Nilsitz Jagd Im Lager

Kapitel 15: Währenddessen im Lager

Währenddessen im Lager

Die Jäger waren ausgerückt und es war still im Lager geworden. Nur die Bediensteten und die Pagen waren noch da. Und die Knappen, die ihre Dienstherren aus irgendwelchen Gründen nicht hatten auf die Jagd mitnehmen wollen.  Missmutig kickte Boromada einen Zapfen vor sich her, während sie vor den Zelten der Rabensteiner auf und ab spazierte. Die beiden Paginnen waren dabei, das Sattelzeug zu putzen und verbargen ihr Grinsen, wenn der Blick Boromadas sie traf. Zwischen den Augen letzterer stand eine steile, wütende Falte. “Was glotzt Du so?” herrschte sie Palinor an, der gerade mit aller Seelenruhe über die Wiese geschlendert kam, ohne jede Sorge, Hast und Eile in der Welt. DER hatte auch nicht heute morgen von seinem Knappenherrn das Übungsschwert um die Ohren gehauen bekommen - zusammen mit der knappen Mitteilung, dass er daheim zu bleiben habe. Und beim Übungskampf das Schwert verloren. Verschämte Röte kroch um ihren Ohren und verbesserte ihre Laune kein bißchen. Gedankenverloren wanderte Palinor durch das Lager. Seine Gedanken drehten sich um Marbolieb, den Zweikampf und die Ungerechtigkeit, nicht auf die Jagd gehen zu dürfen. Plötzlich riss ihn eine wütende Frage aus seinen Überlegungen. Verwirrt sah er sich um und erkannte die Knappin vom Morgen. "Ich habe nicht geglotzt! Wie kommst du überhaupt darauf? Kann man nicht mal in Ruhe seinen Gedanken nachhängen?" blaffte er zurück. “Und ob Du geglotzt hast! Kann mich denn keiner in Ruhe lassen? Es ist schon schlimm genug, dass ich hierbleiben und auf das Kleinvolk aufpassen muss!” fauchte die Frau. “Und überhaupt, was suchst Du eigentlich hier?” "Hab' ich nicht!" widersprach der Knappe. "Was ich hier mache? Ich langweile mich!" Der angestaute Frust bahnte sich nun seinen Weg an die Oberfläche.."Du bist nicht in dem Glauben hergekommen, an der Jagd teilzunehmen um dann hier zurückgelassen zu werden, oder? Außerdem hast du heute morgen wenigstens mit dem Schwert üben können, ich dagegen konnte nur dem Kampf zwischen deinem Schwertvater und meinem Vetter zuschauen." Mit blitzenden Augen musterte Palinor Boromada. “Wenn Du meinst, dass er mich verdroschen hat, weil ich gestern beim Bierzelt war - danke für die Übung!” schimpfte die Knappin zurück. “Darauf hätte ich auch verzichten können!” Ihre Augen schossen Blitze, die denen von Palinor in wenig nachstanden. “Glaubst Du nicht, dass ich nicht auch gehofft hätte, mit zur Jagd zu gehen?” Palinor mustere Boromada ein weiteres mal, dieses mal allerdings deutlich milder. “Da wurden wir wohl beide enttäuscht. Hätte ich das schon vorher gewusst, hätte ich nicht darum gebeten, mitkommen zu dürfen.” Seufzend schüttelte er den Kopf. “Dein Schwertvater hat dir diese Lektion am Morgen erteilt, weil du beim Bierzelt warst?” Boromada zog ärgerlich die Schultern hoch. Allerdings merkte sie bereits, wie ihr Zorn angesichts der versöhnlichen Geste des Knappen zu verrauchen begann. “Warum denn sonst? Ich habe keine Ahnung, wie er mitbekommen hat, dass ich mich aus dem Lager geschlichen habe - aber er muss es bemerkt haben.” Sie schwieg einige Augenblicke. “Vielleicht hat doch der Krieger gepetzt. Über dessen Zelt bin ich gestolpert. Aber andererseits war der auch noch sehr jung - ach, ich weiß nicht.” Sie schüttelte wütend den Kopf. “Stört es keinen, wenn Du ans Bierzelt gehst?” Froh darüber, dass auch Boromada sich langsam entspannte, antwortete er ihr ohne groß nachzudenken. “Nein, eigentlich nicht. Solange ich nicht über die Stränge schlage, sagt mein Vetter nichts. Nur wenn ich es übertreiben würde, dann würde ich wohl eine ähnliche Lektion wie du bekommen.” Palinor sah die Knappin fragend an. “Ist dir Bier verboten worden?” “Ich habe zumindest keine Erlaubnis bekommen, abends nochmal durch’s Lager zu streunen. Und er mag es nicht, wenn ich zu viel getrunken habe. Wobei ich vermute, dass bereits zwei Krüge in seinen Augen zu viel sind.” Sie verzog das Gesicht. “Es ist so ungerecht! Ich bin doch schon fast so alt wie die ganzen Akadamieabgänger - und was soll so schlimm an einem einzigen Krug Bier sein?” Anklagend musterte sie Palinor, die Ungerechtigkeit der Welt deutlich in ihren Zügen. “Wie kommst du jetzt auf die Akademie? Ich dachte die Magier sind teilweise noch viel älter, wenn sie ihren Abschluss machen.” meinte er mit fragendem Blick. “Wieso Magier?” Jetzt war es an Boromada, verständnislos zu blicken. “Die Kriegerakademie. Nur weil mein Herr ein Ritter ist, muss ich Götterläufe länger als die warten, bis ich ein Bier bekomme. Das ist einfach nicht gerecht!” “Ach so, die.” jetzt verstand er was sie meinte. “Dafür bekommen die aber keinen Ritterschlag.” Sein Blick hatte etwas verschwörerisches als er sich vorbeugte und deutlich leiser weitersprach. “Was denkst du, würde es deinen Herrn stören, wenn wir uns einen Krug Bier teilen würden?” “Hm - aber der ist noch ewig weit hin.” Noch viel länger, wenn sie sich nochmals beim unerlaubten Besuch des Bierzeltes erwischen ließ. “Aber er ist nicht hier - und gegen einen halben Krug hat niemand etwas gesagt.” Unternehmungslustig blitzten ihre Augen. “Meinst du, wir wollen das angehen?” Ein kurzes Grinsen flackerte in ihren Augen auf. Das Grinsen setzte sich auf Palinors Gesicht fort. “Auf jeden Fall. Nur was machen wir den beiden da?” er nickte in Richtung der Zwillinge. Es versprach doch noch ein interessanter Tag zu werden.

“Die sind noch viel zu klein. Mädels.” Sie erhob die Stimme. “Ihr putzt weiter. Der Knappe und ich müssen Dinge besprechen.” Sie senkte die Stimme. “Oder hättest du sie mitgenommen? Nach einem Krug Bier liegen die in der Ecke …  und das muss ich dann irgendwie erklären.” “Wo denkst du hin? Ich dachte nur, weil du gesagt hattest, du müsstest auf sie aufpassen.” erwiderte er ebenso leise.  “Das Sattelzeug reicht noch für eine Weile.” flüsterte sie verschwörerisch zurück.  “Dann lass’ uns gehen.” Palinor zwinkerte ihr gut gelaunt zu. “Das beste wird sein, wenn ich das Bier hole, damit du erst gar nicht im Bierzelt gesehen wirst und es niemand deinen Schwertvater verraten kann.” Er wartete noch darauf, dass Boromada sich ihm anschloss, dann machte er die ersten Schritte des Lagerwegs. 

Mit einem Grinsen, das sich nun fast bis zu den Ohrläppchen ausbreitete, klopfte sich Boromada nicht sichtbaren Staub von den Beinen und schritt auf Palinor zu. Der langweilige Jagdtag bekam gerade ganz neue Sonnenseiten. “Bist Du wirklich geknickt, weil Dein Übungskampf heute morgen ausfiel?” erkundigte sie sich neugierig. Der Knappe nickte. “Darauf hatte ich mich schon gefreut. Du hast ja gesehen, wie gut er mit der Klinge ist. Warum fragst du?” 

“Ich bin neugierig.” bekannte Boromada. “Den Übungskampf könnt ihr ja morgen sicher nachholen. Kämpfst Du oft mit Deinem Vetter, oder seht ihr euch eher selten?” Seufzend schüttelte Palinor den Kopf. “Leider nur selten. Meine Schwertmutter ist ja Baroness Durahja vom Berg, nur hat die inzwischen so viel in Elenvina zu tun, dass sie nur noch selten Zeit für mich hat.” Er seufzte erneut. “Jetzt verbringe ich einen Großteil der Zeit auf Burg Meilingen. Rondradin war so nett, mich zur Jagd mitzunehmen. Aber da wusste er noch nicht, dass es eine Pirschjagd auf Schwarzwild werden würde.” Mit einem gezielten Tritt kickte er einen Tannenzapfen in weitem Bogen vom Weg. “Heute wollten wir eigentlich auch mit scharfen Waffen üben.” Boromada konnte die Enttäuschung über das Verpasste deutlich in seinem Gesicht sehen.

“Au weh.” Boromada fand einen zweiten Zapfen und beförderte ihn mit einem gezielten Tritt dem ersten hinterher. “Schwarzkittel sind aber wirklich gefährlich. Bei uns ist erst vor kurzem ein Jäger gestorben, dem ein Keiler die Beine zerfetzt hat. Die Biester werden gewaltig groß.” Sie senkte den Kopf “Ich bin gar nicht so scharf auf einen Übungskampf mit scharfen Waffen. Ich weiß, es muss sein - aber ich mag es, meine Finger alle zu behalten. Auch wenn der Baron sagt, dass einige der gefährlichsten Gegner die Unfähigen sind, bei denen du nicht abschätzen kannst, wie die Schläge fallen, weil sie es selbst nicht wissen.”

Als Boromada von dem toten Jäger sprach, musste Palinor schlucken. Er hatte nicht gedacht, dass eine Jagd wirklich tödlich für die Jäger verlaufen könnte. Sein Verlangen auf die Jagd ließ mit einem Schlag ein gutes Stück nach. “Hm, dann ist es wohl besser so, dass ich hiergeblieben bin.” Die Ansicht der Knappin über Übungskämpfe mit scharfen Waffen musste er erst kurz nachdenken, bevor er antwortete. “Mir wurde gesagt, dass man die Angst vor scharfen Waffen verlieren, aber den Respekt vor ihnen behalten müsse. Außerdem bieten Übungswaffen aus Holz nicht alle Möglichkeiten, die eine echte Waffe bietet. Zudem, nach dem was ich heute gesehen habe, würde dein Schwertvater dir nicht aus Versehen Schaden zufügen. Oder glaubst du, er würde dich in einen ähnlichen Kampf wie der mit meinem Vetter verwickeln?” Boromada schüttelte entschieden den Kopf. “Ganz sicher nicht. Nach zwei Schlägen - oder schon nach einem - hätte ich kein Schwert mehr in der Hand.” Ihr Knappenvater wusste, was er tat.

“Aber die Jagd ist nicht so ohne - ich meine, unsere Jäger kennen sich aus, aber sogar denen passiert es gelegentlich, dass sie sich zumindest schwer verletzen. Und vorletzten Winter war etwas mit ein paar Zwergen und Wildschweinen - ich habe nicht alles genau mitbekommen, weil es nur der Haushofmeister erzählt hat, wir waren über den Winter in Punin - das hat sogar drei der Angroschim das Leben gekostet. Aber irgendwas muss da noch gewesen sein - genau raus mit der Sprache wollte keiner. “

“Das hier sollte meine erste Jagd werden.” ein weiterer Zapfen wurde zur Seite gekickt. “Aber das mit dem, dass keiner über etwas sprechen will, kenne ich nur zu gut. Rondradin spricht nur selten von den Dingen, die auf seinen Reisen geschehen sind.” Mit einem plötzlichen Interesse sah der Knappe Boromada an. “Dein Schwertvater war doch schon öfter mit Rondradin unterwegs. Warst du da auch dabei?” 

Boromada schüttelte den Kopf. “Bisher nicht - ich war schon zweimal im Winter in Punin mit dabei, aber er ist oft allein oder nur mit einem Büttel unterwegs. Was er dann  genau tut, weiß ich nicht - er erzählt fast nie etwas darüber. Allerdings hat er gesagt, dass er uns demnächst nochmal zu einer Veranstaltung in Nilsitz mitnehmen wird, damit wir mehr über die Zwerge lernen. Er hat sogar einen Waffenknecht aus dem kleinen Volk angeheuert, damit er mir und den Zwillingen ein bißchen Rogolan beibringt. Bosparano reicht nicht, meint er.” “Schade, bei meinem Vetter ist es aber dasselbe.” Palinor wirkte enttäuscht. “ Die Jagd hier ist das erste mal, dass er Waffenknechte dabei hat. Davor war er immer alleine unterwegs.” Achselzuckend redete der Knappe weiter. “Ihr müsst also auch Rogolan lernen? Meine Baroness legt ebenfalls viel Wert auf Sprachen.” Zwischen den Bäumen konnten sie die Konturen des Bierzeltes erkennen.

Boromada blickte auf die sich durch die Äste abzeichnenden Zeltbahnen und ein vorfreudiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. “Je mehr Sprachen ich kenne, um so besser komme ich durch die Lande. Wenn ich meinen Ritterschlag habe, werde ich mindestens ein Jahr auf Reisen gehen. Wir haben auch noch eine tulamidische Pferdemagd auf der Burg - aber mehr als ein paar Grundlagen werde ich von Issime sicher nicht lernen - sie ist etwas eigen. Immerhin kann ich euch ein Pferd samt Körperteilen und alles, was zu einem Zaumzeug gehört, auf Tulamidya benennen.” Boromada grinste. “Warum ihrzen wir uns eigentlich?” “Keine Ahnung, wir haben uns doch die ganze Zeit geduzt.” kam es überrascht zurück. “In Tulamidya kann ich zumindest schon Tee bestellen. Aber nachdem ich jetzt in Meilingen festsitze, ist auch der Unterricht in Tulamidya vorbei. Nach meinem Ritterschlag habe ich vor, das Mittelreich zu bereisen, vor allem Almada hat es mir angetan. Aber es dauert ja noch gute vier Jahre bis ich endlich ‘fremdes Bier kosten kann’, wie der Zwerg sagen würde.” Palinor grinste plötzlich breit. “Ein Gutes hat es ja, dass es bis zum Ritterschlag noch so lange dauert. Vorher wird man uns mit der Heiratspolitik der Familien in Ruhe lassen.”

“In Schweinsfold soll es eine Travienmesse geben - um Familienmitglieder zu verheiraten.” Bisher hatte sie bestenfalls Schnipsel dieser beunruhigenden Veranstaltung, in der auch noch ihre eigene Familie die Finger hatte, aufgeschnappt. “Ich meine, wie übel ist das? Wenn mein Familienoberhaupt sich einen Ehegatten für mich aussucht, ist das eine Sache - aber dass sich da alle treffen und abstimmen, wer zu wem passt - das ist doch gruselig.” Sie schüttelte sich. “Glücklicherweise haben wir da wirklich noch ein paar Jahre Zeit - und mit etwas Glück bin ich am anderen Ende Aventuriens, wenn dieser Gedanke zum ersten Mal aufkommt. Ich will jetzt noch nicht heiraten - und noch keine Kinder.” Rondradin hatte diese Brautschau erwähnt und soweit Palinor wusste, wollte er sogar daran teilnehmen. Wusste sein Vetter davon, wie da die Paare gebildet wurden? “Es wird abgestimmt? Das ist so... “ er fand keine Worte dafür. “Nein, sowas will ich nicht für mich und für Kinder bin ich auch noch zu jung.” Die Erinnerung an Marbolieb und Mirla schoss durch seinen Kopf. “Da mag die Braut noch so schön sein.” Auch ihn schüttelte es bei der Aussicht, jetzt schon heiraten zu müssen.

Boromada lachte. “Hast Du jemand besonderes im Auge?” frotzelte sie, während das Bierzelt nun wirklich in Sicht kam. “Nein.” kam es zu schnell und zu hoch um glaubhaft zu wirken. Er kannte Boromada noch zu wenig um mit ihr über Marbolieb oder seine Schwertmutter zu sprechen. Wobei beide eigentlich nicht ‘heiratsfähig’ waren. Seine Schwertmutter war verlobt und Marbolieb hatte ein Kind und einen Zwerg. Den Zwölfen zum Dank, war das Bierzelt in Reichweite. “Soll ich uns jetzt ein Bier holen? Willst du hier auf dem Weg warten?”  “Na, wenn du das sagst.” Nun musste Boromada doch lachen. “Ein Bier ist eine wunderbare Idee.” setzte sie sicherheitshalber sogleich hinterher. “Ich warte hier. Sicher ist sicher.” Palinor lief puterrot an und stapfte in Richtung des Bierzeltes los. “Na gut.” Es war gut, dass er noch ein paar Schritte bis zum Zelt machen musste. So konnte seine Gesicht wieder eine normale Farbe annehmen. Gnädigerweise waren zu dieser Zeit nur wenige Gäste anwesend, die ein Bier haben wollten, so dass er schnell seine Bestellung aufgeben konnte. Kurz darauf kam er mit einem großen, mit einer Schaumkrone bedeckten, Krug zurück zu Boromada. Mit einem “Hier!” reichte er ihr den Krug.

“Hach!” Boromadas Augen leuchteten auf, als sie glücklich in den dicken Schaum pustete, den Humpen aus Palinors Händen entgegennahm und einen tiefen Schluck nahm. “Herrlich! Ich danke dir!” Jegliche Frotzelei war aus ihren Augen verschwunden, die leuchtend grün im Licht der Spätmorgensonne aufleuchteten, mit einemmal so grün wie der Wald, der die Jagdhütte wie zwei offene Hände umschloss. Sie nahm einen weiteren Schluck, wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen und gab den Humpen an Palinor zurück. “Es schmeckt herrlich.” Sie hielt kurz inne, und setzte dann ungewohnt nachdenklich hinzu. “Und vermutlich viel besser, als wenn ich es immer haben könnte. Trotzdem - und gerade deshalb: das war eine super Idee!” Nach einem tiefen Schluck aus dem Krug, setzte Palinor diesen ab. Das Bier war herrlich kühl und brannte deshalb angenehm im Hals. “Da hast du recht. Die Zwerge brauen einfach das beste Bier.” Ob des Lobs der Knappin wurde er wieder ein wenig rot und musste grinsen. “Du magst Bier wirklich gerne, oder?” Er beobachtete sie über den Rand des Kruges hinweg. “Sehr.” gab die Knappin zu. “Doch zuhause gibt es nur manchmal in der Küche welches. Der Baron bevorzugt Wein. Ist auch nicht schlecht, aber ein echtes Zwergenbier - das ist etwas richtig Tolles!” Palinor nahm noch einen Schluck und reichte den Krug dann wieder an Boromada zurück. “Das werde ich mir merken.” erwiderte er schelmisch lächelnd.  “Das mit dem Zwergenbier oder das mit dem Wein?” Etwas verständnislos griff die Knappin nach dem Krug und tat einen tiefen Zug. Einen sehr tiefen Zug. “Warum?” Palinor sah sie unschuldig an. “Das mit dem Zwergenbier, natürlich. So kann ich dich besänftigen, falls du wieder mal auf mich losgehst.” Er lugte in den Krug, der nun fast leer war. “Du hast einen ganz schönen Zug.” Das nahm auch Boromada zum Anlass, mit einem zusammengekniffenen Auge in die Untiefen des Bierkruges zu spähen. “Tschulligung.” meinte sie - besonders ernsthaft klang es indes nicht. “Das ist aber auch zu lecker. Wann bin ich denn schon einmal auf Dich losgegangen?” Mit einem absolut harmlosen Blick reichte sie Palinor den Krug zurück.

Der betrachtete Boromada augenzwinkernd und sprach während er den  Krug an die Lippen hob. “Ich weiß auch nicht. Irgendwie hatte ich da vorhin so was vernommen wie ‘Warum glotzt du so?’. Kann mich aber auch geirrt haben.” Dann leerte er den Krug. “Hm.” Boromada überlegte. “Tut mir leid. Aber du hast gestarrt.” Sie beäugte den mittlerweile leeren Krug. “Aber das sei Dir vergessen und vergeben.” Wehmut schwang in diesen Worten mit, deutlich genug zu hören. “Was tun wir jetzt?” “Ich war in Gedanken.” versuchte sich Palinor nochmals zu verteidigen. “Aber deine Vergebung erwärmt mir mein Herz.” übertrieben dramatisch presste er die Hand mit dem Krug auf sein Herz. Dann betrachtete auch er den Krug. “Wir sollten den Krug zurückbringen. Aber dann? Hast du einen Vorschlag?” 

Boromada runzelte in gespielter Grübelei den Kopf. “Was hältst Du davon, wenn wir ihn nochmal füllen lassen?” Schlug sie mit einem sonnigen Lächeln, das den Schalk nicht ganz verbergen konnte, vor. Mit einem schicksalsergebenen Seufzer, der so gar nicht zu dem schelmischen Funkeln in seinen Augen passen wollte, nickte Palinor. “Na gut, aber nur weil du es bist.” Schon dabei, sich auf den Weg zurück zum Zelt zu machen, stockte der Knappe kurz. “Ich habe gesehen, die haben auch einen Zwergenbock.” meinte er mit fragender Miene. “Oh.” Das anerkennende Nicken Boromadas hatte etwas von Andacht. “Was hält Dich?” fragte sie mit blitzenden Augen. “Ich eile!” Palinor beeilte sich das Zelt zu erreichen und einen Krug Bock zu ordern. Boromada war dem Bier wirklich verfallen. Wenn er ihr erzählen würde, dass sein Onkel die Brauerei in Meilingen betrieb, würde sie ihn wahrscheinlich nicht mehr gehen lassen. Innerlich feixend machte er sich mit dem vollen Krug auf den Rückweg. Boromada wartete leidlich geduldig auf Palinors Rückkehr. Sie würde es nie zugeben, aber das war das allererste Mal, dass sie ein Zwergenbock zu probieren bekam. Bisher kannte sie nur Erzählungen darüber, deren ausgeklügeltste sogar behaupteten, dass es mit einem guten Schnappes mitzuhalten vermochte.  Sie lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. So ließ es sich leben!

Mit beiden Händen trug Palinor den Krug, schon beinahe andächtig, zurück zu Boromada. Er reichte ihr den vollen Krug und setzte sich neben sie. “Sei vorsichtig, der Bock hat es in sich.” warnte er sie noch, als sie den Krug mit großen Augen entgegennahm. Ehrerbietig schnupperte die Knappin an der fast weißen, cremigen Schaumkrone, in der sich einige dunkelbraune Strähnen schlängelten. Gehaltvoll und würzig drang ihr der Duft in die Nase und sorgte dafür, dass sich das Wasser in ihrem Mund sammelte. Sie blickte auf und sah Palinor in die Augen. “Magst Du den ersten Schluck?” fragte sie.

“Bitte, nach dir.” meinte Palinor, der Boromadas Reaktion auf den Bock fasziniert beobachtet hatte.  “Danke!” Schelmisch blitzten die Augen der Knappin, als sie den Krug mit beiden Händen umfasste, nochmals andächtig schnupperte und dann einen kleinen, vorsichtigen Schluck trank. Das Wasser stieg ihr in die Augen und in Hals und Gaumen begann es kräftig zu kratzen. Sie holte tief Luft und nahm einen zweiten, größeren Schluck.  Tief holte sie Luft und drückte Palinor den Krug in die Hand, ehe sie mit einem kräftigen Husten versuchte, ihren Hals frei - und wieder Luft - zu bekommen. “Das ist - heftig!” röchelte sie mit kratziger Stimme. “Probier’ Du mal!” Der Knappe grinste und nahm einen Schluck. Anstatt des angenehm, kalten Gefühls, wenn der Bock die Kehle hinab rann, wie er es erwartet hatte, brannte sich der Zwergenbock seinen Weg in den Magen. Mit Mühe unterdrückte er ein Husten, lief aber trotzdem rot an und schnappte nach Luft. “Gut.” brachte er nach Luft schnappend heraus. Jetzt wusste er, warum die Schankmaid gefragt hatte, ob er auch einen Krug Wasser zum verdünnen haben wollte. Das nächste Mal würde er einen mitnehmen. “Wir sollten das hier langsam angehen, ansonsten setzt es morgen Prügel für uns beide.”

Boromada nickte wortlos, griff nach dem Humpen und trank einen Zug - einen deutlich kleineren als von dem Bier zuvor. “Das ist auch nicht weniger heftig als der Wein in Punin.” schnaufte sie, als sie wieder Luft bekam. “Erzähl’ mal  - was magst Du mehr? Bier oder Wein?” Sie reichte den Krug zurück und schloss für einen Moment die Augen, was natürlich rein gar nichts mit dem Zwergenbock zu schaffen hatte. Er nahm einen kleinen, vorsichtigen Schluck und ließ diesen langsam die Kehle hinablaufen. “Bier, ganz klar. Je dunkler, desto besser. Ich mag den malzigen Geschmack. Du solltest mal den meilinger Bock probieren. Kein Vergleich zu dem Bock hier, aber sehr süffig.” Der Alkohol entfaltete langsam seine Wirkung und Palinor genoss die wohlige Wärme, die von seinem Bauch ausging.  “Das klingt lecker!” Die Knappin lächelte versonnen. “Bei uns gibt es üblicherweise Wein. Für uns Knappen meistens einen verdünnten Elenviner, aber einen von der Sorte, den die Winzer selbst trinken, nicht von der, die sie verkaufen. Und ziemlich oft Almadaner. Meistens roten. Der ist auch ganz und gar nicht schlecht.” Boromada seufzte zufrieden und schmeckte dem süßlichen, kräftigen Geschmack auf ihrem Gaumen nach. “Aber ein Bier hätte ich schon auch mal ganz gerne. Manchmal braut einer der Küchengehilfen. Unser Koch ist aus Kusl..hick, der mag den Wein mehr und meint, er pansche doch nicht im Braukeller herum.” Sie hielt sich die Hand vor den Mund und grinste. Und unterdrückte nur halbherzig einen weiteren Hickser, ehe sie die Hand erneut nach dem Bierkrug ausstreckte.

“Lass dir Zeit.” mahnte Palinor, gab dann aber den Krug doch an Boromada weiter. Die war ja eigentlich doch ganz nett. Viel besser jedenfalls, als noch vorhin, als sie ihn angeblökt hatte. Verstohlen betrachtete er sie von der Seite als sie den Krug erneut ansetzte. Gut trainiert war die junge Frau, mit für ihr Alter schon ziemlich ausdefinierten Schultern und einem ganz hübschen Gesicht, wenn auch sicher nie eine strahlende Schönheit aus ihr werden würde. Über ihr Gesicht zog sich ein verklärtes Lächeln, als sie den Krug ansetzte und einen vorsichtigen, sehr genussvollen Schluck trank, mit geschlossenen Augen dem Block nachspürte und ihm dann wieder den Krug reichte. Sie seufzte. “Was für ein Leben! Sag’ mal, hast Du Dir schon überlegt, was Du nach Deinem Ritterschlag machen willst? Außer Heiraten.” Sie grinste.

“Na ja, ich wollte doch das Mittelreich bereisen und irgendwann wartet dann das Edlengut meiner Eltern auf mich.” er nahm den Krug entgegen und machte es sich bequem, dabei sah er immer wieder zu Boromada hinüber. “Was hast du denn vor?” fragte er, bevor einen kleinen Schluck trank. Inzwischen hatte er sich an das Brennen gewöhnt und begrüßte es sogar.

“Ich will mir das Land ansehen. Nach Tulamidistan und ins Alte Reich. Wobei ich da schon einmal war. In die Khom und ganz weit in den Norden. Und nach Gareth.” Ihre Augen hatten einen leicht abwesenden Glanz bekommen, ob nun dem Zwergenbock geschuldet oder ihren Plänen, blieb vorerst offen. “Ein Edlengut habe ich nicht in Aussicht - ich werde mich wohl an einem Hof als Dienstritterin verdingen. Oder selbst im Turnier Ruhm und Ehre - und vielleicht einmal bei einem ganz großen Turnier ein Gut erringen.” Sie grinste wehmütig. “Dann muss ich ja in einigen Jahren ‘Wohlgeboren’ zu Dir sagen? Hui - nicht schlecht!” Palinor schüttelte den Kopf. “Das kannst du dir abschminken, ich bleibe Palinor und du Boromada, verstanden?” meinte er ohne jede Schärfe aber mit gehörig Alkohol in der Stimme.  “Palinor klingt gut!” Boromada nahm einen weiteren Schluck aus dem Bierkrug. “Finde ich auch.” stimmte der Knappe zu.  “Auch wenn sich dann jeder fragen wird, woher ein Dienstritter wie ich den Edlen kennt.” Er grinste als ihm eine Idee kam. “Und wenn ich, als Edler, dich als Dienstritter einstelle um für den Schutz der Familienbrauerei zu sorgen?” Palinor kicherte bei dem Gedanken. “Dann wirst Du das am besten getestete … äh, geschützte Bier im ganzen Süden haben.” lachte Boromada. “Dein Gut liegt in Gratenfels, oder?” “Ja, in der Baronie Meilingen.” meinte Palinor, sich bemühend, das Kichern abzustellen. “Du erinnerst dich an den meilinger Bock, den ich erwähnte?”  “Wie könnte ich das vergessen?” Boromada spülte den sich anbahnenden Hickser mit einem weiteren Schluck Bier von dannen. “Wir könnten zusammen durch die Lande reisen. Also, bevor Du Edler wirst. Und die Biere dort testen.” Sie kicherte, als sie sich diese Ritterreise ausmalte.

“Das hört sich gut an. Aber Andergast und Nostria lassen wir aus. Die haben Eichel- und Spinatbier.” es schüttelte ihn und deshalb nahm er noch einen Schluck des Bocks. “Das wird aber eine ganz schön harte Reise. So viel Bier und so wenig Zeit.”  “Spinatbier gibt’s auch in Almada.” Schüttelte sich Boromada.”In Cres. Da ist ein Elf Baron. Mein Herr hat einmal ein Fass bekommen - ich habe keine Ahnung, wie und warum. Er hat’s in die Küche bringen lassen, jeder hat einmal probiert und wir haben den Rest den Schweinen vorgeschüttet. Die wollten es aber auch nicht. Das war wirklich, wirklich widerlich.” Sie schüttelte sich am ganzen Körper.  “Denk nicht mehr daran.” Palinor reichte den Krug zurück an Boromada. Er konnte sich nicht helfen, aber sie sah niedlicher aus, als er ursprünglich gedacht hatte. Die Glieder wurden ihm langsam schwer. Vielleicht wäre es besser, wenn sie ein wenig herumlaufen würden, aber das sitzen war gerade so schön angenehm und das Gespräch auch. “Trinken die Tulamiden überhaupt Bier?” “Ich glaube, die brauen irgend etwas aus Reiswasser. Oder das sind die Novadis - oder so jemand. Irgendwer macht auch Dattelwein. Datteln habe ich schon einmal gegessen - die sind richtig süß, echt schade, die zu vergären. Wir müssen es einfach einmal testen.”  Sie legte ihre Beine bequemer ab. Jetzt wieder aufzustehen wären eine anstrengende Sache gewesen. Glücklicherweise verlangte das niemand. “Ist noch Bier da?” fragte sie hoffnungsvoll.

Palinor schaute verständnislos auf seine leeren Hände, bevor er den Krug in den Händen Boromadas fand. “Du hast den Krug, aber gerade war noch was drin.” Sein Kopf brauchte nun deutlich länger um alles zu verarbeiten, was Boromada ihm gesagt hatte. “Aber wir wollten doch die Biere Aventuriens auf unserer Reise testen. Und du hast recht, Datteln sind zu schade, um sie nicht zu essen.” “Aber wenn sie doch so was wie Bier aus Datteln brauen, dann ist das auch eine Art Bier und wir müssen sie probieren.” Stellte sie mit leicht undeutlicher Stimme fest. “Und wo es Dattelbier gibt, gibt’s auch Datteln zum Essen.” fügte sie mit unbestechlicher Logik hinzu. “Außerdem ist’s da wirklich schön warm. Und was machen wir jetzt wegen dem Bier?” Sie griff nachdem Krug, drehte ihn um und versuchte, den letzten Tropfen aufzufangen, erreichte aber nur, dass er auf ihre Nase zerschellte. “Holst Du nochmal ein Neues? Wir müssen immerhin uns...sch..ere Wegstrecke ausarbeiten. Also, wo wir zuerst hinwollen.”

Palinor lachte und versuchte halbherzig aufzustehen. “Sollen wir nicht eine kleine Pause einlegen? Die an’eren sin’ noch den ganzen Tach unterwegs. Lass’ uns lieba mal ne kleine Runde spazieren gehen.” Das mit dem aufstehen wollte nicht ganz klappen. “Oder wir bleiben kurz hier sitzen und denken uns unsren Weg aus. Und wenn wir fertich sind, holen wir uns noch einen Krug zua Belohnung.” Der Bock hatte es wirklich in sich gehabt. “Wennu meinsch … .” Zweifelnd wischte sich Boromada den letzten Tropfen Bier von der Nase, nachdem es mit der Zunge partout nicht hatte klappen wollen. Sie versuchte, sich mühsam hochzuhieven, fiel dann aber mit einem Ächzen wieder auf ihre Kehrseite zurück. “Du musch’ mir helfen … “ stellte sie fest. “Sofort, muss nua selba hochkommen.” Mühsam stemmte sich Palinor hoch und dieses Mal fand er auch genügend Halt um stehen zu bleiben. Er blies die Backen auf und ließ die Luft wieder entweichen. Dann beugte er sich vor um Boromada beim Aufstehen zu helfen.  Die griff nach den Armen des Knappen, zog sich einen halben Schritt hoch und fiel dann mitsamt ihrem gesamten Gewicht an seinen Armen ziehend wieder zurück.  Hatte Palinor gerade eben noch verzweifelt mit dem Gleichgewicht gekämpft, war der Ruck an seinen Armen dann einfach zuviel. Er fiel nach vorne und fand sich plötzlich in unmittelbarer Nähe zu Boromada wieder. Er lag halb auf ihr, nur seine ausgestreckten Arme, mit denen er sich gegen den Boden stemmte, verhinderte, dass sie sich wirklich berührten. Ihre Gesichter waren nur Finger voneinander entfernt und sie sahen sich aus nächster Nähe in die Augen. 

Boromada kicherte, hickste und stutzte. Sie blickte Palinor in die Augen und holte tief Luft, wobei sie vergaß, ihren Mund wieder vollständig zu schließen. Eine leichte Röte kroch über ihren Hals und ihre Nasenspitze, als sie, mit einem Mal vollkommen still, vorsichtig einen Arm um seinen Hals legte. Durch das Manöver gerieten ihre Köpfe noch deutlich näher aneinander, so dass sie den sanften Geruch nach Kettenöl, Weihrauch und Zwergenbier riechen konnte, den der junge Krieger mitbrachte. Dieser erstarrte in seiner Bewegung und erwiderte ihren Blick. So nah, wie sie ihm war, konnte er den Duft von Seife, Waffenfett und Pferden bei ihr wahrnehmen. Ihr warmer Atem brachte zudem den Geruch von Zwergenbock mit. Er vermeinte etwas in ihrem Blick zu erkennen, etwas, das er sich auch wünschte. Palinor wurde rot, beugte sich etwas vor, überbrückte den Abstand und ihre Lippen trafen sich. Boromadas Griff um seinen Nacken verstärkte sich, und er spürte, wie ihre Lippen ein zuerst fragendes, dann um so energischeres Spiel begannen. In das sich nur einige Augenblicke später nicht nur die Lippen mischten. Nach würzigem Zwergenbier schmeckte ihr Mund, und nach junger, durchaus appetitlicher Frau. Einige Herzschläge lang ähnelte der Kuss eher einem ungeschickten Zweikampf, bis beide eine sehr feuchte und für beide Seiten zufriedenstellende - wenn auch ordentlich atemlose - Vorgehensweise gefunden hatten. Palinor genoss diesen Moment in vollen Zügen. Mit einer Hand streichelte er zärtlich Boromadas Wange, während ihre Lippen weiter miteinander spielten. Die weiche, nachgiebige Haut der Knappin unter seinen Fingerspitzen versetzten ihn in Verzückung und je länger dieses Spiel dauerte, desto fordernder wurden die Küsse der beiden Knappen.   Einige Augenblicke, die den beiden wie Ewigkeiten schienen, währte das Spiel, bis Boromada Palinor energisch an den Schultern packte, ihn noch enger an sich zog und sich auf ihn wälzte. Sie setzte sich rittlings auf den angehenden Ritter und fuhr mit ihrer Tätigkeit fort, ihre Haare in alle Richtungen abstehend, ein lustvolles Leuchten in ihren tiefgrünen Augen. Ihre Hände strichen durch das schwarze Haar des Knappen, gruben sich über die Finger hinein und suchten nach mehr Nähe, als dieser bloße Kuss erlaubte.

Überrascht und erfreut von der Angriffslust Boromadas erwiderte Palinor ihre Küsse energischer. Seine Hände gingen nun auf Wanderschaft, erforschten den schlanken, trainierten Körper der Knappin mit vorsichtigen Bewegungen. Plötzlich war ein lautes Lachen aus dem nahen Bierzelt zu hören, was Palinor erstarren ließ. “Lass uns einen ruhigeren Ort suchen.” flüsterte er ihr ins Ohr und knabberte versuchsweise an ihrem Ohrläppchen. “Hmm - recht hast du.” erklärte die Knappin und kicherte, während sie ihren Kopf so drehte, dass Palinor ihr Ohrläppchen besser erreichen konnte. Sie schlang ihre Beine um die seinigen und verhinderte so auf’s Beste, dass der sich erheben konnte, während ihre Hände unter sein Hemd fuhren und seine Brust betasteten. “Wenn sie uns hier erwischen, dann sind wir fällig.” flüsterte er ihr ins Ohr, während seine Erregung weiter wuchs. Ein leises Stöhnen entrang seiner Kehle, als ihre Finger seine Brust näher erkundeten. “Bitte, lass uns einen Platz suchen an dem wir ungestört sind.” Seine Hände ergriffen Boromadas Kopf und er sah ihr tief in die Augen. “Ich will dich.” In seinen Augen stand das Verlangen nach ihr. Statt einer Antwort startete die Knappin einen neuen Kuss, den sie aber schon nach einigen Herzschlägen abbrach. “Hast Du Ruhe in Deinem Zelt?” wollte sie wissen. “Bei mir sind die Zwillinge. Und die Waffenknechte.” Sie schüttelte sich - die Standpauke war nur einige Schritte entfernt. “Ja, das sollte gehen. Wir haben zwar auch zwei Waffenknechte dabei, aber die haben frei und vorhin habe ich sie vor dem Bierzelt sitzen sehen.” Hoffnungsvoll sah er Boromada an. “Oder wir holen eine Decke und suchen uns eine stille Ecke im Wald.” Er setzte sich auf um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. Liebevoll strich er ihr eine kurze Strähne aus dem Gesicht. “Im Wald sind aber die Jäger.” Die Knappin schüttelte sich. “Wir nehmen das Zelt!” entschied sie. “Und Du kannst hoffen, dass eure Waffenknechte nicht zu früh zurückkommen.” Sie versuchte, sich aufzurappeln, und fiel wieder auf ihre vier Buchstaben zurück. “Und du darfst mir aufhelfen!” Sie stöhnte. Das Bier war wohl doch eines zu viel gewesen. Dieses Mal griff Palinor Boromadas Arme und mit etwas Schwung zog er sie auf die Füße. Dabei fiel sie ihm in die Arme, was er mit einem zärtlichen Kuss vergalt. Eng an ihn gepresst blieb Boromada schwankend stehen. “Danke dir.” Sie hickste und grinste breit, als sie Palinor unterhakte. “Du darfst steuern.” Mit einem glücklichen Lächeln lenkte er sie in Richtung seines Zelts. “Dann sollten wir uns sputen, mein Zelt ist gleich da vorne.”

Nicht ganz geradlinig, aber zielstrebig erreichten die beiden jungen Leute das Zelt und verschwanden nach nicht viel mehr Handgriffen als unbedingt nötig hinter der Plane. “Scho. Dasch… sind wir.” Stellte Boromada glückselig fest. “Auschziehn. Oder so.” Kurzerhand streifte sich Palinor den Wappenrock über den Kopf, ohne sich vorher die Mühe zu machen, die Schnallen zu lösen. Der landete anschließend direkt neben ihm auf dem, mit Fellen ausgelegten, Boden. Dann folgten die Stiefel. Auch ansonsten glich sein Zelt dem seines Vetter, auch wenn es kleiner war. Mit großen Augen betrachtete Palinor den sich entblätternden Körper Boromadas und er war versucht ihr zur Hand zu gehen.  “Pfft!” Boromada kicherte und klopfte Palinor spielerisch (und ordentlich kräftig) auf die Hand. “Dasch kann ich allein!” Sie zog sich Wappenrock und Hemd über den Kopf und kämpfte so lange mit dem Gürtel, bis sie das widerborstige Stück Leder gelöst hatte. “Un’ jetzt zeig’ dich mal!” grinste sie mit geröteten Wangen - und Lippen. Aufgeregt wie er war, dauerte es einen kleinen Moment bis Palinor den Verschluss der Hose endlich aufgenestelt hatte. Mit einem letzten tiefen Atemzug und Blick auf Boromada ließ er Hose und Unterwäsche fallen. Seine gegenwärtige Erregung war klar ablesbar. Boromada machte sich am Bund ihrer Hose zu schaffen, als sie mit einemmal aufblickte, Palinor angrinste und ernst wurde. “Meinsch’ du, das ist eine gute Idee?” Dieser sah sie mit verklärtem Blick an. “Du bisch wun’erschön. Lass uns eins wer’n.” “Du abba auch.” Boromadas Blick wurde wie magisch von der Körpermitte Palinors angezogen, als sie sich ohne weiteres Federlesen Hose und Unterzeug über die Hüften streifte, stolperte und sich, während sie auf Palinor taumelte, den Rest Stoff von den Beinen schüttelte. Weich war ihre blanke Haut auf der seinen, ihre Schultern schön geschwungen und ihre Brüste klein und fest. Und warm. Palinor starrte Boromadas entblößten Körper bewundernd an und seine Erregung wuchs noch. Er griff nach ihrer Hand und zog sie in Richtung seines Lagers, während er sie mit Küssen bedeckte und seine andere Hand ihre schöne Brust erforschte.

Boromada kicherte, und strich mit ihrer freien Hand ihrerseits über den Körper des jungen Knappen. Fest und glatt waren seine Muskeln und seine Haut, und nur ein erster Überzug aus Haaren bedeckte seine Brust und seinen Rücken. “Ich mag es gar nicht, wenn ein Mann so fusselig aussieht, als hätte man einen Bären gehäutet.” grinste sie, während sie weiter forschte und sehr schnell ihre Hände doch voller Haar hatte. Beherzt griff sie zu, was den Knappen zu einem tiefen Luftholen nötigte. Auch seine Hände waren währenddessen auf Wanderschaft gegangen, hatten die Brüste, den Rücken und den Bauch erkundet um dann südlichere Gefilde aufzusuchen und dort zu verweilen. Zärtliche, erkundende Streicheleinheiten ließen Boromada erbeben, während Lippen ihre Brüste liebkosten. Sein Kopf wanderte wieder nach oben, bis sein Mund neben ihrem Ohr zur Ruhe kam. “Leg dich hin.” flüsterte er leise und knabberte abermals an ihrem Ohr. Das letzte Mal hatte es ihr ja gefallen. “Aber nicht allein!” Beharrte die Knappin, umfasste Palinor und brachte ihn mit einem durchaus geübten Rangelgriff zu Boden. Sehr hart kam sie nicht auf, immerhin dämpften der Knappe und die Decken am Boden den Fall. Neben ihm kniend setzte sie die genaue Untersuchung  des Jungen fort, was über nicht allzu lange Zeit dazu führte, dass ihre Gliedmaßen ineinander verwoben den Körper des anderen erkundeten, während beide in einem langen, der freudigen Herrin sehr wohlgefälligen (und gleichwohl sehr ungeübtem) Kuss verweilten, bis sie schließlich die Gefilde der Stute betraten und deren Reich eingehend erkundeten.

Badefreuden

Der Vormittag kam und die ersten Sonnenstrahlen schafften es über die Bäume bis auf den Boden der Lichtung.  Shanija von Rabenstein hatte ihr erstes Frühstück beendet, die Herren verabschiedet und in den Zelten ihrer Familie nach dem Rechten gesehen - kurz, und eher dem Pflichtbewusstsein als der Notwendigkeit geschuldet. Ein freier und fauler Tag in der Gesellschaft einer Freundin wartete auf sie. Und die Gelegenheit, mit einer rein fachlichen Diskussion dafür zu sorgen, auch ungestört zu bleiben. Über die Züge der schönen Baronin huschte ein Lächeln, dass einen der Knechte, die sich um das Frühstück gekümmert hatten, dazu brauchte, einen hastigen Schritt zurückzutreten. Es war sein Pech, dass ihm diese jähe Bewegung nun erst recht die Aufmerksamkeit der Rabensteinerin bescherte.

“Du da.” rief sie ihn an. Der arme Tropf verharrte und verbeugte sich. “Lass’ zwei Bäder bereiten und gib’ mir und der Doctora Maura Bescheid, wenn sie fertig sind. Und spute dich!” Letzteres war eine reine Vorsichtsmaßnahme - bei fremdem Personal konnte sie sich nie sicher sein, wie diensteifrig diese wirklich waren. Zufrieden schmunzelnd blickte sie dem davoneilenden Burschen nach und blickte sich, ein Glas verdünnter Wein in der Hand, in der Halle um. Wo war eigentlich Maura geblieben? Dieses hatte sich gerade ebenfalls für einige kleinere Tätigkeiten zurückgezogen, aber versprochen, gleich wieder zurück zu sein.

Mit eiligen Schritt machte sich Maura auf in Richtung des Zeltes der Rabensteiner. Das tulamidische Kräuteröl mußte sie unbedingt holen, bevor sie sich mit der Baronin ein Bad gönnen würde. Mit voller Vorfreude suchte sie sich eine Abkürzung zwischen den Zelten, wobei sie ein lustvolles Stöhnen und Kichern innehalten ließ. Neugierig suchte sie das Zelt, aus dem die Geräusche zu hören waren. ´Na wer frönt denn in solch einer frühen Stunde der Holden?´ Sie schaute sich um, aber das Zelt schien unbewacht. Vorsichtig ließ sie ihre Finger in den Zelteingang wandern, und lugte hinein. Erst erschrak sie ein wenig, doch dann lächelte sie. “Sieh einer an, die Knappen. Wasserthal und Rabensteiner. Interessant.´ Vorsichtig zog sie sich zurück und setzte ihren Weg fort. Beschwingt betrat sie das Zelt der Baronin. “Euer Hochgeboren, ich mußte uns noch mein tulamidisches Kräuteröl besorgen, das ich erst vor kurzem erworben hatte. Der Händler hatte mir versprochen, das man sich damit wie eine Sultana fühlen würde”, mit einem Grinsen hielt sie eine kleine Glasphiole in der Hand, die violett schimmerte.

Shanija lachte vergnügt, als sie die Phiole sah, und hob zur Antwort eine doppelt handlange, bestickte Tasche aus grünem Samt. “Ich habe auch das eine oder andere dabei. Und da ich nicht weiß, wie es mit Tüchern und ähnlichem aussieht …” sie wies schmunzelnd auf ihre Zofe, die, beladen mit Ersatzkleidung, Tüchern und der einen oder anderen Kleinigkeit, hinter ihr her keuchte. “Kommt mit.” Ohne lange zu zögern folgte sie Shanija, ohne der Zofe jegliche Hilfe anzubieten. Normalerweise war sie es, die für andere sorgte. Doch heute genoss sie es, im Sonnenschein der Baronin zu baden. “Wo genau befinden sich die Zuber? Wird noch jemand anderes anwesend sein, Euer Hochgeboren?”  “Ich zeige es euch. Und ich hoffe doch sehr, dass wir die Zuber für uns allein haben werden - immerhin hat mir der Vogt gestern versprochen, dass das Bad zu meiner Verfügung stehen wird.” Sie schmunzelte voller Vorfreude. “Ihr werdet begeistert sein! Was die Zwerge hier geschaffen haben, ist eine Meisterleistung.” Zufrieden schlenderte sie in Richtung Jagdhütte. Sie würde die Baderäume auch allein finden - aber warum sollte sie sich die Mühe machen? Als hätte er ihre Gedanken geahnt, näherte sich ein etwas abgehetzt wirkender Knecht den beiden Damen, die er nun endlich außerhalb der Feierhalle lokalisiert hatte. “Euer Hochgeboren.” Er schnaufte tief. “Euer Bad ist bereitet. Wenn ihr mir folgen wollt?” Höchst zufrieden machten sich Baronin und Doctora auf in die Eingeweide der Jagdhütte.

“Ich wäre zufrieden, wenn unsere Burg ein ähnliches Bad besäße wie diese ‘Jagdhütte’.” Vertraute Shanija ihrer Freundin an. “Wir haben zwar ein Badegemach, aber dies verfügt ganz klassisch über einen Ofen, über dem das Gesinde das Wasser erhitzt.” “Ich kann es kaum abwarten!” Mit offenen Augen und voller Bewunderung betrat sie die Jagdhütte und schaute jetzt nun aufmerksamer die Räumlichkeiten an. “Die Angroschim sind wahre Meister ihres Faches, ich bin sehr beeindruckt. Vielleicht könnt Ihr Euren Gemahl überzeugen, ein solches anfertigen zu lassen.” Kaum das der Knecht sie in den Baderaum geführt hatte, kam Maura kaum aus dem Staunen heraus. Ja, sie fühlte sich jetzt schon wie eine Sultana! “Ich glaube, die Umbaumaßnahmen dafür übersteigen unsere Einnahmen. Leider.” schmunzelte die Baronin. Dennoch würde sie sich nicht davon abhalten lassen, das Bad hier ausgiebigst zu genießen. “Andererseits ist es gleichgültig, ob nun unser Gesinde das Wasser holt oder ob es aus der Zisterne auf dem Dach kommt, findet ihr nicht?” Angekommen im Baderaum schickte sie den Bediensteten aus, um für  eine kleine Erfrischung für die Damen zu sorgen und begann, sich zu entkleiden. Breite Bänke an den Seiten erlaubten, alle Kleidung und Gepäck abzulegen. Einer der riesigen Zuber war bereits bis zum Rand befüllt und verheißungsvolle Dampfschwaden stiegen daraus empor.

Mit geschickten Griffen entkleidete Maura sich und legte ordentlich ihre Kleider auf einer der breiten Bänke. Sie legte alles ab, bis auf den silbernen Ring mit dem Emblem ihrer Familie. Ihrer Familie, dessen letzte Angehörige sie war. Den von Dohlenberg und nicht den von Altenberg. Ohne zu zögern oder einen Anflug von Scham, drehte sie sich zu Shanija um. Eher aus Gewohnheit den aus Neugierde, betrachtete die Doctora den nackten Leib der Baronin. Sie selbst zählte schon 50 Götterläufe, doch ihr Körper entsprach der einer Vierzigjährigen. Maura war schlank, mit vollen Hüften und Busen, dessen Reife ihre Anmut nur unterstrich. Das geschulte Augen konnte erkennen, dass die Doctora Leibesübungen ausübte, um ihren Körper straff zu halten. Eine feine Narbe am unteren, rechten Teil ihres Bauches zierte diesen. Anscheinend war die Altenbergerin sehr auf ihre Körperpflege bedacht, den selbst ihr Schambereich war ordentlich gestutzt und in eine schöne V-Form gebracht. Sie ließ ihre Hand in das Wasser gleiten, um die Temperatur abzuschätzen. “Euer Hochgeboren, nach Euch!”, forderte sie  Shanija auf.   Die Baronin von Rabenstein war zehn Götterläufe jünger als ihre Freundin, hatte aber einige Kinder mehr als diese zur Welt gebracht. Dennoch verriet ihr glatter, wohlgeformter Leib deutlich, wie gut ihn seine Besitzerin zu pflegen verstand - auch wenn diese darauf verzichtet hatte, an irgendeiner Stelle das Rasierwerkzeug anzusetzen. Shanija legte ihre Kleidung zusammen und prüfte die Wassertemperatur. Heiß war es, so heiß, dass kleine Dampfwölkchen aufstiegen und die Wände des Bades mit Wasser beschlagen waren. Shanijas Blick wanderte nach oben zu einem glatt verputzten Tonnengewölbe, dass dafür sorgte, dass das Kondenswasser an den Wänden herabrinnen und nicht auf die Badenden tropfen würde. Eine umsichtige Konstruktion. Mit einem glücklichen Seufzen ließ sie sich ins Wasser gleiten und schloss die Augen, als das heiße Wasser ihre Schultern umspülte. “Herrlich. Ihr solltet nicht so lange warten, Maura - sonst wird es kalt.” Sie lächelte und wandte sich an ihre Zofe. “Madija, Du darfst mir die Seife und das Öl bringen.”  So ließ es sich aushalten.

Vorsichtig stieg die Doctora ebenfalls in den Zuber und tat es der Baronin gleich und stieß einen Seufzer aus. “Wie herrlich. Mit so etwas habe ich nicht hier in den Bergen gerechnet. Es lohnt sich ja allein dafür, die Jagdhütte öfter besuchen zu kommen.” Maura schloss kurz ihre Augen und ließ den Dampf seinen Weg über ihr Gesicht suchen. “Ihr könnt Euch glücklich schätzen ein eigenes Badegemach zu haben. Glaubt mir, das Badehaus in Elenvina ist alles andere als komfortabel.” Sie öffnete ihre Augen und sah wie die Zofe zurückkehrte. “Gute Madija, wäret ihr so lieb und würdet mir mein violettes Fläschchen reichen?”  Die Zofe blickte kurz zu ihrer Herrin und brachte auf deren unmerkliches Nicken das violette Öl der Doctora, ehe sie der Baronin auf einem Tablett Tiegel, Seifen, Bimsstein und Schwamm anbot. Shanija traf eine Auswahl und begann, sich genussvoll mit einer hellrosa, nach Lavendel und Rosen duftenden Seife zu reinigen. “Möchtet ihr auch eine davon probieren?” Bot sie der Doctora mit einem kurzen Hinweis auf ihr Tablett an.  “Die meisten habe ich selbst hergestellt - ich mag es, in meinem Labor auch einige einfach nur schöne Dinge zu produzieren.” Neben den ganzen Heiltränken, Salben und Tinkturen, die ihre Haushalt so im Laufe eines  Götterlaufes verschlang. “Und bei einigen besonders kniffligen Dingen steht mir unser Hofmedicus, ein Alchemist, zur Verfügung.” Shanija schmunzelte. “Was hat Euch eigentlich an der Ausbildung in Vinsalt am besten gefallen? Und praktiziert ihr es heute noch?”  Glücklich seufzend ließ sie sich tiefer in das Wasser gleiten und schloss, noch immer lächelnd, einen wohligen Moment lang die Augen. “Sehr gerne, Baronin … Shanija”, setzte Maura etwas zögerlich an. Bis jetzt hatte sie es nicht gewagt die Baronin mit ihrem Vornamen anzusprechen. Sie griff ebenfalls nach der Seife und liebkoste damit die Haut ihrer Arme. “Ach, so vieles. Anatomie, die Alchemie aber auch die Sprachenkunde. Mein Interesse ist allerdings bei der Kräuterkunde hängen geblieben. Noch heute stelle ich einige Tees, Pillen und ja Cigarillos aus Kräutern her. Die hohe Gesellschaft in Elenvina hat sie wertschätzen gelernt.” Sie jauchzte kurz auf. “Und bei Euch?”, fragte sie zurück.

Shanija streckte sich genüsslich. “Die Anatomie.” Einige Augenblicke lang genoss sie das heiße Wasser und die selige Erinnerung, ehe sie sich aufsetzte und die Augen öffnete. “Leider kann ich sie nicht mehr ausüben - diese Art der Forschung ist im Mittelreich nicht gestattet, und mein Gemahl hat eine sehr deutliche Ansicht dazu.” Das Seufzen zu unterdrücken gelang ihr nur fast. “Hauptsächlich betreibe ich die Heilkunde von kleineren Wunden und Krankheiten einschließlich der Herstellung von Heiltränken und Salben - mundan wie magisch. Ganz ohne die Notwendigkeit meiner Dienste ist mein Haushalt nur selten.” Ein wenig wehmütig war ihre Miene, aber sie zuckte die Schultern. “Manchmal ist es ganz gut, dass jemand anwesend ist, dessen Kenntnisse über das Schienen eines Bruchs hinausgehen. Es ist erstaunlich, in welche Situationen sich die Mitglieder meines Haushalts manchmal zu bringen verstehen.” “Das kann ich gut verstehen. Die meisten meiner Patienten haben nur kleine Wehwehchen.” Während sie sie die violette Phiole öffnete und daran roch fügte sie an:” Allerdings den jungen Mann den wir in der Gasse gefunden hatten, war eine Abwechslung. Ich war völlig nach Vinsalt zurück versetzt. Was meint ihr, euer Hochgeboren?” “Manchmal gibt es seltsame Zufälle.” Shanija lehnte sich tiefer im warmen Wasser zurück. “Aber die Nordmarken sind nicht Vinsalt. Eine Leiche mehr als äußerlich zu untersuchen ist verboten und außerdem gefährlich. Außerdem, Maura, gibt es meist Gründe dafür, dass jemand tot auf offener Straße zusammenbricht - und oft genug auch einen Verursacher der Gründe, der nicht glücklich ist, wenn man ihm zu nahe kommt. Es ist längst nicht immer ein harmloses Rätsel ohne Konsequenzen - und mein Gemahl besteht seit einiger Zeit darauf, dass ich immer mindestens einen Büttel in meiner Nähe habe.” Sie seufzte leise, nicht ganz so überzeugt davon, dass diese Art des Schutzes so unbedingt notwendig war. “Dem bin ich mir durchaus bewusst. Allerdings war das einmal eine willkommene Abwechslung.” Maura setzte sich ein wenig auf. “Ihr habt Recht. Das Leben kann auch gefährlich sein, gerade wenn man sich Feinde macht.” Nun schaute sie etwas besorgt. “Ich kann mir vorstellen, das euch nicht jeder freundlich gesinnt ist im Reiche. Ich höre und sehe ja auch eine Menge, bei all meinen Patienten. Sagt Shanija, muß ich mir Sorgen um eure Sicherheit machen?”, fragte sie frei heraus.

Shanija lachte. “Ich glaube nicht. Mein Gemahl ist mitunter sehr vorsichtig und agiert gerne von einer sicheren Position aus. Und mit einem Büttel im Hintergrund wird kaum jemand so unvorsichtig sein, mir zu nahe zu kommen.” Sie grinste kurz, als sie an Alrigors ungeschlachtes Äußeres und seine mitnichten besseren Umgangsformen dachte.  “Vor vier oder fünf Jahren wurde in Punin einmal eine seiner Knappinnen entführt. Er hat sie recht schnell zurückbekommen, wollte mir aber nie so ganz genau sagen, wer denn sein Gegenspieler war. Ich denke, etwas Vorsicht schadet sicher nicht, aber ich selbst habe im letzten Jahrzwölft ganz sicher niemandem so wider den Strich gebürstet, dass ich persönlich einen Gegner hätte. Vielleicht übertreibt mein Gemahl ein winziges Bißchen.”   Sie schnupperte und erklärte, mit einem Hauch Andacht in der Stimme. “Euer Alchemist hat nicht zu viel versprochen - euer Öl passt ganz hervorragend zu euch, Maura. Wisst ihr, was darin alles enthalten ist? Ich rieche Weihrauch und Sandelholz - aber das ist nicht alles.”  Maura ignorierte die Frage nach dem Inhalt von dem Öl. “Einer seiner Knappinnen? Ist es die junge Dame in euren Gefolge? Die, die sich gut mit dem Knappen von Wasserthal versteht?”, rutschte es ihr heraus.

“Das war Tsalind - er hat sie in Mendena zum Ritter geschlagen. Sie war damals schon alt genug. Ein liebes Kind - und wirklich gut mit Pferden.” Sie fasste Maura aufmerksam ins Auge. “Was hat Boromada mit dem Wassertaler zu schaffen? Hat Seine Gnaden einen Knappen dabei oder meintet ihr gar den Rondrageweihten?”  “Der reizende Rondradin hat einen Neffen dabei. Einen Knappen. Ich hatte die beiden … zusammen gesehen. Sie schienen sich sehr zu verstehen. Wie ist das eigentlich so, wenn man Knappen in seiner Obhut hat. Eine Frage aus persönlicher Neugierde. Dürfen die sich den leiblichen Gelüsten hingeben oder gibt es ein Keuschheitsgelübde in dieser Zeit? “ Maura schaute nun neugierig die Baronin an. Die hustete angesichts der Bilder, die Mauras so harmlose Frage vor ihrem Geist hervorrief. “Dürfen sie nicht - es sei denn, der Knappenherr erlaubt es, was keiner tut.” brachte sie hervor, als sie langsam wieder Luft bekam. “Sind die von Sinnen?” fragte sie Maura und schüttelte vollkommen fassungslos den Kopf. Langsam nahm ihr Gesicht wieder eine natürlichere Farbe an. “Was würdet ihr davon halten, wenn sich eure Kinder vor der Volljährigkeit derart vergnügen würden?”

´Oh je, Maura, da hast du wohl ein Bienennest angestochen`. “Oh verzeiht, euer Hochgeboren. Ich wollte euch sicherlich mit meiner Frage nicht beunruhigen. Nun wenn die Sache so ist, ist das anscheinend den beiden Knappen nicht geläufig. Um eure Frage zu beantworten. Ich als Mutter wäre sehr beunruhigt und müßte wohl ein ernstes Gespräch mit den Schwerteltern und meinem Kind haben.” Sie straffte sich ein wenig und versuchte gelassen zu wirken. “Dann bin ich ja froh, dass ich nachgefragt habe.”

“Ich danke euch jedenfalls für den Hinweis.” Shanijas Miene war nachdenklich geworden und hatte das Lächeln aus ihren Zügen gewischt. “Au weh - das wird meinem Gemahl gar nicht gefallen.” Sie ließ sich etwas tiefer ins Wasser gleiten und winkte ihre Zofe heran. “Schenk’ uns zwei Gläser Wein ein, ja? Ich brauche jetzt etwas zu trinken.” Noch immer kopfschüttelnd nahm sie die Gläser entgegen und reichte Maura das zweite weiter. “Und dabei wollte ich doch nur ein gemütliches Bad genießen. Was für ein Glück, dass es nicht meine Knappin ist.” Nach einem erneuten Kopfschütteln prostete sie ihrer neugewonnene Freundin zu. “Was meint ihr - wollen wir uns duzen?” “Es wäre mir eine Ehre … Shanija!” Genüsslich nahm sie einen Schluck aus dem Weinglas. “Nun, als Doctora kenne ich ja einige Mittelchen, das ich der Knappin geben könnte. So als reine Vorsichtsmaßnahme. Es ist zwar etwas umstritten, aber ich werde danach recht oft in den höheren Kreisen gefragt. Wie steht ihr … stehst du dazu?” “Willst du deshalb jetzt unser Bad unterbrechen?” Begeisterung war es nicht, das aus der Stimme der Baronin sprach. “Hängst du der These an, dass Rahjalieb auch noch nachträglich Wirkung besitzt? Etwas gewagt, findest du nicht?” Sie nahm einen neuen, tiefen Schluck aus dem Weinglas und reckte den Kopf in Richtung Madijas. “Wieviele Krüge hast Du dabei? Nur einen? Dann lauf zu unserem Zelt und hole noch einen Yaquirtaler Sandwein - ich denke, der passt sehr gut zu unserem Bad.” “Wo denkst du hin, dieses Bad kann ich jetzt nicht unterbrechen. Ja, Rahjalieb wäre jetzt nicht das richtige. War es der Wille der Götter, dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Sollte das so sein, hat das jetzt keine Eile mehr. Ich kenne eine Rezeptur aus Levthansmorchel und Eunuchenkraut. Nimmt Frau das in den ersten Wochen der Empfängnis ein, kommt es meistens zur Unterbrechung von dieser. Obwohl es auch Fälle gibt, wo das nicht passiert. Da ist dann der Götterwille doch zu stark.”

Shanija blickte der davoneilenden Zofe nach und bedachte Mauras Aussage. “Ein letztes Mittel wäre das sicherlich - doch ganz ohne Risiko ist es auch nicht.” Sie seufzte. “Das wird mein Gemahl zu entscheiden haben. Ich bin nicht an allem schuld - und nicht für alles verantwortlich.” Etwas süßsauer wurde ihre Miene. “Lassen wir das und genießen wir lieber das Bad. Ich habe keine Lust, mir jetzt auch noch den Kopf darüber zu zerbrechen.  Sag, was hältst Du von den anderen Gästen?” Steuerte sie ein vermeintlich harmloseres Thema an. Sie hatte so sehr gehofft, zumindest einmal einige Stunden der leidigen Politik entronnen zu sein - doch offensichtlich war dies nicht einmal bei einer Zwergenfeier so einfach.

“Du hast recht”. Die Doctora entspannte sich wieder und nahm noch einen Schluck vom Wein. “Soweit habe ich die Gesellschaft der Gäste genossen, obwohl ich das Gefühl hatte, dass sich die Baronin von Ambelmund etwas ausgeschlossen fühlte, bei unserem Gespräch. Nun …”. Weiter kam sie nicht, den ein dumpfes Pochen war von der Tür zu hören. Überrascht schaute Maura Shanija an. “Madija, seid ihr das?”, fragte sie etwas lauter. Ein kühler Windzug verriet das die Tür geöffnet wurde, gefolgt von einer männlichen Stimme, die “Mutter?” rief. “Elvan? Bist Du das? Und was tust Du hier?”, setzte sie gleich hinterher. Die Tür wurde wieder geschlossen, ohne das jemand den Baderaum betrat. Weiterhin überrascht und mit leichter Besorgnis im Blick wartete sie auf Shanijas Reaktion. Die musterte Maura verwundert. “Was wollte er wohl? Andererseits, wenn es wichtig gewesen wäre, hätte er sich sicher gemeldet.” Sie schloss die Augen. “Hast Du einen engen Kontakt zu Deinem Sohn? Und konntest Du ihn bereits verloben, oder trifft diese Entscheidungen Dein Mann?”

Sie lächelte wieder. “Nach unserem letzten Treffen ist mir das mit den Verlobungen nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich habe auf einen Familienrat bestanden.” Nun lachte sie laut auf. “Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie durcheinander die waren. Familientreffen sind äußerst selten bei den Altenbergs. Nun, es hat aber etwas bewirkt.” Maura griff nach einem Schwämmchen und massierte sich damit ihren Nacken. “Elvan und ich hatten schon immer eine sehr enge Bindung. Wir sind Freunde, würde ich behaupten. Nun, mein Gemahl hält sich aus allem raus. Also treffe ich die Entscheidungen. Obwohl er momentan öfter in Elenvina ist. Aber meistens im Tempel. Dem Efferdtempel.” Sie schloss die Augen und seufzte kurz. “Mir kam die Idee mit einer Brautschau. Und merkwürdigerweise haben die Älteren zugestimmt. Wir hoffen, dass es im Rahja zu Verlobungen kommen wird.”  “Ich drücke euch die Daumen. Du musst mir unbedingt Bericht erstatten, wie sie abgelaufen ist - und wie viele Paare sich gefunden haben.” Shanjia seifte sich ihren Kopf mit einer nach Rosen und Lavendel duftenden Seife ein und blickte sich nach ihrer Zofe um. Sie seufzte, griff nach einer Kanne mit Wasser und wusch sich ihre Haare selbst aus.

“Sag mal, empfindest Du es als Belastung oder als Befreiung, dass sich Dein Mann um die Familie so wenig kümmert?” Ein gänzlich anderes Lebenskonzept war dies, als Shanija kannte - mit inhärentem Licht und Schatten, wie so ziemlich jede Sache. “Sagen wir mal so, ich habe mich daran gewöhnt. Als ich meinen Gemahl kennengelernt hatte, war er ja schon an die 40 Götterläufe und hatte sein ganzes Leben voll und ganz dem Launenhaften gewidmet. An einer Familie hatte er gar nicht gedacht. Nun ja, das änderte sich mit mir.” Auch jetzt griff sie nach einer Seife und wusch sich die Haare. “Die ersten Jahre war er voll und ganz bei uns. Das änderte sich dann aber wieder. Der Ruf des Wasservaters war stärker. Und wer bin ich, das ich mich zwischen meinen Mann und seinem Gott stelle?” Sie spülte ihr Haar aus. ”Ich habe gehört das dein Gemahl jetzt ein Geweihter des Boron ist. Wie ist das für dich, Shanija?” Maura nahm ihren letzten Schluck Wein aus ihrem Glas. 

“Mein Gemahl stand der Kirche schon immer sehr nahe und ist schon seit über einem Dutzend Götterläufen Akoluth des Schweigsamen. Man könnte sagen, es habe sich nichts geändert.” Sie schwieg einige Atemzüge lang. “Oder alles.” Sie spülte sich gedankenverloren die Haare mit einem duftenden Haarwasser. Bedauerlich, dass Madija so lange brauchte. “Wenn seine Kirche ruft, wird er kommen. Egal, was ich gerne hätte.” Sie betrachtete ihre Hände. “Und ich weiß, dass er einmal nicht mehr zurückkehren wird. Doch ändern werde ich es nicht können.” Sie blickte Maura in die Augen. “Kennst Du das Gefühl?” “Und ob ich das Gefühl kenne”, seufze Maura. “Ob der Stille oder der Launenhafte, sie können jederzeit ihre Diener zu sich rufen.” Sie griff wieder zum Glas, stellte aber fest, dass der Wein alle war. ´Die Zofe braucht aber recht lange´, ging es ihr durch den Kopf. “Shanija, soll ich dir helfen den Rücken einzuseifen? Ich denke deine Madija braucht noch eine Weile.”, bot sie der Baronin an.

“Vermutlich sucht sie den Wein - und es sind ein paar Meter zum Zelt, ich will schließlich nicht, dass sie ihn verschüttet.” Shanija schmunzelte. “Gerne. Nimmst du die Honigseife dafür?” Sie griff nach einer dunkelgoldenen Seife, die neben anderen auf dem Silbertablett gelegen hatte, und reichte sie an Maura weiter. “Wir sollten einmal eine Reise nach Vinsalt machen. Meine Vorräte könnten Aufstockung vertragen - und mein letzter Besuch in Belhanka ist auch schon wieder fast fünf Götterläufe her.” Sie grinste verschmitzt. “Ein Portrait habe ich - neben ganz vielen interessanten Wässerchen, Salben und Seifen  von dort mitgebracht. Warst du schon einmal in der Stadt der Rahja?” Die Doctora griff nach der Seife, tauchte sie kurz ins Wasser und ließ sie dann ein wenig aufschäumen zwischen ihren Händen. Shanija drehte sich um und offenbarte ihre feine, sehr weibliche Rückseite. Sanft strich sie mit ihrer Linken den Schaum über den Rücken der Baronin. Sie rückte ein wenig näher und benutze die Seife und die flache Hand Shanija einzuseifen, sie aber gleichzeitig sanft dabei zu massieren. `Was für eine schöne Haut sie doch hat´,dachte sie bei sich. “Leider war ich noch nie in Belhanka, ich war zu sehr mit dem Studium in Vinsalt beschäftigt.” Maura massierte sie weiter und entdeckte kleine Knötchen in der Nackenmuskulatur von Shanija. Mit kreisenden Bewegungen versuchte sie, diese weg zu massieren. “Du bist ein wenig verspannt. Falls ich zu stark massiere, sag mir Bescheid.”   “Das tut wirklich gut.” Shanija reckte sich, so dass sich die Muskeln in ihrem Rücken bewegten. “Man merkt, was Du gelernt hast.” Sie genoss einige Augenblicke mit geschlossenen Augen die Wohltat. “Wenn Du magst, revanchiere ich mich angemessen. Außerdem werden wir es brauche können - ich glaube, wir werden sicher noch etwas zu tun bekommen, auch wenn die Herren es wieder nicht für notwendig erachtet haben, uns vorher auch nur zu informieren. Oder glaubst Du, dass sie es ein einziges Mal schaffen, ohne Kratzer und Blessuren von der Jagd nach Hause zu kommen?” Sie schnaubte. “Wie gut, dass dann wir da sind.” “Wie gut das wir da sind.”, wiederholte sie die letzten Worte von Shanija. Plötzlich ging die Tür wieder auf und eine Zofe mit einem Kind auf dem Arm kam hinein.

Gobbihopp

Elvan von Altenberg schaute den Jagdgruppen hinterher, bis diese in den Wäldern verschwunden waren. Der junge Mann strich sich durch sein braunes Haar und zupfte dann in Gedanken an seinen kurzen Kinnbart. Gerne wäre er mitgegangen, doch hatte nie etwas über die Jagd gelernt. Und wie es schien, war sein einziger Freund hier, der Krieger Nivard, wieder in seinem Element und verstand sich schon fast zu gut mit seiner Kusine Gelda. Er seufzte auf. Das gewohnte Gefühl allein zu sein und allem hinterher rennen zu müssen, machte sich breit. Seine Mutter war ebenfalls beschäftigt. Ein Bad mit einer Baronin. “Ach, warum gibt es keinen holden Ritter oder Baron für mich”, murmelte er unbedacht vor sich hin. Dann erschrak er, ob seiner Unvorsichtigkeit. Vorsichtig schaute er sich um, um sich zu überzeugen, ob ihn jemand gehört hatte. Einige Augenblicke lang geschah nichts, und er wandte sich bereits ab, seinen Weg fortzusetzen, als Elvan ein Zupfen an seinem Wams spürte. Ein nachdrückliches Zupfen - einer sehr kleinen Person, die ihm nicht einmal bis an die Hüfte reichte. Sein Blick schweifte nach unten und begegnete den riesengroßen, kugelrunden, fast schwarzen Augen eines kleinen, südländisch aussehenden Mädchens, barfuß in einem knielangen, mehrfach geflickten Kleid. “Gobbihopp?” fragte das Kind hoffnungsvoll und streckte beide Ärmchen in die Höhe. Viel mehr als zwei, drei Jahre konnte es nicht zählen. “Ach herrje. Von dir hab ich schon gehört, kleine Ausreißerin.” Er ging in die Knie, um auf ihre Augenhöhe zu kommen. “Marla oder Murla oder so ist deine Name? Ich muss dich leider enttäuschen, aber ein Reitschwein bin ich leider nicht.” Elvan setzte sich im Schneidersitz hin und zog ein Stück Pergament und Kohle aus seiner Tasche. Dann brach er die Kohle in zwei Teile und hielt der Kleinen eines hin. “Aber vielleicht bist du ja eine große Zeichnerin?” Er lächelte und zog ein paar Linien auf das Pergament.

Die Kleine betrachtete Elvan mit neugierigen Augen und stupste ihn mit einem Finger ans Kinn. “Dado?” Fragend und etwas bedauernd klang das. Sie schien an dieser Stelle etwas zu vermissen, so eingehend, wie sie den jungen Mann musterte. “Kein Gobbihopp?” Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten, bis ihre Aufmerksamkeit von der Kohle abgelenkt wurde. Mit einem begeisterten “Oh!” griff sie danach und rieb sich die Hände kohlrabenschwarz ein, ehe sie mit dem Finger über das Blatt fuhr und begeistert damit Linien zog, bemüht, den Stichen Elvans zu folgen. So ganz schien ihr das Konzept des Stiftes nicht geläufig. Elvan mußte lachen. “Der erste Schritt ist getan.” Langsam zeichnete er ein Wildschwein und ließ die Kleine grob seinen Linien folgen. Nachdem sie fertig waren, bemerkte er, dass nicht nur die Hände, sondern auch das Gesicht der Kleinen Gesicht kohlrabenschwarz waren. “Nun Murla, wie es aussieht, sollten wir was zum Waschen suchen.” Er nahm die Kleine auf dem Arm und ging auf die Suche. “Und deine Mutter wird dich bestimmt auch wieder suchen.”, sagte er zu ihr und stupste sie dabei an der Nase an. 

Das Mädchen lachte begeistert auf und griff mit einer kohlebedeckten Hand ihrerseits nach Elvans Nase. Schwarz und rußig zeichnete sich ihr kleines Händchen auf Elvans Gesicht ab. Das Kind quietschte vor Lachen und erklärte “Gobbi!”, woraufhin sie ein sehr wildschweinartiges Grunzen hören ließ.  “Hopp, hopp?” Fragte sie hoffnungsvoll.

“Tut mir leid, ich bin kein Nivard.” Auch wenn er jetzt nicht das Wildschwein spielte, so fing er an sie ein wenig auf und ab zu wiegen. “So wie es scheint, brauchen wir beide ein Bad.”, sprach er mehr zu sich selbst. “Hier war doch irgendwo ein Badehaus?”, murmelte er vor sich hin. Während die kleine Mirla fleißig Elvans Gesicht bemalte, steuerte er die Jagdhütte an. “So meine Kleine. Jetzt machen wir dich erstmal sauber und bringen dich dann ordentlich zu deiner Mutter zurück!” Kaum in der Jagdhütte angekommen, sah er eine der Bediensteten der Rabensteiner. “Entschuldigt, Kind, könnt ihr mir sagen wo ich das Badehaus finde?” sprach er diesen an, ohne dabei an seine neue Gesichtsverzierung zu denken. Die Pagin, die gerade mit einer Schüssel süßer Schmalzkringel aus der Jagdhütte getreten war, blieb stehen und gaffte mit offenem Mund den jungen Mann mit dem rußverschmierten Gesicht und dem nicht minder kohlrabenschwarzen Kind auf dem Arm an. Erst nach einigen Atemzügen lang fand sie die Geistesgegenwart, mit einer ausgestreckten Hand auf die Jagdhütte zu deuten. “Da, Herr.” Noch immer vollkommen fasziniert betrachtete sie das ungleiche Gespann und machte keinerlei Anstalten, weiter ihrem Weg zu folgen.

“Habt Dank” Während er fragte ließ er Mirla etwas herunter, so das diese sich einen Schmalzkringel greifen konnte. Der Richtung folgend endete das ganze vor einer Tür. ´Hier muß es sein´, dachte er bei sich. Elvan räusperte sich. “ Hallo ist da jemand drin. Mutter?” sprach er mit lauter Stimme. Mirla stopfte sich mit beiden Händen den rußigen Schmalzkringel in den Mund und grinste über beide Backen. Die Pagin hatte nur vollkommen verdattert mit angesehen, wie ein Teil ihrer Beute in fremde Hände geriet und der Rest schnell rußige Fingerabdrücke entwickelte, ehe sie so schnell, wie es die Etikette eben erlauben wollte, das Weite gesucht hatte.

“Mehr!” erklärte sie freudestrahlend und musterte die verschlossene Holztür, aus der einige dünne Dampffäden drangen, mit kritisch gerunzelter Stirne. Nachdem er keine Antwort erhielt, setzte er die kleine ab und klopfte. Elvan meinte ein gemurmeltes ´Herein´ zu verstehen und öffnete vorsichtig die Tür. Nebelschwaden schlugen ihm entgegen und verhinderte eine klare Sicht. Als er sich nach Mirla umdrehte, bemerkte er, dass diese nicht mehr da war. “Murla?” fragte er in den leeren Gang hinein. Aber dort antwortete ihm niemand. Eine Wendeltreppe führte nach unten und oben, und er vermeinte einen Augenblick lang, sich entfernende nackte Kinderfüßchen zu hören. Ungleich deutlicher klang eine Stimme aus dem Nebel. “Elvan? Bist Du das? Und was tust Du hier?” Elvan schloss die Tür und ging zur Wendeltreppe. “Murla? Murla?” rief er und ging die Wendeltreppe nach oben.

"Na, wen haben wir denn da.” hörte Elvan eine sonore, mittelalte männliche Stimme von oben erklingen. Leodegar hatte sich entschieden, nicht an der Jagd teilzunehmen - so viel machte er sich nicht aus dem Waidwerk - er ging ihm daher nur nach, wenn es gesellschaftlich unbedingt erforderlich war. Stattdessen nutzte er die freie Zeit, in aller Ruhe das Jagdhaus zu erkunden und nach interessanten Gesprächsgelegenheiten Ausschau zu halten. Auf diese Weise vermochte er Wunnemine mutmaßlich auch besser zu dienen denn auf der Pirsch. Ein wenig überrascht war er aber schon über die erste Begegnung, die die Wendeltreppe empor in ihn rauschte. Das rußverschmierte Mädchen hatte er (weniger rußig) gestern bei der Geweihten gesehen, die seiner Herrin offenbar zu einer Nacht kostbaren Schlafes verholfen hatte.

“Bist Du hier ganz alleine unterwegs, junge Dame? Wo hast Du denn Deine Mama gelassen?” Er hörte Schritte die Treppe emporkommen. “Seid Ihr das, Euer Gnaden?”, fragte er treppab. Nein, die Schritte klangen zu schnell und zu fest für eine blinde Boroni. Das erste was zum Vorschein kam war das rußverschmierte Gesicht von Elvan von Altenberg, dem Schreiber. Aus seinen blauen Augen war die Überraschung abzulesen, als er Leodegar gewahr wurde. “Ach, da ist ja die Kleine. Ihr seid ein Retter in der Not, Herr …. ?”, fragte er etwas unsicher.

Leodegar nickte Elvan zu, angesichts des Anblicks des rußverschmierten Schreibers umspielte dabei ein Lächeln seine Lippen: “Leodegar von Quakenbrück ist mein Name, Vogt Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg zu Ambelmund.” Der nahezu vierzigjährige Edelmann trug einen akkurat gestutzten dunkelblonden Vollbart, in den sich ebenso wie in sein zurückweichendes Haar bei genauerer Betrachtung erstes weiß mischte. Gekleidet war er in ein weißes Hemd unter dunkelblauem Wams und weiß-blau gestreifter Pluderhose über weißen Strümpfen, die wiederum in schwarzen Schnallenschuhen endeten, und heute ohne Schwert unterwegs. “Und mit wem habe ich die Ehre, wenn ich fragen darf? Ihr seid, wenn ich mich angesichts Eures rußbefleckten Gesichts nicht täusche, gestern Abend viel mit dem jungen Herrn von Tannenfels zusammengesessen, richtig?” Noch in der Frage fuhr er herum und hielt sanft Mirla auf, die bereits drauf und dran war, neugierig weiterzutapsen.  “Seid Ihr mit der Betreuung der jungen Dame hier betraut? Ist sie Eure Tochter?”

In diesem Moment kam eine weitere Person die Treppe herunter, eine sehr junge Frau in einem schlichten, grünen Kleid, die dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Der dunkle Teint verriet südländische Herkunft, unter dem Arm trug sie ein zusammengerolltes Bündel edel aussehenden Stoffes von weinroter Färbung. Abrupt blieb sie stehen, als sie der Versammlung auf der Treppe gewahr wurde, und machte große Augen. Unwillkürlich drückte sie das Bündel fester an den Körper, als sie das rußverschmierte Kind erblickte. “Entschuldigt, … hohe Herrschaften”, erhob sie leicht zögernd ihre samtige, angenehme Stimme. “Ich müsste zur Waschküche.” Sie deutete mit dem Kinn die Treppe hinunter. “Diese soll sich im ersten Stock befinden?” Leodegar bewegte sich etwas zur Seite und zog dabei das kleine Mädchen, das er gerade angeblich und weitgehend ohne eigenes Zutun gerettet hatte, mit sich, um der jungen Frau eine Passage zu öffnen. “Leider bin ich mit dem Gebäude noch zu wenig vertraut, um Euch den Weg zur Waschküche weisen zu können.” Zugegebenermaßen zählte die Lage dieses Raums aber auch zu jenen Aspekten dieses imposanten Gebäudes, die ihn mit am wenigstens interessierten. Eher schon die Küche, oder die Baderäumlichkeiten. “Aber ich würde ihn auch eher unten suchen.” Er blickte den jungen, rußverschmierten Mann an, der sich noch nicht vorstellen konnte. “Seid Ihr zufällig gerade an der Waschküche vorbeigekommen und könnt der jungen Frau weiterhelfen?”

Mit kugelrunden Augen betrachtete Mirla das Geschehen, streckte die Hände aus und fasste die fremde Frau bewundernd am Rock. Sie blieb, kohleschwarze Handabdrücke auf Melisandes Kleidung hinterlassend, vor der Zofe stehen, lachte sie an und streckte ihr beide Arme entgegen. Mit einem erstickten Aufschrei sprang Melisande zurück, soweit es Treppen und Wand und Umstehende zuließen. Dann warf sie dem Kind einen strengen Blick zu, der so gar nicht zu ihrem jugendlichen Alter passen wollte. “Neinneinnein”, schüttelte sie energisch den Kopf, “Finger weg von dem guten Kleid!” Sie blickte anklagend in die Runde. “Bitte, wer von Euch für das Kind verantwortlich ist, möge es im Zaume halten, auf das es mir nicht das Kleid der Baronin von Rickenhausen ruiniert. - In welchem Erdloch hat die Kleine überhaupt gewühlt, dass sie so aussieht?” Dann traf ihr kritischer Blick Elvan. “Mir scheint, sie hat nicht allein gewühlt”, fügte sie schnippisch hinzu. Das kleine Kind indes ließ sich von diesen Überlegungen nicht davon abhalten, mit rußigen Händen begeistert am Rock der Zofe zu ziehen und fordernd ‘hoch!’ zu befehlen. Hinterher kam, fragen und voller Hoffnung, ein ‘Gobbihopp?’

Der Ambelmunder Vogt zuckte kurz, als ihm das kleine Mädchen direkt wieder entwischte. Nachdem er aber den pikierten und gegenüber dem jungen Edelmann, der gerade die Treppe heraufgekommen war, schnippischen Tonfall der Zofe vernommen hatte, beschloss er, die Sache erstmal zu seiner Belustigung laufen zu lassen. Der guten Form halber vergaß er aber nicht, wenigstens einen bedauernden Gesichtsausdruck dazu aufzusetzen. “Hoch?” Die Kleine stand noch immer direkt vor Melisande, deren Rock inzwischen zu den deutlichen Handabdrücken noch zwei sehr elegante, lange schwarzer Wischer abbekommen  hatte, und griff mit großer Hoffnung in den Augen nach oben. “Mama?” “Iiig”, entfuhr es Melisande, als das Kind erneut nach ihrem Kleid griff, sicherheitshalber hielt sie das Gewand der Baronin nun über ihrem Kopf. “Was, Mama? Ich bin nicht deine Mama. Und was heißt ‘Gobbihopp’?” Hilfesuchend, aber auch ein wenig ärgerlich sah sie zu den beiden Männern, die Maulaffen feilhielten. “Kann mir bitte jemand der edlen Herrschaften, welcher gerade keine zwei Hände voll hat, dieses Kind vom Hals schaffen? Ich habe nichts gegen Kinder - wenn ich Zeit habe und sie nicht versuchen, mit schmutzigen Fingern mir anvertraute teure Stoffe zu begrapschen!” Wieder fiel ihr Blick auf Elvan, der so aussah, als hätte er mit demselben schwarzen Zeug gespielt wie die Kleine und der bisher einfach nur herumstand, als ginge ihn das alles nichts an.

Leodegar musste sich nun wirklich ein Grinsen verkneifen. “Da ich mich bislang noch unverschmutzt wähne, will ich Euch gerne behilflich sein und Euch vorübergehend von der Verantwortung für die kostbare Gewandung Ihrer Hochgeboren befreien.” Mit diesen Worten griff er nach dem Kleid, das die junge Frau noch immer verzweifelt über ihr Haupt hielt. “Dann könnt Ihr zunächst Euch und die junge Dame, die Euch sehr zugetan scheint, waschen gehen und Euch dann wieder in der gebotenen Reinheit der Besitztümer Eurer Herrin annehmen.” Melisande ließ das Bündel überrascht los. Instinktiv nahm sie daraufhin das Kind in den Arm, denn ihr Kleid war jetzt sowieso schon hinüber. Als sie sich bewusst wurde, was sie da tat, sah sie die beiden Männer empört an. “Ach - jetzt bin ich plötzlich für dieses Kind zuständig? Ihr macht es Euch ja sehr einfach. Nur weil ich eine Frau bin …” Sie sah Leodegar mit blitzenden Augen an. “Ihr folgt mir! Ich brauche das Kleid noch!” Dann fiel ihr energischer Blick auf Elvan. “Und Ihr auch! Ihr nehmt das Kind wieder, wenn es sauber ist!” Dann wandte sie sich dem kleinen Mädchen zu, wobei ihr Gesichtsausdruck deutlich sanfter wurde. “Und du, Kleines? Wie heißt du überhaupt?” 

Leodegar von Quakenbrück hob die Stimme, und ein wenig Schärfe lag darin: “Würde mein Weg nicht ohnehin treppab führen und meine Ritterlichkeit für den sicheren Verbleib des Kindes sowie der Dame, die sich seiner annimmt, einstehen, würde ich Euch Euren - mit Verlaub - etwas dreisten Befehl wahrscheinlich verweigern, gute Frau!” Auch wenn er noch immer gut gelaunt war und vorher durchaus auch selbst ein wenig unverschämt gewesen war, geziemte es sich immer noch nicht, dass eine Zofe (denn nichts anderes war diese Frau hier offensichtlich) den ihr unbekannten Vogt einer Baronin herum kommandierte. “Nach Euch!” Elvan war ein wenig über sich selbst verwundert. Bevor die Frage des Vogtes beantworten konnte, kam die Zofe. Alles ging verdammt schnell und es gelang ihm nicht auch nur ein Wort herauszubringen. Als dann aber die Zofe das Kind nahm, der Vogt das Kleid griff, fing er sich ein wenig. “ Ich … ich glaube die Waschküche ist die Treppe runter und dann die erste Tür rechts, da wo der Dampf herkommt … glaube ich”, stammelte er vor sich hin und lief dem Gespann als letzter hinterher. ´War das jetzt die Waschküche oder Badestube´, überlegte er noch vor sich hin.

Nachdem das Kind nicht antwortete, sondern nur verträumt versuchte, nach ihrem Pferdeschwanz zu greifen, beschloss Melisande, diese Herausforderung möglichst schnell hinter sich zu bringen, und schritt rasch die Treppe hinunter, allerdings nicht ohne eine Erwiderung in Richtung des älteren Herrn: “Mein Name ist übrigens Signora Melisande della Yaborim, ich bin die Zofe der Baronin von Rickenhausen!” Ihre Stimme machte deutlich, dass sie sich ihres Standes bewusst und keineswegs geneigt war, klein beizugeben, doch klangen die Worte sanft und begütigend. 

Mirla jauchzte auf, als sich ihre Trägerin in Bewegung setzte, fasste sie mit immer noch schwärzlichen Händen um den Hals und in die Haare (schön war der Zopf! Fast so schön wie Dados prachtvoller Bart!) und jubelte glücklich “Hopp! Hopp!” Elvan warf Melisande lediglich einen etwas verwunderten Blick zu, dann hatte sie sich an die Spitze der Gruppe gesetzt. Mit Befriedigung hörte sie, wie die Männer ihr folgten. An besagter Tür angekommen, aus deren Ritzen sich tatsächlich Dampf kräuselte, zögerte sie nicht, sondern öffnete dieselbe schwungvoll.  Dampf, schwüle Wärme und der Duft nach Rosen, Lavendel und anderen Spezereien drang Melisande und ihren Begleitern entgegen, während im Gegenzug ein eiskalter Luftzug vom Gang in den Baderaum drang und einen zweistimmigen, empörten Aufschrei hervorrief. Zwei Frauenstimmen.

“Madija! Was soll das! Schließ’ sofort die Tür!” drang es in einem empörten Tonfall von drinnen. Melisande, die mittlerweile resigniert den Kampf um ihre Haare verloren gegeben hatte, blieb wie angewurzelt in der Tür stehen, als sie die Stimme hörte. Durch den dichten Dampf konnte sie die beiden Frauen im Badezuber nur schemenhaft erkennen, aber schon lichtete sich der Dunst durch den kühlen Luftzug. Hatten ihr die feinen Herren da einen Streich gespielt? Sie wandte den Kopf und stieß an die Männer gewandt mit noch immer sanfter, aber durchaus mit etwas Stahl unterlegter Stimme “Bitte wartet!” hervor. Dann trat sie einen Schritt in den Raum und schloss schnell die Tür hinter sich. Sie hatte die Stimme der Sprecherin nicht erkannt, zudem sah sie durch den Dunst die Köpfe der beiden Frauen, denen die Haare nass am Kopf klebten, nur undeutlich und wusste somit nicht, mit wem sie es zu tun hatte. Aber Waschweiber würden es sicher nicht sein … Sie knickste mit Mirla auf dem Arm, die sich überhaupt nicht stören ließ und weiter ihren Pferdeschwanz befummelte, der sich so langsam aufzulösen drohte. “Es tut mir leid, meine Damen, aber ich bin nicht Madija, sondern Melisande della Yaborim, die Zofe ihrer Hochgeboren Thalissa von Rickenhausen. Die Herren draußen waren so … freundlich, mich von meiner Arbeit abzuhalten und für dieses Kind hier verantwortlich zu machen, welches dringend gewaschen werden muss - wie ich mittlerweile leider auch!” Die Peinlichkeit der Situation und Mirlas hartnäckige Versuche, ihr Aussehen umzugestalten, schlugen ganz langsam doch auf ihre Stimmung, so dass sie einen gewissen genervten Unterton nicht mehr ganz aus ihrer trotzdem noch immer sanften Stimme heraushalten konnte. “Zudem haben sie sich einen Scherz erlaubt oder wussten es nicht besser, als sie mir diesen Raum als die Waschküche beschrieben. Es tut mir außerordentlich leid, Euch gestört zu haben, … ?” Melisande ließ die Entschuldigung fragend ausklingen, in der Hoffnung zu erfahren, wen genau sie hier ungewollt belästigte.  “Das ist Doctora Altenberg, ich bin Shanija, Baronin von Rabenstein.” stellte sich die Wortführerin vor. “Wenn ihr mit Eurem Kind baden wollt, mögt ihr das tun, wenn wir fertig sind. Aber wenn Ihr schon einmal hier seid, Kind - dann lauft doch bitte und haltet doch bitte Ausschau nach meiner Zofe Madija, die uns etwas kühlen Wein und Gebäck bringen wollte, und schickt sie zu mir.”

Mit einem sehr zufriedenen Seufzen ließ sich Shanija tiefer in das angenehm warme Wasser gleiten. Jetzt noch ein kühler Wein, und es ließe sich aushalten. “Und achtet darauf, dass die Tür geschlossen wird.” Die barbusige Doctora saß aufrecht im Zuber und schaute die Zofe ein wenig verwundert an. “Das ist doch das Kind der Borongeweihten … Marbolieb?”, fragte sie. Die Schwaden verzogen sich schnell, nachdem die Tür hinter der schnippischen Zofe zugefallen war, der florale Duft, den sie mit sich gebracht hatten, hing jedoch noch ein Weilchen schwer im Gang. Leodegar grinste den jungen, immer noch etwas durcheinander wirkenden Mann an. “Nach Waschraum klang das wohl eher nicht, was meint Ihr? Jetzt, so ganz unter uns, könnt Ihr mir vielleicht auch verraten, mit wem ich es in Euch zu tun habe, und in welchem Verhältnis Ihr zu der jungen Dame steht, die ich gerettet haben soll!”  Die Sache versprach jedenfalls, sich unterhaltsam weiterzuentwickeln… “Oh .. ich bin Elvan von Altenberg, herzöglicher Schreiber meines Zeichens. Die Kleine ist mir zugelaufen. Das ist die Kleine der Borongeweihten hier. Nun, wie sich herausstellte, kann sie gut mit Kohle umgehen.” Nun grinste er. “Ich glaub schon, dass das der Waschraum ist. Wie ihr seht, ich könnte auch etwas Wasser gebrauchen. Sollten wir der Zofe das Kleid bringen?” Elvan öffnete wieder die Tür. “Nach Euch, euer Wohlgeboren!” Melisande knickste gehorsam, aber wortlos und drehte sich um, um den Raum schnell wieder zu verlassen. ‘Euer Kind’! Jetzt war es also schon ihr Kind! Aber sie würde jetzt keine Diskussion mit der Baronin von Rabenstein anfangen. Da hörte sie hinter sich die Doctora, welche offenbar das kleine Mädchen trotz ihrer ‘Verzierungen’ erkannt hatte, während vor ihr sich die Tür ohne ihr Zutun öffnete und der junge Mann gerade eine einladende Bewegung zu dem Älteren machte. Verwirrt blieb Melisande stehen, um dann schnell instinktiv einen Schritt zur Seite zu machen, damit sie niemandem im Weg stand. Fragend schaute sie zurück zum Badezuber, dann zu den beiden Männern. 

Leodegar konnte durch die Tür hindurch nur wenig erkennen - zu dicht hingen die Dampfschwaden in der Luft - lediglich Melisande vermochte er mehr als nur schemenhaft ausmachen. Für einen Waschraum ging es hier aber deutlich zu neblig zu, auch die Düfte sprachen eine andere Sprache, vor allem aber gemahnte ihn der kurz vernommene Aufschrei, als die Tür zuletzt offen stand, zur Vorsicht. “Geht nur Ihr zuerst.” erwiderte er daher mit gekonnt unschuldigem Gesichtsausdruck. “Sicherlich wird das Kleid erst benötigt, wenn Kind und Zofe wieder soweit gesäubert sind, dass sich die Mühen um den kostbaren Stoff auch lohnen. Und wie Ihr ja selbst schon sagtet, werdet Ihr das Wasser gerade dringender brauchen als das gute Stück, das ich gerne noch kurz verwahre!” “Ihr seid zu freundlich, aber ich weiß wo mein Platz ist. Die gute Dame braucht sicher das Kleid. Wie es scheint ist es einer dieser Dampfwaschküchen, von denen ich in Elenvina gehört habe. Also geht nur Herr Vogt.” Auch wenn Elvan sich nicht sicher war, ob das wirklich einer dieser Dampfwaschküchen war, sicher konnte er sich bei den zwergischen Architekten nicht sein. Standesbewusst hielt er weiter die Tür auf und wartete bis der Vogt vor ihn hinein ging.

Gegen Etikette war kein Kraut gewachsen, in der Tat geziemte sich der Vortritt für ihn. Andererseits witterte er die Gefahr, die hinter dieser Pforte lauerte. Er beschloss daher, wenigstens vorwarnend in den Raum zu sprechen, um eine etwaige kompromittierende Situation zu vermeiden. “Verzeiht bitte, werte Damen,” erklang seine sonore, recht tiefe Stimme, “dürften wir der werten Melisande noch etwas mehr Geschäft hereinreichen, und der junge Mann an meiner Seite kurz sein Gesicht säubern? Wir werden Euch auch nicht weiter…” er wollte “stören” sagen, sprach dann aber “von der Arbeit abhalten...” Als der Vogt endlich hinein trat, ging auch Elvan hinein und schloß die Tür. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass der Vogt sogleich wieder stehen blieb und somit in seinem Weg stand. Er hatte keine Zeit mehr zu reagieren, stieß an den Vogt und schubste diesen unwillentlich weiter in den Baderaum hinein. Dieser wiederum war so in seiner Balance gestört, das er bei dem Satz nach vorne arge Schwierigkeiten hatte, das Kleid der Baronin an sich zu halten.

Leicht verstört betrachtet Melisande das Schauspiel, das sich vor ihren Augen bot. Ja, tatsächlich, ihr kam es wirklich vor, als wohnte sie einem Schauspiel bei, eine gewisse Unwirklichkeit der Situation ließ sich nicht verhehlen. Doch als der ältere Herr nach vorne stolperte und beinahe das Kleid der Baronin fallen ließ, machte sie entsetzt einen Schritt nach vorne und streckte den freien Arm aus, denn auf dem anderen saß immer noch das sich scheinbar köstlich amüsierende kleine Mädchen. “Dado, Sopf!” erklärte das Kind, über beide Backen grinsend, und zog an Melisandes einstmals gepflegtem Pferdeschwanz, der indes viel von Form und Farbe eingebüßt hatte. 

“Meinst du wirklich?” Shanija wandte sich zu den Neuankömmlingen, kniff die Augen zusammen, um durch den dichten Dampf besser sehen zu können, und wandte sich wieder an Maura. “Kennst Du die Herren? Ist der eine nicht dein Sohn?” Interessiert lächelnd blickte sie die drei an, die sich wie die Vögel auf der Stange drängten. “Und was soll das jetzt?” begehrte sie zu wissen.

´Wie bizarr´, dachte Maura bei sich. Ihr Sohn Elvan mit verrußten Gesicht, der ältere Herr der mit einem Kleid kämpfte und die verdatterte Zofe mit verwuscheltem Haar und dem schmutzigen Kind auf dem Arm. Sie unterdrückte ein Lachen. “Ja, das ist ein Sohn und wenn mich nicht alles irrt, ist das der Vogt von Ambelmund.” Sie tauchte soweit ins Wasser unter um ihre Brüste zu verbergen. “Elvan, Schatz, was macht ihr hier? Herr Vogt, wolltet ihr auch ein Bad nehmen oder das Kleid für eure Herrin waschen?” Leicht schmunzelt wartete sie auf eine Antwort. “Oh, verzeiht Mutter. Und natürlich euer Hochgeboren. Ich … ich dachte das wäre die Waschkammer … und der Herr …”, stammelte Elvan und schaute dann zum Vogt.

Shanija lachte leise und genoss das warme Wasser, das ihr über die Schultern schwappte. “Das ist ist nicht die Waschkammer, werte Herren. Aber ein Zuber ist noch frei - wenn ihr wünscht, werden Euch die dienstbaren Geister, die ihr vermutlich in der Küche findet, sicher ebenfalls ein Bad einlassen.” Wobei sie in diesem Moment nahezu jede Wette tätigen würde, dass die Herren das ganz sicher nicht wagen würden. Na da hatte ihm der junge Herr von Altenberg ja ein Schlamassel eingebrockt - hätte er in diesem Augenblick nicht mitten in dieser peinlichen Situation gesteckt, hätte Leodegar wohl über das ganze hier herzhaft lachen können, so musste er sich nur den leichten Anflug eines Grinsens verkneifen.  “Verzeiht die Störung, meine Damen, keineswegs hatten wir die Absicht, Euch beim Baden zu behelligen, der junge Herr Altenberg und ich. Wir wollten lediglich der guten Frau Melisande behilflich sein, die sich treusorgend des Kindes hier”, Leodegar deutete dabei auf Mirla, “angenommen hat, das uns im Treppenhaus zugelaufen ist. Im Gegenzug haben wir sie hierher in den vermeintlichen Waschraum begleitet und ihr diese Last abgenommen.” Dabei wedelte er demonstrativ mit dem Kleid der Baronin von Rickenhausen. Danach räusperte er sich kurz und fuhr fort: “So verlockend die Aussicht auf ein warmes Bad und Eure angenehme Gesellschaft auch erscheinen mag, möchte ich, und da spreche ich sicher nicht nur für mich,” Leodegar zwinkerte dem ebenfalls peinlich berührten Elvan zu, “Eure Privatsphäre nicht weiter stören und würde mich, mit Eurer Erlaubnis, empfehlen.”  Der Ambelmunder deutete eine Verneigung an, wobei er die Augen schloss, um zu verdeutlichen, dass er hier keine unschicklichen Ansichten suchte, und machte Anstalten, den Raum wieder verlassen zu wollen.  Ein Bad wäre jetzt dennoch gar nicht verkehrt, dachte er noch mit leichtem Bedauern. Und, oh weh, er trug ja immer noch das Kleid mit sich.

Melisande wartete ab. Nachdem sie nun kurzzeitig aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten war, konnte sie nicht umhin, der bizarren Situation einen gewissen Unterhaltungswert zuzuschreiben. Allerdings hielt sie das Kleid der Baronin dennoch argwöhnisch im Auge, nicht dass doch noch irgend ein Unglück damit geschah. Dennoch musste sie sich langsam der ungebetenen Aufgabe entledigen, das Kind und nun auch sich selbst zu säubern, denn wenn von ihrem Pferdeschwanz nichts mehr übrig war, was würde den winzigen grabbelnden Greifern wohl als nächstes zum Opfer fallen?  Das Kind enthob sie der Entscheidung, als es mit einem gewaltigen Nieser eine beeindruckend lange, schwarz verzierte Schleimspur aus seiner Nase produzierte, und mit eindeutiger Absicht sein Gesicht in Richtung der Zofe drückte.

Unwillkürlich zuckte Melisande zurück und hielt das Kind auf Armeslänge Abstand, doch dann machte es Anstalten, sich an ihrem Ärmel abzuwischen. Was zu viel war, war zu viel! Sie setzte das kleine Mädchen auf den Boden und hob den Finger. “Kind! Hat dir denn niemand Manieren beigebracht?” Wie war das? Das sollte das Kind einer Borongeweihten sein? Kaum vorstellbar! “Wir laufen jetzt zusammen hinaus und in die richtige Waschküche, und da kannst du dich dann saubermachen. Aber ohne, dass du mir zu nahe kommst. Hast du das verstanden?” Streng sah die Zofe dem kleinen Mädchen ins Gesicht, darauf gefasst, gleich wieder der verrotzelten Nase ausweichen zu müssen.

`Jetzt reiß dich wieder zusammen Elvan´, ging es dem Schreiber durch den Kopf. Er straffte sich und nickte seiner Mutter zu. “Ein Versehen.  Kinder halt.” Er lächelte. ”Genau, die richtige Waschküche diesmal.” Er öffnete die Tür. Mit dem neuerlichen kalten Luftzug machte die kleine Mirla einen Satz nach vorne und rannte durch die Tür, nur um ein Haken nach links zu schlagen, zurück zu der Treppe. Bevor er reagieren konnte, rannte die Zofe und der Vogt hinterher, nur um dann von einer weiteren Person an der Treppe gestoppt zu werden. Elvan folgte.  Die “Flucht” Mirlas kam im ersten Stock jäh an ihr Ende. Elvan hatte gerade erst einige Stufen erklommen und wäre fast mit einem weiteren Gast zusammengestoßen, der geradewegs auf dem Weg nach unten war - und seiner Miene nach zu urteilen nicht in bester Laune. 

Abrupt hielt der Vogt von Rodaschquell inne. Seine verkniffenen Mundwinkel waren nach unten gezogen und er zog die Stirn kraus. Er sagte nichts, doch sein Blick sprach Bände. Weg da! Und: Ich hasse Kinder! Zu seinem Überdruss huschte nun auch noch die Zofe der Rabensteinerin die Treppe hinauf. Dieses Ding erinnerte ihn an Eduina, die vorlaute Begleiterin seiner Lehnsherrin, und nötigte ihm sogleich einen weiteren Gedanken auf: Ich hasse Zofen! Weiter unten schien sich noch mehr Trubel anzubahnen - was die Laune des Vogts freilich keinesfalls besserte.

Er selbst machte keinerlei Anstalten, aus dem Weg zu gehen, sondern erwartete selbstverständlich, dass man ihm Platz machte. Und dies schnell. Sein ungeduldiger, verärgerter Blick ließ diesbezüglich keine Zweifel aufkommen … Leodegar war froh, der kompromittierenden Situation im Bad halbwegs glimpflich und rufschonend entronnen zu sein. Er wunderte sich nur darüber, dass er in seiner Erleichterung darüber offenbar ganz unwillkürlich und kopflos wieder in die Verfolgung der jungen verschnupften Dame eingetreten war. Andererseits versprach diese Art der Jagd unterhaltsam zu bleiben, und der größte Fettnapf war bereits durchschritten. Warum also nicht? Melisande war zwar im ersten Moment ein erschreckter Ruf entfahren, als das Kind einfach davonstürmte, doch eigentlich war sie ganz erleichtert. Doch dann schalt sie sich für diese Regung. Die Männer waren offensichtlich mit dem Balg überfordert, die Rabenmutter nirgends zu sehen. Sie konnte das Kind nicht guten Gewissens herumlaufen lassen, wer weiß, was es sonst noch anstellte - mit sich oder anderen. Außerdem hatte der ältere Herr das Kleid der Baronin entführt, das galt es zurückzuerobern, also knickste sie nochmals entschuldigend vor den hohen Damen und eilte sich dann, dem Kind und den Männern zu folgen. Ah, da war ja sein Amtskollege aus Rodaschquell. “Wohlgeboren, Euch schicken die Götter.” rief er diesem entgegen. “Wärt Ihr bitte so gut, die flüchtige kleine Dame aufzuhalten und einzufangen?” Er zeigte dabei auf Mirla. Leider bemerkte er erst währenddessen, dass er noch immer das Kleid der Baronin von Rickenhausen in Händen hielt und gerade damit wedelte. Wie dies wohl auf Korninger wirken mochte?

Der alte Korninger zog die Stirn kraus und wirkte einen Moment, als habe er nicht recht gehört. Sein Blick wanderte abwechselnd zu der frei herumlaufenden Göre und dann zu dem mit dem Kleid herumfuchtelnden Mann, der offensichtlich nicht ganz bei Sinnen war.  “Wie käme ich denn dazu?!”, fauchte er bissig und setzte gleich nach: “Warum läuft dieses Balg hier frei herum? Kümmert Euch gefälligst selbst darum! Und was bei allen Zwölfen macht Ihr da mit diesem Kleid?” Sein Ton war scharf und herrisch, einschüchternd und fordernd, begleitet von der Selbstsicherheit und -herrlichkeit eines Tyrannen, der keinen Widerspruch gewohnt ist. Von allen Großen aus den Augen gelassen, genoss die kleine Mirla ihre Freiheit, lief zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch und durch eine weitere Tür, unbekannte Gefilde erkundend und vor allem - sich nicht schon wieder einfangen zu lassen, was nur bedeutete, von einem Arm eines Fremden zu einem anderen weitergereicht zu werden - und einen schönen geflochtenen Klimperbart hatte auch keiner von denen. Eine Küche! Die Aussicht auf Süßigkeiten und freundliche Worte! Mit einem begeisterten Strahlen tapste das Kind nach vorn, bliebt vor dem erstbesten Erwachsenen stehen, reckte die Arme nach oben, schenkte diesem ein rußverschmiertes Lächeln und forderte “Ham!”.

“Jetzt habt Ihr sie entwischen lassen.” gab Leodegar, keinesfalls eingeschüchtert, eher enttäuscht, zurück, während der die letzte Stufe der Treppe erklomm und vor dem Vogt von Rodaschquell zu Stehen kam. “Die Kleine hier sorgt für etwas Wirbel… habt Ihr gesehen, wohin sie verschwunden ist?” fragte er sogleich, noch leicht außer Atem nach. Dann grinste er Korninger an, der ihm vom Hörensagen ein Begriff war und der im gestern Abend auf die Ferne vorgestellt wurde. “Gestatten, Leodegar von Quakenbrück, Vogt Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg zu Ambelmund.” Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: “Und das ist das Kleid der Baronin von Rickenhausen, das in die Wäsche muss. Vielleicht wärt ihr so gut, es mit nach unten zu nehmen, wenn Ihr ohnehin treppab wollt? Wahrscheinlich kommt Euch gleich die Zofe Ihrer Hochgeboren entgegen und wird Euch, wie ich, dankbar für diesen kleinen Dienst sein.” Er sah den anderen Vogt dabei mit gravitätischer Miene an, aber in seinen Augen blitzte es. Auch diese Begegnung entbehrte einer gewissen Komik nicht. Wo war aber nur das Kind abgeblieben…? Dieser Vogt schien tatsächlich zu viel von diesem widerwärtigen Gesöff getrunken zu haben, das sie hier “Wein” nannten. Oder von diesem schalen Brackwasser, das sie als “Bier” die Frechheit zu servieren gehabt hatten. Und warum in aller Welt schleppte er ein Kleid mit hinauf, wenn es nun wieder nach unten sollte? Korninger beschloss, die Unverschämtheit des Vogtes zu ignorieren und stattdessen von seiner offenkundigen geistigen Umnachtung auszugehen. Er lobte sich innerlich selbst für seine göttergefällige Nachsicht. Der listige Alte setzte plötzlich ein freundliches, einschmeichelndes Lächeln auf und antwortete mit gestelzter, honigsüßer Stimme: “Mit Verlaub, Euer Wohlgeboren, ich kümmere mich nicht um die Belange fremder Kinder und sie interessieren mich auch nicht. Und unzweifelhaft hat man EUCH dieses wichtige Kleid anvertraut, dass Ihr so beflissentlich die Treppe hinauftragt, nur um andere zu bitten, es wieder hinunter zu tragen. Daher käme ich im Traume nicht auf die Idee, Euch dieser wichtigen Aufgabe zu entbinden, mal ganz abgesehen davon, dass mir dies überhaupt nicht zusteht.” Er deutete eine sehr knappe Verbeugung an und machte Anstalten, den Weg nach unten fortzusetzen. Natürlich ohne Kleid ...

In diesem Moment tauchte Melisande hinter Leodegar auf. “Guter Herr … erstens weiß ich immer noch nicht Euren Namen, und zweitens habt ihr noch immer das Kleid der Baronin von Rickenhausen auf dem Arm. Ich denke, Ihr könnt es mir nun zurückgeben, bevor noch ein Unglück geschieht!” Sie zwinkerte Leodegar zu. “Und überhaupt, wo ist das Kind?” Erst jetzt nahm sie Notiz von der verhutzelten Gestalt hinter dem älteren Herrn. “Herr Korninger, Euer Wohlgeboren, seid gegrüßt! Wisst ihr etwas von dem kleinen Mädchen, dass sich hier unbeaufsichtigt jeder Kontrolle entzieht?” Sie lächelte den alten Vogt ganz leicht verschmitzt an. Jetzt wurde es ihm zu bunt. Es reichte! Korninger ruckte zunächst mit dem Oberkörper nach unten und richtete sich dann mit wild umherfuchtelnden Armen wieder auf. Wobei Melisande schnell erkannte, dass ein Teil dieses Vulkanausbruchs offenkundig auch dem Vogt von Ambelmund gelten musste, den Korninger jedoch nicht ansah. Mit hochrotem Kopf herrschte er die Zofe an: “Bei allen guten Göttern, das kann doch wohl nicht wahr sein! Glaubt Ihr, ich hätte nichts Besseres zu tun, als Kleider umherzuschleppen oder entlaufene Gören wieder einzusammeln? Passt gefälligst besser auf oder fragt einen der zwergischen Diener, die hier allenthalben herumwuseln, wenn Ihr es selbst nicht schafft, und belästigt damit keinen Vogt! Und nun geht mir endlich aus dem Weg, bevor der nächste kommt und meint, die geladenen Gäste hier seinen das Dienstpersonal, das Aufgaben erfüllt, die man selber nicht geregelt bekommt.” Unwillkürlich machte Melisande einen Schritt zurück, als sie derart angefahren wurde, im ersten Moment erschrocken, doch dann regte sich der Ärger in ihr. Sie war eigentlich geduldig, pflichtbewusst und sanftmütig, aber alles hatte seine Grenzen, zumal dieser Herr wohl Vogt sein mochte, aber vom Stand her ansonsten nicht besser war als sie selbst. Sie verstand nicht, wieso die Baronin von Rodaschquell ausgerechnet einen solchen ungehobelten Zornbold als ihren Vogt berufen hatte. Wut blitzte in den Augen der Zofe, und schon setzte sie zu einer geharnischten Erwiderung an, doch dann hielt sie sich im letzten Augenblick zurück. Nein, so tief würde sie nicht sinken. Sie senkte die Augen, knickste andeutungsweise, während sie zur Seite auswich, und antwortete mit leiser, sanfter Stimme: “Es tut mir leid, Euer Wohlgeboren, ich wollte Euch nicht überfordern.” Wenngleich noch immer von schlechter Laune, hatte der alte Korninger die Sache zu seiner Zufriedenheit geregelt und innerlich abgeschlossen und war schon auf dem Weg nach unten. “Unverschämtes Frauenzimmer”, zischte er halb zu Melisande, halb zu sich selbst, und bedachte die Zofe mit einem ausgesprochen stechenden, geradezu finsteren Blick, da sie es gewagte hatte, Widerworte zu geben - und zudem auch noch derart dreiste. Aber sie kümmerte ihn nicht weiter. Sollte sich doch die Rickenhausenerin mit dieser dummen Gans herumärgern! Er selbst gedachte nicht, sich länger mit Dienstpersonal zu beschäftigen als nötig. Der Vogt von Ambelmund indes gedachte offenkundig nicht, ihn entkommen zu lassen und salzte nach. Der alte Knabe schien also tatsächlich ein etwas… schwierigerer Zeitgenosse zu sein, ganz genau, wie ihm zugeflüstert wurde. Leodegar focht dies jedoch nicht an, eher musste er einen Anflug von Belustigung ob Melisandes frecher letzter Antwort unterdrücken (die er im Normalfall nicht für gut befunden hätte, hier aber ob der unbeherrschten Reaktion Korningers durchaus angemessen empfand). “Verzeiht, wenn der Eindruck entstand, ich wollte Euch mit der Arbeit eines Dienstboten beaufschlagen, Wohlgeboren. Niemals käme es mir in den Sinn, einen vielbeschäftigten Vogt derart herabzuwürdigen. Meine Absicht war es lediglich, Eure Ritterlichkeit herauszustellen, in dem Ihr einer Dame einen für Euch mühelosen Dienst erweist. Dieselbe Ritterlichkeit, aus der heraus ich dieses Kleid vor schlimmerem Ungemach aus kleinen Kinderhänden zu bewahren suchte. Doch mir scheint, jene Gelegenheit schwindet soeben, da die Dame bereits zu uns geeilt ist.” Der Vogt von Rodaschquell hielt auf der Treppe inne und blieb einen Moment stehen, seufzend. Das darf doch nicht wahr sein! Bin ich hier in einem Kloster der heiligen Noiona gelandet, oder was?

Auf dem Absatz drehte er sich um und ging stramm auf seinen Amtskollegen zu. Sehr nah, so dass der Anstands-Abstand, den einzuhalten die Etikette gebot, nicht eingehalten wurde. Korninger brach ganz bewusst damit in der vollen Absicht, dem nicht ganz beisammen zu sein scheinenden Vogt eine gehörige Abreibung zu verpassen, damit er ihn endlich in Ruhe ließ mit diesem Nonsens! “Meine Ritterlichkeit, ja?”, fragte er schnell und herausfordernd, halb zischend, halb amüsiert und mit einer kaum unterdrückten Wut. Er lächelte, wobei ihm anzumerken war, dass er innerlich einem Pulverfass glich. “Wirke ich auf Euch etwa wie ein Ritter? Und selbst wenn: Es war mir nicht bewusst, dass es nun zu den Aufgaben der Ritter gehört, Kleider die Treppe hinaufzuschleppen, um dort nach jemandem zu suchen, der sie wieder nach unten trägt. Aber vielleicht ist das ja neuerdings eine Sitte unter den Rittern in Nostria, die es Euch möglicherweise angetan hat. Und wie ich Euch schon sagte - ich wiederhole es gern noch einmal für Euch“  … sein hektischer, gestelzt freundlicher Tonfall indes ließ erkennen, dass er genau dies eben NICHT gerne tat)  “... fiele mir im Traume nicht ein, Euch von dieser wichtigen Queste, ein Kleid durch die Gegend zu schleppen und vor Kindern zu sichern, abzuhalten, die Ihr so bereitwillig und selbstlos auf Euch genommen habt. Vermutlich vermag niemand Euch im Schleppen von Kleidern das Wasser zu reichen, daher empfehle ich mich.” Er machte eine steife, angedeutete Verbeugung und dann Anstalten, diese beiden impertinenten Personen nun endlich zu verlassen, um sich seinen Geschäften zu widmen. Wo zum Henker war nur dieser zwergische Kämmerer abgeblieben, bei dem er sich über das kalte Wasser in seiner Schüssel beschweren konnte, das seiner Gicht so schadete? Er hatte doch ausdrücklich gesagt, dass er warmes Wasser benötigte! Und wo zum Henker steckte wieder sein Nichtsnutz von Diener? Alles musste man selber machen ... Nach dem Abgang des Vogts von Rodaschquell sah Melisande diesem noch kurz kopfschüttelnd hinterher, bevor sie den Blick etwas ratlos wieder auf den älteren Herrn richtete, der noch immer das Kleid der Baronin in Händen hielt, der sehr ausführlich dargelegten Meinung des Herrn Korninger zum Trotz.

Leodegar lag zunächst eine bissige Bemerkung auf der Zunge, doch war er bereits weise und Diplomat genug, um diesen Streit vor den anwesenden Zeugen nicht weiter zu betreiben. Auch wenn er dies wenigstens als etwas schade empfand, wäre die Vertiefung des Disputs doch sicherlich unterhaltsam geworden. Stattdessen sah er die Blicke Melisandes auf ihn gerichtet. Ein Grinsen breitete sich, zuerst noch zwischen seinem Barte versteckt, dann aber sichtbar und ansteckend über sein Gesicht aus: “So seid Ihr schließlich doch den ritterlichen Helden und ihrer Queste zuvorgekommen. Was lehrt, besser zu handeln und nicht zu lange über das Handeln zu diskutieren.” Er sah derweil Korninger die Treppe hinab entschwinden, dann zwinkerte er der Zofe zu. "Und, verzeiht, ich habe mich Euch in der Tat noch nicht vorgestellt.” musste Leodegar einräumen. Mein Name ist Leodegar von Quakenbrück, und ich bin der Vogt Ihrer Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg zu Ambelmund. Was das gute Stück hier angeht, so übergebe ich dies natürlich gerne wieder in Eure Obhut, in die es selbstverständlich auch zuallererst gehört, solange es nicht Eure Herrin ziert." Tatsächlich schien es sich um ein filigran gefertigtes, sehr weiblich geschnittenes Kleidungsstück zu handeln, musste er mit leichtem Bedauern feststellen. Einem Bedauern darüber, dass sich Wunnemine wahrscheinlich nie freiwillig in so etwas hüllen würde, obgleich sie sich sicher gut darin machen würde. Leodegar verwarf den Gedanken. Stattdessen schickte er sich grinsend an, das Kleid an die Zofe zurückzureichen. “Auch wenn mir keiner im Schleppen des guten Stückes das Wasser reichen kann, wie wir soeben aus berufenem Munde erfahren haben.” Melisande knickste mit einem etwas schelmisch anmutenden Lächeln. “Signora Melisande della Yaborim”, stellte sie sich dann selbst auch der Etikette gemäß vor. “Zofe ihrer Hochgeboren, der Baronin Thalissa di Triavus von Rickenhausen - und gerne nehme ich das Kleid, das ihr so vorzüglich bewacht und den leicht schmutzigen Kinderhänden vorenthalten habt, wieder zurück!” Sie lächelte den Vogt an und streckte ihre Hände auffordernd aus. “Es sei denn, da Ihr nun aus eben jenem berufenem Munde zum Meister der Kleiderträger erkoren worden seid, Ihr wollt es mir weiterhin hinterhertragen? Was mich durchaus geneigt sein ließe, dies zuzulassen, wie ich betonen möchte!” Noch immer lächelte Melisande Leodegar schelmisch-freundlich an.

"Nein, nein, zu viel der Ehren!” Leodegar übergab das kostbare Stück Stoff gespielt feierlich und mit einem ebenfalls spitzbübischen Grinsen zurück an Melisande. Flüsternd, aber dennoch mit erkennbar ironischem Unterton, fügte er hinzu: “Wir haben ja beide soeben gelernt, dass ich die Aufgaben eines Vogts - obgleich ich dieses Amt mittlerweile bereits weit mehr als zehn Götterläufe inne habe - offensichtlich noch immer nicht mit der nötigen Geschäftigkeit, Eile und Ernsthaftigkeit im Auftreten betreibe. Insofern will ich mich mühen, es diesem wahren Meister jener Disziplin, zu dem ich nur ehrfürchtig aufschauen kann, gleichzutun. Dazu muss ich mich aber wohl schweren Herzens vom Vergnügen lösen, Euch und diese textile Kostbarkeit weiterhin zu geleiten. Aber ich denke, die größten Gefahren für dessen Glanz dürften nun auch umschifft sein. Darf ich Euch daher Eurem Glück nun wieder alleine überantworten?”

Melisande konnte ein Kichern nicht ganz unterdrücken, als sie das wertvolle Kleid entgegennahm. “Ja, da habt Ihr wohl recht. Ihr solltet nun in Euch gehen und überlegen, auf welche Weise Ihr Eurem neuen Vorbild von nun an am besten nacheifern könnt!” Erneut musste Melisande kichern, dann aber riss sie sich ein wenig zusammen, und mit deutlich ernsthafterer, aber dennoch freundlicher Stimme fuhr sie fort: “Es hat mich gefreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Euer Wohlgeboren, aber sowohl Ihr als auch ich haben Pflichten, denen wir nachzugehen gehalten sind, insofern muss ich mich nun leider von Euch verabschieden. Aber vielleicht gibt es ja heute Abend beim Bankett die Gelegenheit zu einem Tanz. Wenn meine Herrin mich lässt, heißt das. Wir werden sehen.” Melisande lächelte dem Vogt ein letztes Mal zu und knickste formvollendet trotz des voluminösen Kleides auf den Armen. "Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite!”  entgegnete Leodegar. “Und über einen Tanz mit Euch heute Abend würde ich mich sehr freuen!” Er erwiderte den Knicks der Dame mit einem Neigen seines Hauptes. Kurz sah er der Zofe noch lächelnd nach, dann wollte er sich seiner Wege machen, als er von unten aufgeregte, ja sogar wütend klingende Stimmen vernahm, und in deren Pausen ein herzerschütterndes Schluchzen, offensichtlich aus weiblichem Munde. “Könnt Ihr ausmachen, was da unten vonstatten geht?” rief er der soeben nach unten (in Richtung Waschraum?) entschwundenen Zofe nach, und machte sich daran, dieser mit zügigem Schritt zu folgen. 

Kinderjagd

Elvan hielt sich im Hintergrund und war auch ziemlich froh darüber. Das sollten die hohen Herren selbst miteinander ausmachen. Er bemerkte wie die Kleine entschwand. Ohne ein Wort zu sagen zwang er sich an den unterhaltenden vorbei, möglichst unbemerkt zu bleiben.  Er schlüpfte durch die Tür und stand ebenfalls in der Küche. “Da bist du ja, Murla. Habt ihr zufällig eine Schüssel Wasser und ein Lappen übrig?”, fragte er die Magd an dessen Rock die Kleine hing. Die Magd nickte, froh, das Kind endlich wieder loszuwerden, und schob die Kleine effizient in Richtung des Schreibers. “Hier habt ihr eure Tochter.” Sie holte einen Eimer Wasser, hob diesen auf eine freie Ecke des Tisches, goss lauwarmes Wasser ein und legte ein Tuch daneben. “Bitteschön. Wenn ihr noch etwas braucht, sagt Bescheid.” Erleichtert wandte sie sich wieder um und eilte dem Herd zu, wo sie bis gerade noch eine kräftige Suppe umgerührt und abgeschmeckt hatte.

Elvan hob den kleinen Wirbelwind auf den Tisch neben der Schüssel. “So, und nun zeig ich dir wie man sich wäscht!” Er nahm den Lappen, tauchte ihn ins Wasser und wusch ihr Gesicht und Hände vorsichtig. Dann gab er Mirla den Lappen und führte ihre Hand und ließ sie sein Gesicht waschen. Dass das natürlich nicht ohne weiteres Wasser verschütten und Gekicher ablief war abzusehen. “Habt dank, gute Frau! Und wir beide, werden jetzt deine Mutter suchen!” sagte er und setze sie ab, achtete aber darauf sie fest in der Hand zu halten. Noch feucht im Gesicht und nass verkleckert über die komplette Brust grinste das Mädchen bis über beide Ohren, streckte Elvan beide Arme entgegen und meinte “Hoch!” - Was Zustimmung oder einfach ein erweitertes Vergnügen mit der Aussicht auf ‘Gobbihopp’ bedeuten mochte. Zufrieden kichernd ließ sie sich von dannen tragen, auf zu neuen Abenteuern.

Die Suche

Der Vormittag war bereits ins Land gezogen und war dem Mittag gewichen. Der Herr Praios meinte es gut mit den Jägern und Feiernden gleichermaßen und überschüttete die Eisenberge mit seinem Sonnenglanz. Strahlend blau, fast ohne ein Wölkchen, war der Himmel, auch wenn die Gebirgskundigen mit argwöhnisch zusammengezogenen Augenbrauen den Horizont musterten und in die vollkommen windstille Luft schnupperten, die den Duft nach Harz, Nadelbäumen und den Sommerblumen, die auf den freien Matten oberhalb der Baumgrenze gediehen.  Die junge Boroni machte sich derlei Sorgen nicht - Wetterkunde war kein Wissensgebiet, in dem sie auch nur rudimentär bewandert war. Statt dessen genoss die sie die seltene Gelegenheit und hatte sich auf die hölzerne Bank vor der Halle der Jagdhütte gesetzt, sicher unter dem weit hervorgezogenen Dach, und genoss die Wärme der Sonne, ihre kleine Tochter auf den Knien. Die Wärme und relative Ruhe des Nachmittags, lange, nachdem die Jäger abgezogen waren, taten zusammen mit der schlaflosen Nacht das Ihre und ließen ihr die Lider schwer werden. Marbolieb nickte ein, kurz nur, ihre zufriedene und überaus satte Tochter auf den Knien.  Als sie, nur wenig später, von einem Geräusch aus ihrem Dösen aufgeschreckt wurde, benötigte sie einige Atemzüge, das Hier und Jetzt wieder einzuordnen. Und zwei erschrockene Atemzüge mehr, um sich einer weiteren Sache gewahr zu werden: Mirla war weg! In dem leeren Zeltlager vermochte das Kind überallhin geraten sein - schlimmstenfalls gar abseits der Zelte in den Wald. Mutterliebe und Sorge überwand sehr schnell sämtliche Zurückhaltung. “Mirla? Wo bist Du?” rief sie und machte sich, die Hände ausgestreckt, auf in die Richtung, in der sie die Zelte vermutete. Vielleicht war das Mädchen einfach nur dorthin gelaufen, wo sie ihre Spielsachen wusste.

Oren Rasch, der Leibwächter der Altenberger, genoss das plätschernde Geräusch, das seine Erleichterung in den Büschen verursachte. Das gute Bier, das er seit der Ankunft an der Jagdhütte genoss, zahlte nun öfter seinen Zoll. Die meisten Leute waren mit der Jagd beschäftigt, auch die Altenbergs waren ausgeflogen. Er genoss die Zeit, die er alleine verbringen konnte. Dies war einer seiner leichtesten Aufträge seit langem. Seine Ruhe wurde allerdings vom Rufen einer Mutter nach ihrem Kind gestört. Ohne zu eilen, brachte er sein Geschäft zu Ende, schloß den Hosenlatz und trocknete seine Hände an seiner abgewetzten Lederhose. Er beobachtete die Borongeweihte, wie sie sich ihren Weg durch die Zelte bahnte. Oren hatte sie schon vorher wahrgenommen. Ihm entging nicht viel, wobei es ihm zugute kam, dass die meisten Leute ihn übersahen. “Boron zum Gruße, euer Gnaden!”, sprach er die blinde Geweihte in einem gewissen Abstand an. “Vielleicht kann ich euch helfen, eure Tochter zu finden.”

“Boron zum Gruße.” Die kleine Frau war stehen geblieben und lauschte in die Richtung des - seiner Stimme nach - noch nicht allzu alten Mannes. “Das ist sehr freundlich von Euch, Herr … .” sie ließ den Satz in der Luft enden und neigte abwartend den Kopf. Vorgestellt hatte sich der hilfsbereite Mann leider nicht. “Sie geht mir bis hier und ist zwei Götterläufe alt.“ Sie hob eine Hand ungefähr in Hüfthöhe. “Habt ihr sie gesehen?” Marbolieb unterdrückte den Wunsch, sich die Augen zu reiben, nachdem sie so jäh aus ihrem behaglichen Schlummer in der Sonne  gerissen worden war. Statt dessen zupfte sie sich ihre Kapuze zurecht, die ihre Augen bedeckte. “Oren Rasch mein Name. Ich hab eure Tochter nicht gesehen, aber ich bin mir sicher, dass wir sie schnell finden werden. Braucht ihr meine Hilfe oder könnt ihr mir folgen, euer Gnaden?” Der Söldner kam ihr jetzt ein paar Schritte entgegen und wartete ihre Antwort ab. “Gebt mir Eure Hand.” bat die Geweihte. “Danke.” Sie grub ihre Zähne in ihre Unterlippe. “Wie wollt ihr sie finden, wenn ihr sie nicht gesehen habt?” Oren reichte ihr seine kräftige und sehr schwielige Hand. Der Mann roch nach Bier, alten Leder und Waffenfett. Sein Griff war überraschend sanft aber sicher. “Mir entgeht selten etwas. Es ist meine Aufgabe Dinge zu finden und zu beschützen. Sie läuft euch öfter weg, oder? “, fragte er sie.

Sanft ergriff Marbolieb die Hand des Mannes, die von Waffenhandwerk und keinem einfachen Leben erzählte. Auch die Haut der kleinen Geweihten war rauh, an manchen Stellen von Hornhaut überzogen und wusste zu berichten, dass es weder Messer noch Schwert war, die sie üblicherweise hielt. Sie nickte nur zur Antwort, eine winzige Bewegung nur, und doch deutlich genug. Sie trat mit kleinen Schritten auf den Söldner zu, vorsichtig mit den blanken Füßen den Boden abtastend, um nicht versehentlich auf einem Hindernis zu landen, mit denen sie doch immer wieder unerwartete Bekanntschaft schloss. Aber so war der Lauf der Dinge eben - sie hatte  gelernt, damit umzugehen. “Nichts für ungut, aber vielleicht solltet ihr eine Leine anfertigen lassen. Also … ich meine … für die Momente, wo ihr nicht gerade aufpassen könnt.” Oren suchte das Zeltlager ab. Die meisten Knechte und Mägde der Gäste waren beschäftigt mit den alltäglichen Diensten, wie das Wäsche waschen oder das Waffen polieren für ihre Herren. Der ein oder andere war im Plausch und widmete sich dem Bier. Dann sah er den jungen Elvan von Altenberg, der das gesuchte Kind auf dem Arm hatte und in der Jagdhütte verschwand. Er achtete darauf die Geweihte in eine Richtung zu führen, die keine großen Hindernisse auf dem Boden hatte. “Ich habe gerade euren Kegel entdeckt. Der junge Herr von Altenberg marschiert gerade mit ihr in die Jagdhütte.”, sagte er leicht vergnügt.

“Was wollen sie dort?” rutschte es der Geweihten heraus, ehe sie tief Luft holte. “Eine Leine wäre fürwahr eine gute Idee. Bringt ihr mich hin?” Schloss sie diesen eher uncharakteristischen Ausbruch. Eine Leine würde viele Probleme lösen. Und nur wenige neue schaffen. Dennoch spürte der Söldner, wie sich ihre Hand drängend um die Seine schloss und die blinde Boroni sich mühte, etwas schneller neben ihm herzukommen. “Die haben wir gleich.” Er spürte das Drängen der besorgten Mutter und lief etwas schneller. “Woher stammt ihr, euer Gnaden? Ihr seid keine Nordmärkerin.”, fragte er sie beiläufig. “Ich komme aus Punin, hoher Herr.” Die Stimme der jungen Frau war sanft, dunkel und melodisch, und es war keineswegs unangenehm, ihr länger zu lauschen.  Die Geweihte blieb an einer Zeltschnur hängen und konnte sich gerade noch abfangen, indem sie mit beiden Händen nach dem Unterarm des Söldners griff. Jäh aus dem Gleichgewicht gebracht benötigte der einen Lidschlag, um sich und die zierliche Geweihte zu stabilisieren.  Verstohlen rieb sie sich mit einem Spann über ihr Bein, ehe sie sie, mit beschämt gesenktem Kopf, Anstalten machte, wieder rasch auszuschreiten.

“Vorsicht, Schönste,” sagte er. “Ich dachte mir, dass ihr aus Almada stammt. Nur dort gibt es die schönsten Frauen.” Er lachte kurz auf und auch seine Stimme war dunkel und melodiös. “Ich stamme übrigens auch aus Almada. Weinbergen. War aber lange nicht mehr dort. Was verschlägt euch hierher? In Punin könnt ihr eure Kleine bestimmt sicherer aufziehen.” Die Frau, die ihre Kapuze bis zur Nasenspitze gezogen hatte, konzentrierte sich darauf, ohne ein weiteres Stolpern voranzukommen, und so dauerte es einige Atemzüge lang, bis sie den Kopf schüttelte. “Dort würde ich sie zu den Waisenkindern des Tempels geben. In einem Kloster ist kein Platz für Kleinkinder. “ Einige Schritte später setzte sie hinzu. “Mein Tempel steht in Rabenstein.” “Rabenstein? Davon habe ich schon etwas gehört. Ist das wirklich so ein abgelegener und düsterer Ort? Ich habe von einem Bekannten gehört das mit dem Baron nicht gut Kirschen essen ist.”

Die Priesterin zuckte als Antwort mit den Schultern. “Der Hauptort Calmir liegt an der Via Ferra. Im Sommer ist er belebt. Seine Hochgeboren ist kein schlechter Herr - weichherzig und wankelmütig ist er nicht.” Sie hob den Kopf, als Stimmengewirr und der behauene Stein unter ihren Füßen erzählten, dass sie an der Jagdhütte angekommen waren. Doch selbstverständlich waren mittlerweile weder Kind noch Träger noch in der Nähe. Kaum in der Jagdhütte angekommen, blickte Oren sich um. Von Elvan und Mirla war allerdings nichts zu sehen. Mit eiligen Schritten kam ihm die Rabensteiner Zofe entgegen. “Entschuldigt hohe Dame, habt ihr zufällig den hohen Herrn von Altenberg mit einem Kind gesehen?”, fragte er mit tiefer und befehlsgewohnter Stimme die Zofe.  “Nein.” Madija betrachtete den Söldner aufmerksam und entschied dann, dass er im Rang keinesfalls über ihr stünde.  “Es tut mir leid - aber entschuldigt mich bitte, ich habe zu tun.” Sie mochte ihre Herrin - und gerade deshalb würde sie sich eilen, um ihrer Aufgabe nachzukommen. “Ich wünsche euch viel Glück.” Setzte sie noch hinzu, ehe sie auf flinken Sohlen davonlief. Die Geweihte hatte still dem Wortwechsel gelauscht und auch den unterdrückten Fluch des Söldners vernommen, als seine Gesprächspartnerin so rasch das Weite suchte. Der kurze Wortwechsel sagte ihr genug, und sie hoffte nur, dass ihr Begleiter tatsächlich so gut im Finden von Menschen und Dingen war, wie er selbst von sich behauptete. “Das gute ist, die beiden müssen hier irgendwo in der Hütte sein, die finden wir.”, sagt er mit beschwichtigender Stimme. Er schaute sich um, ob noch jemand hier in der Hütte zu sehen war.

Einige Bedienstete, die dabei waren, die langen Tafeln zu wischen, den Boden zu kehren und das Mittagessen für die Daheimgebliebenen vorzubereiten besahen den Söldner mit eher gleichgültigen Blicken, ehe sie zu ihrer Arbeit zurückkehrten. “Hat jemand von euch einen jungen Mann mit einem Kind auf dem Arm hier gesehen?, fragte er nun laut in die Runde. Die blinde Boroni grub ihre Zähne in die Unterlippe, während sie scheinbar ungerührt ihre Hand um den Arm des Söldners schloss und regungslos abwartete. Wie es schien ignorierten ihn die Anwesenden Bediensteten. Allerdings war er das gewohnt. Er war schon immer ein unauffälliger Geselle. Oren schaute sich weiter um. Dann hörte er ein lautes Geräusch und eine Stimmengewirr. “Habt ihr das auch gehört? Lasst uns nachschauen.” Langsam ging er in die Richtung des Stimmengewirrs, in der Hoffnung das es zum dem Kind führen würde. Die Boroni nickte schweigend und mühte sich, mit dem Söldner fast unhörbar und auf bloßen Sohlen Schritt zu halten. Hoffentlich fand sich ihre Tochter bald wieder ein - und hoffentlich wohlbehalten.  Eine ganz kleine Stimme in ihrem Hinterkopf erklärte, dass  ansonsten ihr so ersehntes gemeinsames Bad heute Abend beendet wohl wäre, bevor es begänne. Eigensüchtig, schalt sie sich, und war dennoch dankbar, als das Stimmengewirr aus dem ersten Stock die Anwesenheit vieler irritierter Menschen erklärte.

“Ihr entschuldigt?” Eine Frau, nicht mehr ganz jung, überholte die beiden. Oren sah, dass diese eine schlichtes, aber dennoch sehr gut gearbeitetes Kleid aus feinem Leinen und eine hübsch bestickte Haube trug - Zofe, behauptete sein geschultes Auge; beladen mit einem Tablett mit Spezereien und kühlem Wein, der erste Augenschein. Geschäftig und mit einiger Übung eilte sie die Treppe empor, die beiden hinter sich lassend. Seinem Instinkt folgend, heftete er sich auf die Fährte der Zofe. “Eure Kleine kann nicht weit sein. Außerdem ist sie das einzige Kind hier. Würdet ihr sagen sie kommt ganz nach euch?”, fragte er Marbolieb, die er sanft in der Hand hielt.

“Inwiefern?” Die Boroni fuhr augenscheinlich aus ihren Gedanken auf, einen Traum mit heißem Badewasser umfasst hatten. Viel davon. Sie schob diese haltlosen Träumereien beiseite - ob es überhaupt so weit kommen sollte, war fraglich genug. “Sie hat dunkle Haare. Aber über ihr weiteres Aussehen kann ich euch nichts sagen.” “Das meinte ich nicht. Ich sprach von ihrem Charakter.”, stellte der Söldner richtig. Weiter der Zofe folgend, führte sie diese weiter in die Jagdhütte, bis sie eine Tür öffnete, aus der Dampf entwich. Der wohlige Geruch von blumigen Ölen lag in der Luft. Kaum an der Tür angekommen, nahmen beide das Stimmengewirr dem Flur hinunter und die Treppe hinauf wahr. Oren drehte sich zu Marbolieb. “Die Zofe ist gerade in einem Baderaum verschwunden. Und hörst du den Tumult. Irgendwo ist die Kleine bestimmt hier. Was meinst du?”, fragte er die Borongeweihte. “Ich hoffe es.” gab diese zur Auskunft. “Könnt ihr sie sehen?” setzte sie hoffnungsvoll hinzu. “Leider nein. Was sagt dein Mutterinstinkt?” Er wurde nachdenklich. “Ich kann nicht spüren, wo sie ist.” entschuldigend hob die kleine Boroni die Schultern und lauschte angestrengt auf das Durcheinander, verpasste dadurch eine Stufe und stolperte mit voller Länge und ungebremst nach vorn.

Rondra sei dank, für die geschulten Reflexe, die der Söldner in all den Jahren seines Handwerkes geschult hatte. Noch bevor die Geweihte eine Begegnung mit dem Boden hatte, fing Oren sie auf. “Vorsicht!” Er nahm sie kurz in den Arm. “Verzeiht euer Gnaden, da war ich wohl ein wenig zu schnell. Lasst uns zu Badehaus gehen, die Leute können wir immer noch fragen. Was meint ihr?” Bei seinem beherzten Griff hatte der Söldner mit einem mal eine sehr interessante und durchaus rahjagefällige Handvoll gefasst, ein Griff, aus dem die Boroni sich erschrocken zu winden versuchte, was alles eher noch schlimmer machte. Es dauerte einige hastige Rangeleien, bis alles wiederhergestellt war. Sie nickte, leicht atemlos, und zog sich erneut die Kapuze tief ins Gesicht. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, in der Hoffnung, dass Oren sie weiter führen möge.

Erst jetzt bemerkte er, dass er aus Versehen die Brust der Geweihten angefasst hatte, während er versuchte ihren Sturz zu verhindern . Oren errötete, war aber froh, dass die Geweihte es nicht sehen konnte. Erst jetzt und nach vollem Kontakt nahm er sie als vollwertige Frau war. Es war schon eine Weile her, das er einen Frauenleib berührt hatte. Vielleicht wollte sie ja auch ein Bad nehmen? Der Söldner musste sich kurz räuspern und meinte dann nur kurz und knapp: ”Das Badehaus also.” Die Geweihte folgte dem Söldner, nun mit deutlich langsameren und vorsichtigeren Schritten. Oren öffnete die Tür und führte beide in den schwülwarme Baderaum. Zu seiner Überraschung fand er dort zwei attraktive, nackte Frauen im Zuber und die verfolgte Zofe. Es schien Rahja schenkte ihm ein Augenblick Glückseligkeit! So schnell diese merkwürdige Truppe mit Kind in den Baderaum kam, so schnell rannten sie alle wieder davon. Das Kind war ein Wirbelwind und wußte wie die Erwachsenen zu beschäftigen waren. Maura schaute Shanija ungläubig an und beide mussten kräftig Lachen. Was für ein aufregendes Bad! Und wieder öffnete sich die Tür, doch diesmal war es kein Fremder, sondern die sehnsüchtig erwartete Zofe mit dem Wein.

“Madija, gut, dass Du da bist.” Shanija musste ebenfalls lachen. “Sei so gut und schenk uns den Wein ein. Ich fürchte aber, das Beste hast Du verpasst. Wenn Du wüsstest, wer hier schon alles durchgekommen ist … und ganz schnell wieder ging … wir müssen wirklich furchteinflößend gewesen sein.” Die Baronin lächelte noch immer, nahm zwei volle Gläser von Madija entgegen und reichte eines an Maura weiter. “Haben die verschmutzten jungen Leute auf dem Gang damit zu tun?” fragte die Zofe lächelnd. “Sie sahen etwas verwirrt aus - und sie hatten ein besonders schmutziges Kind dabei.” Sie schüttelte missbilligend den Kopf - wie konnte man sich in Gesellschaft nur derart gehen lassen! Der kühle Luftzug kündete weiteren Besuch an. Diesmal gehörter er nicht der geflegten Sorte an. Der Mann war offensichtlich Söldner, trug eine abgewetzte Lederrüstung und die ein oder andere Narbe im Gesicht verrieten die vielen Kämpfe und die nicht immer gut verarzteten Wunden. Sein Gesicht sprach Bände, als er die nackten Frauen mit den Weinkelchen sah. Die Frau an seiner Hand war eine Borongeweihte, die zumindest nach ihrer Kleidung so aussah, ob sie auch ein Bad benötigte. “Bei Rahjas Herrlichkeit wir wollten stören … ich meine NICHT stören”, brachte Oren heraus. “Nachdem ihr dies schon getan habt, mögt ihr uns auch gleich erzählen, was euch hergeführt hat.” Shanija lehnte sich entspannt im Zuber zurück, trank noch einen Schluck des herrlich kühlen Weins und bat ihre Zofe, noch etwas heißes Wasser nachzugießen. So ließ es sich fürwahr aushalten! Sein Blick wanderten vom Wein zu den Brüsten und wieder zurück. Auch dies entging der Baronin nicht. Zwar mochte er eher von der ungepflegten Art von Mann sein, doch ein unattraktiver war er nicht. “Wir, also ich und Frau Gnaden hier, suchen nach einem Kind. Ihrem Kind. Und … aber ein Bad natürlich auch. Da wo jetzt alle am Jagen sind.”  “Na suchen denn jetzt alle nach dem Kind? Ihr habt echt einen kleinen Wildfang.”, bemerkte Maura und nahm einen kräftigen Schluck. Der Blick des Söldners war ihr auch nicht entgangen. Und ein wenig genoss sie es sogar.

Shanija hingegen schüttelte den Kopf. “Hier ist es nicht. Die Zofe der Baronin von Rickenhausen hatte ein Kind auf dem Arm, doch denen solltet ihr eigentlich auf dem Gang begegnet sein. Doch jetzt möchten wir baden - ihr könnt das Badehaus später benutzen.” Die Rabensteinerin war nicht so begeistert wie ihre Freundin darüber, so unverhohlen angegafft zu werden. Marbolieb stutzte und wandte sich an die Damen. “Vielen Dank, Hochgeboren. Entschuldigt unser Eindringen, wir wollten nicht stören.” Sie umfasste den Arm des Söldners fester denn zuvor. “Lasst uns gehen, die Damen möchte ihr Bad genießen.” Als der, noch immer fasziniert von dem Bild, das sich ihm bieten musste, zögerte, wurde ihre Stimme einen Hauch energischer. “Wir stören.”

Die Baronin hatte recht. “Verschwinde Oren, solltest du nicht ein Zelt bewachen”, sagte Maura etwas herrisch. Der Söldner zuckte ein wenig zusammen, als er an seine Aufgabe erinnert wurde. “Was sie gesagt hat”. Er senkte den Kopf und verließ den Raum mit der Geweihten. Draußen im Flur war immer noch die Aufruhr auf der Treppe zu hören. Shanija schüttelte ungläubig den Kopf. “Wer jetzt wohl noch alles kommt - das hier ist kein Badehaus, das ist ein Taubenschlag. Wenn es meins wäre, würde ich eine Wache vor die Tür stellen, die mir die Besucher vom Leibe hält, wenn ich baden würde.”  Sie grinste. “Dafür darfst Du uns aber nochmal extra warmes Wasser nachgießen, Madija. Vielleicht haben wir jetzt doch noch ein bißchen Zeit, bevor die Jäger zurückkommen. Dein Söldner, Maura, kennt aber wirklich auch keinen Anstand - hast du gesehen wie der dich mit den Augen verschlungen hat? Und die Boroni scheint er sich auch bereits geangelt zu haben, der lässt wenig anbrennen.” Ein leises Lachen spielte um ihre Züge. “Irgend etwas liegt in der Luft - sämtliche der jungen Leute scheinen gerade auf Freiersfüßen unterwegs zu sein. Vielleicht ist es die Anwesenheit der Rahjani  - was meinst Du?” “Da gebe ich dir recht. Ich habe beim Tanz beobachtet wie sie mit den jungen Männern gesprochen hatte. Wahrscheinlich hat diese den irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt. Nun, ich werden Oren nach der Jagd aus seinem Dienst entlassen. Ich werden den jungen von Tannenfels anheuern, um meine Familie sicher nach Herzogenfurt zu geleiten. Der arbeitet ja jetzt für den Plötzbogner Dienst.”  Maura ließ sich nochmals wollig ins warme Wasser sinken.  “Tannenfels? Weißt du ad hoc, zu welcher Baronie die  gehören?” Viele junge Leute, die gerade hier unterwegs waren - und sie kannte allerhöchstens die Hälfte. “Und bei den Plötzbogenern - hm, das ist interessant, dass die sich so viele Bewaffnete halten. Vermutlich hat es der Graf bisher noch nicht bemerkt.” Sie schmunzelte. “Hat er Manieren?” “Die Tannenfelser waren einer der ersten, die sich bei uns gemeldet hatten, nach unserem Aufruf. Ich mußte auch erste einmal nachschauen. Die stehen im Dienste der Baronin von Ambelmund. Nordgratenfels.” Sie wog ihren Kopf im Nacken, bis es ein wenig knackte. “Manieren hat er. Allerdings bin ich nicht sicher, ob die Tannenfelser eine gute Partie für meine Kinder sind.” Maura griff nochmals zum Wein. “Soweit ich weiß , gibt es diesen Plötzbogner Geleitschutz schon seit 20 Götterläufen. Ich nehme an, du hast diesen Dienst noch nie in Anspruch genommen, oder?” “Ist er zu einflusslos? Oder was ist es, das dich an ihm stört?” Neugierig trank Shanija einen Schluck ihres angenehm gekühlten Weins. “Die gibt es wirklich schon derart lange? Erstaunlich. Aber nein - natürlich nicht. Wir haben unsere eigenen Büttel, die für unsere Sicherheit sorgen. Mein Gemahl ist recht aufmerksam, wenn es darum geht, Leute für die eigene Sicherheit einzusetzen.”

“Verständlich. Die Altenberger reisen nicht viel, aber wieso nicht. Ich denke ein Krieger ist vor einem Söldling zu bevorzugen. Aber du sagst es. Der Gedanke, einen meiner Kinder in die Wildnis zu versetzen. Ich weiß nicht. Praiona ist Praiosgeweihte und Elvrun wird Traviageweihte. Nur mein Sohn Elvan ist jetzt herzöglicher Schreiber. Ich hätte sie gerne näher an der Capitale. Ich kann mir kaum vorstellen, das es dort großartige Hofbälle zu feiern gibt. Warst du schon mal in Nordgratenfels?”   “Ein- oder zweimal - noch nicht sehr oft. Eine sehr karge Gegend.” Sie schmunzelte. “Aber ganz ehrlich - auch in Elenvina waren die Bälle bisher eher überschaubar. Kein Vergleich zu Vinsalt. Vielleicht gibt sich das ja mit der neuen Herzogin - sie stammt immerhin aus Ragath, dort ist die Lebensart schon ein wenig eine andere.”

“Das habe ich gehört. Mein Elvan ist ihr ja schon begegnet. Er durfte den Prinz und die Prinzessin porträtieren. Wie gesagt, mir wäre jemand lieb, der dem Hof näher wäre. Aber vielleicht gibt es ja noch jemand anderen für die Tannenfelser in meiner Familie. Die widerspenstige Sabea könnte dem Norden ganz gut tun.” Ein Schmunzeln schlich sich auf ihre Lippen.  “Meinst du? Wenn du die Leine zu lange lässt, könnte das auch nicht gut ausgehen. Es ist besser, die Aufsässigen unter besonders guter Beobachtung zu halten. Oder hättest Du sie gerne aus der unmittelbaren Umgebung? Und letzten Endes - es ist manchmal besser, wenn jemand Grundbesitz hat. Viele am Hof hätten nur gerne eine Lehen - und hoffen auf einen heiratsfähigen Erben, den sie sich angeln können. Wer weiß, was du dir damit in die Familie einfängst.” Maura seufzte. “Ja die Tannenfelser haben nix, jedenfalls nicht die, die zur Brautschau kommen. Ja, die Sabea. Die ist schon ein besonderer Fall. Sie steht im Dienste der herzöglichen Kanzlei und überbringt Botschaften. Sie ist sehr laut in ihren … Aussagen. Abgesehen davon ist sie eine beeindruckende Gestalt. Groß und rothaarig wie die Nordleute. In Elenvina nennen manche sie die “Elenviner Thorwalerin”. Die Arme. Bis jetzt hat sich noch keiner getraut, um ihre Hand anzuhalten. Hast du auch solche in deiner Familie?”  Shanija lachte auf angesichts dieser plastischen Beschreibung und schüttelte, noch immer lächelnd, den Kopf. “Mein Bruder ist bereits vermählt. Er gehört dem Orden des Bannstrahls Praios an. Und meine Kinder sind noch zu jung, bis auf auf Ravena, die Älteste, die hat vor kurzem ihren Ritterschlag erhalten. Doch ich bin mir sehr sicher, dass mein Gemahl eine passende Verbindung für seine Erbin finden wird. Doch bei keinem werden wir darauf warten, dass ein Bewerber sich meldet - es ist um so viel sicherer, wenn diese Verbindungen von den Eltern ausgewählt und vereinbart werden - findest Du nicht?

“Absolut. Aber das muß mein Schwager veranlassen. Ich kümmere mich jetzt erstmal um meine Kinder. Und ein paar interessante Kandidaten gibt es ja auch. ich hab da mein Auge auf den Junker von Altenwein und den Junker Lucrann von Leihenhof geworfen. Für meinen Elvan könnte ich mir die Tochter von Baron Rajodan von Keyserring vorstellen. Immerhin nehmen auch drei Baroninnen teil, obwohl ich kaum darauf hoffen kann.” Maura lachte. “Auch der Geweihten Rondradin ist sehr reizend. Er könnte gut zu meiner Elvrun passen, vielleicht auch meine Nichte Gelda.” “Deshalb hast Du ihn heute morgen so genau beäugt.” Shanija schmunzelte. “Er sieht gut aus, auch wenn er nicht aus dem allerbesten Hause kommt. Ich kenne ihn schon länger - und er ist ein sehr aufrechter Geselle. Allerdings war er lange mit meinem Gemahl über Kreuz, auch wenn beide dies heute morgen geklärt zu haben scheinen. Männer!” Sie hob ihren Kelch und ließ ihn sich von ihrer Zofe erneut auffüllen. “Allerdings würde ich, wenn ich du wäre, um die Keyserringer einen weiten Bogen machen. Das sind mit Abstand die unangenehmste Familie, der ich jemals begegnet bin - ohne jeden Anstand und ohne jeden Adel. Und der Baron ist ein eingebildeter Grabscher, der glaubt, er können jede Frau nach Gutdünken betatschen. Einfach widerlich - so was will ich nicht in meiner Familie!” Shanija schüttelte sich. “Mit den Leihenhofern sind wir eng verwandt - die Baronin von Galebquell ist meine kleine Schwester, Jileia. Damit würdest Du dann sogar mit unserer Familie verbunden sein - der Gelehrsamkeit hier in den Nordmarken würde das zumindest nicht schaden. Und die Familienfeste wären nicht mehr gar so langweilig.” Sie wartete, bis Madija auch Mauras Weinkelch neu befüllt hatte, und hob diesen dann zum Zuprosten. “Auf die Verwandtschaft.” “Auf die Verwandtschaft!” Maura prostete ihr lachend zu. “ Das wußte ich gar nicht. Es haben sich gleich drei Leihenhofer angemeldet. Es ist meinem Schwager Winrich sogar gelungen Ademar von Leihenhof zu laden. Er wird dort seinen Segen geben. Ja, das wäre was. Und endlich ein paar seelenverwandte Familienmitglieder!” Maura nahm einen tiefen Schluck aus dem Kelch. “Von Ahnwacht, Thomundson, von Fuchsberg und vom Schwarzen Quell kommen.” Sie überlegte weiter. “Ein Ritter von Mersingen und die von Rodenbrück. Sagt dir von Traurigen Stein etwas?”, fragte sie neugierig.

“Ist das nicht eine Familie aus Kyndoch? Bannstrahler - zumindest haben sie einen in der Familie?” Shanija versuchte sich an einer Übersicht innerhalb der Nordmarken - doch war dies alles andere als einfach, zumindest einen Praiosgeweihten wies so gut wie jede Adelsfamilie auf. “Aber darüber hinaus weiß ich so gut wie nichts über sie - was kannst du mir darüber sagen?” Sie lehnte sich bequem im Zuber zurück und beäugte die Tür, vor der kurzzeitig Gepolter erklang, die jedoch dankenswerterweise eines blieb: endlich geschlossen. “Die Mersingens kenne ich einigermaßen.” Setzte sie schließlich das Gespräch fort. “Insbesondere die Weidlether - der Junker zu Hungersteg und Baron zu Aschenfeld, der Heermeister der Rabenmark, Welfert von Mersingen, war schon einige Male bei uns zu Gast.” Sie verschwieg, was sie persönlich über den überaus standesbewussten Adelsmann dachte. “Mit den anderen bin ich nicht bekannt. Welcher der Mersinger wird zu deiner Veranstaltung kommen? Die sind uralter Adel und gehen gar in die Verwandtschaft des Kaiserhauses. Du hast eine illustre Gesellschaft versammelt, meine Teuerste.” Nochmals lachte sie auf. “Da hast du recht, ich war auch sehr überrascht, aber mal schauen wer wirklich erscheinen mag. Lares von Mersingen ist sein Name. Klingt da irgendeine Glocke?”

“Überhaupt nicht.” Shanija schüttelte entschieden den Kopf. “Aber die Familie ist mindestens so weitverzweigt wie die Bergs. Unser Schreiber hat vermutlich einen Stammbaum und könnte dir genaueres sagen. Ich nicht. Aber ich glaube den den Weidlethern gehört er nicht - ohne jetzt dafür die Hand ins Feuer zu legen. Kommen sonst noch interessante Gäste?” “Hmmm.” Sie dachte nach. “Nun, wie ich schon erwähnte haben sich drei Baroninnen angemeldet. Baronin Thalisa di Triavus von Rickenhausen, Baronin Fedora von Firnholz und die neue Baronin Selinde Tsasalda von Schweinsfold. Wobei ich glaube das letztere nur eine Aufwartung macht, da es in ihrer Capitale stattfindet. Die Beweggründe der anderen beiden bleiben mir verschlossen. Beide sind unvermählt, aber ich glaube kaum das sie einen Gemahl bei uns suchen. Das wäre natürlich ein Traum.” Maura lächelte Shanija an. “Ich wünsche es mir für Dich.” Shanija erwiderte das Lächeln. “Vielleicht findet ja eine der Damen wirklich einen Kandidaten, der ihr zusagt. Auch wenn vermutlich ihre Ansprüche für einen Baronsgemahl angemessen sind. Ich denke da gerade an Ravena, unsere Älteste und Erbin. Für die wünsche ich mir auch einen Mann aus untadeligem adligen Hause - und einige Charaktermerkmale sollte er auch aufweisen. Was ich überhaupt nicht leiden will, ist ein ungebildeter Faulpelz,  der nicht weiß, wie man ein Buch richtig herum hält. Und einen Streuner, der nichts als seine Heldenfahrten im Kopf hat, wird mir ebenfalls nicht ins Haus kommen.” Sie betrachtete ihre Freundin nachdenklich. “Was sind deine Erwartungen an die Ehegesponse deiner Kinder?” “Bei meiner Ältesten bin ich schon froh ihr einen guten und einfachen Mann zu finden, der es schafft sie aus ihren Träumereien zu holen. Für Elvan und Elvrun sollte es schon aus untadligen Hause stammen und am besten mit einer kosmopolitischen Einstellung. Bei all meinen Kindern habe ich darauf geachtet, dass sie gute Manieren haben und gebildet sind.” Sie seufzte wieder. “ Wäre mein Elvan ein Ritter, hätte ich ihn dir für deine Tochter vorgeschlagen. Wie gesagt, gute Manieren und gebildet.” Sie prostete Shanija zu. Shanija lächelte, ein wenig traurig. “Ich fürchte, da wird das letzte Wort mein Gemahl sprechen. Ich bin nicht ganz so frei in meinen Entscheidungen wie Du - und ich denke, seine Schwerpunkte sind mitunter anders als meine. Geht es nach ihm, schadet ein Borongeweihter in der Familie des neuen Mitgliedes nicht - vermutlich wäre ein Praios- oder Hesindegeweihter im Stammbaum ebenfalls akzeptabel. Zusätzlich zu den Adelsschilden, versteht sich. Aber sag, warum hast Du Deinen Elvan zum Schreiber ausbilden lassen, anstatt ihn bei einem Gelehrten in Ausbildung zu geben?”

Maura verdrehte kurz die Augen. “Es ist Tradition, dass die aufmerksamsten Altenberger auf die Rechtsschule in Gratenfels gehen und äußerst praiosfromme Rechtsgelehrte werden. Die dortige Schule wurde von einer Altenberger Praiosgeweihten gegründet. Meine Schwägerin ist die Rektorin dort. Eine sehr trockene und unflexible Person. Wir sind uns meistens nicht sehr grün.” Sie beendete ihren Wein. “Mein Elvan war schon immer ein sensibles Kind und äußerst kreativ. Ich konnte ihn nicht einfach so nach ´Gratenfels´ abschieben. Da wären seine Talente nicht gefördert werden. Der Hesindetempel in Elenvina war da für mich die beste Wahl. Elvan ist ein sehr talentierter Kalligraph und Schreiber geworden. Und ich muß zugeben, dass das saure Gesicht meiner Schwägerin ein kleiner Triumph für mich war.” Nun strahlte sie übers ganze Gesicht.  Shanija musste unwillkürlich lachen. Zu sehr erinnerte sie die Szene an ihre eigene, nicht wirklich einfache Beziehung zu ihrem Bruder, dem jetzigen Baron von Metenar - und einem Ritter im Orden des Bannstrahls Praios’.

“So gesehen kann ich dich nur zu gut verstehen. Es ist schön, wenn Du solche Entscheidungen einfach frei fällen kannst - ohne Rücksicht auf Familie und Pflichten.” Sie seufzte wehmütig. “Ein guter Schreiber ist auch viel wert - aber er ist nicht so standesgemäß wie ein Privatgelehrter oder Ähnliches. Aber das geht leider übel ins Geld - ich habe eine ungefähre Ahnung, was mein Gemahl mittlerweile in meine Bibliothek investiert hat. Aber wenn ich von einem verheißungsvollen Buch höre … “ sie lächelte entschuldigend und hob die Schultern. “Er ist äußerst großzügig, was das anbelangt. Nur bei einem hat er sich einmal kategorisch verweigert - es fehlt mir noch immer in meiner Sammlung, und ich glaube, ich werde es niemals wieder in Händen halten.” Was aber, bedachte sie die Situation damals, im Sinne des Familienfriedens vermutlich die klügere - wenn auch nicht zwingend die bessere - Entscheidung war.

“Was für ein Buch ist es?”, fragte die Doctora neugierig. Shanija blickte sich um, befand den Baderaum für ausreichend leer - außer Madija war niemand anwesend - und senkte die Stimme. “Das Buch der Leiber. Eine Kommilitonin hatte es mir vor einigen Jahren angeboten.” “Dem Titel zu entnehmen, ein Buch über die Anatomie? Oder ist es eine magietheoretische Lektüre?” Sie überlegte kurz und schlug sich dann vor die Stirn. “Moment, das Buch kenne ich doch. Das hatte der alte Lehrmeister Rupert mal aus dem Giftschrank mitgebracht. Wir hatten alle die Möglichkeit, einen Blick darauf zu werfen. Nun verstehe ich auch, warum dein Gemahl das nicht haben wollte.” Maura dachte nach, ob es nicht eine Möglichkeit gab, an dieses Buch zu kommen. Eine kurze Stille entstand, als sie bemerkte wie ihre Finger ganz schrumpelig waren. Sie seufzte.”Wie es ausschaut, sollten wir langsam das Bad verlassen, was sagst du?”, fragte sie und deutete auf ihre Finger.

“Ich fürchte, das sollten wir.” stimmte Shanija zu. Ein so langes Bad in so angenehmer Gesellschaft hatte sie schon lange nicht mehr genossen. “Wir sollten es aber bei Gelegenheit wiederholen. Unser Badehaus in Rabenstein hat zwar keine so ausgeklügelten zwergischen Einbauten - aber für einen Plausch ist es tauglich. Magst Du uns einmal besuchen?” Sie lächelte und hievte sich aus dem Wasser - noch immer warm und angenehm war es, dank der Möglichkeit, dies ganz einfach, ohne Schlepperei für die Bediensteten, nachzufüllen - und ließ sich von ihrer Zofe ein großes Leintuch reichen, in das sie sich vollständig hüllte, während die Zofe begann, ihre Haare zu trocknen und dann sorgfältigst auszukämmen. Die Baronin schloss die Augen und genoss mit vollkommener Selbstverständlichkeit die Tätigkeiten ihrer Zofe. Shanijas Haare reichten offen bis zur Hüfte, was die schönen und eleganten Flechtfrisuren, die sie üblicherweise trug, erklären konnte.   “Dann gehen wir gemeinsam mein Labor durch. Und meine Bibliothek. Wäre das ein Angebot?” nahm sie den Faden des Gesprächs wieder auf. Auch die Doctora hievte sich aus dem Zuber, mußte sich aber selber abtrocknen. “Das wäre mir eine Ehre, Shanija! Ich würde gerne sehen wie du lebst und gemeinsam dein Labor erkunden! Und mal etwas anderes als Elenvina zu sehen, wäre auch eine willkommene Abwechslung.” Maura war wesentlich schneller fertig. “Hervorragend.” Die Baronin neigte den Kopf, damit die Zofe etwas leichter die langen Haarsträhnen sortieren konnte. “Komm’ im späten Frühling. Oder im Sommer. Dann sind die Wege offen und Du kannst gut reisen.” Äußerst zufrieden und entspannt machten die beiden Frauen samt Zofe sich auf dem Weg aus dem Badehaus. Maura war schon jetzt gespannt, was sie als nächstes mit Shanija erleben würde. 

Levthans Wunsch und Phexens Beitrag

Vor der Tür hielt die Geweihte inne. “Würdet ihr mir noch helfen, Mirla zu suchen, oder müsst ihr sofort zurück zu eurem Zelt?” fragte sie mit leiser Stimme den Söldner. Die halbe Burgbesatzung schien hier unterwegs, alle, bis auf ihre Tochter. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie mittlerweile keine Ahnung mehr, wohin der Söldling sie tatsächlich geführt hatte und wo sich das aktuelle ‘hier’ in Form des Baderaums befand. Irgendwo im ersten Stock vermutlich. Verheißungsvoll duftend nach Seife und voll warmen Wasserdampfs. Die Geweihte schloss die Augen und überließ sich einer winzigen, sehnsuchtsvollen Träumerei, ehe sie diese Narrheiten beiseite schob. Mirla war verschwunden - alles andere hatte zu warten. “Keine Sorge. Ich bleibe bis wir sie gefunden haben. Lasst uns zurück zum Festsaal gehen und nochmal von von vorne anfangen.” Oren führte sie vorsichtig zurück, obwohl er doch gerne länger im Badehaus verbracht hätte. “Vielleicht können wir uns ja später ein Bad zusammen gönnen. Was meint ihr?” Erschrocken blieb die zierliche Boroni stehen und drehte sich zu dem Söldner. Ihr hübscher kleiner Mund stand einen Atemzug lang fassungslos offen, ehe sie energisch Luft holte. “Auf keinen Fall! Das dürfen wir uns nicht anmaßen - diese Bäder sind für die Adligen.” Sie hob den Kopf, dass der Rand der Kapuze fast ihre Nasenspitze kitzelte, und schluckte, was ihr offensichtlich als nächstes auf den Lippen gelegen hatte. “Suchen wir weiter?” bat sie statt dessen. Oren zuckte mit den Schultern, ohne daran zu denken, das Marbolieb es gar nicht sehen konnte. “Ja, wir suchen weiter.” Er blieb stehen und schaute sich um. Ein Gelächter lenkte ihn ab und somit übersah er, wie in seinem Rücken Elvan und Mirla an ihnen vorbei gingen. Auch diese beiden bemerkten das suchende Paar nicht und verschwanden nach draußen. “Es ist wirklich merkwürdig. Sie waren hier, auch im Baderaum. Wo könnten sie hin sein?” Oren grübelte. “Wir müssen dies Zofe finden. Könnt ihr noch das Stimmengewirr hören?” fragte er Marbolieb.

Diese lauschte auf die vielen entfernten Stimmen von oben und unten an der Treppe und das leise Lachen und Plätschern, das durch die geschlossene Tür des Badehauses und seufzte.  “Nein. Ich meine, es sind hier überall Leute.” Verzweifelt rang die die Hände “Ein Kind kann doch nicht einfach so verschwinden! Es müsste sie doch jemand gesehen haben.” Verdächtige Feuchtigkeit sammelte sich in ihren Augenwinkeln. Es war eine Sache, wenn Mirla auf Erkundung  ging - aber eine ganz andere, wenn sie in diesem Durcheinander aus Menschen und Zwergen verschwunden blieb. “Bitte.” Flehte sie. “Tut doch etwas!” Der Söldner griff sie sanft an beide Schultern und drückte sie ganz fest an sich. Nicht ohne die Gelegenheit zu nutzen, die Nähe ihres weiblichen Körpers zu spüren. Am liebsten hätte er jetzt geseufzt, bedingt ob der wohligen Wärme die sie ausstrahlte. Aber er fing sich wieder. “Meine Liebste, wir werden sie finden. Sie war zumindestens hier. Irgendjemand wird sie schon gesehen haben. Und der junge Herr von Altenberg ist ja ein anständiger Mann.” Widerwillig ließ er sie aus seiner Umarmung.

Die Frau versteifte sich in Orens Armen und holte tief Luft. Sie besaß einen wahrlich wohlgestalten Leib, auch wenn dieser für seinen Geschmack noch etwas mehr an Volumen hätte vertragen mögen. Die kleine Priesterin schluckte und grub ihre Zähne in ihre Unterlippe, ehe sie vorsichtig nickte. “Ihr kennt ihn gewiss besser als ich. Und nun - wohin?” Statt sie an der Hand zu führen, schlug er nun seinen Arm um ihre Hüfte. “Vielleicht sollten wir zu den Leuten zurück, die auf der Treppe gesprochen haben.” Langsam ging sie wieder zurück, bis einer der Köchin ihnen entgegen kamen. “Heyda, gute Frau. Habt ihr zufällig einen jungen Edlen gesehen mit einem kleinen Mädchen?”, fragte er mit kräftiger Stimme. Die Frau betrachtete das offensichtliche Liebespaar und nickte. “Ja, der Mann war mit seiner Tochter bei uns in der Küche. Schmutzig waren die. Hab den was zum Saubermachen gegeben. Und nun sind sie wieder raus.” Sie machte nochmals einen Knicks und setzte ihren Weg wieder fort. “Wieder rausgegangen? Haben wir die beiden etwa verpasst? Ich glaube, wir sollten draußen noch einmal schauen, euer Gnaden.” Marbolieb nickte, schweigend und mit fest zusammengepressten Lippen. Die Finger des Söldlings lagen wie Kohlen auf ihrer Hüfte und sie wünschte sich, er würde ein Stück abrücken und sie nicht statt dessen noch enger an sich ziehen, vorgeblich nur, damit sie nicht strauchele. Sie war sich längstens nicht mehr sicher, ob er wirklich auf Mirlas Spur war und sich nicht nur einen ureigensten Spaß daraus machte, in enger Umarmung mit ihr durch dieses Gemäuer zu wandern. Vorsichtig tastete sie nach den Stufen und verharrte. Nach oben oder nach unten? Zweifelnd wandte sie sich ihrem Begleiter zu. “Es sind nur ein paar Stufen nach unten.” Sehr zweifelnd und mit steifen Schritten folgte Marbolieb dem Söldling. Durch ihre dünne Robe spürte dieser deutlich die Wärme, die ihr weiblicher Körper ausstrahlte. Wäre sie nicht derart abgelenkt gewesen, hätte sie wohl auch nicht die zweite Stufe übersehen, was sie ungeplant und um so schwungvoller nach vorn katapultierte, was ihr einen erschrockenen Ausruf entriss - und auch den Söldling mitten im Schritt erwischte.

Diesmal hatte er es nicht vorhergesehen und mit ihrem Schwung riss es auch ihn um. Gedankenschnell ließ er sich vor ihr fallen, um ihren Sturz abzufangen. Sekunden, die wie eine Ewigkeit vergingen, rutschen sie so die weiteren Stufen hinab und kamen dann zum liegen. Oren ignorierte den Schmerz und hielt die Geweihte eng an sich. Spätestens jetzt merkte sie, dass sie mit einem Mann unterwegs war. Der Söldner sagte nichts und wartete ab, bis Marbolieb sich wieder regte. Diese stöhnte erschrocken und versuchte, Arme und Beine zu bewegen, die bei dem wilden Abgang über die Treppe einige Stöße und blaue Flecken abbekommen hatten - und vergrößerte dabei das Knäuel, das sie mit dem Söldner bildete, unwillentlich noch, während sie versuchte, sich auf die Knie aufzurichten. Verdattert rieb sich sich den Kopf und fischte nach ihrer Kapuze, die durch diese jähe Lageveränderung irgendwo gelandet war, aber längst nicht mehr dort, wo sie hingehörte. Volle, rote Lippen besaß die hübsche junge Almadanerin - und wunderschöne, dunkle Augen, in denen aber jetzt ein ziemlich gehetzter Ausdruck stand, als sie versuchte, sich von dem kräftigen Söldner zu lösen. “Ist euch etwas geschehen?” wollte sie atemlos wissen. Auch wenn seine Lederrüstung das Meiste von dem Fall abfing, so merkte er schon den einen oder anderen Schmerz im Rücken. Er ließ Marbolieb los, die jetzt auf seinem Schoß saß. ´Wie schön sie ist.´, schoß es ihm durch den Kopf. “Ah, ja. Alles in Ordnung. Das war leider ein Ungeschick. Ich glaube auch, dass wir in die falsche Richtung sind. Alles bei dir in Ordnung?”, fragte er, obwohl er merkte, wie Rahja sich meldete in dieser prekären Situation. Marbolieb nickte, und befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen, ehe sie ihre Lage so gänzlich erfasste. Eine zunehmende Röte kroch ihr über die Wangen und sie versuchte unbeholfen, von der Gestalt des Söldners unter ihr zu klettern, wobei sie nicht ganz verhindern konnte, dass ihre suchenden Hände Dinge trafen, die nicht der steinerne Boden unter beiden waren.

Fühlte sie wie er? Sie konnte ihn zwar nicht anschauen, aber ihr Ausdruck hatte etwas Sinnliches. Während sie sich rhythmisch auf ihm bewegte, schien sie nicht lange zu fackeln. Ihre schlanken Finger suchten - oder gar gezielt? - ihren Weg zu seiner Männlichkeit. Der sanfte Druck ließ ihn nun völlig seine Hemmungen fallen und entfaltete es in voller Pracht. Oren stöhnte auf. Seine Hände wanderten zu ihrer Hüfte. “Du bist so schön …”, hauchte er ihr entgegen.  Die Frau keuchte, ihre Lippen halb geöffnet, und verdoppelte ihre Anstrengungen, sich zu lösen. “Nein.” Mehr ein Flüstern, während sie sich mühte, aus dem Griff des Söldners zu entkommen und es dabei lediglich schaffte, auszurutschen und mit voller Länge auf ihm zu landen, was erneute hektische Versuche, sich zu befreien, zur Folge hatte. ´Verstehe, das Kätzchen mag es mehr im Liegen.´ Als sie sich auf ihn schmiss, küsste er sie. So nahe an seinem Gesicht nahm er ihren süßen, leicht würzigen Geruch war, der sein Verlangen befeuerte. Während seine Lippen ihre trafen, suchte sich seine Zungenspitze seinen Weg. Marbolieb rang erschrocken nach Luft, drückte ihre Arme auf seine Schultern und versuchte, aus seinem Griff zu entkommen - irgendwie. Er schmeckte nach Bier und Rauch und fettem Braten und mit einem Mal fuhrwerkte seine Zunge in ihrem Mund herum, während seine Hände wie ein Schraubstock ihren Kopf umfassten. Sie zappelte, kämpfte darum, sich loszumachen, und brachte statt eines energischen ‘Nein!’ nur ein haltloses ‘mpf!’ hervor, was diesen ungehobelten Klotz nur noch mehr anzuspornen schien. Langsam schwante Oren, dass sie anscheinend ihre Meinung geändert hatte oder sie war absolut unerfahren im Küssen. Erst dachte er, dass ihr wildes Herumgezappel ihrer Leidenschaft geschuldet war, doch dann war er sich nicht mehr so sicher. Er ließ sie los und blickte in ihr entsetztes Gesicht. “Was ist los, war ich zu grob?”, fragte er unschuldig. Endlich nahm er seine Hände von ihr! Ruckartig fuhr die kleine Geweihte auf, nur fort von den gierigen Pranken des ungeschlachten Kerls! Auf allen Vieren sorgte sie dafür, möglichst viel an Abstand zu gewinnen, und hätte das zweifelsohne geschafft, hätte sich ihre Robe nicht an einer Schnalle der Rüstung Orens verfangen, was zu viel für den alten, mürben Stoff war, der sich mit einem leisen Ächzen den an ihm zerrenden Kräften ergab. Sie zeigte Oren zweierlei - die Geweihte hatte nichts darunter getragen. Und er sich nicht zu viel erhofft. Erschrocken raffte Marbolieb den Stoff vor ihrer Brust zusammen und wich zurück, bis sie den Stein der nächsten Mauer in ihrem Rücken spürte. Ihr entsetztes Keuchen und fassungsloser Gesichtsausdruck sprachen Bände. Zwei Knechte, die gerade dabei gewesen waren, das Geschirr in der Halle abzuräumen, blieben stehen, gafften gierig und begannen ob der Situation herzhaft zu lachen.

Das dumpfe Geräusch fallender Körper und der dazugehörenden Schmerzlaute war in der Halle nicht zu überhören gewesen. Ein Kopf mit zu unzähligen Zöpfchen geflochtenen Haaren ruckte herum und sah mehr neugierig als besorgt in Richtung der Geräuschkulisse.. Gemütlich stand die Frau in dem Weiß-Roten Wappenrock auf und schlenderte ohne große Eile in Richtung des Ursprungs des Stöhnens. Bei jedem Schritt klimperten leise die Schellen in ihren Zöpfen, während sie genüsslich an einem Schmalzkringel knabberte. Als sie die beiden Gestalten am Boden sah, blieb sie kurz stehen  und nahm die Szene in sich auf. Da lag ein Kerl am Boden, mit verwirrtem, erregten Blick und einer deutlichen Beule im Beinkleid, während eine - sehr hübsche - Frau mit einem grauen zerrissenem Gewand und entsetztem Gesichtsausdruck sich an die Wand drückte. Unentschlossen sah sich um, zwei Knechte lachten schallend, aber wie nahmen die anderen Anwesenden die Szene auf? Ihr erster Gedanke war, dass der Kerl sich an der Frau hatte vergehen wollen, aber dazu passte weder das Gelächter noch sein verwirrter Gesichtsausdruck.

´Was in den Niederhöllen ist passiert´, dachte Oren bei sich. Das Gelächter der Umstehenden holten ihn wieder in den Moment zurück. Auch wenn er den Anblick der barbusigen Geweihten wertschätzte, war solch eine öffentliche Zurschaustellung nicht nötig. Er rappelte sich auf. “Was gibt es da zu Lachen, trollt euch!” schrie er die Knechte an. Der Söldner wandte sich der Geweihten zu. “Verzeiht euer Gnaden für den Unfall. Ich glaube … das ist hier ein wenig aus dem Ruder geraten”, stammelte er beschwichtigend. “Was geht hier vor sich?”, donnerte eine herrische Stimme fragend durch den Raum. Aus dem Augenwinkel nahm Oren wahr, dass ein ziemlich wütend dreinschauender Zwerg mit rotblondem, wilden Haar und einer metallischen Armprothese auf Marbolieb und ihn zustapfte.  “Eure Gnaden”, richtete er das Wort sogleich an die Geweihte. “Was hat diese Schmeißfliege getan, hat er euch unsittlich bedrängt oder gar angefasst?”  Bedrohlich blieb er vor Oren stehen, noch bevor Marbolieb zu einen Antwort ansetzen konnte. Er zog mit der gesunden Hand eine Klinge mit breiter Blutrinne und ohne Griffstück aus einer Scheide am Oberschenkel und schraubte sie routiniert in seinen metallischen Stumpf. Die Augen ließ er dabei nicht von dem Mietling und war darauf bedacht außer dessen Armreichweite zu bleiben, zumindest noch.

Viel zu viele Leute! Zu viele, um sie auseinanderzuhalten. Gehetzt wandte sie den Kopf nach allen Seiten, als ob sie nach einem Ausweg aus der Falle suchte. Panik stand in ihren Augen, die diesmal nicht im tiefen Schatten einer Kapuze lagen, so dass man die Tränen sehen konnte, die sich darin sammelten. “Lasst mich in Frieden!” flehte sie mit brechender Stimme, die fast unterging in den vielfältigen Geräuschen um sie herum. Zu allem Überfluss hatte sie ihre Tochter noch immer nicht gefunden. Völlig überfordert von Angst und Sorge schnürte es ihr den Hals zu, so dass sie zu keiner weiteren Erklärung fähig war. Wäre doch Dwarosch hier gewesen! Sie kauerte sich an die grobe Wand, ihre Hände in ihr zerrissenes Gewand gekrallt und unfähig für eine andere Handlung, hoffend, dass dieses Zuviel an Geräuschen irgendwann enden möge. Mit dem Auftritt des zwergischen Korgeweihten verhärteten sich Orens Gesichtszüge und Körper. ”Euer Gnaden, wir hatten einen Unfall … und ein Missverständnis.”, gab er kurz und kontrolliert zur Antwort. ´Wie konnte das dermaßen außer Kontrolle geraten? Die Geweihte war doch eindeutig oder etwa nicht?´, wirbelten seine Gedanken durcheinander. Instinktiv wollte er sie beruhigen, doch es schien, dass niemand hier der Richtige war, um das zu tun. "Du sprichst nur, wenn Du gefragt wirst und bewegst dich nicht vom Fleck", herrschte der Zwerg Oren an. Dann wandte er sich wieder an die Geweihte. Alles in ihrer Stimme, an ihrer Haltung sprach eben dafür, dass es kein 'Unfall' war, der hier geschehen war.  Während die Männer sich streitlustig musterten, seufzte Raxajida innerlich auf, zog sich den Wappenrock über den Kopf  und kniete sich neben der Geweihte nieder, begleitet durch das leise Klingeln der Schellen. "Beruhige dich Bruderschwester, ich meine Euer Gnaden", sagte sie mit ruhiger Stimme und legte Marbolieb ihren Wappenrock provisorisch um die Schultern, deren Blöße damit bedeckend. "Es wird alles wieder gut."  Marbolieb schüttelte den Kopf und biss sich in die Unterlippe, als die fremde Frau auf sie einredete. Tränen strömten über ihre Wangen und sie kauerte sich noch enger zusammen, während sich die Fetzen ihrer Robe um ihre Beine wickelten. “Meine Tochter ist fort.” flüsterte sie, als ihr die Stimme brach und sie mit einem erneuten verzweifelten Kopfschütteln versuchte, sich den Händen der Fremden zu entziehen. Durch den Lärm angelockt, traten nun mittlerweile auch zwei Soldaten hinzu und blickten den Korgeweihten fragend an. Dieser jedoch tat eine beschwichtigende Geste und die Gerüsteten warteten. Sie sahen in dem Einarmigen offenbar eine Respektsperson.

“Marbolieb”, versuchte es der Zwerg nun ruhiger und im sanften Ton. “Ich bin es, Metenax. Bitte, ich muss nur wissen, ob dieser Mann die Wahrheit spricht, oder ob er euch gegen euren Willen zu etwas gedrängt, berührt oder geküsst hat?” Marbolieb nickte mit tränenüberströmten Wangen, schluchzte auf und barg ihr Gesicht in den Händen, damit die Reste ihres Gewandes freigebend, das wie eine Handvoll Asche zu beiden Seiten ihrer angezogenen bloßen Beine zu Boden glitt, während der Wappenrock der Maraskanerin wie ein dünner Mantel ihren Oberkörper bis zu den Ellbogen bedeckte. Die Geste offenbarte große, nicht sehr alte Narben an ihren Unterarmen und Waden, mehrere Fingerbreit lang, hell und wulstig  auf ihrer gebräunten Haut. Die Schultern der kleinen Frau bebten, als sie untröstlich und vollkommen fassungslos weinte. Mit eiserner Miene nickte der Angroscho kaum merklich, dann richtete er seine verlängerte Prothese auf Oren und wandte sich von Marbolieb ab. Er hatte genug gehört.  “Du Unglücksrabe", schüttelte Metenax den Kopf. Seine Stimme wurde noch bedrohlicher. “Da hättest du dich lieber an einer der ach so feinen ‘Von und zu’ vergriffen. Ihre Gnaden ist das Weib des Oberst der Eisenwalder. Im Wald wimmelt nur so von seinen Soldaten. Jeder von denen wäre nur zu erpicht darauf, seinem Befehlshaber einen Gefallen zu tun und jemanden wie dich zu zur Strecke zu bringen. Dwarosch gab man in jungen Jahren den Beinamen Korgrimm, weil er keinen am Leben ließ, der sich ihm in den Weg stellte. Das blutrünstige Tier schlummert noch immer in ihm und wenn er hiervon erfährt wird es ausbrechen und dich zur Rechenschaft ziehen. Wie das aussehen wird, kannst du dir sicher vorstellen.   Festsetzen", bellte Metenax sein letztes Wort und die beiden Soldaten eilten sich, dem nachzukommen. 

Die Geweihte hörte den wütenden Tod der bellenden Worte des Korgeweihten, doch deren Sinn drang nicht vollständig zu ihrem vor Sorge und Schrecken gepeinigten Geist durch. Wo war Mirla? Was war ihr geschehen? Unwillkürlich zuckte sie unter der brennenden Wut in Metenax’ Worten zusammen und drückte sich weiter an die Wand, wünschte sich, sie könnte in dem Stein verschwinden und weg, nur weg von hier. Auch wenn die Geweihte sich nicht klar äußerte, verstand Oren langsam, was hier geschah. ´Schändung? Das gehört wirklich nicht zu mir´, dachte er bei sich. Seine Züge waren nun emotionslos, auch wenn seine Augen sich ein wenig verengten. “Ich schwöre bei den Zwölfen, es war nicht so, wie ihr denkt. Wir waren auf der Suche nach ihrer Tochter und sind auf den Treppen ausgerutscht. Ich würde mich nie einer Geweihten -  oder irgendeiner Frau - gegen ihren Willen aufdrängen. Und bei Travia, die Robe habe ich ihr nicht aufgerissen!” Die Worte sagte er langsam und kontrolliert und hielt den Blick zu dem Geweihten. Als die Wachen ihn zu greifen versuchten, wich er ihnen erst aus. “Anstatt falsche Schlüsse zu ziehen, solltet ihr euch lieber um die Geweihte kümmern. Das Kind fehlt noch immer.” Nun ließ er sich greifen.  Ungerührt beobachtete der Priester des Kor, wie Oren abgeführt wurde. Um diese Sache würde er sich später kümmern. Dwarosch musste schon bei seiner Ankunft an der Jagdhütte informiert werden. Boringarth, sein Adjutant würde das übernehmen. Außerdem musste der Vogt unterrichtet werden. Dies würde er selbst tun. Zunächst aber wandte Metenax sich erneut an Marbolieb, sprach aber die bei ihr knieende Frau an. “Könnt ihr sie zum Zelt des Oberst geleiten und bei ihr bleiben, bis er von der Jagd zurückkehrt? Es ist das mit dem Banner, auf dem der schwarze aufrechtstehende Kriegshammer auf silbernem Grund abgebildet ist, das Wappen ‘Ingerimms Hammers’. Es steht inmitten des Feldlagers auf dem Platz draußen.

Ich werde euch heißes Wasser, frisches Leinen, Wein und etwas zu Essen bringen lassen. Und selbstverständlich entsende ich Männer, die nach dem Kind suchen werden. Sorgt euch nicht.” “Natürlich, Br.. Euer Gnaden.” Beeilte sich Raxajida dem Diener des Kor zu versichern. Sie besah sich das Häufchen Elend vor sich und befand, dass die Robe doch noch zu gebrauchen war. Jedenfalls bis zu dem Zelt. “Euer Gnaden Marbolieb, ich werde Euch jetzt den Wappenrock richtig anlegen, ja?” Verkündete sie ruhig ihre Absichten. “Aber dafür müsst Ihr aufstehen, schafft Ihr das?” Die Waffenmagd stand nun auf und platzierte sich so, dass sie die Sicht auf die am Boden kauernde Gestalt der Geweihten verdeckte. Marbolieb war so gefangen in Sorge und Schrecken, dass es eine Weile dauerte, bis sie den Sinn der Worte der fremden Frau so weit entschlüsselt hatte, dass sie sich schwankend aufrappelte, eine Hand zur Unterstützung an die Wand hinter sich gepresst. Mit angstvoll aufgerissenen Augen starrte sie in die Richtung ihres Gegenübers, die begann, an dem Stoff, der ihr über die Schultern lag, herumzunesteln. Sie biss sich auf ihre Unterlippe, um jeden weiteren Ton zu unterdrücken, doch das Zittern in ihren Gliedern vermochte sie nicht abzustellen.

“Lasst mich das richten. Mein Name ist Raxajida, ich stehe in Diensten seiner Gnaden Rondradins von Wasserthal zu Wolfstrutz.”  Während sie sprach zog sie die Geweihte, einem Kinde gleich, an. Sie richtete die Robe, drapierte den Wappenrock darüber und fixierte alles, so gut es eben ging, mit der Kordel, welche ursprünglich die Robe geziert und sich beim Treppenfall gelöst haben musste. Jetzt, da sie Marbolieb so nahe war, konnte diese auch den vertrauten Geruch von Weihrauch wahrnehmen, der auch von Rondradin ausging. Marbolieb holte tief und zitternd Luft, noch immer an die beruhigend feste Wand hinter ihr gedrückt. “Meine Tochter.” flüsterte sie mit erstickter Stimme. “Sie ist noch immer da draußen.” “Seine Gnaden hier hat gerade gesagt, dass er nach Eurem Kind suchen lassen wird.” Sie dachte kurz an das Kind, mit welchem Rondradin vorgestern an ihrem Lager vorbei gestürmt war und welches er gestern gar mit ins Lager gebracht hatte. “Heißt Euer Kind Mirla und ist ein rechter Wirbelwind?” Wollte sie nun von Marbolieb wissen. “Mein Herr brachte sie gestern mit ins Lager. Ein aufgewecktes kleines Ding habt Ihr da. Kommt, vielleicht wartet sie ja schon in Eurem Zelt auf Euch.”

Die  Geweihte nickte mit  riesengroßen Augen, mit einem Mal nicht mehr fähig, ein Wort herauszubringen. Sie schluckte mehrmals, und Raxajida sah, wie die Augen der fast kahl geschorenen Frau Augen drohten, erneut überzulaufen. Ihre Knie zitterten und sie stützte sich im vergeblichen Suchen nach Halt mit beiden Händen an dem Mauerwerk hinter ihr ab.

Melisande wollte gerade in Richtung Waschraum - dem echten, wie sie hoffte - abbiegen, als sie das Schluchzen hörte und gleichzeitig den Ruf von Leodegar. Erst war sie versucht, die neuerliche Ablenkung zu ignorieren, denn so bekam sie ja heute überhaupt nichts mehr fertig, aber dann siegte doch die Neugier. “Ich weiß nicht, was da los ist!” rief sie nach oben, während sie gleichzeitig den Ort des Tumults erreichte. Erschrocken blieb sie stehen, als sie der völlig aufgelösten, seltsam gewandeten Frau ansichtig wurde und hätte sich die Hände vor den Mund geschlagen, wenn sie nicht das Kleid der Baronin in diesen gehalten hätte. Da sie nicht weiter nach unten konnte, weil unten auf dem Absatz sich ein ganzer Auflauf von allen möglichen Leuten eingefunden hatte, die teils durcheinanderbrüllten, versperrte sie natürlich auch Leodegar den Weg. Ratlos sah sie sich zu ihm um. “Was ist hier wohl geschehen?” Eine intelligentere Äußerung fiel ihr auf die Schnelle nicht ein.

Mit blitzenden Augen und dem Geräusch herum wirbelnder Schellen wandte sich die kleine Frau, welche sich um die aufgelöste kahlköpfige Frau gekümmert hatte, den Neuankömmlingen zu. Als sie die Zofe mit dem Kleid in deren Händen erblickte, wurde ihr Gesichtsausdruck freundlicher. “Euch schicken die Götter. Sagt, darf ich mir dieses Kleid in euren Händen kurz ausleihen? Ihr bekommt es auch gleich wieder zurück.”  “Was?” Entsetzt und instinktiv presste sie das Kleid fester an sich und wollte einen Schritt zurücktreten, wobei sie an Leodegar stieß, der zu ihr aufgeschlossen hatte. “Wozu? Das ist das Kleid der Baronin von Rickenhausen …” Ihr kamen schon die wildesten Vermutungen, wozu das teure Kleid nun dienen sollte, welche sie sofort aus ihrem Kopf verbannte. Unverständnis lag im Blick der Waffenmagd, als sie Melisandes Worte vernahm. “Aber die Baronin trägt es doch gerade gar nicht und für Ihre Gnaden hier wird es schon gehen.” Raxajida bedachte Melisande mit einem vorwurfsvollen Blick. “Oder soll Ihre Gnaden in diesen Fetzen durch das Lager laufen? Bitte, es wäre nur bis zu ihrem Zelt, dann bekommt Ihr es wieder.”

Noch mehr Streit und Gezänke - und noch mehr fremde Stimmen. Zu viel auf einmal für die kleine Geweihte. Marbolieb spürte noch, wie ihre Knie einknickten, hörte ein Rauschen in den Ohren - und dann herrschte Stille. Gnädige Stille. Die Umstehenden, sofern sie gerade auf die Priesterin achteten, konnten sehen, wie sie entlang der Wand nach unten rutschte und als wirres Bündel aus verschiedensten Stoffen, aus dem zwei nackte, bloße Beine ragten, reglos liegenblieb. Ihre Gnaden? Das war eine Geweihte? Melisande fühlte sich mit einem Mal überfordert, was nicht oft vorkam. Ihr Blick irrte von der Geweihten zu der Frau mit den komischen Zöpfen und zurück, während sie ihre Optionen abwog, doch mehr panisch als mit Bedacht. Doch da knickte die junge Frau vor ihr ein und rutschte zu Boden, was alle Überlegungen obsolet machte. Mit einem erschreckten Kieksen drehte Melisande sich um und drückte dem verblüfften Leodegar das Kleid in den Arm. “Haltet das, Ihr kennt das ja schon!” Dann sprang die Zofe die letzten Treppenstufen nach unten und beugte sich über die offenbar bewusstlose Geweihte, um Atmung und Puls zu prüfen. Beides war noch vorhanden, also sah sie auf und fragte recht drängend in die Runde der Zuschauer: “Was ist hier überhaupt los? Ist sie krank?” Ein klangvolles Kopfschütteln begleitete die Antwort Raxajidas. “Sie ist, auf der Suche nach ihrem kleinen Kind, welches ich im übrigen kenne, weil mein Herr es gestern mit in unser Lager brachte, in Begleitung eines Söldners die Treppe heruntergefallen. Entweder dabei oder weil der Söldner Hand an sie gelegt hat, ist ihre Robe zerrissen. Dem Kind wird es sicherlich gut gehen, ich hatte ja gestern schon das Vergnügen mit dem kleinen Wirbelwind. Herzallerliebst, auch wenn sie sehr viel Gobbihobb will. Ach kennt Ihr eigentlich die Bedeutung des Wortes Daddo? Sie hat es gestern sehr oft für unterschiedliche Personen genutzt. Nein, na gut. Aber wenn doch, scheut Euch nicht es zu sagen. Der kleine Geweihte gerade hat bereits Soldaten ausgeschickt um nach dem Mädchen zu sehen. Die werden sie dann auch zum Zelt bringen. Wo war ich gerade noch? Ach ja, dann noch dieser Menschenauflauf hier.” Sie stand auf und die Hände in die Seite gestützt, wandte sie sich den Schaulustigen zu. “Sagt mal, habt Ihr die Worte Seiner Gnaden nicht gehört? Ihr sollt Euch um euren eigenen Kram kümmern. Verfluchter Ogerdreck noch eins!” Die kleine Maraskanerin konzentrierte sich wieder auf Melisande. “Wo war ich?” Fragte sie in einem freundlichen Tonfall, so als ob gerade nichts gewesen wäre. “Ach ja, das alles, zusammen mit der Sorge um ihr Kind und dem Aufruhr hier, war wohl zuviel für sie.” Sie blickte auf und bezog nun auch den Mann mit dem Kleid auf der Treppe mit ein. “Würdet Ihr mir helfen, Ihre Gnaden in Ihr Zelt zu bringen?” 

Verwirrt versuchte Melisande dem Erguss der Frau zu folgen, aber praktisch, wie sie war, filterte sie alles Unbekannte und Seltsame aus und konzentrierte sich auf das Wesentliche. “Ihre Tochter? Also oben bin ich einem kleinen Mädchen begegnet, das auch schon Hand an das Kleid legen wollte, aber das ist dann gleich wieder woanders hin verschwunden. Ich würde im ersten Stock nach ihr suchen.” Zu Leodegar gewandt meinte sie: “Dann gebt das Kleid bitte wieder her, das brauchen wir ja hier jetzt nicht mehr, wenn Ihr helft, die Geweihte in ihr Zelt zu bringen.” Da stand er nun, angekommen am Fuß der Treppe und inmitten eines größeren Menschenauflaufs, versuchte, sich aus den gesprochenen Worten und dem Gesehenen einen Reim zu machen - und fühlte erneut das Kleid der Baronin von Rickenhausen in seinen Händen. War das nicht die Geweihte, die Wunnemine gestern Nacht so gut zur Seite stand? Umso betroffener war er, als er deren desolaten Zustands gewahr wurde.  Leodegar kam beherzt ganz nach unten und nickte: “Natürlich werde ich helfen, Ihre Gnaden in ihr Zelt zu bringen.” Was er zugleich erkannte, war, dass das Kleid hier in der Tat sehr wohl noch gute Dienste leisten konnte: “Meint Ihr nicht,” flüsterte er Melisande ins Ohr, “es wäre zum Gefallen Eurer Herrin, mit ihrem edlen Kleid, noch bevor es gereinigt wird, dieser armen Dame hier zu einem würdevollen Gang zu ihrem Zelt zu verhelfen?” Dann hob er wieder seine Stimme: “Ich denke, um die kleine Tochter Ihrer Gnaden muss man sich keine größere Sorgen machen - sie war zuletzt gemeinsam mit dem jungen Herrn von Altenberg unterwegs, der recht vertrauenswürdig erschien und sich erkennbar intensiv mit ihr beschäftigt hatte, und mit ihm zusammen ist auch wieder unseren Augen entschwunden. Beide wirkten jedenfalls sehr fidel.” Seine Augen richteten sich wieder kurz auf die Melisandes, während er mit dem Kleid in Händen vor der Geweihten in die Hocke ging: “Würdet Ihr bitte der Geweihten behilflich sein, und sie züchtig hiermit bedecken? - Ich bin hierfür eher nicht der Richtige!” 

“Aber … aber … seht Euch doch nur die Füße der Frau an!” begehrte Melisande auf. Die Geweihte schien es offensichtlich vorzuziehen, barfuß unterwegs zu sein, denn ihre Füße und auch Beine waren bis zum Knie hinauf mit Schlamm bespritzt, “Da braucht das Kleid ja hinterher eine Vollreinigung, wenn das überhaupt wieder rausgeht!” Leider konnte sie nicht damit punkten, dass das Kleid nicht passte. Zwar war ihre Baronin etwas größer als die Geweihte, aber von ebenso schlanker Statur, so dass vermutlich nur der Saum im Dreck schleifte - oh, wunderbar! Ehrlich entsetzt sah sie den Vogt an. “Meint Ihr, dass das bisschen Schmutz eine Rechtfertigung darstellt, eine Dienerin der Götter halbnackt und würdelos durch das Lager zu transportieren?” gab Leodegar leise zurück, darauf hoffend, dass außer Melisande niemand seine Worte genauer verstünde, wollte er die Zofe doch nicht als herzlos bloßstellen. “Vor allem geht es darum, den Oberkörper zu bedecken, vielleicht kann man dann das Kleid auch so reffen, dass es nicht auf dem Boden schleift - Ihr habt da sicherlich eine gute Idee, wie das gehen könnte, nicht wahr?” Ein Räuspern war direkt neben den beiden zu vernehmen und ihnen wurde klar, dass zumindest eine Person alles mitgehört hatte. “Wir können auch die Überreste der Robe oder meinen Wappenrock benutzen um ihre Beine damit zu umwickeln, wenn der Schmutz Eurer größtes Problem darstellt, und mit der Kordel sollte auch alles an seinem Platz bleiben.” Meinte die kleine aber drahtige Waffenmagd, die das Tuscheln mit einem schrägen Grinsen verfolgt hatte. “Eine hervorragende Idee, dann bleibt das Kleid sicher unbeschadet! Am Besten stelle ich mich vor die Geweihte und Euch und schirme Euch vor den Blicken der Umstehenden ab, dann könnt Ihr gemeinsam die Gewandung herrichten!” ging Leodegar auf den Vorschlag der Waffenmagd ein. Dann öffnete er seinen Wams und hielt diesen ausgebreitet vor sich, während er gestreng in die Runde der Umstehenden blickte. Er hoffte, die beiden Frauen würden derweil zur Tat schreiten.

Melisande verdrehte die Augen, ihr war wohl die Initiative irgendwo unterwegs abhanden gekommen. “Tut, was ihr nicht lassen könnt!” rief sie und warf die Arme in die Luft. Natürlich, einer Geweihten würde sie ihre Hilfe - und das Kleid der Baronin - nicht verweigern, aber das hieß nicht, dass sie nicht versuchen würde, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Dann half sie notgedrungen der Frau mit den komischen Zöpfen, die Geweihte in einen halbwegs präsentablen Zustand zu versetzen. Dank der Hilfe der quengelnden Zofe war es ein vielfaches einfacher die Boroni umzuziehen. Die Robe wurde kurzerhand, mithilfe der Kordel, zu einem Unterrock umfunktioniert.  Während der ganzen Zeit murmelte Raxajida leise Worte vor sich hin, die sich, wenn man genau hinhörte, als Geschichten über Bekannte herausstellten, welche schon ähnliches passiert war. Trotzdem fand sie durchaus die Zeit um den Körper des Mannes zu begutachten, wie er so mit dem Rücken zu ihnen stand. Schließlich war es geschafft und die beiden Frauen traten einen Schritt zurück, ihr Werk begutachtend. “Fertig.” “Sehr gut!” lobte Leodegar, der sich nun wieder umgedreht hatte. Mit einem raschen Blick schätzte er das Gewicht der immer noch ohnmächtigen Geweihten, dann erbot er sich: “Würdet Ihr mir den Weg zum Zelt weisen und mich begleiten? - Ich werde Ihre Gnaden dann gerne dorthin tragen.” Wahrscheinlich war dies ohne Trage der einfachste Weg, die geschundene Frau aus dem Treppenhaus und den Augen der Gaffenden zu schaffen. Auffordernd blickte er Raxajida und Melisande an.

Die Zöpfe wippten sacht als Raxajida Leodegar mit einem letzten Blick von oben bis unten musterte und ihm zuzwinkerte. “Natürlich, ich werde nicht von ihrer Seite weichen. Folgt mir, ich führe Euch.” Damit wirbelte sie fröhlich herum, begleitet von einem klingeln. Sie warf Melisande noch einen Blick zu. “Kommt Ihr auch mit? Ich meine nur, wegen dem Kleid.” “Natürlich”, beeilte sich Melisande zu erwidern und folgte eilends. Um nichts in der Welt würde sie das Kleid aus den Augen lassen, das war sie ihrer Herrin schuldig. Leodegar war bereits dabei, vorsichtig die zierliche Geweihte aufzunehmen. Dabei achtete er tunlichst darauf, sie ausschließlich sittsam und an Textil anzufassen. So konzentriert stutzte er nur kurz ob der merkwürdigen Klingelgeräusche der Waffenmagd, erachtete diese jedoch nicht als wichtig genug, um diesen sofort nachzugehen. Bald erhob er sich mit der jungen Frau, die in der Tat ein rechtes Fliegengewicht war, und deutete Raxajida mit einem Blick, dass es losgehen konnte.  So machte sich die kleine Gruppe auf den Weg, bahnte sich eine Lücke durch die Umstehenden, die mal eilfertig, mal langsamer zur Seite traten, und befand sich bald schon außerhalb der Jagdhütte, wo die Sonne wärmend auf die Gesichter fiel, und auch an der Nase der Geweihten kitzelte. In deren Gesicht zuckte ein Muskel, sie krauste die Nase - und nieste schließlich einmal kräftig. Ihre Lider flatterten und verwirrt schlug sie die Augen auf. Wenig verwunderlich blieb es dunkel. Was sie aber spürte, waren kräftige Hände, die sie festhielten und davontrugen, während ihre unbekleideten Schultern von einer verwirrten Brise umspielt wurden - wo war ihre Robe, die sie dort bedeckt hatte? Männerhände, die sie festhielten - sie sog entsetzt die Luft ein, wand sich, um aus dem Griff zu entkommen, woraufhin sie nur noch fester gepackt wurde. Ihr wurde heiß, sie spürte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren rann und ihr Herzschlag davongaloppierte.  “Lasst mich!” schrie sie panisch mit kratziger Stimme und setzte nun erst recht alles daran, um sich mit aller Kraft den übergriffigen Händen zu entwinden. "Beruhigt Euch, Euer Gnaden." Sprang Raxajida dem Vogt bei, zu dem sich bereits die ersten Soldaten umdrehten. "Ihr wart bewusstlos und der hohe Herr hier bot an Euch in Euer Zelt zu tragen. Dort werdet Ihr etwas Ruhe finden können." Beruhigend und sehr schnell redete die ihr bekannte Stimme auf Marbolieb ein.  “Aufhören!” entfuhr es der entsetzten Melisande, als die Geweihte sich in den Händen Leodegars wie ein Aal zu winden begann. Das war keine Behandlung, für die ein solches Kleid ausgelegt war! Die Nähte, die Spitzen! Oh ihr Götter, am Ende war das gute Stück doch ruiniert. Sie versuchte dem Vogt beizustehen und fasste die Frau an den Schultern. “So beruhigt Euch doch, niemand will Euch etwas tun!” rief sie mit Verzweiflung in der Stimme. Die Geweihte schrie auf, als sie die neuen Hände an ihren bloßen Schultern spürte, und versuchte unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte, aus ihrer Gefangenschaft zu entkommen. Sie strampelte und schlug unter Aufbietung aller verbleibender Kraft um sich, blanke Panik in den Augen und im vor Entsetzen verzerrten Gesicht.

“So beruhigt Euch doch!” ächzte Leodegar mehr, als er unter dem Winden und Strampeln sagen konnte. “Euch geschieht kein Unheil, und ich werde Euch ... sogleich … Aua! ... zu Boden lassen!” Unter den ruckartigen Bewegungen war die wohlgeplante Ordnung in der Gewandung der Geweihten bereits in der Auflösung befindlich, aber das war derzeit die geringste Sorge des Vogtes aus Ambelmund. Unter Aufbringung aller Körperbeherrschung versuchte er das zappelnde und schreiende Bündel behutsam auf seine Füße abzusetzen, wollte er die Geweihte doch keineswegs auf den auch hier nicht gänzlich trockenen Boden fallen lassen. Schließlich vermochten ihre Füße den Grund zu berühren, und er entließ sie vorsichtig aus seinem Griff, darauf hoffend, dass diese Stand finden und sich beruhigen würde. Oder dass die beiden Frauen an seiner Seite die Unglückliche im Zweifel stützen und weniger Ängste auslösen würden.

Marbolieb keuchte erleichtert auf, als ihre Füße den Boden berührten, wand sich fort von der letzten Berührung des fremden Mannes, holte aus tiefstem Herzen Luft - und sackte zu Boden, als ihre zitternden Knie unter ihr nachgaben. Mit einem Rascheln aus Seite, Taft und kostbaren Spitzen sank das edle Gewand mit der zierlichen Frau auf den von tausend Schritten zertretenen, feuchten Grund. Als Melisande bemerkte, dass der Vogt die Geweihte zu Boden lassen wollte, ließ sie los und machte einen Schritt zurück. Immer noch kämpfte sie gegen das Entsetzen an, was nun mit dem Kleid der Baronin geschehen mochte, aber langsam drang auch in ihr Bewusstsein, dass die Frau scheinbar völlig durch den Wind war und dringend fachkundige Hilfe brauchte. Hin und her gerissen stand sie da und betrachtete das ‘Schauspiel’, da sank die Geweihte erneut zu Boden. Melisande entfuhr ein heller, eher quiekender Schreckenslaut und sie sprang nach vorne, um die Frau aufzufangen, doch zu spät. Oh weh! Mit zunehmenden Unmut ob des Schauspiels, welches Raxajida hier beobachten musste, kam sie zu einer Entscheidung. Als erstes zog sie Melisande von der Geweihten weg. "Lasst mich kurz mit ihr reden. Ihr verschreckt sie nur noch mehr und dann zerreißt das Kleid." Das es eh zu spät für das Kleid war, verschwieg sie.. Die Waffenmagd kniete sich neben Marbolieb nieder. "Marbolieb, jetzt hört mir mal zu. Wir sollen Euch zu eurem Zelt bringen. Habt Ihr das verstanden? Da Ihr bewusstlos wart, waren wir gezwungen, Euch zu tragen. Also, entweder geht Ihr nun auf euren eigenen Füßen dorthin, oder ich hole zwei Soldaten, die Euch auf einer Trage dorthin schaffen. Und jetzt steht bitte auf. Ihr macht das Kleid, welches Euch großzügigerweise von der Zofe der Baronin von Rickenhausen geliehen wurde, dreckig."  Marbolieb grub ihre Zähne in ihre Unterlippe, verknotete ihre Hände ineinander und nickte schließlich, zum Zeichen, dass sie die Maraskanerin - wie war nochmal ihr Name gewesen? - verstanden hatte. Sie versuchte, die Stoffberge um ihre Knie - was war das alles? - notdürftig zu ordnen und rappelte sich dann mühsam auf, die Hände auf ihre Beine gestützt, die sich alles andere als zuverlässig anfühlten. Wenigstens begrabschte sie dieser seltsame Mann nicht mehr. Doch Mirla war und blieb verschwunden. Sie schluckte und fühlte erneut, wie ihre Kehle eng wurde. Wo war sie nur hingeraten? Was mochte ihr zugestoßen sein? Die Umstehenden bemerkten nur, dass die Geweihte wie festgefroren verharrte, und sich über ihre bloßen Schultern ein Feld aus Gänsepusteln zog, als friere sie an diesem doch so angenehm warmen Sommertag. Als Raxajida sie davonscheuchte, wollte Melisande erst nicht weichen, doch dann gestand sie sich resigniert ein, dass nun sowieso alles verloren war, was das Kleid anging. Sie würde nun still im Hintergrund anwesend bleiben, bis sie das ehemals gute Stück zurückbekam, und dann würde sie retten, was zu retten war - aber als Kleid für die Baronin von Rickenhausen würde es sicher nicht mehr taugen. Sie würde ihr erklären müssen, was vorgefallen war, und musste hoffen, dass die Baronin sie ob der bizarren Geschichte nicht auslachte - oder schlimmeres. Andererseits war sie eine gute Herrin, eigentlich sollte sie nicht allzuviel befürchten müssen. Aber wenn jemand anderes die Geschichte bestätigte, wäre das sicher trotzdem von Vorteil. Ihr Blick fiel auf Leodegar.

‘Wer oder was genau hatte dieser armen Frau so zugesetzt?’ grübelte Leodegar, während er aus wenigen Schritt Abstand, die er zwischen sich und die Geweihte gebracht hatte, die Szenerie beobachtete. In der letzten Nacht noch hatte sie so heilsam auf die bedrückte und innerlich aufgewühlte Wunnemine gewirkt, und nun war sie selbst ein am Boden zerstörtes Bündel. Auf einmal sah er die Augen Melisandes nahezu auffordernd auf sich gerichtet, und jäh wurde ihm klar, was zu tun war. “Ihr habt vollkommen Recht!” nickte er der Zofe der Baronin von Rickenhausen zu. “Lasst uns nicht tatenlos zusehen, sondern der armen Frau helfen - wir werden mit nach ihrer Tochter suchen! Hatten die ausgesandten Soldaten überhaupt einen Hinweis, wo das Mädchen zuletzt gesehen wurde, oder suchen diese auf gut Glück das ganze Lager und den nahen Wald ab? Wahrscheinlich steckt sie noch bei dem jungen Herrn von Altenberg. Zuletzt haben wir sie doch noch im Jagdhaus gesehen, oben an der Treppe … .” grübelte der Vogt für Melisande vernehmbar, willens, den Schrecken der Geweihten wenn irgend möglich bald zu beenden.  Leodegars Worte holten Melisande aus ihren Gedanken. “Was?” entfuhr es ihr wenig elegant. “Aber das Kleid - ich kann doch nicht … ich muss … die Baronin!” Unschlüssig sah sie von Leodegar zur Geweihten und zurück. “Könnt Ihr nicht allein das Kind suchen? Braucht Ihr mich dazu?” Der Vogt durchschaute, dass die Sorge um das kostbare Kleid die Zofe noch immer umtrieb. Ob sie ihm so eine Hilfe sein konnte? Andererseits, wer wusste, wie sehr sie der armen Geweihten noch mit ihrem Kampf um die Teilunversehrheit des Textilstücks zusetzen würde? “Ich muss darauf bestehen, Teuerste! Zu zweit können wir uns auch trennen, falls die Spur sich ausgehend von ihrem letzten bekannten Aufenthaltsort verlieren sollte oder uneindeutig werden sollte. Und vier Augen sehen mehr als zwei.” Dann fügte er doch noch aufrichtig hinzu: “Außerdem müsst Ihr Euch dann das Elend mit dem Kleid erstmal nicht mehr mitansehen.”

“Vielleicht ist es wirklich das Beste, wenn Ihr auf die Suche nach dem Kind geht”, kommentierte Raxajida die Überlegungen der beiden anderen. Dankbar sah sie Leodegar und Melisande an. “Habt Dank für Eure Hilfe.”  Die Geweihte schien auf beide nicht allzu gut zu reagieren. Da war es besser, wenn sie die Geweihte alleine ins Zelt brachte, vorausgesetzt, diese war in der Lage zu laufen. “Also Marbolieb, wollt Ihr selber laufen oder doch lieber getragen werden? Es liegt an Euch.” Melisande seufzte ergeben. Der Vogt hatte ja recht, schlimmer konnte es mit dem Kleid ja wohl kaum noch kommen. Und als auch noch die Frau mit den seltsamen Zöpfen auf sie einsprach, fiel ihr Widerstand in sich zusammen. “Also gut, dann lasst uns nach dem Kind sehen!” beschied sie Leodegar und setzte sich sogleich in Bewegung, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Die Geweihte streckte eine Hand in Richtung der Maraskanerin aus und nickte ergeben. Mit ihrer freien Hand raffte sie den Stoff, der sich um ihre noch immer weichen Knie schlang, um nicht allzusehr darauf zu treten und erneut auf die Nase zu fallen - zum vierten oder fünften Mal an diesem Tage, so genau hatte sie es nicht gezählt.  Raxajida ergriff die Hand Marboliebs, zufrieden damit, wie sich die Sache doch noch halbwegs gut entwickelte. “Dann legen wir mal Euren Arm um meine Schulter und ich halte Euch an der Hüfte, damit Ihr mir nicht nochmal hinfallt, ja?” Es schien sich zu bewähren, der Geweihten jeden Schritt zu erklären, damit diese nicht erneut in Panik verfiel. Gemeinsam entfernten sie sich mehrere Schritte von der Jagdhütte. Irrte sie sich oder war da gerade ein ‘Gobbihopp’ zu hören gewesen? Marbolieb stützend sah sie sich um.

Metenax selbst eilte indes zu den Soldaten vor der Jagdhütte und ließ Boringarth rufen. Ihm schilderte er in knappen Worten was vorgefallen war und was seiner Meinung nach nun zu geschehen hatte.  Der Adjutant ließ umgehend die Reserve der Soldaten antreten und auf die Suche nach dem Mädchen und der Rahjageweihten schicken. Beide sollten schnellstmöglich zum Zelt des Oberst gebracht werden.  Schon wenig später, die beiden Frauen hatten das Zelt noch nicht erreicht, hörten sie Rufe über den Platz hallen und zwergische Soldaten in Zweiergruppen umhereilen. Der Geweihte hielt Wort. 

Elvan und das fremde Kind

Elvan holte tief Luft und genoß die Bergluft des späten Nachmittags. Die kleine Mirla hielt seine Hand und schien sich daran gewöhnt zu haben. Das Mädchen war ziemlich aufgeweckt und sah überall Dinge, die es begeisterten. Ihr Finger zeigte ständig auf etwas, aber es schien, dass sie sich nicht entscheiden konnte, was sie als erstes erkunden wollte. Der Schreiber schaute sich um, betrachtete die Zelte, streifte den Waldrand und suchte ein bekanntes Gesicht. “So, Murla, wo ist das Zelt deiner Mutter?” Die Frage war eher geflüstert, als laut ausgesprochen. 

Über Mirlas Gesicht zog sich ein breites Lachen. “Da!” sie deutete - grob - in Richtung der Wiese. “Gobbihopp, schnell?” fragte sie mit bittenden, riesengroße, kugelrunden und tiefdunklen Augen, in denen nur ein einziger, riesiger Herzenswunsch stand, untermalt von den mit einem Mal bittend emporgereckten Ärmchen des Kindes. “Jetzt - Hopp!” Elvan seufzte. “Na gut. Ich bin aber kein Reitschwein, sondern ein edles Ross!” Er hob sie hoch und setzte sie auf seine Schultern. Mit galoppierenden Schritt wanderte über die Wiese, doch ein aufgeregtes Stimmengewirr von der Jagdhütte ließ ihn sich umschauen. Eine kleine Traube von Soldaten schienen aus der Hütte auszuschwärmen und jemanden zu suchen. Gleich fiel ihm die Boroni auf, die von einer anderen Frau gestützt wurde. Die Verzweiflung der Mutter war ihr groß ins Gesicht geschrieben. “Oh nein, ich glaub’, deine Mutter sucht dich schon verzweifelt, kleine Murla!” Mit schnellen Schritt ging er auf die Traube der Soldaten und die Mutter zu. 

“Gobbihopp!” Dem Mädchen schien die Menschentraube deutlich weniger wichtig als die Aussicht, noch eine Weile auf den Schultern seines edlen Rosses - oder Reitschweines - durch die Gegend zu galoppieren. “Hopp, hopp!” jauchzte das Kind, während seine kleinen, harten Fersen auf die Schultern und die Brust Elvans trommelten. Nicht besonders angenehm - aber von Seiten des Kindes um so mehr begeistert. Als Elvan näher kam, verwunderte ihn das sich ihm bietende Bild. Es war eindeutig die blinde Mutter der Kleinen, aber gewandet war sie in einem herrschaftlichen Kleid. Laut und deutlich sagte er:” Sieh mal kleiner Wirbelwind, da ist deine Mutter!” Erleichtert atmete Raxajida auf, als sie Mirla gewahr wurde, die - wie sollte es auch anders sein - auf den Schultern eines schmucken jungen Burschen saß, der in ihre Richtung deutete. Sie nickte grüßend und wandte sich der Geweihten zu. “Da vorn ist Eure kleine Mirla. Sie hat einen neuen Gobbihopp gefunden und sieht recht glücklich aus, Euer Gnaden. Kommt, lasst uns ihnen entgegen gehen.” Nur noch wenige Schritte trennten Mutter und Tochter. Gerade wollte Melisande mit dem Vogt losziehen, das Kind zu suchen, da wurde es gebracht. Erleichtert hielt die Zofe inne und konnte sich gerade noch beherrschen, bevor sie Leodegar am Ärmel zupfte. Über sich selbst verärgert schüttelte sie den Kopf. Diese ganze Sache brachte sie so durcheinander, dass sie die einfachsten Regeln der Etikette vergaß.

“Wohlgeboren, seht!” rief sie stattdessen und deutete auf den jungen Mann, der sie vorher fälschlicherweise in den Baderaum mit der Baronin von Rabenstein und der Doctora von Altenberg geschickt hatte. Er trug eine ziemlich fröhlich aussehende junge Dame auf den Schultern, Mirla hieß sie wohl, die Frau mit den Zöpfen schien ihren Namen zu kennen. Nun galt es, einen geeigneten Moment zu finden, um das Kleid zurückzuerlangen, aber vermutlich musste sie die zu erwartende Wiedersehensszene erst einmal abwarten ... Marbolieb atmete erleichtert auf und ihr verquollenes Gesicht leuchtete in einem jähen Strahlen auf. “Mirla!” Sie ließ den Stoff los, streckte ihre freie Hand aus und wandte sich in die Richtung, aus der sie das glückliche Kinderlachen vernahm. Dabei wickelte sich der viele Stoff um ihre Beine und unversehens tat sie einen Tritt auf den Saum ihrer eigenen Robe, deren Verschnürung nicht lange gehalten hatte. Sie stolperte nach vorn und nur Raxajidas Griff verhinderte, dass sie erneut den Boden küsste. Schon verwandelte sich die Erleichterung in einen erneuten Guss mit Eiswasser, als die Geweihte auf den Saum der Robe trat und fast wieder gestürzt wäre. Hörte das denn nie auf? Ein unterdrücktes Stöhnen entrang sich ihren zusammengepressten Lippen, sie fühlte sich völlig hilflos, da sie außer Zuschauen nichts tun konnte.  Bevor noch ein weiteres Unglück geschehe, nahm Elvan Mirla von seinen Schultern und reichte es der Mutter. Erst als er sicher war, dass sie die kleine sicher in ihre Arme geschlossen hatte, schaute er verwundert in die Gruppe. “Ich hoffe ich habe hier kein Panik ausgelöst. Die Kleine kam zu mir und wir habe ein wenig mit den Kohlestiften gezeichnet. Allerdings waren wir danach ganz schmutzig. Ich schwöre bei den Göttern, ich wollte sie sauber wieder zu euch zurück bringen. Aber der kleine Wildfang ist ab und zu weggerannt. Ihr geht es aber gut.” sagte er entschuldigend und suchte bestätigen die Blicke der Zofe und des Vogtes.

Marbolieb schlang beide Arme um ihre große Tochter, suchte ihr Gleichgewicht und lehnte sich dabei auf Raxajidas Arm. “Ich danke euch, edler Herr.” flüsterte sie mit heiserer Stimme. Ihre Erschöpfung war ihr überdeutlich anzusehen - eine Sache, die Mirla im Augenblick selig ignorierte. Sie beugte sich, beide Arme ausgestreckt und ihre Mutter damit merklich in Schwierigkeiten bringend, zu Elvan und flehte mit einem herzerwärmenden Blick. “Gobbihopp? Mehr!” “Ich glaube meine kühne Reiterin, dass es genug für Gobbihopp war. Deine Mutter braucht dich jetzt. Morgen können wir wieder ein Ausritt wagen.” , sagte Elvan mit einem Lächeln und strich dem Kind über die Haare. “Und ihr, euer Gnaden, habt euch ja ein schönes Kleid angezogen. Es steht euch äußerst gut!” fügte er bewundernd an. Das Gesicht von Zofe, Vogt und der Kriegerin verzogen sich. Hatte er etwas Falsches gesagt?

Melisande schnappte nach Luft. “Tatsächlich, Euer Gnaden, das Kleid steht Euch ausgezeichnet”, schnappte sie nun in energischem Tonfall, “nur ist es einen halben Spann zu lang und deshalb am Saum schon schmutzig. Und gehört davon abgesehen der Baronin von Rickenhausen, der ich nun beichten muss, dass es ein klein wenig gelitten hat - wenn ich es denn nun endlich zurückbekomme.” Die Zofe hatte die Arme in die Hüften gestemmt und sah besonders Elvan ziemlich empört an, der hatte ihr das alles ja letztendlich eingebrockt, zumindest hatte sie diesen Eindruck. “Und nichts für ungut, Euer Gnaden, natürlich habe ich gerne geholfen, und ihre Hochgeboren wird das alles sicher verstehen, aber wir sollten nun, da sich alles geklärt hat, die Ordnung der Dinge wieder herstellen, meint Ihr nicht?”  Die Boroni senkte den Kopf. “Darf ich euch die Robe in meinem Zelt zurückgeben, Edle Dame, oder wünscht ihr sie sofort?” Ungeschickt hielt sie das greinende Kind (“Gobbihopp! Jetzt!”) auf den Armen und versuchte, es von dem kostbaren Gewand, dem nichtsdestotrotz die Schultern fehlten, fernzuhalten. Deutlich besänftigt kehrte Melisandes Stimme zu ihrer leisen, sanften, normalerweise verwendeten Tonlage zurück. “Natürlich in Eurem Zelt und nicht hier vor allen Leuten, Euer Gnaden!” sagte sie bestimmt. “Soll ich Euch das Kind solange abnehmen?” “Ich kann das natürlich auch gerne übernehmen. Ich und die Reiterprinzessin verstehen uns ja ganz gut.”, bot Elvan an.

Der Vogt von Ambelmund hatte die Wiedervereinigung von Mutter und Tochter derweil ganz still vor Freude  und Erleichterung lächelnd aus dem Hintergrund verfolgt, und das nicht nur, weil ihm dadurch eine vielleicht längere Suche erspart blieb. Nur, warum sprachen schon wieder alle nur über dieses Kleid, das er selbst schon so unverständlich lange durch die Gegend geschleppt hatte? Leodegar war sich durchaus der (auch nur unzureichend verborgenen) Sorge Melisandes gewahr, den Zustand des Stückes später ihrer Baronin beichten zu müssen. Während er Elvan zustimmend zunickte, flüsterte er dieser daher gleichzeitig zu: “Wenn Ihr wünscht, kann ich Eurer Herrin gerne die Umstände und Verwicklungen erklären, in die ihr Gewand geraten ist, und werde gerne auch meine schuldhafte Verstrickung in die Entstehung der aktuellen Lage eingestehen.”

Mit einem Jauchzen warf sich Mirla wieder in Elvans Arme. Ihr triumphierendes “Gobbihopp!” schallte über den Platz, als die kleine Amazone mit beiden Fäustchen in Elvans Haare griff und ordentlich daran zog, um ihr edles Ross gebührend anzuspornen. Sie lachte aus tiefstem Herzen, ihre Freude ein helles, vollkommen sorgloses Strahlen auf dem glatten, feinen Kleinkindergesicht. Angeführt von Ross und Reiter zog die Karawane los.

Das Zelt des Oberst stand inmitten der in Reih und Glied angeordneten Militärzelte seiner Einheit. Deutlich war es an der Standarte des Regiments, einem schwarzen, stehenden Kriegshammer auf weiß, zu erkennen, die sich stolz vor ihm gen Himmel reckte. Auch in seinem Innern verriet es militärischen Drill und Präzision - in einer Ecke stand auf einem Holzgestell die Paraderüstung des Oberst. Ein großer und im Augenblick bis auf einen vollen Wasserkrug, eine Schale und einige Becher leerer Tisch auf Zwergenhöhe nebst zwei Bänken bot Platz für Karten und Besprechungen, und über einer von drei großen Truhen, die sich an der Zeltplane aufreihten, lag ein dicker, klobig aussehender Pelzmantel. An einem - ebenfalls für einen Zwergen dimensionierten - hölzernen Waffenhalter hingen großer Rundschild, zwei Kriegsbeile, ein Spieß, sowie eine große Doppelaxt, dessen Blatt zwar sehr scharf aussah, aber wohl schon einige Schlachten gesehen hatte. 

Eine lose Zeltplane spannte einen Teil des Innenraums ab, hinter dem ein nicht übermäßig breites Feldbett und eine weitere Truhe hervorlugten.  Ganz und gar nicht zu der peniblen Ordnung passte ein ordentlicher Haufen Tannenzapfen, eine Holzschüssel und ein hölzerner, etwa anderthalb Spann langer Stecken, die ausgehend von der Ecke hinter dem Feldbett sich mittlerweile weit über den Fußboden verteilt hatten. “Tapfen!” erklärte die kleine Besitzerin denn auch voller Stolz und begann energisch zu wibbeln, um zu ihren Schätzen zu gelangen. Das edle Roß schien für’s Erste ausgedient zu haben.

Die Borongeweihte seufzte erleichtert auf, als sie die bekannte Umgebung ertastete, und fasste nach dem Wasserkrug, um sich die schmutzigen Hände und Füße zu reinigen. Ihre Hände zitterten, als sie den großen, sicher zwei Schank fassenden Krug anhob, und einige Wassertropfen spritzten auf den Ärmel des kostbaren Gewandes. Marbolieb fühlte, wie ihr der Krug aus den Händen genommen wurde. “Lasst mich das machen. Wollt Ihr etwas trinken?” Es war die sanfte Stimme Raxajidas die sie direkt neben sich wahrnehmen konnte. Noch bevor die Geweihte antworten konnte, hatte die Maraskanerin ihr bereits einen Becher voll Wasser eingeschenkt und ihn ihr gereicht.  “Ich möchte meine Hände und Füße waschen.” Die Stimme der kleinen Boroni war nicht mehr als ein Flüstern. Die Zofe würde ihr vermutlich den Kopf abreißen, wenn sie nun noch einen zusätzlichen Schmutzfleck auf dem kostbaren Gewand hinterließe, ehe sie dies wieder ihrer rechtmäßigen Besitzerin zurückgäbe. Sie holte tief Luft, ehe sie sich in die Richtung wandte, in der sie ihre ganzen Begleiter im Zelt vermutete, und mit schwankender Stimme ansetzte. “Ich danke euch allen sehr für Eure Hilfe. Bitte entschuldigt, dass ich euch solche Mühen bereitet habe. Es war ein Fehler, derart die Fassung zu verlieren.”   Mit etwas Mühe löste sie ihre Hände, die sich fast von selbst wieder zu einem Knoten geschlungen hatten.

Raxajida war versucht Marbolieb - einem Kinde gleich - den Kopf zu streicheln um sie zu beruhigen. Stattdessen sagte sie ruhig: “Natürlich, ich werde Euch gleich eine Waschschüssel bereiten.” Dann wandte sie sich den beiden Männern im Zelt zu. “Meine hohen Herren, Ihr habt Ihre Gnaden gehört. Bitte verlasst das Zelt, damit sich Ihre Gnaden waschen und umziehen kann.” Sie sah Leodegar und Elvan auffordernd an. Dann ließ sie ihren Blick über die Inneneinrichtung wandern. Wo bewahrte die Geweihte wohl ihre Wechselkleidung auf, in einer der Truhen? “Euer Gnaden, wo kann ich Eure Ersatzgarderobe finden?”

Justament zu diesem Zeitpunkt kamen zwei der Laufburschen des Regiments mit einem Krug heißen Wassers und einigen Leintüchern über dem Arm sowie einem von einem Tuch überdeckten Tablett, das verheißungsvoll nach Essen duftete, so wie es der Korgeweihte versprochen hatte. Die beiden blickten die vielen Leute, die sich im Zelt des Oberst drängten, neugierig an, setzten aber diensteifrig ihre Last ab und zogen sich wieder zurück. Die Borongeweihte lauschte mit schiefgelegtem Kopf, bis es wieder etwas ruhiger geworden war (unterbrochen durch ihre Tochter, die mit einem glücklichen “Gobbihopp! Tapfen!” ihre Schätze Elvan und Leodegar präsentierte) und wandte sich dann an Raxajida. “Die müsste auf dem Bett liegen, edle Dame. Ich suche sie.” Hastig wischte sie sich die Hände sauber, raffte das kostbare Kleid, damit ihm nichts geschehe, und machte Anstalten, aufzustehen. Melisande versuchte ihre Ungeduld zu bezähmen. Sie hatte dem Vogt noch ein erfreutes “Habt Dank, Wohlgeboren!” zugerufen, bevor dieser aus dem Zelt gescheucht wurde und sich dann außer Reichweite der anderen Frauen an den Rand des Zelts platziert, wo sie alles überblicken konnte und ggf. auch in der Lage war, einzugreifen, sollte ihre Hilfe beim Ausziehen des Kleides gefordert sein. Doch immer gab es noch etwas anderes zu erledigen, und kaum hatte sich die Geweihte gesetzt, sprang sie auch schon wieder auf, mit nicht sehr sauberen Händen in das Kleid fassend. Innerlich stöhnte Melisande erneut auf, doch sie beherrschte sich weiterhin eisern, fürchtete sie doch, dass jedwede weitere Intervention ihrerseits den Prozess der Kleiderrückgabe noch weiter verzögern würde. 

Die Boroni rappelte sich unsicher auf, stützte sich mit einer Hand am Tisch ab und streckte diese dann grob in Richtung der abgeteilten Schlafstelle, ehe sie sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten vorantastete.  Sie verschwand hinter der Zeltplane und kam kurze Zeit später zurück, ein Kleidungsstück aus einfachem, ungebleichten Leinen auf dem Arm. Auch dieses wies schon einige Flickstellen auf. Sorgfältig legte sie es auf der Bank neben sich ab und machte sich nun endgültig daran, Hände und Füße gründlich zu reinigen, ehe sie wieder Melisandes Gewand berührte und nach der Schnürung auf dem Rücken tastete.  Um den Hals trug die Geweihte eine Kette aus kunstfertig ineinander verwobenen achteckigen Gliedern mit einem gleichfalls achteckigen, mit zwergischen Runen gravierten Anhänger, der sich an ihren Halsansatz schmiegte. Sie begann, mit dem Verschluss zu kämpfen, aber es war deutlich, dass sie keinerlei Übung hatte, ein solch elegantes Gewand, das noch dazu nicht dazu gemacht war, es allein anzuziehen, wieder abzulegen.

Als Marbolieb endlich, endlich Anstalten machte, das Kleid aufzuknüpfen, sprang sie voll Erleichterung und Eifer hinzu. “Lasst mich das machen, Euer Gnaden, kein Grund, Euch abzumühen!” Sanft nahm sie die Hände der Geweihten von der Verschnürung und löste diese schnell und effektiv - obwohl sie vorher nicht sehr ordnungsgemäß von der Frau mit den Zöpfen angebracht worden war. Zum Glück hatte diese aber keinen unentwirrbaren Knoten hineinfabriziert, man war ja mittlerweile schon für kleine Dinge dankbar. Als die Verschnürung offen war, half die Zofe Marbolieb, das Gewand vorsichtig nach oben abzustreifen, dann hatte sie ihren - mittlerweile arg ramponierten - Schatz wieder in den Händen. Sie wusste es nicht genau, denn sie war bei der Bezahlung des guten Stücks nicht zugegen gewesen, aber sie hatte die Baronin einmal davon sprechen hören, dass das Kleid vierzig Dukaten gekostet hätte. Ihr wurde schon wieder ganz anders, wenn sie an das fällige Gespräch mit der Baronin dachte. Sie würde auf jeden Fall den Vogt Leodegar hinzuziehen, ja, das würde sie. 

Der war bereits im Rückzug begriffen, hatte er doch erkannt, nachdem er der Gruppe ohnehin nur bis kurz vor dem Zelt gefolgt war, dass er hier außer im Wege zu stehen wenig ausrichten konnte. Er nickte Elvan und Mirla nochmals freundlich lächelnd zu und machte Anstalten, sich gemächlichen Schritts zum Jagdhaus zurück zu begeben. Elvan wartete mit Mirla vor dem Zelt. Während er mit ihr spielte dachte er immer wieder nach.´Was ist da passiert? Alles äußerst merkwürdig.´  Indes half Raxajida der Geweihten in ihr “neues” Gewand. Sollte es nicht eine Robe und vor allem schwarz sein? Hatten Geweihte nicht normalerweise mehr als nur ein Ornat? Jedenfalls hatte sie das angenommen, war es doch bei ihrem Herrn so, dass er gleich mehrere Amtstrachten dabei hatte. Sie sah zu Melisande hinüber, welche gerade das Kleid ihrer Herrin an die Brust drückte. Dieses schien der Zofe wichtiger zu sein, als die für eine Borongeweihte, völlig unübliche Kleidung. “Sagt, Euer Gnaden, habt Ihr keine andere Robe, wie sie bei euch üblich sind?” Raxajida konnte sich nicht helfen, aber sie fühlte sich gerade wie ein Kindermädchen. Eigentlich sollte sie auch mal nach dem jungen Palinor sehen. Er war schmollend losgezogen, nachdem Rondradin ihm verboten hatte, mit auf die Jagd zu gehen.   Das leinene Hemd ging der Boroni gerade einmal bis an die Knie und die Ellbogen. Sie nestelte die Reste ihrer Robe frei und breitete den malträtierten Stoff auf dem Tisch aus, achtsam mit den Fingerspitzen darüber streichend. Beim Umziehen waren einige lange, dunkle Narben, die sich quer über ihre Brust und ihren Bauch sowie ihren rechten Arm zogen, zutage gekommen. Was auch immer sie verursacht hatte, musste Pranken wie die eines sehr großen Bären besessen haben.  “Ich danke euch sehr, edle Dame. Und ich hoffe, das Gewand ist nicht zu arg in Mitleidenschaft gezogen.” setzte sie zu Melisande gewandt hinzu.  “Gewiss habe ich eine weitere Robe. Aber die hat heute morgen einer der emsigen Dienstleute abgeholt, um sie zu reinigen. Bis heute Abend ist sie sicher wieder sauber.”  Die Geweihte suchte nach einer kleinen Umhängetasche, die an der Wand neben einer Truhe lehnte, und stöberte mit geschickten Fingern darin, ehe sich ein kleines Säckchen hervorbrachte, das Faden und Garn enthielt. “Ich will euch nicht länger über Gebühr von euren Pflichten abhalten, edle Damen. Aber könnte mir noch jemand helfen, den Faden einzufädeln?” Sie blickte hoffnungsvoll in die Richtung der beiden, und hob mit merklich zitternden Händen ihr Nähzeug.  Die Waffenmagd seufzte, nahm Marbolieb das Nähzeug ab und führte sie zu der nächstgelegenen Sitzgelegenheit. “Setzt Euch, Ihr müsst zur Ruhe kommen.” Dann setzte sie sich neben Marbolieb und nahm diese vorsichtig in den Arm. “Um eure Robe kümmern wir uns zu gegebener Zeit.” Sanft und mitfühlend war ihre Stimme, ihr Herr wäre stolz auf sie. Gefügig ließ sich die Boroni wieder zu der Bank leiten und ertastete mit den Fingern ihre ausgebreitete Robe. Liebevoll strich sie über den ergrauten Stoff. “Ich habe sie zu meiner Investitura in Punin erhalten.” erklärte sie leise. Sie hielt ihre Hand auf. “Das Flicken schadet mir nicht.” Ihre Finger zitterten noch immer. “Das meinte ich nicht. Ihr habt heute einige Aufregung erfahren und solltet nun, da Ihr und Eure Tochter in Sicherheit sind, ein wenig zur Ruhe kommen.” Raxajida streichelte aufmunternd den Oberarm Marboliebs, während sie bedächtig auf die Geweihte einredete. “Legt Euch ein wenig hin, es wird Euch gut tun. In der Zwischenzeit flicke ich Eure Robe.” ‘Soweit dies noch möglich ist’, setzte Raxajida in Gedanken hinzu, als sie zweifelnd auf die Überreste der einstmals schmucken Robe blickte. Die Waffenmagd warf Melisande einen fragenden Blick zu, auf ihre Expertise zu dem Thema Robenflicken wartend.  “Das könnt ihr unmöglich tun, edle Dame!” protestierte die Geweihte leise. Raxajida spürte, wie Gänsepusteln über die Haut der Frau wanderten. “Ich habe schon viel zu viel von eurer Zeit beansprucht. Außerdem schickt sich das nicht - ihr seid nicht meine Dienstmagd.” Sie zog ihre nackten - und nun wieder leidlich sauberen - Füße unter ihren Körper und rieb sich über die bloße Haut ihrer Unterarme. “Ihr habt recht, ich bin nicht eure Dienstmagd. Aber ich gehöre zum Gefolge des Rondrageweihten Rondradin von Wasserthal zu Wolfstrutz und der würde mich schelten, wenn ich Euch jetzt nicht helfen würde”, schob Raxajida den Protest Marboliebs einfach beiseite. “Wenn Ihr es wünscht und es euch dabei besser geht, dann nehme ich die Robe zum Flicken mit zu unserem Lagerplatz und bringe sie später wieder zurück.” Auf dem Wege könnte sie auch nach Palinor schauen, nicht dass der Bursche sich in der Zwischenzeit noch irgendeinen Ärger einfing. “Aber Ihr solltet Euch nun endlich ausruhen und vielleicht ein wenig schlafen.”  “Wenn ihr mir helfen mögt, edle Dame, würdet ihr den Faden für mich einfädeln? Aber ich kann nicht zulassen, dass ihr mir meine Sachen flickt.” widersprach die Boroni, leise, aber entschieden. “Vielen Dank dennoch für euer sehr großzügiges Angebot. Doch wenn euch die Zeit drängt, mögt ihr gerne wieder zu den Euren gehen - ich verspreche, dass ich mich hier ausruhe.” beschwichtigte die Geweihte. “Könntet ihr den Herrn, der meine Tochter trägt, bitten, sie zu mir zu schicken?” Für Marbolieb unsichtbar, aber sehr wohl für Melisande sichtbar, arbeitete es im Gesicht der Kämpferin, ob dieser Sturheit, die selbst einen Zwerg zur Verzweiflung treiben konnte. “Wie Ihr wünscht, Boron mit Euch.” Marbolieb konnte spüren, wie die Waffenmagd neben ihr aufstand und anhand des sich entfernenden Schellenläutens, war sie sich sicher, dass Raxajida nun das Zelt verlassen hatte.  Marbolieb lauschte den verklingenden - erbosten - Schritten. Sie schüttelte den Kopf und versuchte herauszufinden, ob die zweite Dame ebenfalls beim Gehen war. Das vermutlich ruinierte Kleid tat ihr leid - auch wenn sie sich noch immer fragte, wieso sie überhaupt in dieses gesteckt worden war. Immerhin war es nun wieder in Händen seiner Besitzerin - oder zumindest deren Begleiterin. Melisande seufzte zum wiederholten Male. Dann sah sie sich um, um einen halbwegs sauberen Platz für das Kleid zu finden. Sie wählte eine der Bänke, denn der Waffenständer sah ihr zu ölig aus, und legte dort das Kleid ab. “Lasst mich mal.” Damit nahm sie der Geweihten Nadel und Faden aus den zitternden Finger und fädelte den Faden mit einer sicheren Bewegung ein, dann drückte sie die Nadel Marbolieb wieder vorsichtig in die Hand. “Ich würde Euch raten, Euch zuerst auszuruhen und dann zu nähen. Wenn Ihr weiter so zittert, wird das nichts mit dem Nähen. Ihr hättet das Angebot der Frau annehmen sollen. Aber ihr scheint mir ein wenig stur, also will ich nicht länger mit Euch diskutieren und überlasse Euch der gewohnten Umgebung.” Melisandes Stimme hatte die ganze Zeit sanft wie meistens geklungen, nur der Hauch eines Vorwurfs war zu erahnen. “Aber ich muss jetzt wirklich gehen, diese ganze Sache hat mich schon viel zu lange aufgehalten.” Und das Kleid der Baronin ruiniert. “Boron zum Gruße!” Damit nahm die Zofe das Kleid wieder auf und machte, dass sie aus dem Zelt kam, bevor noch etwas sie davon abhielt. “Danke” flüsterte die Geweihte der davoneilenden Frau hinterher. Was hatte sie getan, um die Zofe derart in die Flucht zu schlagen? Aber vermutlich fürchtete sie  - nicht ganz zu unrecht - um ihr Gewand und hatte genug andere Dinge zu verrichten, als dass sie sich hier langweilen würde.  Marbolieb ergriff die Nadel und richtete das Gewand, so dass die Risse am Halsausschnitt aneinanderstießen, und versuchte die Nadel durch den Stoff zu stechen, um sie für später zu fixieren. Nach drei Versuchen, darunter einem kräftigen Treffer in ihre Fingerspitze, stak sie einigermaßen dort, wohin sie sollte. Sie steckte den blutenden Finger in den Mund, sog daran und tastete sich in Richtung des Zelteinganges, wovor hoffentlich  immer noch der gutwillige Finder Mirlas wartete. 

Vor dem Zelt genoss Mirla den unerwarteten Spielgefährten. “Mehr Gobbihopp?” Fragend, in jeder Hand einen Zapfen, grinste sie Elvan an. Eine sichtlich entnervte Raxajida trat vor das Zelt und sah zu den beiden herüber. Sie zwang sich zu einem Lächeln. “Ihre Gnaden würde gerne ihre Tochter bei sich haben. Bringt Ihr sie ihr?” Zum Abschied strubbelte sich das Haar Mirlas, dann machte sie sich auf den Weg. Elvan war ganz froh, den er hatte langsam genug davon ein Ross zu spielen. Er führte die Kleine ins Zelt. Es war schön Mutter und Tochter wieder vereint zu sehen. “Kann ich noch etwas für euch tun, euer Gnaden? “ fragte er, obwohl er hoffte, endlich gehen zu können.  Die Geweihte schloss ihre protestierende Tochter mit einem erleichterten Seufzen eng in ihre Arme und hielt das sich windende Kind fest. Der arme Mann klang erschöpft - und auch begierig danach, an einem anderen Ort zu sein. “Ich komme allein zurecht, vielen Dank.  Und auch vielen Dank euch, dass ihr euch so gut um sie gekümmert habt.”  “Jederzeit, euer Gnaden!” Elvan winkte der Kleinen zum Abschied und verließ dann das Zelt. Plötzlich kam ihm eine Idee, wie er der Geweihten in Zukunft helfen könnte. Marbolieb lauschte den sich entfernenden Schritten und strich über das feine, weiche Haar ihrer Tochter, die recht energisch danach verlangte, zu Boden gelassen zu werden, um weiter zu spielen. Die Geweihte schüttelte den Kopf. “Nein, mein Schatz.” Dann wäre das Kind wieder deutlich schneller auf Abenteuer, als sie es einfangen konnte - so dicht ließ sich das Zelt fast nicht verschnüren. Sie suchte auf dem Tisch, bis die die Platte mit verschiedenen Leckereien fand, die ihr der Knecht gebracht hatte. “Hast Du Hunger?” Das würde sie sehr begeistert ablenken.  Die Boroni rieb sich mit ihrer freien Hand die Augen und unterdrückte ein Gähnen - die vergangene Nacht und die Aufregung forderte ihren Tribut, auch wenn sie alles daran setzen würde, nicht wieder einzunicken - damit hatten die Verwicklungen heute morgen angefangen. “Dingel!” verkündete ihre Tochter glücklich, als sie in der reichhaltigen Auswahl einen Schmalzkringel entdeckt hatte und sich diesen mit beiden Händchen zugleich in den Mund stopfte. Was sie anbelangte, hätten alle Mahlzeiten hier daraus bestehen dürfen!

Beziehungsrat einer Rahjani

“Was meinst du, Kleine ?” Auch Rahjania war gerade dabei etwas zu wählen, was sie nicht kannte und was vielversprechend aussah. “Ach, du bist die …” Wie hieß sie gleich wieder? “Schwester, euer Gnaden… ich bin es, Rahjania.” Sachte berührte sie Marbolieb an der Schulter. “Dwarosch ist auf der Jagd, oder?” “Ja, Hochwürden.” Die Boroni sah ziemlich mitgenommen aus, nicht nur, dass sie statt ihrer Robe nichts als ein einfaches, kurzes weißes Leinenhemd trug, dazu eine sich an ihren Hals schmiegende Kette aus massivem Silber, offensichtlich eine Zwergenarbeit. Vielleicht hatte sie hier, im Zelt des Oberst, keinen weiteren Besuch erwartet. Marboliebt bemerkte das interessierte Schnuppern der Hochgeweihten in Richtung der Speisen, an denen sich Mirla begonnen hatte, sehr vergnügt gütlich zu tun. “Bitte bedient euch doch. Ich weiß nicht, ob es hier Wein gibt … aber seid mein Gast.”

Sie schwieg einige Augenblicke. “Ihr wart es, die gestern mit dem Oberst getanzt hat, nicht wahr? Möchtet ihr hier auf ihn warten?” Ihrer Stimme konnte man die mühsame Beherrschung, die hinter ihr stand, anhören. Sie senkte den Kopf, fasste mit einer Hand ihr Kind fester und schob die zerrissene Robe, die samt Nähzeug auf dem Tisch neben den Speisen lag, vorsichtig zur Seite. „Ich bleibe gerne etwas hier, wenn Ihr nichts dagegen habt.“ Kritisch und sorgfältig musterte Rahjania Marbolieb und das Zelt. „Und ja, ich habe gestern mit ihm getanzt. Hat er mein Geschenk schon benutzt?“ Sie berührte die zierliche, hübsche Frau an der Schulter und dirigierte sie so sachte auf die Bank. „Ich habe Zeit … .“ Marbolieb tat ihr leid. „Kann ich etwas helfen oder mich um die Kleine kümmern? Oder einfach nur reden? Verzeiht, in meinem Dorf in Weiden geht es Vielen nicht gut und Ihr erinnert mich an manche von ihnen. Am liebsten würde ich Euch zu mir in den Tempel mitnehmen. Ruhe, Entspannung … dann fühlt man sich gleich besser. Und etwas wärmere Kleidung hilft. Glaubt mir, da kenne ich mich aus. Ich habe hier im Norden genug gefroren und unterschätze das nicht.“ Das Zelt erzählte viel von der Bewaffnung und Aufgabe seines Besitzers. Der einzige Hinweis auf das Kind und die Frau war ein Hügel aus Zapfen in einer Ecke, der inzwischen begonnen hatte, sich über den gesamten Boden auszubreiten. “Nein, Hochwürden, aber er hat mir davon berichtet.” Die Stimme der kleinen Frau war leise und unbeteiligt flach. “Könnte ihr vielleicht ein Auge auf meine Tochter haben, damit sie sich nicht wieder davonmacht?” Im Augenblick war deren Aufmerksamkeit aber gänzlich von den Köstlichkeiten auf dem Tablett, das im Zelt auf einem Tisch stand, gefesselt. Die Geweihte hielt ihre Tochter mit energischem Griff, sichtlich fest entschlossen, das Kind auf gar keinen Fall wieder aus ihrer Nähe zu lassen. “So eine Art Leine mit Geschirr, oder ein kleiner Stall wäre vielleicht hilfreich …” Rahjania hatte nur am Rande Erfahrung mit Kindern gemacht und hatte nicht vor, je selbst welche zu bekommen. “Ich habe selten mit fluchtgefährdeten Personen zu tun, aber das wäre eine nette Aufgabe für die Herren hier, die gerne basteln.” Ihr Blick fiel auf den Haufen im Eck des Zeltes “Was bei den Göttern ist das denn? Äh, ja natürlich passe ich auf.” “Was meint ihr?” Verdattert lauschte die Boroni, was ihre Schwester im Glauben so erstaunte, konnte aber nichts feststellen. “Hier habt ihr Mirla.” hob sie die Kleine hoch. “Vielen Dank.” Sie tastete nach dem Stoff und dem Nähzeug und offenbarte dabei jeweils eine lange, deutliche Narbe an ihren Unterarmen. Dessen vollkommen ungeachtet richtete sie die malträtierte Robe und begann vorsichtig, den Stoff wieder einigermaßen passend zu nähen - mit einer recht eigenwilligen Methode, die Rahjania eher bei einem Medicus als bei einem Schneider erwartet hätte.

Rahjania stutzte, runzelte die Stirn und beschloss, mit klaren Worten zu sprechen. In der Zwischenzeit stellte sie sich hinter Mirla. Einerseits, um etwas von den Naschereien zu probieren, andererseits verringerte dies das Risiko, dass das Kind wieder flüchtete. „Marbolieb ...“ begann sie mit wohlklingender Stimme zu reden. “Um ehrlich zu sein irritiert mich dieser Haufen da im Eck, und ich werde Dwarosch schelten. Er sollte Euch nicht so unbehaglich anziehen, ihr müsst frieren. Mein Geschenk, meinetwegen, soll er es tun. Ist das nicht der Fall, werde ich ihn mit meinem Kumpel aus  Weiden vermöbeln.“  Jetzt sah sie der jungen Frau in die Augen — hübsch, dachte da sollte man etwas machen können, aber später … . “Eure Arme. Hm. Mir scheint, als hättet ihr schwere Zeiten hinter euch.“

“Bitte, Hochwürden, lasst Oberst Dwarosch in Frieden. Was hat er euch getan, dass ihr meint, er verdiene eure Schelte?” Marbolieb blickte auf einen Punkt an der Zeltplane irgendwo rechterhand der Rahjageweihten, zog die Schultern zusammen, als friere sie, fasste in den weichen, vertrauten Stoff ihrer Robe und trieb vorsichtig, darauf bedacht, nicht wieder in ihrem Finger zu enden, die Nadel durch den Stoff. “Ich hatte mich erschreckt.” setzte sie schließlich mit leiser Stimme, der die mühsame Selbstbeherrschung deutlich anzumerken war, hinzu. Rahjania nahm Marbolieb an beiden Schultern und hielt sie sicher. „Mag sein, dass mir die Angroschim einfach zu fremd sind, aber er hat von euch als sein Weib gesprochen. Und um die Seine kümmert man sich und lässt sie nicht blind, frierend und mit einem neugierigen Kleinkind Kleidung nähen.“ Sie schüttelte den Kopf. Die arme Boroni hatte anscheinend schon beim Vater des Kindes Pech gehabt. Da täte ihr ein fürsorglicher Mann mit dem Blick für das Wesentliche gut. „Wie könnt ihr überhaupt nähen, ohne zu sehen?“ In Gedanken ging Rahjania schnell ein paar geeignete Männer durch, es würde aber wohl genügen, Marbolieb selbstbewusster in ihrer Rolle als Frau zu machen. “Ich kann ihm doch die Teilnahme an der Jagd nicht verbieten - und würde es auch nicht. Sollte er die ganze Zeit neben mir sitzen?” Energisch jagte Marbolieb die Nadel in den Stoff, bremste sie mit ihrem Finger und steckte ihn sich mit gerunzelter Stirn in den Mund. “Ich habe diese Robe zu meiner Investitura erhalten.” erklärte sie geraume Zeit später und strich liebevoll über den mitgenommenen Stoff. “Ich fühle, wo der Riss ist.” Dass die Naht weder hübsch noch besonders gerade würde, wusste sie auch. “Der Oberst hat vor anderthalb Götterläufen für mich mit einer Paktiererin, die mich entführt hatte, und zwei Dämonen gekämpft -  wäre er nicht gewesen, wäre ich nicht hier.” stellte sie sachlich fest. “Er hat mich und Mirla damals bei sich sich aufgenommen und kümmert sich seitdem um uns. Beides hätte er nicht tun müssen. Ich würde es ihm schlecht vergelten, wenn ich nun verlangte, dass er mir auf Schritt und Tritt die Hände hält, denkt ihr nicht auch?”

Die Rahjani seufzte. „Doch nicht auf Schritt und Tritt… er sollte sich mehr kümmern. Aber lassen wir das gut sein, Kleine, ich werde nichts sagen.“  Schnell schnappte sie Mirla, die einer Katze nachlaufen wollte. „Marbolieb, eine Frage. Bist du so glücklich mit deinem Leben? Denk nach.“ Marbolieb legte Nadel und Stoff beiseite und schlang ihre Arme und ihre Schultern. Sie schluckte, mehrmals, und schüttelte den Kopf, während in einer Flut von Tränen alle aufgestauten Gefühle aus ihr herausbrachen. “Es geht mir so gut hier, und ich werde von Topaxandrina über die Maßen verwöhnt.” schluchzte sie. “Und Dwarosch müht sich sehr um mich und ist von Herzen gut zu mir. Und ich vergelte es ihm auf so schäbige Weise. Und dann kam auch noch der lüsterne Söldner heute..” Sie holte zitternd Luft und begann nun ernsthaft zu weinen. Rahjania barg sie sanft und sicher in ihrer Umarmung. Marbolieb könnte sich in weichen Stoff und zarte Haut quasi fallen lassen, sie wurde gehalten, umhüllt von dezentem aber anziehenden Duft nach Rosen. Erst hielt die junge Tulamidin das zierliche Geschöpf und strich ihr wortlos über Kopf und Rücken. Warm, liebevoll. „Welcher Söldner? Hat er Euch ausgenutzt oder Unrecht getan?“ Unterdrückter Zorn und aufwallende Wut drängten sich in die sonst so melodische Stimme. „Erzähl es mir. Ich passe auf dich auf. Ist dir sowas schon mal passiert? Hat sich gar der Vater deines Kindes — es muss im Krieg gewesen sein— an dir vergangen?“ Marbolieb schluchzte und schmiegte sich in die liebevolle Umarmung Rahjanias. Einige Augenblicke lang genoss sie einfach die warme, sichere Geborgenheit in den Armen der wunderschönen Dienerin der Lieblichen. Die Priesterin des Schweigsamen roch nach Kernseife und dem Staub des Lagers - und nach ausgemachter Verzweiflung.  Schließlich schüttelte sie den Kopf und schniefte. “Der Söldling wollte mir helfen, meine Tochter zu suchen. Das war meine Schuld. Ich bin auf der Bank vor der Jagdhütte eingeschlafen und habe nicht aufgepasst - da ist sie davongelaufen. “ Sie holte tief Luft und wischte sich mit der Nase über ihren Ärmel.  “Er hat das helfen wohl falsch aufgefasst - ich kann sehr gut gehen, ohne eng umarmt zu werden.” Die Geweihte schluckte. “Ich bin erschrocken und die Treppe heruntergefallen - mit ihm, da er mich festgehalten hat. Und auf ihm gelandet.” Sie wurde puterrot. “Er hat mich geküsst, und meine Robe zerrissen - und wenn er keine Beinkleider getragen hätte, hätte er … ” Sie verstummte verschämt und senkte ihren Kopf, der mittlerweile hochrot geworden war,  während Gänsepusteln über ihre bloßen Arme wanderten. Marbolieb konnte es nicht sehen, doch Rahjania war innerlich zornig, hatte sich aber körperlich gut im Griff, nichts sollte die Behaglichkeit stören. “Wer war es? Dem werde ich die Leviten lesen, mir seinen Namen merken und ihn strafen. Keine Sorge, es wird gut werden, aber du musst wissen, was du willst und nicht im Schatten anderer leben, deren Kinder aufziehen und dich aufopfern. Bleib bei Dwarosch, wenn er dir gut tut.” sie schwieg kurz versonnen. “Wenn es keinen Ausweg gibt, oder du eine Möglichkeit zur zeitlich begrenzten Flucht brauchst, so komm zu mir. Wargentrutz in Weiden. Es ist gefährlich dort, aber glaub mir, die Männer sind anders. Bodenständig, ehrlich, einfach gute Kerle, die auch wissen, wann man richtig zuhaut und wann man sich um seine Frau kümmert.” Ja, das erwähnte sie nicht, was sie dort gelernt hatte .. sie hatte keine Scheu, einen Mann, oder eine Frau, die sich unrecht verhielt, zu züchtigen. Und sollten die meinen, sie sei wehrlos, sollten sie es nur glauben. “Oren heißt er.” Sie schniefte und hielt sich an der Rahjageweihten fest. “Danke.” Auch wenn die Geweihte keinen Hauch einer Idee hatte, wie sie jemals nach Weiden gelangen könnte, würde sie dies wollen.

“Ich will nicht weg von Dwarosch. Aber es wäre besser für ihn.” Die Erkenntnis löste einen neuen Schwall von Tränen aus, die das dünne, kostbare Gewand der Rahjani an der Schulter durchnässten. Sie tätschelte Marbolieb weiter beruhigend. “Hmm, mit dem Oren werde ich mal sprechen .. später. “ Rahjania überlegte … mit Wulfi wäre es leichter, er kannte Weiden besser. “Weißt was? Du musst und sollst nicht weg von Dwarosch. Er ist ein guter Kerl, auch, wenn er Vieles nicht versteht. Aber das ist nicht seine Schuld. Männer sind so, Angroschim wohl noch mehr. Du musst ihm deutlich sagen, was du willst, du bist noch zu .. brav. Hat dir das der Vater deines Kindes angetan?” Was für eine komplexe Welt. Eine so hübsche Kreatur und so demütig, sich nicht bewusst, was sie erreichen könnte. “Wie auch immer. Bitte ihn doch um eine kleinen Besuch bei uns. Der Weg ist recht gefährlich, er sollte dir eine Eskorte mitgeben … . Dann brauchst du einfach Abstand und Ruhe. Dwarosch tut dir sicher gut, aber du musst sagen, wenn es dir schlecht geht, die verstehen und sehen das nicht.” “Er kümmert sich doch so sehr um mich - da will ich ihn nicht anbetteln.” Die Boroni schniefte. “Das wäre unverschämt - außerdem würde er dann glauben, ich wäre nicht zufrieden mit dem, was er für mich tut. Und ich will ihm nicht wehtun.” Sie schloss die Augen, schmiegte sich an die Geweihte und genoss die Nähe und Rahjanias Aufmerksamkeit. “Ich habe ihn auf dem Mendenafeldzug kennengelernt.” begann sie zu erzählen. “Er war in keinem guten Zustand. Seelisch, nicht körperlich. Ich konnte ihm helfen und ihn aus dem Schlimmsten herausbringen - mittlerweile geht es ihm einigermaßen gut, aber ich weiß, dass ein, zwei gezielte Anstöße ihn wieder stürzen können.” Die Worte versagten ihr in der Kehle. „Na, na… so schlimm wird es schon nicht werden. Du hast ihm geholfen und er hilft dir.“ Fürsorglich tätschelte Rahjania das arme Geschöpf weiter. „Aber, so wie ich das heraushöre, wollt ihr eine feste Partnerschaft — bei Rahja, weil ich da die richtige Ansprechpartnerin bin … .“ Sie musste lachen, aber sie war schon des Öfteren im Dienst anderer Götter tätig gewesen.

„Also erstmal. Du bist ihm nichts schuldig, sowas führt nicht zu einem glücklichen Miteinander. Es ist ein Geben und Nehmen und man zählt nicht auf, was man schuldig ist. Aber Manieren musst du ihm beibringen. Du bist wunderhübsch, dir dessen aber nicht bewusst. Wenn er dich als die Seine haben will, sollte auch von ihm mehr Aufmerksamkeit kommen. Nur als Beispiel: eine adäquate Hilfe für dich mit deiner Tochter, ordentliche Kleidung und etwas liebevolle Zuwendung.“ Missbilligend runzelte sie die Stirn. „Das Öl, das ich ihm gab … er soll es endlich nutzen. Tut er es nicht, werde ich mit ihm reden müssen. Weißt, auch er muss sich anpassen, wenn er dich will“ “Er könnte genug andere haben.” Die Boroni klang nur teilweise überzeugt. Sie holte tief Atem. “Er hat gesagt, er würde das Öl in den nächsten Tagen ausprobieren, wenn es wieder ruhiger ist.” Marbolieb wischte sich die Augen mit ihrem Ärmel sauber. “Ihr müsst denken, ich würde meine Gefühle gar nicht beherrschen - entschuldigt bitte. Und seid bedankt für Euren guten Rat - ich werde versuchen, ihn anzuwenden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Dwarosch einfach nicht hört, was ich sage.” Ihr Gesicht hellte sich auf. “Aber er hat mir heute morgen versprochen, dass wir heute Abend während des Banketts zusammen baden würden. Und, dass er heute Abend nur für mich Zeit habe.” Verschämte Röte kroch über ihre Wangen, während ihre Augen vorfreudig aufleuchteten. Rahjania verkniff sich eine Stellungnahme zu den Damen, die Dwarosch alle haben könnte und die Art, die Angroschim nun mal hatten. “Hm. So sind die nun mal, das sind keine Menschen.” Sie hielt Marbolieb noch weiter geborgen, bis sich deren Atem beruhigte. Dann drängte sie sie, sich niederzulegen, sie würde sich ein Stundenglas um den flüchtigen Balg “Kind” kümmern.

Bauplanungen

Elvan war froh wieder für sich zu sein und das Mutter und Kind wieder vereint waren. Ihm kam eine großartige Idee, so glaubte er, die das Leben der beiden etwas erleichtern sollten. Während die Jagdgruppen noch immer unterwegs waren fragte er sich sich von den Dienstboten bis zu den Handwerkern des Garderegiments durch. Elvan hatte mal etwas über einen blinden, tulamidischen Geschichtenerzähler gelesen, das ihm die Idee zu einer besonderen Holzarbeit gab. Und zu einer Lederarbeit. Nach dem er dem Handwerker erklärte was er wollte, war der Schreiberling ein wenig entsetzt. Den Preis den er nannte war gar fürstlich zu bezeichnen. Nach einem kurzen hin und her, einigte man sich auf einen Preis. Immer noch viel zu teuer, aber er war sich sicher, dass seine Mutter dafür aufkommen würde. Immerhin sollten diese Dinge am Abend fertig sein. Zufrieden mit sich schlenderte er noch etwas vor der Jagdhütte herum, immer wieder den Blick sehnsüchtig auf den Waldesrand gerichtet.

Das Erwachen der Turteltauben

Der späte Nachmittag brach an, die Schatten wurden länger und die kurze Hitze des Tages begann abzuflauen. Nicht mehr lange, ein Wassermaß vielleicht noch oder zwei, und die Jäger würden zurückkehren.  Ein leises Geräusch vom Zelteingang weckte Palinor aus seinem Schlummer. Verschlafen öffnete er die Augen und sah in das Gesicht Boromadas, welches seines beinahe berührte. Erst jetzt nahm er ihren Geruch wahr und sofort regte sich wieder etwas in ihm. Eng umschlungen lagen sie in seinem Feldbett und wärmten einander. Verzaubert beobachtete Palinor die Knappin während diese schlief. Ihr Mund war leicht geöffnet und Palinor hätte am liebsten Boromada erneut geküsst, wollte aber diesen Moment nicht zerstören.  Die Frau brummte im Schlaf, drehte sich zur Seite und legte ein Bein besitzergreifend (oder einfach bequemlichkeitssuchend) über Palinors Beine. Ein Lächeln zuckte um ihre Lippen und sie murmelte etwas Unverständliches in die Kissen, machte aber keine Anstalten, aufzuwachen. Der Knappe verlor sich in der Betrachtung Boromadas, folgte den Linien ihres Körpers mit seinen Augen. Schließlich beugte er sich doch hinüber und hauchte ihr einen Kuss auf ihre süßen Lippen. Aus dem Lächeln auf ihren Lippen wurde ein Grinsen. Sie schlug die Augen auf, betrachtete Palinor und holte tief Luft. Einige Herzschläge lang wechselte ihre Geschichtsfarbe von blass nach rot und wieder zurück, ehe sie, mit einem gemurmelten “Ach, egal.” ihren Arm um Palinors Hals schlang und diesen zu sich zog, in einem neuen, diesesmal deutlich fordernderen Kuss versinkend. Nur zu gerne ließ sich der Knappe auf diesen intensiven Kuss ein. Dieser war süß, erregend und weckte den Wunsch nach mehr. Seine Arme umfingen sie und er rollte sich auf den Rücken und zog so die Knappin mit sich, dass sie schließlich rittlings auf ihm saß. Verträumt betrachtete er ihr Gesicht und seine Hand streichelte liebevoll ihre Wange.  Die Knappin beugte sich nach vorn, suchte seine Lippen und griff mit eindeutiger Absicht südwärts, entschlossen, die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Ihre Augen leuchteten begeistert und zielstrebig, nicht gewillt, sich von der wichtigsten Entdeckung ihres Lebens ablenken zu lassen. Sie konnte spüren, wie Palinor auf ihre Berührung reagierte. Er erwiderte ihren Kuss, immer noch sanft doch nun wesentlich fordernder, als noch gerade eben. Sein Atem ging schneller und seine Hände glitten von ihren Schultern über den Rücken hinab, bis sie ihr Ziel fanden. Seine Augen sahen hungrig und flehend zugleich zu ihr auf.  Selbstvergessen trieb die Boromada dieses neue und so reizvolle Spiel weiter. Leise waren dabei weder sie noch ihr Gespiele. Und entschieden laut genug, um auch von draußen gehört zu werden - jedenfalls ließ das dreckige Gelächter, das mit einemmal von draußen erklang, darauf schließen, dass nicht nur die beiden Knappen ihren Spaß bei der Sache hatte. Boromada fuhr auf wie von einem Kübel Eiswasser übergossen und zuckte zu Palinors großem Leidwesen zurück. “Scheiße!” fluchte sie aus tiefstem Herzen. “Sind wir blöd? Wenn wir erwischt werden!” Sehnsüchtig betrachtete Palinor noch einen Augenblick lang den nackten Leib Boromadas, dann sprang er leichtfüßig aus dem Bett, stolperte über seine eigenen Füße, die ihm noch nicht so recht gehorchen wollten und konnte sich gerade noch am Mittelpfosten des Zelts abfangen. “Lass mich mal nachsehen, vielleicht galt das auch gar nicht uns.” Mutig wankte er in Richtung des Zelteingangs und sah durch den schmalen Spalt nach draußen.

Draußen standen zwei Knechte in einfacher Arbeitskleidung, ein Zwerg, ein Mensch, die gerade eine ordentliche Fuhre Feuerholz auf einer mitgenommen aussehenden Schiebekarre in Richtung Jagdhütte beförderten. Bei dem Anblick der sich beulenden Zeltbahn brachen sie erneut in ein absolut unwürdiges (zumindest nach Ansicht der beiden Knappen) Gegacker aus und hieben sich mit den Ellbogen in die Seiten. “Na, wer vögelt denn schon am frühen Mittag so munter?” Gluckste der Mensch des Duos. Palinor warf Boromada einen entschuldigenden Blick zu. Nackt, wie er war, konnte er nicht nach draußen treten und den beiden die Meinung sagen. Zudem wollte er nicht Boromada in Schwierigkeiten bringen. Der Knappe griff nach seiner Hose und wollte sie sich gerade anziehen, als eine neue Stimme ertönte. “Was geht’s euch an, wer, mit wem hier Spaß hat?” Die Stimme gehörte zu einer etwa 80 Finger großen Gestalt, mit schwarzen, zu kleinen Zöpfen gebunden Haaren, an den acht kleine Schellen hingen und bei jeder Bewegung klingelten. Die etwa 26 Götterläufe zählende Frau in dem Wappenrock von Wolfstrutz stellte den Wassereimer neben sich ab und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre grauen Augen blickten zornig in Richtung des ungleichen Paares mit ihrem Schubkarren. “Trollt euch, bevor ich euch die Hammelbeine langziehe.”

“Ist ja schon gut.” Begütigend hoben die beiden Knechte die Hände, was angesichts ihrer Muskelmasse gegenüber der eher kleinen Frau fast komisch wirkte, und trollten sich, nicht ohne mit einem kratzigen Kichern einige anzügliche Überlegungen auszutauschen. Den beiden einen letzten bösen Blick nachwerfend, widmete sich Raxajida dem jetzt ruhigen Zelt. Sie trat dicht an die Zeltöffnung heran und meinte leise. “Sie sind jetzt weg, junger Herr.” Aus dem Zelt wallte ein Hauch des dort vorherrschenden Geruchs und sie musste unwillkürlich grinsen. “Ich habe warmes Wasser wenn Ihr und Eure Begleitung sich frisch machen wollen.” Ruhig wartete sie auf eine Antwort von drinnen. Boromada boxte Palinor vorsichtig mit einem Ellbogen in die Seite. “Sag ihr, dass wir das gerne nehmen. Und schnell! Oh mann, hoffentlich plappert keiner!” zischte sie leise. “Hab Dank Raxajida, stelle den Eimer doch einfach direkt vor dem Zelteingang ab.” Antwortete dieser der Waffenmagd, während er sich die Rippe hielt, wo der Ellbogen ihn getroffen hatte. Raxajida stellte den Eimer, wie erwünscht ab, legte aber gleich noch 2 Leinentücher und ein Stück Seife dazu. “Darf ich anregen, dass wir das Zelt gut durchlüften sollten, bevor Euer Vetter zurückkehrt?” Meinte sie im Plauderton, während sie sich mit dem Rücken zum Zelt an der Feuerstelle niederließ. “Wer ist diese Frau?” Begehrlich starrte Boromada auf den Wassereimer, streckte einen Arm aus, bedacht, nicht mehr zu zeigen als nötig und holte die Utensilien ins Zelt. “Gehört die zur Familie?” Schnell tunkte sie einen Zipfel eines Leintuchs in das warme Wasser und begann, sich energisch abzurubbeln, was ihrer hellen Haut einen hübschen Rotton verlieh. “Ieh! Ich bin ganz klebrig!” Sie schüttelte sich. Palinor trat von hinten an Boromada heran und küsste sie auf die Schulter, bevor er sich selber dem Wascheimer widmete. “Sie ist eine Waffenmagd meines Vetters. Sie stammt ursprünglich von Maraskan und lebt in dem Dorf Neue Hoffnung in Meilingen. Raxajida die Bekehrte, wie man sie nennt, ist vertrauenswürdig.” Erklärte er, während er sich wusch. Inzwischen war Palinors Haut ebenso rot wie die seiner Zeltgenossin. Zuletzt wusch er sich seine Haare, indem er den Kopf einfach in den Eimer steckte und ihn anschließend mit dem Tuch abtrocknete. Ihr Anblick versetzte ihn immer noch in Verzückung, was recht offensichtlich war.

Boromada entging das Schauspiel - sie folgte Palinors Beispiel und tauchte ihren Kopf ebenfalls in den Wassereimer, stellte fest, dass der mittlerweile arg geschwundene Wasserstand nicht mehr reichte und kippte ihn sich kurz entschlossen über den Kopf. “Brr!” kommentierte sie grinsend, schnappte sich ihr Leintuch und wischte sich das überflüssige Wasser vom Leibe, ehe sie in ihre Kleider stieg. “Ich muss zusehen, dass ich von hier wegkomme, bevor mich jemand bemerkt.” Sie wandte sich zu Palinor und umfasste ihn fest um den Nacken, küsste ihn fest auf die Lippen und drückte ihn an sich. “Tun wir das wieder?” Das neckische Funkeln verließ ihre Augen bei dieser Frage.

Er erwiderte ihren Kuss und die Umarmung. Am liebsten hätte er sie nicht mehr gehen lassen, aber das musste er. Palinor sah in ihre Augen und nickte. “Ja, wann immer du willst.” Meinte der Knappe mit dem gleichen Ernst, den auch Boromada bei der Frage an den Tag gelegt hatte. Geschwind knüpften sie die Rückseite des Zeltes auf, damit Boromada ungesehen hinaus huschen konnte. Aber nicht bevor Palinor ihr einen letzten leidenschaftlichen Kuss gegeben hatte. Die Frau erwiderte den Kuss, löste sich dann aber und meinte “ich muss! Wenn er mich erwischt, dann war’s das!” Ein leicht gehetzter Blick trat in ihre Augen, als sie vorsichtig nach rechts und links blickte und dann in einem ihr passend erscheinenden Moment davonhuschte. Palinor sah noch, wie sie um die Ecke eines Zeltes bog, dann war sie verschwunden - wie ein schöner Traum.

Dieser blieb noch einen Moment stehen und sah in die Richtung in der sie verschwunden war. Schließlich wandte der Knappe sich seufzend ab und zog sich fertig an, bevor er die Öffnung, durch welche die Knappin verschwunden war, wieder verschloss. Raxajida grinste Palinor an, als dieser aus seinem Zelt trat und sich zu ihr setzte. “Mir scheint, ihr beide hattet ein paar schöne Stunden.” Der Knappe lief puterrot an und stocherte in der kalten Feuerstelle mit einem Stock herum. Der verträumte Gesichtsausdruck sagte alles was sie wissen musste.  Boromada huschte durch’s Lager, bemüht, von so wenig wie möglich Leuten gesehen und vor allem auf gar keinen Fall abgefangen zu werden. Sie drückte sich an den Zeltplanen entlang, lief über die freien Flächen zwischen den Zelten und hielt einige Dutzend Schritt vor den Rabensteiner Zelten inne, um dann betont langsam wieder zurückzuschlendern. Die Abwesenheit der Baronin kommentierte sie mit einem erleichterten Ausatmen. Hoch aufgerichtet lehnte sie sich an einen der Begrenzungspfosten des Pferdepferchs und betrachtete die beiden Paginnen, die sich die Zeit mit einem Kartenspiel vertrieben. “Seid ihr schon fertig mit dem Lederzeug?” wollte sie wissen. Ruckartig fuhren die Köpfe der beiden Paginnen herum. “Schon lange.” Erklärte Rena. “Wo warst Du eigentlich die ganze Zeit?” Wollte Rahjada wissen. “Das geht Dich gar nichts an. Ich habe mit anderen Knappen gesprochen. Aber es ist ja schön, dass ihr so viel Zeit habt. Dann könnt ihr jetzt einmal gründlich die Pferde putzen. Die sehen aus wie Schwein!” Sie grinste auf das empörte Luftholen der beiden Mädchen hin, deutlich entrückter, als deren Empörung es gerechtfertigt hätte. “Ich helfe euch. Aber was meint ihr, was der Baron sagt, wenn er zurückkommt, und die Viecher sehen aus, als hätten sie sich im Schlamm gewälzt?” Das simultane Nicken der Zwillinge war ihr Bestätigung genug. Am liebsten hätte sie sich auf ihr Bett geworfen und ein Wassermaß lang geschlafen - aber das hätte um so mehr Fragen der Kinder und der Bediensteten hervorgerufen. Da war ihr die stupide und notwendige Arbeit des Pferdeputzens gerade recht, um sich von allen Träumereien abzulenken. Mit einem seligen Lächeln nahm sie einen der Putzbeutel aus Renas Hand entgegen und machte sich auf, die Pferde zu fangen, zu sortieren und anzubinden. Auch wenn ihr Hengst recht schnell merkte, dass seine Besitzerin mit den Gedanken woanders war und die Gelegenheit ergriff, um mit unschuldigem Blick den Saum ihres Wamses mit den Lippen zu packen, ordentlich einzuspeicheln und dann genüsslich durchzukauen, so wie er das - ganz im Gegensatz zu Boromada - liebte.

Krankentransport

Die Jagd war für die beiden Frauen zu Ende. Gute drei Stunden brauchten sie zurück durch den Wald, dann trat die Gruppe mit dem “Krankentransport” aus dem Wald heraus und steuerte eines der großen Zelte im Lager vor der Jagdhütte an. Die die Trage  tragenden Zwerge zogen die Aufmerksamkeit der Wartenden an sich, war es doch die erste Verletzte von der Jagd. Gelda lief direkt neben der Feldtrage und hielt die Hand der verletzten Gauklerin, Doratrava. “Wir sind gleich da”, sagte sie beruhigend zu ihrer Freundin. “Meister Apporix, ich werde schon einmal vorher gehen und nach meiner Tante suchen. Ich komme dann zum Lazarettzelt. Bis gleich schöne Doratrava!” Sie ließ ihre Hand los und lief suchen durchs Lager. Das erste bekannte Gesicht das sie sah, war das des Knappen Palinor. “Hey da, Knappe Palinor!”, rief sie ihm zu. “Habt ihr zufällig meine Tante, die Doctora von Altenberg gesehen? Es gab einen Jagdunfall!” Sie strich sich dabei ihr rotes Haar aus dem Gesicht und musterte ihn neugierig.

Verdutzt blickte Palinor auf, war er gerade noch in ein Gespräch mit Alarich und Raxajida vertieft gewesen. Tatsächlich konnte Gelda die Ähnlichkeit mit Rondradin sehen, fast als wäre Palinor eine jüngere Version des Geweihten.  Er wirkte ein wenig müde, so als ob er zu wenig Schlaf bekommen hätte, trotzdem strahlte er eine gewisse Glückseligkeit aus, die man nicht oft sah. Einzelne Nadeln hingen in seinem Wams, so als ob er mit jemanden auf dem Waldboden gerungen hatte.  Für einen Herzschlag glotzte er Gelda verständnislos an, dann flüsterte ihm die Waffenmaid etwas ins Ohr und gab ihm einen Klaps auf den Rücken, der ihn einen Schritt nach vorne machen ließ. Der Knappe warf einen bösen Blick in Richtung der feixenden Frau in den Farben Wolfstrutzs, dann wandte er sich Gelda zu. “Zuletzt war sie im Badehaus. Kommt, ich führe Euch hin, edle Dame!”

Ein leichtes Kribbeln durchzog Geldas Körper als sie bemerkte wie ähnlich er dem Rondrageweihten war. Allerdings bei seinen ersten Worten, fiel ihr gleich auf, das er nicht dieselbe Ausstrahlung hatte. ´Es mögen wohl die Jahre der Erfahrungen sein´, ging es ihr durch den Kopf. Die Sechzehnjährige stand in ihrer Jägermontur vor ihm, um den rechten Oberarm eine dicke  Armbinde. “Sehr gerne, Knappe!” Gelda folgte ihm, schloß aber mit ihm auf. “Ich bin verwundert, das ihr gar nicht bei der Jagd seit. Wollte euer Vetter euch nicht mitnehmen? Ihr seid doch bestimmt geübt in der Jagd.”, fragte sie neugierig.  Der Knappe stieg die Schamesröte ins Gesicht. “Ich war bisher noch nicht auf der Jagd. Wäre dies hier eine Ansitz- oder Treibjagd gewesen, hätte mich mein Vetter mitgenommen. Leider haben wir erst hier erfahren, dass es sich um eine Pirschjagd handelt. Das sei zu gefährlich, meinte er.” Im Laufen musterte Palinor die Gleichaltrige in ihrer Jagdtracht. “Mir scheint, er hatte recht was die Gefährlichkeit angeht. Ist außer Euch noch jemand verletzt worden?” “Ich bin überrascht, dass euer Vetter, euch nicht wegen der Gefährlichkeit mitgenommen hat. Meiner Meinung nach wächst man daran. Und er war ja der Meinung, dass man Herausforderungen annehmen sollte.” Sie schmunzelte kurz und bekam langsam eine Ahnung, was er sonst noch so gemeint hatte. Hatte sie überreagiert? “Eine Geweihte der Ifirn hatte mir vor kurzem Ähnliches gesagt. Herausforderungen annehmen und nicht vermeiden.” Dann nickte sie auf seine Frage hin.”Ich habe vorher auch nur Kleinwild gejagt. Das war meine erste Große. Einem Schröter sind wir begegnet. Das war ein riesiges Ungetüm. Wir haben es besiegt, aber es hat uns auch erwischt. Die Gauklerin Doratrava muß jetzt genäht werden, die hat es richtig schlimm erwischt.” Sie legte ihre Hand auf seine Schulter. “Ihr hättet euch bestimmt gut geschlagen!”

“Doratrava, das ist doch die, die gestern so schön mit der Dame Morgenrot getanzt hat.” Seine Augen leuchteten auf, dann wurde seine Miene ernst. “Sie wird es doch überstehen, oder? Ihr müsst wissen, sie ist eine Bekannte Rondradins und er könnte ihr einen Segen spenden, der sie schneller genesen lässt. Aber leider erst, wenn er zurückkommt.” Die nächsten 5, 6 Schritte schwieg er bevor er weitersprach. “Ihr habt also einen Schröter erlegt, da wäre ich gerne dabei gewesen. Mit dem Bogen bin ich recht geschickt, aber bisher durfte ich nie mit auf eine Jagd. Das mit den Herausforderungen hat er mir auch mal gesagt, aber da ging es darum, dass ich … .  Ach, vergesst es bitte.” Dieses Mal lief er puterrot an. “Aber sein Rat hat mir geholfen.” Palinor sah hinüber zu Gelda und lächelte schüchtern.

“Erzählt ruhig, ich muss gestehen, ihr habt mich neugierig gemacht. Euer Vetter scheint immer einen Ratschlag zu haben.“ Ihre grünen Augen blitzen auf. Rondradin hatte ihre Neugier geweckt und nun hatte sie die Möglichkeit, mehr über ihn zu erfahren.  “Ja, so ist er. Anderen zu helfen ist ihm wichtig”, versuchte Palinor abzulenken, aber als er den Blick Geldas spürte, wusste er, dass er es erzählen musste. Die Röte in seinem Gesicht wurde etwas dunkler. “Ich war noch jünger und hatte, nun ja, ich konnte nicht mit gleichaltrigen Mädchen sprechen. Entweder war ich stocksteif und stumm oder ich zog mich so schnell wie möglich zurück. Rondradin meinte, ich solle es als Herausforderung begreifen mit einem Mädchen zu sprechen. Es sei egal, was ich sagen würde, nur müsse ich mich ihr stellen und mit ihr reden anstatt zu erstarren oder wegzulaufen.” Er sah Gelda an. “Wie Ihr seht, hat sein Rat geholfen.”

Verständnisvoll nickte sie. Dann kniff sie ihre Augen zusammen. “Aha, sehe ich das? Ihr meint, ihr seit seinem Rat gefolgt. Nun erzähl, Palinor, wie war das?” Die Neugier brach nicht ab. Wie es schien sollte der Rondrageweihte eher der Rahja geweiht sein. “Na ja, wäre ich seinem Rat nicht gefolgt, würde ich jetzt nicht mit Euch sprechen, sondern hätte einen der beiden Waffenknechte mitgeschickt um Euch zum Badehaus zu führen.”  Gelda stockte kurz und nun errötete sie ein wenig. “Ihr seid euch doch ganz schön ähnlich”, murmelte sie vor sich hin. Palinor, der die Reaktion Geldas nicht mitbekommen hatte, grinste kurz. “Nun, wie war das damals? Ich war noch Page, etwa 10 Götterläufe alt und es gab da die Tochter der Köchin. Sie hatte mein Problem schnell bemerkt und machte sich einen Spaß daraus, mich zu verunsichern, damit sie und ihre Freunde etwas zu lachen hatten. Aber dann lief ich eines Tages nicht weg, sondern blieb stehen und warf ihr einige Dinge an den Kopf. Ich glaube ‘blöde Ziege’ war eines davon. Dafür bezog ich zwar eine Tracht Prügel, aber danach ließ sie mich in Ruhe.”

“Da hat er recht, die Herausforderung hat sich gelohnt anzunehmen. Immerhin hattest du dann Ruhe. Wie alt bist du eigentlich, Palinor? Und ist dein Vetter eigentlich schon versprochen? Ich habe gehört er kommt zu unserer Brautschau.”, fragte sie nach. Überraschung zeigte sich auf den Zügen Palinors. “Ich bin sechzehn Götterläufe alt”, stellte er fest. “Mein Vetter ist niemanden versprochen, sehr zum Ärger meines Vaters, das kann ich Euch versichern. Von der Brautschau hat er mir erzählt. Eure Tante hat ihn vorgestern eingeladen, und er bringt Andesine mit, seine ältere Schwester.” Nun musterte Palinor Gelda genauer. “Aber warum diese Fragen, edle Da… ich meine … darf ich dich Gelda nennen?” “Sag ruhig Gelda. Ich bin nur neugierig. Vielleicht sind wir ja bald verwandt.” Sie lachte. “Meine Kusine Durinja würde gut zu ihm passen. Oder wenn er es etwas kräftiger mag meine Kusine Praiona. Allerdings meine Schwester Sabea würde ich ihm nicht anraten. Die zerquetscht ihn schon in der ersten Nacht.” Nun grinste sie. “Bist du dir sicher, dass die Doctora im Badehaus ist? Das muß ja schon Stunden her sein.” Fragend schaute sie ihn an und sah dabei die Geweihte der Rahja. 

“Was ist mit dir? Nimmst du auch teil?” Wollte Palinor von Gelda wissen. Die Brautschau klang furchterregend. Vage konnte er sich an ein Gespräch mit Boromada zu dem Thema erinnern. Boromada, der Gedanke an sie zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Dabei wäre ihm fast die Frage Geldas entgangen. “Raxajida meinte, Eur… deine Tante wäre vorhin hier gewesen.” Gelda musste kurz schlucken. “Oh … ja .. ich muss auch teilnehmen.” Die Rahjageweihte war jetzt genau die richtige, um das Thema zu wechseln.

Von dem, was im Lager oder auf der Jagd geschah, bekam Rahjania nichts mit. Noch nicht. Sie hatte lange und sehr gut in ihrem Zelt geschlafen und, anders als sonst, war ihr nicht nach geselligem Treiben. Erst spät machte sie sich standesgemäß fertig und schlenderte durch das Lager. Plötzlich wurde sie von der rothaarigen Gelda angesprochen, diejenige von dem der Rondrageweihte gesprochen hatte. Begleitet wurde sie von dessen jungen Vetter. Diese sprach sie an. “Euer Gnaden, habt ihr die Doctora gesehen? Wir haben unsere erste Verletzte im Lager.” “Ra… , Rahja zum Gruße, Euer Gnaden.” Begrüßte Palinor die Geweihte holprig. Natürlich hatte er die Rahjani schon gestern gesehen - wie hätte man sie auch übersehen können? - aber nicht aus der Nähe.   Rahjania war verblüfft und überrascht. “Bitte was ? Verletzte im Lager ? haben sich die Nordmärker mit ihren Gabeln gestochen oder was ist passiert ?” Sie musterte die Gesellschaft, Gelda etwas länger, an sie erinnerte sie sich vom Vortag und aus Erzählungen….dieses Kind verdreht den Männern hier also den Kopf. Sie selbst schüttelte bei dem Gedanken den ihren, es gäbe hier in Sachen Liebe noch so viel zu tun. “Nein, keine Ahnung, aber erklärt mir doch, um was es geht, vielleicht kann ich ja helfen.”  “Wir waren bei der Jagd. Und die Gauklerin, Doratrava, hat es die Seite aufgerissen. Also der Schröter”, erklärte Gelda der Geweihten. “Ihr könnt bestimmt helfen. Mein Vater sagt, alles wird besser mit dem Beistand der Götter.” Etwas unsicher lächelte sie Rahjania an. Während sie im Lager weiter zur Jagdhütte liefen, kamen sie an dem Zelt der Rabensteiner vorbei. Gelda erblickte die Knappin Boromada. “Das ist doch die Knappin von dem Rabenstein?”, raunte sie Palinor zu. “Heyda, Knappin. Weißt du zufällig wo deine Herrin ist? Oder besser gefragt, ist die Doctora von Altenberg noch in ihrer Begleitung?”, fragte sie das ältere Mädchen.

Die Wangen des jungen Knappen röteten sich als er Boromada einen verträumten Blick zuwarf. Mehr traute er sich aber in Anwesenheit der Geweihten und Gelda nicht. Letztere befand er für äußerst ungehobelt, wie sie so mit Boromada umsprang. Da aber eine gewisse Dringlichkeit vorlag, entschloss er sich, einfach die Frage etwas höflicher zu wiederholen. “Bitte verzeih die rüde Begrüßung durch Gelda von Altenberg. Dies ist ihre Gnaden Rahjania … “, Palinor stockte, als ihm klar wurde, dass er nur den Vornamen der Rahjageweihten behalten hatte, der Rest war ein ähnlicher Zungenbrecher wie der Schwertname Rondradins. “Äh, und das ist Boromada von Henjasburg”, schloss er die Vorstellung schnell ab. “Eine Jägerin wurde auf der Jagd schwer verletzt und bedarf nun der Hilfe der Doctora und der Hochgeboren von Rabenstein. Kannst du uns weiterhelfen?” Rahjania runzelte verärgert die Stirn. “Die Gauklerin? Warum kämpft die auch gegen so ein Vieh?” Energisch folgte sie dem Jungvolk, bedachte Palinor aber mit einem Lächeln. Der Kleine war niedlich, er hatte sich bemüht und sowas sollte man nicht außer Acht lassen. “Ich helfe, so gut ich kann, keine Sorge.”

Boromada blickte von ihrer Arbeit auf - sie war dabei, ihre Arm- und Beinschienen auf Hochglanz zu polieren. Als sie sah, wer vor ihr stand, röteten sich ihre Wangen und sie schluckte, ehe sie aufsprang. “Die beiden Damen waren beim Tee, als gerade eben eine Nachricht kam, dass eine Verletzte im Lazarett sei. Also sind sie dorthin gelaufen - Madija, die Zofe, hat ihnen ihre Arztsachen hinterhergetragen.” gab sie pflichtschuldigst Auskunft. “Sie müssten auf dem Weg dorthin sein, das war gerade eben erst. Weißt Du, wer die Verletzte ist?” Setzte sie neugierig hinzu.

Das Lächeln der Rahjageweihten verwirrte den Knappen. Es war wunderschön, aber warum tat sie es? Hatte sie bemerkt, dass Boromada und er… ? Unsicher erwiderte Palinor ihr Lächeln, während er noch röter anlief, bevor er die Frage Boromadas beantwortete. “Es ist Doratrava, die Gauklerin von gestern Abend.”  Boromada erwiderte vorsichtig das Lächeln Palinors. “Oh - die Arme! Ist sie schlimm verletzt?” Sie wischte sich die Hände an ihren Hosenbeinen sauber und beäugte die Gruppe. “Geht ihr zum Lazarett? Kann ich mitkommen?” “Ja, jedenfalls nach dem was Gelda, die mit ihr auf der Jagd war gesagt hat. Hoffentlich wird das wieder.” Palinor suchte Boromadas Blick, nur kurz, aber das reichte ihm schon. “Natürlich kannst du mitkommen!” Er warf einen fragenden Blick zu seinen beiden Begleiterinnen, nach einer Bestätigung Ausschau haltend. “Du kennst den Weg zum Lazarett?”  “Sicher.” strahlte die Knappin, stieg über das Seil, das die unmittelbare Umgebung des Zeltes absperrte, und nickte den Damen zu, ehe ihr Blick wieder den Palinors fand. “Ich zeige es euch gerne, werte Damen. Kommt mit!” Mit eiligen Schritten lief sie voraus, alle paar Augenblicke einen scheelen Blick zur Seite werfend, um zu prüfen, ob die Leute ihr folgten. “Wart ihr dabei, als es geschehen ist? Was ist überhaupt genau passiert?” wollte sie leicht atemlos, aber nichtsdestoweniger neugierig wissen. „Na, dann erzählt mir doch mal, wie es der Gauklerin geht und wer schon bei ihr ist. Das ging so hurtig vorhin und doppelt hält besser.“ Rahjanias Interesse war geweckt, zudem war ihr nicht entgangen, wie niedlich sich die Kleinen verhalten hatten. Knospen, die erblühten, das alleine war schon den Gang wert.

Boromada warf einen argwöhnischen Blick auf die atemberaubend schöne Rahjageweihte. Was für eine Frau! Aber was wusste sie? Leicht zweifelnd rückte sie,  vollkommen unbeabsichtigt, etwas näher an Palinor. Dieser freute sich sichtlich über die Nähe zu Boromada, auch wenn er es zu unterdrücken versuchte. Immer wieder suchte er ihren Blick, sah sich aber auch zu Gelda und Rahjania um, ob sie ihn und Boromada beobachteten. Als er sicher war, dass beide gerade nicht hin sahen, strich er flüchtig mit seiner Hand über Boromadas Handrücken.  Gelda folgte der Gruppe, setzte sich aber nach hinten ab. Kurz kam ihr der Gedanke, ob die Geweihte ihr bei ihren Gefühlsdurcheinenader helfen konnte. Oder war das wieder eine Herausforderung Ifirns, der sie sich alleine stellen sollte? Sie schüttelte kurz ihre Gedanken ab. “Ich hatte Doratrava begleitet bis zum Lazarettzelt. Sie hat sich ganz gut gehalten, aber die Wunde sah nicht gut aus. Der Schröter hat uns alle ganz schön zugesetzt. Aber sie reagiert manchmal etwas … unvorhersehbar. Vielleicht liegt das an ihrem Elfenerbe?”, fragend schaute sie Rahjania an.

“Elfe ?” Die Tulamidin sah Gelda erstaunt an. “Hat sie dir das erzählt ? Sicher hat sie etwas vom alten Volk, und wahrscheinlich stecken die auch mehr weg, aber bei Doratrava bin ich mir nicht sicher, ob sie wirklich allein elfische Vorfahren hat. Irgendwas passt da nicht, es liegt in ihren Augen.”  Sie schüttelte den Kopf. “Was muss sie auch gerade gegen so ein Vieh kämpfen… Kann man den überhaupt essen ? Na ja, lasst uns mal schauen, was die vielen Heilenden schon gemacht haben.” Rahjania schlug die Zeltplane zurück und alle traten ein. Boromada hatte sich wohlweislich mit Palinor etwas im Hintergrund gehalten. Ihr war nicht nach zu viel Aufmerksamkeit der geweihten und anderen adligen Herrschaften - vor allem, da ihre Wangen noch immer verräterisch warm waren. Nichtsdestotrotz reckte sie neugierig den Kopf, was der hochgewachsenen Knappin nicht schwer fiel, um die Gesellschaft im Zelt zu mustern - und zog ihn fast sofort wieder ein, als sie die Baronin erkannte. Verlegen senkte sie das Haupt und murmelte “Boron zum Gruße” - den Zwölfen dafür dankend, dass es die Baronin war und nicht deren Gemahl, der sie vermutlich sofort zu recht gefragt hätte, was sie denn hier zu suchen habe.

Der zwergische Heiler

Unterdessen war Doratrava im Lazarett angekommen. Das Zelt war riesig. Sie sah zehn auf hölzernen Füssen stehende Liegen, allesamt waren sie leer. Es schien bisher eine ruhige Jagd gewesen zu sein, zumindest machte es diesen Anschein. Die beiden Zwerge, die die Gauklerin bis hierhin transportiert hatten, hoben sie mitsamt der Feldtrage auf eine der Liegen, lösten ihr Tragegeschirr und zogen die Holzstangen aus dem Leinen, auf dem Doratrava gelegen hatte. “Gut”, befand Apporix und bedeutete den beiden Angroschim, dass sie sich entfernen konnten. Er selbst stellte seine Tragetasche auf einem klappbaren Feldstuhl ab und ging dann zu einem kleinen Schränkchen, dass gegenüber dem Eingang, unmittelbar an der Zeltplane stand.  Doratrava konnte nicht sehen was Apporix tat, denn sein Rücken verdeckte seine Hände, aber kurz darauf kam er mit einem irdenen Tiegelchen, frischem Tuch, und einer Schere zurück.  “So, dann wollen wir mal schauen, wie die Wunde aussieht und ob die Salbe ihre Arbeit tut”, eröffnete der Zwerg. “Ich hoffe wir kommen um das Nähen herum. Das dürfte wenn recht unangenehm werden, würde den Heilungsprozess aber vermutlich beschleunigen.” Die Gauklerin kam sich recht verlassen vor, so ganz allein mit dem Zwerg in dem riesigen, leeren Zelt. Hoffentlich kam Gelda bald wieder, am besten mit ihrer Tante! Ein wenig mulmig wurde ihr schon, als Apporix mit seinen Gerätschaften anrückte, aber sie würde sich davon nicht unterkriegen lassen. Schmerzen gehörten zu ihrem Beruf, vielleicht nicht gerade diese Schmerzen, welche sie im Moment in der Seite spürte, aber dennoch. “Tu, was du tun musst”, beschied sie dem Arzt daher mit zwar etwas gepresst klingender, aber gefasster Stimme.   Apporix schnitt den alten Verband auf, entfernte die Leinen und besah sich die Wunde. Dabei setzte sich der Zwerg eine längliche Linse ins rechte Auge und kniff das andere zu. Er beugte sich vor und ging somit ganz nah an die Wunde heran. Vorsichtig betastete er dabei die Haut neben dem Schnitt im Fleisch der Gauklerin. 

Die Untersuchung dauerte nicht lange, dann richtete sich Apporix wieder auf und nahm die Linse aus seinem Auge. "Die Wundränder beginnen bereits zu verheilen. Aber der Muskel wird eine Weile Schonung benötigen, damit er sich schnell erholen kann. Schnelle und unbedachten Bewegungen können zu einem Wiederaufreißen führen. Ich werde die Wunde erneut mit einer Salbe versehen und verbinden." Doratrava stöhnte innerlich auf. Schnelle und unbedachte Bewegungen! Sie machte keine unbedachten Bewegungen, sondern im Gegenteil sehr bedachte! Aber natürlich verstand sie, was der Arzt ihr damit sagen wollte: unbedingte Schonung bis zur Heilung. Das kam nicht in Frage, sie musste, MUSSTE, heute Abend auftreten. Was hatte sie sich schon alles für Gedanken gemacht und Pläne geschmiedet. Gut, sie hatte praktisch keine Gelegenheit gehabt, ihren Auftritt zu üben, aber sie verließ sich auf ihre Können und ihre Intuition. Sie war keine Wald-und-Wiesen-Gauklerin mehr, sonst hätte sie nicht so viele Einladungen zu Adelsfesten erhalten.

Wie auch immer, sie nickte ergeben auf die Worte des Arztes hin und hoffte. Wo blieben Gelda und ihre Tante nur? Mit flinken und überaus geschickten Fingern verrichtet Apporix seine Arbeit. Erst hier, dank der Ruhe, die im Zelt herrschte, vermochte Doratrava das festzustellen. Jeder Handgriff saß, war offenkundig viele Dutzend Mal einstudiert, war bloße Routine.

Und seine Konkurrentinnen

Als er kaum ein achtel Wassermaß später fertig war, betraten weitere Personen das Zelt. Entsprechende Geräusche ließen Doratrava den Kopf zum Eingang des Lazaretts drehen.  Zusammen mit der Doctora Altenberg betrat Shanija von Rabenstein das Lazarettzelt, in ihrem Gefolge ihre Zofe, die sich mit zwei schweren, ähnlich aussehenden Ledertaschen abmühte - ein Exemplar der Doctora zugehörig, das andere deren adliger Studiencollega. Ebenfalls gemein war den beiden Frauen, die der Zofe vorangingen, ein sehr interessiertes Leuchten in den Augen. “Nach Dir.” ließ Shanija Maura den Vortritt und beugte sich gleichzeitig vor, damit ihr nichts entgehe.

Dank der Worte der Frauen bemerkte nun auch der Zwerg die Neuankömmlinge in seinem Reich und wandte sich im Bewusstsein zu ihnen um, dass er sein Werk beendet hatte.  Doratrava richtete sich ein wenig auf, wobei sie sich bemühte, die verletzte Seite nicht zu belasten. “Doctora?” Eine gewisse Erleichterung war aus der leicht krächzenden Stimme der Gauklerin herauszuhören, aber auch etwas Anspannung. “Wo ist Gelda?” fragte sie gleich darauf alarmiert, als ihr deren Fehlen zu Bewusstsein kam. Und wer war die andere Frau? War das nicht eine der Baroninnen? Was tat sie hier, mit so offensichtlicher Neugier? Nachdem ihr Hemd beim Kampf mit dem Schröter und der nachfolgenden Behandlung den Weg alles Derischen gegangen war, hatte sie nur noch ihren Mantel gehabt, um sich zu bedecken. Der lag nun unbeachtet in einer Ecke des Zeltes und sie trug am Oberkörper nichts als den frischen Verband des Zwergen. So fühlte sich den neugierigen, ja fast sezierenden Blicken der Frauen, vor allem der unbekannten Baronin, ungeschützt ausgeliefert. Unwillkürlich verschränkte sie die Arme vor ihren kleinen Brüsten und lief leicht rosa an. Der Blick Mauras fiel erst auf den Zwerg, dem sie kurz zu nickte, dann zur Patientin. Er Blick wurde leicht verärgert. “Kann den niemand der jungen Dame den Oberkörper bedecken. Wir sind hier nicht auf dem Schlachthof!” Dabei schaute sie wieder in die Richtung des Zwergen. “Doratrava, Kleines, wie geht es dir?”fragte sie und suchte nach irgendwas, um die Brüste der Gauklerin zu verdecken. “Das hier ist meine Collega, die Baronin von Rabenstein.”Dabei deutete sie auf Shanija. “Gelda? Nein, die habe ich nicht gesehen, ist ihr auch etwas passiert?” 

Die Baronin von Rabenstein? Die Gemahlin des düsteren Lucranns von Rabenstein? Mit dem sie in Tobrien vor gar nicht so langer Zeit eine Bedrohung aus der Vergangenheit bekämpft hatte … was wollte sie hier? Aber … “Da hinten liegt mein Mantel”, gestikulierte Doratrava in die Richtung des Kleidungsstücks, durch die Empörung der Doctora noch mehr auf ihre Blöße hingewiesen und verlegener gemacht. “Bitte … Meister Apporix hat sich sicher nichts dabei gedacht”, versuchte sie den Zwerg zu verteidigen, der sich bisher ja immerhin tadellos um sie gekümmert hatte. “Und Gelda …” Sie hatte gar nicht mehr an die Verletzung ihrer Freundin gedacht, schalt sich innerlich selbst für ihre Selbstsucht und Gedankenlosigkeit. “Gelda hat etwas am Arm abbekommen, es ist aber wohl nicht so schlimm … sie hat sich bereiterklärt, mich zurückzubegleiten.” Bei diesen Worten intensivierte sich die rosa Gesichtsfarbe der Gauklerin noch ein wenig mehr. “Wäre ich nicht verletzt worden, hätte sie sicher weiter gejagt. Sie wollte Euch holen - hat sie das nicht getan?”

Dann erst kam Doratrava zu Bewusstsein, dass Maura nach ihrem Befinden gefragt hatte. “Ich … mir geht es recht gut, Meister Apporix hat dafür gesorgt. Nur ein Kratzer in der Seite. Ich muss heute Abend auftreten, wisst Ihr? Das ist wichtig, das muss funktionieren!” Die Stimme der Gauklerin klang sehr flehentlich bei diesen Worten, und so sah sie Maura nun auch an. Diese wiederum drehte sich gleich zu ihrer Freundin Shanija, bei den letzten Worten der Gauklerin. Damit diese auftreten kann heute Abend, konnte nur eine Verwirklichen. “Was mein ihr, Euer Hochgeboren?” fragte sie direkt Shanija. Das ging eindeutig zu weit. "Dies ist ein Lazarett. Und ich bin derzeit diensthabender Offizier,also ist es MEIN Lazarett. Jeder der mir hier als überflüssig erscheint werde ich entfernen lassen. Dies zum ersten." Apporix war erbost, dies versuchte er nicht einmal zu verbergen. 

"Zum anderen schaue ich mir Patienten immer genau an, wenn ich sie hier aufnehme und zum anderen sind sie stets an der Körperpartie entkleidet, wenn ich dort einen Verband wechsle und zum letzten habe ich gelernt mich zumindest vorzustellen, wenn ich jemanden ungefragt bei der Arbeit störe. " Maura setzte ihr Firunsgesicht auf, nur um dann Apporix anzulächeln. “Verzeiht Meister Apporix. Das hier ist die Baronin von Rabenstein und ich bin die Doctora von Altenberg. Wir wurden gebeten uns rasch ins Lazarettzelt zu begeben, da es schien, das unsere Hilfe benötigt wird. Und wie das so ist in Zeiten der Not, fallen Höflichkeitsfloskeln dann kurz aus. Erst der Patient, dann der Rest. Ich hoffe ich habe euren Respekt genüge getan.” Vorsichtig schaute sie Shanija an. 

Die trug ein recht dezentes Lächeln auf den Lippen. “Was unsere Unhöflichkeit, uns nicht vorzustellen, anbelangt, so habt ihr recht, Meister … ?” Sie ließ das Ende des Satzes fragend ausklingen. “Doch solltet ihr ebenfalls bedenken, dass wir uns hier nicht im Krieg befinden. Dies ist eine Adelsfeier, kein Feldzug. Militärische Rangfolge ist hier fehl am Platz.” Ihr Lächeln wurde sehr warm und freundlich, und ihre Stimme war honigsüß. “Und gewiss ist es doch in eurem Sinne, dass wir als studierte Medicae Euch bei der Versorgung dieser jungen Dame entlasten.” Ihr strahlendes Lächeln traf auf die versteinerten Züge des Zwergen und blieb dort, mit der selbstverständlichen Penetranz einer Hochadligen, die es gewohnt war, ihren Standpunkt deutlich darzulegen. Weder Gestik noch Mimik des Zwergen verrieten, ob die beiden Frauen ihn hatten beschwichtigen können, als er sich nun seinerseits vorstellte. Sein Ton jedoch war wieder beherrschter. Er hatte seine Meinung gesagt und die Spielregeln erklärt.  Nun kam es auf das Verhalten der ‘Gäste’ an.

"Meister Apporix, Medicus der Halle des Lebens zu Norburg." “Angenehm.” Die Stimme der Baronin war noch immer freundlich und gemessen - und die Frau nicht bereit, einen Zoll zu weichen. “Ich hätte nicht  gedacht, hier in der Wildnis einen ausgebildeten Medicus zu treffen. Meine Collega und ich sind vom Anatomischen Institut zu Vinsalt.” Wie beiläufig hob Shanija ihre Handfläche, auf der das Gildensiegel offen und deutlich zu sehen war.  "Ich studierte am profanen Teil der Fakultät", erklärte der Zwerg auf die indirekt im Raum stehende Frage hin. "Nach meinem Prüfung arbeitete ich über zwei Jahrzehnte als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schule des Lebens.  Meine Sippe kam erst vor zwei Götterläufen in den Isenhag, als der Ruf des Rogmarog bis ins Bornland vorgedrungen war. Seither arbeite ich als Medicus für das Garderegiment." Sodann trat der Zwerg bewusst gelassen einen Schritt auf Seite, so dass die Damen die Patientin vollständig sehen konnten, dann fuhr er fachmännisch nüchtern fort. "Die Patientin hat einen sechs Finger langen Schnitt an ihrer linken, seitlichen Bauchmuskulatur erlitten. Die Wunde ist etwa zwei Finger tief und hat einen Teil des Muskels durchtrennt. Organe sind nicht zu Schaden gekommen. Die Patientin bekommt von mir Heilsalbe aus eigener Herstellung, der es unnötig macht die Wunde zu nähen. Der Muskel wird voraussichtlich in vier Tagen verheilt sein. Die Wundränder zeigen bereits, dass die Behandlung anschlägt. Der Druckverband sorgt dafür, dass sich alles so fügt, wie es soll und später keiner motorischen Dissonanzen beziehungsweise Asymmetrien auftreten.

Zur Stärkung erhält die Patientin ein Kräutersud, dass ich ebenfalls selbst hergestellt habe.”  “Ich verlasse mich auf Euer Wort.” Shanija zuckte die Achseln. Zu Maura gewandt, fügte sie hinzu. “Hier gibt es nichts für uns zu tun. Lass uns gehen.” Leiser, nur für Mauras Ohren, murmelte sie “Umbringen wird er sie damit nicht - aber auftreten wird sie heute keinesfalls können. Schade eigentlich. Und was unternehmen wir jetzt?” Sie hakte Maura unter und schenkte Zwerg und Gauklerin ein höfliches Lächeln. “Euch gute Genesung - und Euch, Meister, noch gute Geschäfte.”

Die Zofe, die ihre beiden schweren Taschen mit einem tiefen Luftholen auf einem freien Tisch abgesetzt hatte, hievte diese mit einem Keuchen wieder auf ihre Arme. Von der Langeweile und Enttäuschung, die sich nun, nachdem sich diese abgewandt hatte, deutlich auf dem Gesicht ihrer Herrin abzeichnete, war sie noch eine Weile entfernt. Maura schaute selbst noch einmal kritisch, nickte dann aber zur Bestätigung. “Da habt ihr Recht, Collega. Ich habe aber da noch eine Frage, euer Hochgeboren.” Vorsichtig und nahm sie Shanija zur Seite und flüsterte ihr zu. “Du kannst doch den Balsam. Das wäre jetzt das einzige, was ihr Auftritt noch retten könnte, abgesehen, das es dann auch keine Narbe gibt. Ansonsten sehe ich da auch nur die Bettruhe. Selbst mit dem besten Zwirn und Salbe, wird das wieder aufbrechen, bei ihren Kunststücken. Und die Narbe danach wird auf jeden Fall eine häßliche sein. Und wie ich sie einschätze, wird sie die Bettruhe nicht einhalten. Bedauerlicherweise hatte ich sie auch noch zur Brautschau eingeladen … zur Unterhaltung. Was meinst du?”

Als die Baronin von Rabenstein Anstalten machte, unverrichteter Dinge wieder zu gehen, war Doratrava zunächst der Schreck in die Glieder gefahren, sah sie doch den Auftritt heute Abend vor ihrem inneren Auge zerplatzen. Als dann Maura Shanija zurückhielt und mit ihr tuschelte, schöpfte sie wieder etwas Hoffnung, wenn sie auch keines der geflüsterten Worte verstand. Im Geiste ging sie schon mal ihre geplanten Kunststücke für heute Abend durch in dem Versuch, sie so anzupassen, dass ihre Verletzung möglichst wenig Auswirkungen hatte, aber wie sie es drehte und wendete, ihre Bauchmuskeln würde sie für fast alles brauchen … wenn alle Stricke rissen, würde sie sich an Rondradin wenden, vielleicht konnte göttlicher Beistand etwas bewirken … oder war das vermessen? Was war schon ihr kleiner Auftritt in den Augen der Götter? Resigniert schloss sie die Augen. 

“Hm - wenn Du meinst.” Zweifelnd betrachtete Shanija die verletzte Gauklerin und ließ einen sehr kühlen Blick über den unhöflichen Zwergen wandern. “Aber ich möchte schließlich nicht daran Schuld sein, dass deine Brautschau auf einen Teil ihrer Unterhaltung verzichten muss.”  Sie beäugte Doratrava eingehender, als der lieb sein mochte. “Wärst Du mit einer magischen Heilung einverstanden?” "Einen Moment bitte", warf Apporix nun wieder etwas kühler ein, als er merkte, dass man ihn abermals übergehen wollte. 

"Ich möchte klarstellen, dass ich nichts gegen Madas Wirken habe, dass Magie aber in diesem Zelt zu unterlassen ist. Wenn die Patientin damit einverstanden ist, sich eurer Behandlung zu unterziehen, so bin ich damit aber selbstverständlich einverstanden. Nur hat dies dann nicht mehr hier zu erfolgen." Doratrava blickte etwas überfahren erst zur Baronin, dann zum zwergischen Heiler und wieder zurück. “Äh … ja, natürlich bin ich einverstanden und im Übrigen überaus dankbar für das Angebot”, antwortete sie beiden mit schüchterner Stimme, der man aber durchaus die Verwunderung anhören konnte. Was für eine Frage! Wer bei klarem Verstand würde denn eine magische Heilung ablehnen? Gut, sie hatte schon gehört, dass Anhänger und vor allem Geweihte des Praios da … ‘zurückhaltend’ waren, andererseits stellte sich auch hier die Frage des klaren Verstandes. Allerdings würde sie sich hüten, diese Meinung offen zu äußern, schon gar nicht in dieser Runde, aber das stand ja auch nicht zur Debatte. Statt dessen fuhr sie mit fragendem Unterton fort: “Gut, gehen wir … ?” Sie richtete sich vorsichtig auf und schwang die Beine über den Rand der Pritsche, wobei sie ein leichtes Verziehen des Gesichtes nicht verhindern konnte.

Shanija schüttelte den Kopf angesichts dieser Verbissenheit - und der Sturheit des Zwergen, der eine Verletzte zu solchen Mühen nötigte. Sie trat nach vorn, um der Gauklerin zu helfen, und warf dem Medicus einen sehr finsteren Blick zu. “Sollte sich mein Gemahl oder jemand anderes aus unserem Tross verletzen - sorgt dafür, dass sie direkt in mein Zelt gebracht werden. Hier sind sie fehl am Platze.” Auch Maura schüttelte nur den Kopf, über die rüde Art des Zwergen. Das war wieder einmal ein gutes Beispiel, war sie sich nicht immer in den Nordmarken wohl fühlte. Kaum trat die Baronin vor, ergriff auch sie mit helfenden Händen die Gauklerin. "Das wird leider nicht möglich sein", antwortete der zwergische Medicus mit aufrichtigem Bedauern. "Es sei denn ihr wollt bei jedem Hornruf selbst in den Wald aufbrechen und euren Gemahl gegebenenfalls selbst ins Lager überführen.  So meine Männer und ich dies tun muss er hier aufgenommen werden und eine Erstbehandlung bekommen, so lauten die Regularien an die ich mich zu halten habe. Selbstredend aber werde ich sofort einen Boten nach euch entsenden, so dieser doch recht unwahrscheinliche Fall eintritt."

Doratrava zuckte zusammen, als die beiden Adligen sie rechts und links am Arm nahmen, was ein erneutes Stechen durch ihre Seite jagte und sie nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken konnte. Sie war es einfach nicht gewohnt, so behandelt zu werden, als gehöre sie ‘dazu’, was das auch immer genau bedeuten mochte. Schon war sie versucht, die Hilfe abzulehnen, war sie doch seltsamerweise keineswegs wacklig auf den Beinen, nur ihre Seite schmerzte eben niederhöllisch, wenn sie eine falsche Bewegung machte. Doch dann beherrschte die Gauklerin sich, da sich sich nicht traute zu widersprechen, und ließ sich bereitwillig nach draußen führen.

Eben wollte die Gruppe das Lazarett betreten, da kamen ihnen Doratrava gestützt von...Rahjania kramte in ihrem Gedächtnis...der Baronin von Rabenstein und eine andere Adlige, sicher Hochgeboren, deren Name ihr aber im Moment nicht einfiel, entgegen. “Oh, wo wollt Ihr denn mit der Verletzten hin ?” Sie holte mit dem Arm aus und wies auf den Trupp besorgter Jugendlicher. “Man hat mich zu Hilfe geholt, etwas göttlicher Beistand schadet sicher nicht. Wie geht es ihr?” Shanija wandte sich den Neuankömmlingen zu und begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln. “Hochwürden - wie schön! Die Gauklerin hat einen üble Wunde an der Seite - und der Medicus hier hat verboten, dass wir diese im Lazarett heilen. Wir bringen sie dazu nach draußen.” Sie holte tief Luft. Die Gauklerin wog nicht viel, aber wenn dieses ‘nicht viel’ an ihrer Seite zerrte, war es doch Einiges. “Boromada, komm’ her und hilf mir tragen. Und noch jemand, der meine Collega hier entlasten könnte.” sorgte sie für eine gleichmäßige Verteilung der Mühen.

Sofort trat Palinor vor und nickte den drei Frauen zu. “Rondra zum Gruße. Wenn Ihr erlaubt, Doctora.” erbot sich der Knappe, der Doctora unter die Arme zu greifen. Dadurch könnte man die verräterische Röte in seinem Gesicht durch die Anstrengung, Doratrava zu stützen, erklären. Oder die große Anzahl betörend schöner Frauen, in der er sich befand, wobei sein Augenmerk nur einer galt. So nahm er der Doctora ihre Last ab und legte sich den Arm Doratrava um die Schulter. Boromada ließ sich kein zweites Mal auffordern, übernahm den Arm der Gauklerin von der Baronin und legte ihn sich um die Schultern. Die Frau wog so gut wie nichts. Und die Sache wurde noch besser, als Palinor hinzutrat und sich ihre Hände hinter Doratravas Rücken trafen. Sie hoffte, dass sich die Röte nicht allzusehr auf ihren Wangen ausbreitete und strahlte Shanija an, ihren Blick bewusst nicht mit dem des Knappen kreuzend. “Wohin sollen wir denn, Euer Hochgeboren?”

“Nach draußen - überallhin, wo der gestrenge Meister dieser Hallen nicht wacht. Schaffst Du es bis in unser Zelt, Kind?” Wollte sie von der jungen Gauklerin wissen. Doratrava wusste gar nicht, wie ihr geschah, als plötzlich noch mehr Leute kamen, allen voran diese Rahjageweihte, Völlig überrumpelt ließ sie sich von den Händen der Adligen und die zweier junger Leute übergeben und sich behandeln, als könne sie nicht mehr auf den eigenen Füßen stehen. Dabei konnte sie nicht verhindern, dass ihr Mantel, den sie noch immer als einziges Kleidungsstück oben herum trug, vorne deutlich aufklaffte und interessante Einblicke bot, was nicht eben zu ihrem allgemeinen Wohlbefinden beitrug. Hilflos sah sie sich um, im Griff der halben Kinder, die trotzdem deutlich größer und kräftiger als sie waren, hängend. Auf die Frage der Baronin hin konnte sie nur ergeben mit dem Kopf nicken, ihrer Stimme traute sie aufgrund ihrer Gemütslage nicht über den Weg, was das Produzieren zusammenhängender Sätze anging. So viel Aufhebens nur wegen einer Gauklerin! Eigentlich sollte sie sich geschmeichelt fühlen, aber dieses Gefühl wollte sich nicht so recht einstellen. Doch in ihr regte sich so langsam die Hoffnung, dass man sie vielleicht doch noch einigermaßen wiederherstellen konnte bis heute Abend, wenn sich nun auch noch eine Geweihte um sie kümmerte.

Maura ließ die anderen vorgehen, ohne dem Zwerg noch einen missbilligen Blick zuzuwerfen, bevor sie das Zelt verließen. Als sie ihre Nichte sah ging sie gleich auf sie zu. “Gelda, Kind, ist alles in Ordnung?”fragte sie und schaute auf ihre Armbinde. Gelda schaute kurz auf ihren Arm, hatte sie ihre Schramme schon ganz vergessen. “Das ist nichts. Doratrava braucht jetzt mehr Hilfe”. “Ich schaue mir das später an. Keine Widerrede. Besorge uns bitte etwas, damit wir unsere Patientin betten können.”, sagte die Doctora bestimmend. Gelda lief sofort los und es dauerte nicht lange bis sie mit zwei Decken wieder kam. Die eine breitete sie aus, die andere rollte sie zusammen und legte sie unter Doratravas Kopf zur stütze, wohlweislich darauf achten, den Oberkörper ihrer Freundin zu bedecken.  Als die Doctora der Rahjageweihten gewahr wurde, lächelte sie diese an. “Euer Gnaden, schön euch hier zu sehen. Ihr seid genau richtig, denn einige hier können euren Segen sehr gebrauchen!”, sagte sie freundlich. Dabei wanderte ihr Blick erst zu Boromada, dann zu Palinor und striff nur flüchtig ihre Freundin Shanija.  Die nickte den ganzen Neuankömmlingen, die sich nun zusammen mit ihrer Patientin im nicht gerade kleinen Zelt der Rabensteiner drängten, nur höflich zu, ehe sie sich wieder an die Gauklerin wandte. “Möchtest du, dass alle hierbleiben, oder sollen wir sie nach draußen schicken?”

Was für ein Auflauf! Als gäbe es im Lager ansonsten nichts mehr zu erleben. Die Baronin schüttelte den Kopf. Dabei hatte sie eigentlich nur eine Schramme magisch heilen wollen - Maura zuliebe. Immer noch etwas durcheinander schüttelte Doratrava den Kopf, dann nickte sie. “Also ... “, setzte sie an, um dann nochmals zu verstummen. Sie suchte Geldas Blick, die ihr mit den Decken geholfen hatte, so dass sie sich nun deutlich weniger als kurioses Schauobjekt fühlte und warf dieser ein dankbares Lächeln zu. “Wer mir helfen kann oder will, darf gerne bleiben, Gelda auch, aber ansonsten wäre es mir lieb, wenn nicht soviele Leute da wären”, tat die Gauklerin schließlich mit leiser, leicht entschuldigend klingender Stimme kund. ‘Zu Schade’, dachte Palinor bei sich, hätte er doch zu gerne gesehen wie die Gauklerin mittels magischer und göttlicher Hilfe geheilt werden würde. Aber so konnte er mit Boromada aus dem Zelt und damit aus dem Blickfeld der Erwachsenen entkommen. Fragend sah er zu Boromada hinüber und nickte mit dem Kopf in Richtung des Zeltausgangs. Er deutete eine Verbeugung vor Doratrava an und meinte: “Wie Ihr wünscht. Wir werden dann draußen warten.” Dann wandte er sich dem Zeltausgang zu. Die Knappin nickte knapp und drückte sich nach Palinor aus dem Zelt. Von hier zu verschwinden war nicht die dümmste Idee - insbesondere, da sich ihre Wangen noch immer verdächtig warm anfühlten.

Nachdem die Knappen das Zelt verlassen hatten, schloss die Doctora das Zelt und setzte sich zu Gelda. Gelda wiederum saß neben Doratrava und hielt ihr die Hand. “Ich schau mir das jetzt mal an.”, sagte Maura bestimmend und nahm ihrer Nichte die Armbinde ab. Tatsächlich war die Wunde nicht allzu schlimm und bedarf ausschließlich einer Reinigung, eine Salbe und eine frische Binde. “ Nun wird es doch noch was mit deinem Auftritt.” Gelda lächelte und beobachtete die Baronin und die Geweihte der Rahja.  Shanija genoss es nun endlich einmal ungestört ihre Arbeit zu tun. Ohne Zwerge. “Madija, meine Sachen.” bemerkte sie mit einem Seitenblick auf ihre Zofe, die aufgrund langer Erfahrung - und Handlangerdiensten in Dingen, die sie zu Beginn ihres Dienstverhältnisses nicht in ihren schlimmsten  Träumen erwartet hätte, andererseits hatte sie damals auch noch nicht gewusst, dass es sich bei ihrer Herrin um eine Heilmaga handeln würde - Wolle, ein Fläschchen mit in Brannt eingelegten Fäden, und das Besteckset ihrer Herrin auspackte. Bei Letzterem handelte es sich um ein langes Lederband, in dem in einzelnen Taschen das Wundarztbesteck der Baronin stak - verschiedene Sonden, Spreizer, Löffel, Skalpelle und Scheren - und deutlich exotischere Werkzeuge, deren Namen sie inzwischen aber einigermaßen zuordnen konnte.

Shanija ließ ihre Hand überlegend über der Sektion mit den Skalpellen tanzen, entschied sich schließlich für eines mit besonders stabiler Klinge und säbelte vorsichtig und fein säuberlich die Binden auseinander, die der Norburger Zwerg erst vor kurzem angelegt hatte. “Schau’ mal, Maura.” Lud sie ihre Collega ein, die Wunde zu besichtigen. “Magistra, Doctora, Doratrava, wenn es Euch Recht ist, lasse ich Euch den Vortritt und spreche am Ende einen Segen.” Neugierig betrachtete sie die Wunde Doratravas und die Utensilien, die die beiden anderen Damen zu deren Heilung auspackten. “Ein Segen der schönen Göttin wird es abrunden und die haut wie Samt werden lassen, ich meine, man wird es ihr nicht mehr ansehen. Allerdings…” Sie lächelte Doratrava keck zu. “Ihr tanzt so wundervoll, würdet Ihr mir zum Ausgleich eine neue Figur beibringen ? Das wird Rahja gefallen, die Anmut und Schönheit Eures Körpers hilft sie zu bewahren und ich darf etwas davon weitergeben.” Maura lächelte Rahjania an und schaute dann der Magistra zu, wie sie die Wunde behandelte.  Etwas skeptisch und besorgt sah Doratrava der Baronin zu, wie sie mit einem kleinen, offenbar sehr scharfen Messer die Binden entfernte, gefasst darauf, möglichen Schmerz unterdrücken zu müssen, aber nichts dergleichen geschah - bis jetzt. Als die Geweihte sie ansprach, sah sie auf. Ein wenig war sie verwirrt von den Worten, denn ihrer Erfahrung nach heilte Magie auch ohne Narben, aber man wusste ja nie … so oft war ihr magische Heilung nun auch noch nicht widerfahren, und die Geschehnisse vor ein paar Tagen im Wald hatten tatsächlich möglicherweise bleibende Spuren auf der Haut von Brust und Rücken hinterlassen, genauso wie einige ältere Ereignisse, die eindeutig nicht als Folgen von akrobatischen Übungsunfällen zu erkennen waren. Also nickte sie dankbar und antwortete: “Ich danke Euch, äh, Hochwürden.” Gerade noch rechtzeitig erinnerte sich die Gauklerin an die richtige Anrede, immerhin hatten die beiden sich schon am Vortag recht ausführlich unterhalten. “Gerne werde ich versuchen, Euch noch ein paar Tanzschritte beizubringen, das wäre mir sogar eine ganz besondere Freude.” Wenn sie auch nicht genau wusste, ob das klappen würde, denn bisher hatte sie noch nie jemand gebeten, ihre Kunst weiterzugeben, und ihre intuitive Art des Tanzes konnte nicht so einfach in wiederholbare Formen gepresst werden. Aber mal sehen, es würde sich schon etwas finden. Dann kehrte Doratravas Aufmerksamkeit zu Shanija und deren Tätigkeit zurück.  Diese beäugte die Wunde mit gerunzelten Brauen, zog die Wundränder auseinander, blickte überlegend zu ihrem Besteck auf die hübsche Auswahl an verschiedenen Sonden und überlegte es sich dann doch anders. Sie nahm einen Wattebausch aus einem Säckchen, tränkte ihn mit einer klaren, intensiv nach Schnaps riechenden Flüssigkeit und wischte ihn mit einem sanften ‘Das wird jetzt brennen.” über die Wunde. 

Doratrava zuckte zusammen, als die Baronin mit einem sehr distanziert interessiert wirkenden Blick, wie sie selbst vielleicht einen hübschen Jonglierball bei einem Händler betrachten würde, begann, mit Werkzeug an ihrer Wunde herumzuzupfen. Verdammt, sollte das nicht eine magische Heilung werden? Aber sie wollte jetzt nicht durch empfundene Aufsässigkeit ihre einzige Chance auf den Auftritt heute Abend versauen, also biss sie die Zähne zusammen, versuchte, nicht wegzuzucken, und schwieg. Als dann Shanija mit dem Wattebausch kam, konnte sie allerdings ein scharfes Einziehen der Luft durch die Zähne nicht mehr unterdrücken, und auch nicht einen leicht vorwurfsvollen Kommentar. “Das hat doch der Zwerg schon alles gemacht, Wohl-, äh, Hochgeboren”, presste sie zwischen den Zähnen hervor, während der Wolf in ihrer Seite wühlte und ihr Tränen in die Augen trieb. Sie warf Maura und Gelda einen verstohlenen Blick zu, als könne sie aus deren Miene lesen, ob das hier alles seine Richtigkeit hatte. Shanija legte entschieden ihre Hand auf die Schulter ihrer Patientin. Was für helle Haut sie hatte! Fast weiß - sogar noch heller als die ihres Gemahls. “Bleib liegen. Wenn Du so zappelst, werde ich Dir vielleicht noch eine zweite Nase ins Gesicht zaubern.” Sie schmunzelte und warf den benutzten Wattebausch in eine Schüssel, die ihr Madija entgegenhielt. Entschieden legte sie ihre Hände beiderseits der Wunde, schloss die Augen und begann den Cantus des ‘Balsam Salabunde’.

Doratrava schaute der Baronin verblüfft in die Augen. War das etwa ein Scherz gewesen? Immerhin wirkte er insofern, als er sie den Schmerz für einen Augenblick vergessen ließ, und dann floss, von den Händen der Magierin ausgehend, ein warmer, vertrauter Strom erst durch die Wunde, dann durch ihren ganzen Körper. Wohlig aufseufzend ließ sich Doratrava zurücksinken, ließ alles mit sich geschehen. Bald, bald schon wäre sie wie neu, als wäre das Missgeschick mit dem Schröter gar nicht geschehen. Sie schloss die Augen und genoss das Gefühl.

Shanija schloss die Augen, sammelte die Kraft in ihrem Körper, formte sie und ließ sie durch ihre Hände in den warmen, weichen Leib unter diesen strömen. Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte sie, als sie fühlte, wie sich Muskeln und Fleisch verbanden, eins wurden, Blut die Adern durchströmte und mit Leben füllte, was zuvor zerteilt und verletzt war. Fand sich verbunden mit dem Leib unter ihren Händen, flatternd, flüchtig, kaum greifbar, einem Bild gleich, das sie durch eine dicke gläserne Scheibe betrachtete. Wie eigenartig! Die Magierin runzelte die Braue, ihre Augen noch immer geschlossen, versuchte, das Unfassbare, dass ihr ein auf’s andere mal immer wieder entgleiten wollte wie ein kleiner Fisch in einem Tümpel, genauer zu fassen, und gab es schließlich auf, sich selbst damit zufriedengebend, heile, unverletzte - weiße - Haut unter ihren Händen zu fühlen. Ein letztes Kribbeln in den Fingerspitzen, Wärme in ihren Handflächen, bis auch diese Empfindung aufgesogen wurde, fort, dorthin, wohin sie geschickt worden war.  Die Baronin sann noch einen Atemzug lang dem berauschenden Gefühl der Magie, des erfolgreich applizierten Zaubers, nach, bis sie mit einem verwirrten Kopfschütteln schließlich wieder die Augen öffnete, über die Seite der Gauklerin, die bis gerade eben noch eine unschöne Wunde verunziert hatte, strich, und schließlich ihre Hände zurückzog.

“Besser?” eine überflüssige Frage, doch eine, die ihre Patienten zu erwarten schienen. Sie suchte den Blick Mauras und zwinkerte ihrer Freundin zu. Zufrieden? fragte die Geste. Doratrava fühlte dem Fluss der Kraft nach, der allmählich versiegte, nachdem er sein Werk getan hatte. Sie öffnete die Augen wieder und strich mit der Hand über ihre Seite. Sie fühlte keinen Schmerz mehr und keine Wunde, nur glatte Haut über straffen Muskeln. Versuchsweise zog sie die Beine an und sprang in einer fließenden Bewegung aus dem Liegen direkt in den Stand. “Ich danke Euch von Herzen, Hochgeboren”, antwortete Doratrava mit einem sehr erleichterten Lächeln und einer Verbeugung, dann sah sie zu der Rahjani hinüber, aber nicht, ohne Gelda vorher schon wieder etwas übermütig zuzuzwinkern. Maura nickte ihrer Freundin Shanija bestätigend zu. “Fantastisch!” sagte sie zur Patientin. Dann kümmerte sie sich um Geldas Wunde, reinigte sie und verband sie neu. “Ich danke dir , Shanija!” flüsterte sie der Baronin zu. “Wir brauchen ein neues Hemd für dich und dann kannst du dich auch schon vorbereiten für heute Abend!”, sagte Gelda zu Doratrava. “Und ich bin schon wahnsinnig gespannt, wer der Jagdkönig wird. Ich meine, ein Schröter ist ja kaum zu schlagen, oder?”,fragte sie in die Runde.

“Da ich mich nun wieder selbst bewegen kann, kann ich mir auch den Mantel zuhalten”, lächelte Doratrava ihre Freundin an. “Damit komme ich dann sicher unbeschadet in die Jagdhütte und kann mir mein Ersatzhemd holen. Und ja, vorbereiten muss ich mich auch noch, allerdings.” Mit versonnenem Gesichtsausdruck hielt die Gauklerin kurz inne, bevor sie fortfuhr: “Was den Schröter angeht, war das schon ein hartes Stück Arbeit. Aber da ich keine Ahnung habe, wie man einen Jagdkönig bestimmt, weiß ich nicht, ob das reicht.” Wie Gelda schaute sie nun fragend in die Runde. Die Adligen konnten ihnen da doch sicher Aufschluss geben. Obwohl - Gelda war auch adlig, und die wusste es offenbar nicht. Egal, und außerdem hatten Nivard und die Zwerge ja noch die Möglichkeit, weitere Jagdbeute zu machen. Sie drückte ihnen die Daumen.

Dann sah Doratrava nochmals scheu zu Rahjania hinüber, denn diese hatte vorher noch etwas von einem Segen gesagt, den sie sicher nicht leichtfertig ausschlagen würde. Shanija von Rabenstein schmunzelte, als sie ihre Patientin so leichtfüßig von dannen hüpfen sah, und doch blieben leichte Falten um ihre überlegend zusammengezogenen Augen, als sie die weißhaarige Gauklerin betrachtete. Sie zuckte die Schultern und wandte sich ihrem Besteck zu, legte zur Seite, was gereinigt  gehörte, und begann, ihr Handwerkszeug zusammenzupacken, nicht ohne noch einen fragenden Blick auf ihre Freundin zu werfen, prüfend, ob diese noch etwas für das Verarzten ihrer Verwandten benötigen würde. Rahjania ging zu Doratrava und fuhr mit leuchtenden Augen über die makellose Haut. „Wie schön das geworden ist, Hochgeboren. Ein Meisterwerk.“ Dann strich sie der Patientin über die faszinierenden Haare… „Sag, wünschst du noch einen Segen? Besser kann ich die Haut nicht machen, aber einer Künstlerin wie dir sollte er trotzdem Kraft geben. Wie du willst.“ Doratravas Toleranz gegenüber Berührungen fremder Leute war in den letzten Stunden zwangsläufig gestiegen, so schaffte sie es, nicht zusammenzuzucken, als die Geweihte ihr mit beiläufiger Selbstverständlichkeit so nahe kam, zumal sie das ja mehr oder weniger erwartet hatte. Sie zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, denn nichts anderes hatte Rahjania für ihr Angebot verdient, sie konnte ja nichts wissen von Doratravas innersten Befindlichkeiten. “Gern würde ich einen Segen von Euch empfangen, Hochwürden”, antwortete sie. “Was muss ich dafür tun?”

“Du musst gar nichts tun, das mache ich. Ich streiche hm.. ja, im Prinzip streiche ich über die ehemals verwunderte Stelle und sage was dazu. Du wirst es nicht verstehen, außer du kannst Tulamidisch.” Sie berührte nebenher sachte die jetzt wieder glatte Haut. “Und danach zeigst du mir etwas von deinem Tanz.” Gelda hatte selten etwas mit Rahjageweihten zu tun. Meistens war sie umgeben von den Diener der Travia und ab und an der des Herrn Praios. Neugierig betrachtete sie Priesterin. ´Eine echt schöne Frau´ Denselben Gedanken hatte auch Maura, die ebenfalls Rahjania beobachtete. Würde nicht der Lehrer der Leidenschaft, Rahjel von Altenberg, zur Brautschau kommen, hätte sie sie gefragt, ob sie nicht auch Zeit und Lust hatte, einen Segen dort zu sprechen. Ja, niemand sollte die Macht Rahjas unterschätzen! Doratrava verzichtete darauf, der Geweihten zu erklären, dass sie ein paar Brocken Tulamidisch beherrschte, das war ja auch nicht wichtig. Sie nickte zu den Worten der Geweihten. “Gerne, Hochwürden”, stimmte sie deren Wunsch zu, dann sah sie diese erwartungsvoll an.

“Keine Angst, shhh.” Rahjania strahlte Ruhe und Frieden aus, Doratrava nahm nur noch sie war und der Rest der Umgebung wurde unwichtig. Die Geweihte legte ihr die  Hand auf, ihr eigener Blick ging in unergründliche Ferne und sie sprach, Doratrava verstand ein bisschen, doch, wie sie schon gesagt hatte, war es unwichtig. Sie fühlte sich gut, beschützt und geliebt. Dann lächelte die Tulamidin und hob den  Kopf. “Rahja sei mit dir. Bis später.” Auch wenn es seltsam klang, aber Doratravas schwarze Augen strahlten nach dem Segen vom innen heraus, fast meinte man, ein silbernes Glühen in den Pupillen erkennen zu können. Ein glückliches Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht gelegt, während sie die Berührung der Göttin spürte. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie nach dem Ende des Segens aus der entrückten Geborgenheit wieder zurück in die Wirklichkeit fand, so dass die letzten Worte der Geweihten deutlich verspätet ihren Geist erreichten. Rahjania war schon fast aus dem Zelt, bis die Gauklerin ihre Verwirrung abgeschüttelt hatte und ihr hinterher rief: “Hochwürden! Und was ist nun mit dem Tanz?” 

Schwungvoll drehte sich diese nochmal um und zwinkerte Doratrava zu. “Das hat Zeit bis morgen, bereite dich auf deine Aufgabe heute vor, wir machen das  dann in Ruhe.” Doratrava blinzelte, noch nicht ganz bei sich fiel es ihr nicht leicht, sich auf die Sprunghaftigkeit der Geweihten einzustellen. Aber dann lächelte sie und nickte Rahjania gleichermaßen bestätigend wie verabschiedend zu. Im Grunde war sie erleichtert, sich nun ihrem Auftritt widmen zu können, da war tatsächlich noch einiges zu tun. Sie sah sich im Zelt um. “Ich würde mich jetzt verabschieden. Nochmals vielen Dank für alles. Spontan trat sie vor und umarmte Gelda kurz, um gleich darauf wieder einen Schritt zurück zu machen. Ein Hauch von Rosa umspielte ihre Nasenspitze, als sie die drei Frauen abwartend ansah.

Erst war Gelda ein wenig enttäuscht, hatte sie sich vorgestellt, dass solch ein Segen der Lieblichen etwas spektakuläres wäre. Aber als sie eine Leichtigkeit ergriff und ihr ganz warm ums Herzen wurde, hatte sie verstanden. Sofort wanderten ihre Gedanken zu Rondradin und Nivard. Rahja hatte ihr einen Wink gegeben und sie wußte nun, was zu tun war. Nachdem Doratrava das Zelt verließ, ging auch sie ihres Weges. Auch an der Doctora von Altenberg ging der Segen nicht vorbei. Aus einem spontanen Gefühl heraus umarmte sie erst die Geweihte herzlich und dann ihre Freundin Shanija, die Baronin von Rabenstein. “Das hat ja alles ein Glück ein gutes Ende genommen. Wie es scheint gibt es erst einmal hier nichts für uns zu tun, oder?” fragte sie in die Runde. “Ich denke nicht - die junge Dame immerhin darf sich jetzt freuen.” Shanija  lächelte. “Sollen wir einmal schauen, was es als Imbiss gibt?” Heilungen, insbesondere magische, machten sie hungrig - und sie genoss das Gefühl, eine gute Tat erfolgreich getan zu haben. “Falls ihr noch nicht meiner überdrüssig geworden seid, könnt ihr auf mich zählen!” Maura packte alles ordentlich zusammen, um mit den beiden Damen nach einem Imbiss zu schauen. “Dann lasst uns Essen gehen!” Lachte Shanija, während die Damen zufrieden zusammen aufbrachen.

“Hm..ja, warum eigentlich nicht ?” Sie hatte nichts anderes zu tun, bis die Jagdgruppen fertig waren. “Ich freue mich, jemanden zum Plaudern zu haben, Maura...oder ? Es wäre nur zu schön, in unserem kleinen Dorf eine Heilkundige zu haben. Vielleicht könnt Ihr mir etwas helfen.” Sie schloss zu den beiden Adligen auf und grübelte kurz. Dann folgte eine ausschweifende Frage, mit erklärenden Gesten untermalt an Maura. “Entweder sind es Probleme bei der Geburt, oder Verletzungen aller Art, mit denen ich zu tun habe, ich bin die einzige Geweihte weit und breit… Bei den Alten, wenn sie mich lassen, habe ich ein Problem, mit dem ich nicht so recht weiter weiß. Manche haben offene Stellen an den Füßen, sie schmerzen nicht besonders, aber sie heilen nicht. Und meist breitet es sich früher oder später aus und diese eigentlich kleine Stelle vergiftet den ganzen Körper. Was kann ich tun?” Während die Frauen waren, um zu speisen, überlegte sie über die Frage nach. “Ich kümmere mich auch um viele Menschen, allerdings Städter, keine Bauern. Da habe ich das Problem mit offenen Füßen so gut wie gar nicht. Sicherlich würde ich ihnen Wirselkrautsalben und Wickel empfehlen und natürlich eine lange Schonung der Füße. Allerdings verstehe ich das Problem, dass das bei Bauern nicht so einfach ist. Und ja, ihr braucht unbedingt eine Heilerin im Dorf. Gibt es einen Perainetempel in der Nähe? Und was meint ihr, Baronin?” “Ich würde unbedingt Einbeerentinktur verwenden. Anstelle eines üblichen Einbeerensaftes habe ich einmal mit einem Alkoholauszug dieser Beeren experimentiert - die Wirkung war deutlich schwächer, aber sehr viel länger anhaltend. Bei schlecht heilenden Wunden verwende ich sie ganz gerne - sie lässt sich auch noch ordentlich mit einem Balsam verstärken. Wenn eines unserer Pferde eine offene Stelle am Bein hat, ist das eines der Mittel meiner Wahl - alternativ zeigt sich auch eine Wirselkrautsalbe von ganz kommoder Wirkung, wie Du bereits gesagt hast, Maura.” 

Zufrieden über die Fachsimpelei wanderten die Damen weiter, bis in die Halle der Jagdhütte, in der es immer einen leckeren kleinen Imbiss zu erwarten gab. “Sagt, Hochwürden, habt ihr diese Probleme öfters?” erkundigte sie sich neugierig. “Gibt es denn gar keinen Kräuterkundigen in eurem Dorfe?” Rahjania seufzte. „Die nächste Geweihte, eine der Travia, die mich skeptisch duldet, ist einige Stunden entfernt. Zu Pferd, und die Gegend ist nicht sicher. Und ja, es gibt oder besser gab, sie wird langsam wirr im Kopf, eine Kräuterfrau, welche mich aber ablenkt.“ Sie warf ihr beeindruckendes Haar von dunklem Rot (natürlich oder gefärbt?) nach hinten und streckte sich. „Habt Dank für den Rat. Er wird sicher vielen leidenden Menschen helfen“

Die Knappen vor dem Zelt

Vor dem Zelt angekommen, sah sich Palinor rasch um. Niemand war zugegen, selbst die beiden Paginnen, die er zuletzt hier gesehen hatte, waren gerade nicht zu sehen. Wortlos doch lächelnd ergriff er Boromadas Hand und zog sie weg, aus dem Blickfeld der Zeltöffnung. Im Nest des Raben sah er davon ab, Boromada in seine Arme zu ziehen und sie innig zu küssen. Stattdessen suchte er eine Bank oder breite Truhe, auf der sie sich niederlassen konnten. Boromada wies auf die Bank, die hinter einem Tisch vor dem Zelt stand. Einige Zaumzeugteile und Lederfett erzählten davon, dass hier üblicherweise emsig gearbeitet wurde - zumindest solange die Herrschaft nicht hier war, aber bald zurückzukommen drohte. Augenblicklich war sie verwaist, da die spannenderen Dinge im Zelt geschahen - sie hätte darauf gewettet, dass die beiden Paginnen nun im Schlafraum standen und durch einen Schlitz in der Zeltleinwand  zur Baronin und ihrer Patientin spickten. Sie grinste unsicher.  “Was, wenn die das herausbekommen? Wird Dir Dein Verwandter nicht den Kopf abreißen?” flüsterte sie verstohlen.

Palinor wartete bis sie beiden saßen, plötzlich blass werdend. Nachdenklich betrachtete er Boromada, während er seine Antwort formulierte. “Ich weiß es nicht, aber um ihn mache ich mir weniger Gedanken.  Es ist meine Schwertmutter, die ich fürchten sollte.” Gestand der Knappe. Die möglichen Konsequenzen wollte er sich gar nicht vorstellen. Auf der anderen Seite, was war so schlimm daran? Er hatte davon gehört, dass einige Adlige ihre Kinder oder Knappen in einen Rahjatempel führten um sie, um sie zu… Er lief knallrot an. “Was würde dein Schwertvater tun?” Der Rabensteiner stand in dem Ruf, ein sehr gestrenger Knappenherr zu sein. Was würde der Baron mit Boromada machen, und mit ihm? Boromada wurde sehr still, äußerst bleich, und schluckte. “Er wäre nicht erbaut.” flüsterte sie mit tonloser Stimme, Angst in den Augen. “Vielleicht wäre es besser, wenn du in eurem Zelt und bei Seiner Gnaden Rondradin bist, wenn er zurückkommt. Das ist sicherer.” Für Palinor zumindest. Ihre Handflächen wurden feucht und einige Schweißtropfen traten auf ihre Schläfen, als sie sich sehr bildlich vorstellte, was da geschehen mochte. Seine Hand drückte die ihre beruhigend und zuversichtlich. Eine Zuversicht, die er selbst gar nicht besaß, hatte er heute früh doch einen Eindruck vom Wesen des Barons erhalten und der angsterfüllte Blick Boromadas verstärkte diesen Eindruck noch. Trotzdem schüttelte er den Kopf. “Nein, ich werde dich in dieser Situation nicht alleine lassen. Wir stellen uns dem gemeinsam.” Bleich war der Knappe, als er dies Boromada erklärte, aber seine Stimme klang fest.

“Wenn er uns gemeinsam sieht, dann wird er wütend werden. Und das willst Du nicht, glaub’ mir.” Entschieden schüttelte die Knappin den Kopf. “Außerdem ist ja noch gar nicht gesagt, dass er etwas herausbekommt. Das tut er aber, wenn wir beide wie begossene Lämmer vor ihm stehen und beichten.” Ihre Stimme erzählte aber, dass sie selbst nicht davon ausging, dass alles so glimpflich ablaufe. Dafür hätte sie fester klingen und weniger unsicher schwanken müssen. Sie schluckte erneute. “Da muss ich jetzt durch. Aber ich will Dich da nicht mit reinziehen. Ich schaffe das - aber ich will nicht, dass Du es ausbaden musst.” Wenn sie sich dessen selbst nur ansatzweise sicher gewesen wäre. Ihr hilfloser Blick hing in Palinors Gesicht fest, als wolle sie sich ein allerletztes Mal seinen Anblick einprägen. Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte der Knappe sie bereits in den Arm genommen. “Wir werden das gemeinsam durchstehen. Falls er es nicht herausbekommt, gut, dann werden wir nichts sagen. Aber falls dein Knappenherr es herausfindet… Boromada, dann werde ich auch dazu stehen. Bitte versprich mir, dir nicht noch mehr Ärger aufzuladen, indem du versuchst mich herauszuhalten.” Er fühlte sich nicht minder hilflos als seine Gegenüber, aber was konnte er schon tun? Vielleicht sollte er seinem Vetter reinen Wein einschenken, damit dieser die Situation notfalls entschärfen konnte. Vorausgesetzt, Rondradin würde ihm nicht selbst den Kopf abreißen.  Boromada schnappte nach Luft. “Wenn uns jemand sieht! Palinor, dann sind wir jetzt gleich einen Kopf kürzer!” Erleichtert lehnte sie sich an seine Schulter und seufzte, genoss die Nähe und - für jetzt - Gemeinsamkeit mit ihrem … was eigentlich? Sie blickte sich um, befand die Luft für rein genug und drückte Palinor einen raschen, verstohlenen Kuss auf den Mund.

Ein kleiner Moment vollkommenen Glücks, den Palinor sehr genoss. Still betrachtete er das Gesicht Boromadas, nahm jede Einzelheit davon in sich auf und sein verträumter Gesichtsausdruck machte einem anderen, intensiveren Platz. “Boromada, ich weiß, es wird wahrscheinlich komisch wirken, aber ich… “ Er verstummte und seine Wangen brannten förmlich. “Ich meine, wir  kennen uns erst… aber… “ Erneut hielt er inne und atmete tief durch. Ein wenig ruhiger setzte er ein weiteres Mal an: “Boromada, noch nie war ich so glücklich, wie in den Momenten, welche ich in deiner Nähe verbringen durfte.”  Die Knappin grinste leicht belämmert bei diesen Worten, riskierte unter letztem Aufbäumen ihres Überlebensinstinktes noch einen Blick in die Umgebung und brachte dann Palinor mit einem deutlich entschiedeneren und feuchteren Kuss als gerade zuvor zum Verstummen. Wenn jetzt jemand dazugekommen wäre, hätte sie vermutlich nicht einmal ein trabendes Streitross gehört. Seine Umgebung und die damit verbundene Gefahr vergessend, erwiderte Palinor den Kuss seiner Liebsten, ging darin völlig auf. In diesem Moment existierten nur zwei Personen auf dem Dererund. Boromada und er, alles andere war egal. 

Auf der Suche nach Shanija

Auf der Suche nach der Dame Shanija von Rabenstein war Liana durch das Lager gestreift. Eine willkommene Abwechslung. Aus den Augenwinkeln hatte sie im Vorbeigehen mitbekommen, wie ihre Zofe und ihr Vogt miteinander in ein kleines Wortgefecht verwickelt waren. Liana lächelte in sich hinein. Offenkundig beschwerte sich der alte Vogt über irgendetwas, und die Baronin überließ es getrost ihrer treuen Zofe, das Zetern zu ertragen und den Vogt zu besänftigen.

Ihre Schritte führten sie vorbei an einigen schwatzenden und lachenden Zwergen, die sie nicht verstehen konnte. Die drei polierten ihre Waffen und überprüften ihre Rüstungen. Einer hatte etwas Schwierigkeiten, sein Kettenhemd anzulegen, und die anderen bedachten seine Bemühungen mit einigen offenbar höhnischen Bemerkungen, ehe sie ihm gutmütig aus der Patsche halfen. Sie ging weiter an Zelten mit Wimpeln und Fahnen vorbei, die in der leichten Morgenbrise flatterten. Der alte Baron von Rabenstein, der an diesem Morgen zweifellos mit der Jagdgesellschaft aufgebrochen war, hatte auf eine Unterkunft im Jagdhaus verzichtet, also musste auch seine Gemahlin im Zelt untergebracht sein. Wenn Liana nicht alles täuschte, lag Shanija an derlei ... Vergnügungen, als was es viele der Gäste betrachteten, genauso wenig wie ihr selbst. Die Rodaschquellerin machte sich nichts daraus, im Gegenteil. Die Notwendigkeit der Jagd war ihr natürlich bewusst, doch konnte sie aus einer Hatz zum Zeitvertreib rein gar nichts abgewinnen und hielt sich daher fern von solchen Veranstaltungen. Diese Art der Jagd war nicht die, welche die Elfe von ihrem eigenen Volk her noch kannte, und es war ohnehin schon viele Jahre her, seit sie selbst einen Bogen führte. Es schien ihr wie in einem anderen Leben… nein, es war ein anderes Leben. Für einen Moment überkam sie ein Anflug von Sehnsucht, Schwermut und Nachdenklichkeit, als sie sich einmal mehr an jene Zeit an diesem so weit entfernten, wundersamen Ort erinnerte, der sie so sehr verändert hatte … .

Der Ruf einiger aufgeschreckter Vögel, die laut schimpfend ihrem Unmut Gehör verschafften, riss sie aus ihren Gedanken. Sie machte eine kleine Biege um eines der Zelte herum - und stand dann vor dem Zelt. Offenkundig zwei einander Liebende störend, wie sie schnell erkannte … . Die Frau des Duos trug einen Wappenrock mit dem ihr wohlbekannten Bild eines aufsteigenden Raben. Jung war sie - sehr jung. Ihre kurz geschorenen Haare, die ihr bis auf die Ohren, aber nicht viel weiter reichten, wiesen sie als Knappin aus. So versunken war sie in ihren langen, seligen Kuss, dass sie den leisen Schritt der Herrin von Rodaschquell im Rauschen des Blutes - und des puren Glücks - in ihren Ohren erst einmal ignorierte - und sich erst einige Augenblicke später gewahr wurde, dass hier etwas nicht stimmte - ganz und gar nicht. Mit einem entsetzten Keuchen fuhr sie auf und starrte mit schreckgeweiteten Augen die Baronin an. Die Farbe stieg in ihren Wangen auf und färbte sie hochrot, während sie sich verstohlen mit dem Ärmel über den Mund wischte und Palinor zuraunte ‘lauf zu Deinem Zelt - schnell!’.

Der junge Bursche an ihrer Seite, der noch jünger als die Knappin wirkte, trug den Wappenrock der Baronie Meilingen. Mit den kurzen schwarzen Haaren und den blauen Augen, wirkte er wie eine jüngere Ausgabe Rondradins. Mit schreckgeweiteten Augen und hochrotem Kopf starrte der Knappe Liana mehrere Augenblicke an, bevor er sich ruckhaft aufsetzte und seinen Wappenrock glatt strich. Tapfer ergriff er unter dem Tisch die Hand Boromadas. “Wir stehen das gemeinsam durch, habe ich dir versprochen”, flüsterte Palinor ebenso leise Boromada zu.  Seinen Mut zusammen nehmend wandte er sich der elfischen Baronin zu: “Hochgeboren, … ähm … können wir Euch helfen?”  Nur einen kleinen Augenblick war die Dame Morgenrot irritiert über das offenkundige Unbehagen, das ihr Erscheinen bei den beiden ausgelöst hatte. Sie sah die geweiteten Augen, die vor Scham geröteten Wangen, und auch die Wappen. Dann begriff sie. Junge, verstohlene Liebe …

Ein feines, wohlwollendes, gütiges Lächeln lag auf ihren makellosen Zügen, und sie wartete amüsiert, bis Palinor sich ihr zuwandte, antwortete jedoch nicht sogleich. Wie eine Statue stand sie dort, während die leichte Brise mit ihrem Kleid und ihrem offenen Haar spielte und die Blätter in den Bäumen rauschen ließ. Ihre Augen ruhten eine Weile auf dem Knappen, suchend und wissend zugleich, und wanderten dann zu Boromada, und wieder zurück zu Palinor.

“Ich suche die Baronin von Rabenstein”, sagte sie schließlich in ihrer leisen, melodiösen Stimme. “Doch ich vermute, dass sie sich nicht in Ihrem Zelt aufhält, genauso wenig wie ihr Gemahl ...“ Boromada starrte die Frau mit käsebleichem Gesicht an, deutete mit dem Daumen in Richtung des Zeltes und murmelte tonlos. “Da ist Ihre Hochgeboren. Bitte, Edle Dame, sagt ihr nichts!” Palinor wusste nicht genau warum, aber etwas an der Art wie die Dame Morgenrot sie lächelnd betrachtete, beruhigte ihn. Sie waren ihr ausgeliefert, aber nachdem er gestern etwas Zeit in ihrer Nähe verbringen konnte - er stand während der Wette hinter Rondradins Stuhl - glaubte er nicht, dass sie ihnen schaden wollte. Beruhigend drückte er Boromadas Hand und lächelte aufmunternd, bevor er sich der Baronin zuwandte. "Ihre Hochgeboren versorgt gerade Doratrava, die Gauklerin mit der Ihr gestern so wunderschön getanzt habt. Wenn Ihr wollt, führe ich Euch gerne dorthin." Der Knappe suchte den Blick dieser faszinierenden blauvioletten Augen, auch wenn es ihm schwer fiel, ihnen standzuhalten. "Dürfen wir Euch darum bitten, zu vergessen was Ihr hier gerade gesehen habt? Ihr Schwertvater würde uns beiden … " Er verstummte, als er das Zittern Boromadas bemerkte.

Und wieder einmal sah sie sich mit dieser seltsamen menschlichen Eigenart konfrontiert, Zuneigung zueinander verstecken zu müssen aus einem wie auch immer gearteten Gefühl der Pflicht heraus. Liana erschauderte innerlich. Wie konnten sie das einander nur antun? Und warum? Damit nur altehrwürdige Familien ihre Sprösslinge untereinander verschachern konnten, ganz so, wie es den Familienoberhäuptern im Sinne stand und was sie für das Beste hielten? Und dies um den Preis, dass junges Glück sich verstecken musste und in Angst davor lebte, entdeckt zu werden? Liana sah die beiden ein wenig traurig an.  “Ich danke für die Auskunft; es ist nicht nötig, mir Geleit zu geben.”

Die Lektion, künftig vorsichtiger zu sein, würden die beiden sicherlich auch so gelernt haben, daher ersparte Liana sich eine solche Bemerkung. Außerdem hegte sie nicht den Wunsch, die beiden zu belehren; es war nicht ihre Art. “Ich werde niemandem davon erzählen, was ich sah, da Ihr mich darum bittet”, sagte die Baronin mit sanfter, ruhiger Stimme. Sie machte Anstalten, zu gehen, drehte sich dann noch einmal um und lächelte den beiden aufmunternd zu:  “Doch was immer Euer Geheimnis ist: Macht hat es nur, solange es ein Geheimnis bleibt.” Boromada riss die Augen auf und blickte zuerst die Baronin, dann Palinor an. “Danke, Hochgeboren.” flüsterte sie tonlos, wobei ihr Gesicht ganz deutlich zeigte, dass sie vielleicht die Hälfte von dem verstanden hatte, was die Elfe gerade gesagt hatte. Befreit atmete Palinor aus. “Habt Dank, Hochgeboren”, antwortete er der Elfin, Erleichterung und ehrliche Dankbarkeit schwang in seiner Stimme mit. Er hatte sich nicht in der Baronin geirrt und nur zu gerne hätte er alle diesbezügliche Sorgen einfach weggewischt.  Allerdings gaben ihre letzten Worte ihm zu denken. “Ihr Schwertvater würde es nicht verstehen und wir würden beide streng bestraft werden, sollte unsere … Verbindung öffentlich werden”, erklärte Palinor niedergeschlagen. Trotzdem sah er mit von Liebe erfülltem Blick zu Boromada hinüber. Ob sie wohl ebenso für ihn empfand? Verschmitzt lächelte Boromada zurück. Erleichterung war in ihrem Blick zu lesen, aber auch Besorgnis. Sie seufzte und blickte Palinor mit völliger Offenheit an. Warum mussten die Adligen immer alles derart schwierig machen? Mit großen Augen wartete sie, ob die Baronin sich endlich aufmachen würde ins Zelt, und Palinor bemerkte, wie sich ihr Kiefer verspannte. Stirnrunzelnd nahm er ihre wachsende Anspannung zur Kenntnis. War ihm etwas entgangen, was ihr aufgefallen war? Er war ihr einen fragenden Blick zu. Boromada starrte zurück. Wollte er nicht verstehen, dass jeder Muckser in Anwesenheit der Baronin ein falscher hätte sein können. Sie versuchte, ihm mit den Augen zu verdeutlichen, dass sie - vielleicht, kurz - reden mochten, wenn die hochgeborene Dame weitergezogen wäre. Aber doch nicht jetzt!

Was auch immer in Palinor vorgehen mochte, so entgingen zumindest der stets aufmerksamen Rodaschquellerin nicht die Ungeduld und Anspannung Boromadas. Sie bemerkte, dass sie die beiden störte - und bedauerte ohnehin schon, das Paar aus einem so intimen, innigen Augenblick der Zweisamkeit gerissen zu haben allein durch ihr plötzliches Erscheinen. Und doch konnten sie sicherlich froh sein, dass sie es war, die die beiden überrascht und damit indirekt zu mehr Vorsicht gemahnt hatte. Es dauerte sie, dass die beiden jungen Menschen ihre Zuneigung zueinander verbergen mussten. “Ich werde Euch nun wieder allein lassen”, sagte sie leise und sanft. “Ich weiß um Eure Sorge und kann sie nachvollziehen.” Sie überlegte kurz. “Vielleicht mag es helfen, wenn ich mit Eurem Schwertmeister darüber spreche, junge Dame, bevor er es anderweitig erfährt. Und ich gehe davon aus, dass er das wird. Denkt darüber nach.” Sie wandte sich zum Gehen. “So oder so: Ich wünsche Euch viel Glück.”  Ihr werdet es brauchen, dachte sie traurig.

Im Gesicht Palinors arbeitete es und die Baronin konnte erkennen, dass er ihr Angebot ernsthaft in Erwägung zog. Das änderte sich allerdings, als der Knappe seine Gefährtin ansah und diese kaum merklich den Kopf schüttelte. “Wir danken Euch für euer großzügiges Angebot, Hochgeboren. Aber das können wir nicht annehmen.” Palinor sah die Dame Morgenrot um Verzeihung bittend an.  Nicht können war bei den Menschen oft eine etwas höflichere Umschreibung von nicht wollen. Man lehnte es ab mit dem vermeintlichen Grund, das Angebot sei zu groß, als dass man sich selbst seiner als würdig erachte.  Allerdings, ging es ihr durch den Kopf, hatte sie die junge Knappin gefragt, doch Antwort hatte ihr Begleiter gegeben. Das kurze Kopfschütteln indes war ihr natürlich nicht entgangen.  Nun, wie auch immer: Das war eine Angelegenheit, die die beiden offenkundig mit sich selbst ausmachen mussten. Sie sprach nicht weiter davon. “Wollt Ihr so freundlich sein, mich der Dame Rabenstein anzukündigen?”, fragte sie Boromada freundlich. “Gewiss, Hochgeboren!” mit einer fast ausschließlich aus  schlechtem Gewissen geborenen Dienstfertigkeit sprang Boromada auf und verschwand, mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf Palinor, im Zelt.  “Euer Hochgeboren? Hier ist Besuch für Euch.” drang ihre Stimme von drinnen, bis sie wenig später den Kopf herausstreckte. “Hochgeboren? Darf ich euch hineinbitten?” Wie dumm, dass die Höflichkeit verlangte, ihrer Herrin so lange zur Hand zu gehen, wie diese ihre Anwesenheit wünschte … .

Die Rückkehr des Oberst

Der Zufall wollte es so, dass die Gruppe um die  drei Grafen, sowie unter ihnen der Oberst des Eisenwalder Garderegimentes nebst dem Vogt von Nilsitz, die ersten waren, die von der Jagd zum Feldlager zurückkehrten. Dwarosch wurde sofort nach ihrer Ankunft an der Jagdhütte von Boringarth über den Vorfall, welcher sich mit Marbolieb und einem Söldling  zugetragen hatte, informiert. Und so eilte er aufs Äußerste in Sorge in Begleitung des Adjutanten zu seinem Zelt. Dort angekommen stürmte er an Metenax vorbei, der die ganze Zeit persönlich davor Wache gehalten hatte. Boringarth hingegen verblieb vor dem Zelt bei dem Geweihten.

Mit äußerst besorgter Miene fiel Dwarosch drinnen vor Marbolieb auf die Knie, die mit einer Dienerin der Rahja auf ihrer Bettstatt saß.  "Oh Räblein", hauchte er der zierlichen Geweihten ins Ohr, während er sie sanft an sich drückte und dabei versuchte Mirla, die auf Marboliebs Arm lag, nicht wehzutun.  “Dado!!” Mirla fuhr mit einem begeisterten Schrei aus ihrem Dösen auf, streckte Dwarosch die Ärmchen entgegen und versuchte, schlaftrunken und verwirrt ob der seltsamen Verhaltensweisen ihrer Umgebung, sich um den Hals des Oberst zu hängen. “Dwarosch.” murmelte die Boroni, tastete nach dem Besitzer der massiven Arme, die sich um sie schlangen, fand ihre Tochter, die sich energisch in den Weg geworfen hatte, und lehnte mit einem erschöpften Seufzen ihre Wange an den breiten Oberarm des Oberst. Ihre Hände umklammerten indes seinen Arm so fest, als hinge ihr Leben daran.

Ah, da war er ja. Rahjania wollte sich ihre Freude, die Aufsicht über das Kind loszuwerden, nicht zu sehr anmerken lassen, war aber mehr als erleichtert, als er Mirla übernahm. “Herr Oberst, euer Kind ... sie ist recht lebhaft und flüchtig, ihr solltet euch auf Dauer etwas einfallen lassen. Marbolieb schafft das nicht alleine.” Dann ließ sie den beiden etwas Zweisamkeit und wollte sich gerade zum Gehen wenden, sie blieb aber am Rande des Zeltes stehen und warf einen Blick zurück. “Soll ich mich um den Söldner kümmern?”

Fest schloss sich der Arm des Zwergen um die zierlichen Schultern der Boroni, während er seine Nase in ihre Haare grub und tief einatmete.  Die Worte der Rahjageweihten schien er indes nicht gehört zu haben. Nein, eher kam es Rahjania so vor, als ignoriere er sie einfach. Die einzige Reaktion auf die Priesterin der Liebreizenden war, dass er Mirla entgegennahm und an seine andere, freie Seite drückte. Von da an ruhten jedoch auch Dwaroschs beunruhigend schwarze Augen auf Rahjania und die Geweihte konnte förmlich sehen, wie sich zur Sorge noch andere Emotionen gesellten - Wut, Zorn, Rachegelüste, Blutdurst.  "Was ist geschehen?", fragte er schließlich nach einer halben Ewigkeit mit mühsam beherrschter Stimme und Rahjania wusste, dass der Oberst sie meinte und nicht Marbolieb. Die lehnte mit einem leisen Seufzen ihren Kopf an die Schläfe des Oberst und verstärkte ihren Griff, nun, da ihre Tochter erst einmal nicht mehr zwischen beiden thronte. Sie ersehnte die vertraute Nähe Dwaroschs und er spürte, wie sie sich angespannt an ihn drückte.

Die Angesprochene blieb stehen und hob die Augenbrauen. “Oh. Oberst. So streng. Zu mir? ich, die ich eurer .. Frau .. half?” Sie ging zurück ins Zelt. “Was ist wohl geschehen? Ich war nicht dabei, anscheinend hat sich ein Söldling an ihr vergangen, mehr weiß ich nicht, da die Arme seitdem nur geweint und geschlafen hat. Sie ist blind und völlig überfordert mit einem quirligen Kleinkind.” Rahjania ging einen weiteren Schritt auf die Beiden zu. “Ich würde mich im Namen meiner Göttin um ihn kümmern. Aber wer sorgt sich um Marbolieb?” Dwarosch schüttelte unwillig den Kopf ob dieser Worte. “Seid Ihr wirklich so kleingeistig? Es geht hier nicht um mein oder euer Befinden, noch darum ob Marbolieb allein mit ihrer Tochter zurecht kommt. Man hat versucht, sie zu vergewaltigen!” Der Zwerg schnaubte wütend. “Borindarax hat das Urteil bereits gefällt. Er wird in Kürze hängen. Da ist nichts, was ihr noch tun könntet.” Rahjanias Gesichtszüge verhärteten sich und mit zwei schnellen Schritten war sie bei Dwarosch und sah auf ihn hinab. Sie flüsterte fast, die Stimme aber voller Zorn und kalt wie Eis.

“Wagt es noch einmal so mit mir zu sprechen, Mann, dann wird das weitreichende Folgen für Euch als echter Kerl haben, so wahr ich eine Dienerin der Schönen bin. Untersteht Euch.” Dann hob sie den Kopf und sah kurz zu Marbolieb. “Es geht nicht um Marbolieb? So, so … sie ist in keinem guten Zustand und etwas Erholung würde ihr gut tun. Ich biete ihr eine Auszeit bei mir in Weiden an. Marbolieb! Du hast, denke ich, genug gehört. Sei frau genug und entscheide weise.” Rahjania wandte sich wieder an den Krieger. Bestimmend, sicher und nicht mehr als zornige Tulamidin, sondern als Hochgeweihte, die sie nicht ohne Grund geworden war. “Bringt mich zu dem Söldner. Ich werde mit ihm sprechen. Er hat gegen Rahjas Gebot verstoßen und, sollte ein Diener Praios anwesend sein, wird er sicher nichts dagegen haben, dem Kerl die Chance zu geben, sich zu erklären.”

“Droht ihr mir?” Dwaroschs Stimme war nun ebenfalls leise, dazu aber tonlos und bar jeder Emotion. “Dwarosch...ich habe Euch bisher für einen intelligenten Mann gehalten … .” Sie schwieg kurz und musterte ihr Gegenüber abschätzig. “Wie intelligent und klug ist es allerdings, sich einer Dienerin Rahjas gegenüber respektlos zu verhalten? Ich habe Marbolieb beschützt, als niemand sonst für sie hier war. So dankt Ihr mir das?” Sie wies auf Mirla und die immer noch schweigsame Marbolieb. “Fragt sie. Ich werde mit dem Söldner sprechen. Er soll sich meiner Göttin gegenüber verantworten, darauf bestehe ich.”

Nochmals schüttelte der Oberst den Kopf und kam damit auf das zuvor Gesagte zurück.  “Natürlich braucht Marbolieb Ruhe. Man hat ihr Gewalt angetan. Mehr Ruhe als im Isenhag wird sie in Weiden aber wohl kaum finden. Sie hat in Senalosch alles was sie braucht - mich, Sicherheit, eine warme Stube, zu Essen und noch dazu eine Haushälterin, die sich mit Liebe um Mirlaxa kümmert, wenn ich außer Haus bin.  Wenn ihr etwas tun wollt, dann redet mit dem Rabensteiner. Er will, dass Marbolieb in den Tempel in Calmir zurückkehrt. Ihn interessiert scheinbar nicht, dass sie blind ist und dass sie sich um ein Kind kümmern muss. Ihm sind die Risiken offenbar gleichgültig. Ich habe versucht mit ihm zu sprechen, doch alles was ich erreichen konnte war mehr Zeit.” Erneut schnaubte Dwarosch.

“Was den Inhaftierten betrifft. Weder ihr noch ein Praiot haben in dieser Sache irgendetwas zu sagen. Wir sind im Isenhag, hier herrscht das Blutrecht. Baron oder Vogt sprechen Recht und Borax ließe sich wenn, dann nur von einem Angroschgeweihten milde stimmen. Die anwesenden Diener des göttlichen Schmieds sind jedoch seiner Meinung. Versucht euer Glück bei Borindarax, ihr werden auf Granit stoßen. Nein, die Einzige, die die Strafe mildern könnte, wäre Marbolieb. Sie ist das Opfer. Wenn sie es will, dann werde ich zu Borax gehen und ihn um einen Zweikampf bitten. Ich würde ihm sämtliche Knochen im Leib brechen, aber er würde leben, wenn er zäh genug ist.” Die zerraufte Boroni in Dwaroschs Arm schüttelte entsetzt den Kopf. “Ich will nicht, dass er hängt.” Sie holte tief Luft, löste eine Hand und tastete nach den Kopf des Oberst. “Er hat mich einfach furchtbar erschreckt.” Sie zitterte und rang eine Weile um Atem und Stimme, ehe sie mit tonloser Stimme anfügte. “Und ich möchte nicht, dass du dich prügelst. Er hat es ganz sicher nicht böse gemeint.”

Aha, so war das gewesen. Rahjania bereute es nicht, sie war für Marbolieb da gewesen und nun schien sich einiges in Wohlgefallen aufzulösen. Aber nicht alles. „Oberst !“ Entschlossen fixierte sie den Mann. „Nun gibt es keinen Grund mehr, den armen Kerl weiter festzuhalten. Ihr habt hier doch was zu sagen, oder? Schickt jemanden, der sich darum kümmert. Dann …“ Sie zog die Augenbrauen wieder kritisch nach oben. „Marbolieb. Mein Angebot steht noch. Ich gehe zudem davon aus, dass ich deinen Liebsten auch nicht vermöbeln soll, oder? Es wäre übrigens das mindeste, Dwarosch, Euer Versprechen mit dem gemeinsamen Bad heute Abend einzulösen. Ich werde mich nun empfehlen, es war mir eine Ehre, auf Eure Frau aufzupassen und so viel Dank zu empfangen.“ Ihre Mundwinkel zuckten leicht, sie war aus Ihren Anfängen in Weiden auf ähnliches Verhalten gestoßen. Zumindest Anstand schien den Angroschim fremd, war Dwarosch doch wohl einer, der es nach oben geschafft hatte.

Dieser stutzte und war im ersten Moment nicht in der Lage auf die Worte Marboliebs zu antworten. Einige Augenblicke starrte er ungläubig auf Marbolieb in seinen Armen, dann schloss er die Augen und versuchte sich zu beherrschen. Gern hätte er die Boroni geschüttelt in diesem Moment, doch er hatte Mirla ebenfalls bei sich. Nichtsdestotrotz ließ der Druck nach, mit dem er die Geweihte hielt. Angestrengt fragte sich der Oberst, was das alles zu bedeuten hatte, doch er kam zu keiner nur annähernd plausiblen Begründung.  Immer noch tonlos setzte Dwarosch schließlich an, seiner Irritation Ausdruck zu verleihen. Den Unsinn, den Rahjania von sich gegeben hatte, ignorierte er erneut.  "Moment. Nur das ich das richtig verstehe.  All das was mir von Metenax berichtet wurde war also ein - was? Ich meine, dass du am Boden gelegen hast unter diesem Kerl auf dir, die zerrissene Robe, deine Schreie, die Male der Gewalt die daher rühren, dass er dich festgehalten hat, dein Beinahe- Nervenzusammenbruch und deine Ohnmacht?"  “Er hat mich doch irgendwann losgelassen.” Die kleine Frau zitterte so sehr, dass ihre Zähne klapperten. “Und er stirbt doch von ganz allein.”

“Da widerspreche ich dir sicher nicht, Räblein”, Dwaroschs Stimme bekam nun langsam wieder einen warmen Unterton. Er hatte begriffen, oder glaubte zumindest zu erkennen, dass Marblieb verwirrt war ob der zurückliegenden Ereignisse. “Jedoch bist eine Repräsentantin der göttlichen Ordnung und stehst deswegen unter einem besonderen Schutz. Vergehen gegen diese Ordnung und seine Repräsentanten müssen streng geahndet werden, sonst droht eine Verrohung der Sitten.  Selbst wenn er dir ‘nur’ Gewalt angetan haben sollte, gehört er dafür an den Strick. Das gilt hier im Isenhag, wo Geweihte oft alleine ein Gotteshaus hüten, mehr noch als in einer großen Stadt. Die Menschen müssen wissen, dass sie dafür hängen, wenn sie die vorherrschende Ordnung in Frage stellen und gegenüber Priestern handgreiflich werden. Es geht also nicht mehr um seine Schuld, die steht fest. Es geht lediglich noch um das zu vollstreckende Strafmaß. Borindarax hat sich mit Metenax und zwei der Geweihten aus dem Senaloscher Angroschtempel besprochen. Es wird schwer werden ihn noch von seinem Entschluss abzubringen. Allein du vermagst dies nach meiner Einschätzung. Vergiss aber dabei nicht, dass alle Augen sich in dieser Sache auf ihn richten. Es wird von Seiten des anwesenden Adels erwartet, dass hart durchgegriffen wird.”

Der Junker von Altenwein und die Geweihte der Rahja

Der Jagdtrupp mit dem der Junker von Altenwein unterwegs war kehrte gerade ins Lager zurück. Sie hatten kein Jagdglück gehabt, waren aber auch nicht ernsthaft verletzt, wenn man von der Ehre absah. Nun trotteten sie mit lediglich zwei Hasen und einem Fasan durch das Lager. Nicht mal genug Beute für jeden Teilnehmer. Aureus war zwar enttäuscht, dachte aber auch daran, was er heute alles gelernt hatte und wusste, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen war. Zudem waren erste Freundschaftsbande geknüpft worden. Alles in Allem war es ein guter Tag. Als sie eines der Zelte umrundeten hörte man gedämpfte Stimmen. Sie klangen erregt und eine davon, die weibliche, erkannte er sofort. Er verabschiedete sich von dem Trupp und versprach bei der Kür wieder zu ihnen zu stoßen. Dann strebte er dem Zelteingang entgegen. Als er eine Wache davor erblickte, klopfte er noch schnell den gröbsten Dreck von seiner Kleidung und richtete sie bevor er näher trat. “Angrosch zum Gruße. Ich bin Junker Aureus Praioslaus von Altenwein und suche die ehrwürdige Gastgeberin der Leidenschaft Rahjania Al- Azila Ahmedsunya. Ist sie da drin?”, fragte er in seinem besten Praiostagsrogolan. "Kor zum Gruß Wohlgeboren. In der Tat, sie ist dort drinnen. Ich kann euch jedoch nicht gestatten zu stören. Glaubt mir, ihr wollt nicht den Zorn des Oberst auf euch ziehen. Dies ist sein Zelt." Metenax Einhand grinste wölfisch bei diesen Worten.  "Kann ich der Dienerin Rahjas etwas ausrichten, wenn sie heraustritt?" 

“Verzeiht, dass ich Euch nicht erkannt habe, Euer Gnaden.” Aureus deutete eine knappe Verbeugung an. “Den Geräuschen nach findet dort drin eher eine hitzige Debatte statt, denn rahjagefälliger Zeitvertreib. Von daher ziehe ich es vor, hier zu warten. Und das auch nur, weil ich den Oberst für einen ehrbaren Mann halte.” Irritiert ob der Äußerungen des jungen Mannes zog der Korgeweihte grimmig die Augenbrauen zusammen und fixierte Aureus mit sichtbarer Erregung. “Wie meint ihr das? Stellt ihr die Ehre des Sohnes des Dwalins in Frage? Erklärt euch und überlegt lieber genau, was ihr sagt. Ich bin gerade nicht in der Stimmung zu Scherzen, noch irgendwelcher Spitzfindigkeiten.”

Aureus erschrak ob der grimmen Worte ohne es sich anmerken zu lassen. Hatte er was Falsches gesagt? Es musste wohl an seiner Aussprache liegen, vielleicht hatte er aber auch die falschen Worte gewählt, schließlich fehlte ihm noch immer ein Großteil des Wortschatzes. Darum wechselte er ins Garethi als er weitersprach: “ Im Gegenteil. Gerade weil der Oberst ein ehrenvoller Mann ist, weiß ich Ihre Hochwürden bei ihm sicher. Wäre dies ein anderes Zelt, würde ich meiner Schutzbefohlenen zur Seite eilen. “ Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu:” Mein Rogolan bedarf noch intensiverer Schulung. Es lag mir fern Euch oder den Oberst zu beleidigen.” Mit einem Grunzen drückte der Korpriester aus, dass ihm die Antwort besser gefallen hatte, als die zuvor gehörte. “Gut”, beschied er, und entspannte sich wieder.  Dann schwoll plötzlich der Streit innerhalb des Zeltes wieder an. Metenax schüttelte den Kopf und verzog genervt das Gesicht, nur um dann einen Soldaten heranzuwinken und diesem mit sehr eindringlichen Worten den Auftrag gab unverzüglich den Vogt zu holen. “Ich hoffe Borindarax wird noch rechtzeitig eintreffen, bevor es noch weiter eskaliert”, bemerkte der Geweihte gegenüber Aureus, als der Soldat im Laufschritt enteilt war. “Was ist denn überhaupt vorgefallen? Mir will gerade kein Grund einfallen, welcher fähig wäre, Ihre Hochwürden derart in Rage zu bringen. Ich jedenfalls fühle mich hier unter Freunden und da sollte es doch nichts geben, was zu einem derartigen Disput führt.” "Nun ja", setzte der Kor Geweihte mit einem kleinen Schmunzeln an. "Ich will es mal so sagen, es ist überaus gewagt, einen Angroscho von Dwaroschs Format derart in persönlichen Dingen bevormunden zu wollen. Es wundert mich, dass er sie noch nicht rausgeworfen hat." Metenax grinste. "Wenn ihr mich fragt, eine Frage der Zeit, wenn sie so weitermacht." “Aufhören wird sie wohl nicht”, lachte Aureus “Ich glaube ja, dass sie mehreren Göttinnen dient, ohne es zu wissen - Rahja, Tsa und manchmal auch Travia. Sie möchte, dass überall Harmonie herrscht. Sie meint es gut und ist auf ihre eigene Art wie eine Kriegerin, doch übersieht sie manchmal die Grenzen, die andere Menschen oder Angroscho sich selbst und anderen setzten.” Stolz schwang in seiner Stimme mit und er lächelte bei diesen Worten. “Ich hoffe, dass sie den Oberst nicht zu sehr reizt.” "Zumindest diese Hoffnung teilen wir", bemerkte der Zwerg wiederum nicht ohne eine Spur Belustigung. “Bei ihrer Streitlust steht sie wohl auch eurer Sturmherrin recht nahe, will ich meinen. ‘Lieblich’ hört sich das für mich wahrlich nicht an.” “Nein, das wohl nicht.” Aureus schaute etwas besorgt. “Ob ich die Beiden später auf ein Bier oder zwei einladen sollte…?”, überlegte er laut. “Vielleicht kann das die Wogen wieder glätten.” Metanax Grinsen wurde noch breiter. “Dwarosch wird sich mit dieser Frau nicht an einen Tisch setzen, das könnt ihr euch aus dem Kopf schlagen. Wir Groscharoroximangrasch sind in solchen Dingen ‘etwas’ nachtragend und das ist gelinde gesagt eine deftige Untertreibung.” “Ich verstehe!”, nickte der Junker. Mit einem breiten Grinsen fuhr er fort:”Na, dann will ich hoffen, dass ich mir niemals euren Zorn auf mich ziehen mag, sonst werden selbst meine Urenkel noch darunter zu leiden haben.”

Im Zelt

Im Zelt selbst war es die Boroni, die gerade das Wort ergriff. “Ich möchte nicht, dass er aufgehängt wird.” bat Marbolieb heiser und mit erstickter Stimme. Sie löste ihre Arme von Dwaroschs Oberarm und schlang sie in einer schutzsuchenden Geste um ihre Schultern. “Gut, dann gehe ich zu Borindarax und werde ihm deinen Wunsch mitteilen, wenn du das möchtest”, brachte der Oberst daraufhin entschlossen hervor, schränkte jedoch gleich ein. “Um die Strafe im Kampf Mann gegen Mann, die vermeintlich mildere der Urteile, wird er aber dennoch nicht herumkommen, Räblein.  Boraxs erste Wahl für diese Option war offenbar Metenax, wie Borin mir berichtete. Doch das würde meiner Meinung nach zwangsweise auf den Tod hinauslaufen. Priester des Kor kennen kein Gnade. Ich war die andere Alternative.” Marbolieb schniefte. “Ein Priester des Kor sollte aber auch nicht gegen einen Unterlegenen kämpfen.” Mehr als ein Flüstern waren diese Worte nicht. “Du wirst ihn ebenfalls zerschlagen - du bist stärker, und du weißt das.”  Sie wischte sich mit dem Ärmel über ihre tränenden Augen und Nase. “Warum beharrst Du so auf den Status einer Geweihten, wenn Du doch selbst sagst, dass die Götter den Zwergen nichts gelten?” “Ach Räblein, es geht hier doch nicht um mich, sondern um Borax. Er ist der Herr dieser Lande, vertritt den Grafen und muss entscheiden, nicht ich.” Dwarosch seufzte.  “Und selbst wenn mir eure Zwölf nicht derart viel bedeuten, ich nicht jedem den Stellenwert zumesse wie ihr es tut, so weiß ich, dass ihr sie braucht. Was passiert, wenn Menschen den Göttern abschwören, haben wir ja nun schmerzlich erfahren müssen. Borax kann nicht als Angroscho urteilen, er muss es als Vogt tun und als solcher hat er ebensoviele menschliche Untertanen wie Brüder und Schwestern. Räblein”, die Stimme des Oberst wurde eindringlich. “Ja, ich würde nichts lieber tun als diesen Kerl eigenhändig töten, weil er die Hand an dich gelegt und dir weh getan hat. Doch wenn du wünscht, dass er lebt, dann werde ich ihn leben lassen, wenn ich gegen ihn kämpfe, auch wenn es mir schwerfallen wird, mich zu beherrschen.” “Borindarax fällt ein Urteil, weil er glaubt, dass es von ihm erwartet wird, es aber nicht selbst gut heißt? Und du kämpfst, weil er den Schein wahrt?”

Pures Entsetzen stand in der Stimme der Geweihten, und ihre Nägel schnitten durch den dünnen Stoff ihres einfachen Hemdes tief in ihre Haut. Auch  wenn sie die Zurückhaltung Dwaroschs auf ihre Bitte rührte. Aber diese himmelschreiende Doppelmoral tat es nicht. “Und Ihre Hochwürden habt ihr nicht angehört!” Obgleich diese als Dienerin der Rahja doch die oberste Instanz in derlei Vorkommnissen war. "Nein", stieß Dwarosch erbost hervor, nur um sich dann erneut zu beherrschen. "Räblein, verdreh mir bitte nicht die Worte im Mund." Der Oberst atmete einmal tief durch und setzte dann von neuem im ruhigen Ton an. "Es ist ganz einfach. Er hat dich angegriffen, dafür gehört er aufgeknüpft. Das ist meine und scheinbar auch Borax' Meinung. Doch kann ich letzteres nicht mit Sicherheit sagen, nicht für den Vogt sprechen, da ich seit meiner Rückkehr zur Jagdhütte bisher nur von Boringarth informiert wurde. Mein Adjutant hat im voreilenden Gehorsam alles in Erfahrung gebracht was wichtig ist und er ist gründlich, das entspricht seiner Natur. Zurück zum Vogt. Ich habe nicht gesagt, dass Borax irgendetwas tut, weil er dazu gedrängt wird, oder der Meinung ist so urteilen zu müssen. Ich war bei der Entscheidungsfindung nicht dabei.  Ich habe lediglich den Rahmen dieser Entscheidung dargelegt, der nun einmal zur Realität gehört. Welchen Einfluss er hat, kann ich wenn dann nur mutmaßen." Nach einem tiefen Seufzer fügte er an: "Wir drehen uns hier im Kreise und es ist egal was ich sage, Borax trifft die Entscheidung. Er besitzt einen ganz eigenen Kopf und eine Wertvorstellungen, die für unser Volk eher ungewöhnlich sind. Der Graf jedoch schenkt ihm Vertrauen. Redet mit ihm, wenn ihr es wollt."

Marbolieb schniefte. Sie wollte ganz entschieden nicht - der gesamte Aufruhr geriet ihr mittlerweile weit über den Kopf. Die Arme immer noch eng um ihre Schultern geschlungen und ihre Knie bis fast an die Brust gezogen schloss sie erschöpft die Augen. “Hochwürden, was wollt ihr tun?” fragte sie mit sehr flacher Stimme, der man die Mattigkeit anhörte. “Vielleicht ist mir auf die Schnelle ein bisschen was entgangen … Dwarosch, Marbolieb, seid doch bitte so nett, eine kulturfremde Geweihte aufzuklären bzw. zu korrigieren, wenn ich es falsch formuliere.” Rahjania atmete scharf aus und eine Hand hatte sich zur Faust geballt, ansonsten wirkte sie entspannt, ja neugierig.

Sie stellte sich vor Dwarosch und Marbolieb. “Es mag nur um das Leben eines einfachen Söldners, eines Menschen gehen. Und wie ich gehört habe, hat Oberst Dwarosch wohl sorgfältig nachgeforscht, oder besser, sich auf die sehr sorgfältigen Nachforschungen seiner Vertrauenspersonen verlassen. Nicht wahr?” Sie lächelte und hob die Hände, der Sturkopf sollte sie nicht unterbrechen. “Was für eine Überraschung! Eben erfahrt Ihr von dem Opfer, dass es doch nicht ganz so war, wie man Euch berichtet hat. Nein, keine Vergewaltigung, aber das scheint egal, es ist ein Angriff, das reicht immer noch aus, den Mann zu hängen, oder? Marbolieb. War es ein Angriff? Ein Versehen? Ein weiterer Unfall? Hat jemand mit dem Angeklagten gesprochen, oder ist das nicht üblich? Anscheinend hat man ja auch mit dem Opfer etwas … übereilt geredet und geurteilt.”

Nun blitzten ihre Augen zornig den Oberst an. “Es ist wohl das Recht der Angroschim, so zu urteilen. Ich als Dienerin der Göttin finde es falsch. Zudem habt ihr Eurer Frau gegenüber noch etwas zu erfüllen. Ich habe es erwähnt, aber als Geweihte … Frau … Mensch …? Da war es wohl nicht so vorrangig, zu hören, was ich sage.  Ein Mann, der einer ist, hätte sich zudem wenigstens für das bedankt, was ich getan habe. Ich bin nicht die Amme, die Ihr ja einstellen wollt, damit Marbolieb ein besseres Leben hat.” Bei den letzten Worten war sie so nahe an Dwarosch herangetreten, dass dieser deutlich den Geruch nach Rosen wahrnehmen konnte. “Dado?” Mit großen, erschreckten Augen blickte Mirla zu dem Oberst auf und legte ihm eine warme, leicht feuchte Kinderhand auf die Wange. Der Zwerg sah das kleine Mädchen an und seine Züge wurden weich. Er bewegte leicht den Kopf, so dass die kleine Hand sich tief in seinen Bart grub. “Ihr habt es scheinbar immer noch nicht begriffen. Nicht ich treffe hier die Entscheidungen betreffend des Missetäters”, sprach der Oberst, ohne den Blick von seiner Ziehtochter abzuwenden. Seine Stimme verriet Enttäuschung.  “Und ja, ich danke euch, dass ihr auf Marbolieb und Mirlaxa aufgepasst habt, als sie in Nöten waren. Ich finde das Beharren auf dieses Danke in Anbetracht der Situation aber als vor allem eines, selbstsüchtig. Nie wäre mir in den Sinn gekommen an eurer Stelle danach zu fragen, noch darauf zu bestehen. Geht!”

“Das ist nicht recht.” Niemandem direkt galt Marboliebs tonloses Flüstern. Vielleicht ihren Knien, die sie bis zum Kinn angezogen hatte. “So sollte man nicht mit einer Geweihten umgehen.” Ihre Hände umklammerten schutzsuchend ihre Knie  und sie schloss erschöpft die Augen. “Es ist gut, wenn ich wieder in meinem Tempel bin.”

Rahjanias Augenbrauen schossen ob der abermaligen Respektlosigkeit des Zwergen nach oben. Kurz schien es als würde ihr tulamidisches Temperament durchbrechen, dann wandelte sich der Anflug von Zorn auf ihrem vollendeten Antlitz in ein Lächeln. Ein abschätziges, ja beinahe mütterliches Lächeln, das eine Mutter dem Kinde schenkt, wenn es abermals gelben Schnee aß. Ein Lächeln, mit dem man Naivität und geistiger Unzulänglichkeit für gewöhnlich begegnet.

"Ihr seid entweder in einem Maß unwissend, dass es jedem guten Menschen und Zwergen Schmerzen bereiten mag, oder Ihr seid ein einfacher Heuchler." Ihr Blick ging hinüber zu Marbolieb, die sich aufgelöst eingerollt hatte. Kurz ging ihr der Gedanke durch den Kopf, dass dieser bockige Lebenspartner wohl einen großen Grund für den allgemeinen Gemütszustand der Geweihten sein mochte - wenn nicht sogar der Hauptgrund. "Wie sonst", fuhr sie dann fort, "könntet Ihr Euch sonst in Eurer Argumentation so im Kreis bewegen. Auf der einen Seite betrachtet Ihr Geweihte als sakrosankt und ein jeder der seine Hand nach ihnen ausstreckt für einen Todgeweihten. Auf der anderen Seite fehlt es Euch selbst am nötigen Respekt." Die Hochgeweihte schüttelte tadelnd ihren Kopf. "Ich gehe dann, wenn mich Marbolieb darum bittet, denn Ihr scheint mir nicht in der Lage zu sein für ihr Seelenheil zu garantieren - ja im Gegenteil ...", sie ging ein paar Schritte auf die kauernde Boroni zu, legte ihr vorsichtig eine Hand auf und streichelte sie beruhigend, "... Euer Gebaren regt sie nur noch zusätzlich auf." “Metenax”, rief Dwarosch nach draußen. “Bitte meine Soldaten hereinzukommen.” Dann blickte er zur Rahjageweihten auf. “Ihr geht, oder ich lasse euch heraus eskortieren. Nochmals, ihr erreicht hier nichts. Wenn ihr dem Mann helfen wollt, dann geht zum Vogt und lasst mich zufrieden damit.”

Völlig unangebracht stieß Rahjania auf die Drohung des Angroschos hin ein vergnügtes Lachen aus. Als Tulamidin aus Fasar fand sie den Gedanken, dass ein Mann eine Frau mit einer Hand voll Soldaten abführen ließ, gelinde gesagt lächerlich. Sie würde es darauf ankommen lassen, dennoch war ihr Ausdruck der Belustigung herzlich und nicht hämisch.  Die Hochgeweihte entschied sich dagegen auf diese erneute Flegelei zu reagieren. Stattdessen würde sie den Oberst einfach ignorieren. Er hatte sowieso nicht verstanden, dass es schon lange nicht mehr um den Söldner ging. Nein, Marbolieb war es, die ihre Sorge benötigte. Sollte Dwarosch seine Soldaten holen und sie gewaltsam abführen lassen, es war ihr egal. Sie war in einem Elendsviertel aufgewachsen und Kämpfe waren dort an der Tagesordnung. Nach Rechtsprechung der Angroschim würde sich der Oberst dann wohl ebenso wegen dem Angriff auf eine kirchliche Würdenträgerin verantworten müssen und dann neben dem Söldner hängen. Wenn sein Sturkopf das so mochte. Rahjania zuckte kurz mit ihren schmalen Schultern, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Marbolieb zu.

“Bitte geht.” Hoffnungslos war das - jedes Verweilen Ihrer Hochwürden hätte nur noch mehr Streit verursacht. Marbolieb bedauerte, ihre gutherzige Schwester im Glauben in diese Angelegenheit hineingezogen zu haben. “Danke. Für Eure Hilfe.” Kratzig und fast nicht zu hören war ihre Stimme, aber ihre Augen waren trocken. Was nützten Tränen schon? Die Boroni legte ihre Stirn auf ihre Knie und hoffte wider besseres Wissen, dass irgendwann vielleicht doch Ruhe einkehren würde. Nun das war eine Bitte, die Rahjania befolgen würde. Sie hockte sich kurz neben ihre Glaubensschwester und küsste ihren Schopf. "Ich bin für dich da, Schwester", flüsterte sie, "wann immer du mich brauchst. Vergiss das nicht", bevor sie etwas lauter hinzusetzte, "du musst dir das hier nicht aufbürden. Das Leben kann soviel schöner und einfacher sein. Mein Angebot steht noch." Dann erhob sie sich und ohne Dwarosch noch eines weiteren Blickes zu würdigen schritt sie auf den Ausgang zu.

“Was geht hier vor?” Die Zeltplane am Eingang wurde plötzlich aufgeworfen, doch es waren keine Wachen oder der Korgeweihte, der zuvorderst schnellen Schrittes eintrat, sondern der Vogt von Nilsitz. Borindarax hatte einen hochroten Kopf und schien über irgendetwas erbost.  “Was gibt es so Wichtiges, dass ich hierhergerufen werde?” Er warf einen Blick über die Schulter zu Metenax, der nun mit einigem Abstand ebenfalls hereinkam und versuchte, eine möglichst neutrale Miene zu präsentieren.

Durch das zeitweilig offenstehende Zelt konnte die drinnen Versammelten draußen vier Soldaten erkennen, die sich dort positioniert hatten. Rahjania war überrascht vom Auftauchen des Vogts. "Ah, Herr Vogt. Ich denke Ihre Gnaden möchte mit Euch sprechen", meinte sie dann im Vorbeigehen und ließ sich auf ihrem Weg hinaus nicht mehr aufhalten. “Ah, Aureus.” Da war ja ihr ursprünglicher Begleiter. “Lasst uns gehen” Auch der Junker von Altenwein wollte gerade in das Zelt eintreten. Fragend schaute er die Hochgeweihte an:”Was ist passiert?” Dann sah er in das wütende Gesicht des Vogtes und raunte ihr zu:”Vielleicht wäre es besser zu warten, bis der Vogt uns gehen lässt, Euer Hochwürden.” Er wusste zwar, dass er sie bei ihrem Namen nennen durfte, doch schien ihm die gesamte Situation zu heikel, um auf die Etikette verzichten zu können.

Der Vogt warf Dwarosch unterdessen einen fragenden Blick zu. Der müde Gesichtsausdruck mit dem der Oberst ihn erwiderte, verriet seinem Freund viel. “Geleite bitte alle hinaus, Borax”, mehr brachte Dwarosch nicht hervor, dann wandte er den Blick ab und widmete sich ganz Mirla auf seinem Schoß.  Borindarax nickte daraufhin, trat einen Schritt auf Seite und deutete auf den Durchgang nach draußen. “Ehrwürden, Wohlgeboren, nach euch.” Draußen angekommen richtete der Vogt das Wort an die Weidenerin. “Ehrwürden, was wollte Marbolieb mir sagen?”

Endlich ein vernünftiger Vertreter seiner Rasse, der sich gegenüber anderen Kulturen nicht wie ein Ochse benahm. Von Borindarax hatte sie schließlich auch gelernt, dass  Angroschim nicht als ´Zwerge´ genannt werden wollen. "Endlich kann ich dieses Durcheinander klären." Zuversichtlich strahlte sie Borindarax an und hielt vorsorglich verwahrend eine Hand an Aureus Unterarm. "Die arme Boroni Marbolieb würde sich noch gerne zu dem Zwischenfall heute äußern. Allem Anschein nach wurde sie bisher noch nicht angehört. Sie meint, dass der Söldner den Tod nicht verdiene, da es sich um ein Missverständnis handle. Doch kann ich in dieser Sache nicht für sie sprechen. Es wäre gut, wenn sie Euch selbst davon berichtet." Rahjania zögerte kurz, man konnte förmlich sehen, wie sie sich das folgende Szenario ausmalte. "Allerdings ist ihre Gnaden seelisch in einem desolaten Zustand. Ich war so frei, mich etwas um sie und das Kind zu kümmern. Ihr solltet besser alleine mit ihr reden.” Der Altenweiner lächelte, als er die zarte Hand der Rahjani auf seinem Arm spürte. Unwillkürlich legte er seine Hand auf ihre, um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Zumindest war es das, was er sich selbst einredete. Borax nickte knapp, als Rahjania geendet hatte und bestätigte auf diese Weise, dass er verstanden hatte. "Wäre das alles?", fragte er daraufhin schlicht.  “Ihr werdet diese lästige Angelegenheit weise lösen, da bin ich sicher … . Hm, eine Sache noch. Ihr solltet besser alleine mit ihr reden. Der Oberst sieht ihr Elend nicht, weder das körperliche, noch das seelische." Zufrieden nahm sie nun Aureus Arm, sie hatte ihn arg vernachlässigt und hatte zudem Hunger. Höflich nickte sie dem Vogt zu. “Kommt, Aureus, wir gehen und suchen etwas Deftiges.” Kopfschüttelnd sah der Vogt den beiden Menschen nach. Wieder eine Dienerin der Zwölf, die voreilig über Vertreter ihrer Rasse urteile. Als wenn es davon nicht schon genug gab. “Gut”, entschied er schließlich und Metenax an seiner Seite wusste, dass Borax es nicht als ‘gut’ empfand. “Dann warten wir eben noch mit der Hinrichtung.” Unwillig schnaubte der Priester des daraufhin, ihm gefiel das ebenfalls ganz und gar nicht.

Männerversteher

Als Rahjania und ihr Begleiter ein paar Schritte vom Zelt entfernt waren brannte der Geweihten eine Frage auf der Zunge. Wie so oft gab sie diesem Drang nach und sie stupste Aureus in die Seite."Verzeih mir meine Unwissenheit, sag mal, das verstehe ich nicht. Ich hatte mit diesem Volk noch nicht soviel zu tun, aber sind denn alle Angroschim so zart besaitet?" Anstatt eine Antwort abzuwarten fiel sie in einen Monolog. "Da kleiden sie sich in Metall und tragen Waffen, die größer sind als sie selbst und dann können sie nicht einmal mit der Direktheit einer Frau umgehen. Mir ist bewusst, dass ich unangenehme Fragen stelle. Fragen, die gestellt werden müssen und auf die man erwachsener reagieren könnte als seine Soldaten zu rufen. Selbst Borax schien mir gegenüber plötzlich voreingenommen." Sie hob ihre Schultern und wies auf ihren schlanken Leib. "Wie jämmerlich ist es denn, eine Handvoll Soldaten zu holen um mich aus einem Zelt zu entfernen lassen." Sie schüttelte ihren Kopf, ganz so als wolle sie den Gedanken vertreiben. Ob es im Zweifelsfall nur für sie schmerzhaft gewesen wäre, das bezweifelte sie sowieso. Man sah, dass sie aus dem Süden kam und man wusste, dass sie sich mit Weidenern rumtrieb. Eine gefährliche Mischung. "Dass er nicht sieht, wie sein Verhalten Marbolieb weiter und weiter ins Unglück stürzt, ist schlimm genug. Ich kann das Fehlen von Harmonie zwischen den beiden förmlich spüren. Sie ist unsicher und meint, dass sie ihm etwas schulde. Sie ist nicht glücklich. Jetzt will er sie auch noch von ihrer Lebensaufgabe als Dienerin Borons fernhalten und sie unter dem Berg einsperren. Wieso kommt er jetzt erst auf die Idee, ein Gehege oder ein Geschirr für das flinke Kind zu besorgen. Warum hat Marbolieb nicht mal einen Stock, oder einen Beschützer … sie stolpert blind rum. Kein Wunder, dass dauernd was passiert." Sie hielt ihren Schritt an. "Ich mache mir Sorgen, dass er ihr Leben zerstört, aber sie sieht es nicht. Sie ist seelisch zu verwundet, um es zu sehen."

Der Junker drehte sich zu der Tempelvorsteherin um und sah ihr tief in die Augen. Er lächelte, als er eine Locke aus ihrem Gesicht strich: “Rahjania, ich weiß gar nicht, worum es hier eigentlich geht. Was ist denn überhaupt vorgefallen? Was den Oberst angeht, so vermute ich, dass er kurz davor stand, die Fassung zu verlieren. Dich entfernen zu lassen, notfalls mit Soldaten, sollte Dich vor seinem Zorn schützen. Wer ist Marbolieb und was ist das für ein Kind? Erzähl mir doch erstmal alles von Anfang an, dann kann ich Dir vielleicht auch ein paar Fragen beantworten, eventuell sogar helfen.” Er hob ihre Hand, neigte den Kopf und gab ihr einen Handkuss. “Du sagtest Du hast Hunger. Lass uns zur Halle gehen und sehen, ob es dort etwas gibt, dann kannst Du mir alles berichten.” Dann hakte er ihren Arm bei sich ein ein führte sie in Richtung der Jagdhütte. Rahjania schnaubte belustigt und verkniff sich einen boshaften Kommentar. "Aureus, du bist ein lieber Mann, ich habe auch diesbezüglich noch etwas mit dir zu besprechen." Lieblich und unschuldig blickte sie zu ihm auf, ihr Griff an seinem Arm wurde aber fester und sie bewegte sich elegant, wie eine Raubkatze. "Du denkst er hat die Soldaten zu meinem Schutz gerufen? Wirklich?" Sie blieb auf einen Ruck stehen und drehte Aureus zu sich. Ihre Augen waren verheißungsvoll und wirkten auf einen Schlag dunkler als sonst. Er konnte nun erstmals die Geweihte aus Fasar in ihr sehen, eine Dienerin der Radscha Uschtammar, der Roten Schwester, aus einer Stadt, in der Rahja völlig anders verehrt wurde, als im Mittelreich. Rausch, Kampf, Blut, Ekstase und keine Scheu vor Schmerz ... er war wie hypnotisiert von ihrem Anblick. Sie schien die schönste und begehrenswerteste Frau zu sein, die er je gesehen hatte, obwohl sich ihre Fingernägel langsam in seine Haut bohrten.  Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. "In meiner neuen Heimat Weiden würden die Frauen mit so einem Kerl den Hof wischen. Wenn man ihn mit unangenehmen Dingen konfrontiert, dann stampft er wie ein trotziges Kind auf den Boden und versteckt sich hinter seinen Soldaten. Ja, ich gebe zu, ich wollte ihm die Grundregeln des Anstandes einer Geweihten gegenüber darlegen, indem ich ihn quasi mit der Nase darauf gestoßen habe. Eben dass er sich bei mir zu bedanken habe, dass ich mich um seine Geliebte gekümmert habe. Er hatte mich in seiner bockigen Art jedoch nur ignoriert und dann wie eine Dienstmagd behandelt." Sie zuckte mit den Schultern und schlenderte elegant an Aureus Arm weiter, führte ihn mit diskreten Berührungen dorthin, wo sie das Essen vermutete. "Wie bei einem Hund, der nicht sauber ist und dem man die feuchte Schnauze in seinen eigenen Haufen halten muss, damit er es kapiert. Dabei ist Dwarosch, wenn ich das richtig verstanden habe, schon lange unter Menschen und sollte mit unseren Gepflogenheiten vertraut sein ... jedenfalls wollen sie den armen Söldner jetzt aufknüpfen, nur, weil er Marbolieb helfen wollte, bei ihrem Sturz die Robe zerriss und das arme Ding sich erschreckt hat, als er ihre Signale falsch deutete. Eine Backpfeife hätte ihm den Kopf schon wieder zurechtgerückt."

Der Altenweiner war wütend. Wütend und verletzt. Wie konnte sie es wagen so mit ihm zu reden? Mit ihm, der sich die letzten Tage um sie und ihre Sicherheit gekümmert hatte. Und wie dankte sie es ihm? Lies ihre Wut an ihm aus. Wut über Recht und Gesetz, die in ihrer Heimat vielleicht anders lauten mögen, doch sie war nicht in ihrer Heimat, sie war in seiner und hatte sich an die hiesigen Regeln zu halten. Am liebsten hätte er ihr die schallende Ohrfeige verpasst, von der sie eben noch gesprochen hatte. Doch da war auch dieser Schmerz, den sie mit ihren Nägeln in seinem Arm erzeugte. Er wusste nicht, dass die Geweihten der Heiteren Göttin anderen Schmerzen zufügen durften. Es war erschreckend. Es war empörend. Es war … erregend! Er spürte seine Männlichkeit, wie sie vergebens gegen den Stoff seiner Schamkapsel aufbegehrte. Er sah die Glut in ihren dunklen Augen, sah die geschmeidigen Bewegungen, den sinnlichen Mund, der noch leicht feucht in der Sonne glänzte, sah die Rundungen ihres Körpers. Ein Feuer stieg in ihm hoch, dass er noch nie zuvor verspürt hatte. Plötzlich blieb er stehen, ließ sie plaudern und griff ihren Arm, so dass sie sich mit ihrem nächsten Schritt unweigerlich zu ihm umdrehen musste. "Was soll das?!" Rahjania hatte noch lange nicht die innere Ruhe zurück, die sie sich wünschte, und in der exotisch-ungeheuren Mischung ungezügelter Emotionen war vieles möglich. Aureus hatte Glück. Sie nutzte seinen Griff um sich daran abzustützen und hob sich flugs und geschmeidig zu ihm hinauf. Ihr anderer Arm hatte seinen Kopf umfangen, ungewohnt kräftig und selbstsicher, sodass es dem Ritter kalt den Rücken hinablief. Zeit hatte er nicht, das auszukosten, denn seine Schutzbefohlene ließ ihre Zunge einen Moment über seinen Hals zum Ohr gleiten, um ihn dann dort an einer empfindlichen Stelle ihre Zähne spüren zu lassen. "Lass uns zum Zelt gehen, ich muss zur Herrin beten. Und dir was beibringen." Der Altenweiner war innerlich verwirrt. Er verstand einfach nicht, was hier gerade geschah. Und doch erlaubte er es sich sich der Situation hinzugeben. Im Hier und Jetzt ungeachtet möglicher Konsequenzen spürte er Halt, Geborgenheit, Vertrauen und Erregung. Nicht bloß das Pochen seiner Lenden. Nein. Sie glich der freudigen Anspannung vor dem Kampf, wenn man sich auf seinen Gegner einließ, jeden Atemzug, jedes Muskelzucken beobachtete, um ihm möglichst einen Schritt voraus zu sein. “Ich freue mich schon auf Deine Lektionen”, grinste er. Im Zelt angekommen verschwendete Rahjania nur wenige Worte an Aureus. Sie packte ihn an seinem Wams. “Zieh deine dreckigen Stiefel aus, dann deine Kleidung, und mach dich so sauber, wie es sich für mich gehört. Also gründlich.” Sie ließ ihn los und er spürte fast körperlich ihre Wut und ihr Verlangen...nach.. oder weil…? So klar war es ihm nicht,aber es ging außer Wut und Dominanz eine starke sexuelle Anziehung von ihr aus. Sie bewegte sich anders, sie sprach anders, als er es von ihr kannte. Dies ließ ihn einerseits die Haare an den Armen zu Berge stehen, andererseits wünschte er sich diese Frau, und was sie auch machen wollte.  Sie selbst ging zur Waschschüssel, entledigte sich mit ein paar schnellen Griffen ihrer Kleidung und tauchte ihre Hände in das kalte Wasser. Er sah ihren Rücken, ihre Haare und mehr, als bisher.  Instinktiv wusste er, dass er besser gehorchen sollte.

Während sie sich wusch ging er zur Feuerschale, legte ein frisches Scheit hinein und fachte die Glut an. Erst danach entledigte er sich seiner Kleidung und trat ebenfalls zur Waschschüssel. Langsam ließ er das Wasser über seinen gestählten Körper gleiten, bevor er sich ein Stück Seife griff und sich kräftig Glied für Glied von oben nach unten abschrubbte. Hernach entfernte er die letzten Seifenreste und stellte sich Rahjania gegenüber:”Ich bin nun  bereit, Hochwürden.” Aureus mochte durchaus die ein oder andere Erfahrung in körperlicher Liebe gemacht haben, aber die Vereinigung mit Rahjania, wütend, dominant und begehrenswert, war etwas, was er nie vergessen würde. Auch, wenn er auf dem Laken mehr die Rolle der Beute als des Jägers hatte. Und wie gerne er sich diesem Spiel hingab. Sie wusste genau, wie sie ihn dazu brachte, länger zu genießen, damit es kein ungewollt frühes Ende nahm. Was machte da so mancher Biss oder Kratzer schon aus ? Er lag benommen auf dem Lager und sortierte noch seine Gedanken. Alles war so unwirklich gewesen. Der Platz neben ihm war leer...Er blickte sich im Zelt um und sah die Geweihte im Schneidersitz auf einem Kissen sitzen, in einen flauschigen Mantel gehüllt. Aureus bekam eine Gänsehaut...sie sah ihn unangenehm streng an. Ihr strenger Blick ruhte auf ihm, so glaubte er zumindest, wie der einer Praiostagsschullehrerin, wenn sie einem beim schummeln erwischt hatte. Ja, er fröstelte und fühlte sich plötzlich unwohl. "Was ist mit Dir?", fragte er vorsichtig. "Habe ich etwas falsch gemacht?

Rahjania sah Aureus immer noch streng an,doch, da er lange mit ihr gereist war, nahm er die leichten Grübchen wahr, die Milde versprachen. „Ach Aureus, tapfer hast du dich eben geschlagen. So tapfer, dass ich nochmal mit dir beten würde… aber ich muss dich zuvor rügen und ich dulde keinen Widerspruch. Mein erwählter Beschützer hat sich so zu verhalten, sonst müsste ich ja alles alleine machen“ Die wunderschöne, makellose Tulamidin (mit der er eben sehr intim gewesen war und zweifelsfrei viel gelernt hatte) ging zu seinem Lager und setzte sich neben ihn. „Du machst das das erste mal, mit Wulfi,meinem Beschützer in Weiden wäre ich strenger, aber der hätte sich sowieso anders verhalten. Also. Du stehst vor dem Zelt und merkst, dass mich so ein Halbmann bedroht ? Ich erwarte, dass mein Mann mit Schwert in der Hand sofort zu mir eilt, das verstehe ich unter beschützen. Du sollst nicht abwägen, wer recht hat oder nicht. ICH bin deine, die du schützen musst. Ich bin Hochgeweihte, wer mich bedroht oder angreifen will, der soll dafür bezahlen. Oder ist hier der Glaube an die Götter nichts mehr wert? Ich sollte dir Wulfi in Weiden vorstellen. Da könntest du viel lernen, ehrlich. Das sind Männer! Ich will, dass aus dir auch so einer wird, nicht irgendein verweichlichter Lappen! Hast du mich verstanden ?“ Sie schwieg kurz und küsste den verwirrten Aureus, biss ihm dabei in die Unterlippe. Erregend, vielversprechend, aber er wusste instinktiv, was was sie dulden würde und was nicht. Vorhin war er nicht an ihrer Seite gestanden, das sollte nie mehr vorkommen. Andererseits hatte er eben das intensivste intime Geschehen seines Lebens erlebt— er würde nachdenken 

Entgeistert starrte er die Hochgeweihte an. Er konnte nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte. “Ist das Dein Ernst? Ich soll Travias heiliges Gastrecht brechen und mit gezogenem Schwert an Deine Seite springen, nur weil Du ein Streitgespräch hast?!” Zorn wallte in ihm auf und seine Stimme wurde lauter: ”Wir sind hier Gäste. Diese Jagd wurde ins Leben gerufen, um die Verständigung zwischen Menschen und Angroschim zu verbessern. Hätte ich, Deinem Wunsch entsprechend, mein Schwert gezogen, die Wache niedergeschlagen und  Oberst Dwarosch bedroht, hätte das im schlimmsten Fall einen Krieg auslösen können. Und das nur, weil Du Dich unwohl fühlst bei einem Streitgespräch? Bei allem Respekt ich glaube kaum dass das Dein Wunsch ist, oder der Deiner Göttin. Wenn ihr in Fasar oder in Weiden blindlings und gewaltsam in solche Situationen hinein platzt, weil ihr glaubt das sei mutig, dann hast Du Recht, dann sind alle anderen Waschlappen. Ein Ritter soll auch besonnen sein und kein blindwütiger Schlächter.” Er stand auf, strich sich durchs Haar und suchte nach Worten. “Nenn mich ruhig feige”, presste er dann zwischen den Zähnen hervor, “aber ich bin mehr als ein Ritter. Ich bin ein Junker dieses Landes und sehr wohl in der Lage eine Gefahr zu erkennen.

Der Oberst ist ein aufbrausender, aber ehrenwerter Mann. Er hätte Dir nichts getan, selbst wenn Du keine Geweihte wärst.” Er atmete schwer und starrte Rahjania einige Augenblick lang aus wütenden Augen an, dann drehte er sich abrupt um und ging zur Waschschüssel, wo er begann sich kräftig mit Seife abzuschrubben. Dabei murmelte er ein paar unverständliche Worte in seinen nicht vorhandenen Bart. Was trieb Rahja nur für ein böses Spiel mit ihm? Erst Ira. Jetzt Rahjania. Es kam ihm gerade so vor, als ob die Heitere Göttin nicht mit ihm, sondern über ihn lachen würde. Als wäre er ihr Spielball, ein Zeitvertreib. Der Junker stützte sich mit beiden Händen auf der Waschschüssel ab und ließ den Kopf hängen. Sein eigener Speichel schmeckte ihm plötzlich bitter und er bekam keine Luft mehr. Er musste hier raus. Mit einem Wutschrei fegte er Schüssel und Ständer um, griff seine Klamotten und verließ das Zelt. Draußen zog er sich rasch Hose und Stiefel an und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Dann stapfte er los Richtung Jagdhütte.

Zwei patrouillierende, zwergische Soldaten hielten abrupt inne, als sie den jungen Herrn erblickten, der sich vor dem Zelt stehend ankleidete. Einen Kommentar verkniffen sie sich. Ein spöttische Grinsen und das dazu passendes Kopfschütteln, welches erfolgte kurz bevor die Beiden ihren Weg fortsetzen, sagte jedoch auch so genug über ihre Meinung aus. Rahjania verdrehte die Augen, als ihr, was auch immer wie ein wütendes Kind verschwunden war. Er sollte sich beruhigen, spätestens auf dem Rückweg würde sie ihm einiges erklären.

Die Angroschim schienen sich ihre Götter recht praktisch auszusuchen, für Rahja kein Platz, Praios anscheinend nicht so wichtig… aber Aureus hielt an Travia fest, anstatt seiner Pflicht, eine Hochgeweihte zu beschützen auch nur annähernd nachzukommen. Sie schüttelte den Kopf und überlegte, ob es sich lohnen würde, ihn zu erziehen, oder einen weiteren läppischen Mann, der sich adelig und Ritter nannte , in den Nordmarken laufen zu lassen. Sie würde bis zum Abend abwarten.

Nach dem Sturm

Im Zelt kehrte zumindest so etwas wie Ruhe ein. Mirla, durcheinander durch diesen seltsamen Tag, genoss die Zuwendungen Dwaroschs und strahlte ob der Aufmerksamkeit, die sie endlich einmal von ihrem vertrauten Zwergen erhielt. Doch die Spannung im Zelt entging auch dem Kind nicht. Besorgt hielt es inne, betrachtete den Oberst mit nachdenklichen Augen und wandte sich zu ihrer Mutter, die noch immer zusammengekauert saß und der es mittlerweile gleich zu sein schien, was im Zelt vor sich ging. “Dado - gut?” fragte sie mit unsicherer Stimme, die dennoch inständig um Bestätigung bat.

“Ich weiß es nicht, Mirlaxa”, antwortete Dwarosch ehrlich, dann drehte auch er seinen Kopf zu Marbolieb.  “Räblein”, begann der Zwerg ruhig, “alles was ich wollte war zu erfahren, was geschehen ist und danach vor allem eines, Ruhe, um mich um dich zu kümmern.  Ich empfand es als anmaßend, dass man versucht, mir ein Gespräch über Dinge aufzuzwingen, die diese Frau rein gar nichts angehen. Und es war ‘grausam’, wie penetrant und aufdringlich sie auf dieser Sache beharrt hat.  Ich begreife nicht, warum manche Menschen nicht verstehen wollen, dass wir andere Wertvorstellungen haben und uns selbst von Priestern nicht in alles hineinreden lassen, gerade so persönliche Dinge.

Darüber hinaus hätte ich niemals auf einem Danke beharrt, hätte ich mich an ihrer Stelle um jemanden gekümmert, der so in Not geraten ist. So etwas sollte selbstverständlich sein. Ich hätte mich einfach zurückgezogen, wenn der Moment gekommen wäre. Und, und das ist das Gravierendste, ich drohe niemanden in dessen Revier. Das in Summe war nicht zu ertragen, war indiskutabel.” Er seufzte schwer. “Darüber hinaus tut es mir leid, dass es so ausgeartet ist. Das wollte ich nicht.“

Marbolieb nickte knapp, nur eine kleine Bewegung, ohne indes den Klammergriff um ihre Beine zu lösen. Sie schloss die Augen und legte ihren Kopf erschöpft auf ihre Knie, die nur von ihrem dünnen Hemd  bedeckte waren. Deutlich zeichneten sich auf ihren bloßen Armen und Beinen einige beginnende Blutergüsse ab, die der dünne Stoff kaum verdeckte.

“Dado - ham?” auffordernd und mit besorgtem Blick zog Mirla den Zwergen am Bart,  angelte nach einem angenagten Stück Apfel, das noch auf einer ordentlich abgeräumten Platte mit Lebensmitteln lag, und hielt Dwarosch diesen entgegen. Nochmals seufzte Dwarosch. "Magst du mir nun erzählen was vorgefallen ist, oder möchtest du, dass wir zu einem anderen Zeitpunkt darüber reden? Ich kann verstehen, wenn du das jetzt noch nicht möchtest oder kannst."  Er drückte Mirla liebevoll an sich, sein Blick verharrte jedoch sorgenvoll auf Marbolieb. "Vielleicht sollten wir uns aber erst einmal deiner Schrammen annehmen. Hast du Schmerzen? Ich hab’ Kräuter und Salbe hier."

Marbolieb schüttelte den Kopf. Mit einer vollkommen tonlosen Stimme, so leise, dass Dwarosch sie über das besorgte Rascheln Mirlas kaum verstehen konnte, erzählte sie. “Ich bin nach dem Frühstück auf der Bank vor der Halle eingeschlafen. Mirla lief davon. Oren half mir beim Suchen. Ich bin gestolpert, die Treppe hinuntergefallen und auf ihm gelandet. Er hat mich geküsst und umfangen. Meine Robe ist zerrissen, da hat er mich losgelassen. Da waren noch  andere - Raxajia hieß eine. Zu laut - zu viele. Später hatte mich dann ein Mann auf den Armen, ich habe mich freigemacht. Die Frau hat mich hierhergebracht - irgend jemand brachte Mirla.” Sie holte tief und resigniert Luft. “Willst Du sonst noch etwas?” Marbolieb lehnte ihre pochende Stirn gegen ihre Knie, zog ihre nackten Füße enger unter ihrem Körper und versank wieder in Schweigen. 

“Dado, da!” beharrte Mirla und versuchte, Dwarosch den angeschnullten Apfel in die Nase zu schieben - oder in den Mund. Offensichtlich brauchte er etwas, und das naheliegendste aus Mirlas Warte war da  das Essen. Zweifelnd ruhte der Blick des Zwergen einige Momente auf Marbolieb. "Diese Blutergüsse sprechen davon, dass es nicht ganz so harmlos vonstatten ging, wie du es mir beschreibst, Räblein.” Kurzerhand schnappte Dwarosch mit dem Mund nach  dem Apfelstück und verdrückte es mit einem Happen, nur um Mirla dann mit seiner dicken Nase anzustupsen und ihr damit zu verstehen zu geben, dass er sie nicht ignorierte, nur gerade anderweitig beschäftigt war. “Räblein”, versuchte es Dwarosch noch einmal. “Du kann mir alles erzählen und brauchst dich wahrlich für nichts schämen. Ich möchte nur verstehen.” Mirla jauchzte begeistert und warf sich fast aus Dwaroschs Armen, um auf dem Tablett nach dem nächsten Leckerbissen für ihren über alles geliebten ‘Dado’ zu suchen. “Es ist meine Schuld.” flüsterte die Boroni mit heiserer Stimme. “Wäre ich nicht eingeschlafen und hätte besser aufgepasst, hätte Mirla nicht davonlaufen können. Dann wäre nichts davon passiert.” Sie stöhnte und drückte ihre Stirn fester auf ihre Knie, die sie im Klammergriff umarmte. Die hämmernden Kopfschmerzen, die mit dem Aufmarsch in ihrem Zelt erwacht waren, hallten durch ihren gesamten Körper.  “Es tut mir leid.” Wie sehr, konnte der Oberst schwerlich erahnen.

“Das ist Unsinn, Räblein, und das weißt du in deinem Inneren auch. Du kannst die zurückliegenden Ereignisse nicht derart kausal verketten.” Eindringlich sprach der Zwerg, versuchte all seine Überzeugungskraft aufzubringen. “So passieren solche Dinge nicht. Nein, solche Dinge passieren aus einer Absicht heraus. Und diese Absicht lag nicht bei dir, das darfst du nie vergessen, Räblein.” Dwarosch griff Mirla, die gerade wieder ein Stück Apfel ergattert hatte, mit einem Arm unter die Achseln und stand auf. Er schritt zum Zelteingang und sprach kurz mit den Wachen. Er schickte nach einer Schale mit warmen Wasser, etwas zu Essen und heißem Tee. Danach ging der Oberst zur Feuerschale, die neben der Bettstatt und auf einem gusseisernen Dreibein stand und legte zwei neue Scheite hinein.

Mit einer weiteren Decke, die auf einer der Truhen gelegen hatte, setzte er sich nun wieder neben Marbolieb und legte ihr sie mehr recht als schlecht über die Schultern, soweit es eben mit einer freien Hand nun mal möglich war. “Also nochmal von vorn, Räblein”, bat Dwarosch sie. “Es ist nicht wichtig, dass du eingeschlafen bist. Ich will nur wissen, was dieser Oren getan hat in der Jagdhütte. Metenax meinte, er habe dich gegen deinen Willen geküsst, dich gewaltsam festgehalten.” Marbolieb zuckte zusammen, als die Decke ihre Schultern berührte, regte sich aber nicht weiter. Warm. Gut. Sie zitterte, und flüsterte. “Sie ist mir gestern auch davongelaufen.” Die Kopfschmerzen nahmen noch an Intensität zu, und Funken tanzten vor ihren Augen. Zu gerne hätte sie einfach sich die Decke über den Kopf gezogen und alles um sie herum ausgeschlossen.

“Dado, gut!” Mirla wand sich in den Armen des Oberst, griff mit einer Hand beherzt in seinen Bart und versuchte, ihm energisch das Apfelstück in selbigen zu drücken. Dwarosch gab den Bestrebungen rasch nach, er wusste, dass es Mirla Freude bereitete, ihn zu füttern. Dieses Spiel kannte er nur zu gut. Umgekehrt funktionierte es auch, wenn auch zumeist nicht dann, wenn seine Ziehtochter wirklich etwas essen sollte und nicht wollte. Doch in diesem Moment war die Freude über die Vertrautheit, die bedingungslose Liebe des Kindes gedämpft.

Ratlos sah Dwarosch zu Marbolieb, die sich ihm verschloss und nicht einmal sagen wollte, dass sie nicht über das reden wollte, was vorgefallen war. Es half nichts, sie würden an diesem Abend vermutlich nicht weiterkommen, sie würde sich ihm nicht anvertrauen. Noch weiter in sie zu dringen würde die Ablehnung vermutlich noch verschlimmern. Es musste etwas Drastisches vorgefallen sein, davon war er mehr denn je überzeugt. Marbolieb war eine Dienerin des Totengottes, hatte Dämonen gegenübergestanden und all die anderen Schrecken des Haffaxfeldzuges gesehen. Ein Missgeschick oder Missverständnis würden niemals so verheerend auf sie wirken. Dieser Oren musste sterben. “Nicht erschrecken”, flüsterte der Oberst in Richtung der Geweihten und setzte Mirla dann auf ihre angezogenen Knie, so dass sie ihre Beine ausstrecken musste, um ihre Tochter auf den Schoss zu nehmen. Als dies geschehen war, rückte Dwarosch näher heran und bugsierte Marbolieb sachte auf das Lager hinab, um sich und seine beiden Liebsten dann mit einer großen Decke aus vernähten Fellen zuzudecken.

Marbolieb seufzte erleichtert, als sie den Arm Dwaroschs um ihre Schultern spürte. Sie grub ihr Gesicht in seine Wange und seinen Bart, atmete tief den vertrauten Duft ihres Liebsten - diesesmal mit einem deutlichen Unterton nach Schweiß und Wald, was besagte dass er sich nicht einmal die Zeit genommen hatte, sich zu reinigen. Einige lange Augenblicke genoss sie die Geborgenheit, die ihr diese einfache Geste vermittelte, und der Zwerg spürte, sie ihr Atem langsam tiefer wurde und ihre Muskeln sich entspannten. Vorsichtig schob sie ein Bein über den massigen Schenkel des Zwergen, Halt suchend - oder haltend, um sicherzustellen, dass er bliebe. Die Boroni räusperte sich, verstummte wieder und setzte längere Zeit später erneut an. "Metenax hat recht." Sie unterdrückte ein Stöhnen, als der Hammer in ihrem Kopf erneut sein Werk begann und presste ihre Stirn an die Wange des Oberst. "Er hat mich betatscht und geküsst - nicht mehr. Auch wenn er das gern gewollt hätte." Sie tastete nach dem Hals ihres Liebsten, fand das Köpfchen ihrer Tochter und streichelte darüber, ehe sie ihren Arm um Dwaroschs Hals schlang. "Er sagte, ich sei schön." Sie schnaufte ungläubig. "Er muss es wirklich nötig haben." Wieder herrschte einige Atemzüge Schweigen. "Jeder ist auf mich eingedrungen und hat gezetert." Marbolieb erschauderte bei der Erinnerung, drängte sich näher an Dwarosch und bat mit erstickter Stimme. "Halt' mich fest."

"Du bist schön, Räblein", stellte Dwarosch fest. "Zudem begehrenswert und ein wenig exotisch für die einfachen Menschen, die nicht wissen, was jenseits der Eisenberge liegt.  Nichts davon aber ist eine Entschuldigung für das Verhalten dieses Oren.  Ich bin dir dankbar, dass du mir nun gestanden hast, was wirklich vorgefallen ist. Das macht alles ein wenig einfacher. Das heißt, dass dein Nervenzusammenbruch und deine Ohnmacht maßgeblich durch deine Angst um Mirlaxa hervorgerufen wurden, liege ich da richtig? Auf seine Worte hin drückte sich die Geweihte noch ein wenig enger an Dwarosch und dachte eine Weile nach. Gerne hätte sie sich tiefer in seine Arme gekuschelt, doch schien der Zwerg gerade mehr mit seinen Worten als mit allem anderen beschäftigt.  “Es war zuviel auf einmal.” analysierte sie schließlich in leisem, beschämten Ton. “Mirla ist neugierig - und flink.” Was beides keine gute Eigenschaft war, erzählte ihre Stimme. “Ich sehe nicht, wo sie hinläuft -  und wo ich hin muss. Die meisten Zeltschnüre, über die ich stolpern kann, habe ich kennengelernt.” Mehrfach war sie heute auf der Nase gelandet - im Matsch, wenn sie Glück hatte. Mit Pech auf härteren Dingen. Nachdenklich rieb sie ein Bein an ihrem Liebsten. Jede einzelne Schmarre und jeden blauen Flecken fühlte sie bei dieser Berührung. Sie schluckte. “Ich kann das nicht mehr. Irgendwann einmal finde ich sie nicht mehr wieder.” Schaudernd fiel sie in Schweigen und legte ihren Arm fester um Dwaroschs Hals. Einige ruhige Atemzüge lang fühlte er nur ihre Berührung in seinem Bart. “Wirklich?” scheinbar zusammenhanglos kam diese Frage. Warm klang sie - entspannter als jedes Wort, das sie bisher geäußert hatte. Sie krauste ihre Nase, als seine Barthaare sie kitzelten. “Küss’ mich.” Der Oberst tat nur zu gerne wie ihm geheißen. Es war ein langer, ein leidenschaftlicher Kuss, der viel von der Vertrautheit zwischen dem so ungleichen Paar zurückbrachte.

Der innige Moment endete erst, als ein großes Holztablett durch die Plane des Zelteingangs geschoben wurde. Das bestellte Essen war da. Dwarosch schmunzelte, als er sich von Marbolieb löste. “Ich hoffe, du hast jetzt Appetit. Da hat es jemand wirklich gut gemeint mit uns.” Die Geweihte gab einen kleinen, unglücklichen Laut von sich, als Dwarosch aufstand, und streckte eine Hand nach ihm aus. 

Er ging das Essen holen, um es dann zu ihnen auf die Bettstatt zu stellen. Als sie beide damit begannen, sich daran gütlich zu tun, kam Dwarosch auf das vorherige Thema zurück. Mirla schlief friedlich und tief.  “Die Angst, die du verspürt hast, Mirlaxa zu verlieren, habe ich schon geraume Zeit, Räblein. Deswegen wollte und will ich dich nicht alleine nach Calmir zurück lassen. Du wirst eine Haushälterin bekommen, die sich um sie kümmert und dir zur Hand geht.” Der Zwerg drückte ihre Hand, als er sah, dass Marbolieb gegen seine Worte aufbegehren wollte. “Das steht nicht zur Diskussion, Räblein. Eure Sicherheit hat oberste Priorität, da ist kein Platz für fragwürdige Kompromisse. Wir finden jemanden, der zu euch passt, versprochen. Und auch betreffend einer anderen Sache, die zwischen uns steht, habe ich einen Vorschlag zu machen.”

Der Oberst holte Luft, Marbolieb spürte die Anspannung in seiner Stimme. Die Worte fielen ihm nicht leicht. “Ich akzeptiere, dass du mir den Namen von Mirlaxas Vater aus einem gegebenen Versprechen heraus nicht nennen willst, wenn du im Gegenzug einwilligst, dass sie, wenn sie alt genug ist, eine Ausbildung in Senalosch macht und in dieser Zeit bei mir unterkommt.”  Wiederum wollte die Geweihte den Monolog des Zwergen unterbrechen, doch wieder fuhr Dwarosch fort, um das zu verhindern. Er hatte noch weit mehr zu sagen.  “Denk drüber nach, es ist eine weitreichende Entscheidung. Bedenke aber, dass sie nirgends sicherer wäre als so nahe an der letzten Festung und im Isenhag wohl in kaum einer anderen Stadt eine bessere Ausbildung erhalten könnte.” Ein tiefes Ein- und Ausatmen verriet der Geweihten, dass Dwarosch froh war, diese Worte hinter sich gebracht zu haben.

“Doch zunächst gilt es die Causa ‘Oren’ abzuschließen Räblein”, kam er nun auf das aktuelle Problem zurück. “Ich weiß nun, was geschehen ist und verstehe, dass du nicht möchtest, dass er hängt, auch wenn das was er getan hat dies durchaus rechtfertigen würde.  Ich werde zu Borax gehen und ihm deine Bitte mitteilen. Unser Freund wird sich dem nicht verschließen. Die Strafe werde ich dann selbst unverzüglich im Zweikampf vollstrecken, um sicherzustellen, dass dein Wille geschieht. Ich werde dir jedoch nicht versprechen, dass ich ihn schonen werde, denn das hat er nicht verdient.” Dwarosch schnaubte. Marbolieb wusste, dass es ihn Beherrschung kostete, seine Wut im Zaum zu halten. Rasch rang er die in ihm aufwallenden Gefühle nieder.

“Danach können wir den Rest des Abends im Bad verbringen, Räblein, und das, ohne Sorgen oder Dinge, die uns belasten. Lass die anderen den Abschluss der Jagd feiern, wir feiern etwas mindestens genauso Bedeutsames, dass wir uns vertragen haben.” Marbolieb spürte, dass Dwarosch grinste. “Bad?” Marboliebs Miene hellte sich schlagartig auf.  “Dwarosch.” sie legte dem Zwergen eine Hand auf die Wange und brachte ihr Gesicht vor seines. “Brich’ dem armen Söldner nicht alle Knochen im Leib. Und pass’ auf dich auf.  Versprichst du mir das?” Sie strich mit ihren Lippen sanft wie eine Feder über die seinen und lehnte ihre Stirn an die Seine. Genoss die Nähe. Und fast noch mehr die Aussicht auf das Bad, an der sie sich diesen ganzen langen, erschütternden Tag entlanggehangelt hatte. Zwischendurch hatten sie ernstliche Zweifel beschlichen, dass diese unverfrorene Unternehmung tatsächlich stattfinden würde - umso größer war ihre Freude, sich getäuscht zu haben.  Ein kleines, glückliches Lächeln huschte um ihre Mundwinkel. “Und komm schnell zurück.” Über die Haushälterin und Mirlas Zukunft zu sprechen würde im Bad noch ausreichend Zeit sein. Er erkannte die Freude über die Aussicht auf das Bad. “Ich werde Anweisung geben, das Wasser so heiß wie möglich zu machen Räblein, damit wir viel Zeit darin verbringen können. Und sorge dich nicht, ich bin nicht Einhundertsechszig geworden bei dem was ich tue, ohne auf mich acht zu geben.” Nochmals küsste er sie innig, dann jedoch stand er auf. Diese Sache erlaubte keinen weiteren Aufschub, oder sie würde die Jagd und möglicherweise auch das folgende isenhager Donnergrollen stören. “Ich eile Räblein. Versuch noch einmal Ruhe zu finden. Ich schicke nach einer befreundeten Priesterin des Weltenschmieds. Die Tochter der Argenta, Axareta ist ihr Name, wird dafür Sorge tragen, dass Mirlaxa nicht erneut ausbüchst.” Dwarosch lächelte ein letztes Mal, dann verließ er das Zelt und seine Züge wurden hart.

Der Faustkampf

Als die Sonne gerade untergegangen war, weit in der Ferne Wetterleuchten den Horizont erhellte und dann und wann ein tiefes Donnergrollen zu vernehmen war, kam es, wie der einarmige Priester des Kor es vorhergesagt hatte. Der Oberst der Eisenwalder tobte, schrie und wütete, noch bevor er des Untäters ansichtig wurde. Er brachte die Wut in sich zum kochen und stachelte sich so an. Barfuß, bar jedweder Rüstung und mit freiem Oberkörper, trat Dwarosch in den weiten Kreis seiner Soldaten auf Oren zu, der von vier Soldaten zu diesem Zwecke vor die Jagdhütte eskortiert worden war. Auch er trug lediglich eine Hose, ebenso wie der Zwerg. Dwaroschs ohnehin schon schwarze Augen waren in jenem Moment die bloße Dunkelheit, ja, sie schienen das Licht der Fackeln ebenso aufzusaugen wie das Schwertkreuz, das den Oberkörper des Zwergen zierte und immer dann sichtbar wurde, wenn sein prächtiger, langer Bart es zuließ. Egal wie viel Licht auch auf die vermeintliche Tätowierung fiel, da war nur uneingeschränkte Finsternis, als gähne dort ein Loch ins absolute Nichts. Wie ein vor Muskeln nur so strotzender Bär stapfte der Angroscho auf den Mietling zu und hielt sich nicht mit Beschimpfungen auf. Aggressiv, nein viel mehr tollwütig drang er auf Oren ein. Schlag folgte auf Schlag. Der Oberst bewies, dass er zu Raufen und auch zu Ringen wusste. Dem Menschen im Kreis der eng beieinander stehenden Soldaten blieb kaum eine Chance. Zwar traf Oren den Oberst im entbrennenden Kampf ebenfalls und das nicht zu selten, doch die Hiebe schien Dwarosch in dieser wilden Raserei nicht wahrzunehmen, ja, er machte sich oft nicht einmal die Mühe, zu versuchen, sie zu blocken. Es war, als wollte er Schmerz empfinden, als gehöre dies dazu, als habe er das Verlangen, geläutert zu werden.  Irgendwann, als Orens Gesicht bereits zugequollen war und beide Augen deswegen kaum noch zu sehen vermochten, schlug Dwarosch so lange auf Orens Deckung ein, bis sie schließlich fiel. Dann zielten Dwaroschs Schläge seitlich unter die Rippen, wo die Organe saßen. Er beendete es, mit äußerster Brutalität, maximalem Schmerz und ohne einen Deut des Zögerns. Vier, fünf, sechs bestialische Hiebe saßen, dann fiel Oren endlich bewusstlos vor Schmerz um und der gänzlich ungleiche Kampf war vorbei.  Dwarosch aber fiel auf die Knie und schrie seine Wut hinaus, bis ihm die Stimme versagte. Er hätte scheinbar noch ewig so weitermachen können.  Zwei gerüstete Angroschim traten nun hinzu und zogen Oren an den Armen vom Platz. Er würde leben, aber es würde Götternamen dauern, bis er sich vollständig erholen würde.  Der Oberst hingegen wurde von seinem gesamten Leibbanner in die Mitte genommen und zu seinem Zelt eskortiert, wo Marbolieb und Mirla in der Obhut einer Dienerin des göttlichen Schmieds, fernab des vergangenen Spektakels, warteten.

Borindarax, der Vogt von Nilsitz, der diese Art der Strafe durch das Recht der ihm übertragenen Blutgerichtsbarkeit gesprochen hatte um die Ehre der Geweihten wiederherzustellen, nickte grimmig. Nur widerwillig hatte er sich das Schauspiel angesehen. Aber er wusste, dass auch solche unangenehmen Aufgaben zu seiner Pflicht gehörten.  Man würde Oren nun versorgen, bis er wieder aus eigener Kraft laufen konnte. Dann würde er an die Grenze der Vogtei gebracht werden, so lautete Borindarax unmissverständlicher Befehl. Würde er Nilsitz noch einmal betreten und aufgegriffen werden, so wäre er des Todes. Rasch versuchte Borax, die Bilder von Gewalt und Blut aus seinem Kopf zu verbannen. Er wandte sich ab. Es gab noch anderes zu tun.

'Jetzt haben sie den Söldner also öffentlich verprügelt.' Rahjania hatte den Kampf mir regem Interesse verfolgt, kannte sie Gladiatorenkämpfe doch aus ihrem Leben in Fasar. Gerne hätte sie auf den Ausgang gewettet, aber sie war voreingenommen. Ein Kampf unter Gladiatoren war eine Sache, dies hier schien ihr wie eine Karikatur. Ein Mann, dessen "Opfer" ihr gegenüber versichert hatte, dass er keine Schuld habe, trat hier gegen einen Krieger an. Weil ein anderer Angroschim mehr in einen Vorfall hinein interpretiert hatte als es war. Unwürdig. Was wollte Dwarosch damit beweisen? Seine blinde Freundin konnte es nicht sehen, es ging gegen einen Menschen, der nach ihrer Aussage ursprünglich nur helfen wollte. Wohl ein Missverständnis, aber anscheinend schon genug für dieses Schauspiel. Rahjania war klar, dass es die Erhabenen in Fasar wohl ähnlich gehandhabt hätten, doch hätten die nicht den "Angriff auf eine Geweihte" als Feigenblatt dafür genutzt. Der Söldner stand ihnen wohl schlecht zu Gesicht, war er doch ein einfacher, gemeiner Mensch. Was wäre wenn ein junger Angroscho an seiner Stelle gewesen wäre? Wenn ein junger Angroscho einer menschlichen Geweihten die Robe zerriss, auf sie fiel und sie dann versuchte zu küssen. Von wirklicher sexueller Gewalt, Rahja gegenüber ein Frevel, war hier laut Aussage des vermeintlichen Opfers sowieso nicht zu sprechen. Hätte man in diesem Fall auch versucht ihn zu hängen oder ihn dann öffentlich zu verprügeln? Und was wäre passiert, wenn dieser "Angriff" einer anderen menschlichen Geweihten und nicht dem Liebchen des Oberst gegolten hätte? Rahjania kam diese ganze Sache sehr willkürlich vor. Vor allem, dass Marbolieb sich selbst so schützend vor den vermeintlichen Täter stellte ließ ihr keine Ruhe. So benahm sich kein "Opfer". Dennoch beschloss sie lieber zu schweigen und ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Metenax nickte indes grimmig, als sich die Soldaten entfernten und der Platz langsam immer leerer wurde. Es war mehr eine Geste zu sich selbst, denn es jemand anderem gegolten hätte. Der Korgeweihte war zufrieden. Die Strafe war hart gewesen, Dwarosch hatte seinem Beinamen ‘Korgrimm’ Ehre gemacht.  Wenn es nach Metenax gegangen wäre, hätte er lieber selbst gegen diesen Kerl gekämpft, der nicht gerade ein Juwel des Söldnertums war und ihn mit neun Hieben seines Metallstumpfes getötet.  Dennoch war es gut wie es war. Niemand konnte sagen, dass er glimpflich davongekommen war. Keiner der anwesenden Adligen, von denen viele zurecht den Strick gefordert hatten, würden wirklich verärgert sein. Einige würden murren, aber das taten sie ja immer.