richtung des Rabensteiners wandte. Der zuckte abermals die Schultern. “Ich werde euch nicht hindern, Hochgeboren. Viel Glück.” Damit war, was ihn betraf, alles Notwendige gesagt. Der alte Baron fühlte sich nicht im Geringsten bemüßigt, selbst mit der Nase am Boden wie ein Spürhund - oder Fährtensucher - durch den Wald zu streifen. Dass er sich nicht besonders viel Erfolg dabei ausrechnete, war eine ganz andere Angelegenheit. “Wie sieht es mit euch aus, Euer Gnaden?” wandte er sich an den Rondrageweihten neben ihm.

“Ihr versteht euch auf das Fährtenlesen, Hochgeboren?” wandte sich Rondradin an Wunnemine. “Wenn nicht, wäre die Hilfe der Jagdhelfer sehr willkommen, denn meine eigenen Fähigkeiten dahingehend sind vernachlässigbar.” An den Baron gewandt, sprach er weiter. “Jedenfalls erscheint mir diese Fährte erfolgversprechender als dieses Halbbanner Schwarzkittel. Außerdem ist die Anzahl der Geweihträger doch geradezu passend für unsere Gruppe. Einer für jeden von uns.” “Eine gute Sache.” Der Rabensteiner nickte knapp. Gut zu wissen, dass Rondradin gleichfalls nicht seine wahre Berufung im Waidwerk wusste. Blieb zu hoffen, dass sich dieser Punkt bei den beiden anderen anders darstellte. Vermutlich würde es sich als lohnend erweisen, bei der nächsten Jagd die eigene Jagdmeisterin mitzubringen - diese war eine mehr als passable Fährtenleserin. Mit undeutbarer Miene wartete der alte Baron die Taten seiner Begleiter ab. Wunnemine grinste: “Na gut, wenn wir alle keine Meister im Fährtensuchen sind, möchte ich nicht der letzte Sargnagel unseres gemeinsamen Jagdglückes sein. Ein wenig verstehe ich mich vielleicht auf das Fährtenlesen, aber ohne einen erfahrenen Jäger an meiner Seite, den ich mir in Eurem Kreise erhoffte, sollten wir tatsächlich auf die Dienste des guten Jorgast vertrauen.” Fragend blickte sie in Richtung Radomir, der sich noch gar nicht geäußert hatte.

Mit einem knappen Nicken und einem leicht süffisanten Lächeln quittierte der Gemeine die Entscheidung der adligen Herrschaften. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren entfernte er sich und schritt zu den anderen Jagdhelfern, um sich mit ihnen abzusprechen. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis er mit vier von ihnen zurückkam und sie daraufhin gemeinsam ans Werk schritten. 

Jorgast selbst verfolgte die Fährte, während die anderen zu seinen Seiten auffächerten und in den Wald spähten. Einer der Jagdhelfer jedoch blieb zurück bei den Hunden, er würde ihnen erst in weitem Abstand folgen. So ging es vorwärts durch den Wald. Die Zeit verrann und nichts nennenswertes geschah, wobei sie gut voran kamen.  Irgendwann, es mochten sicher zwei Wassermaß vergangen sein, querten sie einen kleinen Bach, als einer der Jagdhelfer zu ihrer rechten den Ruf eines Vogels imitierte und Jorgast die Gruppe abrupt zum Halten brachte.  Alle Augen folgten nun dem ausgestreckten Arm des Jagdhelfers, der das Gezwitscher ausgestoßen hatte und tatsächlich, in der Ferne bewegte sich etwas zwischen den Stämmen der Bäume, in der Richtung in die auch der Bach seinen verlauf nahm. Es mochten sicher fünfzig, sechzig Schritt zwischen ihnen und dem vermeintlichen Rotwild liegen.  Rasch gab Jorgast Befehle und alle vier seiner Männer verschwanden im Wald, zwei nach rechts, zwei nach links. Ihr Anführer selbst richtete das Wort mit flüsternder Stimme an die Jäger, als die anderen bereits außer Sichtweite waren. “Sie umgehen die Tiere im weiten Bogen und versuchen sie dann auf uns zuzutreiben. Ihr solltet euch hier hinter den Bäumen auf die Lauer legen und Pfeile bzw. Bolzen einlegen. Haltet euch bereit. Ihr werdet den fliehenden Tieren den Weg abschneiden müssen, um einen guten Schuss zu erhalten.  Möge der Weiße vom Berg eurer Jagd gewogen sein.”

Wild

Der Rabensteiner übersah geflissentlich den süffisanten Tonfall des frechen Jagdgehilfen. Er nahm seine Armbrust vom Rücken und spannte sie in plakativer Gelassenheit. “Dann tun wir dies. Firun mit euch.” Er betrachtete mit zusammengezogenen Augenbrauen das Dickicht und einen sehr vielversprechend aussehenden umgestürzten Baum, eine sicher mehr als hundert Götterläufe zählende Föhre. “Das sieht doch gut aus. Die Tiere werden eher abbiegen als zu versuchen, den Baum zu überspringen.” Außerdem bot er eine gute Auflagefläche für die Armbrust. “Wo wollt ihr hin?” stelle er die Frage an die anderen. Rondradin deutete auf den Wurzelteller der liegenden Föhre. “Ich werde dort Position beziehen und ihnen den Fluchtweg in diese Richtung verstellen.” Dies erschien ihm vielversprechend, zudem musste er sich dann nicht mit dem Dickicht herumschlagen. Die Armbrust in den Händen des Barons ignorierte er geflissentlich. Zumindest bei der Jagd, konnte er sie akzeptieren, schoss der Rabensteiner damit ja nicht auf Menschen. Seinen Rucksack nahm er ab und stellte ihn, geschützt, an den Stamm der Föhre. Dann zog Rondradin sein Jagdschwert und überprüfte die Schärfe. “Dann werde ich mich im Gezweig des liegenden Baumes verstecken und den Hirschen den Weg in die andere Richtung abschneiden.” Die verbleibenden, mittlerweile mehr braun als grün benadelten Äste der Föhre ragten teils noch recht weit über den Stamm hinaus. Sie würden Wunnemine gute Tarnung und eine gute Schussposition aus anderem Winkel als die ihrer Jagdgefährten eröffnen. Sie machte Pfeil und Bogen bereit und konzentrierte sich auf die Bewegungen und Geräusche im vor ihr liegenden Waldabschnitt, aus dem das Wild kommen würde. Momente voller Anspannung vergingen. Die Jäger konzentrierten sich auf den Wald vor sich und versuchten jede Regung, jedes Geräusch zu erfassen, ganz so wie es dem Grimmen zum Wohlgefallen war.  Dann hallten Rufe zwischen den Bäumen zu Ihnen durch und Bewegung kam in die Szenerie. Bald schon sahen sie die in ihre Richtung fliehenden Hirsche. Sie schlugen Haken und sprangen über kleine Hindernisse hinweg, anmutig und dabei äußerst schnell.  Zwei der Paarhufer brachen zu den Flanken aus, entfernten sich rasch und damit außer Reichweite der Bögen. Die anderen beiden jedoch stürmten mehr oder minder in die Richtung der auf der Lauer liegenden Jäger. Prächtige Hirsche waren es.  Wunnemine hatte ihren ersten Pfeil längst aufgelegt, zwei weitere steckten bereits griffbereit neben ihr. Nun sah sie die beiden Hirsche endlich auf sich zukommen. Einer der beiden, ein veritabler Zwölfender, hielt direkt in ihre Richtung. Die Baronin atmete tief ein, konzentrierte sich voll und ganz auf das Tier. Jetzt war der König des Waldes heran, wich der Krone der liegenden Föhre aus und bot dabei seine Flanke. Sei Blick kreuzte den der nun ungedeckten Jägerin, und damit den seines Schicksals. Ein wenig ausatmen und - Schuss! Der Pfeil durcheilte die Lüfte und strebte auf das Herz des Hirsches. Wenigstens hatte Wunnemine darauf gezielt. Der Rabensteiner hatte die gespannte und geladene Armbrust auf dem Stamm der Fähre abgelegt und nahm sich genug Zeit, sein Ziel auszuwählen und es anzuvisieren - lange. Vier Herzschläge oder fünf. Ein kräftig gebautes, kapitales Tier mit sauber ausgestaltetem Geweih hielt, von Panik getrieben,auf den Stamm zu und bog dann  scharf nach links ab, dem Jäger aus kürzester Distanz seine Seite präsentierend. Eine bessere Schussbahn für einen sauberen Blattschuss konnte es nicht geben. Lucrann betätigte den Abzug und schickte den Bolzen auf seinen tödlichen Flug - der, wenn er traf, das Tier innerhalb weniger Schritt fällen würde. Für eine längere Streunerei durch’s Unterholz fehlten dem alten Baron heute eindeutig die Leute.

Beute

Der Blick der Ambelmunderin war ganz und gar auf die Bahn des Pfeils fokussiert, wurde eins mit diesem, während ihre Rechte bereits nach einem zweiten greifen wollte. Noch in der Bewegung aber verharrte diese, als das Geschoss knapp hinter dem Schulterblatt in die Kammer des Hirsches eintrat und dieser nur einen Herzschlag später wie vom Blitz gefällt zusammenbrach. Blattschuss! Dieses Tier würde keinen Schritt, ja keinen Atemzug mehr tun. Wunnemine hielt einen Augenblick inne, um ihre Jagdgefährten nicht durch eine plötzliche Bewegung ihrer Chancen zu berauben, und um dem Herrn Firun in einem kurzen Gebet für seinen Segen zu danken.  Dann nahm sie zuerst ihre nicht verschossenen Pfeile auf, und blickte sich nach dem zweiten Hirsch um. Als sie diesen auch getroffen zu Boden gehen sah, trat sie aus ihrem Versteck auf ihre Beute zu, und besah stolz und zufrieden den erlegten Hirsch - ein prächtiges Tier, viele Stein köstlichen Fleisches und das Haupt eine würdige Trophäe zur Zierde der noch ungeschmückten Festhalle! Heute war Firun ihm nicht hold. Der Bolzen, der in saubere Blattschuss hätte werden sollen, ging durch ein Zucken des Tieres fehl und bohrte sich in dessen Oberarm. Tief genug. Der Hirsch lief noch einige Schritte auf drei Beinen weiter, schwankte, und fiel dann, mit allen Vieren um sich schlagend, zu Boden. Der Hieb mit einer Spitze seines prachtvollen Geweihs entsprach einem kräftig geführten Dolch. Eine Situation, die sich am besten durch den Einsatz einiger Hunde und einer Stangenwaffe bereinigen ließ. Was er beides jetzt nicht zu seiner Verfügung wusste. Ohne ein weiteres Wort kletterte der Rabensteiner über den über einen Schritt durchmessenden Stamm, zog sein Rapier und näherte sich vorsichtig dem um sich schlagenden Tier, bemüht, außer der Reichweite der Hufe und vor allem des Geweihs zu bleiben - eine Sache, die ihm fast perfekt gelang. Ein Tritt des Hirschen erwischte ihn am Oberschenkel, riss durch seine lederne  Jagdhose, als wäre es nichts weiter als feines Vinsalter Tuch, und hinterließ einen tiefen, blutenden Riss. Der Alte biss die Zähne zusammen, erwischte das Tier am herumruckenden Kopf, drückte diesen zu Boden und stieß gleichzeitig mit einer flüssigen Bewegung das Rapier hinter das Schulterblatt des Tieres, die scharfe Klinge mit einem kräftigen Ruck eine halbe Drehung beschreiben lassend. Das Tier zuckte noch einmal, ein Aufbäumen, das sich durch den gesamten Körper fortsetzte, und lag dann still.

Tod

Der Rabensteiner zog seine Klinge zurück, wischte sie sauber und steckte sie weg, legte dann dem Tier einen Tannreiser als letzte Äsung ins Maul.   Ein schönes Stück. Danach erst trat er einen Schritt zurück und untersuchte den tiefen Riss in seinem Schenkel, der dem gerade verbundenen Kratzer vom Morgen fröhlich  Gesellschaft leistete und munter vor sich hinblutete. Immerhin war auf der schwarzen Lederhose davon wenig zu sehen. Sein Jagdschwert wegsteckend trat Rondradin zu den beiden Schützen. Mit einem "Waidmannsheil" beglückwünschte er die beiden erfolgreichen Jäger. Der blutige Riss fiel dem Geweihten einen Augenblick später auf. “Hochgeboren, Ihr blutet. Soll ich mir die Verletzung einmal ansehen?” “Waidmannsdank.” erwiderte der Rabensteiner und folgte dem Blick des Rondrianers. “Es sieht wie immer schlimmer aus, als es ist. Doch wenn ihr mir beim Verbinden helfen mögt, sehr gerne.” “Eure Gemahlin würde es mir wahrscheinlich nie verzeihen, wenn ich Euch hier verbluten ließe.” Rondradin begutachtete die Verletzung genauer. “Es ist eine tiefe Wunde. Wenn wir zurück sind, solltet Ihr Eure Gemahlin einen Blick darauf werfen lassen. Wahrscheinlich wird man es nähen müssen. Aber bis dahin wird es fest sitzender Verband tun müssen.” Damit machte sich der Geweihte daran die Wunde vorsichtig zu reinigen. Dann trug er etwas Wirselsalbe auf und verband die Wunde. Zu guter Letzt betrachtete der Rondrianer nochmals sein Werk und stand zufrieden auf.”Das sollte halten, bis wir zurück sind.” “Danke.” Das würde reichen. Mit der Heilkunde kannte sich sein Bruder im Glauben entschieden besser aus als er. Wäre er auf sich allein gestellt, hätte er vermutlich den Kratzer mehr schlecht als recht verbunden und sich, sofern dies notwendig gewesen wäre, nötigenfalls mit einem Heiltrank beholfen. So war diese Angelegenheit deutlich sauberer geregelt. “Meint ihr, dass uns diese zwei Hirsche für den Rang eines Jagdkönigs reichen?” Aufgeräumt betrachtete der Baron seine Begleiter. Viel hing daran, was die anderen Gruppen an Beute anbringen würden. Bedauerlicherweise war der Hochsommer noch einige Monde hin, so dass es, trotz der gelegentlich selbst im Gebirge warmen Tage, noch vergleichsweise früh dämmerte. Vollkommen selbstverständlich unterstellte er, dass sich die Jagdgehilfen um die Beuten kümmern würden. Rondradin hielt sich zurück und sah erwartungsvoll in Richtung Wunnemines. War sie doch eine erfahrene Jägerin, die sich mit solcherlei Dingen besser auskannte als er. Derweil schickten sich die Gemeinen an, an die ihnen zugedachte Arbeit zu gehen. Die Helfer holten lange Messer aus den Scheiden an ihren Gürtel und begannen fachkundig die Tiere aufzuschneiden und auszunehmen.  Die Innereien wurden nach und nach auf einem Haufen gelegt, um den sich die Jagdhelfer in einem lockeren Kreis versammelten, als das blutigen Handwerk beendet war. Stumm schienen sie im Folgenden Worte des Dankes an den grimmen Herrn der Jagd zu richten. Für sie gehörte es untrennbar zur Jagd. Nachdem die Zeit der stillen Einkehr beendet war, wurden die Hirsche mit verschränkt Fesseln um stabile Äste gebunden. “Meine Kameraden werden nun zur Jagdhütte aufbrechen”, verkündete Jorgast, als die Last auf die Schultern von vier der Gemeinen gehoben wurde. “Wollen die Hohen Herrschaften ebenfalls zurück, oder gedenkt ihr noch weiter zu jagen? Zumindest ich könnte euch weiter begleiten, wenn euch der Sinn danach steht.” “Firun ist mit uns! Wir sollten in jedem Fall weiter auf seinen Pfaden wandeln, solange sein Segen uns hold ist und des Herren Praios Licht für uns erstrahlt.” äußerte Wunnemine ihre Meinung, noch immer beseelt von ihrem Jagderfolg und der erholsamen zurückliegenden Nacht. “Und das nicht nur, um den Titel des Jagdkönigs zu erringen!” schob sie hinterher. Sie genoss es gerade sehr, durch die Wildnis zu stapfen, sich ganz und gar auf das Waidwerk zu konzentrieren. Sie hatte gerade sehr viel Zeit, wenn es darum ging, ins Lager zu politischen und gesellschaftlichen Gesprächen zurückzukehren.  “Seid Ihr mit dabei?” blickte sie halb fragend, halb auffordernd in die Runde. Missmutig besah der Rondrageweihte die Gruppe. Seit nunmehr sieben Stunden waren sie nun schon unterwegs und wenn ihr “Jagdglück” anhielt, würden sie weitere Stunden darauf verwenden müssen eine weitere Fährte zu finden. Und dann war das eigentliche Wild noch nicht gefunden und gejagt worden. Zudem beherrschten gerade andere Dinge seine Gedanken, was es schwer machte sich auf die Jagd  zu konzentrieren. Statt der Baronin zu antworten wandte Rondradin sich Jorgast zu. “Wie lange würden wir von hier aus für den Rückweg benötigen?” Der angesprochene wog leicht den Kopf hin und her, während er abwog wie weit sie von der Jagdhütte entfernt waren.  "Zwei Wassermaß würde ich schätzen, wenn wir stramm marschieren. Genau kann ich das nicht sagen", antwortete er schließlich mehr oder minder überzeugt.  "Es geht eher darum, ob wir auf direktem Weg zurückkehren, oder ob ich unterwegs noch die Augen nach Spuren für euch offenhalte.  Die entsprechende Himmelsrichtung müssen wir in jedem Fall einschlagen, andernfalls würden wir Gefahr laufen später Stundenlang durch den dunklen Wald zu irren." Dankend nickte der Geweihte Jorgast zu. “Habt Dank für Eure Einschätzung.” An Wunnemine gewandt fuhr er fort: “Ich bin dafür den Rückweg einzuschlagen und dabei auf weitere Fährten zu achten, wie es Jorgast vorgeschlagen hat. Dann sollten wir mit ein wenig Glück bis zum Sonnenuntergang wieder bei der Jagdhütte sein.”

Zurück

Strammes Marschieren erschien ihm wegen der Verletzung des Barons nicht ratsam und so konnten sie in einem gemächlichen Tempo zurückgehen ohne den Stolz des Rabensteiners zu verletzen. Der alte Baron nickte auf die Worte des Jagdmeisters hin. “Machen wir uns auf den Rückweg. Wenn Firun uns hold ist, schießen wir noch ein gutes Stück.” Die Aussicht, nachts durch den Wald zu marschieren, schreckte ihn weniger - aber es galt auch darauf zu achten, seine Begleiter einigermaßen sicher wieder zurückzubringen. Überwältigend war die Strecke nicht, aber zwei hübsche Hirsche waren nicht zu verachten. Was den alten Rabensteiner betraf, so war ihm die Ansitzjagd die liebste Jagdart - eine Pirsch war nur in kleiner Gruppe, und mit einigen gut ausgebildeten Stöberhunden wirklich sinnvoll. Angesichts der aktuellen Konstellation also war das Ergebnis wohl brauchbar. Auch die Baronin von Ambelmund zeigte sich, nach kurzem Abwägen, einverstanden mit dem gefassten Plan. Wenn Firun wirklich auf ihrer Seite stand, würde sich noch eine interessante Fährte finden.  “Gut”, beschied Jorgast mit einem knappen Kopfnicken und wandte sich daraufhin ab, um die Entscheidung weiterzugeben. Eine klar deutbaren Handbewegung in Richtung der Träger gab diesen das Zeichen zum Aufbruch, welches die Jagdhelfer umgehend zum Anlass nahmen sich auf den Weg zu machen.  Jorgast selbst wartete noch, bis sich die Jäger wieder bei ihm versammelt hatten, dann brach auch er in dieselbe Richtung auf, jedoch langsamer und mit steter Wachsamkeit auf den Wald der sie umgab. Die Träger samt der erlegten Hirsche verschwanden schnell vor ihnen zwischen den Bäumen.

Travienbundantrag

Während die Jagdhelfer damit beschäftigt waren die Beute zu präparieren, kam es zu einem interessanten Gespräch zwischen dem Knappen der Leuin und dem Diener des Raben. Der grimme Jäger hatte Ratschluss gehalten - und nicht unzufrieden waren die Jäger über diesen Ausgang. Die Hirsche waren aufgebrochen, ausgenommen und für den Transport an lange, überaus stabile Holzstangen gebunden, wog doch ein ausgewachsener Hirsch deutlich über hundert Stein.  Durchaus zufrieden beobachtete der Rabensteiner, wie sich die Jagdgehilfen mit dem Wildpret mühten, verstaute seine Armbrust wieder bequem über den Rücken und wischte sich seine Handschuhe ab. Er wandte sich an den Rondrianer neben ihm und nickte diesem, nicht unzufrieden, zu. “Habt Ihr Euch bereits über Eure Zukunft Gedanken gemacht, euer Gnaden? Wo seht ihr euch in fünf Götterläufen?” fragte er, entspannt und nicht unzufrieden mit dem Hier und Jetzt. Rondradin hatte sich gemütlich gegen die gefallene Föhre gelehnt und genoss gerade einen Schluck aus seinem Wasserschlauch. Die Frage seines Glaubensbruders überraschte ihn. “Nun, ich habe vor Wolfstrutz als Stützpunkt gegen etwaige Gefahren, welche die Nordmarken von innen bedrohen, zu nutzen. Außerdem ist da immer noch Alrike, die ich nach dem Willen der Herrin aufziehen soll.” Er verfiel ins Schweigen, während er an Gelda und an das Gespräch mit Rahjania dachte. “Vielleicht bin ich bis dahin auch einen Traviabund eingegangen. Wer weiß das schon?” Mit wachem Interesse sah Rondradin seinen Glaubensbruder an. “Weshalb fragt Ihr, Hochgeboren?”  “Seid ihr bereits verlobt?” wollte dieser wissen, lehnte sich entspannt neben den Rondrianer und trank seinerseits einen Schluck aus seiner Feldflasche. Dieser schüttelte den Kopf, ein Grinsen unterdrückend. “Beinahe wäre es gestern Abend so gewesen, aber nein, ich bin niemanden versprochen.” Irgendwie fühlte es sich gerade so an, also ob Maura von Altenberg neben ihm wäre und nicht Lucrann von Rabenstein. Der Baron hatte nun jedenfalls die volle Aufmerksamkeit Rondradins.  “Meine Erbin hat in diesem Jahr den Ritterschlag erhalten. Ich werde eurem Antrag um ihre Hand stattgeben.” Der alte Baron schraubte seine Wasserflasche gelassen zu und verstaute diese, als habe er gerade keine Bemerkung von größerer Tragweite als über das Wetter auf der Jagd getan. Mit ruhigem, sehr gelassenen Blick betrachtete er seinen so deutlich jüngeren Bruder im Glauben. Rondradin war völlig perplex und brauchte einen Moment um die Worte des Barons zu verarbeiten. “Ihr meint Ravena, nicht wahr?” Natürlich konnte sich der Rondrianer noch an Ravena von Rabenstein erinnern. Vor beinahe zwei Jahren hatte der Baron sie ihm vorgestellt, bei einem Besuch in Almada. “Aber ich habe ihr doch gar keinen Antrag gemacht.”  “Ihr werdet es mir gegenüber jetzt tun.” Fast so etwas wie Amüsement schwang in der Stimme des Boroni mit, als der dies als Tatsache feststellte. “Hochgeboren, wie komme ich zu dieser Ehre?” Widerstand regte sich in Rondradin. “Ich hatte eher den Eindruck, dass Eure Tochter mir nicht unbedingt zugetan war.”  “Ihr seid unzufrieden damit, meine Tochter zu ehelichen?” Interessiert hob der Rabensteiner eine Augenbraue. “Nein, unzufrieden wäre das falsche Wort, überrascht trifft es schon eher.” Der Rondrianer stieß sich von der Föhre ab und ging nun bedächtig auf und ab, während er immer noch seinen vermeintlich zukünftigen Schwiegervater taxierte. Seine Familie, Oberhaupt Dorcas vorneweg, wäre begeistert, wenn er in eine Baronsfamilie einheiraten würde. Allerdings hätte er sich eine aus Liebe geborene Heirat gewünscht, und nicht einer die auf Pflicht gegenüber seinem Haus fußte. Vor dem Gespräch mit Gelda an diesem Morgen hätte Rondradin das Angebot glattweg ausgeschlagen, aber nun … .

Aber

Der Geweihte blieb vor dem Baron stehen und wandte sich ihm zu. “Ich nehme Euer großzügiges Angebot, Eurer Tochter einen Antrag unterbreiten zu dürfen, an, Hochgeboren. Allerdings hätte ich zwei Forderungen, damit diese Vereinigung zustande kommen kann.” Er verstummte kurz, wartete auf eine Reaktion des Rabensteiners. Der blickte den Jungen aufmerksam an. “Sprecht.” “Zum einen muss Ravena dieser Verbindung zustimmen, zum anderen würde ich sie gerne näher kennenlernen. Bisher trafen wir uns nur einmal, als Ihr und eure Gemahlin uns einander vorgestellt habt. Sie ist schön und klug, leider weiß ich nicht mehr über sie und sie noch weniger über mich.”   Die Mimik des Barons veränderte sich nicht, aber sein Blick wurde mit einem Mal eiskalt.  “Ihr stellt Bedingungen, die Hand meiner Tochter anzunehmen?”  Allein der Ton seiner Stimme sorgte dafür, dass die sommerliche Temperatur im Wald sich mit dem Frosthauch des Winters überzog. “Ihr vergreift Euch im Ton, Von Wasserthal. Wir sind hier nicht auf dem Rossmarkt, wo Ihr feilschen mögt.” Äußerlich ungerührt ließ Rondradin die Schelte des Rabensteiners an sich abprallen. Innerlich kochte der Geweihte allerdings. Hatte er den Rabensteiner um die Hand seiner Tochter gebeten? Nein, dieser war an ihn herangetreten. Trotzdem zwang er sich zur Ruhe und begegnete dem eiskalten Blick des Barons. “Ihr habt recht, wir sind weder auf dem Markt noch schachern wir um Pferde. Hier geht es um Eure Tochter und mich. Außerdem feilsche ich nicht, Hochgeboren.” Erwiderte der Rondrageweihte mit bemüht ruhiger Stimme. “Mir ist bewusst, welche Ehre Ihr mir erweist und ich möchte gewiss nicht undankbar erscheinen. Allerdings sind diese beiden ‘Bitten’ doch sicherlich auch für Euch nachvollziehbar. Oder ist Euch nicht an einer harmonischen Beziehung zwischen Eurer Tochter und mir gelegen?” “Es war ein Angebot, Euer Gnaden. Nehmt es an - oder lasst es bleiben.” Der Boroni musterte seinen Bruder im Glauben vom Scheitel bis zur Sohle. “Doch wie ihr meint.” Er zuckte die Schultern und machte Anstalten, sich abzuwenden.  Leise, nur noch für Lucrann vernehmbar, antwortete Rondradin. “Bitte wartet. Ich danke Euch für Euer Angebot, es bedeutet mir viel. Wollt Ihr mir etwas Bedenkzeit geben? Meine Antwort würdet Ihr spätestens morgen Vormittag erhalten.” Fragend sah er den Baron an, während In seinem Inneren ein Kampf zwischen seinem persönlichen Glück und der Pflicht seinem Haus gegenüber tobte. “Einverstanden.” Knapp nickte der Boroni. “Schlaft darüber. Ich erwarte morgen Vormittag Eure Antwort.”  Länger würde er nicht warten - wenn sein Bruder im Glauben schwankte, so mochte er das tun, doch zulasten anderer Verbindungen.  “Wir besprechen alles weitere dann.”

Steinschrat

Jorgast führte die Jäger, in einer selbst für den verletzten Rabensteiner Baron annehmbaren Geschwindigkeit zurück in Richtung des Versammlungsortes. Doch der verbliebene Jagdhelfer und die ihm unterstellten Hunde mühten sich lange Zeit erfolglos eine weitere Wildfährte ausfindig zu machen, bis Jorgast plötzlich abrupt stehen blieb und den Kopf hob. Ruckartig sah er sich nach allen Seiten um, dann deutete er stumm auf riesige Fußabdrücke, die den weichen, moosbewachsenen Waldboden tief eingedrückt hatten. Der Mann schien beunruhigt. Seine Augen ließen den Wald um sie herum nicht aus den Augen. Die Hunde hielten unterdessen ihre Schnauzen witternd in die Luft oder rochen an den vor ihnen liegenden Spuren. Die Vierbeiner schienen nervös und eingeschüchtert zu sein, keiner von ihnen bellte. Ja sogar ein leises fiepen war von ihnen zu vernehmen. Wunnemine pfiff unwillkürlich ganz leise durch die Zähne, während sie neben der Fährte in die Hocke ging und diese genauer besah. Sie versuchte aus der Größe und Tiefe der Abdrücke abzuschätzen, wer oder was diese verursacht haben könnte. War es ein Oger, ein Troll oder gar etwas noch größeres? Ihre Augen huschten um sie herum - die Spur war noch sehr frisch, sonst hätte sich das Moospolster bereits stärker wieder erhoben. Langsam wurde diese Jagd richtig interessant. In schnellen Bewegungen vergewisserte sie sich, dass Schwert und die weitere Bewaffnung schnellstmöglich verfügbar waren, dann blickte sie fragend in die Runde, vor allem in Richtung Jorgast: “Ihr wirkt überrascht?” flüsterte sie. “Ein Eindringling? Dann sollten wir unbedingt auskundschaften, wer sich hier in Eurem Revier herumtreibt!” forderte sie ihre Jagdgefährten auf. Während er den Wald beobachtete, zog Rondradin das lange Jagdschwert und trat näher an den Fußabdruck heran. Schließlich warf er selbst einen Blick auf die Vertiefung im Boden, neugierig wie sie aussah. “Mit was haben wir es zu tun?”  "Mit einem Schrat", antwortete Jorgast tonlos. Seine Angst war deutlich. "Wir wurden gewarnt, dass es sie in diesen Wäldern gibt. Ich werde hier bleiben, wenn ihr ihm folgen wollt. Das ist ein Monster und kein Jagdwild." Plötzlich, noch bevor jemand etwas entgegnen konnte, waren Geräusche zu vernehmen. In einiger Entfernung meckerte ein Auerhahn schrill und aufgeregt. Der Gemeine sah gebangt in jene Richtung. “Scheint, als hätte sich die Frage erledigt.” kommentierte der Rabensteiner trocken, nahm seine Armbrust von der Schulter und spannte sie. Die Gruppe könnte von Glück sagen, wenn sie ohne Kontakt davonkamen. Es dauerte noch einige Atemzüge, bis die Sehne der Armbrust einrastete. Der alte Baron betrachtete sie mit zusammengezogenen Augenbrauen, legte einen Bolzen ein und nahm sie dann locker in die Hand. “Bringt uns zurück.” meinte er im Flüsterton, alles andere als überzeugt davon, dass dies ohne Feindbegegnung vonstatten gehen würde. Rondradin nickte auf den Kommentar des Rabensteiners hin. Er überlegte kurz und übergab seinen Rucksack Jorgast. “Falls es zum Kampf kommen sollte und es anschließend Verletzte zu behandeln gibt, da drin findet Ihr Verbandszeug und zwei Heiltränke. Verwendet diese aber nur im Notfall.” Er schlug dem Jagdmeister aufmunternd auf die Schulter. “Kopf hoch, wir werden das schon schaffen. Bleibt einfach hinter uns, wenn der Schrat kommt. Sagt, stimmt es, dass sie Angst vor Feuer haben? Haben wir Fackeln, Lampenöl oder etwas anderes Brennbares dabei?” Mit fragendem Blick sah er in die Runde. Der Rondrageweihte musterte kurz ihre kleine Gruppe. “Radomir, werdet Ihr mir helfen, diesem Ding frontal zu begegnen? Baron, wenn Ihr euren Bolzen abgeschossen habt, wäre es mir eine Ehre Euch mit Eurem Rapier neben mir zu wissen, das Nachladen würde zu lange dauern. Baronin, wenn der Schrat wirklich so groß ist, wie die Spuren vermuten lassen, könntet Ihr ihn ohne Probleme mit Pfeilen eindecken, während wir ihn ablenken. Sollte sich das mit dem Feuer bewahrheiten, wären Brandpfeile zu bevorzugen. Diese müsstet Ihr improvisieren.” “Nichts anderes hatte ich vor. Doch wenn wir wirklich Glück haben, Euer Gnaden, bekommen wir ihn nicht zu Gesicht.” Hin und wieder verzweifelte der alte Boroni fast an der Bereitwilligkeit Rondradins, sich auf alles zu stürzen, was vielleicht ein Feind hätte sein mögen. Doch er würde ihn auch aus dieser Bredouille heraushauen, sollte Not am Mann sein - so wie die letzten Male. “Natürlich, Hochgeboren. Ich möchte nur vorbereitet sein, falls wir auf ihn treffen.” Versuchte Rondradin zu beschwichtigen. Er hatte keinerlei Verlangen dem Schrat zu begegnen, vor allem ohne einen Schild oder zumindest seinen Rondrakamm. Der Ratschlag, Feuer einzusetzen, leuchtete ein. Waren Schrate nicht halbe Bäume? Wunnemine quittierte Rondradins Vorschlag mit einem knappen Nicken, dann durchsuchte sie in Windeseile ihren Rucksack nach einem Fläschchen Hochprozentigem aus der Heimat, das sowohl für die Wund- als auch die Seelenbehandlung taugte. Ein Wolltuch fand sich auch, das sie in fieberhafter Hektik in mehrere Streifen riss, die sie wiederum mit dem Schnaps tränkte (wobei einiges daneben ging) und um drei ihrer Pfeile wickelte. Sie war so geschäftig, dass sie gar nicht mehr wusste, wo der Schrat steckte. Eilig sah sie sich um. Ah, da war das Zunderkästchen. Jetzt musste es ihr im Falle eines Falles nur rasch gelingen, die Pfeilspitzen in Brand zu stecken. Verdammt, wo war der Schrat? “Bereit!” gab sie den anderen zu verstehen. Das war auch ihr Schwert, denn sie würde es sich nicht nehmen lassen, selbst in den Nahkampf einzugreifen, wenn ihre Brandpfeile verschossen wären. Erneut drang das Meckern des Auerhahns zu ihnen durch, diesmal bereits so nahe, dass die Menschen meinten, Flügelschlagen zu hören. 

Jorgast war der Panik nah. "Ich habe vier Fackeln in meinem Rucksack, dazu Feuerstein und Zunder", stieß Jorgast hastig auf die Frage des Rondrianers hervor. Die Bemühungen und die Worte Wunnemines, die sich ebenfalls um Feuer bemüht hatte, war dem Jagdhelfer durchgegangen. Er konnte seinen Blick nicht von der Gefahr verheißenden Richtung abwenden. "Wir müssen hier weg", mahnte Jorgast aufgeregt. Dabei drängte er bereits mit seiner ganzen Körpersprache dazu das Weite zu suchen und damit dem Wunsch des Barons von Rabenstein nachzukommen.  Die Hunde mussten derweil nicht hinterhergezogen werden, sie strebten freiwillig weg von der Quelle der Unruhe im Wald. Sie witterten die Gefahr.  Äste knackten. Es konnte kaum zwanzig Schritt entfernt sein. Bewegung war im Dickicht des Waldes auszumachen.  "Kommt kommt, schnell", drängte der Jagdhelfer im gehetzten Flüsterton und ging in ein schnelles Marschtempo über. Rennen war in dem dichten Wald ohnehin nicht möglich. 

Der Rabensteiner warf dem aufgeregten Jägern einen finsteren Blick zu.  Gewiss, es waren Gemeine, die fast niemals mit irgendwelchen dunklen Kreaturen begegneten. Dennoch - Angst war der schlechteste Ratgeber, um aus einer gefahrvollen Situation zu entkommen.  Und letzten Endes war es ein Schrat, dem er schlimmstenfalls entgegentreten würde - in durchaus kampfstarker Begleitung. Diesesmal nicht allein.  Und nicht gegen einen Vampir. Wie vergangenen Götterlauf. Oder einen Karakil. Das Jahr davor. Oder einen Nirraven. Im Götterlauf davor.

Mit einem kurzen Nicken in Richtung der beiden anderen Geweihten ließ er der Jagdgruppe samt Ambelmunderin den Vortritt und folgte zusammen mit seinen beiden Brüdern im Glauben an deren Ende. Oder vielmehr: wollte dies tun.

Die Baronin von Ambelmund war sich nicht sicher, ob Flucht die richtige Strategie war, weckte diese doch viel Aufmerksamkeit und vermittelte Furcht oder gar Schuldgefühl. Außerdem bezweifelte die dass sie schnell genug vorankommen würden, falls der Schrat ihre Verfolgung aufnehmen würde. Und wenn sie den Vogt von Nilsitz gestern richtig verstanden hatte konnte man mit den Schraten wohl sogar auskommen. Sie flüsterte daher in Richtung der anderen Jagdgenossen: "Ich für meinen Teil würde mich hier verstecken und versuchen einen Blick auf das Ungeheuer zu erhaschen. Falls es hart auf hart kommt, sind wir ja für einen Kampf präpariert... wie wollt ihr es halten?" “Ihr werdet nicht allein im Wald zurückbleiben, Hochgeboren. Das ist zu gefährlich.” Da ging sie dahin, die Möglichkeit, ohne Federn zu lassen aus dieser Situation herauszukommen. Weibsvolk und sein ungeheurer Dickkopf! “Wollt Ihr das Leben und die Gesundheit der Jäger hier wie aller riskieren, die Euch später suchen müssen?”  “Wenn wir die Gemeinen mit den Hunden, die ohnehin keine Ruhe geben, vorausschicken und uns selbst still verhalten, verbleiben wir wahrscheinlich zunächst unbemerkt. Und wir wissen dann, mit wem oder was genau wir es zu tun haben, anstatt blind auf der Flucht zu sein, einen unbekannten Gegner im Rücken.” Wunnemines Augen blitzten herausfordernd auf. “Ich denke, es wäre von taktischem Vorteil, wenn wenigstens ein Teil von uns erst einmal zurückbliebe. Wenn uns das Wesen arg dumm kommt, können wir es im Zweifel auch durch Brandbeschuss von den anderen ablenken und damit deren Rückzug decken, bevor wir uns selbst zurückziehen.” Sie sah dem Rabensteiner einen Moment lang in die Augen. “Seid versichert, ich habe kein Interesse daran, einen unnötigen Kampf vom Zaun zu brechen oder eine andere Dummheit zu begehen!”  Die Geräusche waren mittlerweile sehr laut, der Schrat nahezu heran. “Was auch immer wir tun, wir sollten dies schnell tun!” Sie hatte bereits ein Strauchwerk unmittelbar neben einer mächtigen, mittlerweile aber auslichtenden Eiche ausgemacht, das ihr als Versteck geeignet erschien.

“Wenn ihr mitkommt, haben wir noch eine kleine Möglichkeit, ohne Blessuren davonzukommen.” Versuchte es der Rabensteiner ein allerletztes Mal. Er blickte die anderen mit zusammengezogenen Brauen an. “Geht schon. Ich bleibe bei ihr.”  Elendes, dickschädeliges Weibsvolk!

Die Entscheidung zur Flucht war ihnen ohnehin abgenommen, denn jetzt krachte es nahezu unmittelbar neben ihnen, nur noch wenige Schritt konnten es sein… Geistesgegenwärtig ergriff Wunnemine den Arm des Rabensteiners und zerrte ihn ins auserkorene Buschwerk. Dort hielt sie den Atem an und versuchte auszumachen, welche Wesenheit oder Naturgewalt - wenigstens klang es nach einer solchen - hier durch den Wald walzte. Die alte Eiche sollte wenigstens sicherstellen, dass die Bahn des Schrats nicht direkt durch ihr Versteck gehen würde. Hoffte sie. Ungläubig hatte Rondradin das Gespräch verfolgt, doch jedes mal wenn er etwas einwerfen wollte, kamen ihm die Baronin oder der Baron zuvor. Er schnaubte, als er die Aufforderung des Rabensteiners vernahm. “Ich werde nicht weglaufen, dies solltet Ihr doch wissen.” Zu mehr kam er nicht, denn in diesem Moment zog die Ambelmunderin den Rabensteiner in ein Gebüsch und Rondradin blieb allein auf offenem Feld zurück.

Die nächsten Herzschläge erlebte der Diener der Leuin wie im Traum, einen Albtraum. Langsam und zäh schien die Zeit zu verrinnen und doch war er vollkommen unfähig sich zu rühren. Ungeahnte Gefühle, Urängste drohten sich seiner zu bemächtigen. Unterholz und kleinere Bäume brachen, wurde achtlos zertreten oder zur Seite gedrückt, das Geschrei des Auerhahns endete in einem schrillen Ton, dem nur noch ein unschönes knacken folgte, dann trat das Ding aus dem Schatten der Bäume und Rondradin wurde seiner vollständig ansichtig. Es war ein zotteliges Monstrum von sicher fünf Schritt Größe und leicht gräulicher Hautfarbe. Lange verfilzte Haare fielen ihm bis auf Rücken und Brust. Das Gesicht ähnelte dem eines Menschen nur bedingt, war viel grobschlächtiger.  Eisige Augen musterten das kleine Menschlein, als der Troll stehenblieb. Rondradin trat unweigerlich einen Schritt zurück, er schätzte sein Gegenüber auf etwa siebenhundert Stein. Das Ungetüm war stämmig wie eine uralte Eiche, riesige, einschüchternde Muskeln zeichneten sich ab. Dies konnte Rondradin gut erkennen, denn der Troll trug nur einen Fellüberwurf, der nur einen Teil seines Körpers bedeckte, sowie einen Lendenschurz, der ebenfalls aus Fellen bestand. Das was den Götterdiener jedoch noch mehr beeindruckte war die monströse Axt, die der Schrat nun von der Schulter hob und fest mit beiden Händen packte. Den erbeuteten Auerhahn ließ er zu diesem Zweck achtlos fallen. Das Blatt der Waffe war grob, aber nicht aus Stein, sondern aus verhüttetem Metall und wog sicher vierzig bis fünfzig Stein. Kein Mensch, keine Waffe besaß die Fähigkeit dieser Waffe standzuhalten. Sein Rondrakamm würde brechen wie Weizen im Wind, dass wusste der Geweihte in jenem Moment. Immer noch vollkommen starr vor Schreck, hörte er den Troll zu sich sprechen. "Wimmelkrieger soll gehen. Dies Wald von Troll und Steinklein. Kromkawatsch wollen Wimmelkriegern nicht wehtun. Nur Hunger."

Ein Troll, wahrhaftiger Troll! Er hatte Geschichten über diese Gesellen gehört, auch über ihren Beitrag im Kampf gegen den Sphärenschänder. Als Jorgast von einem Schrat gesprochen hatte, war der Geweihte von einem Waldschrat ausgegangen. Rondradin senkte sein Jagdschwert, auch wenn es ihm schwer fiel. Er atmete tief durch und mit einem kurzen Stoßgebet zu Rondra, damit sie ihm die nötigen Mut geben möge, stellte er sich dem Troll. "Seid gegrüßt, Kromkawatsch. Ich bin Rondradin Wasir al’Kam'wahti von Wasserthal zu Wolfstrutz. Wir wollen keinen Streit mit Euch. Wir sind Gäste der Angroschim und waren gerade auf dem Weg zurück zur Jagdhütte. Wenn Ihr erlaubt, würden wir gerne unseren Rückweg fortsetzen." Es hatte ihn einige Selbstbeherrschung gekostet ruhig zu bleiben. Vor allem da er den Kopf weit in den Nacken legen musste, um den Troll ins Gesicht sehen zu können.

Worte

Der Troll hob die riesige Axt wieder über die Schulter, als wäre sie ein dünner Stecken. Dann streckte er den massigem Arm und deutete in die Ferne. "Dann gehen Wimmelkrieger. Sagen Steinklein Auge Stein wieder geöffnet. Gehen."

Wunnemine war sich unschlüssig, ob sie mit dem Baron von Rabenstein aus dem Versteck heraustreten und dem Schrat ins Angesicht blicken sollte. Einerseits schien der Troll nicht aufs Blutvergießen aus zu sein, wollte lediglich, dass sie sich ‘trollten’. Andererseits wusste man nicht, ob es gut bei dem riesigen Schrat ankäme, wenn aus dem einen ‘Wimmelkrieger’, dem sich dieser gegenübersah, auf einmal ein ganzes Gewimmel werden würde. Mit fragenden Augen deutete sie mit einer Kopfbewegung in Richtung des Trolls und hoffte, dass der Rabensteiner ihre Frage verstand. Der schüttelte wortlos den Kopf und wies mit der flachen Hand gen Boden, ein deutliches Zeichen, zu bleiben, wo sie war. Wie der Troll reagieren würde, wenn noch zwei weitere Wimmelkrieger aus dem Gebüsch krochen, war kaum einzuschätzen - und Zeit genug für den Rückweg, sobald der Troll abgezogen war. Einen Moment wartete Rondradin, als aber weder die Baronin von Ambelmund noch der Baron von Rabenstein zu ihm trat, zuckte er innerlich nur die Schultern und nickte dem Troll zu. “Ich werde rasch die anderen suchen, die vor Euch geflohen sind, dann verlassen wir den Wald.” Er überlegte kurz, ob er den Troll fragen sollte, wer dieser Steinklein war, dem er die Nachricht überbringen sollte, aber das konnte er auch den Vogt fragen, der würde das sicherlich wissen. “Nun denn, ich wünsche Euch noch einen schönen Abend und einen guten Appetit.” Dabei deutete der Geweihte auf den Auerhahn zu Füßen Kromkawatschs. Sein Jagdschwert wanderte zurück in seine Scheide und er deutete eine Verbeugung an, bevor er Anstalten machte, die Lichtung zu verlassen. Der Rabensteiner ballte die Faust angesichts der Worte des Rondrianers. Aber gut, das war auch derjenige, der sich als Trollfutter nach vorn geworfen hatte. Wäre es hart auf hart gekommen, hätte der gegen den fünf Schritt großen Steinschrat keinen Stich gemacht. Lucrann atmete tief durch und vermerkte innerlich die Notwendigkeit für den nächsten ‘Übungskampf’ mit seinem unwilligen Schwiegersohn in spe.  Auch Wunnemine hörte die Worte über ihre angebliche Flucht nicht gerne, akzeptierte sie aber als taktisch angemessen. Sie hörte den Rabensteiner neben sich ebenfalls schwer atmen, was den kurzen Anflug eines Grinsens über ihr Gesicht trieb - ‘Nein, nicht jetzt - sie musste konzentriert bleiben’, vertrieb sie den unangebrachten belustigten Gedanken.  Die Ambelmunderin und der Rabensteiner konnten nur hoffen, dass Trolle nicht besonders gut riechen, nahmen sie selbst doch deutlich den Geruch von Alkohol war, der von Wunnemines improvisierten Brandpfeilen aufstieg. Diese deutete ein Schnuppern in Verbindung mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck in Richtung ihres Versteckpartners an. Zur Not hätte sie die Geschosse schnell in die Streuschicht auf dem Waldboden gesteckt, wollte aber keinesfalls ein unnötiges Geräusch machen. So hieß es gebannt abwarten, was der Troll wohl machen würde. Stoisch und ohne jedwede weitere Regung beobachtete der Troll, wie sich der Diener der Leuin entfernte. Dann, als das kleine Menschlein zwischen den unzähligen Bäumen verschwunden war, hob er seine Beute auf und stapfte mit einem tiefen Grunzen los, um seinen bisherigen Weg wieder aufzunehmen, dabei kam er kaum einen Schritt an den beiden im Gebüsch Versteckten vorbei.

Aufmerksam folgte der Blick des alten Barons dem abziehenden Troll. Eindeutig mehr Glück als Verstand, was ihnen hier zuteil geworden war. Er wartete, bis die Schritte des Wesens im Wald verklungen waren und das warnende Keckern einige Häher, die sein Fortkommen begleiteten, ebenfalls verstummte.  Er richtete sich aus dem Versteck auf, reichte Wunnemine die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Dann erst nahm den Bolzen aus seiner Armbrust, entspannte sie und klopfte sich Staub und Nadeln vom Wams. Er musterte seine Begleiter. “Gehen wir zurück.”  “Habt Dank, Hochgeboren!” erwiderte Wunnemine die ausgestreckte Hand des Rabensteiners und ließ sich aufhelfen. “Eine interessante Begegnung! Es war das erste Mal, dass ich einem Troll gegenüberstand. Und dann gleich so nah…” Einerseits schauderte ihr ein wenig, als sie sich die brenzlige Situation nochmals vergegenwärtigte. Andererseits erlebte sie gleichzeitig ein Hochgefühl nach dem durchlebten Nervenkitzel.  “Wie steht es um Euch? Hattet Ihr bereits das Vergnügen?” fragte Wunnemine, während sie ihre präparierten Pfeile zurückbaute und rasch in ihrem Köcher verstaute. Danach hielt sie Ausschau nach dem Verbleib Rondradins. Als sie an diesen dachte, versetzte ihr dies einen Stich, der ihr Hochgefühl schwinden ließ. Was wäre gewesen, hätte der Troll sich anders verhalten? Den Wimmelkrieger zertreten wollen hätte? Hätte sie wieder ansehen müssen, wie einer der ihren den Tod in einer Situation gefunden hätte, die sie wenigstens mitverursacht hatte? Wo war der Geweihte nur?

Der Borongeweihte betrachtete sie mit abschätzendem Blick. “Das ist Jahrzehnte her.” Er wartete, bis Wunnemine ihre Siebensachen gepackt hatte, und machte sich dann ohne ein weiteres Wort auf in die Richtung, in welche Rondradin verschwunden war. Er überließ es der Ambelmunderin, mitzukommen. Neben dem Baron von Rabenstein fühlte selbst sie sich zuweilen wie eine Schwatzdrossel, wie sie angesichts der wortkargen Reaktion wieder feststellen musste, als sie jenem hinterher schritt. Aber das war nicht ihre Hauptsorge. Wo steckte nur… ah, da war Rondradin ja endlich... Der Rondrageweihte war außer Sichtweite des Trolls stehengeblieben und wartete mit stoischer Miene auf die beiden Hochadligen. Einzig ein ungewöhnliches Funkeln in seinen Augen zeugte von der Begegnung gerade, aber was es bedeuten sollte, war schwer auszumachen. War er wütend, weil sie ihn allein dem Troll hatten gegenübertreten lassen, oder war es etwas anderes? Kein besonders warmer Blick des Rabensteiners traf den jungen Rondrianer. Er schüttelte wortlos den Kopf, ehe er weiter schritt, dem Weg des Jagdhelfers folgend. Den demnächst ein besserer Fährtenleser übernehmen würde - zumindest, wenn die Gruppe überhaupt noch aus dem Wald finden wollte. Der Rondrianer grinste noch immer leicht dämlich vor sich hin, was dafür sorgte, dass der alte Boroni die Faust ballte. Es war eine Sache, einen weit überlegenen Gegner niederzustarren - es war nicht so, dass der Alte dieses Hochgefühl nicht kannte - gepaart mit der Erleichterung, aller Umstände zum Trotz noch auf den eigenen Beinen zu stehen. Es war auch nicht so, dass er das dem Jungen nicht gönnte. Aber dafür ein Grinsen ins Gesicht gepappt zu tragen, als sei ihm als Knappen zum allerersten Mal Rahja erschienen, das war schlechterdings kindisch. Ebenso wie der Starrsinn der Ambelmunderin, deren Jahre eine etwas abgeklärtere Vorgehensweise als ‘drauf und voran’ hätten gewährleisten sollen. Und es nachweislich nicht taten.

Der frostige Blick des Barons blieb nicht unbemerkt und so wandte sich Rondradin eben jenem zu. “Hochgeboren, ist etwas?” Mit betont ruhiger Stimme und gelassener Miene erwartete der Wolfstrutzer die Antwort seines Bruders im Glauben. Der holte tief Luft, atmete sehr bewusst ein - und zwei Herzschläge später wieder aus. “Klug war das nicht, Euer Gnaden.” bemerkte er schließlich. “Da muss ich Euch zustimmen, Hochgeboren. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Ihr mich nicht einfach alleine auf dem Weg zurücklassen würdet”, erwiderte Rondradin ruhig, während er dem Blick des Barons scheinbar ungerührt standhielt.  “Ich hätte mir gewünscht, dass ihr nicht alleine auf den Weg springen würdet.”  Eine ungewöhnlich lange Antwort, während der Boroni dem Blick des Rondrianers mit aller Seelenruhe begegnete. “Nicht ich bin auf den Weg gesprungen, Ihr seid vom Weg ins Gebüsch verschwunden. Ohne Vorwarnung, wenn ich hinzufügen darf”, die rechte Augenbraue war steil nach oben gewandert, aber das war die einzige Veränderung im Verhalten des Rondrageweihten. Der Rabensteiner blieb stehen und hob seinerseits eine Augenbraue. “Ihr bestandet darauf, abzuwarten. Eure Entscheidung.” “Da muss ich höflichst widersprechen. Der ursprüngliche Plan sah vor, dass wir uns zurückziehen und uns dem Troll nur dann stellen sollten, wenn wir keine andere Möglichkeiten gesehen hätten. Aber dieser besagte nichts darüber, dass jemand zurückbleiben und den Gegner begaffen wollte. Hätten sich alle an den ursprünglichen Plan gehalten, wären wir dem Troll mit etwas Glück erst gar nicht begegnet.” Ein anklagender Seitenblick traf die Baronin von Ambelmund, dann stellte sich Rondradin wieder dem Blick des Alten. “Seid froh, dass es kein Waldschrat sondern ein Troll war. Mit diesem hätten wir schwerlich reden können.”

“Von Gegner begaffen kann gar keine Rede sein, Euer Gnaden.” erwiderte Wunnemine den Vorwurf des Geweihten, der ihr keineswegs entgangen war. In ihrer Stimme lag eine leichte Schärfe, die für denjenigen, der sie sehr gut kannte, verraten hätte, dass sie getroffen war, wenigstens leicht. Ihre Stimme wurde gelassener. “Vielmehr davon, sich taktisch geschickt zu stellen. Ich möchte nicht auf der Flucht einen Gegner unbekannter Art und Stärke im Rücken haben, sondern wissen, mit wem oder was ich es zu tun habe. Außerdem hätten wir von hinten Euren und der bereits vorausgespreschten Gemeinen Rückzug decken können.” Mit entschuldigendem Blick fügte sie hinzu: “Leider blieb nicht genügend Zeit, die Entscheidung hinreichend zu diskutieren. Umso erleichterter bin ich, dass wir alle und insbesondere Ihr unbeschadet geblieben seid. Im Übrigen zolle ich Euch höchsten Respekt für Euren Mut und Eure besonnene Reaktion im Angesicht dieses riesenhaften Wesens!”

Der Blick des Rondrageweihten wurde sanfter und er nickte. “Nun gut, es ist ja niemand zu Schaden gekommen. Allerdings solltet Ihr wissen, dass ein Diener der Leuin sich niemals zurückzieht, wenn noch einer der seinen auf dem Schlachtfeld verweilt, sondern den Rückzug der anderen deckt. Einfach wegzulaufen, während Ihr noch in Gefahr seid, ist mir unmöglich. Bedenkt das bitte, wenn Ihr wieder so etwas vor habt.” Rondradin hielt kurz inne, dann fing er an breit zu grinsen. “Dafür schuldet Ihr mir heute Abend eine besonders schöne Weise, bei unserem Liederabend.” 

Der Rabensteiner betrachtete den jungen Rondrianer mit einem sehr, sehr stillen Blick. Seine Stimme war nur ein heiseres Flüstern, als schliffe Wind über gefrorenes Land. “Ihr seid der Meinung, ich sei nicht in der Lage, für die Sicherheit Ihrer Hochgeboren zu sorgen?” Hingen seine Worte für einige Atemzüge lang wie gefrorener Reif in der Luft. “Nein, Hochgeboren. Euch hatte ich bei meiner Überlegung mit eingeschlossen. Ich ziehe mich nicht zurück, solange noch Verbündete auf dem Schlachtfeld verweilen, sei es ein richtiges Schlachtfeld oder auch eine Jagd. Das habe ich gemeint. Das ist ein Grundsatz meines Glaubens.” Inzwischen bröckelte die gelassene Miene, die der Geweihte bisher mühsam aufrechterhalten hatte. Bei den Zwölfen, und den soll ich als Schwiegervater haben wollen? Lieber versuche ich mein Glück auf der Brautschau. Da müsste schon etwas sehr Schwerwiegendes vorfallen, dass ich freiwillig Ravena zum Weib nehmen sollte.

Wunnemine spürte die anwachsende Spannung und die zusehends eisig werdende Stimmung zwischen den beiden Herren an ihrer Seite. Einen kurzen Moment wollte sie ihrer Neugier folgen und die Situation weiter beobachten, stattdessen entschied sie sich jedoch, diese zu entschärfen. “Ich bin sehr angetan von dem Edelmut und dem Schutz, den ich durch Euch beide erfahren darf! Doch möchte ich betonen, auf dem Schlachtfeld bereits ähnlich mächtigen Gegnern gegenübergestanden zu haben - ich weiß durchaus, mich selbst zu schützen. Gleichwohl weiß ich Euer rondragefälliges Verhalten zu würdigen und danke Euch dafür, Euer Gnaden, wie ich Euch dafür danke, meine Taktik mitgetragen und an meiner Seite im Versteck gekauert zu haben, bereit, zu tun, was getan werden muss, Hochgeboren.” Sie sah zwischen den beiden hin und her, dann ging sie auf Rondradins Bemerkung an sie ein: “Und eine schöne Weise sei Euch hiermit von meiner Seite zugesagt, Euer Gnaden. Mögt Ihr ebenfalls eine beisteuern, Hochgeboren?”

“Gewiss nicht, Hochgeboren.” Der Borongeweihte hatte nicht die geringsten Intentionen, sich in eine solche Angelegenheit ziehen zu lassen. Mochte sein Bruder im Glauben auch für jetzt das letzte Wort haben - die Angelegenheit war noch längstens nicht abgeschlossen. “Habt Dank, Hochgeboren. Ein Grund mehr sich auf den heutigen Abend zu freuen.” Erwiderte Rondradin die Zusage Wunnemines. Ihm war nicht entgangen, wie die Baronin versuchte, die Wogen zwischen ihm und dem Rabensteiner zu glätten, wofür er ihr sehr dankbar war. Die fast schon niederhöllische Kälte, welche vom Baron von Rabenstein auszugehen schien, war nur schwer zu ignorieren. Warum musste der Baron auch immer alles in den falschen Hals bekommen? Aber hier waren weder der Ort noch die Zeit um dieses neuerliche - einseitige -  Zerwürfnis zu klären. Andererseits … .

Rondradin wandte sich dem Boroni zu. “Hochgeboren, was haltet Ihr davon, wenn wir morgen dem Jungvolk eine weitere Lektion im Zweikampf geben?” “Gut.” stimmt der Alte zu. Auch wenn es nichts helfen würde - dass der Junge sich in absehbarer Zeit ändern würde, war kaum zu erwarten. Aber nach einigen Übungskämpfen würde der Jüngere vermutlich siegen, was Rondradins Ego nicht angenehmer machen würde. Wenn es half die Wogen zu glätten, indem er dem Alten die Möglichkeit gab, seinem Ärger in einem Übungskampf Luft zu machen, dann sollte es so sein. Also nickte Rondradin auf die Zusage des Rabensteiners zum Duell und war sich gewiss, dass es nicht so einfach werden würde, wie der Kampf an diesem Morgen.

Mit nichts anderes als einer wortkargen Absage auf ihre Anfrage hatte Wunnemine gerechnet. Sie unterdrückte den Impuls eines Grinsens und gab sich stattdessen innerlich damit zufrieden, dass der Frieden in der Jagdgruppe wieder hergestellt schien. Die Verabredung der beiden ungleichen Männer zu einem Übungskampf am kommenden Morgen machte sie jedoch wieder hellhörig. Im Kampf - sowohl im ernsten als auch zur Übung - offenbarte sich oftmals mehr über das Wesen eines Menschen als in vielen Worten: “Eine Übungseinheit? Vor jungem Publikum? Akzeptiert Ihr auch weitere interessierte Zuschauer?” Sie hob die Augenbrauen. “Oder Übungspartner? Zu welcher Stunde würde Euer Tänzchen denn stattfinden, meine Herren?”

"Das wird nur eine Lektion für die Knappen. Ihr würdet Euch wahrscheinlich langweilen," versuchte Rondradin Wunnemines Interesse zu zerstreuen. Neugierige Zuschauer waren das Letzte was sie bei ihrem Zweikampf brauchten. Allerdings fehlte ihm eine gute Begründung die Baronin fernzuhalten. Hatte sie nicht verstanden, dass dies ein Duell werden würde? Hilfesuchend sah er zum Rabensteiner hinüber, der noch immer von einer Aura grimmen Frostes umgeben war. Der blickte von seinem Glaubensbruder zur Ambelmunderin und wieder zurück und hob leicht die Schultern.

“Seine Gnaden hat recht, Hochgeboren. Wir wollen Euch nicht langweilen.” sprang der Boroni dem Rondrianer bei. Mit der Baronin hatte keiner der beiden einen Strauß auszufechten. Und einen zweiten Übungskampf dieser Art könnte vor ungünstigen Augen die hypothetische Komponente der Übung rasch verlieren - was unschön wäre. “Na, wenn das so ist, sollte ich vielleicht doch besser das mutmaßlich erneut rauschende Fest nach der Jagd ausschlafen.” Falls sie überhaupt wieder so gut schlafen sollte wie in der Nacht zuvor, fügte Wunnemine in Gedanken hinzu. Und falls nicht, wusste sie, wo ihre rastlosen Beine sie am nächsten Morgen nun ganz sicher hintreiben würden - ihre Neugier war trotz der beschwichtigenden Worte geweckt. Diese Idee verschwieg sie den beiden Männern jedoch. “Wollen wir langsam nach den anderen schauen?” “Ihr habt recht, das sollten wir tun.” Stimmte ihr Rondradin erleichtert zu. Der Baron hatte bereits eine Richtung eingeschlagen und selbst der Rondrageweihte konnte inzwischen die Spuren sehen, welche die Jagdhelfer und deren Hunde hinterlassen hatten.  Es dauerte nicht lange, bis die Gruppe wieder auf Jorgast und die Hunde traf. Er hatte nur einige hundert Schritt von jenem Schauplatz mit dem Troll auf die Jäger gewartet.  Stumm übernahm der Gemeine wieder die Führung.  Seiner Miene konnte man derweil entnehmen, dass er sich schämte, feige davongelaufen zu sein. Dennoch war auch Erleichterung in seiner Haltung zu erkennen. Ohne noch viel weitere Worte zu wechseln, begab sich die Gruppe auf den Heimweg. Der Rabensteiner schien sich darin zu gefallen, sich in einen Mantel aus Schweigen zu hüllen, und so schritt die Gruppe größtenteils schweigend wieder in Richtung der Jagdhütte. Die Schatten, die sich unter den dichten Wipfeln der Bäume gehalten hatten, streckten ihre Finger aus und krochen über den Weg, verschlangen das Gebüsch am Wegrand und folgten in achtsamer Entfernung, ein Dutzend Schritt oder ein halbes entfernt, den Jägern. Die Luft stand unter den Blättern des Waldes, dick und schwül, dass man sie fast hätte schneiden können, und Myriaden kleiner Mücken umtanzten die Menschen, gierig nach Schweiß und Blut, dass diese so bereitwillig zu ihrer Nahrung in das Reich des Waldes getragen hatten.

Der Himmel überzog sich zusehends mit einem Schleier feiner Wolken, schattiert in einem tiefer werden Blaugrau durch die stetig sinkende Sonne. Niemand mehr geriet ihnen vor die Füße, abgesehen von einem einsamen Fuchs, der, witternd in ihre Richtung, mit zwei großen Sprüngen, einem roten Blitz gleich, im Unterholz abseits des Weges verschwand.

Das Praiosmal verschwand schließlich hinter der Kuppe eines Berges, weit im Efferd, und die Schatten erhielten mit einem Mal eine eine fast stoffliche Präsenz. In die jähe Stille, die sich über die Berge gelegt hatte, hallte der einzelne, kraftvolle Ruf eines Raben. Gen Rahja färbte sich der Himmel dunkel, während in Richtung des Windhags Reste von Blau und dunklem Grau mit einem letzten goldenen Widerschein kämpften. Die Luft stand still und schwül und kündete von dem Zorn der Elemente, irgendwo hier in den verschwiegenen Tälern der Berge, die schon alles hatten kommen und gehen sehen, Zwei- und Vielbeinige, Sturm und Schnee im Rahjamond ebenso wie Donner und Blitz im Tsa. Endlich, nach einer schier endlosen Zeit, leuchteten die Feuer des Lagerplatzes und die beleuchteten Fenster der Jagdhütte auf, winzigen Funken gleich, während die Bäume zurückwichen, schwarz und schweigend, still und lauernd gleichermaßen. Irgendwo im Rahja flackerte ein blasser Lichtschein über den Himmel, Vorbote des Wagens der himmlischen Leuin, der sich zur Fahrt bereitete.