Nilsitz Jagd Das Festgelage

Kapitel 9: Das Festgelage (6. Ingerimm)

Die Abgesandten der Bergkönige

Sie waren alle gekommen. Die höchsten Abgesandten der Bergkönigreiche Xorlosch und Isnatosch, dazu Vertreter aus Okdrâgosch, der Schwarzdrachenwacht, dem Sitz des Hochkönigs, aus Tosch Mur, Dumron Okosch und aus Angoramtosch, sowie die Bergvögte aus Ârxozim, Stagniazim und nicht zu vergessen Ishna Mur.  Ganz besonders freute sich Borax jedoch über die Anwesenheit der Gräfin von Waldwacht in Almada, Groschka Tochter der Bulgi, die zu seiner rechten saß. An seiner linken befand sich Graf Ghambirs Tochter Gandrixa und schien sich prächtig mit dem Gastgeber zu verstehen. Derweil mischten sich die Prinzen des Isenhag, Gatrox und Gharmon gut gelaunt unter die Gäste. Ghambir selbst nutzte die günstige Gelegenheit und betrieb angeregte Konversation mit dem Grafen von Ferdok, dessen Frau und dem Baron von Drift, einem Gefolgsmann Growins. Die Gesandtschaft aus Schlund nahm ebenfalls an dem Gespräch teil. Die hohe Politik würde an diesem Abend sicher nicht zu kurz kommen, auch wenn es sich bei den Feierlichkeiten um kein offizielles Treffen des Hochadels handelte.  Borindarax von Nilsitz ließ es sich derweil nicht nehmen zu Beginn des Gelages, so wie er es nannte, die vielen bereits aufgebockten Bierfässer persönlich anzustechen, was jedes Mal wenn das erste Gebräu floss von einigen, durstigen Gästen mit Johlen begrüßt wurde.

Die Aufwartung der Altenberger

Maura von Altenberg war selten nervös, aber heute war es einer dieser seltenen Momente. All die Jahre war es ihr Wunsch in den höheren Kreisen offiziell zu verkehren, auch wenn dies hier kein Ball bei Hofe war.  Wenn auch ihrer Familie hohe Titel und Lehen fehlten, sollte zumindest der Auftritt ein großartiger sein. Die Doctora war eine gut aussehende, ältere Frau, die jünger als ihre 50ig wirkte. Dank der hervorragenden Schneiderkünste ihre Schwägerin Rondela waren alle drei Altenberger im feinsten Schnitt erschienen. Das blonde Haar hatte sie zu einem Haarkranz geflochten, das Gesicht mit leichten Puder, Wangen- und Lippenrot geschminkt. Ihre Augen waren mit schwarzen Lidstrich und zartem Blau betont. Ihr Kleid war eine Pracht aus blauem Samt und weißer Seide, ein Korsett sorgte für ein ansehnliches Dekolleté, das eine Perlenkette zierte. Ihre seidenen, blauen Handschuhe sorgten für ein komplettes Erscheinungsbild. Ihr Sohn Elvan, der zu ihrer Linken war, trug einen blauen, samtenen und figurbetonten Wams mit weißer Halskrause. Die kurzen Hosen waren auch aus Samt und die Schamkapsel zierte das Wappen der Altenbergs, ein blauer Dreiberg vor Silber. Die weißen Strumpfhosen, der blaue Hut und Schnallenschuh schlossen die Festabendkleidung ab. Um die Schulter trug er die lederne Schriftrolle mit dem Gastgeschenk. Zu Mauras Rechter stand ihre Nichte Gelda. Die junge Frau trug ihr kupferrotes Haar offen, das ihr über die Schultern bis zur Rückenmitte fielen. Ihr Kleid war bis zum Hals geschlossen, aber hatte einen figurbetonten Schnitt. Es war größtenteils aus weißen Samt, wobei die aufgerüschten Ärmel und Säume aus blauer Seide bestanden. Das sonst so blasse Mädchen wirkte etwas farbenfroher als sonst. Ihr Gesicht zierte ein wenig Schminke und der dunkle Lidstrich ließen ihre mandelförmigen, grünen Augen katzenhaft erscheinen. Maura atmete nochmals tief durch, setzte ihr Lächeln auf und betrat als erste den Festsaal. Die Nervosität ging auch nicht an Gelda und Elvan vorbei, die sich aber bemühten einen entspannten Eindruck zu hinterlassen. Die Doctora schaute sich um, in der Hoffnung die Baronin von Rabenstein oder die Baronin von Rickenhausen zu entdecken. Irgendwo muss sich ja ein guten Platz für das Dreiergespann finden lassen. Zur Feier des Tages oder vielmehr des Abends hatte Thalissa ihre Reisegarderobe gegen ein Kleid getauscht. Da sie nicht wusste, inwieweit die Zwerge Rücksicht auf Elenviner, geschweige denn Vinsalter Damenmode nahmen, hatte sie auf allzu ausladende Röcke verzichtet. Also hatte sie ein Kleid von einfachem Schnitt gewählt, das lang und glatt von den Schultern zum Boden fiel. Der Grundton war ein reines Weiß, doch waren nach unten hin zunehmend unzählige kleine seidene Rosenblüten von roter und rotgelber Farbe auf das Kleid aufgenäht, so dass es aus der Ferne aussah, als stünde Thalissa in einem Rosenbusch. Die Ärmel waren lang und fächerten trompetenförmig auf, der Ausschnitt war halbrund, aber züchtig und ließ nur die obersten zwei Fingerbreit der Schultern frei. Ein Gürtel aus silbernen Kettengliedern betonte die schmalen Hüften der jungen Frau. Um den Hals trug sie ein breites, silbernes Band mit einem blauen Stein passend zu ihren Augen, wie auch die kleinen silbernen Ohranhänger solcherart Steine trugen. Da es morgen zu einer Jagd gehen sollte, hatte die Baronin auf eine ausgefeilte Frisur verzichtet und die langen blonden Locken lediglich mit ein paar roten und gelben Bändern gebändigt. Ihre Finger zierte einzig ihr Baronsring, was man sehen konnte, da sie auf Handschuhe verzichtet hatte. Nur aus nächster Nähe war zu erkennen, dass das Gesicht der Baronin meisterhaft, aber dezent geschminkt war, was Augen, Mund und Wangen vorteilhaft betonte. Wie fast immer wurde Thalissa von Tar'anam sin Corsacca begleitet und dieser wiederum von seinem treuen Tuzakmesser, welches in der Rückenscheide ruhte. Doch überraschenderweise trug der alte Krieger heute eine enge schwarze Lederhose mit einem sehr breiten Gürtel sowie ein weißes, reich besticktes Rüschenhemd, was ihn fast wie einen Almadaner wirken ließ. Fehlte nur noch der Hut, aber soweit war der Krieger dann doch nicht gegangen. Seine kurzen, weißen Stoppelhaare brauchten zum Glück keine Frisur. Die Zofe der Baronin, Melisande della Yaborim, trug dagegen ein schlichtes, grünes Kleid, hochgeschlossen, mit langen, kaum ausgestellten Ärmeln. Auch sie war dezent geschminkt, die dunklen Haare trug sie zu einem kurzen Pferdeschwanz hochgebunden, ein kleines Gehänge aus drei tropfenförmigen Perlen zierte ihr linkes Ohr und war ihr einziger Schmuck. Melisande hielt sich züchtig im Hintergrund, als Thalissa neben ihrem Leibwächter die Feierhalle betrat und sich umsah. Es waren noch nicht viele der Gäste zugegen, aber die Doctora von Altenberg in Begleitung zweier junger Leute konnte sie bereits erspähen. Sollte es seitens der Gastgeber keine Platzzuweisungen geben, würde sie nach dem Motto 'wer zuerst kommt, mahlt zuerst' vorgehen und sich zu den Altenbergern gesellen. Im Laufe des Abends wäre dann sicher noch Zeit für weitere Gespräche, die Zwerge würden sie ja schon nicht auf den Plätzen festbinden. Thalissa musste schmunzeln bei diesen unangebrachten, aber lustigen Gedanken. Da der Raum noch nicht ganz so gefüllt mit Gästen war, erspähte Maura einen Tisch, der noch nicht besetzt war, aber nicht allzu weit vom Gastgeber lag. ´Ein guter Platz um alles im Auge und Ohr zu haben´ dachte sie bei sich. Elvan und Gelda setzten sich ihr gegenüber. Dann erblickte sie die Baronin von Rickenhausen. ´Was für eine schöne, junge Frau´. Als ihr gewahr wurde das die Baronin mit ihren Anhang direkt auf ihren Tisch zu hielt, erhob sie sich und lächelte. Mit geschickten Handzeichen scheuchte sie ihre Verwandten von ihren Plätzen damit sie sich auch erhoben. Als sie nahe genug heran war, verbeugten sich alle drei formvollendet. “Baronin von Rickenhausen, wollt ihr Euch zu uns gesellen? Es wäre uns eine Ehre!” Die Doctora war jetzt wesentlich gefasster als bei ihren ersten Treffen. Tatsächlich hatten die Angroschim wohl keine Plätze zugewiesen, insofern sah Thalissa keinen Grund, das Ansinnen der Altenbergerin abzulehnen. Sie steuerte gefolgt von ihren beiden Begleitern auf fraglichen Tisch zu, verneigte sich ebenfalls knapp und antwortete: “Sehr gerne, Doctora.” Sie deutete hinter sich. “Tar’anam sin Corsacca, der Edle von Hottenbusch und mein Leibwächter sowie Melisande della Yaborim, meine Zofe.” Tar’anam nickte nur, während Melisande mit freundlichem Lächeln knickste. Dann fiel der fragende Blick der Baronin auf die beiden jungen Leute.  Der junge, gut aussehende Mann, dem die Ähnlichkeit zur Doctora anzusehen war, verneigte sich noch einmal kurz. “Elvan Winrich von Altenberg. Es ist mir eine Freude, Euer Hochgeboren”, sagte er mit freundlicher Stimme. Die rothaarige Frau neben ihn griff links und rechts in ihr Kleid, raffte es ein wenig und machte einen Knicks. “Gelda Rohaja  von Altenberg, Euer Hochgeboren. Die Freude ist auch auf meiner Seite”, sprach diese lächelnd weiter. Die Baronin nickte den beiden ebenso freundlich zu. “Die Freude ist ganz meinerseits. Thalissa di Triavus”, fügte sie sicherheitshalber hinzu, da sie nicht wusste, ob die Doctora von ihr zu ihren Verwandten vielleicht lediglich als ‘Baronin von Rickenhausen’ gesprochen hatte. Sie musterte die beiden kurz, während sie und Tar’anam ihre Plätze einnahmen und Melisande hinter ihnen Aufstellung nahm, um gleich darauf auf der Suche nach etwas zu trinken für die Herrschaften, das kein Bier war, davonwuselte. Der junge Mann sah ganz adrett aus, machte auf sie aber einen recht träumerischen Eindruck. Die junge Dame dagegen schlug sich zwar recht wacker, fühlte sich aber in ihrem schönen Kleid nicht so ganz wohl. “Wenn ich fragen darf: Seid Ihr zwei der Kandidaten, welche auf der Altenberger Brautschau einen angemessenen Partner finden sollen?” Beide Angesprochenen stieg die Röte ins Gesicht. Unsichere Blicke austauschend, war es Gelda die antwortete. “Ja, wir sind einige der Kandidaten, Euer Hochgeboren. Wie ich annehme hat meine Muhme schon ausführlich berichtet.” Elvan nickte nur zur Bestätigung und es war offensichtlich, dass ihnen das Thema unangenehm war. Dann riss die Doctora wieder das Gespräch an sich “Ihr müsst wissen, Euer Hochgeboren di Triavus, dass meine Familie ein wenig nachlässig war mit der neuen Generation. Die Älteren brauchten mal wieder ein Anstoß. Ich muss gestehen, es war die Baronin von Rabenstein, die mich zur Idee der Brautschau führte. Eine durch und durch angenehme Gesellschaft, die Gute.”   Thalissa hob eine Augenbraue. “Shanija von Rabenstein? Wie ist es denn dazu gekommen? Ich muss gestehen, dass ich zwar mit dem Herrn von Rabenstein schon einiges zu tun hatte, nicht aber mit seiner Gattin. Insofern seht Ihr mich neugierig.” Aus den Augenwinkeln behielt sie die beiden jungen Altenberger im Blick. “Ich habe die Baronin letzten Efferd in Elenvina kennengelernt. Ein absoluter Zufall. Bei der örtlichen Alchemistin wollten wir beide den letzten Vorrat an Menchalsaft kaufen. Wir haben uns den dann schwesterlich geteilt. Dann bei einem Tee haben wir festgestellt, das wir beide an der Anatomischen Akademie in Vinsalt studiert hatten.” Sie lachte bei dieser Erinnerung, wobei sie den Fund einer Leiche in den Gassen der Stadt nicht erwähnte.  “Also war es reiner Zufall?” zeigte Thalissa sich überrascht. “Nun ja, die Welt ist klein, wie man so schön sagt. Ich denke, ich muss der Baronin von Rabenstein später nochmal explizit meine Aufwartung machen, wir haben uns gestern ja nur kurz begrüßt, aber sonst noch gar nichts miteinander gesprochen.” Thalissa grinste. “Wir drei sollten uns vielleicht einmal zum Teekränzchen in Rickenhausen treffen, wenn uns die nordmärker Provinzdecke auf den Kopf fällt. Ich würde die Gesellschaft zweier in horasischer Lebensart erfahrener Damen durchaus zu schätzen wissen.” Maura klatschte vor Freude in die Hände. “Das wäre fantastisch, ich bin mir sicher dass die Baronin Shanija auch dazu begeistern wäre. Sie griff nach einem Kelch und ließ sich jetzt Wein einschenken. “Auf einen gemütlichen Abend”, prostete sie und nahm ein Schluck. Ihr Gesicht verzog sich. “Ui, der ist aber sauer”, stellte sie fest und stellte den Kelch wieder ab. Dabei beobachtete sie den jungen Krieger von Tannenfels, der auf dem Weg zur ihrem Tisch war. Thalissa lächelte bei Mauras Aufruf, prostete aber zurück und nahm selbst auch nur einen kleinen Schluck. Später würde sie versuchen, Shanija zu erwischen. Aber jetzt war sie erst einmal gespannt darauf, was diese Tänzerin zu bieten hatte.

Nivard von Tannenfels

Nivard hatte sich auch in Schale geschmissen - wohl wissend, immer noch zu den einfacher Gewandeten im Saal zu gehören - über einer nahezu knielangen gelben Langarmuntertunika schmückte ihn eine nur wenig kürzere dunkelgrüne Kurzarmtunika. Sein Schwert als Zeichen seines Standes steckte in einer schmucklosen Scheide an seinem schwarzen ledernen Knotengürtel, seine Beine in wollenen schwarzen Pantalons und seine Füße in seinen Reitstiefeln (andere hatte er nicht). Den Halsausschnitt seiner Obertunika schmückte eine kupferne Brosche, die ein Rund aus Tannenzweigen darstellte, das ein Hirschhaupt umschloss. Außerdem hatte er sich noch rasiert und nach den körperlich anstrengenden Saukampf- und Jagdübungen frisch gemacht. Er ließ erst einmal den Anblick des Saals und der Festgesellschaft auf sich wirken - wie herausgeputzt alle nur waren, wie feierlich der Rahmen. Dann sondierte er, wer schon alles da war. Seine Suche galt dabei zuallererst den Altenbergern, seinem Freund Elvan, besonders aber auch Gelda -  aha, da waren sie ja. Nivard hielt angesichts des umwerfenden Anblicks inne und den Atem an und starrte Elvans Kusine nun wohl wirklich an, hoffentlich aus noch so sicherer Distanz, dass dies nicht auffiel, vor allem ihr nicht. Als er die beiden sah, in aller Pracht ihres schmucken Aufzugs, wurde ihm aber auch gewahr, wie ärmlich er doch im Vergleich zu ihnen daherkam.  Schließlich fasste er sich ein Herz und ging weiter in deren Richtung. War neben den beiden noch ein Platz frei? Nicht nur ein Platz war frei, sondern zwei. Einer neben Elvan, der andere neben Gelda. Als Nivard fast den Tisch erreicht hatte, hörte er Elvans Stimme. “Nivard! Äh ... ich meine Herr von Tannenfels. Kommt doch zu uns. Ein Platz ist noch neben mir frei.” Nun drehte sich auch Gelda um und ihr Gesicht strahlte. “ Ja, Herr von Tannenfels, kommt zu Uns. Neben mir ist auch noch ein Platz frei!.”sagte sie. Etwas überfordert von den beiden Angeboten, bemerkte der junge Krieger nun die beiden Damen gegenüber seinen Freunden. Die Doctora Maura von Altenberg und die Baronin von Rickenhausen. Dieses Strahlen! Nivard hatte im Nu seine vorherigen Bedenken ob seiner Gewandung vergessen und erwiderte Geldas Lächeln, aus tiefstem Herzen. Dennoch war er jetzt in der Bredouille. Er wollte seinen Freund Elvan nicht enttäuschen, ebenso aber keinesfalls Geldas Angebot zurückweisen. Am liebsten hätte er zwischen den beiden Platz genommen, aber das ging nun mal nicht. Also spielte er erstmal auf Zeit, zumal ohnehin die Etikette es gebot, vor der Platzwahl die beiden Damen gegenüber angemessen zu begrüßen. Neben Elvan stehend verneigte er sich kurz in Richtung Maura: "Wohlgelehrte Dame, Doctora von Altenberg, gestatten, dass ich die Einladung Eures Sohnes und Eurer Nichte annehme und mich zu Euch an den Tisch geselle?" Dann schritt er weiter, an Elvan und Gelda vorbei, und verneigte sich ebenfalls gegenüber der ihm noch unbekannten Baronin von Rickenhausen. "Gestatten, Nivard von Tannenfels, Krieger aus Elenvina, gebürtig aus Tannenfels in der Baronie Ambelmund." Nun stand er vor dem Platz neben Gelda.  Etikette ist etwas Wichtiges, Gutes, musste er wieder feststellen. Sie hilft einem jeden, seinen Platz in der Gesellschaft zu erkennen, zu finden und zu begründen. Außerdem, wer würde eine Dame so einfach mit ungedeckter Flanke am Rande einer Gruppe sitzen lassen? Seine Wahl war damit quasi alternativlos. Elvan und er würden im Laufe des Abends sicher noch Zeit für einen ausgiebigen Plausch finden. Thalissa nickte dem stattlichen Krieger freundlich zu, während sie in blitzschnell musterte und einschätzte. “Seid gegrüßt, Herr von Tannenfels, ich bin erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen - wenn mir auch scheint, als wäre Eure Aufmerksamkeit ein wenig abgelenkt?” Ihr Lächeln bekam eine leicht ironische Note. “Lasst Euch von mir nicht aufhalten, der Etikette habt Ihr genüge getan.” Auch Tar’anam hatte dem Krieger kurz zugenickt, wenn auch nichts gesagt, da er selbst nicht angesprochen wurde. Auch er hatte den Tannenfelser taxiert, allerdings etwas eingehender, was Waffe, Haltung und Bewegungen anging. Dann hatte er sich wieder entspannt. Die etwas südländisch aussehende Zofe der Rickenhausenerin, welche abwartend im Hintergrund stand, hatte Nivard dagegen ein kleines, freundliches Lächeln geschenkt und ihn aus anderen Gründen gemustert. Manche Dinge hatten die Götter ungerecht eingerichtet, oder mit einer Gerechtigkeit, die sich ihm einfachen Sterblichen nicht erschloss: Warum durchschauten ihn die Frauen so leicht, wo sie für ihn so oft ein Rätsel waren? Nivard erstarrte jedenfalls ob der auch angesichts des Rahmens , in dem sie sich bewegten, unverblümten Worte, und seine Wangen liefen (wieder mal) blutrot an. Und das auch noch vor den Altenbergern... 'Notlüge oder Themenwechsel? Oder Gegenoffensive?' Mit einer Notlüge würde er bei so einer Frau wohl kaum durchkommen, wohl nicht einmal bei vielen Männern - Lügen, selbst aus Höflichkeit, lag ihm nicht. Für einen eleganten Themenwechsel fühlte er sich gerade zu sehr erwischt, seine Stärke war das auch nicht. Wer aber war diese Frau überhaupt? Hatte sie sich eigentlich selbst vorgestellt? (Er hatte sie gestern zwar bei Borindarax stehen sehen, sie waren aber nicht ins Gespräch gekommen. Und an das Wappen konnte er sich gerade nicht entsinnen) Also Gegenoffensive: Doch Vorsicht, die Dame wirkte und trat auf, als ob sie dem Hochadel angehörte. Wobei, woher sollte er das wissen, wenn sie sich selbst nicht vorstellte ... ? Von wegen Etikette … . Es brauchte einen Moment und diese Gedanken, bis seine erstarrten Züge wieder in die rechte Ordnung zurückkehrten und er imstande war, der Dame fest ins Gesicht zu blicken und dieser, nun voll auf sie fokussiert und ausgesucht höflich, zu entgegnen: "Verzeiht, wenn ich diesen ... ungebührlichen Eindruck bei Euch erweckt haben sollte - meine Aufmerksamkeit gehört natürlich ganz Euch. Doch erlaubt mir nun bitte die Frage, mit wem ich das Vergnügen habe?" Eine Augenbraue Thalissas hob sich fast unmerklich, in ihren dunkelblauen Augen blitzte es kurz auf. “Ich hatte angenommen, meine Anwesenheit hätte sich inzwischen herumgesprochen”, antwortete die Baronin mit samtweicher Stimme. “Falls nicht, ist es sicher nicht Eure Schuld”, fuhr sie mit aufreizendem Lächeln fort und erhob sich in einer fließenden Bewegung, so dass ihr extravagantes Kleid den Anschein erweckte, als wäre ein herbstlicher Wind in einen Rosenbusch gefahren. Sie knickste langsam und anmutig, wer sich mit horasischer Etikette auskannte, erkannte darin die Begrüßung eines Gleichrangigen, und ließ dabei die Augen ihres Gegenübers keinen Moment aus dem eigenen Blick. “Thalissa Amalda Chrissantera di Triavus, Baronin von Rickenhausen.” Sie hob ihren linken Arm in perfektem Winkel und bot den Handrücken zum Kuss. 'Tatsächlich hochadlig, ..., eine Baronin, oh weh.'  Von horasischer Etikette verstand Nivard nicht viel. Dass eine Baronin vor ihm knickste berührte ihn aber dennoch peinlich. Auf jeden Fall glaubte er, Gefahr im Verzug zu spüren. 'Sie spielt mit Dir.'  Sich als Reitschwein eines kleinen Mädchens der Öffentlichkeit zu zeigen, hatte ihm nichts ausgemacht. Einen Schubkeiler durchs Lager zu schieben, konnte er ebenso vertreten - es gab gute Gründe dafür. Aber sich vor dem versammelten Adel und den Augen der von Altenbergs, auch noch direkt neben Gelda, von der Baronin hier als Nordgratenfelser Hinterwäldler vorführen zu lassen (dieses Ziel unterstellte er nämlich der Baronin), durfte ihm nicht passieren.  Nun zahlte sich hoffentlich aus, dass ihn gleich sein erster Einsatz bei den Plötzbognern als Geleitschutz der Rahjageweihten Rajalind von Zweibruckenburg bis nach Punin geführt hatte. Bei den Hadrokles-Paligan-Spielen war viel horasisches Volk zugegen, und auch die Almadaner hatten es vereinzelt mit ihrer Handküsserei. Nivard gab auf Basis dieser Anschauungen sein Bestes, wenngleich ein jeder, der darauf geachtet hätte, sehen konnte, dass ihm diese Form galanter Etikette alles andere als wohlvertraut war: vorsichtig und etwas spitz (damit man ihm ja kein derbes Zupacken nachsagen konnte) ergriff er ihre Hand, verneigte sich in einer eckig anmutenden Bewegung und hielt mit seinem Mund gute fünf Finger breit Sicherheitsabstand von der Baronin (bloß nicht berühren, das hatte er verinnerlicht!). "Es ist mir eine Ehre, Euer Hochgeboren!" Seine Stimme klang in seinen Ohren belegt. 'Hoffentlich ließ sie jetzt von ihm ab...' Er musste das Thema wechseln. Stand sie gestern nicht auch um die Spinne herum? Ja, das könnte unverfänglich sein: “Wir sind uns bereits gestern, wenngleich aus einiger Entfernung, begegnet, wir bewunderten beide unter vielen anderen die stattliche Spinne. Werdet Ihr auch die aus dieser gekochte Suppe kosten?” Thalissa zog ihre Hand zurück und setzte sich wieder, weiterhin ohne Eile und anmutig-fließend, fast so, als bedeckte das Kleid gar keinen Körper und hätte ein Eigenleben. “Sieh mal einer an, also sind wir uns doch schon begegnet? Ich bitte um Verzeihung, dass ein so stattlicher Krieger, wie Ihr es seid, mir nicht aufgefallen ist. Das ist mir geradezu peinlich.” Die Stimme der Baronin behielt die ganze Zeit ihren samtweichen klang. “Aber, was Eure überaus berechtigte Frage angeht, die Spinnensuppe überlasse ich dann doch lieber den Angroschim.” Plötzlich ertönte ein seltsames Geräusch hinter der Baronin, irgend etwas zwischen Niesen und Röcheln. Als Nivard seinen Blick von den zwingenden Augen der Baronin losriss, erblickte er die Zofe derselben, welche sich verzweifelt bemühte zu beherrschen. Eine Träne lief ihr die Wange herunter, während sie verbissen versuchte, das Grinsen in ihrem Gesicht unter Kontrolle zu bringen. Als sie den Blick des Kriegers auf sich spürte, machte sie eine zuckende Bewegung mit den Schultern, fast, als wolle sie sich entschuldigen. Thalissa fuhr herum und sah ihre Zofe  strafend an. “Melisande!”, entfuhr es ihr. “Du verdirbst mir ja alles!”  Dann wandte die Baronin sich wieder Nivard zu und lächelte diesen an, doch nun lag mehr Ehrlichkeit in ihrer Miene. “Entschuldigt, Herr von Tannenfels. Das war so nicht geplant. Ich will Euch nun nicht länger vom eigentlichen Zweck Eures Besuchs an diesem Tisch abhalten.” Sie machte eine kleine, kaum zu bemerkende Geste in Geldas Richtung. “Das wäre doch ein Jammer, findet Ihr nicht?” Unschuldig lächelte sie den Krieger an. Gelda, die durchaus die Geste der Baronin wahrnahm, konnte sich ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Dann berührte sie Nivard leicht am Arm. “ Edler Herr von Tannenfels, ihr könnt Euch gerne neben mich setzen.”, sagte sie fröhlich, aber errötete ein wenig. Elvan, der beobachtend daneben stand, zog eine Augenbraue hoch. “Na dann haben wir das ja geklärte.”, sagte er mit leichter Enttäuschung in der Stimme, lächelte aber dabei. Nivards Augen verengten sich kurz, als er der nach Beherrschung ringenden Zofe gewahr wurde. Jetzt machten sich schon die Bediensteten der Baronin über ihn lustig, dachte er finster. Zugleich fasste er Hoffnung: Wenigstens zwang der Ausbruch Melisandes ihre Herrin vielleicht dazu, ihr Spielchen aufzugeben. Nivard überlegte kurz, ob und was er auf Thalissas letzte Worte entgegnen sollte, da kam ihm Gelda zur Hilfe. Ihre sachte Berührung und ihre Worte waren das Seil, das ihn aus der Situation rettete. Er sah ihr in die Augen mit einem Lächeln tiefster Dankbarkeit. Auch wenn es ihm schwerfiel, sich von diesen Augen zu lösen, zwang Nivard sich, langsam nickend zu Thalissa zurückzulächeln, und beschloss, es ansonsten gut sein zu lassen. Im Geplänkel mit dieser Frau konnte er nicht gewinnen, und durfte froh sein, nur mit leichten Blessuren hervorzugehen. Auch wenn dies innerlich an ihm nagte. Seine Untertunika war bereits feucht von Schweiß, und sein Gesicht schien zu glühen. Mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck in Richtung Elvan nahm er endlich neben Gelda Platz und erlaubte sich, erleichtert durchzuatmen. Schon vorhin, als er sie im Saal entdeckt hatte, war ihm ein Gedicht in den Sinn gekommen, das er ihr gerne zum Kompliment gemacht hätte. Noch war es um sie herum aber nicht laut genug, als dass er sich dies im Angesicht der Doctora und vor allem der Baronin von Rickenhausen gewagt hätte. Vielleicht würde sich später eine bessere Gelegenheit ergeben. Oder morgen auf der Jagd. „Seid Ihr auch schon so gespannt, welche Kunst uns Doratrava präsentieren wird, edle Dame von Altenberg?“ versuchte er daher, unverfänglich das Gespräch zu eröffnen. Seine nicht nachlassen wollende Gesichtsröte, das sich trotz der Beinahe-Blamage wieder einstellende Lächeln und die für seine Verhältnisse einen Hauch zu hohe Stimmlage, die sicher nur den Hintergrundgeräuschen geschuldet waren, sprachen dennoch hinreichend Bände. Thalissa lehnte sich zurück und nahm einen Schluck aus ihrem Kelch, um anzudeuten, dass Nivard sich als vom Haken gelassen ansehen konnte. Gleich darauf musste sie sich beherrschen, ihr Gesicht nicht zu verziehen. Bah, sie hatte auch in den Nordmarken schon deutlich Besseres getrunken. Wer war wohl der Berater des Vogts, was den Geschmack der Menschen anging? Im Sinne der Völkerverständigung musste sie da wohl bei Gelegenheit mal intervenieren. Wer war wohl diese Doratrava, von der Nivard sprach, als kenne er sie gut? Zumal der Wortwahl nach auch Gelda von Altenberg sie zu kennen schien.“ “Doratrava wird bestimmt tanzen.”, antwortete Gelda dem Krieger. “Ihr meint die junge Gauklerin? Die Halbelfe mit dem weißen Haar?”, merkte die Doctora an. “Genau die meinten die beiden, Mutter.”, schloss Elvan ab.  Eine Tänzerin also. Das hätte Thalissa den Zwergen gar nicht zugetraut. Nun, man würde sehen. Die Baronin lehnte sich zurück und hörte weiter einfach zu, solange sie niemand ansprach.

Liana von Rodaschquell

Es hieß, die Baronin von Rodaschquell sei frei von Eitelkeit - wer wusste das schon so genau? Doch für ihre Zofe, die sie zurechtgemacht haben musste, konnte das unmöglich gelten. Wie eine sanfte Woge umspielte das Kleid Lianas anmutige Gestalt und zeigte deutlich ihre schlanken Konturen. Eine sehr feine, glänzende Seide, so blau wie der Himmel, doch durchsetzt von einem silbernen Schimmer.  Wann immer die Elfe sich bewegte, erweckte es den Eindruck, als würde fließendes Wasser ihr folgen. Ein breiter, silberner Gürtel aus feinem Batist lag um ihre Taille. Wie bei den Damen meist üblich, war er vorn zu einer Art Schlaufe gebunden, und die beiden Enden hingen lose hinab und folgten den eleganten Bewegungen der Elfe und dem wogenden Charakter des Kleides. Letzteres unterstrich die Vorzüge seiner Trägerin trefflich - und trat trotz des feinen Stoffes dezent in den Hintergrund. Es schien, als sei es der Wunsch des Schneiders gewesen, die Betrachter nicht mit kunstvollen Stickereien oder dergleichen zu beeindrucken, sondern die Blicke auf die Trägerin selbst zu lenken. Ihr leuchtendes Haar, das die Farbe von frischen Kastanien hatte, war im Nacken lose zusammengebunden und floss ihr den Rücken hinab. Verschiedenfarbige Bänder waren hineingeflochten worden - silber, violett, und blau. Über der Stirn trug sie ein mondsilbernes Diadem mit einem merkwürdigen Stein in der Mitte, der in einem strahlenden Violett schimmerte. Wer in ihrer Nähe stand, glaubte, einen Sommerwind zu riechen, der den Duft einer Blütenwiese mit sich trägt. Selbstsicherheit und durchaus auch Stolz sprachen aus der lächelnden Figur zur Linken der Baronin. Ihr Ritter führte sie am Arm in die Halle. Darian trug ein weißes Hemd und darüber eine schwarze Weste, die durch ihre zahllosen Stickereien jedoch eher wie aus Silber aussah. Ein blauer Umhang, der ihm gerade bis zur Hüfte ging, hing lässig über seiner linken Schulter und war mit einer silbernen Kette befestigt. Seine Beine steckten in engen, schwarzen Lederhosen.  Das zufriedene Lächeln der zweiten Person im Gefolge der Rodaschquellerin ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass diese auch die Urheberin der prachtvollen Staffage sein musste: Eduina Malganahr, einst eine Edeldame am darpatischen Hof, wusste wie kaum eine andere, die Vorzüge der Dame Morgenrot herauszuarbeiten. Und dazu gehörte natürlich auch, darauf zu achten, dass der Ritter an ihrer Seite ein passende Bild abgab. Sie selbst hatte ihr grünes mit einem gelben Kleid mit einer roten Borte getauscht.  Geradezu unscheinbar wirkte dagegen der Vogt von Rodaschquell, Bernhelm Korninger. Weiße Strümpfe, schwarze Kniebundhose, einfaches schwarzes Wams und eine große Halskrause ließen ihn geradezu farblos wirken neben der Baronin und ihrem Ritter. Wenn es einen Wettbewerb gegeben hätte, wer der Damen das schönste Kleid trug - die Baronin von Ambelmund hätte von vornherein die Waffen gestreckt - sie hasste Kleider. Wunnemine war Ritterin und keine Hofdame. Herausgeputzt hatte sie sich dennoch - für ihre Verhältnisse: Ihr festliches Ornat bestand aus einem an den Handgelenken weit auslaufenden weißen Leinenhemd, das an den Ärmel- und Ausschnittsäumen mit blauen Wellenornamenten bestickt war, einem dunkelblauen samtenen Wams, auf dessen linker Brust der Ambelmunder Wasserdrache in weiß prangte, und einer eng anliegenden dunkelbraunen Wildlederhose, die im oben weiter auslaufenden Schaft der gleichfarbenen Stiefel verschwand. Darüber trug sie eine vorne knöchellange schwarze Schaube, die hinter ihr zu einer kurzen Schleppe auslief und das Höchstmaß war, das sie sich an unpraktischer Kleidung zubilligte. Ihr eben noch sorgsam gekämmtes, offen über ihr silber-blau geflochtenes Stirnband fallendes dunkelbraunes Haar begann sich bereits wieder in Einzelwogen aufzulösen, was ihrem Auftritt aber keinen Abbruch tat und eher noch zusätzlichen Charme verlieh. Auf Schminke hatte sie - wie immer - ganz verzichtet, nicht dagegen auf ihr Schwert, das sie diesem Anlass in ebenfalls dunkelblauer, mit silbernen Beschlägen verzierter Scheide an ihrem schwarzen Gürtel begleitete. Ihr folgte in engem Abstand ihr treuer Vogt Leodegar von Quakenbrück, sein dunkelblonder Vollbart wie immer akkurat geschoren,  gekleidet in weißes Hemd unter dunkelblauem Wams und weiß-blau gestreifter Pluderhose über weißen Strümpfen, die wiederum in schwarzen Schnallenschuhen endeten, auch er ein Schwert an der Seite. Wunnemine bewegte sich deutlich rascher als die anderen Damen, was zum einen ihrer Gewandung  geschuldet war, zwang sie doch kein Kleid zu gemesseneren Schritten, und zum anderen ganz ihrem Wesen entsprach -  Grazie gehörte nicht zu dessen überwiegenden Merkmalen, eher zeichnete die sichere Eleganz einer gewandten und gestandenen Kämpferin ihren Auftritt aus. Im Saal angekommen hielt sie kurz inne und ließ ihre Blicke kreisen. Natürlich suchten diese, so unauffällig ihr dies möglich war, Ghambir, den sie auch rasch ausmachen konnte, der aber bereits mit seiner zwergischen Gesellschaft ins Gespräch vertieft war. Sie würde aufmerksam bleiben und auf eine gute Gelegenheit warten, ihn an diesem Abend abzupassen. Ansonsten hielt sie Ausschau nach ihren Standesgenossen, den Baroninnen und Baronen, vor allem des Isenhags. Sie sah Liana, die noch nicht Platz genommen hatte. Und nahten da nicht die Rabensteiner?

Shanija von Rabenstein

Es war die Baronin von Rabenstein, die, sämtliche Paginnen sowie die Knappin ihres Gemahls im Schlepptau, sich suchend in der Feierhalle umblickte und schließlich eine der eher wenigen freien Stellen, die sich justament am Tisch Wunnemines befand, ansteuerte.  Shanija blickte die kämpferisch aussehende Standesgenossin neugierig an, klemmte sich ihren Stab unter den Arm und lächelte freundlich. “Ist hier noch Platz, Euer Hochgeboren?” Wunnemine nickte ihrerseits lächelnd und wies auf die freien Plätze neben und vor sich. "Wir kommen selbst gerade erst an. Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr Euch zu uns geselltet, Hochgeboren!"  Sie kannte Shanija von Rabenstein nur flüchtig - ihrem Gatten war sie, nicht zuletzt im Zuge des Feldzuges gegen Haffax, bereits öfter begegnet, hatte ihn aber immer als recht schwer zugänglich erlebt und war mit diesem daher kaum enger vertraut. Im Gegensatz zu Lucrann von Rabenstein galt die Baronin als deutlich nahbarer. Obwohl sie eine Maga war. Die Ambelmunderin freute sich, der Abend versprach, wenigstens von der Sitzordnung her, interessant zu werden. "Ich darf Euch meinen treuen Vogt, Leodegar von Quakenbrück vorstellen, der mich auf dieser Reise in und durch den Isenhag begleitet." Leodegar verneigte sich formvollendet. "Es ist mir eine Ehre, Euer Hochgeboren!" Nach der Begrüßung nahmen sie ihre Plätze ein, nebeneinander, so dass sich die beiden Frauen gut miteinander unterhalten konnten, ohne über den Tisch hinweg rufen zu müssen. "Sollen wir einen Platz für Euren Gemahl freihalten?" erkundigte Wunnemine sich freundlich und zugleich neugierig, ob jener auch noch dazustoßen würde. “Das sollten wir tun.” Shanija erwiderte den Gruß der Baronin und jenes des Vogtes. Sie wusste nicht zu sagen, ob ihr Gemahl noch zur Feier dazustoßen würde - fand aber auch keinen glaubhaften Grund, dass er dies nicht täte - abgesehen davon, dass er ganz sicher wissen würde, dass sein Fernbleiben sie selbst nicht erfreuen würde. Zuversichtlich, dass der Platz neben ihr nicht dauerhaft leer bliebe, lächelte sie so ihre Standesgenossin an. Shanija trug zur Feier des Abends ein tannengrünes, langes Kleid mit silberner Schnürung, das am Saum und den Ärmeln mit arkanen Symbolen verziert war. Ihre dunkelgoldenen Haare trug sie als kunstvolle, aufgesteckte Flechtfrisur, die mit eingewobenen Perlen verziert war. Sie hatte ihr Gesicht leicht gepudert, aber auf weitergehendes Schminkwerk verzichtet. Dafür trug sie ein Geschmeide aus Smaragden und Perlen, das die Farbe ihrer rauchgrauen Augen und ihres sattgrünen Kleides nochmals verstärkte und im Licht der Fackeln und Kerzen geheimnisvoll schimmerte. An ihrem Gürtel aus kunstvoll ziselierten Silbergliedern hing ein grünes, samtenes, mit Perlen besticktes Säckchen, und ihre Hände umschlossen Handschuhe aus feinstem, grauen Bausch. “Es freut mich, endlich die Gelegenheit zu haben, euch besser kennenzulernen, Euer Hochgeboren.” Shanija lächelte und ihre wachen Augen leuchteten. “Mein Gemahl berichtete, dass Ihr ebenfalls den Heerzug begleitet habt - und wieder zurückgekehrt seid.” Sie verschwieg einige Gedankengänge, die wenig tauglich für eine Feier  gewesen wären, und sprang dann zum nächsten Punkt in der Kausalitätskette, der ihr einigermaßen harmlos deuchte. “Sagt, habt Ihr ebenfalls von der Brautschau zu Altenberg gehört? Werden Verwandte von Euch teilnehmen?” Warum sprach eigentlich gerade jeder vom Heiraten? Nicht nur zu Hause, sondern auch hier? Sie beschloss, die harmlos klingende Frage als genau das werten zu wollen, als harmlose Frage. Und nicht als Anspielung. Auch Leodegar von Quakenbrück war hellhörig geworden, entging ihm doch nicht das für allen anderen wohl nicht wahrnehmbare Stutzen seiner Herrin. Er wunk eine Runde Bier herbei und lauschte derweil, mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck, den weiteren Worten Wunnemines. "In der Tat erreichte uns die Kunde von der Brautschau, selbst im abgelegenen Ambelmund erklang ihr Ruf. Ich kann mich gerade des Eindrucks nicht erwehren, dass über diese im ganzen Herzogtum mehr gesprochen wird als über irgendein anderes Thema, geht Euch das nicht auch so? Sicher wird das eine … interessante … Veranstaltung. Ich selbst werde aber leider nicht zugegen sein können, da ich wohl noch einige Tage im Isenhag zu weilen habe. Sonst hätte es sich natürlich angeboten, die Rückreise über Herzogenfurt zu führen. Eine meiner Edlen, Celissa von Tannenfels, wird aber auf jeden Fall mit ihrer jüngsten heiratsfähigen Tochter, einer meiner Hofdamen, teilnehmen…“ Wunnemine sah unauffällig hinüber in Richtung des Zweitgeborenen der Edlen, der an einer Tafel mit der Baronin von Rickenhausen und ihr selbst unbekannten Adligen saß, und unterdrückte ein Grinsen. “… mindestens. Ich bin gespannt, was sie zu berichten hat. Und ob sie erfolgreich zurückkehrt.“ Sie fügte nicht hinzu, dass ein solcher Viehmarkt für junge und nicht mehr ganz so junge Adlige für sie nicht in Frage käme. Sollte sie jemals selbst eine Bräutigamschau durchführen wollen oder müssen, dann wäre allenfalls ein Ritterturnier ein angemessener Rahmen. Falls sie sie irgendwann weich gekocht haben sollten. „Wird denn aus Eurem Verwandten- oder Getreuenkreis jemand an der Brautschau teilnehmen?“ Shanija lachte auf angesichts des leicht ironischen Untertones der Ambelmunderin. “Da sprecht ihr wahre Worte. ‘Interessant’ ist ein äußerst gut gewähltes Wort. Und zu Eurer Frage - nein, weder ich noch ein Verwandter werden teilnehmen. Ich habe keine Kinder im heiratsfähigen Alter - und wir würden ein Verlöbnis auch anderweitig regeln. Aber sagt - seid ihr oft auf einer Jagd? Ich glaube, ich habe euch bislang noch auf keiner Veranstaltung dieser Art gesehen.” „Ich gehe sehr gerne jagen, jedoch vor allem in den heimischen Wäldern. Wie Ihr wisst, ist es von Ambelmund aus recht weit bis in den Süden des Herzogtums, so dass ich zu Anlässen wie diesen nur komme, wenn ich diese mit anderen, wichtigen Aufgaben... für meine Baronie… verbinden kann. “ Shanija entging nicht der kurz in Richtung des Grafen zuckende Blick Wunnemines und die Anspannung, die dabei unmerklich über ihr Gesicht huschte. “Nun, jetzt seid Ihr ja hier.” Die Baronin von Rabenstein schmunzelte.  “Lasst uns den Abend genießen. Erzählt ihr mir von Eurem Lehen und den Jagdmöglichkeiten dort?” Sie ließ sich einen Kelch Wein bringen und prostete der Ambelmunderin zu. “Auf Euer Wohl!” "Auf das Eure!" entgegnete Wunnemine, und nahm einen kräftigen Schluck. Genießen, das sollte sie den Abend in der Tat. Auch wenn ihr dies leichter fiele, wenn sie bereits mit Ghambir gesprochen hätte.  "Ambelmund ist ein raues Land. In den Tälern entlang Tommel und Ambla scheint es im Sommer, wenn Gerste und Emmer gedeihen, gezähmt, doch belehren uns die Hochwasser im Frühling Jahr für Jahr eines besseren. Auf den Weiden und Heiden der angrenzenden Hügel pfeift dagegen stets der raue Westwind, aber das macht den Schafen und Ziegen nichts aus, die den Reichtum dieses Landes darstellen."  Das Wort Reichtum kam ihr ein bisschen wie ein schlechter Witz vor, versuchte aber, sich dies nicht anmerken zu lassen. Die Wolle sorgte zwar in der Tat für ein gutes Auskommen, und in guten Jahren steuerten auch die Bauern und die Wälder noch das ihrige dazu bei, gut über die Runden zu kommen. In schlechteren Jahren aber, sei es aufgrund Firuns oder Efferds Launen, sei es aufgrund Rondras Ruf, warf das Land kaum soviel ab, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Zuletzt waren die Jahre schlechter. "Im Südosten aber liegt der Tann, eine karge, felsige Gegend, wie der Name sagt, voll Tannen, und ein paar Steineichen. Dort sind die Rotpelze noch recht zahlreich, aber auch Schwarzkittel und Kronenhirsch, weswegen sich alleine dort das Jagen lohnt in meiner Baronie. Mit ein wenig Jagdglück vermögt Ihr sogar einen Auerochsen oder gar Bären zu erlegen." "Interessiert Ihr selbst Euch eigentlich für die Jagd? Bei Euch dürfte eher Gebirgswild zu erjagen sein, nicht wahr?" “Bei uns gibt es Gemsen, Steinböcke, Murmeltiere und Adler.” Die Baronin schmunzelte. “In den tieferen Lagen, wo die Wälder gedeihen, findet ihr Kronenhirsche, Schwarzwild und Luchse. Und wir haben einige Goblins in der Baronie - aber die sind kein jagbares Wild.” Klang da so etwas wie Bedauern in ihrer Stimme mit? Wunnemine stutzte kurz angesichts des leichten Wechsels in der Stimmfarbe, als Shanija von der (Nicht-)Jagbarkeit der Goblins sprach. 'Jagbares Wild' - eine Vorstellung, die wohl nicht wenige unter den Adligen der Nordmarken, insbesondere die, die sich öfter mit ihnen herumzuschlagen hatten - abgesehen von der Essbarkeit des Fleisches - gutheißen würden. Der in Ambelmund lebende Stamm war dagegen seit geraumer Zeit halbwegs friedlich - solange man sich gegenseitig aus dem Weg ging, gab es nur wenig Ärger, dafür sorgten alleine schon ihre Edlen und Ritter von der Tannwacht, darunter besonders Celissa von Tannenfels. Als Nachfahre des Goblinbezwingers Mikvard, der den Tann für die menschliche Besiedlung erschloss, hielt sie, wie immer seit den Tagen ihres Ahnherrn, die Rotpelze im Schach. Aber insgeheim auch, bislang mit Wunnemines Billigung und unter Verweis auf das Gleichgewicht in den Wäldern, ihre schützende Hand über sie. Obgleich dies die Nutzbarkeit des Tanns deutlich einschränkte, wie die Baronin angesichts ihres Säckels immer wieder und mit zunehmendem Bedauern feststellen musste. “Ich selbst jage nicht - aber ich bin stets neugierig, was die Jäger uns bringen.” Jetzt war es ein echtes, zufriedenes Lächeln, dass ihre hübschen Züge zum Leuchten brachte. “Unser Koch ist ein wahrer Künstler - und gleich, ob es seine Wildgerichte sind oder ein Wachtelragout, er versteht mit Topf und Pfanne wahre Wunder zu wirken. Wenn Ihr gerne jagt, müsst Ihr uns einfach einmal besuchen und mit meinem Gemahl auf die Pirsch gehen. Ich bin mir  gewiss, dass Ihr eine schöne Trophäe für Eure Burg dort finden werdet. Wart Ihr bereits einmal in Rabenstein?” setzte sie neugierig hinzu. “Nur zweimal, noch zur Zeit meiner Knappschaft zu Dohlenhorst. Ich ritt an der Seite Isida von Quakenbrücks, der Gemahlin Angronds von Sturmfels. Wahrscheinlich werdet Ihr Euch nicht mehr erinnern, es waren nur kurze Aufenthalte, und ich meine, wir sahen uns zu diesen Gelegenheiten nur flüchtig. Das Vergnügen, an einer Jagd in Euren Landen teilzunehmen und in den Genuss Eurer Küche zu kommen, hatte ich bislang aber leider nicht. Insofern freue ich mich sehr über Eure Einladung." Wunnemine nippte an ihrem Wein, dann obsiegte ihre Neugier, ihr Gegenüber besser kennenzulernen: “Ihr seid Maga -  wenn Ihr die Frage gestattet - auf welche Art von Magie versteht Ihr Euch besonders?” Die Rabensteinerin lächelte. “Ich habe am Anatomischen Institut von Vinsalt studiert - ich bin Heilmagierin.” Eine Fähigkeit, die ihr in den Nordmarken schon ein auf’s andere Mal äußerst hilfreich gewesen war. “Sollte Euch also einmal ein Ungemach plagen, an dem Euer Heiler scheitert, so dürft ihr mich gerne aufsuchen.” Dass ihre Expertise inzwischen auch ein profundes Wissen über die Schäden und Leiden von edlen Elenvinerpferden umfasste, verschwieg sie tunlichst.

Seelenheilkunde

"Gut zu wissen, habt Dank für Euer Angebot - auch wenn ich, wie Ihr versteht, natürlich hoffe, nie davon Gebrauch machen zu müssen..." erwiderte Wunnemine, ebenfalls lächelnd. "Wobei ich mich dann wundere, dass Euer Gemahl Euch mit dieser Fertigkeit nicht mit auf den Feldzug gegen Haffax genommen hat, oder dass Ihr ihn habt alleine ziehen lassen." Die Worte waren noch nicht verklungen, da kam es Wunnemine, dass die harmlos gemeinte Frage auch falsch verstanden werden könnte. Sie schob daher rasch hinterher: "Naja, auch die Heimat will in guten Händen sein." “Er hat unseren Heiler mitgenommen - und eine Geweihte. Er war der Meinung, der Feldzug sei dieses Mal zu gefährlich. Vermutlich hatte er recht.” Die Baronin von Rabenstein blickte die Ambelmunderin grübelnd an. “Niemand scheint gerne über ihn zu erzählen. Teilt Ihr seine Einschätzung?” Wunnemine starrte einen Augenblick gedankenverloren in ihren Becher. Selbst schuld, sie hatte das Thema ja angerissen. Es sollte aber besser hier und jetzt auch wieder enden. Ihr reichte es völlig, dass sie noch immer viel zu viele Nächte schweißnass, von schlechten Träumen geplagt, manchmal sogar schreiend aus ihrem Schlaf hochfuhr. Vor Mendena hatte sie ihre Angst ins tiefste Verlies ihrer Seele gesteckt und allen Schrecken zum Trotze ihre Ritterin gestanden, nun drängten Furcht und vergrabener Schrecken nach oben, vor allem dann, wenn ihr Wille die Kerkerpforte nicht überwachen konnte. Die Baronin von Ambelmund wollte die Bilder nicht auch noch am Tage oder an Festen wie diesem in die Freiheit entlassen.  Sie nickte langsam: "Ihr habt Recht, niemand erzählt gerne von ihm. Wahrscheinlich haben wir alle, die wir wiederkehrten... Narben davon getragen." sprach sie leise. "Am Körper - und noch mehr an der Seele.” Die Ambelmunderin machte eine Pause. “Ich kann daher die Einschätzung Eures Gemahls nachvollziehen und im Nachhinein bestätigen." Dann nahm sie einen kräftigen Schluck. Die Rabensteinerin nickte schweigend. Die Bedrückung in Stimme und Zügen ihrer Gesprächspartnerin war deutlich genug.  “Belastet es euch sehr?” fragte sie und legte der Kriegerin die Hand auf den Oberarm. Geistige Gebrechen waren nicht der Hauptbestandteil ihrer Ausbildung gewesen, auch wenn sie das eine oder andere Jahr dieses Thema berührt hatte. “Unsere Hausgeweihte versteht sich sehr auf dieses Thema. Wünscht Ihr, dass ich Sie zu euch schicke?” Wunnemine blickte auf die Hand Shanijas, unschlüssig, wie sie reagieren sollte, und durfte. Bislang hatte sie die Bilder, die schlechten Träume, die Wunden ihrer Seele mit sich selbst ausgemacht. Sich gesagt, dass sich eine Ritterin diesen alleine stellen müsste. Keine Schwäche zeigen, wenigstens nach außen. In den langen, einsamen Nächten, wenn die Erinnerungen wieder und wieder hoch kamen, half sie sich, vielleicht zu oft, mit Wein. Oder stärkerem. Aber die eigene Angst jemandem anderen offenbaren, dazu war sie bislang nicht bereit gewesen. Shanija konnte sehen, wie die Züge der Ambelmunderin sich verhärteten, ihr Kiefer mahlte, sie hin- und hergerissen schien. Schließlich meinte Shanija, ein sachtes Nicken auszumachen.  Weiter wollte Wunnemine das Gespräch an dieser Stelle aber nicht vertiefen. Der Kerkerwächter schlug die Türe wieder zu. “Lasst uns das Thema wechseln. Es macht den schönen Abend zu trübsinnig.” “Lasst uns den Wein genießen, Hochgeboren. Ich lasse später unsere Boroni rufen, damit ihr nach Eurer Wahl mit ihr sprechen mögt.”  Sie lächelte die Kriegerin an und nahm vorsichtig die Hand von deren Oberarm - ganz zu behagen schien der Ambelmunderin dieses sowieso nicht, und Shanija war nicht unzufrieden damit, die Seelenheilkunde jenen zu überlassen, die sich besser als sie damit auskannten. “Der Sommer in den Bergen ist kurz - und ein solch warmer Abend wie der heutige selten. Ich möchte den Zwergen ihr Fest gleichfalls nicht verderben. Das ist das allererste Mal, dass uns unsere Nachbarn zu einer Feier geladen haben, und der Vogt hat mir vor einigen Monden Wunderwerke seines Baues hier berichtet. Eigentlich hat er auch versprochen, mir diese zu zeigen. Was meint ihr - wollen wir ihn an seine Hausführung erinnern? Vielleicht hat er ja einen Baumeister hier, der uns diese zwergischen Meisterwerke vorführen könnte.” Wunnemine dankte der Baronin von Rabenstein mit einem stummen Lächeln für ihr Angebot. Wer weiß, vielleicht würde es ihr helfen. Und Boroni waren ein schweigsames Volk. “Eine Führung durch den Gebäudekomplex würde mir wohl gefallen, gerne schließe ich mich Euch bei einer solchen an, Hochgeboren!” signalisierte sie ihr Zustimmung zum Unterfangen der Rabensteinerin, ihre Stimme nun wieder fester werdend. Die Verliestür war wieder fest verschlossen.  “Erstaunlich, dass selbst in deren engster Nachbarschaft recht wenig Kontakt zu den Zwergen bestand… und das, obwohl diese den hiesigen Grafen stellen…” “Nicht wahr?” stimmte die Rabensteinerin zu. “Ich bin froh, dass sich dies ändert - ich muss gestehen, dass mich das Volk der Angroschim sehr fasziniert, darum war ich sehr erfreut, als mein Gemahl die Einladung Seiner Hochgeboren von Nilsitz zu diesem Fest hier annahm. Meint Ihr, es wäre ein Bruch der Etikette, wenn wir den Hausherrn jetzt auf seiner eigenen Feier darauf ansprächen?” "Ich denke nein - immerhin sind wir hier zur Einweihung dieses Hauses. Da gehört eine Besichtigung in jedem Fall dazu - im Gegenteil, ein fehlendes Interesse an dieser Stätte verstieße vielmehr gegen die Etikette. Lasst uns den Vogt ansprechen gehen." Wunnemine zeigte mit dem Kopf in Richtung der Tafel am Haupt der Halle. "Seht, er weilt noch immer am Grafentisch." Ohne weitere Umschweife erhob sie sich, streifte sich rasch ihre Schaube ab und hängte diese über ihren Stuhl - diese wäre ihr bei einer Besichtigung sicherlich nur hinderlich, und ohne bewegte es sich natürlicher, weit weniger elegant vielleicht, aber bequemer. Sie war gespannt, ob und wie der Graf reagieren würde, wenn sie an dessen Tisch trat, und überlegte sich rasch, wie sie diesen am besten in ein kurzes Gespräch verwickeln und ihm ein längeres, unter vier Augen, am besten noch hier in Nilsitz, abringen könnte. Sie sah Shanija auffordernd an. Diese erhob sich ebenfalls, ein sehr neugieriges Blitzen in den Augen. “Lasst uns gehen!” 

Eine Hausbesichtigung in Ehren

Und mit dieser Aufforderung wanderte sie zielsicher auf den Vogt zu, entbot ihm höflich ihren Gruß und kam nach kurzer Zeit auf Ihr Anliegen zu sprechen. “Euer Hochgeboren? Ihr hattet mir Wunderdinge über die Jagdhütte erzählt, als Ihr uns zu dieser Feier einludet. Konnten Eure Baumeister Ihr all diese baulichen Kunstwerke verwirklichen - und würdet Ihr uns diese zeigen?” Borindarax, der sofort vom Tisch der Grafen aufgestanden war, als er mitbekommen hatte, dass sich die Damen näherten, war ihnen lächelnd entgegengetreten.  Nun, auf die Eröffnung seiner Gäste hin öffnete der Vogt die Arme und bugsierte die Frauen ein Stück abseits, wo es ruhiger war.  Am Tisch der Grafen lauschten die zwergischen Würdenträger gerade einem untersetzten Angroscho, der einige Ähnlichkeit mit dem Vogt besaß. Ein eingeweihter Beobachter hätte in ihm dessen Vater und engsten Berater des Bergkönigs von Isnatosch erkennen können - Barbaxosch, häufig nur Barbax genannt. "Nun", begann Borax als er nahe dem Durchgang in den Küchentrakt stehengeblieben war. "Was interessiert die Damen denn am meisten, das Abwassersystem, die Verteilung der Kaminwärme im Gebäude oder gar die Erhitzung des Wassers für den Badezuber?"  Verdammt, warum musste der Vogt von Nilsitz nur so entgegenkommend sein. Wunnemine sah aber auch ein, dass der Graf gerade so in Gespräche mit seinesgleichen verstrickt war, dass, aller Wichtigkeit Ihres Anliegens zum Trotz, eine Störung in diesem Augenblick als unangemessen empfunden würde und ihrer Sache nicht zuträglich wäre. Sie ließ es sich aber nicht nehmen, dem Grafen demonstrativ auf Distanz zuzunicken, gerade noch höflich, aber nicht untertänig, sondern mit unverhohlenem Stolz. Ein kurzes Blitzen in ihren Augen verriet auch Borindarax, dass Wunnemine neben der Besichtigung noch andere Interessen an seinen Tisch trieben. Höflich entgegnete sie ihm: "Habt Dank für die Gelegenheit zur Besichtigung dieses Bauwerks unter Eurer Führung. In der Tat erscheint mir das Heizsystem von besonderem Interesse" (ihre eigene Burg war teilweise ein kaltes Loch), "aber auch die wehrhaften Aspekte sind für mich spannend! Sicher wisst Ihr aber am besten um die Höhepunkte dieses Komplexes."  “Eure Wasserkunst interessiert mich sehr. Vor allem, wie ihr es schafft, das Abwasser so loszuwerden, dass statt seiner keine Ratten ins Gemäuer kommen.” Shanijas Augen hatten angesichts der Aufzählung Borindarax’ aufgeleuchtet. “Und warmes Wasser aus Leitungen - das habe ich bislang nur einmal im Lieblichen Feld erlebt, und dieses Hotel verfügte über einen eigenen Hausmagier, der mit Arkanoglyphen arbeitete.” geriet die Maga ins Schwärmen. “Nun denn”, sprach Borax sichtlich erfreut über das Interesse der Damen. “Folgt mir.” Der Vogt führte die adligen Frauen in die Küche, wo der große, gemauerte Kamin, welcher die Halle heimelig machte, seine zweite Öffnung besaß und von wo er wohl auch befeuert wurde. “Bitte seht hier”, begann der Zwerg mit seiner Erklärung. “Zu beiden Seiten des Feuerraumes und des Abzuges sind Schächte aus gewalztem Metall, die zur Wärmeisolierung mit Holz verkleidet sind. Ihr erkennt also nur die Kästen, welche aus dem Boden kommen und in der Decke verschwinden. Die erwärmte Luft steigt nach oben und gelangt so in die anderen Stockwerke. Oben befinden sich deutlich kleinere Schächte, da das Luftvolumen mit jedem Abzweig abnimmt. In den Räumen gibt es gusseiserne Gitter in der Wand, eines für zu warme Zuluft, eines für die Abluft, so dass die Luft zirkulieren, sich austauschen kann. Obendrein”, Borax grinste bei dieser Doppelsinnigkeit, “gibt es oberhalb des Kaminsims ein gemauertes Wasserbecken, welches aus einem Regenwasserauffangsystem befüllt wird und zugleich, wenn das Wasser warm ist, in den Waschraum nebenan geleitet werden kann.” "Beeindruckend, wirklich beeindruckend." Wunnemine war in der Tat erstaunt - obgleich die Zwerge für ihre Bau- und Handwerkskunst berühmt waren, übertraf dies ihre Erwartungen, insbesondere an eine Jagdhütte. "Wieviel Feuerholz braucht ihr, um all das hier zu beheizen?" fragte sie, aus echter Neugier. "Und dürften wir einen Blick in die Waschräumlichkeiten werfen? Diese werden ja gerade nicht frequentiert sein..." Die Baronin von Ambelmund war auch auf zwergische Badestätten gespannt, waren die Angroschim dafür doch eher weniger bekannt. "Wenn die Jagdhütte voll belegt ist, so wie derzeit, dann braucht es selbstverständlich viel Holz, um sie zu beheizen, keine Frage. Wenn wir aber nur wenig Gäste haben, schließen wir Räume oder ganze Stockwerke. Heißt, wir schiebern die entsprechenden Schächte einfach zu, so daß weniger Wärme benötigt wird, um zu heizen.  Ich habe nur vier Leute, die das ganze Jahr über hier sind, um sich um das Gebäude zu kümmern. In der Jagdsaison sind es dann acht für gewöhnlich. Nur zu der Großen Jagd, die alle paar Jahre stattfinden wird, sind es bedeutend mehr.  Holz schlagen müssen wir dafür nicht extra. Wir führen im Frühjahr ein Dutzend Ponys aus Senalosch hierher. Die ziehen die von den Herbststürmen umgefallenen Bäume zur Jagdhütte, wo sie zerlegt und ihr Holz zum trocknen aufgeschichtet wird. Das reicht vollkommen aus.  Nun ja, es gab während der Bauarbeiten einen kleinen Zwischenfall. Ein Waldschrat ging mehrfach die Holzfäller an und hinderte sie so an der Arbeit. Es bedurfte einiger umständlicher Diplomatieversuche, um sich mit ihm zu einigen, so dass wir die große Lichtung doch noch roden konnten. Am Ende aber fanden wir eine Lösung, zu dem auch gehört, dass wir kein weiteres Holz schlagen um die Jagdhütte." “Ein Waldschrat?” Blanke Neugier stand in den Augen der Rabensteiner Baronin. “Ich habe bereits hin und wieder von diesen Wesen gehört, konnte aber noch niemals eines mit eigenen Augen erblicken. Habt Ihr ihn erlegt? Stimmt es, dass sie sich mit dem Tode in Holz verwandeln?”  Shanijas Miene, die sich angesichts der Erläuterung über Heizung und Warmwasserbereitung deutlich eingetrübt hatte, erhellte sich wieder. Die Heizung  würde umfangreichste Umbaumaßnahmen erfordern und die Gestalt der Burg gewiss verändern, beides Dinge, die ganz sicher nicht die Zustimmung ihres Gemahls fänden. Doch ein Sicht- und greifbarer Waldschrat war eine ganz andere Sache. Sie lächelte dem Vogt zu, begierig zu erfahren, welche Wunder er noch verbaut - und beim Bau erlebt - hatte.

Boltige und Schratige

"Die Wälder sind manchmal widerspenstig." Wunnemine wusste, wovon sie sprach. Auch in Ambelmund standen der weiteren Besiedlung oder Urbarmachung des Tanns die Goblins und andere Mächte des Waldes entgegen. "Habt Ihr selbst mit dem Waldschrat verhandelt, oder hattet ihr die Hilfe eines Vermittlers?" erkundigte sie sich, neugierig, welche Kräfte hier neben den Zwergen wirkten. "Wenn wir ihm getötet hätten, hätten wir die Jagdhütte wahrscheinlich niemals bauen können. Es gibt hier viel zu viele Schrate. Nein, es ging nur mit ihrer Zustimmung”, sprach der Zwerg voller Überzeugung.  “Verhandelt habe ich nicht mit dem Schrat selbst, das Gespräch mit ihm gestaltete sich schwierig. Die Verständigung war meiner Meinung nach unmöglich und so bat ich um einen Unterhändler.  Da der Baumhirte mich zumindest verstand, kam kurze Zeit später ein kleiner Wicht, ich glaube man nennt sie Wurzelbolde. Er vermittelte mir die Forderungen des Waldschrats und nach einem langen hin und her, das tatsächlich Stunden andauerte, einigten wir uns schließlich." “Darf ich erfahren, was er im Gegenzug verlangt hat? Und könnt Ihr mir beschreiben, wie er aussah?” Die Neugier über dieses seltsame Wesen war der hochadligen Dame an der Nasenspitze abzulesen. “Ich fürchte, selbst wenn ihr ihn getötet UND seine Artgenossen besiegt hättet, hätte das nicht zwingend bedeutet, dass ihr die Jagdhütte hättet bauen können und Freude daran gefunden hättet. Die Wälder stellen wohl ein seltsames Gleichgewicht dar -  wer weiß, wer oder was dann die Oberhand gewonnen hätte.” Mit diesen Argumenten hatte ihr Celissa von Tannenfels bislang immer ausgeredet, sich deutlich weiter gegen und in den Tann auszudehnen als bisher. Sie hoffte, dass sie nicht bald dazu gezwungen sein würde, den Wahrheitsgehalt dieser Worte auszutesten. “Ich hatte bisher noch keinen Kontakt mit diesen Wesen.” Shanijas Tonfall erklärte eindeutig, dass dies eine höchst bedauernswerte Sache war. “Auch wenn ich vermute, dass es sie auch in unseren Wäldern gibt. Meint Ihr wirklich, sie sind derart machtvoll?” Was spannend wäre. Natürlich kannte sie auch die Geschichten von Holzfällern, die sich zu weit vorgewagt hatten und von einem Schrat erschlagen worden waren - aber ob es sich dabei tatsächlich um so ein Baumwesen oder nur um einen unglücklich fallenden Baum - oder etwas deutlich Finsteres - gehandelt hatte, musste zumeist, da eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung fast immer unterblieb, offen bleiben. “Der Wurzelbold war klein. In etwa so.” Borindarax hielt die flache Hand an seine Hüfte. “Er hatte einen hölzernen Leib mit knotigen Gliedern und Blätter auf dem was wohl der Kopf war.  Ein befreundeter Geode vertrat die Meinung, dass es wohl ein Mindergeist des Elementes Humus gewesen sei. Allein das deutet für mich darauf hin, dass die Schrate über Mittel und Wege verfügen, die uns fremd sind.  Ob und in welcher Weise die Geoden mit ihnen im Bunde stehen konnte ich nicht ergründen, doch betonen die Zauberkundigen unserer Rasse immer, dass es einen triftigen Grund hat, dass der Isenhag noch immer von dichtem Wald bedeckt ist, wo wir Angroschim doch viel Holz schlagen, um es zu verfeuern. Jedenfalls musste ich wie gesagt versprechen, dass wir hier inmitten des Waldes keine weiteren Bäume fällen. Allein das anlegen der großen Lichtung auf dem die Jagdhütte steht wurde uns gestattet. Zudem mussten wir an anderer Stelle Bäume pflanzen. Der Wurzelbold überreichte uns einen Saatbeutel hierzu. Da die Schrate dies wohl zweifelsohne selbst hätten tun können, war dies wohl die Einforderung einer Geste der Wiedergutmachung.” "Wohl dem, der über hinreichend fruchtbare Böden oder Berge voll kostbarer Erze verfügt. Und sich einen Frieden mit den Wäldern leisten kann..." murmelte Wunnemine, etwas neidisch, halb zu Borindarax, halb zu sich selbst. ‘Wenn nicht jeder harte Winter und jeder kostspielige Kriegszug diesen in Frage stellt…’ “Hm.” Stimmte Shanija zu, deren Gedanken jäh von der faszinierenden Fremdartigkeit dieser Schratwesen - und Wurzelbolde (eine genaue Untersuchung hätte sehr schnell über magische oder nicht magische Herkunft und Besonderheiten dieser Wesen informiert. Und mit etwas Glück würde nicht einmal ihr strenger Gemahl diese Wesen als ‘menschenähnlich’ klassifizieren, so dass das strenge Sektionsverbot der Boronkirche nicht greifen würde … . Kurz huschte ein träumerischer Gesichtsausdruck über ihre Züge, bevor sie sich wieder der halben Aussage ihrer Amtscollega zuwandte. “Das Erz in den Bergen gehört den Angroschim - und fruchtbar sind die Böden im Gebirge nicht. Die Krume ist viel zu dünn.” Sie seufzte. “Wir haben unser Domänengut und etwas Zoll - ich fürchte, unsere Wasserversorgung wird weiterhin der Burgbrunnen bleiben.” Doch zu träumen war erlaubt. “Nicht zwangsläufig”, entgegnete der Vogt schmunzelnd. “Auch Burg Rabenstein besitzt Dächer, die das Regenwasser abhalten. Dieses könnte aufgefangen werden, so wie wir es hier tun. Was man damit anstellen kann werden ihr gleich sehen. Folgt mir bitte weiter.” Der Vogt führte seine Gäste durch eine Tür aus der Küche in den geräumigen Waschraum, in dem mehrere, große Holzbottiche standen, die ohne Zweifel zum Baden gedacht waren.  Ein Metallrohr ragte aus der Wand, wo sich nebenan der Kamin befinden musste und endete über einem der Badezuber.  Der Raum war bis in eine Höhe von fast einem Schritt mit gebrannten Fliesen eingefasst, welche auch den leicht zur Mitte hin abfälligen Boden bedeckten. Eine tiefe, halbkreisförmige Fuge führte durch den Raum und endete in einem in der Wand eingelassen Rohr. Dort floss scheinbar das Wasser ab, wenn man seiner nicht mehr bedurfte.  "Das ist der Baderaum, von dem ihr morgen nach der Jagd Gebrauch machen könnt. Wie ihr sehen könnt, können wir warmes Wasser einleiten und wieder abfließen lassen, ohne Eimer schleppen zu müssen. Und zusätzlich spülen wir mit dem Wasser den Abort, der sich hinter der nächsten Wand verbirgt.  Übrigens, hierher gelangt man nur aus dem Treppenaufgang", der Vogt wies auf eine weitere Tür, "und aus der Küche, so dass man nicht befürchten muss, überrascht zu werden." “Warmes Wasser nach Belieben!”  Und ohne auf das Erhitzen zu warten. Ein schwärmerischer Unterton klang durch die Stimme der Baronin. “Sagt, werdet Ihr morgen schon während der Jagd die Baderäume zugänglich machen? Ich werde nicht bei den Jägern dabeisein.” Und die Aussicht auf ein langes, heißes und ungestörtes Bad war keine Schlechte. Sehnsüchtig ließ sie ihren Blick über den Baderaum schweifen. Selbstverständlich genoss sie auch auf der Rabenstein ein heißes Bad, wann immer ihr danach war, doch musste ein solches zuvor aufwendig und langwierig bereitet und in der Küche genügend Wasser für einen Zuber erhitzt werden - einfach so auf ein Fingerschnippen hin war es nicht möglich, sich in einen Zuber voll herrlich heißen Wassers zu legen - ein Vergnügen, wie es nur den Herrn der Burg, längst aber nicht dem Gesinde, zustand. Shanija schüttelte begeistert den Kopf und fasste eine Entscheidung. “Sagt, Euer Hochgeboren, könntet Ihr uns einen Baumeister für so etwas ausleihen?”  ‘Ja, derlei Annehmlichkeiten würde ihr auch für ihre Burg südlich der Stadt Ambelmund gefallen’. Wunnemine bedachte aber sogleich die Kosten, alleine für das Material, gar nicht an die zwergischen Handwerker zu denken. Derlei Baumaßnahmen würde ihr ohnehin klammes Säckel gänzlich ruinieren, Sie hüllte sich daher in bedauerndes Schweigen. Der Vogt lachte herzhaft auf die Frage nach dem Erbauer des Gebäudes. "Mitnichten Hochgeboren, der Baumeister ist nicht der meinige. Er ist der Gefolgsmann der Vögtin von Oberrodasch, Utsinde von Plötzbogen. Sie ist heute Abend auch zugegen. Muragosch, Sohn des Murgasch sitzt zu ihrer rechten. Er hat all dies erschaffen." Begeistert hob Borax die Arme.  "Jedoch muss ich euch leider enttäuschen, Muragosch äußerte mir gegenüber, dass er nun für das erste genug vom 'Flachland' habe. Ihn zieht es zurück in die Hohe Halle von Oberrodasch, dessen Baumeister er ebenfalls ist. Dort lebt er bereits sein halbes Leben lang. Seine Heimat sind die Ingrakuppen. Doch nehmt euch die Zeit und sprecht mit ihm. Er mag alt sein, doch seine Esse brennt noch immer heiß für sein Handwerk. Vielleicht mögt ihr ihn überzeugen sich zu späteren Zeitpunkt Burg Rabensteins anzunehmen." "Die andere Frage ist schnell beantwortet. Die Jagdhütte liegt auf einer leicht angehobenen Position im Vergleich zu dem umgebenden Wald. Etwa hundert Schritt entfernt gibt es ein kleiner Bach. Dorthin leiten wir das Abwasser durch die Rohre. Dazu ist keine Technik vonnöten, dazu reicht das natürliche Gefälle.  Dort unten am Bachlauf gibt es zudem ein Gitter und eine Rückschlagklappe, die die Nager abhalten sollen. Beides jedoch muss regelmäßig kontrolliert werden, um zu verhindern, dass das Wasser sich zurückstaut.  Erwähnen möchte ich hierbei noch, dass zumindest diese Art der Wasserwirtschaft nicht neu ist, auch nicht in den Nordmarken. Als diese Lande noch ein Königreich unter der Herrschaft der Bosparaner war gab es Thermen und Abwassersysteme. Gratia Lapis ist eine ihrer bedeutendsten Gründungen", sprach Borax schwärmerisch und den Damen war klar, dass der Vogt sich für Geschichte interessierte.  “Ach und natürlich könnt ihr schon morgen ein warmes Bad genießen, während die anderen Gäste durch die Wälder streifen.” “Gefälle haben wir genug.” Shanija bedachte die Lage der Rabenstein, eine Spornburg an den Hängen des Sarakath über der Klamm der Sirralein, dem Quellfluss des Isen. “Das Bad morgen werde ich sehr genießen. Und austesten, ob Eure Konstruktion ihr Versprechen hält.” Bei derart gutem, solidem Zwergenwerk erwartete sie nichts anderes. “Welchen Durchmesser hat euer Abwasserschacht?” Setzte sie scheinbar zusammenhanglos eine weitere Frage hinterher. Ratten waren eine Sache (und in sich schon nicht schön) - aber es gab noch ganz andere Dinge, die sie keinesfalls in ihrem Studierzimmer zu haben wünschte. Vor allem nicht rückwärts durch den Ausguss des Aborts daneben kriechend. Eigentlich würde es ja durchaus reichen, wenn der Praiosturm, in dem sie ihr Domizil aufgeschlagen hatte, derart kunstvoll eingerichtet würde … .  Auffordernd blickte sie ihren Nachbarn an. “Etwa zehn Halbfinger würde ich schätzen. Mit den Details bin ich nicht so vertraut”, gestand der Vogt. “Der Durchmesser ist auf jeden Fall auskömmlich, um das Abwasser zu entsorgen.” Shanija nickte daraufhin nur nachdenklich. Fünf Finger, das war gut. Was ihr dabei durch den Geist ging, behielt sie wohlweislich für sich. “Geht die Kanalisation in Gratenfels nicht auch auf die Baukunst der Zw… Angroschim zurück? Oder tatsächlich auf die Bosparaner?” fragte Wunnemine nach, weniger an den technischen Details einer Installation interessiert, die sie zwar prinzipiell faszinierte, die sie sich aber nie würde leisten können. “Meines Wissens nach haben die Angroschim einen Großteil des Abwassersystems gebaut, ja. Die Bosparaner kannten diese Techniken jedoch bereits. Sie brauchte sie wahrscheinlich schon aus dem Güldenland mit, als sie unseren Kontinent erreichten. Die Städte des bosparanischen Reiches jedenfalls verfügten schon sehr früh über eine solche Unterwelt. So liest man es in Geschichtsbüchern.” “Ich habe einige Zeichnungen über die Baukunst der Güldenländer in einem Buch in der Bibliothek der Schule zu Vinsalt gesehen.” steuerte Shanija bei. Die Radierung über ein Hypokaustum und die Zisterne in einem güldenländischen Bad, die es auf irgendwelchen Umwegen in diesen Band geschafft hatte, hatte sie damals sehr beeindruckt - auch wenn sie an der direkten Umsetzbarkeit dieser doch fantastischen Anlage so einige Zweifel hegte. Nichtsdestotrotz - die Abwasserleitung war klein genug, keine ungebetenen Gäste hereinzulassen, und so konnte sie weiterhin in ihren Tagträumen schwerlichst finanzierbaren Wunderwerkes schwelgen. “Haltet Ihr das Wasser die ganze Zeit heiß?” fragte sie, im Geiste grübelnd, was dies wohl an Feuerholz verschlingen möge. “Nein”, antwortete der Zwerg entschieden. “Das wäre Verschwendung. Wasser und Räume heizen wir nur, wenn dies auch erforderlich ist.” Borax zwinkerte den Damen zu. “Was morgen definitiv der Fall sein wird. Ich habe einen Mann für das Feuern des Kamins und die Wassererwärmung eingeplant. Er wird sich um nichts anderes kümmern. Ihr werdet ein angenehmes Bad nehmen können, darauf mein Wort.” “Wenn Ihr weiter derart lockt, komme ich noch in Versuchung, die Jagd morgen  auszulassen.” Wunnemine grinste.  Shanija schmunzelte. “Ich werde Euch etwas warmes Wasser übrig lassen, Hochgeboren von Ambelmund. Aber der erste Feldversuch geht an mich.”  “Mit diesem Wissen werde ich mich dann doch auf die Jagd machen, in Vorfreude auf das Bad danach.” entgegnete Wunnemine, mit einem breiten Lächeln. “Dann machen wir es so.” Zufrieden lächelnd sah Shanija dem nächsten Tag entgegen - der trotz der Abwesenheit der Jäger mit so manchen Verlockungen zu reizen wusste.

Menschliche Sitten

Borix staunte nicht schlecht als er wie am Nachmittag gekleidet in den Festsaal trat über die Staffage der Menschen. Er war doch hier zu einer Jagdgesellschaft eingeladen worden und nicht an den kaiserlichen Hof. Warum also sollte er also sein geliebtes Kettenhemd und den Waffenrock ausziehen. Schließlich hatte er auf die Armbrust und den Schlägel verzichtet. So stapfte er in seinen ausgetretenen Stiefeln und der abgewetzten Lederhose zu einem freien Platz - egal bei wem er saß, wichtig war nur, dass es nicht so weit weg von den Bierfässern war.  Borix war anscheinend nicht der einzige der die selbe Idee hatte.  Kaum das der Angroscho sich niedergelassen hatte, stand der Mensch neben ihn auf und kehrte nach kurzer Zeit wieder. Dieser hielt zwei Humpen mit Bier in den Händen und schwenkte einen davon direkt vor Borix Gesicht. Der Mann hatte dunkle, strähnige und schulterlange Haare. Seine Stirn zierte eine Narbe, die auf der Nasenwurzel zwischen seinen braunen Augen endete. Er trug einen Lederharnisch, der schon einige Kämpfe hinter sich hatte. “Hier für euch. Auf die Völkerverständigung!”, sagte dieser mit einer tiefen Stimme, lachte kurz auf und nahm einen Schluck aus seinem Humpen. Borix nickte dem Großling freundlich zu und nahm ihm den Humpen ab. “Ja, so mag ich die Völkerfreundschaft!” freute er sich und stieß mit dem Söldner an. Dann blickte er an ihm und seine Kleidung herab und meinte mit einem breiten Grinsen: “Euch hat man anscheinend auch nicht gesagt, dass sich hier heute der Hof versammelt.” Er deutete auf die vielen Menschen in ihren edlen Roben. “Ich bin übrigens Borix”, sprach der Zwerg und prostete dem Söldner zu. “Oren Rasch mein Name.” Der Söldner setzt sich neben Borix. “Na, ich gehöre nicht zu der feinen Gesellschaft. Ich bin die Leibwachen von den Altenbergern”, damit deutet er auf den Tisch, wo die drei sich niedergelassen hatten. “Aber das Bier konnte ich mir nicht entgehen lassen! Oren stützte seinen Arm auf dem Tisch ab und nahm eine bequeme Sitzhaltung ein. “Was führt dich hierher, Borix?” “Tja”, meinte er, “der Vogt ist ein Freund von mir. Wir haben einiges in Senalosch gemacht und deshalb hat er mich wohl eingeladen.” Das er nebenbei halt auch noch Bergvogt war, vergaß er zu erwähnen. Dann nahm er noch einen weiteren Schluck aus dem Humpen. “Und wenn der Vogt einlädt, dann gibt es immer gutes Bier und gutes Essen, dazu kann ich so selten Nein sagen. Also bin ich hier. Und Du jagst Morgen auch mit?” “Nein. Ich hab es nicht so mit der Jagd. Gib mir eine Gruppe Räuber, die ich den Arsch versohlen kann. Das ist eher meine Sache. Außerdem bin ich nur als Reisebegleitung und Schutz der Altenberger angeheuert worden. Und du, wird du jagen, Borix?” “Ja, deshalb bin ich ja auch hier”, antwortete der Zwerg. “Mache Sachen muss man halt machen, es wird ja von einem Bergvogt so erwartet.” Borix überlegte bei einem weiteren Schluck aus dem Humpen bevor er fortfuhr. “Und ja, es macht auch ein wenig Spaß - obwohl Räubern oder Schwarzpelzen den Arsch zu versohlen, kann auch amüsant sein.” Dann wurde Borix ein wenig nachdenklicher. ”Aber nur solange es beim ‘Arsch versohlen’ bleibt …” “Da gebe ich dir Recht, da ist mir das Leben viel zu kostbar. Und wer weiß was es hier so im Wald gibt. Ich etwas von Trollen und Baumschraten gehört. Da habe ich eigentlich keine Lust auf sowas zu treffen. Seit ihr denen schonmal begegnet?”, fragte der Söldner recht neugierig. Leise lachte Borix auf. “Oh, ich bin schon vielen begegnet, die sich wie Trolle benommen haben.” Und kurz darauf verdunkelten wieder Wolken über sein Gesicht. “Und ich habe auch echte Trolle gesehen. Das erste Mal ist jetzt knapp 40 Götterläufe her. Es war an der Trollpforte - die jetzt nur noch Wall des Todes genannt wird. Es war wohl ein knappes Dutzend dieser riesenhaften Kerle, die damals auftauchten und zusammen mit uns die 1000 Oger besiegt haben. Und vor gut 20 Götterläufen als wieder alle Völker vereint gegen den vielfach Verfluchten in die entscheidende Schlacht gezogen sind, da waren sie auch wieder an unserer Seite.” Ein tiefer Humpen folgte diesen schmerzhaften Erinnerungen. “Da habt ihr ja schon einiges gesehen, Meister Borix. Ich kann leider nicht behaupten schon mal einen Troll begegnet zu sein. Bis auf diesen da vielleicht.” Mit dem Humpen in der Hand deutete er auf den Junker von Trollpforz. Er zwinkerte Borix zu und lächelte verschmitzt. “Er mag ja so heißen”, grinste der Zwerg zurück. “Aber das ist auch alles. Da fehlt so einiges für einen rechten Troll. Er ist zu klein, zu gut gekleidet und riecht auch deutlich besser! Nicht das die Trolle direkt stinken, da sind die Oger von ganz anderem Kaliber, aber je nachdem wo sie hausen riechen sie schon ein bisschen streng. Aber es sollte doch hier ein Fest werden und ich rede nur von den Bildern der Vergangenheit. Und dann noch von Zeiten, die für euch Kurzlebige schon Generationen bedeuten. Wir sollten lieber einen Humpen des guten Bieres trinken, vielleicht fallen uns dann auch ein paar fröhlichere Anekdoten ein.” Der Söldner nahm den leeren Humpen aus Borix Hand und schlenderte zum Fass. “Ihr habt recht, lasst uns weiter trinken.” Nach einer kurzen Weile kam er wieder zurück, blieb aber diesmal stehen und reichte dem Zwerg das neue Bier. “Wisst ihr das ich schon mal in Xorlosch war? Nun, genau genommen, nur vor dem Tor. Vor vielen Jahren wurde ich von einem Händler angeheuert ihn als Begleitschutz zu dienen. Ich hatte mich die ganze Zeit gewundert, was der eigentlich den Xorloschern zu verkaufen hatte. Der gute Kerl hielt sich darüber die ganze Zeit bedeckt.” Oren nahm einen kräftigen Schluck vom Bier. “Nun, nach guter Söldnermanier hab ich meine Fresse gehalten. Ich meine, ich sollte ja nur aufpassen und keine Fragen stellen.” Er fing an zu Grinsen. “ Also, wir reisten ins Gebirge und als wir ankamen, haben die Wächter sich geweigert, ihn reinzulassen, wenn er den nicht verräte, was er den eigentlich verkaufen würde. Ihr müßt wissen, Borax, das der Händler aus Andergast kam und ziemlich verklemmt war.” Der Söldner nahm einen zweiten Schluck. “Es hat ewig gedauert, aber irgendwann hat er nachgegeben, eine Truhe geöffnet und mit hochroten Kopf gezeigt, was er da hat.” Orens Grinsen wurde breiter. “Ich muß zugeben, mich hat es auch ein wenig erwischt. Der hatte tatsächlich Ledercorsagen mit Strumpfhalter für Angroschnas in der Truhe. Da blieb jedem die Luft weg!”  Mit großen Augen schaute Oren Borix an und wartete auf dessen Reaktion. “Und?” fragte Borix neugierig. “Hat man ihn reingelassen? Oder musste er seine Waren vor dem Tor verkaufen. Meine Brüder in Xorlosch sind immer etwas konservativ, aber bei solchen Handelswaren denke ich, werden sie das Fass runtergelassen haben.” Er stellte sich gerade vor, wie die Xorloscher Zwerginnen über den Händler herfielen und dem Händler die Waren aus Händen gerissen haben. Ob seine Murla auch so etwas tragen würde … Der Söldner lachte. “Und ob die das Fass runtergelassen haben. Ich mußte allerdings draußen warten. Der hatte sich eine goldene Nase verdient.” Er setzte sich nochmals hin und trank aus. “Ich muss leider wieder raus. Meine Auftraggeber waren da sehr direkt. Ein Bier, dann aber wieder ab vors Zelt und aufpassen. Immerhin zahlen die gut.”Oren gab einen kräftigen Rülpser von sich. “Es hat mich auf jeden Fall gefreut dich kennenzulernen, Borix!” “Die Freude ist ganz auf meiner Seite!” bedankte sich Borix höflich. “Wenn Du Dich mal langweilst, besuche mich mal in Ishna Mur.”

Gauklerkunst

Als alle Gäste ihren Platz an der langen, u-förmigen Tafel gefunden hatten, wunderten sie sich noch mehr als vorher schon, denn Bedienstete begannen, die Fackeln und Laternen entlang der Wände zu löschen, obwohl vorher schon überraschenderweise die beiden großen Kronleuchter unter der Decke nicht entzündet waren. Schnell wurde es dämmrig in der großen Halle, lediglich zwei Reihen Fackelhalter entlang des Hauptganges vom Eingangsportal bis zur Kopfseite der Tafel spendeten weiterhin Licht, sowie zwei einsame Laternen in einer Ecke, unter welchen ein Gruppe bunt gekleideter Musiker Aufstellung nahm. Viele der Gäste, die vorher ausgiebig ins Gespräch und ihre Getränke vertieft waren, nahmen jetzt erst bewusst war, dass auf eben jenem Hauptgang drei dicke Seile in jeweils ungefähr fünf Schritt Abstand voneinander straff vom Boden bis zur Decke gespannt waren. Die Gespräche wurden mit zunehmender Dunkelheit leiser, wandelten sich zu geflüstertem, erwartungsvollem Getuschel, bis ein einzelner Trommelschlag erklang. Stille senkte sich über die große Halle, dann begann eine einzelne Flöte eine helle, leicht melancholische, aber dennoch beschwingte Melodie zu spielen. Plötzlich erkannten die Gäste einen Schatten am äußersten Rand der Lichtkugel, wo das vorderste der Seile im Dunkel verschwand. Da! Der Schatten entpuppte sich als der schlanke Körper einer jungen, weißhäutigen Frau, welche mit einem Bein und einem Arm das Seil irgendwie umschlungen hielt und den anderen Arm sowie das andere Bein waagerecht in anmutiger Pose in die Luft streckte, während ihre langen weißen Haare nach unten hingen und sie sich langsam um das Seil drehte, um zu den Klängen der Flöte nach und nach dem Boden näherzukommen, so gemächlich, als hätte Sumus Griff nur schwache Auswirkungen auf sie. Zwei Schritt über dem Boden klappte die Frau die Beine ruckartig nach oben, stieß sich mit den Armen vom Seil ab und landete mit einem vollendeten Salto auf dem Boden, wo sie sich mit zur Seite ausgestreckten Armen einmal im Kreis drehte und sich mehrfach vor den Zuschauern verbeugte, zuletzt tief vor der Stirnseite der Tafel, wo die Grafen und höchstrangigen Adligen saßen. Diejenigen, welche Doratrava in den letzten beiden Tagen kennengelernt hatten, erkannten sie kaum wieder, alle anderen ließen die exotische Erscheinung der weißhaarigen Gauklerin mit den spitzen Ohren mit mehr Unbefangenheit auf sich wirken. Anders als in den letzten Tagen hatte diese ihre Straßenkleidung gegen ein grünes Kostüm aus einem leichten Stoff getauscht, hochgeschlossen mit einem rautenförmigen Ausschnitt über dem Brustansatz, welcher die kleinen Brüste der Gauklerin so gut zur Geltung brachte, wie dies möglich war. Die weißen Arme der jungen Frau blieben unbedeckt, ebenso die Körperseiten, denn Vorder- und Rückseite des Kostüms wurden lediglich durch jeweils drei schmale Riemen verbunden, so dass eine spannbreite Lücke von den Armen bis zu den Hüften viel Haut erkennen ließ. Dort begann ein kurzer Rock, stufenförmig in Falten gelegt und in etwas hellerem Grün gehalten als das Oberteil, der vorne und hinten spitz zulaufend bis zu den Knien fiel, während er an der Seite gerade einmal die Hüften bedeckte. Doratrava trug keinerlei Schmuck, auch keine Schuhe, da sie den Boden fühlen musste, um ihre Tanzkunst ganz ausleben zu können. Dennoch strahlte sie nun eine Schönheit und Anmut aus, welche man der flapsigen Gauklerin in Straßenkleidung überhaupt nicht zugetraut hätte. Lächelnd suchten ihre nebelgrauen Augen ein paar bekannte Gesichter unter den Zuschauern, um in einer schelmischen Aufwallung die ein oder andere Kusshand zu verteilen. Dann begannen die Musiker nach einem weiteren einzelnen Trommelschlag gemeinsam zu spielen. Außer zweier Trommler und der Flötistin hatten die Zwerge zwei Sackpfeifen-Spieler, einen Barden mit einer Laute, einen zwergischen Horn-Spieler sowie eine äußerst kräftige Dame, welche ein Trumscheit bediente, aufgeboten. Die Zusammenstellung war recht eigenwillig und wahrscheinlich nicht zuletzt dem Geschmack der Zwerge geschuldet, und Doratrava hatte bestimmt eine Stunde mit den Musikern zubringen müssen, bis man sich auf ein paar Stücke hatte einigen können, welche sowohl alle Spielleute beherrschten als auch in Doratravas Ohren eine formidable Tanzmusik darstellten. Immerhin verstanden die Leute ihr Handwerk, da konnte und wollte sie sich nicht beklagen. Doratrava begann zu tanzen, zunächst ein langsam beginnendes Stück mit dem Namen „Sumus Traum“. Ihre Füße bewegten sich zu den schnellen Flötentönen, während ihre Arme sich im Takt der anderen, gemächlicheren Instrumentenstimmen wiegten. In unablässigen Drehungen und Windungen bewegte sie sich an der Tafel entlang, wobei jede Drehung von einem einzigen Schlag einer Trommel untermalt wurde, von einem Ende über die Stirnseite bis zum anderen Ende. Schon jetzt konnten die meisten der Gäste den Bewegungen ihrer Füße kaum folgen, vor der Stirnseite der Tafel warf sie diese sogar beide in die Luft und drehte sich im perfekten Spagat in fast zwei Schritt Höhe einmal um ihre Achse, bevor sie den Tanz auf dem Boden fortsetzte. Etliche der Gäste bekamen dabei mehr Einblicke in die weibliche Anatomie, als ihnen jemals zuvor zuteil geworden war. Doch das gehörte zum Geschäft. So prüde und zurückhaltend Doratrava sonst auch war, hatte Porquidor, der Anführer der Gauklertruppe, welche sie als Kind aufgenommen hatte, ihr doch kaum, dass sie die ersten weiblichen Rundungen zeigte, eingebläut, diese zu ihrem Vorteil (und dem der Truppe natürlich!) zu nutzen (wenn er auch niemals müde geworden war, an ihrer mangelnden Oberweite herumzukritteln). Die Leute kamen zu Gauklern, um zu staunen! Sei es über deren Kunstfertigkeit oder über deren Aussehen oder deren Selbstdarstellung, das spielte keine Rolle. Je mehr sie staunten, desto besser der Ertrag. Also musste jedes Mitglied der Truppe zeigen, was es konnte – und was es hatte. Schließlich endete der erste Tanz wieder dort, wo er angefangen hatte, am offenen Ende der Tafel nahe des ersten gespannten Seils. Nach einem abschließenden Trommelwirbel der beiden Trommler verneigte sich Doratrava erneut in alle Richtungen und nutze die lange verinnerlichten Atemtechniken, um ihren rasenden Puls wieder in verträglichere Regionen zu befördern. Wobei nur ein Teil ihres Herzklopfens auf die Anstrengung zurückzuführen war, denn eine gewisse, durchaus merkliche Nervosität konnte sie angesichts der hohen Gäste doch nicht ganz ablegen, all ihrer Erfahrung zum Trotz (wobei diese sich in Grenzen hielt, was Auftritte vor Hochadligen anging). Dann gab Doratrava den Musikern ein Zeichen, und nun legten diese richtig los. Die Gauklerin hatte es geschafft, die Musiker zu einem Stück zu animieren, welches zwar nicht ganz dem ihr bekannten „Sternenhimmel“ entsprach, aber dem sehr nahe kam. Nach den ersten ruhigen Schritten und Drehungen begann Doratrava, immer schneller über den Boden zu wirbeln, einmal um das erste Seil herum, auf das zweite Seil zu, ein Spagatsprung, dann hing sie plötzlich kopfunter am zweiten Seil und begann zu den Takten der Musik ein wildes Spiel der Verbiegungen und Drehungen um das Seil herum, immer perfekt auf die Musik abgestimmt, zu jedem Takt eine neue Bewegung, bis sie schließlich mit einem Salto und einer Rolle wieder auf dem Boden aufkam, um dort den Tanz in der gleichen, wilden Intensität fortzusetzen. Wer von den Zuschauern ein tieferes Verständnis der Tanzkunst besaß, konnte erkennen, dass Doratrava keinen Formalien folgte, sondern sich rein von Instinkt und Intuition treiben ließ, dies aber in einer so perfekten Weise, dass daraus ein alle Sinne flutendes Kunstwerk entstand, dem sich sogar der größte Banause kaum entziehen konnte (und wenn dieser oder diese sich nur daran erfreute, was eine Frau alles mit ihrem Körper anstellen konnte, wenn sie nur genügend Energie darein steckte). Nach einem kurzen, ungezügelten Intermezzo zwischen den hinteren beiden Seilen schwang sich Doratrava um das dritte Seil, und diesmal schien Sumus Griff tatsächlich jegliche Macht über sie verloren zu haben. An ausgestreckten Armen schleuderte sie ihren Körper waagrecht in wahnwitzigen Drehungen um das Seil, so dass dieses der straffen Spannung zum Trotz ein Stück ausgelenkt wurde und bedenklich zu knirschen anfing, was die meisten Gäste gar nicht mitbekamen. Dabei arbeitete die Gauklerin sich höher bis an die Grenze der durch die Fackeln geworfenen Lichtkugel, um sich aus vier Schritt Höhe mit einem doppelten Salto wieder gen Boden zu begeben – nur dass der Boden ein Tisch war, nämlich der an der Mitte der Stirnseite, wo die höchsten Vertreter der Zwerge saßen. Mit beiden Füßen kam Doratrava sicher zwischen den Bierkrügen auf. Eigentlich hatte sie diesen Teil ihres Plans weglassen wollen, war sie doch zunächst davon ausgegangen, ganz zu Beginn des Gelages auftreten zu dürfen, wo die Tische noch frei waren, aber dies hatte so nicht sollen sein. Doch nun, im Überschwang, ja der Ekstase ihrer Gefühle, welcher sich so oft einstellte, wenn die körperliche Anstrengung ein gewisses Maß überschritt, aber gleichzeitig alles perfekt wie von Doratrava gewünscht klappte, ließ sie sich mitreißen und begann ungeachtet des Risikos, Krüge umzuwerfen und die hohen Herrschaften mit Bier zu besudeln, einen wilden Tanz auf dem hölzernen Tisch, der unter dem rasenden Stakkato ihrer Füße bald eine weitere Stimme im Orchester der Musiker beisteuerte. Wie durch ein Wunder schaffte die Gauklerin es, keinen der Krüge umzuwerfen, lediglich ein paar Tropfen Bier mussten geopfert werden, da der Tisch in solche Schwingungen geriet, dass der ein oder andere Krug ein wenig ins Hüpfen kam. Mit einem letzten doppelten Salto katapultierte Doratrava sich vom Tisch und landete wieder auf dem Boden vor der Stirnseite der Tafel, wo sie mit gebeugtem Knie die Arme mit einem inbrünstigen Schrei, in den sie all ihre unbändige Freude und abgrundtiefe Erleichterung legte, in die Luft warf, um das Urteil ihres Publikums zu erwarten. Mit staunenden, ja glänzenden Augen sprang der Vogt von seinem Stuhl auf und klatschte in die Hände. Gebannt und teilweise mit angehaltenem Atem hatte er der Vorstellung beigewohnt, nun brach sich seine Begeisterung bahn. Auch viele der anderen Gäste nahmen sich an Borindarax von Nilsitz ein Beispiel und applaudieren, wenn auch das hämmern mit der Faust oder einem leeren Krug auf die Tische bei dieser Art Veranstaltung anscheinend ‘üblicher’ war. 

Und ihre Bewunderer

“Hossa! Das war aber nicht übel!” rief Borix und stieß seinem Tischnachbarn vor Begeisterung den Ellenbogen in die Seite. “Die hat das ziemlich drauf, wie sie da so hin und her gehüpft ist!” Voller Enthusiasmus klatschte wie der Vogt und mehrte damit den tosenden Beifall der anderen Gäste.  Begeistert und abgelenkt, wie der Zwerg war, hatte er seinem Nebensitzer nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt - und so landete sein Ellbogen in der Seite der kleinen Menschenfrau in ihrem verwaschenen und oft geflickten Kleid, die der Oberst mitgebracht hatte. Die fuhr sichtbar auf, als der Zwerg sie traf, rutschte zur Seite und wandte sich Borix zu. “Was ist passiert?” Holte Luft und streckte dann vorsichtig die Hand in Richtung von Borix’ Nase. “Sind wir uns bereits begegnet? Mein Name ist Marbolieb - und Eurer?” “Oh!” entfuhr es dem Zwerg. “Verzeiht! Ich wollte Euch nicht stoßen.” Wie konnte er die Frau nur übersehen, aber die Vorstellung hatte ihn doch gewaltig gefesselt. “Ich bin Borix”, stammelte der Zwerg und beobachtete weiter die Hand vor seiner Nase. “Mit vollem Namen Borix groscho Barax. Bergvogt von Ishna Mur. Und Ihr habt anscheinend gerade eine Vorstellung dieser Akrobatin verpasst. Und da habt Ihr einiges verpasst, wie die sich bewegen kann …” “Oh.” Die Menschenfrau zog ihre Hand erschrocken zurück und steckte sie in die Ärmel ihrer Robe. Sie neigte den Kopf und setzte mit sanfter Stimme hinzu  “Herr Bergvogt, ich freue mich, Euch kennenzulernen.”  Ein kurzes Lächeln flackerte über ihre Lippen. “Die Akrobatin muss wirklich außergewöhnlich gewesen sein - ich habe gehört, wie leise es wurde, als sie tanzte.” Vermutlich hatte sie getanzt - zumindest war es einigermaßen leise gewesen, was sie tat. Sie wandte sich Borix zu und fügte an. “Ishna Mur - wo liegt diese Bergwacht?” “Ja”, antwortet Borix immer noch von der Vorstellung aufgewühlt. “Es war wirklich außergewöhnlich und hat allen den Atem geraubt.” Dann besann er sich, dass Frau ihn noch nach seinem Lehen gefragt hatte, also begann er zu erzählen: “Ishna Mur ist eine sehr, alte Zwergenbinge ganz im Südosten der Bergfreiheit gelegen. Sie liegt am Ende eines lange Tals, das sich weit zum Großen Fluss hin öffnet, an der Nordseite des Eisenwaldes. Die Binge war viele Jahre verlassen und von Bergkönig versiegelt, aber im letzten Jahr hat der Rogmarog beschlossen sie wieder zu öffnen. Und so bekam ich sie als Lehen und bin dort der Vogt.” Dann blickte er die Frau fragend an: “Und was führt Euch zu dieser Jagd?” “Oberst Dwarosch hat mich mitgebracht.” Sie wies in Richtung des Bierhumpens, der vor dem bulligen Zwergen an ihrer anderen Seite stand. “Ihr seid dann als Lehnsmann seiner Hochgeboren von Nilsitz hier?” Freundlich und höchst aufmerksam war ihre Stimme und bescherte ihrem Gegenüber das eigentümliche Gefühl, für dieses Gespräch das Zentrum aller Aufmerksamkeit zu sein. “Sagt, gab es einen Grund, dass Eure Binge so lange versiegelt war?”  Noch jung klang die Stimme ihres Gesprächspartners, und in diesem sehr ähnlich dem Vogt. Für die Erzzwerge mochten gleich zwei so junge Lehnsleute fast so etwas wie eine Revolution darstellen - und ganz sicher hatte der Vogt nicht ohne Plan diese alte Binge so vergeben. Borix schüttelte vehement den Kopf. “Nein, der Vogt verwaltet nur die Lehen über der Erde, aber die Bergwacht liegt zum größten Teil unter ihr und ist somit ein direktes Lehen des Rogmarog, äh … des Bergkönigs, wie ihr Menschen sagt. Nein, Borindarax hat mich eingeladen, weil wir uns aus Senalosch gut kennen. Ja, und auch der Oberst ist ein guter Freund, wir haben lange Zeit zusammen Dienst getan. Als wir Isnalosch aufgegeben haben, wurden viele Bingen unter den Bergen geschlossen und versiegelt. Und nun hat das Väterchen beschlossen, dass die alten Bingen wieder besiedelt werden sollten. Also werden nach und nach die aufgelassenen und versiegelten Wachten wieder geöffnet und besiedelt.” Die Frau nickte und schwieg einige Augenblicke. “Wann wart Ihr denn zum letzten Mal in Senalosch? Ich glaube, ich bin Euch dort noch nicht begegnet.” Was nicht viel besagen musste - ihre Zeit verbrachte sie zumeist mit Topaxandrina in der Küche, abgesehen von den Gelegenheiten, zu denen Dwarosch ebenfalls in der Stadt war und die Gruppe sich im gemütlichen Speisesaal des Vogtes sammelte. Mit den zwergischen Freunden und Gefährten des Vogtes hatte sie darum lediglich selten zu tun - was aber für beide Seiten gewiss die angenehmere Verfahrensweise war - zu sehr ein Exot und Fremde war sie für die meisten der traditionsverhafteten Erzzwerge, als dass diese sich in ihrer Gegenwart wohlgefühlt hätten, auch wenn sie als Gast des Vogtes mehr oder minder geduldet war. “Ach”, antwortete Borix, “da war ich seitdem wir nach Ishna Mur gezogen sind nicht mehr. Also ist das jetzt gut ein Jahr her. Aber wir haben alle seit der Rückkehr aus Elenvina und meinem Rückzug aus dem aktiven Militärdienst in Felsenruh gewohnt. Wie lange kennt Ihr Dwarosch schon?” Marbolieb sann einen Augenblick lang nach. “Schon fast drei Götterläufe. Wir lernten uns auf dem Feldzug nach Mendena kennen. In Senalosch lebe ich seit vorletztem Winter.” Fast eineinhalb Jahre - eine lange Zeit. “Darf ich fragen, wann Ihr aus dem Militär ausgeschieden seid?” Das ‘Warum’ war entschieden keine Frage, die in diesem Kontext erlaubt war - leider. Doch die meisten ehemaligen Krieger reagierten äußerst empfindlich auf den Grund, der sie aus ihrem Rang entfernt hatte. “Komisch”, meinte Borix, “ich glaube, ich habe euch auf dem Feldzug nicht gesehen.” “Ich war im Gefolge Seiner Hochgeboren von Rabenstein als seine Geweihte.” Sie strich sich mit einer Hand über das fadenscheinige Gewebe ihres Ärmels und zog die Falten glatt, mit denen der alte Stoff begonnen hatte, sich aufzubauschen. Die Enden der Ärmel waren aufgerieben und angerissen, so dass die einzelnen Fransen ihren gebräunten Handrücken kitzelten. Darauf bedacht, dass der Stoff am Handgelenk blieb, wo er hingehörte, versteckte sie ihre Finger wieder in den weiten Ärmeln. “Vielleicht lag es daran”, meinte der Zwerg nachdenklich, “ dass ich auf dem Hinweg mit der Disziplin der Soldaten zu tun hatte. Es ist nicht einfach die Motivation der Truppe bei so einem Gegner hochzuhalten. Selbst für Ingerimms Hammer war es nicht leicht.” “War dies ein großes Problem? Dwarosch wurde erst während des Feldzugs zum Oberst bestellt.” Die kleine Frau machte ein nachdenkliches Gesicht und wandte den Kopf in Richtung des Oberst, ehe sie Borix antwortete. “Er hat mir nichts davon berichtet, dass er damit Schwierigkeiten hatte - aber nach der Tesralschlaufe fehlt mir die Erinnerung an einige Tage.”  Die Augen der Menschenfrau glänzten und nur, dass sie entschieden an Borix Schulter vorbeischaute, verriet diesem, dass sie von seiner Mimik sicher nichts bemerkte. “Ihr wart wie die meisten Angroschim im Regiment Ingerimms Hammer?” “Ja”, antwortete Borix, denn die Erinnerung war ihm nicht angenehm. Auch jetzt noch sah gelegentlich nachts, wenn er nicht schlafen konnte, die verstörenden Ereignisse der Schlachten vor seinen Augen, hörte die Schreie der Verletzten und Sterbenden und spürte die Schmerzen in seinen Narben. “Seit dem Krieg auf Maraskan habe ich an jedem großen Kampf teilgenommen. Und jeder Krieg war schlimmer als der Vorhergehende.” Seine Stimmung wurde mit den Gedanken an den Maraskanfeldzug Retos, die 1000 Oger,  den Orkensturm und die  nicht enden wollenden Kriege gegen den Dämonenmeister und seine Erben immer trüber, so dass er ohne weiter zu reden erst einige Minuten still und in sich versunken auf seinem Stuhl saß. “Und auf dem Rückweg von Mendena habe ich gemerkt, dass 60 Jahre Krieg genug seien und habe nach der Heimkehr meinen Abschied genommen. Als Dank für die jahrelangen Dienste bekamen wir das Haus in Felsenruh.” Marbolieb senkte den Kopf, als sie den Worten Borix’ lauschte. Mehr als seine Worte selbst verrieten seine Stimme und die Pausen, was in dem zurückgekehrten Krieger vorgehen mochte. Und sie verrieten keine schöne Geschichte. Eine, die sie schon allzuoft gehört hatte, und die doch für jeden Erzähler seinen Schlimmsten aller Schrecken in sich trug. Sie tastete nach der Hand des Zwergen und konnte nicht verhindern, dass sie zuerst seinen Bierkrug, danach seinen Bart und dann erst seinen Arm fand.  Leicht legte sie ihre warme Hand auf den Unterarm des Zwergen und lauschte seinen Atemzügen.  “Mögt Ihr mit mir darüber reden?” Bot sie ihm an. “Nicht hier und jetzt.” setzte sie hinzu, als Borix’ tiefes Luftholen seiner Ablehnung zuvorkam. “Nach der Jagd. Ob morgen oder bei einem Besuch in Senalosch liegt bei Euch. Doch solltet Ihr es nicht zu lange aufschieben - die Erinnerungen werden nicht geringer werden und weiter an Euch nagen.” Sie schmunzelte, ein warmes, einladendes Lächeln ohne jede Bosheit. “Ich bin nicht gefährlich, das verspreche ich Euch.” Eine beruhigende, stille Zuversicht ging von der Frau aus, und die federleichte Berührung auf Borix’ Arm vermittelte einen kurzen, flüchtigen Lidschlag lang die Aussicht, dass alles gut werden möge, Erinnerungen nichts mehr als Schatten wären, die in der zunehmenden Nacht verblassen würden, zerwehen zu nichts wie ein Nebelschleier, wenn ihn die erste Bö eines neuen Morgens träfe. “Warum sollte ich mit Euch darüber reden wollen?” war die befremdete  Frage des Zwergs. “Wenn Ihr selber in Mendena wart, dann wisst Ihr doch wie es war. Gegen diese Bilder hilft Reden nicht, da hilft nur Vergessen ...” “Der Feldzug ist nun schon drei Götterläufe her.” Die leise Stimme der Frau trug kaum über die Stimmen der Umgebung. “Wenn diese Bilder Euch bis jetzt plagen, werden sie es noch lange tun. Sie zu betrachten und über sie zu sprechen hilft, sie zu verarbeiten, so dass Ihr sie vergessen könnt.”  Sie zog ihre Hand zurück und legte sie wieder in ihren Schoß. “Ich könnte Euch dabei helfen. Nur wenn Ihr dies wünscht.”  Marbolieb senkte den Kopf. Natürlich hatte der Bergvogt recht - es war zutiefst unhöflich, sich aufzudrängen. Die beschämte Röte, die ihr bei diesem Gedanken über die Wangen kroch, war auf ihrer gebräunten Haut kaum auszumachen. “Was sind drei Götterläufe im Leben eines Angroschim”, grummelte der Zwerg, dem jetzt wieder die Bilder der vielen Schlachten durch den Kopf gingen, die vielen Freunde, die er in den langen Jahre hatte betrauern müssen, die Seen an Blut, durch die er gewatet war. Nein, das gehörte nicht hierher! Hier war heute ein Ort des Feierns und nicht der Trauer! Aber wie konnte er die Frau jetzt wieder von diesem Thema ablenken? Schnell nahm er einen tiefen Zug aus seinem Humpen. Vielleicht war das der Weg? Nein, auch den Kummer im Alkohol zu begraben war nicht die Lösung, auch das hatte er schon bei vielen seiner Kameraden gesehen, die dann zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Wenn doch jetzt Murla bei ihm wäre, die wüsste, was er nun sagen sollte. Zörgerlich nach einigen tiefen Atemzügen schlug er die Augen wieder auf und blickte Marbolieb direkt an: “Vielleicht kommt Ihr einmal nach Ishna Mur … .” Die Menschenfrau blickte starr an Borix vorbei, auf einen Punkt hinter ihm. “Ich besuche Euch gerne, Herr Bergvogt.” Vorausgesetzt, sie fände jemanden, der sie nach Ishna Mur bringen würde. Viel weiter als die Höhlen am Großen Fluss jenseits von Burg Nilsitz konnte es nicht sein, und das war im Winter gewesen. Sie hob ihre freie Hand und rieb sich über den dünnen, zerschlissenen Stoff, der ihre schmalen Schultern bedeckte, ohne die Kälte, die ihr bei dieser Erinnerung über die Haut kroch, gänzlich vertreiben zu können.  Sie lächelte Borix vorfreudig an. “Diesen Sommer noch.”  “Ich würde mich freuen”, sagte Borix abschließend und auch ein wenig erleichtert, dass, so hoffte er, dieses Thema an diesem Abend endlich beendet war. “Wenn Euch Dwarosch nicht begleiten kann oder mag, so fragt nach meinen Sohn Boram in Felsenruh, der hat es ja bislang auch noch nicht geschafft, in die Binge zu kommen. Murloschtaxa, meine Frau, würde sich sehr freuen.” Offen war jetzt nur, ob Borix damit den Besuch von Marbolieb oder jenen von Boram meinte. “Das werde ich tun.” nickte die Menschenfrau. Dieser Besuch versprach ein sehr Interessanter zu werden. Sie beugte sich zu dem Mann an ihrer Seite, ungewiss, ob der Bergvogt sein Gespräch an dieser Stelle nicht für beendet wähnte, und tastete vorsichtig nach Dwaroschs Hand - in der Hoffnung, dass dies seine Aufmerksamkeit wecken möge, ohne gleich das Gespräch mit dem Bergvogt abzuwürgen. “Wir freuen uns …”, kam es als höfliche, aber doch irgendwie unbestimmte Antwort des alten Zwergs zurück, der scheinbar völlig in seine Gedanken versunken war. Was für ein Abend, ging es Borix die ganze Zeit durch den Kopf, da sitzt man einfach da und bewundert nur die Vorstellung dieser Menschenfrau und dann wird man mir nichts dir nichts in ein Bad der Gefühle gezogen, dass einem wieder die fast vergessenen Schrecken wieder in Erinnerung bringt. Alles zog wieder vor seinen Augen vorbei, alles was er vergessen wollte, aber nie richtig konnte.  

Ein Ausflug nach Ishna Mur

“Dwarosch.” Marbolieb beugte sich, ein unbestimmtes Lächeln auf ihren Lippen, zu dem Oberst hinüber. “Machen wir demnächst einen Ausflug nach Isnha Mur? Das heißt, kommst Du mit? Und weißt Du, wo das genau ist?” “Das weiß ich, Räblein”, brummte Dwarosch zur Antwort. “Ishna Mur ist eine der größeren Bergwachten und auf jeder unserer Karten verzeichnet, daran hat auch ihre Schließung nichts geändert.  Es erfüllt meine Brüder und Schwestern mit Stolz, dass das Wachstum Isnatoschs dazu geführt hat, dass wir sie erneut mit Leben füllen konnten.” Marboliebs Fingerspitzen verharrten auf der Hand des Zwergen, eine federleichte Berührung nur. Dass die Angroschim - mehr noch als Menschenmänner - immer nur auf einen Teil einer Frage antworteten, dass hatte sie anfänglich wirklich gestört - doch zu ändern war daran nichts, so dass sie mit dieser Sache zwischenzeitlich ihren Frieden gefunden hatte. Nichtsdestotrotz war sie nicht gewillt, diese Angelegenheit sich beruhen zu lassen. “Kommst Du mit?” fragte sie ruhig. Es wäre schön, ihre letzten Wochen in Nilsitz mit Dwarosch gemeinsam zu verbringen - doch war der Sommer auch die Zeit der Manöver und Waffenübungen, so dass längst nicht sicher war, ob der Oberst die Zeit würde erübrigen können. "Gern. Das vortreffliche Essen Murlas ließe ich mir auch nur ungern entgehen", antwortete der Oberst genau so laut, dass auch Borix es verstehen konnte.  "Ich habe nicht vor dich alleine irgendwohin gehen zu lassen, bevor ich wohl gezwungen seien werde dich gegen meinen Willen nach Calmir zu bringen", fügte er leise und nur für Marbolieb bestimmt an.  Sanft drückte die Geweihte die Hand des Zwergen. “Danke.” flüsterte sie, nur bis zu Dwaroschs Ohren tragend. Mehr noch als ihr Wort verrieten ihre Gesten ihre Dankbarkeit, und sie schenkte dem Oberst ein warmherziges Lächeln, ohne seine Hand loszulassen. “Murla wird sich freuen”, wiederholte er fast noch einmal seine letzte Aussage. “Wie wollt ihr denn kommen?” war dann die nächste Frage, die direkt an Dwarosch ging. “Vom Fluss, den alten Karrenweg, querfeldein oder gar” - bevor weiter sprach, schaute er sich um, ob er nicht zu viele Zuhörer gab und fuhr dann so leise fort, dass es nur der Oberst und Marbolieb verstehen konnten - “durch den Berg?” Dwarosch winkte ab. “Nein, der Weg durch den Berg möchte ich Marbolieb nicht zumuten. Die Gänge sind großteils zu niedrig. Das würde ihrem Rücken sicher nicht gefallen. Sie mag nicht viel größer sein als ich und doch würden diese wenigen Finger den Ausschlag geben.” Der Oberst zuckte mit den Schultern. “Wir werden uns einfach Ponys nehmen und den Karrenweg wählen. Der ist relativ gut in Schuss und zudem nur ein kleiner Umweg, betrachtet man den direkten Weg, den wir unter Tage gehen könnten.” Marbolieb lauschte schweigend und nur ihr tiefes Ausatmen verriet ihre Erleichterung. Ponys. Das bedeutete, zumindest einen Teil der Strecke reiten zu können und nicht zu Fuß gehen zu müssen. Das den langsamen Schritt der Tiere auf den steilen Wegen würde auch sie als sehr unerfahrene Reiterin schaffen. Angenehm war ein Trampelpfad im Gebirge nicht unter ihren bloßen Sohlen - und sie war froh, dass dieser Kelch vorerst an ihr vorüberging. Und sie würde nicht die ganze Strecke ihre Tochter auf den Armen tragen müssen. Mittlerweile war die ehemals kleine Mirla deutlich gewachsen und schwerer geworden - kein Wunder, genoss es Topaxandrina doch, die Kleine mit den Leckerbissen aus ihrer Küche zu verwöhnen. Sehr zufrieden mit dieser Aussicht strich sie mit ihrer freien Hand über die Ärmchen ihres Kindes, während ihre andere weiterhin die ungleich Größere des Zwergen umfasste.

Begeisterung

Kaum dass Doratrava vor dem Publikum ihre Reverenz machte, musste die Zofe der Rodaschquellerin mit Begeisterung wild drauf los klatschen. “Fantastisch, fantastisch! Nicht wahr?” In ihrem Überschwang musste sie ihre Begeisterung einfach teilen und sprach den erstbesten Bediensteten an, der gerade in ihrer Nähe stand und sichtlich mit einer schweren Platte voller Speisereste zu kämpfen hatte. Der plötzliche Ausruf der Zofe neben ihn brachte ihn kurzfristig etwas aus dem Gleichgewicht, doch er konnte sich schnell wieder fangen.  Ritter Darian nickte anerkennend und ließ sich von der Begeisterung anstecken und rief “Hoch!”. Und selbst der grantige Vogt von Rodaschquell, der bislang nicht den Eindruck erweckt hatte, mit den Feierlichkeiten viel im Sinn zu haben, sah mit großen Augen zur Akrobatin hinüber. Wobei seine flinken Augen mehr und mehr auf die zarten Konturen der Gauklerin gerichtet schienen und diese ausgiebig erkundeten, während ein erfreutes Lächeln seinem ansonsten eher missmutigen Gesicht einen völlig neuen Ausdruck verlieh. Eher still und zurückhaltend blieb die Baronin von Rodaschquell. Es war nicht ihre Art, in lautes, überbordendes Jubeln zu verfallen, doch das Strahlen in ihrem Antlitz sprach mehr, als Worte es hätten tun können. Solche Darbietungen - sei es Akrobatik, Tanz oder Musik - war ihr nicht mehr fremd, sie hatte in zahlreichen anderen Festen ebenfalls wunderbare Aufführungen gesehen, und sie lebte nun schon so lange unter den Menschen. Doch diese hier beeindruckte sie besonders. Schon immer hatte sie Kunst in jeglicher Form geliebt. Musik, Malerei, wunderbare Statuen, und auch die Kunst, die manche Menschen mit ihren Körpern zu zeigen vermochten - oder in diesem Fall Halbelfen? Da war Liana sich nicht ganz sicher, was Doratrava anbelangte.  Liana liebte auch den Tanz, ja, gerade ihn! Die Freude, die er bereiten konnte, wenn man sich voll und ganz auf eine Musik einließ, sich den Klängen und Bewegungen hingab, seine Eleganz, seine Leichtigkeit…  So saß sie still am Tisch und ließ diese Eindrücke noch eine Weile auf sich wirken. Mit einem Lächeln, das von purer Freude sprach, mit Dankbarkeit in ihren Augen, als sie Doratrava ansah. “Unglaublich!” Mit begeistert blitzenden Augen wandte sich Shanija an die beiden Baroninnen in ihrer Nähe. “Das ist fast mit der Kunstfertigkeit einer Sharisad vergleichbar - und dennoch vollkommen anders!” So hatte sie die Gauklerin noch niemals tanzen sehen, auch wenn sich ihre Wege bereits einmal kurzzeitig gekreuzt hatten. “Es ist doch wirklich erstaunlich, zu welchen Höchstleistungen ein Körper fähig ist - in ihrem Alter noch eine derartige Biegsamkeit zu besitzen, das ist verwunderlich.” Sie blickte begeistert in Richtung der Altenbergerin. “Habt ihr einmal Vergleichbares gesehen?”  Einmal, da hatte sich ein Gaukler auf den Seziertisch der Universität verirrt. Das war in ihrem ersten Lehrjahr gewesen, was bedeutete, dass sie den älteren Semestern lediglich über die Schulter schauen durfte - doch hatte sie die Verwunderung seitdem niemals mehr ganz losgelassen. Wunnemine war ebenfalls beeindruckt von der Darbietung der Gauklerin und nickte zustimmend auf Shanijas bewundernde Worte. Die Baronin vom Ambelmund überlegte sich bereits, ob sie jene vielleicht auch für einen Auftritt an Tommel und Ambla locken könnte,. Als sie Shanijas Bemerkungen zur Beweglichkeit der Tänzerin vernahm, stutzte sie jedoch: "So alt scheint mir diese Frau doch gar nicht zu sein! Sie sieht nicht sehr viel älter als 20 aus, würde ich schätzen. Sollte die stete Übung und die sicherlich vielen Auftritte ihren Körper in diesem Alter nicht jeden Tag immer noch gelenkiger machen, so, wie ein Kämpfer mit den Jahren steter Herausforderung ebenfalls stärker wird? Ich glaube, wir werden mit den Jahren nur ungelenker, weil uns Aufgaben erwarten, die diese Gelenkigkeit nicht mehr erfordern." raunte sie Shanija neben den Beifallsbekundungen um sie herum zu. Als Maura von Altenberg den Blick von Shanija wahrnahm, hob sie ihren Kelch und prostete ihr zu. Leider hatte sie die Worte der Baronin nicht verstanden. Der Abstand und das Stimmengewusel des Festsaals verhinderten dies. Sie hoffte das es später, aber spätestens morgen, eine Gelegenheit gab,  wieder mit der Baronin von Rabenstein zu sprechen. “Die Beweglichkeit der Gelenke nimmt mit der Adoleszenz rapide ab. Um sie sich derart zu bewahren wie diese Gauklerin, müsst ihre sie in frühester Jungend regelmäßig üben und dehnen. Gelenke sind nicht wie Muskeln, die sich mit fortwährender Übung weiter aufbauen - sie verhärten mit zunehmendem Alter, beginnend mit Abschluss des Längenwachstums.” dozierte Shanija, sichtlich begeistert in ihrem Element und nicht gewahr, dass Sie ihre Zuhörerin bereits nach den ersten Worten verloren hatte. Mit interessiertem Blitzen in den Augen winkte sie Maura zu, nach deren Gefallen diese wissenschaftliche Betrachtung gewiss gewesen wäre. Doch die Altenbergerin stand zu weit entfernt und schien nicht gewillt, ihrem Plauderstündchen beizuwohnen, der Etikette an dieser Stelle deutlich zu Undank. Sie strahlte Wunnemine an. “Es ist übrigens äußerst lehrreich, ein altes mit einem jungen Gelenk zu vergleichen. Insbesondere die starkem Verschleiß ausgesetzten Knie- und Schultergenlenke weisen schon ab dem zweidutzendsten Lebensjahr in aller Regel deutlichste Abnutzungserscheinungen auf, was durch eine Inaugenscheinnahme sich selbst erschließt.” Sie tat etwas, was sie zu lange vergessen hatte - und holte tief Luft. “Euer Hochgeboren? Ist etwas unklar?” setzte sie freundlich hinzu, als sie des leicht abwesenden Blicks Wunnemines gewahr wurde. In der Tat war Shanija die Baronin von Ambelmund im Zuge der Ausführungen zunächst recht rasch verlustig gegangen. Bei ihren letzten Worten wurde Wunnemine aber doch wieder hellhörig: “Wie viele Gelenke habt Ihr Euch denn schon… so genau… angeschaut?” fragte sie mit einer Mischung aus faszinierter Neugier und Schaudern. “Sehr viele.” Das begeisterte Lächeln der Baronin besaß doch eine leicht unheimliche Note. “Während meiner Ausbildung. Später leider nur hin und wieder - wenn einer der Eigenleute meines Gemahls einen Unfall hatte. Das sind dann aber leider lediglich zeitlich begrenzte Impressionen, die für einen Vergleich nicht wirklich taugen. Ich könnte euch sagen, dass bei Holzfällern die Schultern im Vergleich zu den Knien deutlicher belastet sind, im Gegensatz zu Reiterkämpfern, bei denen insbesondere Rücken und Ellbogen betroffen sind, doch würde dies deutlich umfangreicherer Studien bedürfen, um auch nur rudimentäre wissenschaftliche Belastbarkeit zu generieren.” Sie seufzte, behielt dabei aber ein Lächeln in den Augenwinkeln. “Ich fürchte, meine wissenschaftliche Reputation unter den Gelehrten muss noch ein wenig warten.” Jetzt schauderte es Wunnemine wirklich. Sie sollte nicht versuchen, sich das von Shanija gesprochene bildlich vorzustellen. Jemandem im Kampf eine Wunde beizubringen oder gar zu töten, war für sie eine erträgliche Notwendigkeit. Eine Wunde zu reinigen, aus dieser Pfeilbruchstücke zu entfernen oder einen offenen Bruch zu richten, waren Dinge, die sie, soweit möglich, Berufeneren überließ, aber bei denen sie zumindest öfters zugesehen hatte und zur Not auch selbst Hand anlegen würde. Aber um der Wissenschaft willen im menschlichen Fleische zu wühlen oder Knochen und Gelenke freizulegen... Die Rabensteinerin hätte ihren Gemahl wirklich gegen Haffax begleiten müssen, da hätte es Anschauungsmaterial genug gegeben. Sie beschloss, dieses Thema aber nicht noch einmal anzuschneiden. Stattdessen stellte sie, mit heimlicher Erleichterung fest: "Ah, der Auftritt scheint weiterzugehen!" 

Nach dem Auftritt

Nachdem sich Doratravas Atem halbwegs beruhigt und die Beifallsbekundungen der Zuschauer abgeklungen waren, stand die Gauklerin auf, griff sich die nächste Fackel und begann, das nächstgelegene Seil zu erklimmen, um dann unter der Decke schwebend den ersten Kronleuchter zu entzünden. Da sie dazu vom Seil fort musste und nun am Rad selbigen Kronleuchters hing, sah das recht spektakulär aus. Dann sprang sie wieder zurück an das Seil, schleuderte sich nach unten, wechselte zum dritten Seil und erklomm dieses, um dort die Prozedur am anderen Kronleuchter zu wiederholen. Schließlich erreichte Doratrava wieder sicheren Boden und sah sich keuchend um, ob irgendwo ein Platz für sie war, vielleicht bei Nivard oder Gelda? Als Doratrava den Tisch ihrer neuen Freunde entdeckte, sah sie das sie alle aufgestanden waren und vor Begeisterung klatschten. Gelda winkte sie zu sich an den Tisch. “Du bist ja so fantastisch! Wie du so rumgewirbelt bist und du deinen Körper verbiegen kannst, einfach großartig! Komm setz dich zu uns!” Dabei schob sie Nivard zur Seite und bot ihr seinen Platz an. “Man könnte meinen, das ihr keine Knochen im Körper habt. Eine beeindruckende Vorstellung, junge Dame”, merkte die Doctora von Altenberg an. Elvan griff nach einem Humpen Bier und reichte es der Gauklerin. “Hier trinkt, ihr seid jetzt bestimmt durstig. Ihr habt mich sehr unterhalten, Bravo!” Auch ihm stand die wahre Freude im Gesicht. Dann wandte er sich zu Thalissa. “Euer Hochgeboren, darf ich euch die Künstlerin vorstellen. Das ist die Dame Doratrava.” Dann schaute er wieder zu der Gauklerin. “Doratrava, das ist die Baronin von Rickenhausen, Euer Hochgeboren Thalissa di Triavus!” Mit einer geschwungenen Handgeste deute er nun auf die Baronin. Auch Nivard war begeistert. Und zutiefst beeindruckt. Er nickte Doratrava mit einem Gesichtsausdruck höchster Anerkennung und Bewunderung zu. „So was… hab ich noch nie gesehen. Das war… absolut… großartig. Die Götter haben Dich wahrlich mit Gabe beschenkt.“ raunte er ihr zu, als sie sich zu ihnen gesellte. Im Überschwang nahm er es auch nicht krumm, dass sein Platz vorläufig anderweitig besetzt war und griff sich rasch einen freien Stuhl von der Wand, den er in die üppige Lücke neben Doratrava schob. Doratravas Gesicht glühte vor Anstrengung, Aufregung und Freude, man konnte sich in diesem Moment kaum vorstellen, dass die Gauklerin in unbeobachteten Momenten oft eine ziemlich abweisend wirkende Miene aufsetzte. Doch zuerst musste sie sich nun der hochgeborenen Dame zuwenden, soviel Etikette hatte sie schon gelernt. “Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen, äh … Hochgeboren … äh … hat Euch meine kleine Darbietung auch gefallen?” Was besseres fiel der Gauklerin gerade nicht ein. Thalissa musterte die ziemlich hagere junge Frau mit dem exotischen Aussehen und den seltsamen eisgrauen Augen von oben bis unten. Das war also diese Doratrava. Sehr hübsch, wenn auch etwas flach. Die Baronin kam nicht umhin zu bemerken, dass die Tänzerin nahezu nackt vor ihnen stand, das bisschen Kostüm konnte man ja kaum als Kleidung bezeichnen. Nun, auch bei der Vinsalter Oper gab es manchmal viel Haut zu sehen, nur mischten sich dort die Künstler normalerweise nicht in Theaterkleidung unter das Volk. Dennoch … “Nun, Ihr versteht Euer Handwerk durchaus”, gab die Baronin zur Antwort. “Ihr habt eine ganz eigene Art zu tanzen, so … unkonventionell, ganz anders als die Balletttänzerinnen, welche ich normalerweise zu sehen bekomme. Irgendwie erfrischend. Zumal Balletttänzerinnen sich für gewöhnlich nicht an Seilen von der Decke hangeln.” Thalissa lächelte zurückhaltend, aber freundlich. “Nun will ich Euch aber nicht weiter Euren Freunden vorenthalten”, sie winkte zu Nivard und Gelda. Doratrava errötete leicht bei dieser Ansprache, das konnte aber aufgrund ihrer von der Anstrengung und Aufregung bereits sowieso rosa gewordenen Gesichtsfarbe niemand erkennen. Sie nickte der Baronin nochmal zu, um sich dann Gelda und Nivard zuzuwenden. “Habt vielen Dank, ich versinke gleich im Boden, wenn ihr mich mit noch mehr Lob überschüttet”, lachte Doratrava. “Zum Glück tut das nur weh, behindert mich aber nicht weiter.” Sie zeigte den beiden ihren linken Arm, der um den Ellenbogen herum, wo die Bogensehne zweimal getroffen hatte, mittlerweile auf fast einem Spann Länge blau und grün angelaufen war.  “Wäre auch schlimm, denn morgen nach der Jagd darf ich nochmal, hat der Vogt gesagt.” Sie strahlte ihre beiden  … ja, fast schon Freunde an. “Hättet Ihr Interesse und Zeit am 8. Rahja nach Herzogenfurt zu kommen? Wir veranstalten dort eine Brautschau mit einer Festwiese. Viel Barden und Bänkelsänger werden anwesend sein, aber ich denke ihr wäret eine gute Bereicherung. Was mein Ihr, Doratrava?”, sprach Maura von Altenberg sie an. “Oh, das wäre eine tolle Idee, du musst unbedingt kommen!”, setzte Gelda überschwänglich hinterher. Doratrava lachte geschmeichelt auf. “Wenn ihr mich so lieb bittet, kann ich ja wohl kaum Nein sagen.” Sie zwinkerte Nivard und Gelda zu und neigte den Kopf in Mauras Richtung. “Zumal ich nichts Besseres vorhabe nach der Jagd.” Einen winzigen Moment lang huschte ein Schatten über ihr Gesicht. Jel. Dann würde sie nicht … wobei … “Ihr müsst mir bloß sagen, wo dieses Herzogenfurt liegt und wie man da hinkommt?” “Das liegt in der Baronie Schweinsfold, im Gratenfelser Becken. Nicht allzu weit von Gratenfels entfernt. Baronin di Triavus, was würdet Ihr sagen, welcher Weg am besten nach Herzogenfurt führt?”, richtete sie die Frage an Thalissa. Die Baronin von Rickenhausen blickte auf. Sie war dem Gespräch der jungen Leute nicht gefolgt, hatte aber die letzte Frage sehr wohl verstanden. “Herzogenfurt liegt ja efferdwärts sozusagen fast neben Rickenhausen. Der beste Weg ist der, den ich nach Hause nehmen werde: raus aus diesem unwegsamen Gebirge an den großen Fluss, an der Anlegestelle Treuenbollstein auf ein Schiff gestiegen und von dort bis nach Weidleth. Von dort aus geht es den Halwartsstieg nach Firun bis nach Nembutal und von dort wieder efferdwärts auf der Straße nach Herzogenfurt, während mein eigener Weg mich von Nembutal aus erstmal vollends gen Firun nach Hause bringen wird, bevor ich dann selbst auch nach Herzogenfurt aufbrechen werde. Aber das ist eine ganz schöne Wegstrecke.” Sie sah die Gauklerin kritisch an.  Nivard überlegte kurz, ob er es bereits berichten solle, rang sich aber schließlich dazu durch und flüsterte Doratrava und Gelda zu: “So wie es aussieht, wird es mich nun wohl auch um diese Zeit nach Herzogenfurt verschlagen. Hat sich heute erst ergeben.” Ei vielsagendes Grinsen zuckte über sein Antlitz. Was das bedeutete, war er sich noch nicht ganz so sicher. Auf der Reise hatte er aber ja lange genug Zeit, sich dies zu vergegenwärtigen. Zu eruieren, was die göttliche und weltliche Weiblichkeit mit ihm vorhatte. Und was er wollte. Doratrava klatschte in die Hände. “Dann können wir doch alle zusammen nach der Jagd dorthin reisen?” Dann fiel ein Schatten auf ihre Miene. “Ach - aber ich muss doch erst noch nach Twergenhausen, ich habe dort im Traviatempel meine ganzen Sachen gelassen und auch das Pferd untergestellt.” Mit einem Anflug von Verzweiflung sah sie ihre Freunde an. “Wieso?” fiel da die Baronin von Rickenhausen ein. “Fast jeder Flusskahn hält in Twergenhausen, das liegt auf dem Weg nach Weidleth. Das sollte für Euch also kein Problem darstellen.” Sofort hellte sich Doratravas Miene wieder auf und sie sah ihre Freunde erwartungsvoll an. Ganz im Hintergrund ihrer Gedanken nagte zwar die Erinnerung an gewisse Kopfgeldjäger, welche ihr im Auftrag eines Händlers aus Twergenhausen nachgestellt hatten, aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Als sie dann aber noch an Jel denken musste, bei der sie wohl auf dem beschriebenen Weg nicht mehr vorbeikam, verfinsterte sich ihre Miene erneut, doch nur kurz, dann hatte sie sich wieder in Griff. Man konnte nicht alles haben im Leben. Wenn sie nach so kurzer Zeit wieder bei Jel vorbeischauen würde, risse das die kaum verheilten Wunden sicher nur wieder auf. Zumindest redete sie sich das ein. Elvan, der das Geflüster ebenfalls verstand, und Gelda drehten sich zu Nivard um. Beide schauten überrascht. “Ich frage mich, wer deine Meinung geändert hat.” Schmunzelnd schaute der Schreiber seine Kusine an. Diese errötete wieder. “Ich … finde das … gut”, kam es zögerlich. “Wenn er erstmal Durinja erblickt hat, ist es um sein Herz geschehen”, sagte sie jetzt sicherer, aber mit einem scherzhaften Unterton. Währenddessen unterhielt sich Maura weiter mit der Gauklerin und der Baronin. “Na wunderbar, dann sehen wir uns wieder in Herzogenfurt. Lasst mich wissen, ob Ihr irgendetwas benötigt vor Ort. Selbstverständlich sorge ich für eine Unterkunft und eine angebrachte Bezahlung. Wir Altenberger lassen uns nicht lumpen. Maura lachte wieder auf. “Seht Ihr, Frau Baronin, wir werden das Fest der Freuden mit einer ereignisreichen Brautschau ausklingen lassen.” Doratrava neigte dankend den Kopf, wenn sie jetzt auch überlegen musste, wie Maura das meinte. Das hörte sich jetzt nicht so an, als dürfe oder solle sie mit den Altenbergern reisen. Sie traute sich jetzt aber nicht zu fragen, also schwieg sie erstmal. Vielleicht klärte sich das ja von selbst. Thalissa lächelte bei den Worten der Doctora. “Na, wenn Ihr schon wisst, dass die Brautschau ‘ereignisreich’ werden wird, dann freue ich mich umso mehr darauf, dort zu Gast zu sein. Ihr macht mich neugierig.” Was genau seine Meinung so schnell geändert hatte, behielt Nivard für sich und erwiderte Elvans Frage nur mit einem weiteren vielsagenden Lächeln. Die erneut gesteigerte Röte seiner Wangen mochte Elvan und auch Gelda jedoch als vermeintlicher Beleg dienen, dass der junge Schreiber mit seiner angedeuteten Vermutung so ganz falsch nicht lag. In der Tat machte der vermutete Grund, dass er mit dem ausschlaggebenden kräftigen Schubs Travias, stellvertretend ausgeführt durch die Baronin von Ambelmund, zusehends weniger haderte. Auf Geldas Scherz grinste Nivard zurück: "Wenn Du meinst - du musst es ja wissen!" Das Grinsen erreichte aber nicht ganz seine Augenwinkel. Wenn es ihn schon mahlstromartig in diese Brautschau zog, dann, das wurde ihm in diesem Augenblick klar, würde er nur mit einer ganz bestimmten Braut wieder aus diesem Strudel auftauchen wollen. Wenn nur seine Mutter oder die Altenbergs ihm da keinen Strich durch die Rechnung machten. Oder seine Schüchternheit. Oder Gelda selbst. Nivard versuchte, die Zweifel beiseite zu schieben. Wenigstens heute Abend. Als Doratrava mit nachdenklichem Gesichtsausdruck in ihre Richtung blickte, griff er ihren Vorschlag auf: "Es ist keine kurze Reise nach Herzogenfurt, und teilweise führt diese durch wildes Land. Es wäre nur klug, wenn wir uns zusammen täten. Und mir wäre es eine große Freude. Was meint ihr?" fragte er in die Runde, auch auf die Zustimmung der von Altenbergs hoffend. “Wir müssen erst einmal nach Elenvina. Dort reisen wir mit Geldas Familie, meinem Schwager Tassilo und seinen beiden Kindern, sowie mit dem Tempelvater des Traviatempels, seiner Gnaden Winrich von Altenberg. Ich denke, Ihr wärt ohne uns schneller und wahrscheinlich ohne Umstände vor Ort.” Dann schaute sich die Doctora nochmals zur Baronin von Rabenstein hinüber, die ihr gerade zugeprostet hatte. “Euer Hochgeboren, wenn Ihr mich kurz entschuldigen könntet, ich würde gerne die Baronin von Rabenstein begrüßen. Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr mich begleiten, was sagt Ihr?

Reiner Wein und kein Wein

“Eine hervorragende Idee”, stimmte Thalissa zu und erhob sich ebenfalls. Als Tar’anam ihrem Beispiel folgen wollte, winkte sie ab, so dass der Krieger sich mit ausdrucksloser Miene wieder setzte. Nur Melisande huschte wie ein Schatten hinter der Baronin her. Einer plötzlichen Eingebung folgend reichte Thalissa ihren Kelch an ihre Zofe weiter und raunte ihr zu: “Schütte das irgendwo weg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Herr von Rabenstein diesen … Essig trinkt.” Doratrava sah die Altenberger etwas enttäuscht an, aber sie konnte froh sein, überhaupt in adliger Begleitung reisen zu können. Schulterzuckend sah sie Nivard an. “Dann musst du wohl mit mir allein vorlieb nehmen”, kokettierte sie ein wenig mit leicht übertriebenem Augenaufschlag. Allerdings hatten ihre Iriden eine komplett schwarze Farbe angenommen, was den Effekt nicht so recht zur Geltung kommen ließ.  Auch Nivard war ein bisschen enttäuscht. Eigentlich gab es ja keinen Grund für ihn, früher oder schneller in Herzogenfurt ankommen zu müssen oder zu wollen als die Altenberger. Außerdem könnte er sich in Elenvina kurz im Hauptquartier zurück- und den Auftrag der Baronin Wunnemine anmelden - es sprach also sogar einiges für den Umweg. Aber er wollte sich den Altenbergern auch keinesfalls aufdrängen. Also ließ er es erstmal dabei bewenden und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Wer ihn besser kannte, konnte aber spüren, dass auch er sich eine andere Antwort erhofft hätte. 'Wer weiß, wozu es gut ist?' tröstete er sich. "Und du mit mir. Aber ich habe bereits Übung, Dienerinnen der schönen Künste auch alleine sicher durch das Reich zu geleiten. Du kommst sozusagen kostenfrei in den Genuss des Geleitschutzes Plötzbogen." entgegnete er Doratrava. Als er ihr dabei zulächeln wollte, stutzte er jedoch. "Deine Augen...?! Alles... in Ordnung… mit Dir?" “Was meinst du denn mit ‘Dienerinnen der schönen Künste? Geweihte der Rahja etwa?” fragte Doratrava sofort nach, erst dann drang die besorgte Frage Nivards in ihren Verstand vor. Sie legte sich unwillkürlich eine Hand auf die Stirn, so dass die Augen verdeckt wurden und zuckte ein wenig zusammen. “Ich … was ist denn diesmal mit ihnen?” flüsterte sie verlegen und selbst ein wenig besorgt, damit nicht noch die anderen Tischgäste aufmerksam machte.  “Sie haben die Farbe gewechselt, sie sahen so dunkel aus.”, sagte Gelda. “So lange nichts weh tut, ist bestimmt alles in Ordnung.” Mit sanften Druck fasste die Altenbergerin nach Doratravas Hände. “Keine Angst, lass mich mal schauen”, sagte sie mit beruhigenden Ton. Huh, Gelda hatte es also auch gesehen. Doratrava nahm die Hand herunter, dann war es ja auch egal. Ihre Augen, vielmehr ihre Iriden, waren noch immer so schwarz, dass man die Pupillen gar nicht erkennen konnte. “Ich ... “, begann Doratrava stockend, aber immer noch so leise, dass es hoffentlich niemand außer Gelda und Nivard hören konnte. “... mir geht es gut. Ich … bemerke das selbst nicht. Aber manchmal … manchmal fällt es den Leuten auf, und dann … ist es schon vorgekommen, dass ich als Hexe beschimpft und aus einem Dorf verjagt worden bin und froh sein konnte, mit heiler Haut davongekommen zu sein. Dabei … ist das halt einfach so, ich kann es nicht steuern und ich kann nichts dagegen tun. Aber nein, ich spüre nichts dabei, es geht mir gut, mir tut nichts weh. Ich … will nur nicht, dass … ihr denkt hoffentlich nicht, ich sei eine Hexe oder sonstwas Schlimmes?” Doratrava hatte den Blick in die Gesichter ihrer Freunde während dieser Rede vermieden, doch nun suchte sie zaghaft den Blickkontakt. Tränen standen in ihren Augen. Gelda lächelte sie an und griff sich eine Strähne aus ihrem Haar. Die kupferrote Farbe schimmerte im Licht. “Ha, was ich mir immer anhören muss, wegen den ihr. Mach dir keine Sorgen, du bist unter Freunden. Und du bist doch auch was besonderes. Und nun weg mit den Tränchen!”, sagte sie tröstend.  Der Gedanke, Geldas kupferrotes Haar als verdächtig ansehen zu können und nicht einfach nur dessen Schönheit zu bewundern, oder Doratrava als Hexe anzufeinden, war ihm gar nicht gekommen. Wahrscheinlich, nein sogar ganz sicher, waren seine Maßstäbe - der er eine Nixe zu seinen Vertrauten zählte - aber auch nicht oder nicht mehr die eines typischen nordmärkischen Dörflers. "Wenn überhaupt, halte ich Dich für eine halbe Eiselfe, aber sicher nicht für eine gefährliche Hexe oder etwas anderes Schlimmes. Und ich bin froh, Dich kennengelernt und zur Freundin gewonnen zu haben." Doratrava rieb sich die Augen, um die Tränen zu vertreiben, dann lächelte sie schon wieder zaghaft, auch wenn das mit schwarzen Augen immer noch ein klein wenig unheimlich aussah. “Ich … danke euch”, sagte sie noch etwas stockend. “Ihr seid wirklich meine Freunde, das … davon habe ich nicht viele. Und die meisten Leute hätten nicht so reagiert wie ihr. Eine Eiselfe habe ich übrigens noch nie gesehen, sehen die aus wie ich?” Aus dieser Frage klang schon wieder deutliche Neugier. "Ich ehrlich gesagt auch noch nicht.” musste Nivard zugeben. “Aber ich habe schon die eine oder andere Erzählung über sie gehört: weißes Haar trotz jungen Alters, eine helle Hautfarbe, wie Alabaster, spitze Ohren, eine unglaubliche Gewandtheit... und magisch schillernde Augen, wie alle Elfen, so wird das Firnvolk beschrieben. Ich finde, da liegt der Gedanke doch nahe? Zumindest näher, als Dich für eine Hexe zu halten, oder?” Doratrava zog die Augenbrauen zusammen, während sie die blasse Haut ihrer Unterarme betrachtete. “Hm”, brummte sie dann unschlüssig. “Aber die meisten einfachen Leute haben vermutlich ebenfalls noch keine Eiselfe gesehen. Wie sollen sie mich da für eine halten? Wobei … die meisten haben vermutlich auch noch keine echte Hexe gesehen, und soviel ich weiß, erkennt man eine solche ja auch nicht gleich. Ach, lass’ uns aufhören, davon zu sprechen, tut mit leid, dass ich damit angefangen habe!” "Mir tut es leid, eigentlich habe ich ja angefangen..." Er hatte sie ja nach ihren Augen gefragt. Nivard wollte Doratravas Wunsch nachkommen und zu einem fröhlicheren Thema wechseln, da tat ihnen bereits Elvan diesen Gefallen: Auch Elvan hielt sich jetzt die Stirn, allerdings aus einem anderen Grund. “Mir kam gerade eine Idee, wie wir zusammen reisen können, wenn ihr möchtet. Du arbeitest doch für den Geleitschutz Plötzbogen. Keiner in meiner Familie fasst ein Schwert zur Verteidigung an. So einen Geleitschutz werden wir auf jeden Fall brauchen. Wir werden dich anwerben, Nivard!”  Elvan strahlte seinen Freund an. Nivard strahlte zurück. "Stets zu Euren Diensten! Und mit der größten Freude!” Dann blickte er zu Doratrava: “Für Dich wäre doch auch eine Route über Elenvina kein Problem, oder?” ‘Wir sehen uns, Jel, das habe ich dir versprochen, nur nicht gleich’, versuchte sich Doratrava in Gedanken zu beruhigen. Laut sagte sie: “Wenn wir dann trotzdem rechtzeitig ankommen, wovon ich ausgehe”, sie neigte den Kopf lächelnd in Richtung der Altenberger, “dann ist das kein Problem. Nur kann ich kein Schiff bezahlen.” Ihr Gesicht verzog sich überlegend, und ein schelmischer Ausdruck schlich sich hinein. “Ihr könntet mich als Unterhalterin anheuern?”  “Mutter hatte ja schon nach deinen Diensten gefragt. Ich denke das ist kein Problem, das du mit uns reist. Aber sei gewarnt. Das Haus Altenberg auf einem Haufen, ist ein eigenes Abenteuer wert. Gelda und Nivard lachten gleichzeitig und bestätigten sich mit einem Nicken. Doratrava lächelte zuversichtlich und ein wenig spitzbübisch. “Dann lasse ich mich mal überraschen. Mit mir auf einem Haufen wird es für euch sicher auch nicht ganz einfach”, gab sie zwinkernd zur Antwort. Innerlich war sie nicht ganz so überzeugt von dem Arrangement, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Das würde eine weite und damit lange Reise werden Sie wäre dann zwar sicher und müsste sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen, aber sie wäre nicht frei, zu tun und zu lassen, was sie wollte. Wenn sie allein schon daran dachte, dass sie ihr morgenmuffeliges Selbst auf so einer Reise kaum vor ihren Gefährten würde verbergen können, wurde ihr ein wenig mulmig zumute. Aber es war nun entschieden, sie würde sich einfach mal auf dieses Abenteuer einlassen.  Nivard war hoch und sichtlich erfreut, wie schön sich auf einmal alles fügte: die Reise über Elenvina, wo er sich ohnehin im Hauptquartier zurückzumelden hatte. Die weitere Gelegenheit, “seiner” Nixe einen Besuch abzustatten und ihr vielleicht sogar seine neuen Freunde vorzustellen. Vor allem aber die gemeinsame Zeit mit Elvan und Doratrava. Und Gelda. Gelda, die  er dann besser kennengelernt haben würde, noch ehe sie in Herzogenfurt eingetroffen wären. "Nicht ganz einfache Reisen sind meine Profession!" Lächelnd hob er seinen Krug: "Auf unser gemeinsames Abenteuer!" 

Innenansichten

“Euer Hochgeboren? Ist etwas unklar?” setzte sie freundlich hinzu, als sie des leicht abwesenden Blicks Wunnemines gewahr wurde. In der Tat war Shanija die Baronin von Ambelmund im Zuge ihrer Ausführungen zunächst recht rasch verlustig gegangen. Bei ihren letzten Worten wurde Wunnemine aber doch wieder hellhörig: “Wie viele Gelenke habt Ihr Euch denn schon… so genau… angeschaut?” fragte sie mit einer Mischung aus faszinierter Neugier und Schaudern. Während die Rabensteinerin auf Wunnemines Antwort wartete, sah sie aus dem Augenwinkel, dass die Doctora von Altenberg zusammen mit der Baronin von Rickenhausen auf ihren Tisch zu kamen. Beide Frauen liefen würdevoll mit ihren prächtigen Kleidern direkt auf sie zu. Maura hatte wie immer ihr Lächeln im Gesicht. Als sie direkt vor den beiden Baroninnen standen, machte Maura einen Schritt zurück und ließ der Baronin Thalissa bei der Begrüßung den Vortritt.  “Hochgeboren von Rabenstein”, nutzte Thalissa auch sogleich die vermeintliche Gesprächspause und neigte den Kopf in Richtung der Rabensteinerin, da sie nicht mitbekommen hatte, dass Shanija gerade etwas gefragt worden war. “Hochgeboren von Ambelmund”, begrüßte sie Wunnemine auf die gleiche Weise. Sie kannte die Ambelmunderin noch nicht persönlich, aber das ließ sich ja ändern. “Würde es den Damen etwas ausmachen, ihren Kreis um mich und die Doctora von Altenberg zu erweitern”, fragte Thalissa dann mit einem gewinnenden Lächeln. Shanija, die gerade der Herrin von Ambelmund mit begeistertem Blitzen in den Augen einen längeren Monolog  gehalten hatte (zumindest stellte dies sich der Rickenhausener Baronin so dar), wandte sich, noch immer mit leuchtenden Augen, den Neuankömmlingen zu. “Euer Hochgeboren, werte Doctora - seid willkommen in unserem Kreis. Wir diskutierten soeben die Unterschiede der Abnutzung von Femur, Tibia und Patella in Relation zum Alter des Studienobjektes. Was ist Eure Meinung dazu?” Auffordernd blickte sie die beiden Damen an. Thalissa setzte sich auf einen freien Platz und bedeutete Melisande, einen Stuhl für Maura zu holen. Dann wandte sie sich mit feinem Lächeln Shanija zu. “Das ist wohl eher das Fachgebiet der werten Doctora, da muss ich passen, fürchte ich.” Dabei klang ihre Stimme nur sehr wenig bedauernd. “Sagt, wie ist der Wein an diesem Tisch? An dem, von dem wir kommen, hält sich dessen Qualität doch sehr in Grenzen.” Sie zwinkerte Shanija zu. “Oh wie spannend. Nun Femur und Patella sind definitive von der Abnutzung im Alter stärker betroffen. Wobei frau auch nicht das Articulatio Coxae vergessen sollte. Aber generell sollten die Tätigkeiten des Studienobjektes beachtet werden.” Lächelnd nahm sie auf dem Stuhl platz, der ihr von der Zofe gereicht wurde. “Ich bin überrascht über ein doch so spezifisches Thema. Seit ihr auch vom Fach, Euer Hochgeboren von Fadersberg?” Ohne den Blick abzuwenden, nahm sie ein Kelch Wein entgegen der ihr gereicht wurde. Das Thema schien doch noch nicht vom Tisch zu sein, stellte Wunnemine mit Bedauern fest. Und wunderte sich, erneut mit leichtem Schaudern, wer sich alles damit in dieser Tiefe beschäftigte. "Das kann ich wohl nicht behaupten. Eher zähle ich zu den Nutznießern dieser Künste. Oder denen, die im Kampfe den Bedarf für diesen schaffen." fügte sie grinsend dazu. "Und Anschauungsmaterial." Sie prostete Shanija und den beiden dazugekommenen Damen zu. War ihre Antwort zu harsch? Ob es heute Abend wohl eine gute Idee war, noch das Gespräch mit Ghambir zu suchen. Sie nahm einen großen Schluck. Die Baronin von Rabenstein trank einen prüfenden Schluck aus ihrem Kelch, ehe sie der Rickenhausenerin zulächelte. “Annehmlich, würde ich meinen. Ein leichter Yaquritaler Sandwein.” Sie blickte in die Runde, traf ein interessiertes Paar Augen und derer zwei höfliche. Mit einem entschuldigenden Blick zu Maura setzte sie schließlich hinzu. “Was haltet Ihr von ihm, Doctora? Und Ihr, Hochgeboren von Ambelmund?” Thalissa lächelte erfreut zurück und ließ sich nun auch davon einschenken. Endlich ein Wein, den man auch guten Gewissens trinken konnte. Wenn die Zwerge es mit der Völkerverständigung ernst meinten, mussten sie noch ein paar Dinge lernen. Da Shanija aber gerade die Ambelmunderin angesprochen hatte, verzichtete sie auf eine direkte Antwort. “Ein angenehmer und die Zunge umschmeichelnder Tropfen, in der Tat.” fand Wunnemine. “Peraines und Rahjas gemeinsame Gaben sind eben doch ein Abbild der Lande, die sie hervorbringen - sie schenken dem Genießer die gleichen Freuden oder aber muten dem Gaumen dieselbe Mühsal zu, die sie auch dem Winzer abverlangen. Dieser hier schmeckt nach Leichtigkeit. Dem süßen Leben in einem warmen und reichen Land. Ganz anders als die erdenschweren oder sogar sauren, vom ehrlichen Kampf gegen die Unbilden der Natur erzählenden Weine unseres Herzogtums.” Sie war diesbezüglich weit weniger wählerisch als wahrscheinlich viele in dieser Halle - in Nordgratenfels war guter Wein noch schwerer zu bekommen als sonstwo in den Nordmarken - genau deswegen genoss sie den hier gereichten besonders.  “Es gibt durchaus auch gute Elenviner - wenn ihr wisst, welchen Winzer ihr fragen müsst, und wenn der Jahrgang stimmt. Nur die Weingüter außerhalb der Stadtmark solltet Ihr tunlichst meiden.” Schmunzelte die Baronin. “Ich bin aus dem Kosch gebürtig - die Weine lernte ich eigentlich erst so richtig während meines Studiums in Vinsalt kennen und schätzen. Doch das habe ich bis heute nicht bereut.” “Da habt Ihr wohl recht”, erwiderte Thalissa mit einem ironischen Lächeln, “doch das hat sich noch nicht bis zu den Zwergen herumgesprochen, wie mir scheint.” Sie sah sich schnell um, denn sie wollte die Gastgeber mit ihrer kleinen Plänkelei nicht wirklich beleidigen. “Ich sprach übrigens vorhin mit der Doctora hier”, sie machte eine vage Geste in Mauras Richtung, “dass wir drei als Kundige der Vinsalter Lebensart uns einmal in Rickenhausen treffen sollten, um diese Kultur zu pflegen.” Ein überlegender Blick traf Wunnemine, doch Thalissa widmete sich nun erst einmal wieder dem Wein. Maura nahm einen Schluck und ließ sich den Wein auf der Zunge zergehen. ”Ein sehr angenehmer Wein. ”, antwortete sie der Baronin von Rabenstein und lauschte dem Gespräch der drei Baroninnen. Bei der Einladung nach Rickenhausen horchte sie wieder auf und wartete die Antwort der Rabensteinerin ab. “Mit großem Vergnügen!” Shanija schmunzelte, und ihre Augen blitzten begeistert. “Und wenn Ihr noch einen passenden Musikanten beisteuern mögt - oder einen geübten Vorträger einiger neuer Romane und Traktate - so will ich gerne meinen Teil zu der Feier beisteuern. Sagt, wann würde Euch dieses Zusammentreffen vorschweben, Euer Hochgeboren?” “Für einen guten Musikanten kann ich sorgen! Die Schwester meines Gatten ist eine erfahrene Bardin, die oft das Horasreich bereist hat. Ach, das wird ein Vergnügen!” Die Doctora strahlte übers ganze Gesicht. Thalissa zog bei der Erwähnung des Musikanten eine Augenbraue hoch, hatte sie doch zuerst an ein einfaches Treffen und keine großartige Feier gedacht, aber dann lächelte sie versonnen. Ja, warum eigentlich nicht. Einen Musiker und Vorträge konnte man auch in kleinem Kreise genießen. “Hm, wir haben jetzt Anfang Rahja, dann habe ich mein Erscheinen bei der Brautschau zugesagt. Ich denke danach, Mitte Travia, wäre doch ein guter, nicht allzu ferner Zeitpunkt, zu dem man noch einigermaßen angenehm reisen kann.” Was man in den Nordmarken so darunter verstand. “Ach ja”, fiel ihr dann noch etwas ein, “das gibt mir genug Zeit, in Vinsalt einmal nachzufragen, was dort in literarischer Hinsicht gerade aktuell ist. Ich bin sicher, mein Bruder Uridor kann jemanden finden, der bis Travia eine Reise in unser schönes Herzogtum auf sich nehmen wird, um uns damit zu beglücken.” Ihre Augen funkelten ein wenig vorfreudig. Mit 'Kennerinnen der Vinsalter Lebensart' fühlte Wunnemine sich definitiv nicht gemeint, auch in der Literatur war sie nur mäßig bewandert. Nur dem südländischen Wein sprach sie ebenfalls gerne zu. Viel hätte sie aber auch nicht beizusteuern, höchstens einen mannigfaltigen Strauß an hochprozentigen Absackern aus der Nordgratenfelser Region, aber ob die zur 'Vinsalter Lebensart' passten... wahrscheinlich wollten die drei Damen, die sich offensichtlich kannten, ohnehin unter sich bleiben. Sie prostete Leodegar zu, der sich, wie er es gerne tat, etwas im Hintergrund hielt und seine Umgebung dafür umso aufmerksamer beobachtete. Er lächelte ihr vielsagend zu. “Im Travia würde bei mir gut passen.”, bestätigte die Doctora. Wie sieht es bei Euch aus Baronin von Rabenstein?” Sie vermied den Blickkontakt zu Wunnemine, war es nicht an ihr, sie dazu einzuladen. “Im Travia ist die Via Ferra bereits zugeschneit.” Shanija seufzte. “Für einige Monde ist dann kein Durchkommen nach Rabenstein mehr.” Sich über den ganzen Winter in Rickenhausen einzuladen wäre doch etwas vermessen - zumal sie dann ihre Kinder über den gesamten Winter hätte in Obhut der Kinderleute lassen müssen, und dies bedeutet hätte, dass die Burg allein in der Obhut der Vögtin verblieben wäre.  “Ich würde den späten Frühling oder Sommer bevorzugen, Euer Hochgeboren.” Setzte sie hinzu. Thalissa zog die Augenbrauen zusammen. Mit dem teilweise rauhen Wetter in den Nordmarken und den Eigenheiten der Geographie war sie noch nicht so gut vertraut. “Hm, das ist schade … “, sinnierte sie ein wenig gedämpft in ihrer Vorfreude. Aber dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf. “Doctora, die Einladung für den Travia steht trotzdem”, beschied sie Maura, während sie sich Shanija zuwandte. “Und niemand sagt, dass wir uns nur einmal treffen können, Hochgeboren. Dann lade ich zum … Ingerimm? … einfach nochmals ein.” Erwartungsvoll sah sie in die Runde. “Ich bin natürlich für beide Treffen offen, Euer Hochgeboren, wie könnte ich das auch ausschlagen.”, antwortete sie höflich. “Aber ein ganzen Jahr, bis ich Euch wiedersehe, Hochgeborene Shanija? Ich hoffe Ihr werdet wieder einmal in Elenvina aufschlagen”,richtete sie ihre Frage an die Rabensteinerin. Ein wenig fing sie an die Baronin Wunnemine zu bedauern, denn keine der Frauen lud sie ein.   “Ich bin häufig in Elenvina. Wenn ich das nächste Mal dorthin reise, schicke ich euch eine Nachricht, Doctora. Wir müssen unbedingt weiter über unsere Studien plaudern - und gerne wieder bei einer guten Tasse Tee.” Kurz umwölkte sich ihre Miene. “Auch wenn es beim leider Plaudern bleiben wird, fürchte ich.” Sie warf einen Blick auf die Gesichter der umstehenden Damen. “Eure Hochgeboren, Euch gilt die Einladung selbstverständlich desgleichen. Wenn Euch Eure Wege nach Elenvina führen, würde ich mich freuen, wenn wir die Gelegenheit zu einer Zusammenkunft nutzen können.” Ohne Sezierbesteck. Mit Tee und Gebäck.  Mit lachenden Augen setzte sie, an beide Baroninnen, hinzu. “Seid Ihr gelegentlich in der Herzogenstadt?  Thalissa prostete Shanija die Gegeneinladung annehmend mit dem Weinkelch zu. “Gelegentlich”, antwortete sie dann nach einem Schluck auf die Frage. “Es ist ein weiter Weg, doch manchmal lässt er sich nicht vermeiden. Mich wundert übrigens, dass eine so große und bedeutende Stadt kein Theater besitzt, geschweige denn eine Oper. Aber das in der Nähe gelegene Kasino, welches Frankwart vom Großen Fluss gegründet hat, das will ich mir endlich einmal ansehen. Insofern wäre ich durchaus geneigt, bald mal wieder in diese Richtung zu reisen.” Sie lächelte die Rabensteinerin und Maura unternehmungslustig an. “Also komme ich vielleicht früher auf Eure Einladung zurück, als man denkt.”  “Ich freue mich.” Shanija ließ sich abermals von dem wirklich feinen Roten nachschenken und prostete ihren drei Gefährtinnen zu. “Das Kasino ist wirklich einen Besuch wert - auch wenn ich erst einmal dort in Begleitung meines Gemahls war.” Der dieses Etablissement aus unerfindlichen Gründen eher zu meiden schien. Allerdings hatte sie finstere Gerüchte von einem Blutbad dort gehört - doch allen genaueren Fragen ihrerseits waren die Leute, die vielleicht etwas wissen mochten - also insbesondere die Büttel, die ihren Gemahl meist begleiteten - unelegant und deutlich ausgewichen. “Elenvina selbst hat aber doch ein Theater, Euer Hochgeboren. An der Kaiserallee, neben dem tulamidischen Teehaus. Es heißt, seine Eminenz von Hardenfels habe es bei seinem letzten Besuch in der Herzogenstadt gestiftet. Ihr müsst es euch unbedingt beizeiten einmal ansehen. Allerdings ist es wirklich nicht auch nur ansatzweise mit den Opern in Vinsalt oder Punin vergleichbar.” Ein leises Seufzen entrang sich ihrer Kehle. Verglichen mit diesen Städten war Elenvina eben doch tiefste Provinz. Vielleicht nicht ganz so schlimm wie ihr heimatliches Koscherland, aber dennoch …  auch abseits der magischen Forschung und Lehre. Sie betrachtete die Ambelmunderin eingehend. “Und wie sieht es mit Euch aus, Euer Hochgeboren? Wann werdet Ihr in Elenvina sein?” Wunnemine merkte auf, als sich das Gespräch wieder mehr ihr zuwandte. Freudig überrascht über die implizit ausgesprochene Einladung entgegnete Sie: "Ich bin leider weniger häufig in Elenvina, eigentlich viel zu selten. Es ist, wie Ihr wisst, ein langer und zwischen Travia und Phex, häufig sogar Peraine, recht beschwerlicher Weg von Ambelmund in die Herzogenstadt." Sie sah in die Runde ihrer Amtskolleginnen und der Doctora. Wahrscheinlich war genau das ihr Fehler: sich in den letzten Jahren bis auf den Kriegsdienst viel zu sehr aus dem Geschehen im Rest des Herzogtums, abseits Ambelmunds und Nordgratenfels', herausgehalten zu haben. Was sie brauchte, waren Verbindungen. Verbündete. Und Freunde. Und in einer Oper oder einem Theater war sie, abgesehen von den Aufführungen reisender Bühnen im Rahmen von Turnieren und Jahrmärkten, noch nie... Dankbar ergriff Wunnemine daher die ausgestreckte Hand: "Aber in den Sommermonaten und in Friedenszeiten will ich Elenvina wieder regelmäßiger aufsuchen. Wahrscheinlich werde ich bereits die Rückreise von dieser Jagd dazu nutzen. Es wäre mir eine große Freude, dies oder einen späteren Aufenthalt mit einem Treffen mit Euch verbinden zu können. Gerne auch zu einem Theaterbesuch." Lächelnd erhob sie ihren Becher. “Dann freue ich mich auf Euren Besuch!” Shanija erhob ebenfalls Ihren Becher und stieß mit den Damen an. Diese Runde versprach eine sehr kurzweilige zu werden - und verhieß ihr noch mindestens einen höchst angenehmen Mond in diesem Spätsommer in der Herzogenstadt. “Auf bald in Elenvina!” Thalissa trank einen Schluck aus ihrem Kelch und sah Wunnemine über den Rand überlegend an. “Hochgeboren”, wandte sie sich dann kurz entschlossen an diese, “Ihr scheint mir den ganzen Abend schon ein wenig … verzeiht diesen Ausdruck: verbissen. Wollt Ihr uns einweihen, welches Problem Euch plagt? Natürlich nur, wenn es Euch genehm ist.” Abwartend lehnte sie sich zurück. Der Schluck Wein wäre von Wunnemines Mund beinahe die falsche Kehle hinab. War die Baronin von Rickenhausen eine so gute Menschenkennerin? Oder war sie selbst so leicht zu lesen? Wahrscheinlich traf beides zu. Und was meinte Thalissa damit? Hatte sie schon ihr vorheriges Gespräch mit Shanija beobachtet? Oder nur ihre gelegentlichen verstohlenen Blicke in Richtung des Grafen wahrgenommen? Wunnemine zögerte kurz, dann entschied sie sich, wenigstens letzteres einzuräumen. "Ihr habt mich ertappt, Hochgeboren! Ich muss zugeben, dass ich leider nicht nur um des Vergnügens der angenehmen Gesellschaft willen hier weile. Obgleich ich den schönen Abend hier in diesem Eurem Kreise sehr genieße, das versichere ich Euch - ich hoffe, bei Euch ist kein anderer Eindruck entstanden.” Dabei blickte sie entschuldigend in die Runde. “Mich treiben auch politische Gründe nach Nilsitz, eine bedeutsame Erbschaftsstreitsache - ihr könnt Euch wahrscheinlich denken, welche - in der ich seine Hochwohlgeboren Ghambir zu sprechen suche. Auch wenn an diesen nur schwer zu kommen ist." “Aber Hochgeboren”, meinte Thalissa beschwichtigend und mit feinem Lächeln, “das wäre das erste Mal, dass auf einem Treffen von Adligen keine Politik gemacht würde … welchen Anlass das Treffen auch immer hätte.” Sie nahm einen überlegenden Schluck, um dann fortzufahren. “An Eurer Stelle würde ich allerdings nichts überstürzen … vielleicht ist dem Grafen ja das Jagdglück hold und er dann morgen Abend in zugänglicherer Stimmung? - Oder geht Graf Ghambir gar nicht mit auf die Jagd?” setzte sie mit einem fragenden Blick in die Runde hinzu.

Ein Treffen zum Tee

Maura lauschte weiterhin den Frauen. Sie war höchst erfreut das die Damen sie in jeglichen Absprachen von Treffen nicht ausgeschlossen hatten. Sie konnte es kaum abwarten wieder mit Shanija bei Wein und Gebäck zu treffen, aber auch auf das Treffen in Rickenhausen war sie sehr gespannt. Langsam nahm das Gespräch hier einen politischen Ton an. Sie wußte, das es jetzt an der Zeit war zu gehen.  Maura goß sich nochmals von dem Wein ein und erhob sich. “Eure Hochgeboren. Ich denke es ist Zeit zu meinen Jüngsten an den Tisch zurückzukehren. Wer weiß was die sonst so anstellen ohne meiner Aufsicht. Es war mir eine Ehre. Wir sehen uns sicherlich später noch einmal.” Sie verneigte sich. Als sie auf dem Weg zurück war, sah sie das der Vogt auf dem Weg zu ihrem Tisch war.  “Sehr gerne, Doctora. Ich freue mich sehr auf eine Fortsetzung unseres Gesprächs zu einem späteren Zeitpunkt.” Shanija blickte mit einem warmen Lächeln der scheidenden Doctora nach. Dieses Gespräch hatte sie wahrlich genossen.  “Nun, Hochgeboren von Ambelmund, dann wünsche ich Euch Glück dabei. Ich habe gehört, der Graf sei sehr in seinen eigenen Angelegenheiten verhaftet.” Wunnemine nickte dankend. Genau das war das Problem. Und damit ihres. Ein unnahbarer, ganz in seinen und seines Volkes Dingen verstrickter Graf. Wenn dieser sich dann wenigstens ganz aus den menschlichen Angelegenheiten heraushalten könnte …, warum musste er nur derart in die Erbfolge Kyndochs eingreifen.’ “Es wird sich eine Gelegenheit ergeben.” schützte sie Zuversicht vor.  ‘Es muss.’

Freuden einer Vögtin

Die ältere Dame und ihre zwei männlichen Begleitern, die aus Elenvina zu diesem Adelstreffen angereist waren, hätte man gut für 3 Generationen derselben Familie halten können. Doch weit gefehlt, war doch einer der Knappe und der andere ein treuer Vasall der Oberrodascher Vögtin Utsinde von Plötzbogen, die es sich natürlich nicht nehmen lassen wollte, der Einweihung der neuen Nilsitzer Jagdhütte beizuwohnen. Sie kam alleine schon deshalb, weil ihr alter Freund Muragosch, ein Angroscho, der mit der Vögtin auf ihrem Rittergut hoch oben in den Ingrakuppen lebte, der Baumeister der neuerstandenen Hallen war. Man konnte der Schwester des Elenviner Stadtvogts ihre 70 Götterläufe, die sie bereits auf Dere wandelte, ansehen. Die Schultern füllten den Wappenrock nicht mehr so prächtig, das frühere Rotblond ihres langen Haares war längst einem erhabenen Grauweiß gewichen, Gesicht, Hals und Hände zierten die Furchen eines bewegten Lebens, das die Ritterin aus einer Ministerialfamilie in den Dienst Graf Ghambirs gestellt hatte. Trotzdem ruhte sich Utsinde nicht auf ihrem Altenteil aus. Im Gegenteil. Die umtriebige Vögin reiste gern, den Winter über traf man sie in Elenvina an, auch pflegte sie rege ihre weitgestreuten Kontakte, nicht nur mit Vertretern des Kleinen Volks. Denen war die Ritterin allerdings sehr verbunden. So zählten viele Angroschim Utsinde zu einer guten Freundin, nicht zuletzt durch ihr formidables Rogolan und ihre den Zwergen nicht unähnliche Art. Auch der junge Nilsitzer Vogt schätzte die alte Menschenfrau sehr. Und ihr Besuch wiederum zeigte einmal mehr deutlich, dass auch Utsinde viel an ihren Beziehungen zu ihren Amtskollegen und den Zwergen des Herzogtums gelegen war.  Utsinde von Plötzbogen erblickte man daher in erster Linie auf dieser Veranstaltung in der Nähe zwergischer Gesprächspartner. An der Seite der Vögtin saß seit dem Beginn des Gelages der alte Baumeister der Nilsitzer Jagdhütte. Der Sohn des Murgasch war ebenfalls Erbauer der Hohen Halle von Oberrodasch. Er kannte Utsinde seit diese als junge Vögtin in die Ingrakuppen gekommen war, hatte bereits ihrem Vorgänger gedient und war für die Ritterin in den vielen Jahrzehnten ein enger Freund geworden. Muragosch selbst fehlten keine zwei Jahrzehnte zum Beginn seines vierten Jahrhunderts an Lebensjahren. Seine Bauten und Schnitzereikunstwerke verteilten sich auf die gesamten Nordmarken, zum Teil auch darüber hinaus. Sein innigster Wunsch jedoch, dass nämlich sein einziger Sohn einst sein Erbe antreten würde hatte sich nicht erfüllt.  Margorix ging seinen eigenen Weg und war nach seiner Lehre nach Zwerch gegangen, um bei einem Angroscho seinen Meister zu machen, der sich auf Wehrbauten spezialisiert hatte. Perilax, Sohn des Pantagrax diente der Markgräfin der Rommilyser Mark als oberster Baumeister und hatte nach Muragoschs Meinung nur wenig übrig für Schönheit. Dass sein Sohn ausgerechnet ihm nacheiferte kränkte Muragosch. Allerdings musste er auch anerkennen, dass Margorix sich einen eigenen Namen machen wollte und danach strebte nicht ewig mit seinem Vater verglichen zu werden. Allein dieser Gedanke tröstete den alten Zwerge, dass er an diesem für ihn so großen Tag auf seinen Sohn verzichten musste, der in der Fremde eine geschliffene Burg wiederaufbaute. “Ach Utsinde”, seufzte Muragosch über seinen Krug hinweg. “Der ganze Rummel hier ist mir doch ein wenig zu viel. Ich freue mich auf die Hohe Halle und meine Berge, den langen Winter und die endlosen Abende vor dem Kamin. Aber das Bier ist gut.” Er nahm einen tiefen Schluck. “Wirst du nach der Feier wieder nach Elenvina gehen oder kommst du mit nach Hause?” “Herrje,” seufzte da die alte Ritterin und schmunzelte dennoch so spitzbübisch wie ein Dreikäsehoch. “wie gern würde ich meiner Schwägerin noch mehr auf die Nerven fallen, aber ich möchte das flattrige Gemüt der guten Perdia nicht noch mehr strapazieren. Wir werden also nach der Feier wieder nach hause reiten. Keine Sorge, mein Lieber,” vertraut legte sie dem Baumeister eine Hand auf den Arm, “da ist es dann wieder ruhig, und wenn du dich so sehr danach sehnst, lasse ich obwohl es Sommer ist, den Kamin in der Halle heizen.” Sie lachte und wurde danach etwas ernster. “Außerdem möchte ich sehen, was der grimmige Herre Firun in seinem diesjährigen Groll mit unserem Rodasch angerichtet hat.” Unserem Rodasch. Utsinde sprach sehr oft und sehr gerne von sich und dem Angroscho wie von einem Gatten, der mit ihr gemeinsam das karge Land unter den Himmeln versah, obgleich die Ritterin und der Holzbaumeister keine waren. Allerdings ließ ihre tiefe Freundschaft in Außenstehenden manchmal den Gedanken aufkommen konnte, dass beide mehr verband, als das.  “Wobei…” Utsinde nahm die Hand von Muragoschs Arm und zog ihren Kelch an die Lippen, nippte kurz. Ihre Augen blitzten auf. “du warst lange außerhäusig, mein Bester… kennst du den Weg überhaupt noch?” frotzelte sie. Muragosch lachte herzhaft. Der Spruch war gut gewesen. Anerkennend nickte er in Richtung Utsindes. “Ohhh nein... Das, meine alte Freundin, wird niemals geschehen. Ich werde nicht vergessen, wo ich herkomme.” Der alte Zwerg seufzte erleichtert und senkte leicht die Stimme, so dass der Ton vertraulich wirkte, indem er weitersprach. “Es ist gut, dass du mit nach Hause komme. In der Tat müssen wir uns einiges ansehen. Die Hohe Halle hat zwar der Schneelast getrotzt, so wie sie es jedes Jahr tut, dennoch gibt es viel zu tun. Zudem brauche ich deinen Rat. Ich habe viele neue Skizzen, die ich mit dir durchgehen muss. Ich hoffe der kommende Winter wird ähnlich lang wie der letzte, ich habe viel zu tun.” "Wem sagst du das." Kurz sah sie sich nach ihrem Knappen um, den sie ausgeschickt hatte, sich beim Tanz zu beteiligen. Darum konnte sie ganz offen sprechen. "Ich weiß, dass der junge Hartsteen die Stadt genossen hat, und dass ihm die Rückkehr in die Kuppen zuwider ist. Ich hege allerdings Hoffnung, dass er sich zurecht findet, wenn er sieht, wie schön der Frühling in den Bergen ist und wie klar und rein die Luft schmeckt, wenn die Herden Jungtiere haben, und es nur so vor Leben in der Ödnis wimmelt. Ich wollte dich in diesem Zusammenhang auch bitten, ihm deine Schnitzkunst nahe zu bringen. Ich dachte an eine Aufgabe für ihn, das Abbild einer Gottheit aus Holz zu fertigen beispielsweise. Er hat sich den Winter über übrigens als gelehriger Schüler, was das Rogolan angeht, gezeigt, nur scheint er noch recht … hm … verkopft. Diese Prinzensache, du weißt schon. Es war immer wieder Thema bislang und ich hätte ihn gerne so, dass er Abstand dazu gewinnt, was seinem gramgebeutelten Geist nur gut täte. Ich würde ihn auch deswegen gerne zeitweise in deiner Obhut sehen." Muragosch nickte sachte und wandte seinen Blick dorthin, wo er den Jungen vermutete. “Hmmm… Einverstanden. Ich werde mein bestes geben alte Freundin. Hoffen wir nur, dass Angrosch ihm zumindest ein wenig handwerkliches Geschick in die Wiege gelegt hat, um meine Geduld nicht allzu sehr auf die Probe zu stellen.” Der alte Angroscho lächelte.  “Keine Sorge, ich zeige dem Burschen schon, dass man manchmal seine Hände machen lassen muss, ohne viel den Kopf dabei zu benutzen. Zeit haben wir genug.  Ja und sein Rogolan werden wir bei der Gelegenheit sicher auch noch ‘verfeinern’ können.” "ich weiß doch, dass ich mich auf dich verlassen kann." Erneut legte sich Utsindes Hand auf den sehnigen Unterarm des Handwerkers. "Schön, dich bald wieder um mich zu wissen. Dein Gebrummel hat mir gefehlt." Sie lachte und strich noch einmal freundlich über die Gliedmaße des Zwergen, ehe sie sich und ihm - in Ermangelung ihres Knappen - selbst zu etwas Süffigem verhalf. "Lass uns nochmal anstoßen auf dieses wunderschöne Bauwerk und seine tatkräftigen Erbauer und darauf, dass an diesem bedeutungswürdigen Orte weiterhin Geschichte geschrieben werden kann. Vielleicht nicht so bedeutungsschwer, wie damals, dafür froh und heiter und, so scheint es mir, wenn ich mich umsehe, wahrlich mit dem Segen unserer aller Götter bedacht… Auf dich, du alter unermüdlicher Schöpfergeist!" Auffordernd hob Utsinde  ihren Krug ihm entgegen. Sie freute sich sehr auf das Kommende. Auf das Fachsimpeln über seinen Entwürfen, die Gespräche am Abend, seinen melodischen Singsang... Ja, sie hatte Muragosch vermisst und obgleich sie jeden Winter getrennt waren, schien ihr die Heimkehr des Angroschos nun längst überfällig. “Auf die Umsetzung von Borindaraxs Traum, die Würdigung der geschichtlichen Leistung - der Unterzeichnung der Lex Zwergia und den Frieden, den sie uns gebracht hat”, stieß Muragosch laut hervor und erhob seinen Humpen. Viele weitere folgen, denn die Umsitzenden vernahmen den Trinkspruch. Leiser und nur an Utsinde gerichtet fügte der alte Angroscho dann mit einem Augenzwinkern an: “Und darauf, dass wir zwei noch viele gemeinsame Sommer in der Heimat verbringen werden.”

Allein unter Barbaren

Der junge Mann, der sich stets einen Schritt hinter ihr hielt und ansonsten dem Geschehen sehr wortkarg folgte, war ihr junger Knappe. Wobei „jung“ im Falle des 16-jährigen hieß, dass er erst „jüngst“ Knappe der Oberrodascherin geworden war. Der Garetier hatte es den Beziehungen seines neuen Stiefvaters, Trishdan von Hartsteen, zu verdanken, das Ende seiner Knappschaft in den Nordmarken verbringen zu dürfen. Natürlich waren die gealterte Utsinde zum einen und die abgeschiedene Bergwelt wie auch das raue Leben in den Ingrakuppen zum anderen ein aus jugendlicher Sicht recht trostloser Ersatz für das Leben am kultivierten Hofe des bekannten koscher Minnesängers Wolfhardt von der Wiesen. Brinjan Nahenial von Hartsteen machte daher nicht zu unrecht den Eindruck freudlos und ernst zu sein, er versah seine Dienste jedoch sehr korrekt und daher zu absoluter Zufriedenheit. Seine Schwertmutter schien einerseits dafür zu sorgen, dass er sich anpasste und fügte und lernte, gab ihm jedoch auch Gelegenheit zur Freizeit, um auf eigene Faust Erfahrung sammeln zu können. Die Geselligkeit von Grüppchen mied der Hartsteen, aber wer ihn allein antraf, dem stand der junge Mann eloquent Rede und Antwort. Der Recke im besten Mannesalter, der die Vögtin und ihren Knappen begleitete, hieß Ronan von Hetzenberg und gehört einem Rittergeschlecht an, das schon immer durch Treue und Dienstbarkeit mit dem Vogt auf Oberrodasch verbunden war. In jeder Generation dienten diesem zwei Ritter des Hauses Hetzenberg unmittelbar als Dienstmannen. Der 40-jährige Ronan tat bei dieser Reise nach Nilsitz zwar auch einen solchen Schwertdienst, doch besaßen die Hetzenbergs dieser Zeit zur Plötzbogen-Vögtin ein so gutes Verhältnis, dass er den Dienst mit großer Freude ausfüllte. Zumal die Reisen mit der Frau Utsinde immer interessant waren und von angenehmer Kameradschaft geprägt. Manches Mal hatte er schon fast vergessen, dass er mit seiner Herrin zu Tisch oder ums Lagerfeuer saß, weil diese es geschickt verstand, trotz vorhandener Hierarchie ein angenehmes, familiäres Miteinander zu schaffen. Dies war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass man in Oberrodasch gemeinsam fernab anderer Herren und Siedlungen lebte und daher vieles im Leben miteinander teilte, sondern auch, dass die Vögtin neben Rondra auch Travia sehr verehrte und so viel Wert auf ein gutes Miteinander legte. Ronans Vater Faldor zählte zu den engen Vertrauten der Vögtin und ihres Gatten, er hatte mit letzterem sogar im Alberniakrieg gekämpft, ihn dort sterben sehen. Auch Ronan hatte eine intensive Freundschaft aus Kindertagen mit Wido, dem Sohn der Vögtin, verbunden. Leider sollte auch dieser im Krieg gegen die abtrünnigen Nachbarn sein Leben lassen. Anders als sein Vater war Ronan jemand, der gerne nur still dabeistand (er kam darin eher nach seiner Mutter, musste man sagen) und so sah man ihn auch in Nilsitz lieber aus dem Hintergrund ein Auge auf seine beiden Schützlinge zu haben. 

Vögte, Krieg und Frieden

Nachdem sich die Reihen der Gäste zur fortgeschrittenen Stunde bereits langsam lichteten, kam der Vogt von Nilsitz zum Tisch der Besucher aus Oberrodasch und setzte sich Utsinde mit einem beseelten Lächeln gegenüber. “Nun werte Amtskollegin. Ich hoffe ihr amüsiert euch und habt dem grandiosen Essen unserer Brüder und Schwestern aus dem Kosch reichlich zugesprochen. Ich für meinen Teil werde die Treppenstiege hinabrollen müssen fürchte ich.”  Borindarax seufzte und kramte seine Pfeife samt einem Tabakbeutel aus einer kleinen Tasche an seinem breiten Gürtel. “Bleibt nur noch zu hoffen, dass morgen auch alles so reibungslos läuft wie heute.” “Ich gebe zu, ich habe auch über meinen Hunger gegessen.” Utsinde klopfte sich auf den Bauch. “Ich muss aber auch sagen, dass ich hier keine horasischen Gaumenzäpfchenkitzler erwartet habe, sondern gute solide Bingenküche und von der kann man ja immer etwas mehr essen.” Sie schmunzelte und kam auf die Sorge ihres Gegenübers zurück. “Der Herre Firun wird es sich sicher nicht nehmen lassen wollen, die Jagdgesellschaft vor angemessene Herausforderungen zu stellen. Immerhin feiern wir die Einweihung einer Jagdhütte!” Kurz dachte sie angestrengt nach, was der Vogt ihr durchaus ansehen konnte. Dann beugte sie sich Borindarax entgegen und senkte für den Moment die Stimme. “Was sind schon ein paar verstörte Keiler im Vergleich zu Kreaturen des Jenseitigen.” Was Utsinde aus Höflichkeit nicht sagte, war, dass sie ihren Ritter angewiesen hatte, diskret die Augen offen zu halten. Nickend bestätigte Borax die Worte seiner alten Amtskollegin. “Dem ist so”, entgegnete der Zwerg nach einer kleinen Pause und deutlich belegter Stimme. “Ich war nach jenen Ereignissen sehr erleichtert wieder in Senalosch zu sein und bin tatsächlich einige Tage nach Rogmaratosch ‘geflohen’. Im Schoße meiner Sippe habe mich einem Angroschgeweihten anvertraut. Wir Kinder des Weltenbauers mögen zwar keine Alpträume kennen, da der Allvater uns schlafen lässt wie die Steine, das heißt aber nicht, dass uns solche Erinnerungen nicht plagen können. Wie steht es mit euch, plagen euch solche Dinge?” "Ich weiß nicht. Beschäftigen, ja. Definitiv. Ängstigen, ja, in gewisser Weise auch dies. Aber plagen? Ich habe meinen Mann und meinen Sohn in einen Krieg geschickt, der ihnen beiden das Leben kostete. Das plagt mich. Mich plagt auch zunehmend das Alter," sie lächelte, "doch sind wir mal ehrlich, Herr Borax, der Kampf gegen solch dunkle Mächte braucht gesunde junge Arme und Herzen, und weniger das eines alten Weibleins. Wir Nordmärker haben schon einer Menge Gefahren die Stirn  geboten, und daher bin ich froh zu wissen, daß wir diesem Gesindel auch früher oder später den Garaus machen. Es ist auch eine beruhigende Tatsache zu wissen, dass ich zu unwichtig bin für diese Brut. Das lässt mich gut schlafen. Das heißt nicht, dass ich nicht auch gern wüsste, wo die Quelle, die Wurzel diesen Übels ist." Nachdenklich nickte der Zwerg über die Worte der alten Vögtin, in denen er viel Weisheit erkannte. “Wohl denen, die ihre Heimat fern der großen Städte wissen, wo sich dieses Grauen unbemerkt laben kann. Einmal mehr bin ich froh, dass Senalosch am Hang des Eisenwaldes, im Isenhag liegt, weitab von Elenvina und Albenhus. Doch der Friede mag trügerisch sein. Ich habe im Gefühl, dass wir noch mehr solcher Schrecken werden erleben müssen, bevor wir es vermögen deren Wurzel auszureißen.” "Da könntet ihr recht haben. Es hilft allerdings auch nichts, den ganzen Adel und das Volk in Aufruhr deswegen zu versetzen. So manches Gemüt bleibt besser kühl. Und so manches Wild wird ohne viel Aufsehen erlegt. - Ach, da wir es davon haben," änderte die Plötzbogen charmant das Thema, während sie Borindarax mit einem sanften Lächeln beschenkte. "Da seid Ihr nun im Besitz der wohl beispiellos prächtigsten  Jagdhütte Deres. Ich hoffe doch, ihr findet ein schönes Plätzchen für den Steinbockschädel, den wir euch aus den Kuppen mitgebracht haben." Die neue Gesprächsrichtung schien dem Zwergen recht zu kommen, denn es zeigte sich wieder ein Lächeln in seinem Gesicht. “Dessen seid versichert. Da es ein persönliches Geschenk ist, wird aber wohl nicht hier seinen Platz finden”, sagte Bordindarax mit einem schweifenden Blick durch die Halle, “sondern in mein Arbeitszimmer.” Mit einem selbst amüsierten Schulterzucken fügte er an, “darin halte ich mich ohnehin bedeutend mehr auf als hier. Dort habe ich mehr von eurem Geschenk. Dabei fällt mir ein- ich plane im Rondra ein weiteres Treffen der gräflichen Vögte, Themen gibt es genug. Ich hoffe ihr werden auch dann wieder meine Gäste sein. Der Sohn des Gurthag und der Sohn des Burgamon haben mir bereits zugesagt”, erklärte der Vogt, dass ihre Amtskollegen aus Wedengraben und Brüllenbösen kommen würden. "Im Rondra? Hm," Utsinde kniff nachdenklich die Augen zusammen. "Wann genau plant ihr das Treffen? Ich komme, wie Ihr wisst, sehr gerne. Mein Knappe und ich haben nur bereits Mitte Rondra eine Verpflichtung, die uns nach Burg Hutt ins Garethische führt. Eine wichtige Hochzeit in Brinjans Familie."  "Nun, neben der Weiterverfolgung unserer bisheriger Themen gibt es einige neue, die es zu bereden gibt. Unser Amtskollegen aus Wedengraben legt zum Beispiel einen Bericht zu den bereits im Greifenspiegel erwähnten Wilderern vor, die entlang der Opferschlucht wiederholt ihr Unwesen getrieben haben. Auch mir sind solche Berichte zugetragen worden, will heißen,  dass auch in Nilsitz widerrechtlich Jagd auf Großwild gemacht wird." "Hm. Ich hörte vereinzelt darüber." "Vom Hofe des Grafen in Calbrozim habe ich über einige Pläne Ghambirs beziehungsweise des Rogmarog zu berichten. So werden in den kommenden Monden unter anderem Prospektoren aus Isnatosch entstand, um alte Tunnelzugänge im gesamten Isenhag in Augenschein zu nehmen. Das Tunnelnetz wird instandgesetzt und die entsprechenden Karten, in denen es verzeichnet ist aktualisiert. Daraus soll auch ein lokaler Notfallplan erwachsen, der es möglichen machen soll abgelegene Dörfer im Falle von zum Beispiel Schneekatastrophen besser versorgen zu können. Dies betrifft vor allem die zentral gelegenen Gebiete des Isenhag wozu auch Oberrodasch gehört." "Aha." Utsinde Einwurf war nicht zu entnehmen, ob ihr diese Pläne gefielen. Sie machte eine Handbewegung, um ihrem Gesprächspartner anzudeuten, dass sie sich zu späterem Zeitpunkt dazu noch einmal äußern wollte, aber erst noch abwartete, was ihn sonst noch auf dem Herzen lag. "Ja und dann werde ich euch von einer weiteren, kleinen Träumerei erzählen und mit euch darüber diskutieren." Borax lächeln würde breit. "Ich möchte ein kleines Turnier vor den Mauern von Senalosch abhalten." "Ein Turnier? Hier?" Das Erstaunen war der Vögtin anzusehen. "Krieger meiner Rasse und Ritter der euren sollen sich im Fußkampf miteinander messen, aber auch einen Tjostwettbewerb soll es geben. Einladen möchte ich nur die Ritterschaft des Herzogtums. Das Turnier soll also lediglich lokale Reichweite besitzen, aber ich denke selbst dieses Vorhaben ist bereits ambitioniert." Der Zwerg beugte seinen Kopf leicht seitlich und blickte kurz an Utsinde vorbei in die gut gefüllte, große Halle. "Aber bei der Strahlkraft, die die Einweihung der Jagdhütte erreicht hat, mache ich mir vielleicht nicht ganz unberechtigte Hoffnung, dass wir ein Teilnehmerfeld erzielen können, indem sich klangvollen Namen wiederfinden. Auf euer Haus setze ich dabei natürlich ebenfalls, Hochgeboren." Jetzt lachte Utsinde auf. "So so? Ich werde es ausrichten. - Aber jetzt mal ernsthaft, Borindarax." Sprach sie den Nilsitzer vertraut an und beugte sich ihm entgegen. "Eine Tjoste? Ihr würdet in Konkurrenz mit all den schon bestehenden und wohl etablierten Ritterturnieren des Adels treten, was hieße, dass viele eurer Brüder und Schwestern aus dem Volke der Angroschim doch wieder nur Zaungäste wären. Wollt ihr das bezwecken? Kaum, wie ich denke. Hm. Ich verstehe euren Traum. Er ist nicht umsonst geträumt, denn wenn ich mir etwas für Senalosch vorstellen kann, dann, sich gegen Schatten Xorloschs abzuheben, in dem ihr Kontakt zu den Meinigen sucht. Wie es schon immer Senaloschs Art war." Sie zwinkerte dabei schmunzeln. "Doch lasst mich einen Vorschlag machen:" Utsinde schien sich tatsächlich von seiner Idee inspiriert zu fühlen, denn in ihrem Blick stand Begeisterung, aber auch ihre ganze Erfahrung aus einem langen Menschenleben heraus: "Macht ein reines Fußwaffenturnier daraus. Kämpfe mit leichten und schweren Handwaffen. Dies ergänzt um einen Wettbewerb mit Wurfwaffen. Der Vorteil liegt doch auf der Hand, mein Freund, ihr sprecht all jene Angroschim an, die sich an einer Waffe mit anderen messen wollen, gleich ob sie die Ogerschelle, das Kriegerschwert oder die Wurfaxt ist, zusätzlich dazu ladet ihr menschliche Waffengänger ein, sich im freundschaftlichen Wettstreit dazuzugesellen. Das ist ganz im Sinne dieses Ortes hier, nicht wahr. Spart euch das Gold, das ihr einem Lanzenplatz Rechnung zahlen müsstet. Es gibt schon so viele Ritterturniere. Es gibt auch das Schützenfest in Gratenfels. Aber," und hier leuchteten Utsindes Augen, "ein Handwaffenturnier, das  Angroschim und Menschen, und davon noch Adlige UND Gemeine auf Turnierboden versammelt, DAS gibt es noch nicht! DAS wäre wahrlich etwas Neues! Ich finde ja, dass die Zeit für so etwas längst gekommen ist. Denkt nach! Wie oft sind wir in der Vergangenheit Seite an Seite gestanden gegen das Böse. Warum nicht mal in schöner Weise das Fest der Waffen feiern?" Etwas zerknirscht nickte der Vogt verhalten auf die Rede seiner Amtskollegin hin und sann dann eine Weile nach, bevor er eine Erwiderung gab.  "Ihr habt recht." Nochmals nickte der Vogt von Nilsitz, diesmal jedoch schon überzeugter als zuvor. "Eben darum, weil ich häufig etwas zu enthusiastisch bin, wollte ich dies Thema zur Sprache bringen. Eure Einwände sind berechtigt und die Vorschläge, die ihr gemacht habt finden mein Gefallen. Ja, ich denke es gibt genug Disziplinen abseits der Tjoste, in denen sich Krieger, Ritter und Gemeine hervorragend miteinander messen können.  Neben Einhand- und Zweihandwaffen würde ich dazu auch den waffenlosen Kampf zählen wollen. Oberst Dwarosch bildet die Seinen im Ringen aus. Ich denke dies birgt ebenfalls Potential Anklang bei den Zuschauern zu finden. Ich wohne diesen Übungen gerne bei, am Rande des Feldes versteht sich." Ein verschmutzte Lächeln huschte über das Gesicht des Zwergen.  "Wurfwaffen, allen voran die Axt, sollte man ebenfalls nicht vergessen, vollkommen richtig. In einer Sache würde ich euch jedoch widersprechen wollen, denn in der Stadt in der die so berüchtigte und bewährte Eisenwalder gefertigt wird, darf ein Wettbewerb nicht fehlen, der der Schusswaffen." Borax klatschte begeistert in die Hände und rieb sie im Anschluss feixend aneinander. "Welch schöne Vorstellung."  Utsinde nickte. "Wohl wahr. Ein erbauender  Gedanke, und ich gebe zu, dass ich es schwer nur hinnehme, dass unserer hübschen Idee erst Planungen  folgen müssen, während Zeit übers Land geht. Ich hätte Euch zu gern morgen schon beim Ringen applaudiert." Dabei grinste die Vögtin ihren Amtskollegen schelmisch an und wiegelte im nächsten Augenblick entschlossen ab, als sie meinte, eine neue Idee im Gedicht des Angroschos bemerkt zu haben.  "Oh-ho-ho nein, meine Zeiten als Wettkämpferin sind lange schon vorbei. Dieses Feld überlasse ich gerne den Jüngeren. Es gibt zu viele, die noch nicht oft genug Dreck gekostet haben. Ich werde  allerdings sehr gerne einen Preis stiften. Ihr habt mein Wort." “Schade, mit euch hätte ich mich sehr gerne im Ringen gemessen, wo wir es doch ab und an zumindest mit Worten tun.” Daraufhin lachten sie beide.

Korgefällige Streiter

Der Oberst der Eisenwalder, an dessen Seite sich die Borongeweihte Marbolieb befand, gesellt sich zum Korgeweihten Radomir von Tandosch, von dem bekannt war, dass er ein enger Freund des Sohnes des Dwalin war. Die beiden teilten offensichtlich nicht nur die Verehrung für den Gott der Schlachten, sondern auch eine ausgeprägte Vorliebe für Bier und Gebrannten, welchem sie schon vor dem Essen reichlich zusprachen. In ihrer Nähe war es zumeist laut und die Scherze von eher derberer Natur. Der einäugige Bergvogt von Arxozim aus dem Kosch saß ebenfalls bei Dwarosch und den beiden Geweihten und schien sich sichtlich wohl zu fühlen, auch er leerte Humpen um Humpen und lachte herzhaft mit. Der Sohn des Thorgrimm war wie der Oberst Veteran der Orkfeldzüge, und der Ogerschlacht. Nicht zuletzt deswegen war Dwarosch oft in Arxozim, um seinen alten Freund zu besuchen. Neuerdings ließ er aber in der Zwergenstadt im Berg Götterfirst auch den Geschützmanschaften seines Regimentes den letzten Schliff geben. Als einer der besten Geschützmeister bekannt, die die Angroschim besaßen, übernahm Tharnax diese Aufgabe gern für seinen ehemaligen Kampfgefährten. Die polierte Toschkrilkugel in Tharnaxs linken Augenhöhe indes schaffte es so manchem Gast zu irritieren, reflektierte sie das Licht doch auf eigentümliche Weise, so dass es den Anschein hatte sein Auge würde leuchten. Die kleine Borongeweihte ließ sich vom Oberst auf einen Platz bugsieren und hielt ihr Kind fester im Arm. Der intensive Geruch nach Bier, Waffenfett und Leder sowie die Gesprächsfetzen auf Rogolan, die polternd und unverständlich an ihre Ohren wehten, verrieten ihr die Natur ihrer Tischgenossen deutlich. Dwarosch selbst schien überaus guter Laune - er begrüßte seine Zechgenossen laut und überschwenglich und versank sofort in eine Diskussion mit ihnen in brummelndem Rogolan, bei der es ebensogut um die Qualität des Bieres wie die besseren Taktiken in vergangenen Feldzügen gehen musste.  Marbolieb fing die fingernden Händchen ihrer Tochter ein - Gebranntes und Gebrautes war nichts für das Kind - und zog sich ihre vielfach geflickte Robe enger um die Schultern. Ihre Kapuze kitzelte die Spitze ihrer Nase, so dass nur ihre Lippen sichtbar waren. Der Abglanz eines Lächelns lag darauf, was aber auch ein Spiel der Schatten sein mochte, während sie schweigend und unauffällig den Zechern beim Rauchen - ein guter Tabak, verriet ihr ihre Nase - und Erzählen lauschte. Borix hatte sich, nachdem sich die Gesellschaft ein wenig aufgelöst hatte, mit seinem Humpen auf die Suche nach seinen zwergischen Freunden gemacht. So war er dann nach einiger Zeit, die er bei den Fässern und Schanktresen verbracht hatte, letztendlich bei der Gruppe um Tharnax gelandet. Mit dem vollen Humpen hatte er sich auf einen freien Stuhl fallen lassen, mit den Füßen einen weiteren herangezogen - auf den er dann seine Füße gelegt hatte. Mit einem tiefen Seufzen griff er in seine Gürteltasche und zog Pfeife und Tabakbeutel heraus. Dann stopfte er seine Pfeife und ließ dann seinen Tabakbeutel kreisen. Das war genau die richtige Art und Weise sich über alte Zeiten und geschlagenen Schlachten zu unterhalten.  Dwarosch nahm das Beutelchen mit dem Kraut dankend an und begann seinerseits seine Pfeife zu stopfen. Er hatte den zumeist zwergischen Zuhörern gerade von dem epischen Kampf Radomirs mit dem schwarzen Panther während der Weihe des Kortempels in Senalosch berichtet und lehnte sich nun entspannt zurück.  Diese Chance nutzte Tharnax, um von jenem Tag zu berichten, an dem er von Anshold von Eberstamm den Keileroden hatte angesteckt bekommen. Besonders hob er dabei das ratlose Gesicht des Fürsten heraus, als dieser nachsann, wo am Toschkrilpanzer er den Orden befestigen solle.  Der Oberst, der diese Geschichte schon mehr als einmal gehört hatte ergriff vorsichtig Marboliebs Hand, denn er wollte sie nicht erschrecken und führte seine Lippen an ihr Ohr. “Möchtest du auch von dem Tabak kosten?”, fragte er und berührte dabei in einer vertrauten Geste mit der Nasenspitze den Ansatz ihrer Haare. Die kleine Geweihte fühlte ein wohlvertrautes Kribbeln auf ihrer Haut, dass sich bis in Nacken und Arme fortpflanzte. Wärme kroch über ihre Wangen und breitete sich über ihr Gesicht aus. Marbolieb spürte, wie ihr Gänsepusteln über den Rücken krochen und nickte, in diesem Augenblick ihrer Stimme nicht mehr vertrauend. Dwarosch wusste genau, dass sie gerne einen guten Tabak genoss - doch war es nicht dieser fürsorgliche Gedanke des Oberst, der die Boroni dazu bewog, den Kopf zu senken um bestmöglich die flammende Röte zu verbergen, die ihr Gesicht überzog. Sie strich sich mit der Zungenspitze über ihre geröteten Lippen, ehe sie sich wieder dem Zwergen zuwandte. “Gerne” sagte sie sanft, ein leises, nachdenkliches Lächeln in ihren Mundwinkeln. Als die Gruppe so beim Paffen der Pfeifen saß, begann auch Borix über die vielen kleinen Dinge, die ihm im letzten Jahr in Ishna Mur widerfahren sind, zu berichten. Schließlich hatte er das Amt des Bergvogts und der damit verbunden Aufgaben noch nicht so lange inne. Der Oberst lauschte Borix aufmerksam. Er hatte lediglich davon gehört, dass die Tore der alten Wacht wieder geöffnet worden waren und das sein alter Freund zum Bergvogt berufen worden war. Zeit ihn zu besuchen hatte er bislang leider nicht gehabt. Parallel zu Borix hatte Tharnax eine weitere, recht lustige Geschichte mit einer passenden Pointe beendet, was die meisten der am Tisch Sitzenden herzhaft zum Lachen brachte, als Dwarosch das Kraut entzündet hatte. Genüsslich tat er die ersten, tiefen Züge aus seiner beinernen Pfeife, bevor er sie vorsichtig an Marbolieb weitergab. In dem Moment setzte sich Metenax Einhand ebenfalls zu der lauten Gruppe und hatte auch gleich eine passende Bemerkung parat, die er, um sie allen zugänglich zu machen, nicht auf Rogolan vorbrachte. “Was ist los mit dir, Dwarosch, eine Feier beginnt und du und dein Weib sind anwesend - irgend etwas stimmt hier doch nicht!?” Während Radomir aufgrund des Ausspruchs schallend zu lachen begann und auch der Oberst daraufhin lachen musste, schauten einige der anderen Gäste fragend in die Runde. Sie verstanden den Scherz ganz offensichtlich nicht. So auch Borix, der fragend seinen ehemaligen Vorgesetzten ansah. Die kleine Borongeweihte, die gerade genüsslich einen ersten Zug aus der Pfeife genommen hatte, setzte diese abrupt ab und atmete eine gewaltige Wolke Tabakrauch aus, ihre Selbstbeherrschung darein setzend, nicht laut und peinlich nach Luft zu ringen und zu husten. Sie wurde puterrot, was selbst im unsteten Licht der späten Stunde zu erkennen war, wobei offen blieb, ob die Worte Metenaxens oder die jähe Luftnot, die sie hervorriefen, für diesen Zustand verantwortlich war. Sie legte ihre Hände, die die Pfeife umschlossen, als gelte es ihr Leben (oder als wolle sie das unschuldige Stück Bein erdrosseln) auf den Tisch und holte durstig Luft. Sehr bedacht löste sie eine Hand von der Pfeife, tastete neben sich und legte ihre Finger sanft auf die Pranke des Oberst, ehe sie sich zu ihm umdrehte und mit sanfter, doch für alle deutlich vernehmbarer Stimme antwortete. “Seine Hochwürden hat recht, Dwarosch. Lass’ uns gehen.” Sie lächelte den Angroscho strahlend an und - wartete. Einen halben Atemzug lang hingen ihre Worte in der Luft zwischen den Feiernden. Von neuem begann der Bergvogt von Arxozim zu lachen. Diese Entgegnung rang ihm sichtlich Respekt ab. Für so schlagfertig hatte er die kleine, zierliche Geweihte offenbar nicht gehalten. "Guter Konter", bestätigte er daher.  Der Oberst an Marboliebs Seite schien indes leicht verwirrt. Er beugte sich zu ihr herüber und fragte sie in ihr Ohr geflüstert: "Ist das dein Ernst?"  Marbolieb lächelte - ein kleines, geheimnisvolles Lächeln. Sie mochte es nicht, belacht zu werden - vor allem nicht von ‘ihrem’ Oberst. Das Fest würde wie beim letzten Mal damit enden, dass Dwarosch sturzbetrunken und schnarchend unter dem Tisch lag und sie es selbst unterfangen  konnte, wieder zurück zu ihrem Bett zu gelangen. Damals hatte sie versucht, den selig schnarchenden Zwergen aufzuwecken - vergebliche Liebesmüh, das würde sie künftig unterlassen. Die Al’Anfaner Kirche kannte dem Hörensagen nach eine Liturgie, mit der es möglich war, die berauschende Wirkung verschiedenster Substanzen aufzuheben - etwas, das damals wirklich  nützlich gewesen wäre. Das Fest früher zu verlassen - und damit die Möglichkeit auf einen Rahjadienst mit ihrem in derlei Dingen äußerst zurückhaltenden Liebsten zu erhalten - war eine mehr als verlockende Vorstellung und sorgte dafür, dass Marboliebs Lächeln eine Komponente erhielt, die die Verwirrung des Oberst nicht verminderte.  Sie genoss einige lustvolle Atemzüge lang die Gedankenbilder, nahm einen langen Zug aus der Pfeife und kostete den herben Geschmack des Tabaks auf ihrem Gaumen aus, ehe sie Dwarosch sein Eigen zurückgab. Sanft wie eine Feder berührten ihre warmen Fingerspitzen seine Haut und verharrten einen Lidschlag lang dort. “Feiere mit Deinen Freunden.” Ein ‘später’ würde es nicht geben. Das Leben war kurz, und für das Kriegsvolk kürzer noch als für die meisten.  Die Aussicht, dass diese Runde sich wieder zu einer Feier träfe, schwand mit jedem Tag. Sollten sie ihre Zeit leben und feiern. Auch wenn dies mit mit derben Zoten, brüllendem Gelächter und Strömen von Bier und Gebrautem geschah, wie es eben ihre Art war. Allein, dass dies keine Antwort auf seine Frage war, würde ihr in derlei Dingen unbeholfener Liebster schwerlich bemerken. Während Tharnax sich setzte und die immer noch fragenden Blicke aus der illustren Runde mit einem Grinsen und einer Handbewegung abtat, seufzte Dwarosch innerlich. Dass Weiber sich auch niemals klar ausdrücken konnten. Warum sagte sie nicht was sie meinten, wollten und mit ihren Äußerungen bezweckten. In dieser Hinsicht unterschieden sich menschliche Frauen nicht von Angroschax, jedenfalls nicht signifikant. Es half nichts. Fragen konnte er Marbolieb nicht, denn die würde nur wieder ausweichend antworten. Der Sache auf den Grund zu gehen würde vermutlich zu einer ‘kleineren’ Diskussion führen und höchstwahrscheinlich den Rest des Abends dauern. Diese Alternative kam also auch nicht infrage, zumal der Ort sie von vornherein ausschloss. Was blieb ihm also übrig? Dwarosch hob seinen Humpen, prostete seinen Freunden zu und trank. Dass die daraufhin eher lustig gemeinte Bemerkung den ‘Kern des Problems’ traf, war eher dem Zufall geschuldet, als Dwaroschs Frauenkenntnissen. “Keine Sorge Räblein, du musst nicht wieder versuchen, mich ins Bett zu tragen. Ich bin im Dienst und will während der Jagd auf meinem Posten sein, falls etwas geschehen sollte. Noch drei oder vier Bier, dann ist Schluss und wenn du möchtest, trage ich dich dann aus der Halle.” Die Geweihte schloss einen Moment lang die Augen. Geduld, das war die erste und wichtigste Erfordernis im Umgang mit Männern, Irren und Kindern. Warum wollte Dwarosch nicht einfach die Feier genießen und zechen - und unterstellte ihr statt dessen mit seiner Beschwichtigung, ihm gegenüber nicht aufrichtig zu sein? Erwartete er, sie würde ihm aus selbstsüchtigen Gründen das Zusammensein mit seinen Freunden missgönnen? Welchen Grund sollte sie dafür haben? Was hatte er diesbezüglich mit all seinen anderen Frauen erlebt, das er ihr nicht erzählt hatte?  Sie unterdrückte ein Seufzen, zog ihre Hand zurück und steckte sie in ihren Ärmel. “Ich danke Dir, doch das wird nicht nötig sein.” Entgegnete sie statt dessen mit sanfter Stimme. Das Bier, das sie vor sich hatte, würde kein weiteres zur Gesellschaft erhalten und wäre ganz sicher nicht der Grund, dass sie sich vor aller Augen aus der Halle tragen lassen müsste wie ein Trunkenbold. Sie spürte, wie ihre Tochter sich in ihrem Griff wand und irgend etwas unglaublich Besitzenswertes auf dem Tisch entdeckt hatte - das ebensogut ein Holzlöffel wie ein Schapskrüglein oder ein Fleischmesser sein mochte. Marbolieb fing mit einer eher mechanischen Geste die Händchen ihres Kindes wieder ein. Vermutlich würde sie sich spätestens, wenn die Kleine müde wurde, von einem der Bediensteten in ihr Zelt bringen lassen. Dwarosch selbst übernachtete hier im Wald üblicherweise bei seinen Soldaten. Sie wusste, dass er gerne in der Nähe seiner Männer war, um bei Schwierigkeiten sofort reagieren zu könne. Keine unkluge Entscheidung. Auch wenn sie des nachts seine Nähe vermisste. Sehr. Marbolieb lehnte ihre Wange gegen das Köpfchen ihres Kindes und genoss den Geruch nach kleinem, durchaus zufriedenem Kind - und Schmalzkringeln, mit denen Mirla sich ausgiebig eingedeckt zu haben schien. Mirla befreite eine kleine Faust und schob sich zielsicher den Daumen in den Mund, betrachtete mit großen Augen die verschiedenen Wesen am Tisch und murmelte dann, mehr zu sich selbst, doch von nicht geringer Hoffnung unterlegt. “Gobbihopp?” Das Kind kam ihm irgendwie bekannt vor, hatte er es nicht am Vortag zwischen den Zelten getroffen? Aber da war es dann irgendwie auf den Armen der Doctora gewesen als er es aus den Augen verloren hatte. “Die Kleine ist Eure Tochter?” fragte Borix Marbolieb mehr oder weniger überflüssigerweise. Die Menschenfrau nickte und ein warmes, von Herzen kommendes Lächeln ließ ihr Gesicht aufleuchten. “Ihr Name ist Mirla.” Sie schmunzelte auf die feinen, pechschwarzen Haare des Kindes. “Sie ist in ihrem Entdeckerdrang zur Zeit leider deutlich flinker als ich. Glücklicherweise haben der Herr von Tannenfels und seine Begleiter sie wieder eingefangen. Sagt, Herr Bergvogt, habt Ihr Kinder?” “Oh ja”, nickte der Zwerg. “Aber sie sind schon ein wenig älter als Eure Tochter.” Dann begann er aufzuzählen. “Ich habe vier Söhne und eine Tochter. Wie bei den Angroschim sind die männlichen Kinder meist Mehrlinge - in diesem Fall Vierlinge - und die Mädchen Einzelkinder. Die Jungs sind jetzt auch schon über 50 Götterläufe, aber für einen Zwerg heißt das ja, sie sind gerade der Jugend erwachsen. Borix ist Hauptmann des zweiten Banners Ingerimms Hammer und tritt in meine Fußstapfen. Boram ist Schmied. In Felsenruh, vielleicht habt ihr ihn in Senalosch schon einmal gesehen. Bengurr hat sich dem Handel verschrieben, aber ich konnte ihn überreden mit uns nach Ishna Mur zu kommen. Dort unterstützt er uns als Haushofmeister. Und der vierte ist Baschtaxch, er ist Gelehrter und schon viel herum gekommen. Auch er hilft uns mit seinem Wissen in Ishna Mur. Er arbeitet als Markscheider.” Dann nahm er wieder ein paar Züge aus seiner Pfeife bevor er fortfuhr. “Und unser Nesthäkchen ist Murixe. Sie ist gerade halb so alt wie unsere Söhne. Fast noch ein Kind. Seit gut zwei Jahre ist sie in Xorlosch. Sie vertieft dort ihre Studien in den Geheimnissen der Zahlen.” Marbolieb hielt die forschenden Händchen ihrer Tochter fest, um das Unheil vom Tisch - oder von Mirlas Fingern - fernzuhalten. Das Kind zerknautschte sein Gesichtchen und blickte Borix mit einem zutiefst anklagenden Blick an, in dem alles Leid der Welt geschrieben stand. Schniefend und zunehmend ungnädig holte das Kind Luft. Marbolieb schnupperte, als der würzige Tabakrauch in ihre Nase drang und unterdrückte ein sehnsüchtiges Seufzen. Der Oberst hatte sich derweil aus den von ihm vermuteten häuslichen Verstimmungen taktisch zurückgezogen und stieß mit seinen Freunden an. “Fünf Kinder.” In ihrer Stimme stand ehrliche Bewunderung. “Euren Sohn kenne ich leider nicht - ich war bislang kein halbes Dutzend Mal in Felsenruh unterwegs.” Ein solcher Ausflug bedeutete die Notwendigkeit eines Begleiters und war schon darum selten.  Und er verhieß die Aussicht, dass ihr jemand auf die Füße trat - was in jedem Gedrängel zu passieren schien und angesichts der schweren, genagelten Stiefel der Angroschim kein Vergnügen darstellte. “Aber sagt - was ist ein Markscheider?” Mirla nutzte die Gelegenheit, entschieden gegen den Griff ihrer Mutter anzukämpfen und beugte sich an ihrer Mutter vorbei in Richtung der Halle, aus der sich die ersten Töne eines Pfeifenbalgs über den Lärm der ersten Stimmen erhoben. Borix überlegt kurz. “Ihr kennt Euch mit den Tätigkeiten unter der Erde nicht gut aus, oder? Nun, es ist auch sehr selten, dass sich die Menschen in die Freude und das Glück, dass wir Angroschim in unseren Stollen und Bingen unter der Erde erleben, hinein versetzen können. Aber damit wir unsere Stollen unter der Erde immer in die richtigen Richtungen und mit dem richtigen Gefällen graben, müssen diese vermessen werden.  Nun”, wieder ein Zug aus der Pfeife, “das ist die Arbeit eines Markscheiders.” Die kleine Frau nickte und atmete den Tabakrauch tief ein. Diesesmal war ihr wehmütiges Seufzen hörbar. Sie schloss die Augen und genoss einen Atemzug lang den würzigen Duft. “Wie ist es unter der Erde möglich, Messungen anzustellen, Herr Bergvogt? Ihr seht ja nicht, in welche Richtung Ihr den Stollen zu führen habt?” So ganz vermochte sie sich dies nicht vorzustellen. “Das ist auch nicht so einfach wie es jetzt klingen mag”, meint Borix nachdenklich, “ehrlich gesagt habe ich es auch nicht richtig verstanden, aber es gibt Instrumente, mit denen Baschtasch die Richtung, die Länge und die Neigung der Gänge messen kann. Ihr Menschen nutzt doch auch den Südweiser, um Richtungen zu bestimmen. Dann wird das alles sorgfältig in Karten der einzelnen Teufen eingetragen. So behalten wir einen Überblick über unsere Bingen und sorgen dafür, dass ein neuer Gang nicht im Schlafzimmer des Nachbarn, sondern in der Erzader endet.” Mirla hatte keinen Sinn für derlei hohe Kunst. Zutiefst gelangweilt und verärgert über das Festgehaltenwerden wie auch über den kratzigen Rauch, der ihr in die Augen wehte, holte sie tief Luft, und begann leise, steigerungsfähig und vor allem lang anhaltend zu greinen. Eine dicke Träne bildete sich im Augenwinkel des Mädchens, hing in tiefschwarzen, schier ewig langen Wimpern fest und rollte dann glänzend und kugelrund über seine glatte Kinderwange. Als Borix, das Kind weinen sah, stellte die Pfeife auf dem Tisch ab, holte er wieder den Erbstein aus seiner Tasche und ließ ihn vor Mirlas Augen hin und her kreisen. Das Licht der Fackeln und Kerzen wurde durch den Stein vielfach gebrochen und so blinkte und funkelte der Stein von der Kleinen hin und her.  Wie schon beim letzten Mal verfehlte der Zauber des Steins seine Wirkung nicht.  Mirla schniefte und versuchte ein weiteres Mal, ihre Händchen aus dem Griff ihrer Mutter zu befreien, ehe sie, begeistert von dem Funkeln, sich in Richtung von Borix reckte. Probehalber gab Marbolieb eine Hand ihres munteren Töchterchens frei, mit dem die kleine energisch nach dem kostbaren Stein fischte. Sie lachte, als ein Lichtfunke direkt auf ihrem Arm aufblitzte und mühte sich, danach zu haschen, vollkommen überrascht, als er gleich darauf auf ihrer Hand blinkte. “Es gefällt ihr. Was tut Ihr da gerade?” fragte die Frau mit neugieriger Stimme. “Bergbau ist wirklich eine große Kunst. Ich höre nur von den Wundern im Berg - doch welche Mühen es braucht, sie zu erstellen und zu unterhalten, das wird kaum erzählt.” Sie lächelte. “Lebt Eure Gemahlin ebenfalls unter der Erde, oder besitzt Eure Bergwacht auch oberirdische Gebäude?” Borix musste leise in sich hinein lachen. “Ishna Mur liegt fast vollständig unter der Erde. Nur eine vorgelagerte Mauer, ein paar Ställe und der Wachturm liegt über der Erde. Der Turm ist noch aus alten Zeiten als von Ishna Mur aus das Erz über eine Straße bis an einen Anleger zum Großen Fluss transportiert wurde. Da die Geschäfte nicht nur durch uns Angroschim sondern auch durch Menschen abgewickelt wurden, sind in dem Turm eine kleine Zollstation und ein paar Räume zum Schlafen  untergebracht. Menschen durften einst nicht in den Berg, aber heutzutage sieht das der Bergkönig nicht mehr ganz so streng.” ‘Trotzdem werden wir euch Kurzlebigen sicherlich nicht alle Geheimnisse Ishna Murs auf die Nase binden’, ging es Borix noch den Kopf. Denn noch gab es genügend Geheimes und Unerforschtes, das die knapp 200 Angroschim in der kurzen Zeit seit der Wiedererschließung noch nicht zur Gänze erforscht haben.  Die kleine Menschenfrau hatte aufmerksam den Worten des Bergvogtes gelauscht. Sie bemühte sich, sich die fremdartige Welt einer Zwergenbinge vorzustellen - doch so recht wollte ihr das nicht gelingen. Sie hätte recht gut beschreiben können, wie sich die Steine an der Wand der Gästegemächer im Haus des Vogtes zu Senalosch anfühlten - und wusste, wie viele Stufen diese in der Tiefe lagen. Aber darüber hinaus reichte ihr Erfahrungsschatz kaum, obgleich sie schon eineinhalb Jahre in Senalosch lebte. Doch spürte sie auch deutlich den Widerstand in den Worten ihres Gesprächspartners, als er von seinem Heim erzählte. Marbolieb strich über das Köpfchen ihres Kindes und wechselte das Thema - es war nicht ihre Absicht, den Zwergen zu bedrängen, der gerade so freundlich war, sich mit ihr zu unterhalten.  “Was habt Ihr mit Mirla gemacht, das sie so begeistert?” Wiederholte sie ihre Frage, die hoffentlich das Gespräch auf harmlosere Pfade führen würde. Dabei hatte sie mit ihrer Frage vor allem gehofft, den Zwergen dazu zu bringen, von seiner Frau und seiner Familie zu berichten - aber offensichtlich war auch dies ein Thema, über das von einem Angroscho vor Fremden nicht gesprochen wurde. Dwarosch hingegen schien vollauf zufrieden damit, sein Kraut - das sie unter vielen anderen herausgeschmeckt hätte - zu rauchen und erzählte laut und poltern - und auf Rogolan eine Geschichte, bei der es sich um eine Schnurre vom letzten Feldzug oder der Ausbildung seiner Soldaten handeln mochte - oder um etwas ganz anderes. Jedenfalls antwortete ihm dröhnendes Gelächter und das Krachen von Humpen auf Holz - und erzählte, dass er den Geschmack seiner Mitzecher bestens getroffen hatte. Es ging fast im Gelächter und Getöse der Gefährten unter als Borix der Geweihten antwortete: “Ihr habt nur die eine Tochter”, er blickte Marbolieb an und seine Augen begannen vor Glück zu strahlen, “aber wenn Ihr vier Schreihälse hättet, die alle gleichzeitig nach der Brust der Mutter schreien, diese aber gerade nicht da ist, da muss einem etwas einfallen was schnell und sicher wirkt. Und dem Funkeln und Blinken eines schönen Steines kann kein Kind lange widerstehen.”  Und wieder schaukelte er mit dem funkelnden Erbstein vor der Gesicht des kleinen Mädchens hin und her. Die Reflexe huschten über das kleine Gesicht und über die Ärmchen und die Hände, die nach den Lichtpunkten greifen wollten. Marbolieb schmunzelte angesichts der Begeisterung ihres Mädchens und gab auch dessen zweites Händchen frei. Begeistert haschte Mirla nach den Lichtpunkten und quietschte vor Glück, als einer davon auf ihre Nase tanzte und sie versuchte, ihn mit beiden Augen gleichzeitig zu fixieren. Die Wärme in Borix’ Stimme berichtete von der Begeisterung und dem Strahlen in seinen Zügen und riefen ein Spiegelbild auf der Miene der Menschenfrau hervor. “Ihr habt einen Edelstein?” erkundigte sie sich mit einem warmen Lächeln. “Wie sieht er aus?” Ganz in Gedanken schien der Zwerg versunken, dass Marbolieb schon fast glaubte er hätte ihre Frage gar nicht gehört. Er schien ganz auf das Funkeln des Steins und das Glucksen des Kindes fixiert, so dass die Antwort plötzlich sehr überraschend kam. “Es ist kein Edelstein …”, fing er an. “... es ist ein Erbstein. Das ist für einen Angroscho etwas ganz besonderes. Diesen Stein bekommt ein Zwerg, wenn er seine Feuertaufe besteht, wenn er zu einem, wie ihr sagen würdet, richtigen Mann wird. Dieser Stein ist nicht nur ein Edelstein. Es ein machtvolles Artefakt, das uns zeigt wie sehr uns Angrosch liebt. Ein Angroscho trennt sich nie von seinem Erbstein.” Dann blickte er erst auf das sich vor Freude windende Kind und fuhr fort: “Und Ihr seht, dass er die magische Kraft hat, Kinder zu beruhigen!” Er lachte verschmitzt durch seinen kupferroten geflochtenen Bart.

“Ein überaus nützliches Artefakt!” lächelte Marbolieb, sich insgeheim fragend, ob wohl Dwarosch ebenso einen Stein besäße. Sie würde ihn später fragen - oder morgen.  “Welche Farbe hat Euer Erbstein denn? Und wie groß ist er?” Setzte sie neugierig hinterher. Ein dem Vernehmen nach wirklich wundervolles Ding. “Nun”, meinte Borix etwas verwirrt, da er den Stein ja bereits die ganze Zeit vor dem Mädchen hin und her wedelte. “Die Größe könntet Ihr doch selber abschätzen. Und bei Tageslicht schimmert er orange. Aber wenn das Licht durchfällt, dann schillert er in allen möglichen Farben.  Aber seid Euch sicher, kein Erbstein ist wie der andere. Selbst bei unseren Vierlingen sind die Steine ähnlich, aber nicht gleich.”  “Oh.” Marbolieb stutzte. “Es tut mir leid, Herr Bergvogt - aber ich kann nichts sehen.” “Ka roboschan hortiman Angroschin!” entfuhr es dem völlig verdutzten Borix. “Wie Ihr könnt nichts sehen? Ist es hier zu dunkel?”  “Woher soll ich das wissen, Herr Bergvogt?” Antwortete ihm die gleichfalls verdatterte Menschenfrau. “Ich bin blind.” Jetzt schüttelte der Zwerg erstaunt den Kopf. “Blind? Das soll heißen, dass ihr überhaupt nichts sehen könnt? Aber, nein, das glaube ich nicht!” Der Zwerg unterbrach seine Gedanken und fuhr dann schmunzelnd fort: “Das ist ein Scherz, den Ihr mit mir treiben wollt, oder? Was sollte denn eine Blinde bei einer Jagd?” Noch einmal holte er kopfschüttelnd Luft, dann sagte: “Ich habe Euch durchschaut, nicht wahr? Ihr wolltet mich einfach in die Irre führen. Fast hätte ich es Euch auch geglaubt!” 

Marboliebs Gesichtszüge entgleisten. Sie schüttelte fassungslos den Kopf. “Ich gehe doch nicht mit auf die Jagd, was soll ich denn dort?”  Ihre schlanken, schwieligen Hände schlossen sich fester um den warmen, festen Leib ihrer Tochter, die vollauf damit beschäftigt war, nach den bunten Lichtfunken zu haschen, die mit einemmal ihre Bewegung eingestellt hatten. “Ich habe den Oberst begleitet.” fügte sie leise hinzu, als sei das Erklärung genug, wobei auch dies schon in sich eigenartig war - bot sie doch in ihrer alten, abgewetzten Robe und barfuß, wie sie war, einen unschönen Gegensatz zu der kostbar gekleideten Festgesellschaft. “Xorloschoromdra!” sagte Borix bewundernd. “Ihr seid eine starke, tapfere Frau! Verzeiht, dass ich glaubte, Ihr würdet einen Scherz machen. Aber es ist schwer für mich zu begreifen, dass jemand, der nichts sehen kann, so etwas wie dieses Fest mitmachen möchte.” Dann legt er Marbolieb den Erbstein mit samt der Kette in die Hand. “Bitte, macht Euch selbst ein Bild, oh … “, unterbrach er sich verlegen, “... das ist wohl ein falsche Wort, nicht wahr? … einen Eindruck von dem Stein.” Mit einem erfreuten Lächeln nahm die Menschenfrau den Stein in ihrer offenen Hand entgegen und ließ vorsichtig und achtsam die Fingerspitzen ihrer Rechten darübergleiten. Glatt und warm lag er auf ihrer Haut - und glitzernd, leuchtend und in der Reichweite von Mirlas begeistert fischenden Händchen. Mit einem sicheren Griff und einem triumphierenden “Da!!!” schnappte das Kind nach dem Kleinod und versuchte, seiner Mutter die Kette durch die Finger zu ziehen. Vor Freude und Finderglück lachend schwenkte es den funkelnden Stein und sein Gesichtchen zeigte den Ausdruck vollkommenen, reinen Glücks. “Komm, mein Liebling, gib ihn mir.” versuchte Marbolieb Mirla ihren Schatz zu entwinden. Die war überhaupt nicht davon angetan, dieses wunderschöne Funkelding, das die ganze Zeit vor ihrer Nase geschwenkt worden war, wieder herzugeben, und ließ ihn sich nur unwilligst aus der Hand pflücken. Nun erst recht brach das kleine Kind in ein herzhaftes Heulen aus, das sich auch durch das Schaukeln auf den Schenkeln seiner Mutter nicht zur Gänze dämpfen ließ.  Entschuldigend hielt Marbolieb den Erbstein in die Richtung, in der sie die Hände des Bergvogtes vermutete. “Bei Euch ist er sicherer, Herr Bergvogt. Habt Dank dafür.” Ein kurzes Lächeln, fast schon ein Grinsen, huschte über Ihre hübschen Züge und blieb in ihren Augenwinkeln hängen. “Zaudert nicht ob Eurer Worte. Darüber stolpere auch ich noch manchesmal.” “Behaltet ihn”, meinte Borix als er auf des greinenende Menschlein blickte, “bis Eure Tochter eingeschlafen ist. Dann könnt Ihr ihn mir immer noch wiedergeben. Ich glaube nicht, dass er in Euren Händen verloren geht.” Sanft schob er die Hand mit dem Edelstein zurück in Richtung von Mirlas Fäustchen. Die lachte glücklich auf und haschte sofort nach der funkelnden Kostbarkeit. In dem Stein erwachten bunte Funken und sorgten dafür, dass sich das tränenfeuchte Gesichtchen des Mädchens mit einem Strahlen überzog. Marbolieb achtete sorgsam darauf, dass die Kette des kostbaren Steines ihre Finger nicht verließ.  “Ich achte gut auf ihn, Herr Bergvogt” sprach sie leise. “Habt Dank.” setzte sie hinzu, merklich überrollt von der großzügigen Geste Borix’, deutlich gefordert damit, über den Stein zu wachen - den der Bergvogt dennoch unbeschadet zurückerhielt, als das Kind kaum ein halbes Stundenglas später, müde gespielt, sanft in Borons Arme hinüberglitt. Borix bedankte sich herzlich bei Marbolieb. Dann fügte er hinzu: “Ich hoffe, dass Ihr Eure Tochter mitbringt, wenn Ihr uns in Ishna Mur besuchen werdet. Sie ist ein wahrer Augenstern. Aber vielleicht wäre es jetzt besser Ihr bringt das Kind aus der lärmenden Halle solange es noch so friedlich schläft.” Anschließend steckte er den Erbstein wieder in die Innentasche seines Wams und befestigte die Kette vorsichtig, nicht dass das Stück doch irgendwie verloren ging.

Die Rede des Vogts

Die Luft war schwanger vom Rauch unzähliger Pfeifen und dazu fast ein wenig stickig aufgrund der vielen Gäste, die um die große Tafel Platz genommen hatten und darüber hinaus die gesamte Halle bevölkerten. Es wurde getrunken und gelacht, angeregt disputiert, musiziert und gesungen. Im riesigen Kamin der Halle brannte ein Feuer, dessen Schein und Knistern ebenso zur gemütlichen Atmosphäre beitrugen, wie der Kerzenschein der großen Kronleuchter an der Decke der Halle. Kurz bevor das Essen aufgetischt werden sollte stand der Vogt von Nilsitz auf und blickte sich um. Ein beseeltes Lächeln trat in sein Gesicht und die Umsitzenden konnten erkennen wie glücklich, ja gerührt er in diesem Moment war.  Es dauerte ein wenig bis nach und nach Ruhe einkehrte und alle darauf warteten, dass der Urenkel des Mogmarog vom Eisenwald das Wort ergriff, um alle noch einmal offiziell zu begrüßen. Dieser jedoch erkannte, dass nicht alle seine Gäste ihn sehen konnten und stieg kurzerhand auf seinen hohen, kunstfertig geschnitzten Holzlehnenstuhl.  Borax hatte die Lacher auf seiner Seite, was die heitere Stimmung nur noch verstärkte. Der Vogt war sich nicht zu schade für derlei Gesten, die in diesem Falle doch recht praktisch war. Mit lauter, tief tönender Stimme richtete er im Folgenden das Wort an seine Gäste. “Manche sagen ich sei ein Träumer.” Er ließ den Blick schweifen und gab den Worten Zeit zu wirken. Mit gesenkter Stimme fügte er an, “und sie haben alle recht!  Doch egal was sie sagen. Heute! Heute träume ich nicht. Sonst möge mir jemand in den Allerwertesten kneifen.” Wiederum erfolgte Gelächter.  Borax ließ sich seinen Humpen reichen und erhob diesen. Unzählige gefüllte Gefäße wurden in die Luft gehoben. Energischer ging es weiter. “Hier! Wo die Wiege aller Angroschim liegt und einst ein Bund geschlossen wurde, auf dessen Gesetzeswerk das friedliche Zusammenleben unserer Rassen basiert, will ich und ich hoffe wir alle, diesem überliefertem, geschriebenem Wort neues Leben einhauchen. Zu lange währte die quasi Abgeschiedenheit der Angroschim, zu groß war ihre Distanz zu den Menschen, aber selbst auch die Kluft zwischen den Reichen der Völker der Angroschim.”  Zustimmendes Gemurmel und Kopfnicken auch von Seiten der Zwerge war zu vernehmen, während andere deutlich zurückhaltender blieben. “Die große Jagd von Nilsitz soll ein erster Schritt sein diese Barrieren zu überbrücken helfen.“ Borax blickte lächelnd zu Ghambir vom Isenhag, seinem Förderer hinüber und nickte ihm zu. „So lange der Graf mir sein Vertrauen schenkt, werde ich alle vier Jahre in den nilsitzer Wald laden. Dies soll kein einmaliges Vergnügen sein. Nein, wie es in der Tradition meines Volkes ist, plane ich in Jahrzehnten. Mir ist bewusst, dass man Gräben, die im Laufe von Jahrhunderten erwachsen sind, nicht im Sprint zuschütten kann. Doch seid versichert, dass ich sehr beharrlich an meinen Zielen festhalte. Ja, das könnt ihr ruhig auch als Drohung auffassen“, ergänzte er mit einem spitzbübischen Lächeln und erntete wohlwollendes Gelächter.  Dann erhob sich der Humpen des Vogts noch einmal ein Stück höher. “Ich möchte mit euch trinken: Auf den Frieden und daraus resultierend den Wohlstand, den uns die Lex Zwergia gebracht hat!“ “Auf den Bund auf Ewig!” Fügte der Graf von Ferdok mit wohlklingender, tiefer Stimme an und reckte seinen Humpen empor. Krüge wurden gelehrt und mit Wucht wieder auf die Tischplatte abgestellt. Fingerknöchel trommelten bekräftigend gegen das Holz. “Angaruschoromdrosch!” kamen die bestätigenden Rufe vom Bergvogt aus Ishna Mur und wiederholtes “Hoscha reworim! Hoscha reworim!”  Der Vogt blickte sich um, drehte sich auf seinem Stuhl und wies auf die leeren Wände der großen Halle, so dass alle erkennen konnten, dass er noch nicht geendet hatte mit seiner Rede.  “Wie ihr alle sehen könnt fehlt hier etwas. Dies ist eine Jagdhütte und es gibt keine Trophäen. Morgen schon werdet ihr alle Gelegenheit haben dies zu ändern. Seine Hochgeboren, der Jagdmeister ist leider verhindert. Er kann nicht unter uns weilen an diesem großen Tag. Dennoch gilt ihm mein ausdrücklicher Dank, da er mir eine große Hilfe bei der Organisation war. Nach einem kleinen Mahl bei Sonnenaufgang und einem gemeinsamen Gebet an den grimmigen Herren des Waldes werden wir auf die Jagd gehen.”  Ein Witz des Grafen von Ferdok betreffend der frühen Uhrzeit sorgt für Heiterkeit. Borindaraxs lachte daraufhin ebenfalls kurz auf und erhob beschwichtigend die freie Hand. „Keine Sorge, es werden auch zu späterer Stunde Gruppen aufbrechen in die Wälder. Wir wissen ja alle, dass einige Herrschaften den Morgen verfluchen werden, wenn sie erwachen.“ Ein Zugeständnis, was erneut dazu führte, dass Becher und Krüge erhoben wurden. Borax fuhr fort. “Was ihr euch als Ziel erwählt bleibt euch überlassen. Nilsitzs Wälder sind voll von Schwarz- und Rotwild.” Er senkte die Stimme ein wenig und wurde eindringlich. “Nutzt diese Gelegenheit. Lernt euch kennen und schafft gemeinsame Erlebnisse, Erinnerungen, von denen ihr erzählen und zehren könnt.”  Der Vogt ließ die Worte, seinen innigen Wunsch wirken. Dann fuhr er wieder kräftig-humorvoll weiter. “Und sorgt dafür das der Platz über dem Kamin endlich nicht mehr so sträflich leer ist, egal ob das Vieh Hauer oder ein Geweih hat. Hauptsache es ist groß und man kann es essen!” Mit diesen Worten stieg Borax von seinem Stuhl und setzte sich. Fäuste hämmerten donnernd und zustimmend auf die Tische und erneut wurden die Becher gehoben.  Mit dem Erreichen des Höhepunktes der Stimmung an diesem Abend wurde das Essen auf großen Tabletts in die Halle getragen. Das Festbankett begann.

Bankett und Spinnensuppe

Borax hatte mehrere Hügelzwerge aus dem Kosch für diesen besonderen Anlass engagiert. Niemand sonst verstand es besser den Geschmack beider Rassen zu treffen. Die erlesenen Speisen wurden dabei in ihrer Fülle nur noch von der Vielzahl an unterschiedlichen Biersorten übertroffen. Die dickbäuchigen Fässer, aus denen der Gerstensaft gezapft wurde, standen fein säuberlich aufgereiht an einer Längsseite der Halle und jedes trug stolz das Brandzeichen der jeweiligen Brauerei auf der Stirnseite über dem Zapfhahn. “Ihr Töchter und Söhne der Berge, ihr seid doch die Größten!”, raunzte da laut eine große Gestalt von einer der Tafeln und stand auf. Es war der Ritter aus Rodaschquell, und mit erhobenem Krug sprach er geradezu feierlich weiter. “Nicht nur, dass ihr diese stinkenden Orks wieder zurück in den Norden geprügelt habt, die uns hier auf den Geist gegangen sind, nein, ihr haltet auch die Pässe in Schuss, schmiedet die besten Schwerter und versteht zu feiern wie kein anderer.  Solange ich kann und eingeladen bin, komme ich gerne alle vier Jahre hierher, um mit euch zu jagen und zu feiern. Und da erhebe ich viermal meinen Krug drauf, GAROSCHEM!” Er stieß den Bierkrug viermal in die Höhe und rief den zwergischen Gruß dabei, in den nicht wenige Angroschim lachend einfielen. Sie musste sich zusammenreißen. All das Bier, das viele Essen und zu allem Überfluss auch noch die rauchigen Schwaden verbrannter Pflanzen, in viele kleine Pfeifen gestopft …. nein, all das behagte Lianas feiner Nase durchaus nicht. Aber der guten Laune, die hier herrschte, konnte sie sich nicht entziehen. Sie war ansteckend. Vielleicht hätte auch sie ein paar Worte der Dankbarkeit gesagt. Doch  wie könnte sie gegen diesen ohrenbetäubenden Lärm all der Feiernden ankommen? Mit einem stillen, zufriedenen Lächeln verwarf die Rodaschquellerin vorläufig jegliches Ansinnen, den Worten ihres Ritters etwas hinzuzufügen. 

Sehnlichst erwartet

Palinor saß nervös auf dem Platz seines Vetters und schielte immer wieder hinüber zum Eingang. Der Rondrageweihte hatte ihm, für den Fall, dass er nicht lebend von seinem Besuch zurückkehren sollte, aufgetragen beim Bankett das Haus Wasserthal  zu vertreten. Doch die wachsende Sorge Palinors sollte sich als unbegründet erweisen. Wenig später öffnete sich die Tür der Jagdhütte erneut und deutlich zu spät schritt, als wäre dies so in allerbester Ordnung und nach Fug und Recht angemessen, der Baron von Rabenstein, in seiner Begleitung seine Gnaden Rondradin, in die berstend volle Festhalle. Er blickte sich kurz abschätzend um, fand einen Platz in der Nähe seiner Gemahlin, der ihm angemessen erschien, und sorgte mit einer kurzen Geste dafür, dass genug Platz für ihn und seinen Begleiter geschaffen wurde. Er nickte seiner Gemahlin höflich zu, und winkte den beiden Paginnen, die zusammen mit der Knappin brav hinter der Baronin aufgewartet hatten,  Getränke für sich und seinen Begleiter herbeizubringen.  Erleichtert und auch ein wenig verwirrt, verfolgte Palinor, wie Rondradin dem Baron von Rabenstein folgte und sich neben ihm niederließ. Er stand auf und ging hinüber zu seinem Vetter, um seiner Aufgabe als Knappe nachkommen zu können.  Der Rabensteiner ignorierte den Jungen geflissentlich - dass es sich um einen Verwandten des Rondrageweihten handelte, hatte er bereits mitbekommen, was für’s Erste ausreichen mochte. Er blickte Rondradin an und hob seinen Weinkelch. “Auf Euer Wohl!” “Und auf Eurer Wohl!” erwiderte Rondradin den Trinkspruch, den ihm von einer der Paginnen dargereichten Weinkelch erhebend. Palinor indes nahm seinen Platz hinter Rondradin und neben den Paginnen der Rabensteins ein. Fragen brannten auf seiner Zunge, aber sie jetzt zu stellen war nicht möglich. Sein Vetter war losgezogen den Rabensteiner zu treffen und hatte Vorkehrungen getroffen, falls er dabei sterben sollte, und nun saßen die Beiden nebeneinander und prosteten sich zu. Der Boroni indes schien ganz im Reinen mit der Situation an sich, trank einen Schluck des Weines - der junge Vogt hatte ihm tatsächlich sein eigenes Gastgeschenk servieren lassen - und streckte die Beine aus. Er nickte der Ambelmunderin höflich zu, wandte sich wieder zu Rondradin und fragte “wisst ihr bereits, mit wem ihr morgen jagen werdet?” Der Rondrageweihte stellte den Weinkelch ab, aus dem er gerade getrunken hatte. “Bisher noch nicht. Mit wem werdet Ihr morgen zur Jagd aufbrechen?” wollte er höflich wissen.  “Ich habe Seine Gnaden Radomir, den Geweihten des Mantikor, gefragt. Wollt Ihr Euch uns anschließen?” Nicht ganz ohne Spannung würde diese Konstellation werden - versprach aber deutlich interessantere Einsichten (und deutlich weniger seichtes Geplauder) als andere Alternativen. Die Erinnerung an das heutige Gespräch mit Dwarosch tauchte unvermittelt auf und Rondradin nickte. “Das werde ich sehr gerne.” Die Begegnung mit Radomir würde sicherlich interessant werden. Palinor indes erstarrte bei der Erwähnung des Korgeweihten. Kurz war er ihm in Elenvina begegnet, auch wenn sie nicht miteinander gesprochen hatten. Seine Schwertmutter allerdings hatte kein gutes Wort an dem Geweihten gelassen. Nun ja, aus ihm unbekannten Gründen war sie generell auf alle Tandoscher sehr schlecht zu sprechen. Der alte Rabensteiner nickte zufrieden. “Dann soll es so sein.” Für alles weitere wäre morgen noch Zeit. Wunnemine nickte höflich in Richtung des Barons von Rabenstein zurück, der aber noch ins Gespräch mit einem Rondrageweihten vertieft war. Als sie eine Gesprächspause zwischen den beiden ausmachte, erhob sie ihren Becher in seine Richtung. "Auf Euer Wohl, Hochgeboren von Rabenstein! Es freut mich, dass wir uns auch einmal fernab von Kampf und Tod begegnen." Sie musste kurz grinsen. "Naja, wenigstens heute sind diese fern. Morgen trachten wir ja Hirsch und Schwarzkittel nach dem Leben. Ich vernahm bereits, Ihr würdet auch an der eigentlichen Jagd teilnehmen?"  “Das werde ich.” Der einäugige Baron betrachtete seine Amtskollegin aufmerksam. “Doch gehe ich nicht davon aus, dass mehr als jagbares Wild auf der Strecke bleiben wird.” Der alte Baron schwieg, eine Hand locker auf dem Tisch und ein Bild scheinbar vollkommener Entspannung. “Mit wem werdet Ihr morgen auf die Jagd gehen, Euer Hochgeboren?” „Das will ich ebenfalls meinen.“ entgegnete Wunnemine. „Auch wenn ich mir noch nicht darüber im Klaren bin, mit wem gemeinsam ich dem Wild nachstellen werde. Seid Ihr denn bereits verabredet?“ “Mit den Geweihten der Rondra und des Kor.” Seine Sache, die dem Boroni durchaus zupass kam. “Mögt Ihr Euch uns anschließen?” Die dunkle Stimme des Mannes gab nichts von seinen Überlegungen preis, doch hätte er das Angebot vermutlich nicht gemacht, wenn er es nicht angenommen sehen wollte.  Er strich sich über eine Schulter seiner makellos schwarzen Robe und wischte eine Falte beiseite, die sich in diesem neuen Ornat eingenistet hatte.  “Was ist Euer liebstes Jagdwild, Hochgeboren?” Nachdem die Baronin - es war doch Hochgeboren? - ihn ignorierte und den Baron in ein Gespräch verstrickte, nutzte Rondradin die Gelegenheit und sah sich um. Er erkannte die Baronin von Rickenhausen und ihren Leibwächter, Maura und Elvan von Altenberg in Begleitung einer jungen Dame und Nivard von Tannenfels, die Liana von Rodaschquell und natürlich Shanija von Rabenstein. So sie ihn bemerkten, prostete er Ihnen zu und deutete eine Verbeugung an. Ein Blick hinter sich, zeigte ihm Palinor, der immer noch verwirrt schien und Rhena von Leihenhof, oder war es ihre Zwillingsschwester, welcher er zuzwinkerte. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Bankett  zu und trank noch einen Schluck. Thalissa bemerkte den Rondrageweihten und hob ebenfalls grüßend ihren Kelch, war aber zu sehr in die Gespräche an ihrem Tisch eingebunden und beließ es deshalb dabei. Shanija wurde auf den Gruß der beiden Aufmerksam, hob grüßend ihren Kelch und lächelte sie freundlich an. Ihr Gemahl indessen, der sich mit der Ambelunderin über die Jagd austauschte - etwas, von dem Shanija sich fernhalten würde, es reichte ihr, die unvermeidlichen Blessuren hinterher zu verarzten - hob nur kurz den Kopf, nickte beiden zu und wandte dann wieder seine Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartnerin zu, die nicht mehr den Eindruck machte, ganz so glücklich über diese Tatsache zu sein. “Gerne schließe ich mich Euch an. Bei soviel göttlichem Beistand muss das Jagdglück uns morgen ja hold sein.” Wunnemine war sich bereits, als sie diese Bemerkung aussprach, nicht ganz so sicher, ob diese bei ihrem Gegenüber im richtigen Halse ankommen würde - soweit sie ihn bislang kennengelernt hatte, war der Baron von Rabenstein - wenigstens nach außen hin - wie alle Boroni, die sie kannte, nicht eben für seinen Humor bekannt. Rasch erhob sie daher ihren Becher in Richtung Lucrann, blickte bei ihrem Trinkspruch aber auch zu dem Rondrageweihten neben ihm: “Auf unsere gemeinsame Jagd. Möge Firun uns gewogen sein.” “Um auf Eure Frage zurückzukommen, Hochgeboren: sowohl die Jagd auf den Hirsch als auch die auf das Schwarzwild bereiten mir Freude, mein liebstes Jagdwild aber ist der Auerochse - ein stattliches und wehrhaftes Tier, stolz und unbändig in seinem Zorn, und dazu noch eine große Menge köstlichen Fleisches.” Wunnemine sagte nicht dazu, dass der Auerochse auch nicht so leicht durch einen knackenden Ast oder ein zu lautes Geräusch in die Flucht zu schlagen war wie das Rotwild und überdies recht leicht verfolgbare Spuren hinterließ… “Wie ist es um Eure Vorlieben bestellt auf diesem Felde?” richtete sie die Frage zurück, bezog dabei aber auch den Geweihten der Leuin neben dem Rabensteiner ein. Der alte Baron betrachtete seine Standeskollegin und nickte dann kaum merklich, so, als hätten ihre Worte gerade eine ungesagte Sache bestätigt. “Ich schätze jedes Wild, das sich mit Armbrust oder Klinge erlegen lässt. Jedes hat seine eigenen Herausforderungen und Reize.” Er schwieg einen Atemzug, und setzte dann hinzu. “Nur bei der Falkenjagd werdet Ihr mich schwerlich finden.”  Die Armbrust, innerlich seufzte Rondradin. Bei der Jagd würde er sie akzeptieren müssen. Wobei sich die Frage stellte ob auch die Windenarmbrust zur Jagd gestattet war. In Meilingen war sie seit mehreren Götterläufen verboten. Ein Bolzen hatte das Wild durchschlagen und anschließend einen Unbeteiligten niedergestreckt. Aber das würde er den Vogt fragen müssen. “Um ehrlich zu sein, dies ist meine erste herrschaftliche Jagd. Natürlich haben wir damals in Tobrien auch Jagden unternommen, aber die waren eine Notwendigkeit um unheiliges Gezücht zur Strecke zu bringen und hatten nicht diesen festlichen Charakter. Eigentlich bin ich auf Bitte der Baroness von Meilingen hier, damit mein Vetter die Möglichkeit hat, an der Jagd teilzunehmen.” Der Geweihte deutete auf den jungen Mann, welcher hinter ihm stand und sich nun verbeugte. Wunnemine war nun hellhörig geworden. Sie nickte dem jungen Mann hinter dem Rondrageweihten zu, dann richtete sie das Wort an den Diener der Sturmgöttin: “Ihr stammt aus Tobrien? Wie ist Euer Name? Und was verschlägt Euch in die Nordmarken? Ihr müsst erzählen, mit welcher Art unheiligen Gezüchts ihr Euch in Eurer alten Heimat herumschlagen musstet! Das so zahlreich war, dass ihr es schon als Jagd und nicht mehr als Krieg auffasstet?” Vielleicht war dies kein klassisches Thema für ein Festbankett, aber immerhin saßen mit dem Baron von Rabenstein und ihr Veteranen des Feldzugs gegen Haffax am Tische, die bereits einiges gesehen hatten. Dann fiel ihr noch etwas anderes ein: “In Meilingen gab es doch vor nicht allzu langer Zeit auch einen unheiligen Zwischenfall - habt ihr den miterlebt?” “Mein Name ist Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Pe… von Wasserthal zu Wolfstrutz, sollte ich wohl inzwischen sagen, Knappe der Göttin und Edler von Wolfstrutz. Ihr meint sicherlich die Geschehnisse im Efferd ‘41. Zu dieser Zeit verweilte ich gerade in Tommelsbeuge und konnte leider nicht helfen. Ich muss auch gleich mit einem Missverständnis aufräumen. Geboren wurde ich in Wirselbach, was in der Baronie Riedenburg liegt. Lediglich meine Novizenzeit verbrachte ich in Tobrien, auf dem Kleinwartstein genauer gesagt, und meine Weihe empfing ich in Perainefurten.” Der Geweihte trank einen Schluck um die trockene Kehle zu befeuchten. “Ihr wollt wissen, was wir gejagt haben? Zusammen mit Geweihten Firuns und Ifirns zogen wir gegen Chimären und Daimoniden ins Feld. Nur waren es keine offene Feldschlachten, sondern eben Pirsch- oder Treibjagden. Wie Ihr euch sicherlich vorstellen. könnt, war dies kein Vergnügen sondern eine gefährliche Notwendigkeit.” Er lächelte die Baronin entschuldigend an und sprach weiter. “Verzeiht, wenn meine letzten Worte etwas harsch geklungen haben mögen, bei der letzten derartigen Jagd habe ich gute Freunde verloren.” Eine Frage hatte er noch nicht beantwortet, ging ihm auf. “Nach meiner Weihe wurde ich von meinem Ordensmeister hierher geschickt. Nicht nur in Tobrien gibt es dunkle Bedrohungen, auch in den Nordmarken gibt es genug zu tun,.Wie beispielsweise die Ereignisse in Meilingen zeigen, von den Ihr spracht. "In diesem Kreis braucht Ihr Euch wahrlich nicht für Eure vermeintlich harschen Worte in dieser Sache entschuldigen. Sowohl der Baron von Rabenstein als auch ich zogen gegen Haffax. Wir haben das Grauen 'nur' im Zuge eines Feldzuges und vor allem in der Schlacht gesehen, und doch hat es sich uns unwiderruflich ins Herz gebrannt." Wenigstens für sich konnte sie das behaupten, noch immer wachte sie dann und wann gequält von alptraumhaften Bildern dieser Schlacht auf. "Ihr habt länger mit den Auswüchsen der Niederhöllen leben müssen, seid damit aufgewachsen,  wenn ich Euch richtig verstehe..." Wunnemine starrte nachdenklich in ihren Weinbecher. Im Wein, und noch mehr im Schnaps, lag manchmal auch das Vergessen. Wenigstens kurzzeitig. Wahrscheinlich trank sie seit Mendena zuviel davon. "Auf jeden Fall habt ihr Recht, das Böse lauert auch in unseren göttergefälligen Landen. Und besonders dort, wo man es am wenigsten vermutet. Ich kannte Hechard von Tannenfels etwas, er war bis zu dieser Sache in Meilingen ein untadeliger Ritter aus ebenso untadeligem Hause. Unverständlich... Der älteste Sohn der Edlen von Tannenfels wollte der Sache nachgehen - ich habe aber noch nichts von den Ergebnissen seiner Nachforschungen gehört. Habt Ihr etwas mitbekommen?" Der Geweihte sah die Baronin nachdenklich an und schüttelte dann langsam den Kopf. “Leider weiß ich auch nicht mehr, als das was im Greifenspiegel steht. Allerdings weckt die Beschreibung des Todes von Hechard von Tannenfels Erinnerungen und ich kann Euch versichern, das Übel welches ihn befiel, bringt die dunkle Seite eines Betroffenen hervor. Es bleibt abzuwarten ob er den Fluch weitergab oder ob er mit ihm starb.” Ungewollt kamen die Erinnerungen an diese eine Nacht im winterlichen Gratenfels. Sein Blick verharrte einen Moment auf dem Baron von Rabenstein, der ebenfalls in diese Geschichte involviert gewesen war.  “Es lässt sich leider nicht vom bisherigen Leumund ausmachen, ob jemand  unter diesen Schatten fällt. Sonst wäre es einfach, sich dieser Angelegenheit anzunehmen.” stimmte der Rabensteiner zu. “Wir werden es sehen, ob sich noch mehrere seiner Art hier verbergen - irgendwann fallen sie auf, hoffnungsvollerweise, bevor sie sich zu sehr ausgebreitet haben.” Was der Ambelumunderin nun vermutlich herzlich wenig hülfe. “Wie schätzt ihr diesen Fall ein, Euer Gnaden?” Setzte er an Rondradin gewandt hinzu. “Nun, bis jetzt habe ich von keinen neuen Fällen gehört und ich bin mir sicher, dass die Edle von Steineichenhof ihre Schwester zu Rate gezogen hat, was das weitere Vorgehen im Edlengut angeht. Ihre Gnaden Praiolind Lechmin von Grauningen ist Inquisitorin der Praioskirche, müsst Ihr wissen.” ergänzte Rondradin hilfreich, für diejenigen die es nicht wussten. “Von daher mache ich mir gerade nur wenige Sorgen.” Vor allem, da Praiolind ihn längst kontaktiert hätte, wenn es wirklich noch eine Bedrohung gäbe.   “Es ist gut zu wissen, dass ein Nest ausgetrocknet ist.” Und dass keine ‘Speiseunfälle’ die umliegenden Wälder unsicher machten.  “Lasst uns auf eine erfolgreiche Jagd anstoßen. Ohne ungebührende Verluste.”  Es war immerhin eine angenehme Abwechslung zu den Angelegenheiten, die beide Geweihte ansonsten zusammengeführt hatten. “Auch wenn der Nervenkitzel bei einer Jagd auf Schwarzkittel nicht mit jenem zu vergleichen sein dürfte, was Ihr in Tobrien erlebtet, Euer Hochgeboren.” fing der Boroni auch die Baronin wieder in die Unterhaltung ein. "Auf eine erfolgreiche Jagd. Ganz ohne Verluste!" erwidere Wunnemine den Trinkspruch. Für Nervenkitzel würde hier wohl wirklich nicht die Jagd sorgen. Eher das Gespräch mit Ghambir, so es denn dazu käme. Sie nahm wieder einen kräftigen Schluck. Aber so schlimm wie in Tobrien würde auch dieses nicht werden. Auch Rondradin erhob seinen Kelch. “Auf eine erfolgreiche Jagd. Mögen wir von Verlusten verschont bleiben.” Mit diesen Worten nahm er einen tiefen Schluck. 

Frischer Wind in neuen Mauern

Die Baronin von Rodaschquell war an diesem Abend überall und nirgends. Es bereitete ihr Freude, sich für eine Weile an verschiedene Tische zu setzen - sofern das möglich war - und dort den Gesprächen zu lauschen und sich zu beteiligen. Alte Bekanntschaften wieder aufzufrischen oder zu vertiefen. Und so kam sie nicht umhin, auch am Tisch der Rabensteiner und der Baronin von Ambelmund heranzutreten. “Erlaubt Ihr, dass ich mich für eine Weile zu Euch setze?” fragte sie mit einem breiten Lächeln und blickte in die Runde, die sich soeben zugeprostet hatte. Der Baron von Rabenstein machte eine einladende Geste. “Es wäre uns eine Freude, Euer Hochgeboren.” Die Elfe nickte ihm zu und nahm Platz. “Wisst Ihr, was ich mich schon immer gefragt habe?”, fragte sie dann in einem heitern Ton und blickte die Versammelten mit einem geradezu verschwörerischen Blick und blitzenden Augen an, während das Lächeln noch breiter wurde. Die Anwesenden sahen sie mehr oder minder fragend und neugierig, zumindest aber abwartend an. Liana genoss diesen Moment ein wenig, ehe sie antwortete. Dann hob sie ihren rechten Arm, die Handfläche nach oben gerichtet, und deutete in einem Halbbogen auf die gesamte Halle.  “Können die Angroschim eigentlich singen?”  

Irritiert ob des plötzlichen Auftauchens der Elfe, hob Rondradin den Blick. Seine Miene hellte sich auf. “Eine Freude Euch wiederzusehen, Hochgeboren.” Bei der Frage der Baronin schnellten seine Augenbrauen allerdings nach oben und er starrte sie ungläubig an, unfähig darauf zu antworten. Wunnemines erste Freude, als sich Liana zu ihnen gesellte, wandelte sich in Verwunderung ob deren merkwürdiger Frage. Was bezweckte sie damit? War es alleine elfisch-kindliche Neugier? Wohl kaum... Als die Ambelmunderin der Fragestellung gedanklich nachging, begann diese aber im Zusammenspiel mit dem Wein, der ihr langsam in den Kopf stieg, ihre Wirkung zu entfalten. Die sowohl aus angetrunkener Albernheit als auch ihrem Groll gegen Ghambir gespeiste Vorstellung ebenso schief wie tief in ihre Bärte brummender Zwerge, dirigiert vom Grafen, gleich hier beim Gelage, nahm in ihrem Geiste Formen an. Mit Mühe kämpfte sie gegen die allzuweit und heftig nach oben drängenden Mundwinkel an, schluckte das Lachen, das aus ihr prusten wollte. Als die Schlacht endlich gewonnen war, entgegnete sie, immer noch deutlich erheitert (wenngleich diese Heiterkeit nur ihren Geist, nicht jedoch ihr Herz erfasste): "Eine sehr gute Frage, Hochgeboren! Wahrscheinlich war die Gelegenheit selten so gut wie heute, dies herauszufinden!"    “Ihre Hochgeboren zu Ambelmund hat Recht, Euer Hochgeboren.” Trocken begrüßte der Rabensteiner seine Rodaschqueller Amtskollegin mit einem knappen Nicken. “Ihr solltest dies unbedingt prüfen - so viele willige Probanden wie hier werdet Ihr schwerlich wieder finden.” Seine Miene blieb ausdruckslos, als er die Möglichkeit bedachte, dass er unfreiwilliger Ohrenzeuge dieses Experimentes zu werden drohte. “Andererseits vermute ich nicht, dass die Sangeskünste der Angroschim Euren Ohren schmeicheln würden, Dame Liana. Wägt also weise.” Er musterte seinen jungen Bruder im Glauben, dem ob diesem rapiden Themenwechsel sichtlich die Züge versteinert waren. “Doch so schlecht war der Ratschlag Ihrer Hochgeboren von Rodaschquell nicht, Euer Gnaden. Manche Themen haben später Ihre Zeit.” Der einäugige Baron strich sich überlegend über den Bart. “Sagt, habt Ihr Nachricht von Eurem Mündel aus Albenhus?” Der Angesprochene klappte den noch immer offenstehenden Mund zu und sah zu dem Baron hinüber. “Alrike geht es soweit gut. Sie ist in der Obhut des Tempels in Albenhus, aber sobald die Bauarbeiten in Wolfstrutz abgeschlossen sind, hole ich sie zu mir.” Beim Gedanken an die Kleine stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. “Werdet Ihr sie in Euren Haushalt aufnehmen oder sucht Ihr Pflegeeltern für sie?” erkundigte sich der Einäugige, sinnierend über das versonnene Lächeln im Gesicht seines Gegenübers. “Sie soll Teil meines Haushalts werden. Albenhus ist meiner Ansicht nach kein guter Ort zum Aufwachsen für das Kind.” Ein wenig Verbitterung schwang in seiner Stimme mit und bildete er sich das ein, oder fühlte er ein Stechen im Bein, dort wo ihn die Stadtvikarin verletzt hatte? Der Rabensteiner hob angesichts der Verbitterung in der Stimme des Rondrageweihten eine Augenbraue, beließ es aber für den Moment dabei und wartete ganz offensichtlich auf eine wie auch immer geartete Antwort der beiden Frauen. Wunnemine verfolgte die raschen Themen- und Gesprächspartnerwechsel des Barons mit einer Mischung aus innerlichem Kopfschütteln und weinseliger Belustigung - von leichtem Tischgespräch hin zu schweren persönlichen Themen und zurück. Sie beschloss, sich aus dem erkennbar ernsten Gespräch zwischen dem Rabensteiner und dem Edlen von Wolfstrutz rauszuhalten.  Stattdessen ging sie weiter auf die von Liana aufgeworfene Fragestellung und deren praktische Umsetzung ein: “An wen wollt Ihr Euch denn in Sachen zwergischer Sangesdarbietung wenden?” fragte sie grinsend? “An den Vogt, oder sogar an den Grafen selbst?” Zu letzterem würde sie Liana begleiten [unter Vorbehalt des Ausgangs der Besichtigungsanfrage]. Rondradin gestattete sich ein Lächeln, als er die Frage Wunnemines vernahm. Er sah hinüber zur Baronin von Rodaschquell, gespannt auf ihre Antwort wartend.  Es sah nicht danach aus, als würde dieses unsägliche Thema so schnell versterben. Der alte Baron übte sich in Geduld - eventuell würde es ausreichen, dies einfach und grundlegend totzuschweigen. Da aber Schweigen etwas war, dass kaum eine Dame - und auch die meisten Herren - über die Dauer von einigen Atemzügen hinaus ertrug, war es nur eine Frage der Zeit, bis einer der anderen ein Thema in dem Raum würfe. Höflich ließ er darum den Damen den Vortritt bei diesem kleinen Gespräch, sein Gesicht eine vollkommen ruhige Maske, gelassen und wohlgeübt. Sie hatte es nicht eilig. 

Als sie sich zum Tisch dazu gesellt hatte, strahlte die Dame Morgenrot zunächst den Rondrageweihten nach dessen Begrüßung mit ehrlicher Freude an  und nickte dann Wunnemine zu. “Euer Gnaden, wie schön Euch hier zu sehen! Ich hätte Euch nicht erwartet - und freue mich umso mehr!” Danach hatte sie Platz genommen, nicht ohne zuvor dem Rabensteiner mit einem sehr anmutigen Knicks für seine Einladung zu danken. Den Einwand des alten Barons und seinen zu erwartenden Versuch, ihre Frage schon im Ansatz zu ersticken, hatte sie gelassen abgewartet. Manchmal reichte es, den Dingen einfach seinen Lauf zu lassen. Und ihr zufriedenes Lächeln sprach Bände… Wenn der Rabensteiner weiter hohe Politik oder Grabesstille als Themen bevorzugen mochte, so war dies seine Sache. Aber sie selbst gedachte nicht, ein Fest, das so viele verschiedene Gestalten zusammenbrachte, nur mit schweren Gesprächen zu feiern. “Nun.... ich habe das natürlich schon längst zu erkunden versucht”, hob sie an und blickte zuversichtlich und geradezu verschwörerisch in die Runde. “Es gibt ja auch durchaus viele Angroschim in Rodaschquell. Der Burgschmied auf der Rodaschblick kommt, nach allem was ich weiß, sogar aus Xorlosch. Ich habe ihn schon vor vielen Jahren einmal gefragt, ob denn auch die Söhne der Berge singen.” Sie musste lachen. “Damals war ich noch nicht lange Baronin zu Rodaschquell, und ich wusste nur wenig über die Angroschim. Er hatte kurzes, weißes, struppiges Haar und einen gestutzten Bart, der von etlichen Funken angesengt war. Er machte mir ein bisschen Angst, weil er mir auch nicht gleich geantwortet sondern mich sehr grimmig angesehen hat ... ”  Sie  blickte, ohne den Kopf zu bewegen, in Richtung des Rabensteiners. “Dann hämmerte er weiter auf den Amboss, dass mir die Ohren schmerzten, und murmelte nur: DAS ist mein Gesang!” Sie wartete einen Augenblick, bevor sie fortfuhr.  “Aber ich glaube nicht, dass sie unmusikalisch sind. Ich glaube, jeder kann singen, wenn er ein bisschen Übung hat und es auch selbst möchte. Es gibt nichts … Befreienderes. Ich glaube, vielleicht sollten wir Dwarosch fragen, den Oberst?” “Ich bezweifele, dass dieser ein Sänger ist.” stellte der Rabensteiner trocken fest. “Doch so Ihr den Versuch unterfangen mögt - berichtet mir hernach von dem Ergebnis.” Eine Sache allerdings, die er aus gebührender Entfernung zu würdigen gedachte. "Naja, so schlecht ist der Gedanke nicht, immerhin ist er ein Soldat. Vielleicht singen ja auch zwergische Haufen, wie es die menschlichen ab und an tun, vor allem beim Marschieren. Das mag nicht immer schön sein, dafür aber stets laut." Wunnemine grinste in Richtung des Rabensteiners. “Aber andererseits: wer könnte die Anwesenden besser zum Mit-Einstimmen bewegen als der Gastgeber oder sein Lehnsherr?” “Und vielleicht würden wir uns wundern, welche Talente alles in dem Oberst schlummern… Ich glaube, dass er durchaus ab und an singt und bin bereit, darauf zu wetten. Und ja, ich bin auch gerne bereit, ihn das zu fragen …”, antwortete Liana gut gelaunt. “Und was, mit Verlaub, soll der Preis für den Sieger sein, Euer Hochgeboren?” Es war die spitzzüngige Zofe der Baronin, die sich keck in das Gespräch gemischt hatte. Für gewöhnlich schwiegen die meisten Bediensteten, wenn sie ihre Herrschaften begleiteten und hielten sich schweigsam im Hintergrund. Und dies umso mehr, wenn sie sich in einem Gespräch mit anderen Adligen befanden. Aber klugen Menschenkennern unter den Gästen war längst aufgefallen, dass die Dame Morgenrot einen überaus vertrauten Umgang mit ihrer Zofe pflegte und diese sich bisweilen - im Rahmen der gebotenen Etikette - gewisse Eigenheit erlaubte … Liana sah in die Runde: “Nun, Herrschaften, worauf wollen wir denn wetten, wenn Ihr mögt?” "Wie gesagt, kann ich mir wie Ihr gut vorstellen, dass der Oberst singen kann, zumindest für zwergische Ohren. Ja, das kann er sicher." Wunnemine grinste in die Runde, und ihr Blick blieb zum Schluss kurz beim Baron von Rabenstein hängen. "Doch wenn jemand dagegen wetten will,  so soll der Einsatz sein, dass jeder Wettverlierer ebenfalls in dieser Runde vorsingen möge, eine Weise aus seiner Heimat, hier und heute Abend. Was haltet Ihr davon?" “Der Vorschlag ist verlockend und scheint mir ein guter Einsatz”, sagte Liana heiter und kam nicht umhin, die anderen aus den Augenwinkeln genau zu beobachten. Sie rechnete nicht im Mindesten damit, dass alle anderen Anwesenden auf den Vorschlag Wunnemines eingehen würden. Aber zumindest würde sie das Vergnügen haben, zu erleben, wie sie sich herauswandten …

Von Sang und Wetten

Der Rabensteiner Baron folgte mit versteinerter Miene, wie das Gespräch mehr und mehr in einen Abgrund steuerte. Das helle Blitzen in den Augen der Elfe erzählte nur zu beredet, dass es sich hierbei auch mitnichten um einen Zufall handelte. Etwas anderes hätte er bei Liana von Rodaschquell indes auch nicht erwartet. “Ich werde nicht wetten.” Der Boroni hob einen winzigen Bruchteil eines Fingerbreites sein Kinn. “Doch Euch viel Glück bei Eurem Unterfangen.” Der Blick, mit dem er die grinsenden Damen betrachtete, senkte dennoch die Temperatur im Raum merklich. Der alte Kriegsmann wusste, wann es Zeit für einen taktischen Rückzug war - und genau jetzt war dieser Punkt gekommen. “Ihr entschuldigt mich.” Entbot er den jungen Frauen mit einem höflichen Nicken einen Gruß, blickte sich im Raum um und rief mit einer knappen Handbewegung eine seiner Paginnen herbei, dass diese einen neuen Wein besorge. Für alle Fälle hatte er noch den einen oder anderen Krug eines besonderen Tropfens im Gepäck, und als Notnagel, um diesen sangesfreudigen Damen zu entrinnen, würde er er notfalls auch einen davon opfern.  Rhena, die jäh aus ihren Betrachtungen all der edel gekleideten jungen Herren - und eines gewissen schmucken Geweihten der Rondra gerissen wurde, fuhr zusammen und musste sich erst einen Augenblick besinnen, ehe sie mit einem diensteifrigen “Ja, Herr!” von dannen sprang.  Der Rabensteiner lehnte sich zurück und widerstand dem Drang, erleichtert das Auge zu schließen.  “Trinkt Ihr einen Kelch mit mir?” Erkundigte er sich in Richtung Rondradins.

Der Rückzug des Rabensteiners kam alles andere als unerwartet. Alles, was Freude machte, schien der schweigsame Herr aus dem westlichen Isenhag kategorisch abzulehnen. Oder er hatte schlichtweg grundlegend andere Vorstellungen davon, was Freude machte, dachte die Elfe. Den finsteren Blick des Barons konterte sie mit einem Gesichtsausdruck, der einem Friedensangebot gleich kam. Sie nickte ihm kurz zu. Man durfte es nicht erzwingen. Wenn ihm nicht der Sinn danach stand,  so würde es auch keine Freude machen, ihn diesbezüglich weiter zu bedrängen.  Aber sie würde nicht kampflos zusehen, wie er bei seinem Abgang auch gleich noch den Rondrianer entführte. Sie nahm die Herausforderung an. Abwartend und hoffnungsvoll zugleich blickte sie direkt ins Rondradins Augen. “Ihr werdet uns doch nicht schon verlassen wollen, Euer Gnaden?”, sagte sie mit einer Stimme, die keinen Zweifel daran ließ, dass sie sehr enttäuscht wäre, wenn er nun ginge. Rondradin war dem Baron zutiefst dankbar, für die Möglichkeit, diesem Wahnsinn zu entfliehen. Jedenfalls bis die Baronin von Rodaschquell diesen Fluchtweg verstellte. Die Hoffnung in seinem Blick schwand und machte allmählich etwas anderem Platz. Der Geweihte sah zum Rabensteiner hinüber. “Habt Dank für dieses Angebot, allerdings würde mir Ihre Hochgeboren von Rodaschquell es wohl nicht verzeihen, wenn ich nun gehen würde. Bitte verzeiht, wenn ich hierbleibe.” Der Blick den er dem Baron zuwarf, machte klar, dass er lieber mit diesem gegangen wäre. Der Geweihte erwiderte den Blick der Elfe und in seinen Augen glomm ein kampflustiges Feuer auf. “Wetten stehe ich im Allgemeinen eher skeptisch gegenüber, aber in diesem Fall will ich eine Ausnahme machen. Meiner Meinung nach gibt es nur ein Zwergenvolk, welches sich einer dem elfischen und menschlichen Gehör zugänglichen Sangeskunst befleißigt und dies sind die Brillantzwerge.” Der Rabensteiner hob eine Augenbraue angesichts der beinahe greifbaren Verzweiflung seines bedauernswerten Bruders im Glauben und dessen beginnender Resignation. Fast so etwas wie Mitleid wollte sich angesichts dieses Trauerspiels in ihm breitmachen, wurde aber mit einem geistigen Handwedeln ebenso rasch wieder erstickt, als die Erinnerung an Rondradins ungestümes Temperament, das diesen nicht nur einmal in eine solche Situation getragen hatte, mit dieser ungewohnten Regung rang. “Wenn Ihr eines Weins bedürft - kommt zu mir.” beschied er darum dem Priester der Sturmleuin und winkte seine Knappin herbei, die samt Weinkrug im Sturmschritt durch die Anwesenden brauste und erst langsamer wurde, als sie von ihrer kostbaren Fracht zu verlieren drohte. Es war Eduina, die Zofe der Rodaschquellerin, die nicht umhin kam, etwas einzuwerfen: “Nun, wenn das so ist, Euer Gnaden, dann hätte Ihre Hochgeboren die Wette ja schon gewonnen. Immerhin sind die Brillantzwerge ja auch Angroschim”, bemerkte sie gewohnt spitzzüngig. Liana winkte ab und lächelte dem Geweihten versöhnlich zu. Dass er sich unwohl fühlte war das Letzte, was sie wollte. “Wenn es nicht Euer Wunsch ist, zu singen, und Ihr zudem die Aussicht auf ein Gespräch mit dem Herrn von Rabenstein vorzieht, so will ich Euch natürlich nicht aufhalten. Obwohl ich gestehen muss, dass Ihr vermisst würdet, wie ich es sagte.” Es klang nicht zynisch, sondern ehrlich. Dass der stets düstere Baron von Rabenstein nicht zu bleiben wünschte, konnte sie gut verstehen. Wenn nun auch der Rondrianer ginge, würde sie es umso mehr bedauern, denn diese interessante kleine Runde wäre dann sehr schnell deutlich kleiner geworden. “Vielleicht sollten wir von solchen Wetten absehen, um nicht zu riskieren, weitere Gäste zu verjagen”, sagte sie an Wunnemine gewandt. “Oh, ich dachte es ging um anwesende Angroschim und vor allem den Oberst”, sagte der Geweihte an die Zofe gewandt. Rondradin hatte ganz vergessen, wie spitzfindig die Begleiterin der elfischen Baronin sein konnte. An Liana gewandt fuhr er fort. “Aber nicht doch, Hochgeboren. Ich wählte dieses Feld der Ehre und sind Wettschulden nicht auch Ehrenschulden?” Dabei zwinkerte er ihr mit einem ehrlichen, unverfälschten Lächeln zu. “Aber habe ich denn verloren? Könnt ihr denn hier und jetzt einen hörbaren Beweis dafür vorbringen, dass die Angroschim tatsächlich wohlklingend singen können? Falls Ihr das könnt, stehe ich zu meiner Wort und werde für Euch singen. So ihr meine ungeübte Stimme denn überhaupt hören mögt. Denn außer Choräle der Herrin singe ich normalerweise nichts, auch wenn ich eine schöne Weise aus diesen Landen kenne, die ich, mit ein wenig Hilfe, wiedergeben könnte.”  Amüsiert drehte sich die Rodaschquellerin zu ihrer Zofe um und bedachte sie mit einem triumphalen und zugleich amüsierte Lächeln ob der gekonnten Antwort Rondradins. Eduina wiederum schenkte dem stattlichen Rondrianer ein anerkennendes Nicken und sagte nichts weiter, da dieser das Wort an ihre Herrin gerichtet hatte. “Ihr seid zu bescheiden, Euer Gnaden”, sagte Liana. “Ich kann Stimmen sehr gut einschätzen, und die Eure ist angenehm und wohlklingend. Ich bin sicher, dass es Euch ein Leichtes sein wird, so manche Weise so wiederzugeben, das Eure Zuhörer Euch mit Freuden folgen. Und an Begleitung soll es nicht scheitern. Es gibt Musiker hier, Eduina ist eine vorzügliche Harfenistin, und ich selbst…” sie machte eine kleine Pause und blickte mit gespitzten Lippen  kurz zu Boden “... verstehe mich auf das Spiel der Laute”. Lag es an den flackernden Flammen oder errötete der Geweihte tatsächlich? “Das Lob ehrt mich, gerade weil es von Euch kommt, Hochgeboren.” Rondradin nickte dankbar Liana und Eduina an. “Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr mich unterstützen würdet. Immer vorausgesetzt, ich verliere diese Wette”, fügte er augenzwinkernd hinzu. Wunnemine nahm ebenfalls mit Bedauern den Rückzug des Rabensteiners zur Kenntnis. Seine Teilnahme an der Wette wäre interessant, aber eben auch überraschend gewesen. Sie hätte viel darum gegeben, eine Volksweise aus dem Munde des Boroni zu vernehmen. Umso schöner, dass Rondradin dabei blieb. "Noch jemand, der sich an der Wette beteiligen möchte?" fragte sie nochmals in die Runde. Der bereits getrunkene Wein bestärkte ihre Vorfreude auf die Auflösung der Frage durch Liana. Wie auch immer jene dies angehen würde. Und falls sie und Liana verlieren würden, wäre bereits hinreichend Bier und Wein geflossen, dass ihr eigener Auftritt kaum zur Blamage gereichen würde. “Dann ist es wohl an uns dreien”, stellte die Rodaschquellerin fest, als kein weiterer teilzunehmen gedachte. “Also gut: Ich werde Oberst Dwarosch bitten, uns zu verraten, ob die Angroschim auch singen. Ich bin sicher, er verrät es mir und ist vielleicht auch bereit, es zu beweisen”, sagte sie verschwörerisch und heiter  in die kleine Runde, wobei sie den Rondrianer und Wunnemine abwechselnd mit ihren Amethysten betrachtete.  Der Stein in ihrem Diadem schien etwas heller zu leuchten. Oder war es nur das Feuer der Fackeln, das sich ihm spiegelte? Rondradin nickte zustimmend. “Ich bin gespannt.” Hoffentlich würde er die Wette nicht verlieren. Dabei kam ihm ein Gedanke und er sah seine beiden Wettpartnerinnen an. “Sagt Hochgeboren, habt Ihr schon entschieden, was Ihr singen wollt?” Und an Eduina gewandt, fügte er hinzu: “Ihr werdet doch sicherlich Eure Herrin mit eurem Gesang unterstützen, nicht wahr?” Die letzten beiden Worte unterstrich er mit einem Augenzwinkern und einem frechen Grinsen. Mumm hatte er jedenfalls, der junge Rondrianer, musste ihm Wunnemine wohlwollend zugestehen.  Und offensichtlich war er mit Liana und ihrem Gefolge wohl vertraut, wie seine kecke Rede zeigte... sie selbst dagegen hatte ihre Verbindungen zuletzt zu sehr vernachlässigt. Aber heute war bereits ein guter Anfang, dies zu ändern... Die Idee einer Begleitung, sei es durch ein Instrument, sei es durch eine zweite Gesangsstimme, war aber gar keine schlechte. Der junge Tannenfels sollte angeblich gar kein schlechter Sänger sein… sie war sich aber recht sicher, dass heute Abend keine Ambelmunder Weisen erklingen würden. “Dann lasst uns doch die Wette auflösen, Hochgeboren!” wartete sie die Antwort der Zofe nicht ab. “Sollen wir Euch zum Oberst folgen, oder verschrecken wir ihn dadurch? Wobei, so schnell wird ein gestandener Angroschim wohl kaum sein Zutrauen in seine musikalischen Fertigkeiten verlieren…” Noch bevor Liana etwas sagen konnte, antwortete schon Eduina. “Ihr scheint Euch Eurer Sache ja sehr sicher zu sein, Euer Gnaden”, sagte sie mit einem leicht sarkastischen, amüsierten Unterton und einem spitzen Lächeln an den Rondrianer gewandt. “Doch ich denke nicht im Traume daran, zu wetten, dass die Angroschim singen können. Das ist eine Sache ihrer Hochgeboren, und ich bin sicher, dass sie sie aufs Trefflichste regeln wird, wenn sie die Wette verliert.” Erneut drehte sich die Baronin mit großen Augen und geöffneten Mund und einer gespielten Entrüstung abrupt zu ihrer Zofe um. “Auf wessen Seite stehst du eigentlich?” “Auf Eurer, Euer Hochgeboren, auf Eurer! Auch wenn mich das nicht in die Lage versetzt, Euch davon abzuhalten, Wetten einzugehen, die Ihr gewiss verlieren werdet.” “Das werden wir ja sehen!”, antwortete die Baronin mit einer gewissen Süffisanz.  “Wenn ich verliere, dann singe ich gerne eine Weise, die ich einst in Tannwald hörte, ein Lied über den Farindelwald. Doch ich bin sicher, dass dies nicht geschehen wird” ergänzte sie heiter. “Und ich freue mich darauf, Euch singen zu hören, Euer Gnaden, und werde Euch mit der Laute begleiten, wenn Ihr es wünscht.” Dann sah sie zu Wunnemine. “Ich glaube nicht, dass wir den Oberst verschrecken. Höchstens würden wir ihn etwas … irritieren, wenn wir gleich zu viert bei ihm aufschlagen mit der Bitte, uns etwas vorzusingen. Ich denke es ist besser, wenn … Eduina ihn darum bittet.” Die Zofe zog beide Augenbrauen hoch. Dieser Zug hatte sie überrumpelt.  Ein lautes Lachen unterdrückend, verfolgte Rondradin das Streitgespräch zwischen Liana und Eduina. Die Baronin von Ambelmund wirkte dagegen sehr ruhig. "Ein vortrefflicher Vorschlag, Hochgeboren", stimmte er dem Vorschlag Lianas zu, die Zofe zu Dwarosch zu schicken. "Meine liebe Eduina, sollte ich, da ich bereit war diese Wette überhaupt erst anzunehmen, nicht siegessicher sein? Oh, und darf ich Eure Worte so deuten, dass auch Ihr der Ansicht seid, keiner der Angroschim hier könnte singen? Sollen wir dann im Falle einer Niederlage zusammen singen oder wollt ihr ein eigenes Lied vortragen?" Der Geweihte hatte sichtlich gefallen an diesem Zweikampf gefunden, denn er trug diese Rede mit honigsüßer Stimme vor und grinste dabei breit. "Falls ich verlieren sollte, egal wie unwahrscheinlich es sein mag", dieser kleine Seitenhieb galt Eduina, "werde ich eine Weise singen, die ich in Nordgratenfels hörte und die entlang der Tommel wohl bekannt sei. So jedenfalls, sagte es mir eine gute Freundin, die mich das Lied lehrte." Seine Hand hatte dabei unbewusst nach einem Anhänger gegriffen, den der Geweihte unter seiner Robe trug. "Vielleicht kennt Ihr es. Es heißt 'Vom Zauber des Wildfräuleins' und handelt meines Wissens nach von einer Fee. Wo wir gerade dabei sind", er sah Wunnemine an, "welche Weise wollt Ihr vortragen, Hochgeboren?" Wunnemine hatte bis hier grinsend dem Geplänkel zwischen Rondradin und Eduina gelauscht. "Eine gute Wahl, Euer Gnaden." antwortete sie, vom Geweihten angesprochen, "eine schöne Weise, die Ihr Euch ausgesucht habt! Sagt, woher rühren Eure Bezüge in die Lande an der Tommel? Jedenfalls freue ich mich, dass dann heute Abend sicher eine Melodie aus meiner Heimat erklingen wird - ich würde im unwahrscheinlicheren Fall meiner Wettniederlage die Ballade vom Ritter von der Tannwacht zum Besten geben, vielleicht kennt Ihr diese auch?" "Das ist einfach zu erklären, Hochgeboren. Bis zum Ritterschlag der jungen Roana von Fischwachttal, obliegen mir die rituellen Pflichten des Edlen von Bösalbentrutz. So ist es notwendig, dass ich jeden Götterlauf am 29. Efferd in Hjalderfurt verweile um beim Trutzfest mitzuwirken. Die Ballade kenne ich leider nicht, aber es würde mich freuen sie zu hören. Vielleicht ja später, wenn die Wettgewinne eingelöst werden." Rondradin zwinkerte Wunnemine gut gelaunt zu. Dann drehte sich die Baronin von Ambelmund, wieder mit einem breiteren Grinsen, in Richtung Eduinas: "Ich muss aber insistieren: wenn Ihr, wie seine Gnaden unterstellt, gegen das Sangestalent des Oberst wettet, solltet Ihr keinesfalls diejenige sein, die ihn um einen Beweis seiner Fertigkeit bittet. Ich fürchte, Euch fehlt dann vielleicht... die rechte Motivation dafür… richtig überzeugend zu sein." Prüfend sah sie die Zofe an. “Andererseits gehe ich davon, dass Ihr zweifellos Euer bestes geben werdet, wenn Eure Herrin ihr Vertrauen in Euch setzt.” Da der Geweihte zuletzt das Wort an die Baronin von Ambelmund gerichtet hatte, wartete die Zofe ab, ganz so, wie es sich geziemte. Als sie den Eindruck gewann, die Baronin habe geendet, gab sie Rondradin und den anderen Anwesenden ihre Antwort. Wie gewohnt recht schnell sprechend, dafür aber auch klar und deutlich - und durchaus mit einer gewissen sprachlichen Eleganz. “Nun, da ihre Hochgeboren beschlossen hat, mich zum Opfer dieser kleinen Posse um die Sangeskunst der Angroschim zu machen, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als den Oberst darum zu bitten, uns eine Probe seines Könnens zu geben.” Es war der Zofe jederzeit anzumerken, dass ihr diese “Posse”, wie sie es nannte, sichtlich Vergnügen bereitete. An Rondradin gewandt fuhr sie unbeirrt fort: “Und wie ich schon sagte, Euer Gnaden, ich kann mich nicht erinnern, dieser Wette zugestimmt zu haben. Aber damit mich niemand einen Hasenfuß heißt, will ich Euch gerne auf der Harfe begleiten für den unwahrscheinlichen Fall, dass Ihr die Wette verliert …” Liana protestierte vernehmlich und blickte abwechselnd die Zofe und den Geweihten herausfordernd, aber amüsiert an. “... und wenn Ihr denn doch verlieren solltet, Euer Gnaden, so will ich das Spiel nicht verfälschen, indem ich meine vielleicht etwas schrille, aber durchaus geübte Stimme - immerhin hatte ich eine exzellente Lehrmeisterin …” sie blickte versöhnlich zur Baronin von Rodaschquell, und jene ergriff lächelnd ihre Hand “... unter die Eurige mische und damit womöglich die Zuhörer ablenke.” Diese Suppe soll der junge Löwe selbst auslöffeln, dachte sie zufrieden bei sich und verbiss sich den Kommentar, dass der Wetteinsatz ihrer Herrin, die ja weithin für ihre Sangeskunst berühmt war, ihr geradezu lächerlich gering erschien. Sie würde es ihr dann später gerne unter die Nase reiben … wenn wieder das Thema aufkäme, auf wessen Seite sie eigentlich stehe. “Na dann!” Wunnemine nickte der Zofe zu, erhob dann Ihren Becher und trank einen kurzen Schluck. “Bei diesem Eurem Wetteinsatz und der damit einhergehenden Aussicht für Euch, einen sonor klingenden Diener der Leuin auf der Harfe begleiten zu dürfen, habe ich nunmehr vorbehaltloses Vertrauen in Euren Willen, dem Oberst ein Lied zu entlocken.”  Schalk blitzte in den Augen des Geweihten als er zu einer Antwort auf die freche Rede Eduinas ansetzte. "Natürlich, wenn Ihr es so formuliert, dann habt Ihr der Wette nie zugestimmt und ich will Euch nicht länger bedrängen. Es erwärmt mir mein Herz, wenn ich höre, dass Ihr auf meiner Seite steht.” Der Geweihte hatte seine Hand theatralisch auf seine linke Brust gepresst. Meine geschätzte Eduina,Ihr habt mit Eurer Rede über Sangeskunst bei mir den Wunsch geweckt, Euch singen zu hören. Eine Schülerin der großartigen Baronin von Rodaschquell, hier unter uns? Würdet Ihr uns die Ehre erweisen und für uns zu singen, so dass wir uns selbst ein Bild von den Sangeskünsten der gelehrigen Schülerin Ihrer Hochgeboren machen können?" Der Geweihte hatte die Hände Eduinas ergriffen und sich vor ihr hingekniet. Mit großen, unschuldigen, flehenden Augen, einer Katze oder jungem Welpen gleich, schaute er zu ihr auf. Die Zofe ließ sich den Anblick des vor ihr knieenden Geweihten durchaus gefallen und kommentierte dies mit einem zufriedenen und durchaus geschmeichelten Lächeln, ohne sofort etwas zu sagen.  Na warte! So haben wir nicht gewettet! Dieser Rondrianer mochte etwas davon verstehen, mit dem Schwert zu brillieren. Doch dies hier war ihre Arena, und es waren ihre Waffen! Sie war lange genug eine Edeldame am darpatischen Fürstenhof gewesen um zu wissen, wie man so etwas zu regeln hatte. Sie würde dem schneidigen Kämpen, der mit diesem Hundeblick sein Spielchen mit ihr zu treiben versuchte, schon zeigen, dass er sich verhoben hatte. Mit Freuden ließ sie sich darauf ein. Dies hier war ein ganz eigener Kampf. Und sie gedachte nicht, klein bei zu geben.

Demut vor einer Dame

Auf die Sangeskünste konnte sie nun nicht sofort eingehen, es wäre ein Herausreden und somit die Defensive. Nein, sie musste angreifen. Zunächst einmal galt es, ihn zu verunsichern. Sie musste diese Eiche ins Wanken bringen. “Aber bitte, Euer Gnaden! Es besteht keinerlei Anlass, vor mir zu knieen! Sonst könnte man noch meinen, Ihr wolltet mir den Hof machen. Und wie ihr so Eure Hand gegen Eure stattliche Brust presst und damit mein eigenes Herz rührt, müsste ich ernsthaft darüber nachdenken … “ Mit ihrem charmantesten Lächeln auf den Lippen blickte sie den Rondrianer mit einem durchaus … interessierten Blick an, während sie ihre rechte Hand löste und langsam zu ihrem Herzen führte. Liana musste all ihre Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht zu lachen. Aber schlussendlich unterlag sie dann doch. Etwas, womit Eduina gerechnet und in ihrem Plan bewusst einkalkuliert hatte.  Kurz flackerte Unsicherheit in den Augen des Geweihten auf, die aber in dem Moment verflog, als Liana zu lachen begann. Stattdessen musste er nun selbst ein Lachen unterdrücken. Trotz seiner Bemühungen huschte ein flüchtiges Grinsen über sein Gesicht. Die Zofe hatte also eine andere Gangart angeschlagen. Nun gut, mal sehen, wer zuerst zurück steckte. Noch immer auf den Knien, ergriff Rondradin erneut die Hand Eduinas und hauchte einen zarten Handkuss darauf. Mit einer flüssigen Bewegung stand der Geweihte auf, die Hand Eduinas immer noch festhaltend. Er nutze den Schwung beim Aufstehen um näher an Eduina heranzutreten, so nah, dass sie den von ihm ausgehenden Geruch nach Weihrauch und Kiefernadeln wahrnehmen konnte. Ihre offene Hand lag nun auf seiner muskulösen Brust, seine Hand, wie behütend, darauf. Ihre Blicke trafen sich und etwas in seinem Blick hielt den ihren gefangen. “Meine liebste Eduina, Ihr stolze Rose im Isenhag. Spürt Ihr das Pochen meines Herzens? Ach, Ihr würdet einem Werben von mir nachgeben? Mir, der ich doch noch so unerfahren bin? Ich ehrt mich, schöne Eduina. Aber was würde Eure Herrin sagen, wenn ich Euch von ihrer Seite entführen und nach Hause führen würde?" In seinen Augen stand eine klare Herausforderung. Ich werde nicht weichen!

Schneid hatte er ja, das musste sie ihm lassen. Er trieb dieses Spielchen sehr weit. Mit großen Augen sah sie ihn an, mit einem dezenten, verblüfften und dennoch erfreuten Lächeln. Und doch war jener kurze Moment der Unsicherheit, den seine Augen so verräterisch preisgegeben hatten, genug gewesen, um Eduina wissen zu lassen, was sie wissen musste. Sie rückte etwas näher an ihn heran - und genoss diese Nähe durchaus. “Ob ich einem Werben von Euch nachgeben würde? Oh, ich habe doch schon längst getan ... in jenem Augenblick, da ich zuließ, dass Ihr meine Hand ergreift und an Euch drückt.” Ihr Blick wanderte kurz und mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck zu ihrer Hand, die er noch immer in der seinen hielt. Die Baronin von Rodaschquell hatte sich indes wieder gefangen und beobachtete schweigend, aber sehr aufmerksam den Fortgang der Szene. Wohlwollend und neugierig zugleich ... Eduina neigte den Kopf etwas in den Nacken und blickte zu Rondradin auf, wobei sie ihre Lieder ein wenig schloss und ihre Lippen gefährlich nahe an seine brachte. Sie duftete herrlich nach wilden Blumen. Doch war der Duft nur ganz leicht, dezent, unaufdringlich. Man verlangte mehr davon. In gewisser Weise war er ein Versprechen ganz eigener Art. Sie sprach nun sehr leise, mit einer sanften, verführerischen Stimme. Unklar, ob auch Liana und Wunnemine sie hören konnten. Doch zumindest bei den feinen Ohren der Elfe war das nicht ganz ausgeschlossen. “Es gäbe nur eines, was meine stolze Herrin sagen würde: ‘Bleibe, wenn du es willst’. doch sie würde es unzweifelhaft zu uns beiden sagen.” Eduina spielte dieses Spiel vortrefflich und wusste offensichtlich, wie sie ihre Trümpfe einzusetzen hatte. Beinahe hätte Rondradin nachgegeben, aber eben nur beinahe. Inzwischen stellte er sich auch die Frage, ob es tatsächlich nur noch ein Spiel war. Die Art, wie sie inzwischen beieinander standen, konnte man schon fast intim nennen und Rondradin fand Gefallen daran. Trotzdem, sein letzter Trumpf war noch nicht gespielt, und mit etwas Glück würde er ihn auch nicht benötigen.  Noch einmal stürmt, noch einmal! "Eure Worte lassen mein Herz schneller schlagen. Könnte Ihr es spüren, liebste Eduina? Kann es denn wirklich wahr sein, dass Euer Herz in Liebe zu mir entflammt ist?  Ach, könnte ich das nur glauben.” Leise, so dass es nur Eduina und vielleicht noch hellhörige Dritte vernehmen konnte, sprach er weiter. “ Nur zu gern würde ich Eure Lippen kosten und mit euch die Gefilde von Rahjas Gärten erkunden." Bei diesen Worten streichelte seine Hand zärtlich über die Wange Eduinas. In normaler Lautstärke fuhr er fort. "Doch wie soll ich wissen, dass Ihr es auch wirklich ernst meint und mich nicht nur benutzt?" Ein verletzlicher, hoffnungsvoller Ausdruck war auf seinem Gesicht erschienen. "Liebste Eduina, so erbitte ich von Euch einen Kuss, Eure Lippen auf den meinen, als Beweis Eures Gunst." Er schlug die Augen nieder und fuhr mit scheinbar trauriger Stimme fort: "Solltet Ihr allerdings nur mit mir gespielt haben,  so bitte ich Euch, singt für mich eine Weise, die ich von da an in meinem Herzen als Erinnerung an Euch mit mir tragen kann.." Ihre Blicke trafen sich und Eduina sah in große, tiefblaue Augen, die beinahe flehentlich auf ihre Antwort warteten. Streckt die Waffen, es gibt kein Entkommen!

Das Lächeln auf den Zügen der blondhaarigen Dame blieb, doch wirkte es nun etwas anders. Durchaus charmant, aber distanzierter, kühler. Sie neigte ihren Oberkörper etwas von Rondradin weg und fasste ihn an den Armen, als wolle sie ein wenig von ihm abrücken. In ihr Amüsement mischte sich ein Hauch von Hochmut – so, wie er oft mit Stolz einhergeht. Sie verstand sich schließlich auf solche Spiele und wusste, wie sie zu meistern waren. Und es war unzweifelhaft, dass dieser Rondrianer mit ihr spielte. Doch wusste er offenbar nicht, wann er aufhören musste…  Ein einziger Kuss, den sie angesichts des adretten und wohlgestalteten Kriegers auch nur zu gern zu geben bereit war, hätte genügt, um ihn in die Knie zu zwingen und ihm zu zeigen, dass er diese Partie verloren hatte. Dieser ungestüme junge Mann war ihr ausgeliefert. Ein seltsames Gefühl. Nur eine kleine Geste, und sie hätte sein Leben verändert, und das nur wegen seines hitzigen Übermutes. Er würde einwilligen müssen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Oder er würde sich reuig zurückziehen müssen – was ihr wahrscheinlicher schien, wenn man die Jugend Rondradins bedachte. Es würde jedoch an seinem Stolz nagen, auch da war sie sich sicher. Beides wollte sie nicht. Er war noch so jung! Nachsicht und Milde mischten sich in ihre Gedanken. Doch nicht sie war es, die diese Partie begonnen hatte. Weder hatte sie sich an der Wette beteiligt, noch hatte sie dem Rondrianer den Hof gemacht. Er war es, der sie herausgefordert hatte. Der vor ihr auf die Knie gegangen war. Der mit flammenden Worten von der Liebe gesprochen und ihre Hand an sich gedrückt hatte, alle Etikette vergessend. Und nun sollte sie einknicken? Und dann auch noch für ihn singen, als unverkennbares Fanal ihres Rückzugs allein aus Nachsicht ihm zuliebe? Auch sie hatte ihren Stolz. Sie war schließlich eine Dame aus dem Hause Malganahr. Ein zwar kleines und unbedeutendes Haus, das jedoch einst dem darpatischen Zweig der Familie Rabenmund sehr nahe gewesen war. In einem ausgeklügelten Netz von Intrigen und einem Hof mit Fassaden aus schönem Schein hatte Eduina sich vortrefflich zu bewegen verstanden. Nein, sie würde nicht dulden, dass dieser Rondrianer SIE den Preis für sein Spiel bezahlen ließ. Diese Lektion gedachte sie ihm nicht vorzuenthalten. „Ihr erstaunt mich über die Maßen, Euer Gnaden. Wäre es nicht vielmehr ich, die annehmen müsste, dass Ihr es seid, der in einem Anflug von Übermut den Wallungen seines feurigen Blutes folgte? Immerhin trennen uns doch durchaus so einige Jahre. Und ich erfreue mich bedauerlicherweise nicht des Geschenks der ewigen Jugend in Verbindung mit einer makellosen Schönheit, so, wie dies bei ihrer Hochgeboren der Fall ist.“ Wie gewohnt sprach sie recht schnell. Und die Eloquenz und Selbstverständlichkeit ihrer Rede, noch immer untermalt von diesem kühlen und doch amüsierten Lächeln, ließen keinen Zweifel daran, dass es mehr als flehender Blicke bedurfte, um sich ihr zu entziehen. Unbarmherzig setzte sie nach. „Gerne gebe ich Euch jenen Kuss, nach welchem Ihr Euch so inniglich zu verzehren scheint. Denn welche Frau könnte sich nicht glücklich schätzen, einen Mann wie Euch an Ihrer Seite zu wissen? Doch ich gebe ihn Euch nur, wenn Ihr mir versichert, dass Ihr dieses kleine Spiel, das wir hier zur großen Freude der Anwesenden veranstaltet haben, ebenso sehr genossen habt wie ich. Und noch etwas: IHR werdet singen, und nicht ich – unabhängig vom Ausgang Eurer Wette, die Ihr ja gewinnen würdet. Dann sollt Ihr Euren Kuss bekommen.“ Seinen zuletzt flehenden Blick erwiderte sie nun mit einem triumphalen Ausdruck, der eines verdeutlichen sollte: Ein besseres Angebot, sich aus der Affäre zu ziehen, würde es nicht geben. Es dauerte einen Moment bis Rondradin die Worte Eduinas vollständig begriffen hatte.  Sie konnte es in seinem Gesicht ablesen: Überraschung, Enttäuschung, Besorgnis, Erleichterung und schließlich Dankbarkeit. Der Geweihte schluckte und sah Eduina fest in die Augen, als er seine nächsten Worte wählte. "Meine liebe Eduina, Ihr seid eine überragende Gegenspielerin und ich verneige mich vor Euch, eurem scharfen Verstand, Eurer spitzen Zunge und Eurem großen Herzen." Gewandt verbeugte er sich vor der Zofe. “Es würde mich freuen, wenn ich Irgendwann wieder gegen Euch antreten dürfte, denn ich hatte sehr viel Spaß an unserem kleinen Spiel." Leise nur für Eduina vernehmbar, fügte er hinzu: "Ihr hättet mich in arge Bedrängnis bringen können, was Ihr aber nicht getan habt. Das werde ich Euch nicht vergessen." Der Geweihte nahm Eduinas Hand und hauchte einen Handkuss darauf. Verschwörerisch zwinkerte er ihr zu, als er sein Augenmerk den  anderen beiden Damen am Tisch zuwandte. "So werden wir heute Abend also drei Weisen hören. Eure, meine hochgeborenen Damen, nachdem Ihr die Wette verloren habt und die Meine, für die edle Eduina.” Er grinste frech in die Runde und wartete auf eine Reaktion. Wunnemine war halb belustigt, halb schüttelte sie innerlich ihr Haupt ob der Posse, derer sie gerade Zeugin geworden war, obgleich sie angesichts des Festtreibens im Raum nicht jedes einzelne Wort verstanden hatte. "Ob Ihr unsere Weisen zu Gehör bekommt, oder wir uns an der des Obersts und der Euren erfreuen, Euer Gnaden, werden wir sehen. Wie wäre es denn, wenn wir die Wette endlich auflösten - jetzt gleich.” “Natürlich nur, wenn nun genug geturtelt ist..." fügte sie mit einem mehrdeutigen Lächeln hinzu.

Gewiss, einen wirklichen Kuss hätte sie bevorzugt. Und sie war sich nicht ganz sicher, ob der Rondrageweihte die Kapitulationsbedingungen tatsächlich nicht zur Gänze verstanden hatte oder dies geschickterweise nur vorgab. Sei es, wie es sei - er hatte eingelenkt und das rettende Seil ergriffen. Es war nicht ihr Wunsch, ihm nachzusetzen. Er hatte gut gespielt, und sie hatte durchaus ebenfalls ihre Freude gehabt. Beizeiten würde sie ihn daran erinnern, dass sie noch eine Schuld einfordern könne. Doch nun genoss Eduina den Augenblick.  Sie erwiderte Wunnemines Bemerkung umgehend: “Ich versichere Euer Hochgeboren ebenso sehr wie seiner Gnaden, dass ich nach diesem kleinen und für mich völlig unerwarteten Zwischenspiel nichts lieber tue, als dafür zu sorgen, diese Wette aufzulösen. Obwohl ihr Ausgang ja völlig unzweifelhaft ist. Und Euch… “ sie wandte sich an Rondradin “... lade ich herzlich ein, es wieder zu versuchen… jederzeit.” Der herausfordernde Unterton, der sich mit einer gewissen Süffisanz, aber auch Anerkennung vermengte,  entging niemandem, dessen Ohr sich ein wenig auf die Konversationskunst verstand. “Und nun mache ich mich auf, den Oberst zu suchen und ihm zu berichten, um was die anwesenden Herrschaft ihn bitten wollen…”  Sie knickste grazil und huschte dann in die Halle, nach Oberst Dwarosch Ausschau haltend. Die Dame Morgenrot nickte ihrer Zofe mit spitzem Lächeln kurz zu.  “Wie Ihre Hochgeboren von Ambelmund schon sagte: Wir werden ja sehen!” Sie sah ihr kurz aus den Augenwinkeln nach. Eduina hatte stets den passenden Schlüssel für jedes Schloss, das beste Gewürz für jedes Gericht, den richtigen Reim auf jeden Vers parat. Sie liebte ihre unverwüstliche Vertraute - nicht nur dafür.

Die Wette und die Lieder

Die Zofe erblickte den Sohn des Dwalin in höchst geselliger Runde bei allerlei anderen Zwergen sitzen. Dort, nur wenige Schritt von dem Ort entfernt, wo die Wette abgeschlossen worden war, wurden Geschichten erzählt, schallend gelacht, die Krüge erhoben und deren Inhalt gelehrt. Wenig Notiz nahmen die Angroschim von ihrer Umgebung, viel zu angeregt waren die lauten Gespräche, viel zu ausgelassen die Stimmung an ihrem Tisch.  Die Zofe hielt einen Moment inne. So weit gereist sie auch war, so viel sie auch erlebt haben mochte: Sich einem Tisch mit trinkfesten Zwerge zu nähern und sie bei ihrem Gelage zu stören, war immer ein Abenteuer ganz eigener Art. Nicht, dass sie es schon einmal versucht hätte, aber so malte sie es sich eben aus. Sie straffte sich und schüttelte ihre kurze Zögerlichkeit ab. So schlimm wird’s schon nicht werden! Und um nichts in der Welt möchte ich den Ausgang dieser Posse verpassen! Sie kicherte leise in sich hinein und schritt dann beherzt auf den Tisch zu. “Ein wundervoller Abend, ihr Herren, nicht wahr?”, sagte sie laut und deutlich, wobei sie es geradezu unverfänglich klingen ließ - so, als stünde sie schon eine Ewigkeit am Tisch und sei quasi ein Teil dieser Gruppe. Fehlte nur noch ein Trinkhorn in ihrer Hand ... Noch bevor die Angroschim so recht Notiz von ihr genommen und bemerkt hatten, das jemand an ihren Tisch herangetreten war, fuhr sie munter und unbeirrt fort und blickte geradewegs in Richtung Dwaroschs. “Mein hochverehrter Herr Oberst, wollt Ihr mir einen kurzen Moment Eurer geschätzten Aufmerksamkeit schenken?” Selbstverständlich wartete sie nicht wirklich eine Antwort ab. Ihre Frage klang ohnehin eher wie eine Feststellung. “Fragt mich bitte nicht, wie es dazu kam, denn ich könnte es ohnehin nicht wirklich beantworten, aber jene Gesellschaft dort drüben… “ - sie wandte sich kurz um und deutete auf den Tisch mit ihrer Herrin, der Ambelmunderin und seiner Gnaden Rondradin - “... hat sich einer hitzigen Debatte verschrieben, in der es um …. nun, wie soll ich sagen… eine gewisse Kunstfertigkeit geht, die einige Euch und den Angroschim generell zusprechen, andere wiederum nicht zugestehen wollen. Kurzum: Eure tapferen Fürsprecher sind davon überzeugt, dass die Angroschim ebenfalls musikalisch sind und es genauso lieben, zu singen und zu musizieren, wie das auch andere Völker tun. Und wer könnte wahrhaft daran zweifeln, da Ihr Euch ja auch so trefflich aufs Feiern versteht! Man bittet Euch daher um eine Probe dieses Könnens, und es würde mich sehr erfreuen, wenn ich mit der Nachricht an jenen Tisch zurückkehren könnte, dass Ihr dazu bereit wäret. Denn stellt Euch vor … “ sie blickte gespielt entrüstet und bedeckte mit überkreuzten Händen ihr Dekolleté “ … man hatte dezente Zweifel geäußert, ob es mir überhaupt ernst genug sei und ich Euch mit der nötigen Inbrunst bäte. Ihr würdet mir also auch persönlich einen Gefallen tun. Wenn Euch jedoch nicht der Sinn danach stehen sollte und Ihr ohnehin der Ansicht seid, die Angroschim verstünden sich nicht auf die Sangeskunst und das Musizieren und wüssten daher auch keine Lieder zu singen, dann kehre ich selbstverständlich mit dieser Botschaft an den Tisch zurück.” Sie verneigte sich ein wenig, so dass man nach dieser überrumpelnden Rede ihr Grinsen leicht mit einem Lächeln verwechseln konnte.

“Ob wir singen können?” Die Stimme des Oberst klang fast ungläubig ob der Frage hin und das so laut, dass viele der Umsitzenden sie vernahmen. Dwaroschs Blick glitt schmunzelnd über die versammelten, zwergischen Freunde, die in seiner Nähe saßen, als wolle er in deren Gesichtern eine Antwort lesen und sie somit indirekt herausfordern.  “Und ob wir das können”, entgegnete Tharnax auf die eher rhetorisch gemeinte Frage des Oberst und stand sogleich entschlossen auf, verharrte jedoch an Ort und Stelle. Die Blicke der beiden Angroschim ruhten einige Momente aufeinander, bis sie scheinbar zu einer stummen Übereinkunft gekommen waren. “Pauken und Pfeifenbälge”, stellte der Bergvogt trocken fest und der Oberst nickte, woraufhin Tharnax im Marschtempo zu den Musikern hinüberschritt, um mit ihnen zu sprechen, sie zu instruieren. Dwarosch hingegen leerte seinen Humpen in einem Zug, bevor er das Wort an die Zofe richtete. “Ich werde für euch singen. Doch das was ich vortragen werde ist nicht einfach nur ein Lied, es ist ein Teil unserer langen Geschichte und als solches besser als jedes andere geeignet, um euch unserer Kultur näherzubringen. Ich denke doch dies ist im Borindaraxs Sinne und in dem dieses Festes. Zum Inhalt hat es den Kampf gegen die Drachen und letztlich den Sieg über den Goldenen - Pyrdrax. Nach jeder Schlacht, die die Kinder Angroschs gegen den geflügelten Tod gefochten hatten, war es eine Pauke, die in den tiefen Tunneln und Gewölben unserer Reiche schlug, in die sich Alte und Kinder zurückgezogen hatten, die von unserem Überleben kündeten und den Kämpfern den Weg zu ihren Familien wies. Ihr werdet sie erkennen.” Und tatsächlich, ein einzelner, heftiger Paukenschlag von Seiten der Musiker riss alle Besucher aus ihren Gesprächen und ließ sie aufhorchen. Dwarosch nahm daraufhin wieder seinen Humpen in die Hand und begann nun mit kräftigen Hieben auf den Tisch einen Takt vorzugeben, den die Pauke vorsichtig aufnahm. Tharnax höchstselbst saß dort und hieb mit dem Schlägel auf das mit glatter Tierhaut bespannte Instrument.  Der Oberst stand auf und legte seine rechte Hand auf die zierliche Schulter der Geweihten neben sich, die reflexartig seine Hand ergriff. Marbolieb spürte seine innere Erregung nur zu gut. Als Dwarosch daraufhin mit wohlklingender, tiefer Stimme in der Zunge seiner Rasse zu singen begann, schwangen Melancholie und Trauer in seinen Worten. Seine Stimme zitterte gar beim Ausklang mancher Silbe und sprach von einem tief sitzenden Verbindung aller Zwerge zu jenem, vermeintlich vergessenen Zeitalter. War es Rührung, oder nur die Unsicherheit eines ungeübten Sängers? Immer rauer, kratziger, schwächer wurde die Stimme des Oberst, bis ihn der Refrain scheinbar zu retten schien, indem nun nicht nur die Pfeifenbälge einfielen. Erst waren es lediglich Dwaroschs Tischnachbarn zu jenem Moment - Borix, Borindarax und der einarmige Metenax, die ihn anstimmten und sich dabei von ihren Plätzen erhoben, doch schnell wurde die ganze Halle davon ergriffen. Immer mehr Angroschim erhoben sich und begannen zu singen, selbst Ghambir und sein Amtskollege aus Ferdok stimmten tieftönend mit ein, bis schließlich alle Zwerge auf den Beinen waren, um dem Sänger eine Stütze zu sein.  Dieser trug im Folgenden die Bürde wieder allein weitersingen zu müssen. Doch Dwarosch hatte durch den Beistand an stimmlicher Festigkeit gewonnen und klang nun wieder so klar, wie zu Beginn. Weit drang seine Stimme, die fließend zwischen Bariton und Bass wechselte. So ging es weiter. Der Oberst trug das Lied vor, die einer Geschichtsstunde für all diejenigen gleichkam, die das altertümliche Rogolan beherrschten, in der sie vorgetragen wurde. Die Stimmen des Refrains hingegen, kündeten sie bei ihrem ersten Anstimmen noch von zarter Hoffnung, gewannen mit jeder weiteren Wiederholung an Kraft, bis sie schließlich voller Stolz und Trotz waren, die den Sieg über den Erbfeind verkündeten und das Lied schließlich zu einem tosenden Ende führten, bei dem aberdutzende von Krügen auf die Tische gehämmert wurden und die Lautstärke in der großen Halle einem dröhnenden, grölenden Höhepunkt fand. Die Pauke hingegen schlug noch einige Herzschläge nach, alleine, so wie sie begonnen hatte. 

Nach dieser ergreifenden Darbietung, die sich quer durch den ganzen Saal gezogen hatte, blieb es zunächst einen Moment ruhig. Eduina war völlig überrascht und dementsprechend sprachlos - und beides kam bei ihr durchaus selten vor. Erstaunt blickte sie in Richtung der beiden Baroninnen von Rodaschquell und Ambelmund. Die Dame Morgenrot erhob sich von ihrem Platz. Sie blickte einmal in die Runde. Zu klatschen, das schien ihr zu profan, ja, geradezu unangebracht. Sie hatte gespürt, dass dies weit mehr gewesen war als einfach nur das Singen eines Liedes, um die Ohren der Anwesenden zu erfreuen. Nein, dies ging viel tiefer. Es hatte ihr nicht einfach bloß “gefallen”. Es hatte sie berührt. Die dunklen Bässe ihrer Stimmen, der Rhythmus … Liana hatte sich voll und ganz auf die Vorstellung der Angroschim eingelassen. Und obwohl ihr diese Musik fremd war, so konnte sie ihre Kraft und Bedeutung ermessen. Dieses Lied war den Angroschim wichtig. Genau so, wie auch ihr die Lieder ihres eigenen Volkes wichtig waren. Sie machte einige Schritte nach vorn, dann ging sie ein wenig in die Knie und verneigte sich voller Anmut in den Saal hinein, wobei sie einige Momente in dieser Position verharrte, ehe sie sich langsam wieder erhob.  Das Rätsel war gelöst, und die alberne Wette schien ihr plötzlich absolut nebensächlich angesichts der Erfahrung, die sie soeben gemacht hatte. Auch Wunnemine hielt es nicht auf ihrem Platz: Hatte sie zu Beginn des Vortrags noch zufrieden über ihren Wettgewinn in Rondradins Richtung gegrinst, war sie bald voll vom Auftritt der Zwerge eingenommen. Als dieser schließlich verklungen war, erhob sie sich, und auch Leodegar tat es ihr gleich. Die Baronin von Ambelmund hatte mit einer wuchtig vorgetragenen, aber einfachen und fröhlichen Weise gerechnet, vielleicht einem Marschgesang oder einem Bergarbeiterlied, nicht jedoch mit einer solchen Urgewalt. War es für die Zwerge das Wesens Angroschs und das ihre, das in dem Lied erklang, so hätte ein solches sicher auch in Rondras Ohren Gefallen gefunden und würde selbst deren Halle zum Schwingen bringen. In ihm pulsierte die unbeugsame und kämpferische Seele der Angroschim. An der man manchmal vielleicht verzweifeln konnte, wenn sie in Sturheit umschlug. Aber dem man Respekt zollen musste. Wahrscheinlich musste sie sich warm anziehen, wenn sie Ghambir gegenübertreten wollte. Jetzt war sie einfach nur beeindruckt. Wunnemine brach die Stille, in dem sie langsam, aber laut zu klatschen begann. Der Oberst indes entspannte sich, nachdem er geendet hatte und die Pauke endgültig verklungen war, was vor allem Marbolieb spürte, denn der Druck seines Griff an ihrer Schulter ließ nach.  Mit einer angedeuteten Verbeugung und einem offenen Lächeln erwiderte Dwarosch die Geste der Elfe, die er seit seinem Besuch auf Rodaschblick kannte und schätzte. Eduina hingegen nickte der Oberst schelmisch zu, sich wohl bewusst das sie mit etwas anderem gerechnet hatte. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Erst danach setzte der Oberst sich wieder, ergriff die Hand der Frau an seiner Seite und küsste sie, offensichtlich froh darüber, diese Prüfung gemeistert zu haben. Marbolieb umfasste die Hand Dwaroschs und drückte sie an ihre Wange. Noch immer klangen die Paukenschläge in ihrem Geist nach. Ach wenn sie kein Wort des Textes verstanden hatte - das Lied des Oberst hatte sie in seinen Bann geschlagen und fortgetragen, wuchtig und kraftvoll und von einer elementaren Wahrheit, die mehr war als die Worte oder die Musik. Einen kurzen Blick auf die Seele der Angroschim hatte es erlaubt, von einer urtümlichen, wilden und um so machtvolleren Schönheit in der Stimme des Mannes, den sie liebte. Entschieden flocht sie ihre Finger durch die des Oberst, ein helles Leuchten in ihren Augen, Widerschein dessen, was sie gerade hatte erleben dürfen. Rondradin nickte Dwarosch anerkennend zu und prostete dem Zwergen mit seinem Bierkrug zu, den er sich in der Zwischenzeit hatte bringen lassen. Ob der Oberst singen konnte oder nicht, war nicht mehr wichtig gewesen, da der Geweihte sowieso singen musste. Trotzdem war Rondradin von der Sangeskunst Dwaroschs überrascht gewesen. Nun, jetzt hatte er die Wette verloren und damit auch die Gelegenheit, die beiden Baroninnen singen zu hören, andererseits war diese Darbietung zwergischer Sangeskunst etwas, was man als Mensch nur sehr selten zu Gesicht bekam. Von daher war Rondradin guter Stimmung. Er wartete bis die Elfe wieder saß und auch Eduina bei ihnen angekommen war. “Nun, Ihr habt die Wette gewonnen, meine Hochgeborenen Damen. Meinen Glückwunsch.” “Habt Dank für den Glückwunsch. Ich muss zugeben, ich hatte keine Zweifel, diese Wette zu gewinnen. Aber ich bin dennoch fürbass erstaunt über die eindrucksvolle Darbietung, derer wir soeben Zeuge wurden.” Wunnemine erhob den Weinkelch zum Proste. “Jetzt aber freue ich mich auf ein Lied aus der Heimat aus Eurem Munde, Euer Gnaden. Wann wollt Ihr loslegen?” "Allein die Darbietung der Angroschim war diese Wette schon wert, ich bedaure nur, dass ich nun nicht in den Genuss komme, Euch singen zu hören." erwiderte der Geweihte lächelnd und hob seinerseits den Krug. "Bitte gebt mir noch einen Moment, ich muss mich noch mit meiner bezaubernden musikalischen Begleitung besprechen, dann will ich die Weise vortragen." er sah hinüber zu Eduina und Liana. Konnte man sich eine bessere Begleitung wünschen? “Darf ich fragen, ob die Damen die Melodie der Weise kennen, welche ich vortragen werde?”  Sie sagte es nicht. Aber ein Blick in das zufriedene Gesicht der Baronin von Rodaschquell sprach ein nur allzu beredtes Ich hatte es ja gesagt. Sie nahm wieder Platz an dem Tisch, schwenkte den Kelch mit dem geminzten Wasser, das sie so sehr mochte, und sog mit geschlossenen Augen den Duft der Minze ein -  wissend, dass auch ihre ansonsten nur allzu wortgewandte Zofe nun sprachlos war.  Allerdings nicht allzu lange. So hob an, etwas zu sagen, doch noch ehe sie antworten konnte, warf Eduina bereits ein: “Nun, Euer Gnaden, ich kenne das Stück, das Ihr vorzutragen gedenkt, und gestehe - zumindest in dieser Angelegenheit - meine Niederlage auf voller Breite ein. Auch wenn ich nicht gewettet habe, so bin ich doch über den Ausgang dieser Wette … sehr überrascht. Ich begleite Euch gerne auf der Harfe, wie ich es versprochen habe.” Liana musste lachen, nachdem die treue Zofe ihr - unwissentlich - ins Wort gefallen war. Kurz, amüsiert, ehrlich. Sie blickte die Baronin von Ambelmund an und hielt ihr den Kelch zum Anstoß entgegen. “Ich denke, wir können zufrieden sein mit dem Ausgang dieser Angelegenheit, nicht wahr? Ich freue mich darauf, seine Gnaden zu hören. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass er eine exzellente Figur abgeben wird.” Eduina konnte sich diese eine letzte Spitze nicht verkneifen: “Das tut er ja ohnehin bereits auch ohne zu singen.” Wunnemine stieß lächelnd mit Liana an, in ihrem Kelch vom roten Wein: "In der Tat, das können wir, denn nun wird der Abend einen weiteren musikalischen Höhepunkt finden. Da hege ich keinerlei Zweifel, obgleich unsere Gastgeber bereits hoch vorgelegt haben. Aber alleine die offensichtlich wirkenden Kräfte zwischen Sänger und Begleitung werden den beiden Flügel und dem Vortrag Spannung und Würze verleihen." Dabei grinste sie in Richtung Rondradin und Eduina. “Die Damen setzen hohe Erwartungen in unseren kleinen Vortrag. Bedenkt aber bitte, dass ich ansonsten wirklich nur bei Rondradiensten singe, auch wenn mich das Harfenspiel der bezaubernden Eduina bestimmt beflügeln wird, wie Ihr es so schön formuliert habt, Hochgeboren.” Höflich verbeugte sich der Geweihte und zwinkerte dabei Eduina schalkhaft zu. Ihre kleine Spitze war bemerkt worden, aber als Siegerin in ihrem Wettstreit, stand ihr diese auch zu. “Nochmals meinen Dank, meine liebe Eduina. Sowohl für Eure Worte, als auch für Eure Unterstützung. Sollen wir dann Eure Harfe holen?” Rondradin sah mit einem Mal nachdenklich aus und sah sich in der Halle um. “Wo darf ich meine Wettschuld denn einlösen? Hier oder eher an einem privateren Ort?” stellte er die Frage an die beiden Baroninnen. “Ginge es nur um die Wette, so wäre Ich selbst ja auch mit einem privateren Ort einverstanden, zumal die Weise, die Ihr Euch ausgesucht habt, in einem kleineren Raum wahrscheinlich besser wirken wird.” entgegnete Wunnemine. “Doch wäre es nicht unhöflich, den Angroschim im Zuge unseres kleinen Spiels ein so großartiges Lied abzunötigen, und ihnen dann den Preis des ganzen vorzuenthalten?” “Ich stimme Ihrer Hochgeboren voll und ganz zu, Euer Gnaden. Aber die Entscheidung liegt natürlich bei Euch - immerhin haben wir ja nicht festgelegt, wo die Wettschuld zu erbringen wäre”, sagte die Rodaschquellerin gutgelaunt, während ihre Zofe sich lächelnd daran machte, ihre kleine Handharfe zu holen.  In Ruhe überdachte Rondradin die Angelegenheit. “Ich zöge einen kleineren Rahmen vor, wo die Weise auf die angemessene ruhige Art vorgetragen werden kann. Zudem ist es kein fröhliches Lied, was nicht recht zur Feierlaune der Anwesenden passen mag. Allerdings sehe ich auch ein, dass die Angroschim ein Anrecht darauf haben, diese Weise ebenfalls zu hören.” Der Geweihte seufzte hörbar. “Deswegen werde ich es doch hier in der Halle vortragen.” “Grübelt nicht so sehr darüber, Euer Gnaden, ich bitte Euch”, gab die Dame Morgenrot heiter zur Antwort und schenkte ihm einen aufmunternden Blick. “Ihr seid hier unter Freunden. Seht es nicht als Last, sondern als ein Geschenk, das Ihr all den Anwesenden macht. Und was die Stimmung des Liedes anbelangt, so schien mir auch die Darbietung der Angroschim feierlich, erhaben und voller Tiefe. Eure Weise würde sich da hervorragend als Antwort machen, da bin ich mir sicher.” “Ihr solltet auf die Worte der Dame an Eurer Seite hören, Euer Gnaden. In ihnen liegt viel Wahrheit.” pflichtete Wunnemine den ermunternden Worten an den jungen Geweihten bei. Dann nahm sie Platz und freute sich auf die anstehende Darbietung. Als Eduina  zurückkehrte, nahm Rondradin sie kurz beiseite. “Meine liebe Eduina, es ist mir ein wenig peinlich, aber ich kenne nur Euren Vornamen. Wie soll ich Euch dem Publikum vorstellen?” Die Zofe blieb stehen und sah den Geweihten gutmütig an. “Malganahr”, antwortete sie dann schließlich. “Mein Name ist Eduina Malganahr, in den Diensten der Baronin zu Rodaschquell”, fügte sie dann nicht ohne einen gewissen Stolz in ihrer Stimme hinzu. “Malganahr ist ein zwar nicht sehr bedeutendes, aber altes Haus aus dem Darpatischen.” “Eduina Malganahr, es ist mir eine Ehre.” ein ehrliches Lächeln lag auf seinem Gesicht, während er Eduina ansah. “Lasst es uns hinter uns bringen.” Damit schritt er in die Mitte der Halle und rief laut: “Werte Anwesende! Wenn ich mich vorstellen dürfte. Ich bin Rondradin Wasir al’Kam’wahti von Wasserthal zu Perainefurten, ein Knappe der Herrin Rondra. Gerade durften wir Zeuge der Liedkunst der Angroschim werden, wofür ich den anwesenden Angroschim und Oberst Dwarosch im Speziellen meinen Dank aussprechen möchte.” Er verbeugte sich in Richtung der Würdenträger und des Obersts. “Wenn Ihr erlaubt, würden ich gerne diese Gunst erwidern und Euch eine alte Weise aus Nordgratenfels vortragen, wie sie entlang der Tommel bekannt ist.” Der in Roben gewandete Geweihte deutete auf Eduina. “Begleitet werde ich vom Harfenspiel der edlen Dame Eduina Malganahr, welche in Diensten der Baronin von Rodaschquell steht.” Stille senkte sich über die Halle. Dann erhob sich aus der Stille die zarten Klänge einer Harfe, welche eine ruhige Melodie wob und die Hörer auf das Kommende ein stimmte. Erst dann setzte, zuerst leise, dann lauter werdend, die Stimme des Rondrageweihten ein. Sein angenehmer Bariton trug die Worte in jeden Winkel der Halle. Erst ruhig, fast wie ein Beichtender, dann wieder emotional, als er die Worte des Wildfräuleins wiedergab. Ein auf und ab, untermalt von der Handharfe Eduinas. Die anderen Musikanten, zögerten erst, aber dann holten sie ihre Instrumente heraus. Laute, Fidel und Flöte untermalten jene aufwühlenden Strophen und schwiegen bei den ruhigen.   Das Lied erzählte von einem Wanderer, welcher sich in einem urtümlichen Wald verlief und auf einer Lichtung eine Schönheit traf, welche ihn zum verweilen einlud. So blieb er bei ihr und tanzte mit ihm. Ihm war so, als würden die Jahre vor seinen Augen dahin ziehen, während er in ihren Armen lag. Als er aufwachte, war er dem Tode schon nah und doch wollte er keinen Augenblick mit dem Wildfräulein, welches ihm die Jahre forttrug missen.

Stille

Als der letzte Ton verklungen war, öffnete Rondradin wieder die Augen, die er während des Liedes geschlossen hatte und ging zu Eduina, bot Ihr die Hand und präsentierte sie dem Publikum, bevor er sich selbst verbeugte. “Ihr wart großartig. Ich freue mich schon darauf, gleich Euren ausgelobten Preis von Euch einfordern zu dürfen.” flüsterte er ihr ins Ohr.  Recht ungewöhnlich für sie - oder besser: unerwartet -, war der Zofe eine gewisse Verlegenheit deutlich anzumerken, als nun so plötzlich die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt wurde. Sie errötete ein wenig, knickste, und fasste sich wieder ein wenig. “Ich habe Euch nur begleitet, Euer Gnaden. Und wenn ich gut war, so lag das lediglich an der von Euch so trefflich dargebotenen Weise.” Mit kräftigem Klopfen auf die Tische zeigte die Zwerge, dass ihnen das Lied und die damit einhergehende Vorstellung gefallen hatte. Der Vogt indes erhob sich von seinem Platz und drückte mit einer knapp angedeuteten Verbeugung seinen Respekt für den Diener der Leuin und seine Begleitung auf der Harfe aus, als diese geendet hatten. Das darauffolgende erheben des Bierkruges durch Borindaraxs wurde von vielen Dutzend der anderen Angroschim nachgeahmt. Erst als derart viele Arme gereckt waren richtete der Vogt das Wort an Sänger und Musikerin.  "Ich danke euch im Namen meiner Brüder und Schwestern für diese überaus klangvolle Demonstration der hohen Minnekunst, die ja in Nilsitz nicht unbedingt beheimatet ist." Dankbar ob dieses Lobs verbeugte sich Rondradin ein weiteres mal. “Es freut mich, dass es Euch gefallen hat.” erklärte er freudig. Erst jetzt führte der Geweihte die Zofe zurück an ihren Tisch, wo bereits Liana und Wunnemine auf sie warteten. Herausfordernd sah er die beiden an. “Ich hoffe, es hat Euch gefallen.” “Ihr habt mich nicht nur, wie erwartet, nicht enttäuscht, sondern mir eine wirkliche Freude bereitet, mit dieser Weise aus meiner Heimat, dargeboten in der Fremde. Das Wetten hat sich nicht nur aufgrund der Liedkunst der Angroschim, sondern auch Euretwegen, Euer beiden wegen gelohnt. Habt Dank Ihr beiden, auf Euer Wohl!” erhob Wunnemine den Weinkelch in Richtung Rondradins und Eduinas. “Wenn Euch wieder nach Wetten ist, bin ich abermals gerne dabei.” schloss sie grinsend an. “Ich freue mich, dass es mir vergönnt war, an diesem Abend gleich zwei so wunderbare Darbietungen erleben zu dürfen”, sagte die Dame Morgenrot heiter, und doch mit einem gewissen Ernst in ihrer zarten Stimme. “Wie schön, dass wir Euch…. überzeugen konnten...” - sie sprach diese beiden Worte genüsslich aus - “...Euch darauf einzulassen. Sowohl was die Angroschim als auch Euer Talent betraf, lagen Hochgeboren von Ambelmund und ich richtig.” Sie erwiderte des Rondrianers Blick mit ihren blauvioletten, rätselhaft tiefen Augen. Dann schwenkte noch einmal das geminzte Wasser in ihrem Kelch, um daran zu riechen und sagte nicht ohne eine gewisse zufriedene Süffisanz: “Und nun wisst Ihr ja, dass es unnötig ist, das Urteil einer Sängerin in diesen Belangen anzuzweifeln.”

Schmunzelnd ließ der Geweihte den Blick über die drei Damen gleiten. “In Zukunft werde ich wohl auf solche Wetten verzichten müssen, will ich mir nicht den Unmut der Dame Morgenrot zuziehen.” Erklärte er Wunnemine. “Außerdem, hätte ich zu gern auch Eure Darbietungen genossen.” Seine Augen begannen zu strahlen. “Sollen wir nicht eher so etwas wie einen Liederabend veranstalten, bei dem jeder etwas vortragen kann? Es gibt bestimmt noch andere Weisen aus Ambelmund die ein solches Publikum verdient hätten. Auch erzählt man sich viele Geschichten über den zweistimmigen Gesang, dessen die Elfen mächtig sein sollen und wie mag wohl jemand klingen, der von einer Elfe im Gesang unterrichtet worden ist?” Rondradin hatte dabei nacheinander Wunnemine, Liana und Eduina angesehen. “Vielleicht müsst Ihr auf solche Wetten verzichten. Aber sicher nicht auf diejenige, wer wohl der Jagdkönig wird!” griff Wunnemine Rondradins Vorschlag, immer noch grinsend auf. “Der Preis dafür könnte ein Liedlein sein. Und wenn wir alle daneben liegen sollten, wäre uns morgen ein geselliger Liederabend sicher. Den wir natürlich gerne in kleinerer Runde, vielleicht um ein Lagerfeuer in sternenklarer Nacht und mit einigen wärmenden Getränken bestreiten können. Was haltet Ihr davon?” fragte sie, an die Runde gerichtet. Heute Abend war ihr aber nicht nach Singen. Sie hatte noch etwas anderes zu tun. Der Rondrianer schüttelte den Kopf. “Bitte verzeiht, aber mein Bedarf an Wetten ist vorläufig gestillt.” Beschied er dem Vorschlag der Baronin eine Absage. “Was den Liederabend angeht, lasst uns  morgen nach der Jagd spontan entscheiden, ob wir ihn veranstalten wollen.” Liana senkte ein wenig den Kopf, was Eduina, die neben ihr stand, aus den Augenwinkeln wahrnahm. Noch bevor die Elfe etwas sagte, sprang die Zofe einmal mehr keck  in die Bresche. “Ihr müsst verzeihen, Euer Hochgeboren, Euer Gnaden, doch die Baronin singt zu unser aller Bedauern nur ausgesprochen selten in der Öffentlichkeit. Ihre Stimme hat …. “ - sie lächelte wissend, während sie nach der richtigen Formulierung suchte - “… eine besondere Wirkung auf all jene, denen es vergönnt ist, sie zu hören. Ihre Hochgeboren möchte niemanden … irritieren.” Die Elfe hob ihren Kopf und öffnete leicht den Mund, als wolle sie etwas sagen. “Mit dem Gesang der Nachtigall vermag ich nicht mitzuhalten, aber vielleicht bin ich ja in der Stimmung, zumindest zu versuchen, meine Lehrmeisterin angemessen zu vertreten. Das hängt von meiner Laune ab”, schloss die Begleiterin der Baronin und sah den Rondrianer selbstzufrieden an. “Es wären nur wir vier, in einem kleinen, privateren Rahmen. Aber ich möchte Eure Herrin auch nicht bedrängen, werte Eduina.” Der Blick des Geweihten wanderte von Eduina zu Liana, welche er anlächelte und wieder zurück zur Zofe. Als hätte Liana gewusst, dass ihre kecke Vertraute wieder das Wort ergreifen würde, kam sie dieser nun zuvor und machte nur eine Handbewegung, um dadurch zu verdeutlichen, dass sie nun selbst zu sprechen gedachte. Und tatsächlich neigte die Zofe kurz ihr Haupt - und schwieg. “Es wäre mir eine Freude, die Stimmung, die ich in mir trage, mit Euch zu teilen”, sagte sie sanft, freundlich, und fast etwas rätselhaft.  Rondradin neigte den Kopf vor der Baronin. “Ihr erweist uns eine große Ehre. Meinen herzlichen Dank dafür.” Der junge Geweihte strahlte über das ganze Gesicht. Ihm war deutlich anzusehen, dass ihn die Zusage der Dame Morgenrot wirklich freute. 

Nun genoss Eduina die volle Aufmerksamkeit des jungen Mannes. “Edle Eduina, ich würde nun gerne den Kuss einfordern, den Ihr mir in Aussicht gestellt habt.” Das Lächeln der Darpatin wurde breiter und zufriedener. Sie machte zwei kleine Schritte auf den stattlichen Priester der Leuin zu. Kurze, fast tänzelnde Schritte, während sie ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammen legte. “Ich wollt ihn also einfordern, hm?”, fragte sie spitz, während sie langsam einen weiteren Schritt auf ihn zu machte. “Was hätte eine einfache Zofe schon dem Willen eines Dieners der Rondra entgegenzusetzen?”  Sie neigte ihren Kopf nach oben, da Rondradin sie deutlich überragte. Sie duftete herrlich nach Pfirsich. “Ich ergebe mich Eurer Forderung”, sagte sie dann schlicht und schloss ihre Augen. Wer Rondradin jetzt beobachtete, wie er so vor Eduina stand, konnte den verzauberten Ausdruck auf seinem Gesicht sehen. Er genoss den Anblick Eduinas ebenso, wie ihren lieblichen Duft. Der junge Mann schluckte als er die sinnlichen, leicht geöffneten Lippen Eduinas sah, die sich ihm anboten. Wie unwiderstehlich von ihr angezogen, neigte er den Kopf. Dann berührten seine Lippen die ihren, und die Halle, die lärmenden Gäste, alles um sie herum war mit einem Mal weit fort. Seine Lippen waren weich und doch fest, zärtlich und besitzergreifend zugleich. Es war der Kuss eines Mannes, der sich seinen Preis nahm und ihn zugleich behandelte wie etwas sehr Kostbares. Seine Lippen wollten sich kaum von ihren lösen. Als sie sich schließlich voneinander lösten, umspielte ein glückliches Lächeln seine Züge. Rondradin suchte den Blick Eduinas und meinte dann in einem sanften Tonfall, das vorhergehende Gespräch aufgreifend. “Was müsste denn ein einfacher Diener der Rondra tun, um diese liebreizende Zofe bei Laune zu halten?” Mit einem zögerlichen, nein, eher widerwilligen Schritt löste sich die Dame von dem Priester. Wer sie ansah, konnte nicht leugnen, dass sie dieses kleine Spiel zweifellos überaus genossen hatte - und umso mehr seinen Ausgang. Ein zufriedenes und zugleich ergriffenes Lächeln lag auf ihren Zügen, und sie fuhr mit ihrer linken Hand ein wenig lasziv den Kragen ihres Kleides entlang, während sie Rondradin interessiert musterte. “Nun, Euer Gnaden … offenkundig habt Ihr das bereits schon von allein herausgefunden”, sagte sie dann mit weicher, schmeichelnder Stimme, in die sich jedoch - wie so oft - auch eine amüsierte Süffisanz mischte. Tatsächlich war eine Spur von Röte in ihre Wangen gehuscht. “ich muss zugeben, dass mich der … Eifer, mit dem Ihr Eure Wettschuld beglichen habt, mehr als überrascht hat.” Und zudem überaus erfreut… Letzteres sagte sie nicht, doch las er es in ihrem Blick.

All die vielen Gäste

Der Gastgeber ließ es sich nach einer anständigen Stärkung nicht nehmen, selbst eine ausgedehnten Runde durch die große Halle zu unternehmen, um sich seinen Gästen zu widmen.  Besonders zu freuen schien sich Borindarax dabei über die Anwesenheit von Veralidhana von Hamrath, einer Hofdame der Herzogenmutter aus der Kapitale des Herzogtums. 

Spinnensuppe

Ein Versprechen hatte Borax indes auch noch einzulösen und so ließ er sich zwei Schüsseln mit dampfender Spinnensuppe bringen und ging mit diesen in den Händen balancierend zu Nivard von Tannenfels. Grinsend setzte er die beiden Gefäße auf dem Tisch ab und setzte sich zu dem jungen Krieger. "Versprechen sind mir heilig”, eröffnete der Vogt und nickte in Richtung der milchigen Flüssigkeit in der Schüssel, die er wie ein Brei aussah als wie eine Suppe.  Als der Vogt den Tisch der Altenberger erreichte und sich neben den Krieger setzte und die Suppe abstellte, ergriff die Doctora von Altenberg die Initiative. Gerade erst kehrte sie vom Tisch der drei Baroninnen wieder und war erfreut gleich die nächste hohe Persönlichkeit kennenzulernen. “Wie schön das Ihr Euch zu Uns setzt, Vogt Borindarax! Ist das etwa die berüchtigte Spinnensuppe?” fragte sie frei heraus.  Breit grinsend bestätigte der Angroscho. “Oh ja, das ist sie. Seid ihr auch interessiert, noch ist etwas da? Meine Brüder und Schwestern greifen aber beherzt zu. Ihr solltet nicht zu lange zögern, wenn ihr noch probieren wollt.” Nivard grinste erst zu Borindarax zurück, dann kurz in Richtung der Doctora, bevor er sich wieder ganz dem Vogt von Nilsitz zuwendete: „Wie schön, dass Ihr Euch die Zeit nehmt. Darauf habe ich mich bereits seit gestern gefreut. Ich bin neugierig, und sehr gespannt.“ Zunächst sog er die über der Schüssel hängenden Dämpfe ein – die Suppe verströmte einen eigenartigen, schwer einzuordnenden Geruch, fremdartige Gewürze überlagerten sich mit einem kaum zu beschreibenden Grundaroma. Beherzt tauchte er den Löffel in die Suppe. Bevor er ihn zum Mund führte, sprach er noch einen kurzen Tischspruch: „Auf die unbekannten Welten, in die es mich an Eurer Seite immerzu verschlägt!“ Die sämige Flüssigkeit war sehr heiß und schmeckte nach einer Mischung aus reichhaltiger Milch, stark gesalzener Brühe und Pilzsuppe. Letztere erklärte die kleinen Würfel, welche Teil der Suppe waren. Alles in allem wurde der menschliche Gaumen nicht abgeschreckt durch die Suppe, das Zusammenwirken der einzelnen Geschmacksrichtungen war jedoch etwas fremd, gewöhnungsbedürftig traf es wohl am besten. Nivard sog erst einmal nach Luft, um den Inhalt des ersten, sehr heißen Löffels im Munde zu kühlen, dann ließ er die Suppe, mit dezentem Schmatzen die Pilze zerkauend, auf Zunge und Gaumen wirken. Nach einem kurzen Augenblick nickte er Borindarax lächelnd zu: “Mmh, ja, eigen, aber durchaus lecker. Schmeckt viel besser, als ihr Name vermuten lässt.” Mit einem Grinsen und einem Seitenblick Richtung der Baronin von Rickenhausen fügte er hinzu: “Und krabbelt auch überhaupt nicht in der Kehle.” Dann aß er erstmal beherzt und trotz der zuvor bereits verspeisten Köstlichkeiten mit gutem Appetit weiter. In manchem Winter wäre er bereits froh über eine Suppe wie diese gewesen. Die Lachfältchen, die nach dem kleinen Witz des Kriegers um Borindaraxs Augen erschienen, deuteten darauf hin, dass der Vogt den Humor Nivards teilte. Indes schien er nicht gewillt in dieselbe Kerbe zu hauen und löffelte anstelle dessen ebenfalls genüsslich seine Suppe. Thalissa sah sich das Spektakel um die Spinnensuppe mit eher ausdrucksloser Miene an, während Tar’anam sich tatsächlich einen Teller servieren ließ. Die Baronin blickte ihn ungläubig an. “Du kannst das essen?” - “Du wärst erstaunt, was man auf Maraskan alles zu Essen bekommt”, raunte er zwischen zwei Löffeln zurück. In der Öffentlichkeit sprach er die Baronin normalerweise mit der gebührenden Anrede an, aber die Leute hier waren allesamt deutlich abgelenkt. "Hm, gar nicht so schlecht", fügte er dann noch hinzu, sich am gelinde entsetzten Blick der Baronin heimlich, still und leise erfreuend.  “Ihr stammt von Marustan”, fragte der Zwerg im überraschten Tonfall in Richtung Tar’anams? Offenbar hatte der Vogt die anderen Tischgesprächen aufmerksam verfolgt. Der Leibwächter der Rickenhausenerin wandte sich dem Vogt zu und leerte seinen Mund, bevor er antwortete. “Nein. Aber ich habe dort viele Jahre gelebt”, antwortete er dann knapp. Abwartend blickte er Borindarax an. Thalissa ließ sich nichts anmerken, hatte aber bei der Frage aufgemerkt und lauschte nun interessiert. Ihr von ihrer Vorgängerin ‘geerbter’ Leibwächter war ihr in vieler Hinsicht immer noch ein Rätsel. “Bannland. Ich habe sehr viel über die Insel gelesen und hätte ihre Wunder gern mit eigenen Augen geschaut, auch wenn einige Reiseberichte abschreckend zu lesen sind, gerade was die Tödlichkeit ihrer Flora und Fauna betrifft”, erklärte der Vogt mit Faszination in der Stimme. “Ich nehme an euer Aufenthalt dort war vor Borbarads Invasion?” Tar’anam blickte auf. “Bannland? Marustan nanntet ihr es. Wie die Tulamiden. Ich wusste gar nicht, dass die Angroschim das auch so sehen? - Ich habe an der Tuzaker Kriegerakademie die Grundlagen des Waffenhandwerks gelernt. Das ist schon lange her, wie Ihr sehen könnt.” Ganz kurz flackerte ein wölfisches Grinsen über die Züge des alten Kriegers. “Ich kämpfte bis 1025 im Untergrund gegen die Borbaradianer, musste dann aber fliehen. Seitdem war ich nicht mehr dort.” Tar’anam blickte den jungen Angroschim abschätzend an. “Ja, das Land ist wild und schön und gefährlich - wenn man sich nicht auskennt.” Thalissa versuchte, sich ihre steigende Neugier nicht anmerken zu lassen und beschäftigte sich angelegentlich mit dem schlechten Wein in ihrem Kelch. Ihr Blick schweifte dann in weite Fernen und ja nicht in Richtung der beiden Gesprächspartner. Borax lachte. “Ihr würdet euch wundern, wieviel Kontakte die Angroschim mit den ersten Tulamiden hatten und was unsere Brüder im Rahja des Kontinents noch heute mit ihnen verbindet. Kennt ihr die Geschichte von Calaman, Sohn des Curthag und seinem Freund Assaf ibn Kasim, die gemeinsam Ordamons Kronreif aus Pyrdracors Hort stahlen?” Der Krieger zog überlegend die Brauen zusammen. “Hm … kennen ist zuviel gesagt, ich kann mich aber ganz vage an diese Legende erinnern. Hat das dann nicht einen der Drachenkriege ausgelöst?”  Während dessen erhob sich Elvan von seinem Platz und stellte sich neben den Vogt und wartete höflich ab, bis dieser seine Aufmerksamkeit ihm schenkte. Dabei hielt er die lederne Schriftrolle fest in seinen Händen. “Es ist in gewisser Weise die Wurzel allen Übels, wie ihr Menschen zu sagen pflegt. Leider würde die Erzählung selbst in ihrer Kurzform viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen, auch wenn ich die alten Geschichten liebe und sie euch gerne angedeihen lassen würde”, antwortete Borax, kehrte dann aber zum ursprünglichen Thema zurück. “Wie seid ihr von der Insel gekommen, es gab doch eine Art Seeblockade oder Piraten vielleicht”, mutmaßte der Zwerg? Fast so etwas wie ein Lächeln huschte über Tar’anams Gesicht, in das die Zeit und viele Erlebnisse tiefe Furchen gegraben hatten. “Seht mir nach, wenn ich darüber keine Einzelheiten berichten kann”, gab er dem Vogt zur Antwort. “Nur soviel: manchmal sind Beziehungen zum Shîkaydad von nutzen.” Dann lenkte der Krieger seinen Blick auf Elvan von Altenberg, der so nah herangekommen war, dass er jetzt jedes Wort, dass er mit dem Vogt sprach, verstehen konnte. Offenbar wollte der junge Mann etwas von Borindarax, also lehnte Tar’anam sich zurück, um zu signalisieren, dass der Vogt sich gerne des Mannes annehmen konnte, so er denn wollte. Natürlich hatte der Vogt Verständnis und versuchte gar nicht weiter in den Krieger zu dringen. Dies war weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit dafür, auch wenn er erpicht darauf gewesen wäre eine spannende Geschichte zu hören, die die ‘Flucht’ von der verdammten Insel mit Sicherheit gewesen war.  Nein, er musste sich um seine Gäste kümmern und deswegen widmete er seine Aufmerksamkeit nun endlich dem jungen Mann, der zwischenzeitlich hinzugetreten war. “Na kosten muß ich das auch nicht, obwohl ich mich frage, ob diese Spinne eine Giftdrüse besaß”, sagte die Doctora währenddessen in die Richtung der Baronin. Thalissa warf der Doctora lediglich einen zustimmend-nachdenklichen Blick zu, während sie Elvan unwillig musterte. Sie wollte jetzt das aufschlussreiche Gespräch zwischen dem Vogt und ihrem Leibwächter nicht unterbrochen wissen.

Das Heiligtum am Fluss

Elvan verneigte sich noch einmal kurz. “Vogt Borindarax. Ich wollte mich nochmals persönlich bedanken für die Einladung! Seit unserer Reise auf der Concabella hat sich ja einiges ereignet. Ich bin jetzt zum ordentlichen Schreiber gekürt worden” Mit stolzen Gesichtsausdruck stellte er sich gerade hin und lächelte. “Und wenn Ihr Euch erinnert, ich hatte Euch versprochen etwas von meiner Kunst der Kalligraphie zu schenken!” Nun öffnete der junge Schreiber die lederne Pergamentenrolle und zog eins heraus. Geistesgegenwärtig stand seine Kusine, Gelda von Altenberg, auf und machte den Tisch ein wenig frei. Daraufhin entrollte er das Schriftstück. “Ich habe die Zeit genutzt und habe mich mit den Rogolan-Runen beschäftigt. Ich habe zur Heiligen Dorotheia, die Schutzheilige der Schönschrift,  gebetet, auf das ich die Schönheit der Runen erfassen kann. Ich habe das ganze mit liebfelder Tusche geschrieben und mit einem Silberstift verfeinert. Das Pergament ist Honiger Büttenpapier.” Auf dem Pergament war in kunstvollen Rogolan-Runen geschrieben ´Bund auf Ewig´, datiert auf den 7.Ingerimm 1042 BF. Nun wartete er ab, wie der Vogt reagierte, ebenso wie die anderen zwei Altenbergs.  Nivard räumte schnell seine geleerte Suppenschale zur Seite und hob dann neugierig den Blick, gespannt auf das Werk seines Freundes. Obgleich er nicht viel von Rogolan verstand, bewunderte er die Kunstfertigkeit Elvans. “Sehr schön.” entfuhr es ihm, leise nur in Richtung Gelda, denn er wollte dem Urteil des Vogtes nicht vorgreifen. Angeregt und mit einem steten Lächeln um die Mundwinkel verfolgte Borindarax von Nilsitz, wie Platz geschaffen und das Pergament entrollt wurde. Als es dann vor ihm lag trat er an den Tisch heran, um sich das Schriftstück genauer zu besehen. Penibel ebenso wie akribisch musterte er die Schriftzeichen. Sie mochten ein wenig 'zu Rund' sein und hier und da die perfekte, geometrische Form vermissen lassen, doch das war allenfalls Geschmackssache, schließlich wurden die einzelnen Rogolan-Runen je nach Bergkönigreich beziehungsweise regionaler Ausprägung niemals exakt gleich ausgebildet.  "Vortrefflich", war daher das Urteil, als Borax mit einem breiten Grinsen zum Schreiber aufsah und sich mit der linken Hand den Bart entlangfuhr. "Ich bin wahrlich erstaunt. Die Runen sind schön anzusehen.  Sagt, habt ihr schon eine Anstellung gefunden? Wenn ihr zukünftig in Elenvina tätig seit, würde ich gerne eure eure Dienste zurückgreifen, wenn ich in der Kapitale weile." “Ich stehe Euch gerne zu Diensten, Herr Vogt!” Elvan strahlte ihn an, so auch seine Mutter Maura. Der Stolz in ihrem Blick war deutlich darin abzulesen. Wiederum seine Kusine Gelda den Krieger neben sich anhimmelte, der Wein schien seinen Zoll zu fordern. “Ausgezeichnet”, befand der Vogt. “Das wird mir meine Aufenthalte in Elenvina noch angenehmer gestalten.” Nivard wartete ab, bis Elvan sich wieder gesetzt hatte, dann gratulierte er ihm von Herzen zu seinem Werk und dem Anklang, das dieses beim Vogt gefunden hatte. "Jetzt habe ich endlich auch mal eines Deiner kalligraphischen Werke fertig gesehen," (bislang kannte er vor allem die Portraits) "ich muss sagen, es war wirklich wunderschön!" Kurz darauf war das große Gespräch an diesem Tisch wieder in mehrere kleinere Runden zerfallen. Nivard nutzte die sich endlich bietende Gelegenheit, den Vogt auf ihre Erlebnisse und ihr gemeinsames Geheimnis anzusprechen. Ganz vertraulich beugte er sich Borindarax entgegen, und fragte diesen, neugierig auf dessen Sicht der Entwicklungen, leise: "Hattet Ihr während Eurer Aufenthalte in Elenvina die Gelegenheit, Euch ausführlicher... dem Tempel des Launenhaften zu widmen? Und Euch vom Fortgang der dortigen Lehrtätigkeit zu überzeugen?"  Borindaraxs Augen verengten sich. "Ja, ich habe mit ihr sprechen können", brachte der Vogt mühsam beherrscht hervor und schnaubte bevor er fortfuhr. "Doch für meinen Teil werde die Besuche auf das 'notwendigste' beschränken.  Die Geweihten dort sind derart unfreundlich, verbohrt und uneinsichtig, dass mein Verlangen sich mit ihnen auseinanderzusetzen stark dezimiert ist… um es diplomatisch auszudrücken." Nivard zuckte angesichts des Grolls des Vogts zusammen - ja, die Efferdgeweihten waren teils sehr eigen, auch für ihn als Menschen, aber es ließ sich seiner Erfahrung nach mit ihnen auskommen, wenn man sie so nahm, wie sie waren. Und erwähnte die Schöne dort in guten Händen: “Was genau hat Euch denn so erzürnt, wenn ich fragen darf, Euer Hochgeboren?” hakte er bestürzt nach. “Ich hatte bei meinen Besuchen den Eindruck, dass es ihr dort nicht schlecht ergeht, und sie sich auch gut in diese, unsere Welt eingefunden hat. Oder seht Ihr das anders?” “Nein nein”, beschwichtigte der Zwerg sogleich mit Worten. “Ich habt mich falsch verstanden. Es ging bei dem Streit im Tempel des Launenhaften keineswegs um unseren Schützling. Vielmehr versuchten mich die Geweihten abermals zu ‘bekehren’ das Heiligtum des Flussvaters Efferd weihen zu lassen, obwohl ich dies schon an anderer Stelle und in diversen Korrespondenzen deutlich abgelehnt habe.” Nivard runzelte die Stirn: "Woher kommt eigentlich der Zwist zwischen den Dienern des Launenhaften und den Anhängern des Flussvaters? Ich gestehe, davon gehört, die Beweggründe aber noch nie so richtig verstanden zu haben. Wahrscheinlich,  weil ich nur aus den Landen an Tommel und Ambla stamme und den Großen Fluss wohl nicht im Blut habe. Ist der Große Fluss nicht Teil des Reiches Efferds, und damit der Flussvater einer seiner Getreuen? Und ist damit ein Heiligtum des Flussvaters nicht ohnehin ein dem Launenhaften heiliger Ort? Auch ohne, dass es hierzu einer gesonderten Weihe bedarf?" Wie der Schrein Kurims  doch auch dem Firun heilig war... "Ich bin jedenfalls froh, dass unser Schützling trotz dieses Streits gute Aufnahme gefunden hat." “Es geht darum, dass die Fresken und Ornamente in der Haupthalle des Heiligtum eindeutig davon zeugen, dass das Heiligtum einst dem Flussvater gewidmet wurde. Efferd und anderen, vermeintlichen Meeresgöttern wird lediglich in kleineren Seitengewölben gehuldigt. Daher gibt es für mich keinerlei Veranlassung dem Drängen der Geweihtenschaft des Launischen nachzugeben”, erklärte der Vogt nun wieder beherrschter. "Andere Meeresgötter? Außer dem Herrn Efferd? Und seinem Sohn mit der Sturmherrin, Swafnir?" Nivards Neugier war geweckt. "Wie alt ist dieses Heiligtum, und wer hat es ursprünglich errichtet? Ich dachte, es geht auf die Angroschim zurück, doch ist Euer Volk dem Meer nicht eher abhold?" “Die Bosparaner haben das Heiligtum gebaut beziehungsweise in das Gestein des Wedengrabens gehauen, auch wenn wir nicht herausfinden konnte, wie sie es getan haben. Die meisten Wände und Decken sind derart glatt geschliffen, dass ihre Oberflächen spiegeln”, erklärte der Vogt.   “Ich habe Aufzeichnungen aus jener Zeit gefunden, die auf die Güldenländer schließen lassen. Außerdem sind wir dort Geistern von bosparanischen Legionären begegnet, als wir das Heiligtum das erste Mal betreten haben. Im Altar der Haupthalle, sowie in Fresken der anderen Gewölbe finden sich Darstellungen, die von den Abbildungen bekannter Meeresgötter abweichen. Ja, ein großer Wal und Delfine sind darunter, aber eben auch ein furchteinflößender Oktopode, ebenso wie ein riesiger Rochen.” "Geister?!? Habt Ihr sie austreiben können? Oder spuken diese noch in den Hallen herum?" Nivard schauderte, doch wollte er noch immer mehr hören: "Ist der Ort denn neben dem Flussvater und Efferd noch immer auch diesen anderen... Wesenheiten... geweiht? Deren Einfluss spürbar? Die Bosparaner sollen ja manch dunklem Kult nachgegangen sein, und vergessene, von den Zwölfen zum besten der Schöpfung getilgte Götzen verehrt haben." Nivard war bei diesen Offenbarungen nochmals glücklicher darüber, dass Grimberta dem Vorschlag zugestimmt hatte, ihren Schützling im Efferdtempel zu Elenvina unterzubringen und nicht im Heiligtum des Flussvaters. Wer weiß, wer - oder was - dort auf sie eingewirkt hätte. “Nein”, entgegnete Borindarax nun entschiedener. “Das Heiligtum des Flussvaters ist von jeglichem, vermeintlich negativen Einfluss gereinigt worden und auch die Geister wurden allesamt gebannt, die Knochen, die wir dort ebenfalls fanden sind begraben, der Boden wo sie liegen ist eingesegnet.  Der Gruppe, welche das Heiligtum erforschte, gehörten dank der Fügung der Götter auch ihre Gnaden Marbolieb und zwei Golgariten an. Gemeinsam mit den Soldaten des Rogmarog konnten wir dies Abenteuer bestehen.” “Heißt das, Ihr selbst wart bei der Reinigung des Heiligtums dabei?” Bewunderung schwang in Nivards Stimme mit. “Welchen Schrecken musstet Ihr Euch stellen?” Ihm wurde bewusst, wie wenig er vom Vogt wusste, den er natürlich auch nur kurz während der Fahrt auf der Concabella kennengelernt hatte. Dass dieser offensichtlich ein echter Abenteurer war… “Hmmm…”, bestätigte der Zwerg mehr in Gedanken, denn voll Überzeugung. Erst einige Momente später, als sich der Vogt die Ereignisse scheinbar wieder ins Gedächtnis gerufen hatte, führte er in knappen Worten aus, was seiner Zeit geschehen war. “Es waren gefesselte Seelen, die dort hausten und keine Ruhe fanden in ihrem nassen Grab. Als Lebende wurden sie an jenem Ort eingeschlossen. Sie hatten die Herren dieser Länder, unsere Vorfahren überfallen und ihr Blut vergossen, einige von ihnen getötet.  Die Angroschim jagten sie und begruben sie lebendig in den Kavernen des Heiligtums, in denen sie Schutz suchten.  Wir haben etliche Gebeine gefunden und geborgen. Der Wunsch der Legionäre war es, unterhalb ihres einstigen Castells am Wedengraben begraben zu werden, dort wo heute Burg Nilsitz steht.  Es gibt dort tiefe Kavernen, ein ganzes Netz von Höhlen. In einer fanden wir feinsten Sand, wie in einem Flussbett und ein riesiges Hornissennest an der Decke.  Plötzlich waren wir umringt von dutzenden von Geistern. Sie bildeten eine Art Ehrenspalier für ihre Kameraden und wir wussten, dass wir den richtigen Ort gefunden hatten. Dort betteten wir sie zu ihrer letzten Ruhe.” Nivard hatte den Worten Borax gebannt gelauscht. "Das ist gut, dass sie ihre letzte Ruhe und damit schließlich Frieden gefunden haben. Sicherlich waren sie nur treue Legionäre, die im Dienste eines Kaisers oder einer Kaiserin Bosparans ihren Dienst verrichteten, als sie die Lande Eurer Vorfahren mit Krieg überzogen."  "Und es ist auch gut, dass nun schon seit langem Frieden herrscht zwischen den Völkern der Angroschim und den Menschen." fügte er nachdenklich hinzu. "Doch sagt, was hatte es mit dem riesigen Hornissennest auf sich, dass Ihr nahe der letzten Ruhestätte gefunden habt?" Schulterzucken war der erste Teil der Antwort, die Nivard erhielt. Erst danach setzte der Vogt zu einer Erwiderung an, von der er selbst nicht ganz überzeugt zu sein schien. "Die Rabenritter brannten es ab. Ich weiß nicht was es damit auf sich hatte. Wir sahen jedoch eine Art Schatten, der sich von dem Nest löste und in der Dunkelheit der Höhlen verschwand." Borax schüttelte den Kopf und seufzte. "Heute weiß ich nicht mehr, ob mir meine Sinne einen Streich spielten. Ich war hoch erregt, hatte Angst aufgrund der Geister um uns, die Luft flirrte von der Hitze des Feuers… Habe ich diesen wabernden Schatten gesehen und dieses laute Brummen von Insekten gehört?” Nochmals schüttelte der Zwerg den Kopf.  “Die ruhelosen Seelen fanden jedenfalls Frieden in den Reihen ihrer Kameraden dort unten. Am Ende ist es das was zählt." Nivard nickte langsam: “Da habt Ihr wohl Recht.” Er trank einen Schluck. Dabei verwarf er seine Gedanken zu dem Hornissennest.  “Auf jeden Fall habt Ihr meine Neugier geweckt, das Heiligtum des Flussvaters mit eigenen Augen sehen zu wollen. Ich hoffe, es ergibt sich irgendwann eine passende Gelegenheit dazu.” Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: “Vielleicht wäre das auch für unseren Schützling, nach ihrer Zeit im Tempel des Launenhaften, eine Reise wert?” Vielleicht sogar eine gemeinsame. Nivard wusste, das Borax das Heiligtum des Flussvaters ohnehin für den besseren Ort für “ihre Nixe” gehalten hatte. Auch wenn er selbst immer noch anderer Meinung war und sehr froh, dass die Herzogenmutter sich für den Elenviner Efferdtempel entschieden hatte, so konnte der von Borindarax beschriebene Ort, der ja nichts anderes als ein Band zwischen den Welten der Menschen und Zwerge einerseits und der Feenwelt des Flussvaters andererseits darstellte, dennoch recht eindrücklich für ihre Schutzbefohlene sein. “Das will ich meinen, gerade wenn wir in Zukunft Kontakt zu ihr halten und somit vielleicht dem Hofe des Flussvaters aufbauen wollen, was ich in Anbetracht der sich uns bietenden Gelegenheit für ratsam erachten würde, sehe ich das Heiligtum als besser geeignet an. Ihr seid mit in Senalosch immer herzlich willkommen. Ich zeige euch jenen Ort gerne, wenn euch euer Weg wieder nach Nilsitz führt. Ihr könnt euch aber gegebenenfalls auch direkt an den Edlen von Sturzenstein wenden. Er wird euch ebenso traviagefällig aufnehmen”, erklärte Borax voller Überzeugung. “Habt Dank für Eure neuerliche Einladung. Gerne werde ich auf diese zurückkommen!” Lächelnd und mit einer angedeuteten Verbeugung erhob Nivard den Becher zum Proste.

Eine entspannte Feier

Langsam, aber sicher entfalteten Bier und Wein, die Vorfreude auf die nächsten Tage und die schöne Feier auch auf Nivard ihre Wirkung: gelöst, wie man ihn selten erlebte, und auffallend viel lächelnd erzählte er der jungen Dame an seiner Seite von seinen Reisen, die er seit seiner Zeit als Plötzbogner erlebt hatte. Für ihn hätte der Abend in diesem Moment noch ewig andauern können...

Auch bei dem Baron von Rabenstein verweilte der Vogt eine ganze Weile, wenn er sich dabei auch zumeist mit der Gattin des schweigsamen Rabensteiners zu unterhalten schien. Klammheimlich hatte Borax seinen Nachbarn eine weitere Flasche Wein aus ihrem Geschenk an ihn bringen lassen, damit die zwei keinen nordmärkischen trinken mussten. Interessanterweise war es denn aber mehr der Baron, der sich mit seinem einige Jahre jüngeren Nachbarn unterhielt, diesen nach seinen Plänen befragte, von denen die Jagdhütte nur der erste gewesen sein würde.  Dies war ein Thema über das der Angroscho Stunden disputieren konnte, denn er hatte Großes vor.  “Nun, zunächst möchte ich das Treffen der gräflichen Vögte zu einer festen Einrichtung machen und mich als Augen und Ohren Ghambirs in Elenvina etablieren. Dies sind meine vorrangigsten, politische Ziele. Dann gilt es natürlich weiterhin Nilsitz wirtschaftlich zu stabilisieren und den Handel auszubauen. Der Warenumschlag auf dem oberirdischen Markt von Senalosch floriert und mit der Wiederinbesitznahme vieler, alter Tunnel erschließen wir uns neue Märkte. Bis nach Tolshidur in Almada reicht der erste Abschnitt, den Tunneljäger und Soldaten des Garderegimentes gesichert haben. Die Steuer auf den Warenumschlag im oberirdischen Teil von Senalosch, den mir der Rogmarog zugesteht war ebenfalls ein großer Gewinn, wie ihr euch vorstellen könnt. Aber nicht zuletzt dies hier.” Der Vogt hob die Hände und bekam leuchtende Augen. “Dass wir den Isenhag wieder ins Gedächtnis aller rufen, die Einheit zwischen Angroschim und Menschen wiederbeleben, uns auf unsere alte Stärke besinnen ist eines meiner Anliegen. Hier, an den Hängen der Eisenberge liegt das stählerne Herz der Nordmarken und die Beharrlichkeit, der Trotz, die von meiner Rasse über einen Jahrhunderte währenden Prozess auf die Menschen übergegangen ist, hat das Herzogtum zur sichersten Provinz des Raulschen Reiches gemacht. Mehr noch, wir sind diejenigen, die zur Ordnung rufen, wenn jemand aus der Reihe tanzt und deswegen ist es auch richtig, dass die Reichskanzlei nicht zurück nach Gareth verlegt wurde.” Kurz glitt ein Stutzen über die sonst so unbeweglichen Züge des alten Rabensteiners, als der junge Angroscho voller Feuer und Flamme von seinen Plänen berichtete. “Mögt Ihr mir erläutern, was Ihr unter ‘aus der Reihe zu tanzen’ versteht und wie Ihr diesem in Elenvina Einhalt zu bieten gedenkt?” Spätestens hiermit hatte der Zwerg die ungeteilte Aufmerksamkeit des Barons gewonnen, der mit einer leicht erhobenen Augenbraue den Vogt musterte. “Ich glaube ihr missversteht mich Hochgeboren”, entgegnete dieser leicht schmunzelnd. “Nicht die Angroschim meinte ich mit meinen letzten Sätzen. Ich sprach von der Bedeutung des Herzogtums für das Raulsche Reich. Von der benötigten Stabilität, den die Nordmarken ihm bringt. Ach ja und mit aus der Reihe tanzen meinte ich vergangene Bestrebungen bestimmter Provinzen sich vom Reich loszusagen.” “Aha.” Der alte Baron rieb sich über seinen perfekt gestutzten, schmalen Oberlippenbart. Von ruhiger Aufmerksamkeit war seine Stimme - die darüber hinaus gar nichts verriet. “Ihr sprecht von einer aktiveren Rolle der Angroschim in der Politik des Mittelreiches - unter eigener Fahne? Und einem Konflikt wie beispielsweise der Aranischen Sezession?” Lucrann rieb sich über seinen linken Oberarm angesichts dieses Stichwortes. Eine interessante Angelegenheit fürwahr, damals im sonnendurchtränkten, vor Farben strotzenden Licht dieses rahjawärtigen Reiches. “In erster Linie meinte ich unsere Nachbarn, Albernia”, antwortete der Vogt nicht ganz ohne eine Spur von Groll in der Stimme. “Ohne die Nordmarken wäre es der Kaiserin sicher schwer gefallen sie wieder ‘einzufangen’. Oder was meint ihr?” Eine rhetorische Frage, die Borax nicht dazu veranlasste innezuhalten. “Das Reich braucht die Nordmarken, denn wir geben Stabilität und sich stets verlässlich. Außerdem stellen wir die größte, militärische Macht abseits der Kernprovinzen dar, das hat der Feldzug gezeigt. Was die kleinteiligere Politik angeht, so sehe ich die Angroschim mit vier Grafen und vier Bergkönigen in einer angemessenen Position innerhalb des Raulschen Reiches. Ich sehe nur nicht, dass die sich daraus ergebenden Möglichkeiten ausreichend zur Geltung gebracht, ausgeschöpft werden.  Wir beschränken uns oft zu sehr auf ‘unsere Belange’ und halten uns aus vermeintlich uns nicht tangierenden Dingen heraus. Jedoch ist dies meiner Meinung nach eben nicht richtig, darum versuche ich mich einzubringen - zumindest im kleinen, meinen Möglichkeiten entsprechend.  Das ich den Grafen von Ferdok eingeladen habe ist zum Beispiel ein Zeichen, dass ich ihn und seinen Anspruch unterstütze. Den Bund der Alttreuen und seine Bestrebungen sehe ich mit Argwohn.” Der Boroni unterdrückte ein Seufzen. Der Vogt war jung und erst seit kurzem im Amt. Auch zuvor schien seine praktische Erfahrung wenig bis nicht vorhanden. Doch mit diesen Worten hatte er bereits begonnen, seinen Kopf in eine Schlinge zu stecken, die ein missgünstiger Zeitgenosse einfach hätte zuziehen können. Er selbst hätte seiner Knappin ob solch loser Worte eine Kopfnuss verpasst - mehr Hälse hingen dieser Tage an den eigenen Zungen denn am geführten Meucheldolch. Zumindest die Sache mit der Lehenshierarchie der Menschen würde dem Vogt dringlichst jemand erklären müssen, ehe er sich für seinen Grafen zur Gefahr machte. Doch zuerst die Forschung. “Und wie stellt Ihr Euch die stärkere Beteiligung der Angroschim vor?” fragte der Rabensteiner. Dieser blieb weiterhin enthusiastisch. “Das beginnt für mich im Kleinen. Zunächst einmal müssen wir stets dort Präsenz zeigen, wo es uns laut Gesetz zugestanden wird.  Ich nehme daher jede Chance wahr im Namen meines Lehnsherrn in Elenvina zugegen zu sein und trage ihm zu, was dort in der Kanzlei des Herzogtums und des Reiches vor sich geht.  In der nahen Vergangenheit ist es im Umkehrschluss auch schon vorgekommen, dass Graf Ghambir durch mich ein Schreiben hat überstellen lassen. Wir nehmen also wieder mehr am politischen Leben des Herzogtums teil. Dies sehe ich als Fortschritt. Wenn nur alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen würde, so bin ich überzeugt, wäre unserer Sache geholfen.” “Ah ja.” Der Rabensteiner nickte. “Doch da Ihn nun aktiv in der Herzogenstadt werdet, Herr Vogt - erzählt mir einmal, was wisst Ihr über die Mächtegruppen dort und welche seht Ihr als bedeutsam an?”  Die Ruhe selbst war die ruhige Stimme des alten Barons, dunkle und in sich ruhend, von der Art, dass seiner Knappin, die inzwischen schon über einige Götterläufe Erfahrung verfügte, sich dabei die Härchen im Nacken aufgestellt hätten. "In meiner Wahrnehmung sind es große, alte Familien, die nicht nur in weltlicher Hinsicht bedeutende Position bekleiden, sondern auch innerhalb des Klerus vertreten sind.  Dann gibt es die reichen Lehnsherrn aus dem Gratenfelsener Becken, die allein durch ihre wirtschaftliche Macht Einfluss geltend machen können. Nicht zu vergessen der Albenhusener Bund und die Kräfte die innerhalb wirken.  Es schlicht auf das Herzogenhaus und den Graf von Gratenfels als 'Gegengewicht' zu beschränken greift folglich zu kurz. Die Mächtestrukturen sind weit komplexer. Wenn man sich alleine ansieht, was und wer hinter den Personen steht, die im Eichenen Gemach sitzen, wird deutlich, daß es viele gibt, die versuchen ihre Interessen durchzusetzen", erklärte der Vogt und der Rabensteiner erkannte die Faszination in seiner Stimme. Der junge Zwerg war mitnichten abgeschreckt, sondern schien gefallen an dieser Art Spiel zu haben, wie es in der Kapitale nur allzu oft an der Tagesordnung war.  Also wusste er nichts. Das war zu erwarten. “Ehe Ihr in Elenvina tätig werdet, solltet Ihr Euch etwas besser informieren.” Der alte Baron betrachtete den Jüngeren und verschränkte die Arme. “Es sind die Einzelpersonen, die nicht sichtbar zu einer der großen Familien gehören, und die lockeren Bündnisse, die ihr kennen müsst, wenn Ihr nicht zwischen Hammer und Amboss enden wollt. Dass eine Tsaja vom Berg der Herzogenmutter loyal ist, versteht sich von selbst.” Was wiederum nur mittelbar mit der absoluten Gefolgschaft zum Herzog in Verbindung stand, ein Detail, dass den dem Sippenwesen verhafteten Zwerg vermutlich nicht einmal in den Sinn käme. “Beobachtet und wägt, ehe Ihr auch nur an eine Handlung denkt. Es wäre bedauerlich, wenn es wegen einer übereilten Stellungnahme eines Angroscho … möglicherweise gar außerhalb des gräflichen Standpunktes  … zu … Unstimmigkeiten käme.”  Der Rabensteiner ließ diesen Satz so stehen, sich recht gewiss, dass dieser kaum auf fruchtbaren Boden fiele. Doch in diesem Punkt sollte sich der Baron geirrt haben. "Danke für euren Rat. Ich werde versuchen ihn zu beherzigen", entgegnete Borindarax und es war kein Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Worte zu erkennen, auch nicht als er weitersprach. "Ich bin noch nicht einmal dreistellige und weiß, dass die Hitze meiner Lebensesse mir bisweilen kein guter, weil impulsiver Ratgeber ist, doch bin ich sicher, dass sich das mit den Jahrzehnten geben wird.  Politik ist ein Handwerk, sagte einmal Athimarex, mein Lehrmeister am Hofe meines Urgroßvaters zu mir und ich denke er hatte recht mit diesem Vergleich. Man muss das Werkzeug nicht nur kennen, sondern es auch beherrschen lernen, um es irgendwann zu meistern oder gar zur Perfektion zu bringen." Er zuckte mit den Schultern. "Nun, ich habe viel Zeit- mein Horizont ist weit länger als ein Menschenleben und an Ehrgeiz mangelt es mir sicher auch nicht. Ihr als mein Nachbar werdet mir aber doch sicher auch im Notfall ein offenes Ohr schenken, wenn ich seiner bedarf, oder", fragte er schließlich mit einem frechen Augenzwinkern?  “Ich habe stets ein offenes Ohr.” Bemerkte der Baron trocken. “So oder so sehe ich der Umsetzung Eurer Pläne gespannt entgegen.” Der Rabensteiner betrachtete seinen Nachbarn gelassen und prostete diesem zu. 

Ein Tanz in Ehren ...

Je später der Abend wurde, desto mehr Bier und Gebrannter floss. Da es nur Wein aus nordmärkischen Keltereien gab, beschränkte sich sein Genuss eher auf einige wenige ‚Liebhaber‘.  In Folge der Mengen an Alkoholika wurde die Stimmung auch immer ausgelassener, bis sich der Gastgeber dazu durchrang endlich zu seinem ganz persönlichen Höhepunkt der Veranstaltungen zu kommen. Naja, zumindest hoffte er, dass dieser folgen würde, wenn sein Plan denn aufging. “Darf ich für einen Moment um eure Aufmerksamkeit bitten”, rief der Vogt seine Gäste an. Hierzu war er extra ein zweites Mal an diesem Abend auf seinen Lehnenstuhl gestiegen. Zwar dauerte es seine Zeit und wirklich leise wurde es nicht, aber immerhin verringerte sich der Geräuschpegel so weit, dass er nicht schreien musste, um jeden Winkel der großen Halle zu erreichen. “Mir kam gerade ein Gedanke, den ich sogleich in die Tat umsetzen möchte.  Da ich weiß, wie bedeutsam die liebliche Göttin für euch Menschen ist, wenn es um das Feiern, den von euch so geliebten Rebensaft, Gesang und Tanz geht, möchte ich nun ihrer Ehrwürden Rahjania von Al - Azila Ahmedsunya bitten einige Worte an euch, meine Gäste zu richten. Und ja, auch meine Brüder und Schwestern sind gemeint.” Borindarax lachte mit den Augen. “Auf das auch Rahja mit Wohlwollen auf uns herabblickt an diesem Tage.” Rahjania hatte nur auf Borindarax Ansprache gewartet. Sie stellte sich freudestrahlend neben den Angroscho und lehnte sich leicht an ihn. Ein weniger kräftiger, oder scheuerer Mann wäre wohl beiseitegeschoben worden. "Wie Recht er hat, edle Gäste, Hochgeborene und Geweihte aller Rassen. Lasst uns auf dieser gelungenen Feier die schöne Göttin nicht vergessen. Lasst uns Rahjas Gaben genießen, sei es nun Wein oder Bier. Lasst uns Freude aneinander finden und dies mit einem Tanz beginnen, einen, wie könnte es besser passen, Reihentanz der Angroschim." Sie faltete kurz ihre Hände und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Bei dem einen oder anderen Gast verweilte dieser einen Lidschlag länger, wohlwollend, interessiert, oder manchmal auch skeptisch. "Bei diesem Tanz wählen die Damen, wer sie auffordern darf. So ist es Brauch. Doch sollte der Gastgeber den Tanz eröffnen. Es ist sein Recht und diese Ehre sollte ihm an diesem Abend gebühren ... mit ...", sie blickte sich unter den Anwesenden um und ihr Gesicht klarte sich auf als ihr Blick auf eine junge Angroschna fiel, "... ja, so soll es sein. Er soll mit der liebreizenden Gandrixa, Prinzessin des Isenhags tanzen. Danach werden wir folgen." Sichtlich überrascht blickte der Vogt zur Geweihten hinüber und brauchte einen Moment bis er sich gefasst hatte. Erst dann nickte er und schritt unsicheren Schrittes zur Prinzessin herüber, um ihr nach einer leichten, galanten Verbeugung den Arm anzubieten.  Gemessenen Schrittes führte Borindarax Gandrixa in Richtung kleinen, freien Fläche, die  gerade von fleißigen Helfern geschaffen wurde, denn eine solche hatte es zuvor nicht gegeben, war ein Tanz doch nicht Bestandteil der Planungen des Festes gewesen.  Nun aber war es anders gekommen. Borax drehte sich zur Prinzessin, als er inmitten der Fläche zwischen den Tischen angekommen war. Sie reichte ihm die Hand und er erhob sie, nachdem er sie ergriffen hatte.  So verharren die beiden, bis kurz darauf, instruiert durch Rahjania die Musik einsetzte. Nicht ungeübt führte der junge Vogt die Prinzessin in einem Reigen von gemächlichen Drehungen und gemeinsamen Schrittfolgen. Die bekannten Bewegungen schienen dem Borax wieder die gewohnte Selbstsicherheit zu verleihen. Mit einem seligen Gesichtsausdruck tanzte er, bis die Geweihte schließlich in die Hände klatschte und weitere Zwerge und Zwerginnen hinzutraten und es Vogt und Prinzessin gleichtaten.  Borindarax jedoch brachte Gandrixa zu dem ihr angestammten Platz an der rechten ihres Vaters, welcher seinen Gefolgsmann mit einem misstrauischen aber mitnichten unfreundlichen Gesichtsausdruck musterte. Indes hatte der bereits angetrunkene Tharnax andere Pläne. Er kannte keine Standesdünkel und schnappte sich kurzerhand die Angroschna, auf die er bereits am Tag zuvor ein Auge - das Verbleibende - geworfen hatte.  Er führte sie zu den Tanzenden.  Die Magd war zunächst etwas irritiert, wusste scheinbar nicht, ob sie den Angroscho eine Abfuhr verpassen wollte, oder es einfach geschehen lassen sollte. Als sie sich dann jedoch im Takt der Musik zu drehen begann trat ein Lächeln in ihr Gesicht. 

Damenwahl

Tanzen war nicht unbedingt Wunnemines Passion, nichtsdestotrotz verfügte sie über hinreichend Fertigkeit, um sich nicht gänzlich davor verstecken zu müssen. Und heute Abend würde sie sich diese zunutze machen. 'Damenwahl' heißt 'Damenwahl'! Das konnte er ihr nicht ausschlagen. Jetzt würde er ihr ins Angesicht blicken und das eine oder andere Wort mit ihr wechseln müssen. In grimmiger Vorfreude und vom Wein beschwingt schritt sie beherzt in Richtung des Grafentischs. Dort angekommen verneigte sich Wunnemine vor Ghambir, so formvollendet ihr dies möglich war, ganz auf diesen konzentriert und ohne viele Blicke zu den anderen Mächtigen um diesen zu werfen. "Verzeiht, Euer Hochwohlgeboren. Darf ich Euch um diesen Tanz bitten?" Überrascht und zunächst auch etwas unwillig erwiderte der Graf des Isenhag den Blick der Adligen. Dann wanderte sein Blick zu seiner Frau, doch diese hob nur die Augenbrauen, lächelte und nickte ihrem Gemahl in einer fast spöttischen Geste aufmunternd zu.  Schicksalsergeben seufzte der Graf und erhob sich, um der Aufforderung nachzukommen. Dabei huschte tatsächlich ein amüsiertes Schmunzeln über sein Gesicht. Auch ihm entging die Komik der Situation nicht.  Auf dem Weg zu der freien Fläche, wo getanzt wurde, war es der Zwerg, der das Wort ergriff.  "Raffiniert, das muss ich euch lassen." Wunnemines Mundwinkel zuckten kurz. 'Raffiniert' war ein Attribut, mit dem sie wahrscheinlich nur selten bedacht wurde. Aber gut, sollte er sie genau dafür halten... "Für das Vergnügen, Euch persönlich zu treffen, hätte ich jede Gelegenheit ergriffen. Und ein Tanz mit Euch ist eine besonders... schöne." Sie nahmen Aufstellung voreinander ein, und Wunnemine verbeugte sich vor dem Grafen, so dass sie für einen Augenblick nahezu auf Augenhöhe waren. Zum Takt der Musik schritten sie los, zuerst zwei Schritt auseinander, dann aufeinander zu. Wunnemines und Ghambirs rechte Hände griffen ineinander, und sie vollzogen eine Umdrehung um ihre gemeinsame Mittelachse. Der Tanz würde nicht ewig dauern, also beschloss sie, keine zu großen Umschweife zu machen: "Eigentlich sollte ich Euch hier als Eure treu ergebene Lehnsfrau begegnen, ohne dass hierfür Raffinesse erforderlich wäre. Und das täte ich gerne." Die Schrittfolge führte sie wieder auseinander. Wirkten manche Tanzpaare elegant und aufeinander bezogen, andere etwas ungeübter, aber vergnügt und wieder andere etwas tolpatschig, so erinnerte der Tanz des Grafen und der Baronin von Ambelmund an das lauernde Umstreifen eines Bären und einer Löwin. Einer angeschlagenen. "Aber Ihr, oder war es der Herzog, habt bedauerlicherweise und wider jede Erwartung anders befunden, zugunsten eines Mannes..." Sie wechselten die Hände und Drehrichtung. "...der den Namen Fadersberg bis dato noch nicht mal als den seinen kannte." In der ganzen langsamen Doppel-Drehfolge sah Wunnemine den Grafen in die Augen, vielleicht etwas zu aufmüpfig, in gespannter Erwartung auf dessen Reaktion. "Eure Meinung", antwortete Ghambir nüchtern und ohne jede Gefühlsregung in Stimme und Mimik.  Bei der nächsten Begegnung während des Tanzes, ließ er sich dazu hinreißen noch etwas zu sagen, obwohl er es anfangs scheinbar gar nicht vorgehabt hatte.  "Ich plane nicht wie ein Mensch, sondern in Zeitintervallen, die deutlich über euren Lebensspannen anzusiedeln sind.  Doch glaubt nicht, dass es meine alleinige Abwägung war, die zu jener Entscheidung führte."  'Also doch auch der Herzog.' schoss es Wunnemine durch den Kopf. Sie geriet ob dieses Schlusses kurz aus dem Takt und musste durch einen schnellen Zwischenschritt wieder in Reihe und Rhythmus kommen. "Welche langfristigen Gründe könnten altes Erbrecht außer Kraft setzen, ohne Praios und Travia zu erzürnen?" raunte sie dem Grafen zu, als sich ihre Tanzpfade alsbald wieder kreuzten. Die nächste Drehfolge um sich selbst, die sie an der über sie gehaltenen Hand des Grafen hätte ausführen müssen, rotierte sie einfach um sich selbst, stand ihnen doch ihr gegenseitiges Größenverhältnis im Wege. "Hat etwa der Herzog selbst Einfluss genommen?" Sie musste es einfach wissen. Deutlich sah Wunnemine den Unwillen in den Zügen des Zwergen aufsteigen. Seiner Meinung nach war sie mit diesen Worten zu weit gegangen.  “Ich habe den Herzog mit keinem Wort erwähnt”, gab er leicht bissig zurück, während die letzten Takte des Tanzes von den Musikern gespielt wurden. “Ihr habt mir nicht aufmerksam genug zugehört, Hochgeboren.” Die Paare beendeten ihren Tanz und verabschiedeten sich höflich. Ghambir ergriff noch einmal das Wort. “Ich möchte Euch bitten, Eure Worte in Zukunft besser zu überdenken. Ich schätze Euch und Eure Familie und bin der letzte, der Streit sucht, doch mir mit dem Zorn der Götter zu drohen missfällt mir.” Mit diesen Worten wandte sich der Graf ab und schritt zurück zu seinen Standesgenossen und ließ Wunnemine stehen, während die anderen Damen von ihren Tanzpartnern zu ihren Plätzen geleitet wurden. Da stand sie nun, allein gelassen auf der Tanzfläche. Benommen. Wunnemine brauchte einen Augenblick, um sich zu fangen, Orientierung zu finden nach diesem Tiefschlag des Grafen. Die Worte hatte niemand zur Gänze vernommen außer sie. Sein Abgang aber war ein für alle sichtbarer Affront, eine Demütigung ihrer Person, über die sich wahrscheinlich gleich jetzt, spätestens aber morgen kräftig das Maul zerrissen würde. Sie hatte Ghambir nicht drohen wollen, aber offensichtlich mit ihrer durch den Wein noch verstärkten direkten Art aus der Reserve gelockt. Und damit wenigstens in Erfahrung gebracht, dass der Herzog nicht hinter der Kyndoch-Sache steckte, sie nicht in Eilenwid-über-den-Wassern selbst in Ungnade gefallen war. Und Ärger mit Grafen war ja nichts neues für sie... Als diese Erkenntnis sickerte, hob sich ihre Stimmung, wenigstens etwas. Sie drehte sich um und schritt, so stolz es ihr in ihrem innerlichen Taumeln möglich war, zurück zur Tafel. Ihr gingen dabei nochmals die Worte Ghambirs durch den Kopf. Sie musste diese mit Leodegar besprechen. Noch heute Abend.  Warum nur hatte sie soviel getrunken?

und schmucke Tanzherren

Musik und Tanz war genau etwas , das die Altenbergers im Blute lag. Die Doctora Maura stand auf und zog ihre Nichte mit. “Hast du gehört, Damenwahl!”, sagte sie laut und lachend. Gelda teilte nicht ganz die Euphorie, ließ sich allerdings mitreißen. Ihr Blick wanderte gleich zu dem Krieger Nivard von Tannenfels, aber ihre Muhme nahm sie an die Hand und zog sie in eine andere Richtung. Maura ging zielstrebig auf zwei Männer zu, die ebenfalls miteinander verwandt waren. “Euer Gnaden, das ist meine Nichte Gelda”, stellte sie Gelda den Rondrageweihten Rondradin vor. Die etwas überrumpelte Nichte schaute etwas überrascht, fasste sich aber schnell. ”Ich … denke … wollt ihr mir diesen Tanz schenken?!” fragte die junge, rothaarige Frau, die ungefähr das Alter von Palinor hatte. Maura wendete sich an den jungen Knappen Palinor. “Edler Herr von Wasserthal, würdet ihr mir die Ehre geben?” Die weitaus ältere Frau hielt ihm ihre Hand entgegen. Überrascht, als dienender Knappe zum Tanz aufgefordert zu werden, brauchte Palinor einen Herzschlag, bevor er, auf ein zustimmendes Nicken seines Vetters hin, antwortete. "Es wäre mir ein Vergnügen, Edle Dame." Dabei verbeugte er sich höflich. Palinor wirkte ein wenig unsicher als er die dargebotene Hand  aber man konnte ihm auch ansehen, dass er sich freute. Wobei er sich über einen Tanz mit Gelda wahrscheinlich noch mehr gefreut hätte. Rondradin indes verbeugte sich galant vor Gelda und gab ihr einen Handkuss nach horasischer Art. "  Wie könnte ich einer Aufforderung zum Tanz von einer solch liebreizenden Dame ablehnen? Es ist mir eine Freude Eure Bekanntschaft zu machen, Gelda. Bitte, nennt mich Rondradin." Dabei schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln. Der junge Knappe merkte gleich, dass er eine erfahrene Tänzerin an seiner Seite hatte, den die Doctora führte oft oder gab mit drückenden und ziehenden Gesten hinweise zu Schrittfolge. Die etwa 50 Götterläufe zählende Frau in ihrem blau-weißen Kleid machte eine gute Figur, das sich auch auf Ihn übertrug. Gelda hingegen war auf die Erfahrung ihres Tanzpartners angewiesen. Schon bei der ersten Drehung prallte sie gegen Rondradins Brust. Mit unsicheren Lächeln und errötenden Gesicht murmelte sie ein ”Oh, Verzeihung”.  Palinors Unsicherheit schmolz dank der Doctora schnell dahin. Ja, er genoss den Tanz mit der erfahrenen Tänzerin ausgiebig. Einige ungeschickte Schritte von seiner Seite wurden von der geübten Tänzerin elegant und unmerklich ausgeglichen. Glücklich grinste der Knappe Maura an, als diese ihn über den Tanzboden lotste. Gelda fühlte, wie die starken Arme des Rondrageweihten sie sanft anhoben und in der richtigen Grundstellung wieder absetzten. Dabei kam er nicht aus dem Tritt, sondern tanzte einfach mit ihr weiter. "Das muss Euch nicht peinlich sein." Meinte er augenzwinkernd  zu der deutlich Jüngeren, als er ihrer Schamesröte gewahr wurde. "Mir ist das auch schon passiert, nur prallte ich gegen die Großmeisterin meines Ordens und damals war sie noch zwei Köpfe größer als ich." Rondradin grinste schelmisch, als er es der Fantasie Geldas überließ, sich die Situation auszumalen. Währenddessen tanzten sie unter seiner sanften Führung weiter, wobei er ihr hin und wieder Hilfestellung bot, wenn sie aus dem Takt kam.  Die Worte Rondradins ließ sie schüchtern lächeln. Sie straffte sich und ließ sich von dem Älteren führen. Nachdem Gelda ihre Unsicherheit abgelegt hatte, konnte der Rondrageweihte sie besser betrachten. Sie hatte ein hübsches Gesicht, fein geschnitten, mit hohen Wangenknochen und mandelförmigen, grünen Augen. Ihr Mund war sinnlich, obwohl ihr etwas Unschuldiges anhaftete. Die porzellanweiße Haut war mit einigen Sommersprossen auf Nase, Stirn und Wangen geziert. Das kupferrote Haar trug sie lang und offen und wirbelte im Wind bei jeder Drehung. Ihr schlanker Körper wirkte athletisch, wahrscheinlich konnte sie ein Schwert schwingen oder zumindest halten. Auch wenn sie jung an Jahren war, sagte ihr tiefgründiger Blick etwas anderes aus. Rondradin wußte das er es mit einer alten Seele zu tun hatte. Auch Gelda betrachtete ihn. ´Was ist nur los mit mir? Ich kenne diesen Mann gar nicht, aber ich fühle mich so geborgen bei ihm´, ging es ihr durch den Kopf. Dann dachte sie an Nivard. Er war jünger, aber auch der Göttin Rondra nahe. Sie fühlte sich bei ihm wohl und fühlte sich gleichwertig mit ihm. Doch dieser hier gab ihr das Gefühl, sich keine Sorgen machen zu müssen. Sie lächelte nun mit leicht geöffneten Lippen und entschloss den Moment einfach zu genießen. Auch Gelda hatte nun die Gelegenheit, ihren Tanzpartner zu begutachten. Die weiße Robe, die der Geweihte anstatt des sonst üblichen Kettenhemds trug, verhüllte einen guten Teil seines Körpers. Aber als Gelda gegen Rondradin geprallt war, hatte sie seinen durchtrainierten Oberkörper spüren können. Dabei war ihr auch der Duft nach Weihrauch und Kiefernnadeln aufgefallen, der ihn umgab. Ein Schatten umspielte sein kantiges  Kinn, wo die Rasur vom Morgen den Kampf gegen das nachsprießende Barthaar verlor. Seine wohlgeformten Lippen umspielte ein sanftes Lächeln, welches sich auch in seinen Augen fortsetzte. Tiefblaue Augen, die geradezu strahlten und in denen Gelda erkennen konnte, dass Rondradin schon vieles erlebt hatte. Was durch die blasse, kleine Narbe unter seinem linken Auge noch unterstrichen wurde. Und doch lag in seinem Blick eine fürsorgliche Sanftheit, welche in seiner Gegenüber ein Gefühl der Geborgenheit hervorrief. Ihr entging dabei nicht, dass der Geweihte auch sie in Augenschein nahm, wobei sein Blick mehrere Herzschläge bei ihren Lippen verweilte, bevor er wieder den Blickkontakt mit ihr suchte. ´Diese Augen, so tiefgründig wie der Große Fluß´ ging es Gelda durch den Kopf. Je mehr sie tanzten, desto angezogener fühlte sie sich zu Rondradin. War das die Absicht ihrer Muhme? Sie bemerkte auch das er sie ebenfalls betrachtet und mit einem mal hatte sie das Gefühl, ihn küssen zu wollen. Fast hätte sie sich dem Moment hingegeben, als ihr bewusst wurde wie verrückt das war. Sie drehte sich von dem Rondrageweihten fort und trat dabei auf den Fuß ihrer Tanznachbarnin. “Oh verzeiht, Edler Dame”, sagte sie schnell und drehte sich wieder zu Rondradin. “Habt dank für diesen Tanz. Ich habe das … sehr genossen. Aber wenn ihr mich kurz entschuldigen könntet, ich bräuchte etwas frische Luft.” Mit leicht geröteten Gesicht, machte sie einen hastigen Knicks und machte sich eilig davon, um an die frische Luft zu kommen. Verwirrt sah Rondradin Gelda hinterher, als diese aus der Halle eilte. Erst als sich die Türen hinter ihr geschlossen hatten, setzte er sich Bewegung und räumte die Tanzfläche für die anderen Tanzenden. Dabei rätselte der Geweihte noch immer, weshalb sie geflohen war. Gelda hatte doch nicht etwa bemerkt, dass er darüber nachgedacht hatte, wie sich wohl ein Kuss von ihr anfühlen mochte. Er seufzte. Natürlich, was denn sonst? So konnte er sie nicht gehen lassen, zumindest sollte er sich bei ihr entschuldigen. Rondradin straffte die Schultern, nahm im vorbeigehen zwei Becher verdünnten Weins - die einzige Möglichkeit, diesen zu trinken - und steuerte auf den Ausgang zu, durch welchen Gelda kurz vorher verschwunden war. Wunnemine war noch ganz in den Eindrücken ihres Gesprächs mit Ghambir gefangen [zeitlich passt das, in der Textreihenfolge nicht ganz] und schritt daher nicht mit letzter Aufmerksamkeit zu ihrem Platz zurück. Aus ihren kreisenden Gedanken wurde sie allerdings jäh gerissen, als sie mit dem jungen Rondrageweihten, mit dem sie vorhin zusammengesessen hatte und der sich gerade mit zwei gefüllten Bechern in der Hand den Weg durch die Menge bahnte, zusammenstieß. Ein Teil eines Becherinhalts ergoss sich über ihren Wams. Verdutzt sah die Baronin Rondradin an. Der blieb wie angewurzelt stehen und sah die Baronin nicht minder verdutzt an. “Verzeiht Hochgeboren, ich war in Eile und habe Euch nicht kommen sehen.” Er deutete eine Verbeugung an, so gut es eben in der Menge und mit den Bechern ging. “Habt Ihr etwas abbekommen, ...oh ich sehe schon.” Die aufsteigende Schamesröte wurde durch die das weiße Ornat deutlich hervorgehoben, als er die nassen Flecke auf ihrem Wams entdeckte. Wunnemine sah an sich hinab. Das Wams war in der Tat an einer Flanke mit Wein befleckt, der sich aber aufgrund der dunkelblauen Farbe des Gewands im Zwielicht der Halle nicht allzusehr abhob. Hätte sie den weißblauen Wappenrock angehabt, den sie im Felde zu tragen pflegte, hätte der Wein wohl eine schwere Stichwunde an der Seite vorgetäuscht. So aber störte allenfalls die Kühle, die mehr und mehr an Bauch und Leisten drang, angesichts der inzwischen in der Halle herrschenden Hitze nicht allzuschwer wog. In der Anspannung, die sie den ganzen Abend vor dem Tanz mit dem Grafen erfüllte, hätte die Baronin den jungen Rondrageweihten vielleicht trotzdem scharf angefahren. In der aktuellen Mischung aus grüblerischer Entrückung ob der Worte des Grafen und Erleichterung aber war sie geneigt, ohne viel Aufhebens über das Missgeschick hinwegzugehen.  “Nicht weiter schlimm, Euer Gnaden. In diesem Gedränge kann ein solches Missgeschick passieren. Zur Entschuldigung nehme ich gerne den Becher Wein, den Ihr mir mitgebracht habt!” Mit diesen Worten nahm sie Rondradin den noch weitgehend vollen Becher ab. Dieser war so verdattert und gleichzeitig erleichtert über die Worte der Baronin, dass er erst gar keine Widerworte gab, als sie ihm einen Becher abnahm und weiterging. “Tausend Dank, für eure Nachsicht, Hochgeboren”, konnte er noch sagen, bevor sie außer Hörweite war.  Seufzend drehte er um und füllte zwei neue Becher, wobei er diese aber nur etwas über die Hälfte füllte. Mit größerer Vorsicht als beim ersten mal, eilte er erneut dem Ausgang entgegen. Bekannten Gesichtern, die aus der Menge auftauchten, nickte er grüßend zu, wurde dabei aber nicht langsamer. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von der Tür, die ihn zu Gelda führen sollte. Ungestört erreichte Rondradin den Ausgang und ging nach draußen. Kalte Nachtluft umfing Rondradin als die Tür hinter ihm zu fiel. Er tat einen tiefen Atemzug und genoss die klare Luft. Der Geweihte machte ein paar Schritte nach vorne und sah sich um. Hoffentlich war Gelda nicht zurück zum  Zeltlager gelaufen, sondern war hier in der Nähe geblieben. Die kühle Abendluft begrüßte sie mit weit geöffneten Armen, als sie die Tür nach draußen öffnete. Gelda war froh über diesen Wechsel der Umgebung. Sie schaute sich um und setzte sich dann auf einen der Bänke, die vor der Jagdhütte standen. ´Was ist bloß los mit mir?´ ging es ihr durch den Kopf. Sie zog die Luft scharf durch die Nase und merkte, das sie viel zu dünn angezogen war für diese Temperatur.  Es fröstelte sie. Instinktiv schlug sie ihre Arme um ihren Körper. Nachdenklich schaute sie in den Sternenhimmel. Gelda dachte nach. Schicksal. Was ist Schicksal? Was wird ihr Schicksal sein? Sind die Begegnungen hier gesteuert vom Schicksal? Der Ruf einer Eule holte sie aus ihren Gedanken. Dann bemerkte sie, das sie nicht mehr alleine war. Die ihr wohlbekannte Gestalt des Rondrageweihten kam auf sie zu und legte ihr seinen Umhang um die Schultern. "Es ist kalt, Ihr müsst achtgeben, ansonsten erkältet Ihr Euch noch", sagte Rondradin sanft. Er ergriff die beiden Becher, die er zuvor abgestellt hatte und reichte einen davon Gelda. "Wollt Ihr vielleicht etwas trinken? Es ist nur verdünnter Elenviner, aber wenigstens ist er kühl.." Der Geweihte wirkte etwas unsicher als er so vor ihr stand und plapperte. “Ich bin gekommen um mich zu entschuldigen. Es tut mir leid, dass Ihr das Gefühl hattet, vor mir fliehen zu müssen.” Sein Blick suchte den ihren. “Wenn ich gehen soll, dann sagt es bitte, aber ich würde gerne hier bei Euch bleiben, so Ihr es erlaubt.” In seinen Augen glomm Hoffnung.  “Oh”, kam es etwas überrascht. Die Wärme des Umhangs war willkommen und so nahm sie die Geste an. Sie nahm den Becher. “Nein, Rondradin. Das ist nicht nötig. Ich muss mich entschuldigen, dass ich Euch das Gefühl vermittelt habe. Ich muss gestehen, ich bin es nicht gewohnt mit so vielen Menschen in einem Raum zu sein und … zu tanzen. Ich bin lieber draußen in der Natur. Aber gerne, setzt Euch zu mir!” Mit einer Geste wies sie auf den Platz neben sich. "Sehr gerne", mit diesen Worten nahm Rondradin Platz. Er wirkte nun sichtlich erleichtert.  Ihr Herz schlug wieder höher. Es gelang ihr nicht, wieder auf seine Lippen zu starren. “Ich kann mir vorstellen das Eure Gemahlin gerne mit Euch tanzt”, sagte sie prüfend.   “Ich hoffe, dass sie das eines Tages sein wird”, scherzte Rondradin, “denn ich bin noch immer unvermählt, dem Drängen meines Onkels zum Trotz.” Wieder gingen seine Augen auf Wanderschaft, blieben an ihren Lippen hängen, bevor sie weiter wanderten um dem Blick Geldas zu begegnen und diesem standzuhalten. In seinem Blick konnte Gelda Fragen erkennen, Fragen, welche nur sie zu beantworten vermochte. Ohne es zu bemerken, kamen sich die Gesichter der beiden immer näher. Gelda fühlte sich von dem älteren Mann angezogen. Ein Gefühl machte sich in ihr breit, das sie vorher noch nie so stark gefühlt hatte. War das die Leidenschaft, von den die Priester der Liebesgöttin immer sprachen?  “Ihr habt schöne Augen”, kam es über ihre Lippen. Sie lächelte und strich sich eine Strähne aus ihrem Gesicht. Auch der Geweihte lächelte. Was würde er nur von ihr denken, wenn sie diesem Gefühl einfach nachgeben würde? Eigentlich sollte sie jetzt … Da fiel ihr Blick über seiner Schulter. Sie sah Nivard, der aus der Jagdhütte kam und sich umschaute. Gelda erschrak innerlich zusammen. ´Was machst du bloß?´, dachte sie. Verwirrt aber erleichtert über die Ablenkung, sprang sie plötzlich auf und schaute den überraschten Rondrageweihten an. “Ah, Es ist wirklich schon spät … wir sollten das wiederholen … und da ist ja auch der Herr von Tannenfels!” Sie striff den Umhang ab und gab ihn Rondradin zurück. “Vielen Dank, Rondradin, ich habe es sehr genossen”, setzte Gelda nach. Dann  lief sie zu Nivard. Die Kälte der sternenklaren Nacht schlug Nivard entgegen, als er die Hütte verließ. Unwillkürlich sog er scharf Luft ein, war aber ansonsten nicht undankbar, brachte die Frische und die plötzliche Dämpfung der Festgeräusche doch auch eine wiederkehrende Klarheit der Wahrnehmung und des Geistes. Auch wenn er sich zunächst wie betäubt fühlte. Suchend blickte er sich um - da war ja Gelda! Und leider auch Rondradin! Ganz wie er vermutet hatte. Trotzdem versetzte ihm dies einen Stich. Der junge Krieger sah, wie die Gesuchte rasch aufsprang, und etwas zu dem Rondrageweihten sagte - leider verstand er nicht, was, mussten sich seine Ohren doch erst an die schwächere Schallkulisse gewöhnen. Da kam sie schon raschen Schrittes auf ihn zugelaufen. Nivards Herz machte einen Sprung. Hatte er Gelda durch sein Auftauchen tatsächlich aus einer Situation der Bedrängnis gerettet? Er eilte ihr die letzten Schritte entgegen. Als er sie erreichte, warf er Rondradin einen kurzen, funkelnden Blick zu, ehe er sich ganz Gelda zuwandte. "Gelda! Hier bist Du also!" Besorgt sah er in ihre großen, von der Nacht geweiteten Augen, diese Augen! Er versuchte zu erkunden, in welcher Gemütslage sie wohl war. Aufgewühlt auf jeden Fall. Aber welche Gefühle schwangen noch mit? "Geht es Dir... gut?" sprach echte Sorge aus seiner Stimme. "Magst Du wieder rein, oder sollen wir noch ein wenig spazieren? Oh, ich hoffe, Dir ist nicht kalt..." Nivard deutete mit dem Kopf in Richtung Zeltplatz. "Da hinten wäre ein Wachfeuer." Eines, um das sich in diesem Augenblick gerade niemand scharte. Sie lächelte ihm zu, ergriff seinen Arm und raunte ihm zu:” Ich habe genug vom Abend. Wir müssen ja früh raus. Würdest du mich zu meinem Zelt begleiten?”, fragte sie höflich. Gelda hatte einen zutiefst verwirrten Rondradin zurückgelassen. Langsam stand er auf und legte den Umhang an, bevor er  auf den Eingang der Halle zuschritt. Dabei musste er an das gerade erlebte denken. Erst machte sie ihm ein Kompliment und wollte ihn offensichtlich küssen, dann sprang sie mit einem mal auf und rannte weg. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt machte sie nicht den Eindruck, als wäre er der Grund. War sie unsicher? Spielte sie mit ihm? War es ihr peinlich, dass der junge Nivard aufgetaucht war? Der Geweihte schüttelte den Kopf. Den jungen Tannenfelser mochte er dafür nicht verantwortlich machen, aber still vorbeigehen konnte er auch nicht. Also nickte der den Beiden zu. "Es war mir ein Vergnügen, meine liebe Gelda von Altenberg. Nivard von Tannenfels, ich habe mein Versprechen nicht vergessen, kommt vorbei, wenn Ihr ein Bier mit mir trinken wollt." Er hatte ein Lächeln aufgesetzt, das zerbröckelte, kaum dass er die Beiden passiert und die Tür erreicht hatte.  Nivard hielt zunächst den Atem an, als Rondradin an ihnen vorbeischritt. Was würde jetzt kommen?  Regungslos vernahm er dessen an Gelda gerichtete Worte. Wie waren diese gemeint? Was war gerade geschehen? Er sah zu Gelda, versuchte in ihrem Gesicht Antworten auf die quälenden Fragen zu finden. Auf Rondradins Bekräftigung seines Versprechens auf ein gemeinsames Bier nickte er nur stumm. Wahrscheinlich hatten sie ein Wörtchen miteinander zu reden. Doch nicht jetzt.  Nivard wagte erst wieder durchzuatmen, als die Tür hinter dem Geweihten wieder zugefallen war. “Alles in Ordnung, Gelda?” fragte er mit sanfter Stimme. “Komm, lass uns ein paar Schritte zusammen gehen!” Er bot ihr den rechten Arm. Gelda straffte sich und versuchte die ihr peinliche Situation zu überspielen. “Alles in Ordnung. Ich hatte einen schönen Abend und ein nettes Gespräch mit dem Herr von Wasserthal.”Sie lächelte ihn an und drückte seine Hand etwas fester. Nivard sah Gelda forschend in die Augen. Sollte er nachfragen - nein, er ließ es besser dabei bewenden, er wollte ihr nicht zusetzen. Was zählte, war nicht, was eben noch geschehen war, sondern die Nähe zwischen ihnen beiden, die Schönheit dieses Augenblicks alleine. "Gerne bringe ich Dich zu Deinem Zelt!" gab er mit sanfter und zugleich vor Aufregung leise bebender Stimme zurück. Seine im Licht der Sterne glänzenden Augen bezeugten, dass sein warmes Lächeln der Zuneigung von tief in ihm kam. Er spürte ihre Hand in der seinen, und auf einmal wusste er, was er ihr sagen wollte - Verse, die besser als jedes, gerade von ihm gesprochene, profane Wort ausdrücken würden, was sein Herz ihm auftrug. Er erwiderte sanft ihren Händedruck: "Dann lass uns…"

Jäh flog die Türe auf… 'Bitte, nicht jetzt ', fuhr es ihm zuerst nur durch den Kopf…  ' nicht ausgerechnet jetzt…'

Die Gauklerin

Plötzlich sah Rondradin, der sich gerade im Gespräch mit Rahjania befand [siehe Kurz darauf], eine bekannte Gestalt auf sich zurennen, kaum dass er die Halle wieder betreten hatte. War das nicht … Doratrava? Natürlich, wer sonst? Die weiße Haut, von der extrem viel zu sehen war, trug die Gauklerin doch ein sehr freizügiges Kostüm, die weißen Haare, die hinter ihr her flogen und die leicht angespitzten Ohren entblößten, das war unverkennbar. Doch schien die junge Frau ihn gar nicht wahrzunehmen, in eiligem Tempo stürmte sie geradewegs an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Nanu - waren das Tränen in ihrem Gesicht? Er drehte sich überrascht um, aber da hatte Doratrava schon einen Türflügel aufgestemmt und war im Dunkel der Nacht verschwunden. Draußen lief die Gauklerin noch einige Schritte, ohne wirklich zu sehen, wohin. So übersah sie auch Gelda und Nivard, welche kaum ein paar Schritt von ihr entfernt zusammen standen. Unvermittelt fiel sie auf die Knie, schlug die Hände vor ihr Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen. Die Eiseskälte, welche mittlerweile hier draußen herrschte, nahm sie gar nicht wahr. Das Schluchzen ging Gelda durch Mark und Bein. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, wer da in der Nacht weinte. “Doratrava?” Instinktive zog sie Nivard mit sich und rannte zu ihrer Freundin. Sie nahm sie in den Arm und blickte ihr ins Gesicht. “Was ist passiert? Bist du verletzt?”, fragte sie fordernd und drückte die Gauklerin an sich.  Widerstandslos ließ Doratrava sich hochziehen, im ersten Moment begriff sie gar nicht, was mit ihr geschah. Erst allmählich vermochte sie durch die Tränenschleier Geldas Gesicht auszumachen, dass sich plötzlich unmittelbar vor dem ihren befand, schwach erhellt von den Fackeln, welche den Eingang der großen Halle beleuchteten. Verdammt, sie wollte doch jetzt allein sein … andererseits konnte ein kleiner Teil ihrer Selbst nicht umhin, die Umarmung dieses warmen, weichen Körpers zu genießen, nicht zuletzt (aber nicht nur) aus ganz praktischen Erwägungen, denn auch wenn sie noch viel zu aufgewühlt war, biss doch bereits die Kälte der sommerlichen Gebirgsnacht in ihre nackte Haut. Doratrava versuchte sich zusammenzureißen und wieder Herr ihrer Gefühle zu werden, doch das war nicht so einfach nach der eben durchgemachten Erfahrung. Erst einmal konnte sie auf Geldas Frage hin nur stumm den Kopf schütteln. Wobei das so nicht stimmte. Diese … Frau … Eduina … ja, die hatte sie verletzt. Tief. Wie gerne wäre sie nun mit Liana irgendwo allein gewesen, um gemeinsam noch ein wenig den Rausch der Gefühle nachklingen zu lassen, diesem nachzuhängen, in aller Stille und Zufriedenheit, so lange es eben währte. Aber nein, dieser … Drache … musste ja alles zerstören. Noch nie hatte sie jemanden gefunden, mit dem zusammen sie so vollständige Harmonie im Tanz erfahren hatte, hatte nicht einmal gedacht, dass so etwas möglich war. Und doch … und nun war sie hier draußen in der Kälte und weinte hemmungslos, nicht in erster Linie aus Trauer oder Wut, sondern weil ihr dieses … Weib … die Möglichkeit genommen hatte, ihre nahezu grenzenlose Freude und Dankbarkeit mit der Elfe zusammen zu genießen und all ihre Gefühle irgendwo hin mussten. Allerdings war Doratrava nicht in der Lage, sich selbst so genau zu analysieren, in ihr tobte einfach ein Sturm, in dem sich alle ihre Emotionen, Wut, Trauer, Freude, Dankbarkeit, Sehnsucht, Hingabe, Mordlust, Schmerz und was noch alles sonst wild wirbelnd in einem ganz eigenen Tanz vermischten und ein Ventil suchten. Unfähig, all das in Worte zu fassen, presste die Gauklerin ihr Gesicht gegen Geldas Schulter und drückte diese mit einer Heftigkeit an sich, dass der Altenbergerin schier die Luft wegblieb, während Doratravas eigener Körper in stillen Schluchzern erbebte. Ein Geräusch ließ die Gauklerin zusammenzucken. Da war noch jemand! Ihr Kopf fuhr hoch, im dämmrigen Halbdunkel vor der Jagdhütte erkannte sie eine große, kräftige Gestalt: Nivard! Erschrocken ließ sie Gelda los und sprang ohne Nachzudenken einen Schritt zurück. “Ich … ich wollte nicht …”, konnte sie nur stammeln, um dann hilflos zu verstummen, denn sie wusste jetzt gerade nicht, was sie wollte oder nicht wollte. Mit hängenden Schultern, wirren Haaren und verheultem Gesicht stand sie vor ihren beiden Freunden, beide Hände halb abwehrend erhoben. ‘Eine tolle Vorstellung hast du hier geboten’, flüsterte eine kleine, gemeine Stimme in ihrem Kopf. Nivard stand zunächst ein wenig hilflos und verloren neben Doratrava und Gelda - aufgewühlt von den eigenen Gefühlen, erschrocken von dem Ausbruch der Gauklerin und nun verunsichert ob des plötzlichen Zurückzuckens, als Doratrava seiner gewahr wurde.  "Ich bin es nur, Nivard.  Hab keine Angst!" war das erste, als er wieder aus seiner anfänglichen  Starre erwachte. "Was ist denn passiert? Hat Dir jemand… was getan?" brach es dann bestürzt aus ihm heraus. "Können wir Dir irgendwie helfen?" Doratrava versuchte sich krampfhaft zu beherrschen, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Sie ließ die Arme wieder sinken und holte zitternd und mit einem heulenden Seufzen Luft, während sie erst den Kopf schüttelte, dann nickte und dann wieder den Kopf schüttelte. Schließlich schlang sie die Arme eng um ihren Körper und ließ den Kopf hängen. Undeutlich murmelte sie mit unsicherer, heiserer Stimme: “Niemand hat die Hand gegen mich erhoben, falls du das meinst. Aber …” Sie brach ab. Wie sollte sie den Sturm, der in ihr herrschte, jemals in Worte fassen? Eine neue Träne suchte den Weg aus ihrem Auge, während sie mit ihrer Unfähigkeit haderte, sich auszudrücken. Dann schüttelte sie erneut den Kopf. “Ich … wollte euch beide aber nicht …” Sie brach ab und hob den Kopf, um erst Nivard und dann Gelda aus feuchten, violett schimmernden Augen flehend anzustarren.  “Aber… aber was? Was ist dann geschehen, das Dich so in Aufruhr versetzt?” Nivard war ernsthaft besorgt. Eben hatte Doratrava doch noch - mit ‘ekstatisch’ wäre es vielleicht recht und doch noch schwach beschrieben - getanzt, wie selbst er - so sehr er auch äußerlich wie innerlich mit der Doctora von Altenberg, Rondradin und Rahjania und Gelda, immer Gelda, beschäftigt war - am Rande mitbekommen hatte - war es doch unmöglich zu übersehen. Und nun war sie ein solches Häufchen Elend? (Den sarkastischen Gedanken, dass er hier vor dem nächsten emotionalen Opfer der Tanzrunde dieses Abends und damit der Rahjani stand, unterdrückte er im selben Moment, in dem dieser aufkam, auch wenn ihn dies etwas Willenskraft kostete). Hilfesuchend sah er zu Gelda. Gelda raffte ihren Rock und trocknete Doratravas Tränen damit. “Was auch immer es war. Wir sind bei dir. Keiner wird dich mehr erschrecken. Ich denke das war heute Abend ein wenig zu viel. Vielleicht solltest du dich hinlegen. Wo ist denn dein Nachtlager? Du kannst aber auch bei mir übernachten.”, bot sie der Gauklerin an. Ihr Blick wanderte zu Nivard, dem sie bestätigend zu nickte. Erst wollte Doratrava eine weiteren Schritt zurückweichen, als Gelda erneut auf sie zu trat, doch dann ließ sie es geschehen, dass die junge Frau ihr das Gesicht abwischte, auch wenn dies ein fruchtloses Unterfangen war, denn ihre Tränen waren längst nicht versiegt. Die Fürsorge ihrer Freunde rührte sie zusätzlich und sorgte so unwillkürlich für weiteren Nachschub. Als Gelda aufgab, schüttelte die Gauklerin wieder den Kopf, wandte sich dabei aber Nivard zu, der direkt neben ihnen stand, aber sichtlich nicht wusste, was er tun sollte. “Es … war so schön …”, flüsterte Doratrava kaum hörbar. “Aber … aber diese Zofe von Liana … hat alles kaputt gemacht. Nein - nein nicht alles, trotzdem … ach, wie soll ich das nur erklären? Ich … in mir … wenn ich tanze ... “ Sie brach ab, schluchzte ein weiteres Mal auf, dann sah sie erst Nivard, dann Gelda in die Augen. Ihre eigenen schienen von innen heraus violett zu leuchten, was für einen unbedarften Beobachter ein klein wenig unheimlich anmuten mochte. “Ich müsste mit euch tanzen, ich kann es nicht mit Worten beschreiben …” Doratrava machte eine Pause, um sich wieder Gelda zuzuwenden. “Ich …” begann sie, um schon wieder innezuhalten. Konnte sie? Durfte sie? Wie schön wäre es, die Nacht nicht allein in einem staubigen Bühnenraum verbringen zu müssen, aber … “Gelda, ich … gerne würde ich bei dir übernachten, aber ich will dir nicht zur Last fallen”, presste sie schließlich heraus, gegen den erneuten Widerstreit der Gefühle in ihrem Inneren. Und gegen jede Vernunft trat sie unvermittelt nach vorne und umarmte Gelda ein weiteres Mal, den Duft ihrer Haare und die Wärme ihres Körpers genießend. Doch ganz langsam bekam sie sich wieder in den Griff, und so hielt sie die Umarmung bedauernd nur kurz, bevor sie die rothaarige Frau wieder freigab. “Ich … habe das ernst gemeint”, hub sie dann erneut an. “Ich … wir können … also, ich tanze mit euch, wenn ihr verstehen wollt … es zumindest versuchen wollt … ach, also?” Sie wischte sich weitere Tränen aus den Augen, um wenigstens für den Moment wieder klar sehen zu können. Sie stand barfuß im halb getrockneten Matsch vor der Feierhalle, ihre Beine waren bis zu den Knien hinaus ebenfalls mit Dreck bespritzt, sie trug noch immer nichts als ihr knappes Kostüm, aber das alles spielte keine Rolle. Wenn ihre Freunde das wollten, würde sie noch einmal tanzen!  Nivard war dankbar, dass Gelda sich Doratravas annahm - er selbst fühlte sich im Angesicht starker Gefühlsausbrüche - und dieser zählte - trotz drei jüngerer Schwestern - zu den stärksten, denen er bislang gegenüber stand -  immer etwas hilflos, unsicher, wie er reagieren sollte. Einerseits fühlte er intensiv mit, andererseits sorgte er sich, die rechten Worte zu finden. Endlich hatte sich die Gauklerin wieder etwas gefangen, und der Druck um seine Brust begann zu weichen.  “Kommt, ich bringe Euch beide zum Zelt. Bevor ihr Euch hier draußen noch den Tod holt”, fügte er mit einem Blick auf die recht flügge Bekleidung der beiden Damen hinzu. Auch ihm wurde bereits recht kalt, trotzdem er wahrscheinlich noch am dicksten angezogen war. “Einer von Euch beiden könnte ich mit meiner Obertunika aushelfen, für den Weg.”  “Vielleicht kannst Du im oder beim Zelt mit uns tanzen - wenn uns allen wärmer ist, können wir uns auch besser daran erfreuen. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob Du mit meinen Tanzkünsten in wirkliche Höhen aufzusteigen vermagst…” ‘Eigentlich schulden sie mir beide noch einen Tanz…’ dachte er bei sich. Doratrava schaute Nivard etwas verwirrt an und verschluckte sich an einem Schluchzer, woraufhin sie Schluckauf bekam. Das war jetzt so absurd, dass sie trotz aller Trauer und Verzweiflung lachen musste. Von einem Moment auf den anderen hatte sich das Häufchen Elend in eine vor Lebensfreude sprühende Elfe der Nacht verwandelt, welche diese Freude im selben Maße auslebte wie die Trauer zuvor. Nichts war vergessen - und nichts vergeben - aber sie war ihren Freunden unendlich dankbar. Wäre sie allein gewesen, wer weiß, wie lange sie mit der Trübsal zu kämpfen gehabt hätte? “Im Zelt? Hic - ups, wie groß ist denn das Zelt?” Doratrava fing erneut an zu kichern. “Wir machen es besser davor - hic - wenn es genügend Licht gibt? Sonst passiert noch ein Unglück - hic! Noch ein Unglück!” Sie kicherte erneut, hickste, und hakte sich dann bei Nivard auf der einen und Gelda auf der anderen Seite unter. “Los - hic - gehen wir, dann wird es auch nicht so kalt. Der Platz  - hic - ist doch nicht so groß, wir sind doch sicher gleich da”, lehnte sie Nivards Angebot der Obertunika grinsend ab. Dann bekam sie erneut einen Kicheranfall. Jemand, der sie ohne Wissen der Geschehnisse so sah, würde sie mit Sicherheit für betrunken halten - dabei hatte sie den ganzen Abend noch kaum überhaupt etwas getrunken!  Nivard war ebenfalls in gelöster Stimmung, die umso ausgeprägter wurde, je weiter sie sich von der Festhalle entfernten. Doratravas jäher Stimmungsaufschwung hatte ihn angesteckt. Auch wenn ihm die sich einen kurzen Moment anlächelnde Gelegenheit auf etwas Zweisamkeit mit Gelda, auf ein ungestörtes Gespräch unter dem Licht der Sterne wie ein sich windender Fisch wieder aus den Händen entschlüpft war, war er dennoch gerade - wenigstens ein bisschen - zuversichtlich, dass sich alles fügen würde. Es würde sich sicher noch eine Gelegenheit ergeben. Sei es noch heute Abend. Sei es später, in Nilsitz oder auf der Reise nach Herzogenfurt. Das Sternbild der Rahja befand sich noch im Ansteigen. Vielleicht war ihm die schöne Göttin doch nicht ganz so unhold, wie er vorhin gemutmaßt hatte... Jedenfalls hatte er hier in Nilsitz in nur kurzer Zeit neue Freundschaft und Vertrauen gefunden. So schlecht war der Tag doch gar nicht gelaufen, missratene Tanzveranstaltung hin oder her…  Überrascht von der Gemütsschwankung der Gauklerin schüttelte Gelda ihren Kopf und stimmt in das Kichern mit ein. “Dich soll einer mal verstehen, süße Doratrava. Ich allerdings habe heute genug vom Tanzen.” Ihre Gedanken wanderten kurz zu dem etwas unsicheren Tanz mit dem Rondrageweihten. Kurz darauf erreichte das Dreiergespann das Altenberger Zelt. Oren, der Söldner und Begleitschutz der Altenberger , saß vor einem kleinen Lagerfeuer vor diesem. Er blickte die drei abschätzig an und nickte Nivard zu. Allerdings sprach sein Blick Bände. Er hatte anscheinend eine eigene Vorstellung, was ein Krieger mit zwei gutaussehenden Damen, um dieser Abendstunde vorhatte. Gelda löste sich von Doratrava. “Ihr könnt von mir aus gerne hier noch einen Tanz wagen. Ich werde mich aufs Ohr hauen. Du kannst aber auch gleich mitkommen.” Als sie jedoch das Grinsen des Söldners sah, setzte sie noch ein ”Doratrava” nach, um sicherzustellen, dass diese Einladung auch nur der Gauklerin galt. ‘Wie schade… andererseits mochte die Tanzsättigung Geldas tatsächlich bedeuten, dass ihr der mit dem Rondrageweihten vorhin unangenehm war. Was war dabei vorgefallen? Jetzt war jedenfalls nicht der Zeitpunkt, dies herauszufinden. Warum musste nur der Söldner da und noch wach sein?’ “Zum Tanzen sind hier zu viele Abspannungen - mit mir gemeinsam würdest Du wahrscheinlich über diese stolpern und was weiß ich wen aus dem Schlafe reißen, wenn dessen Zelt auf einmal wackelt oder gar auf ihn stürzt.” gab Nivard entschuldigend in Richtung Doratravas zu bedenken. “Ich denke, es ist wirklich am besten, wenn wir uns alle direkt zur Ruhe betten, der morgige Tag wird früh beginnen und wahrscheinlich anstrengend werden. Außerdem solltet ihr beide schnellstens in die warmen Decken, bevor ihr morgen noch hustend das ganze Wild verschreckt.” Mit diesen Worten verneigte er sich jeweils kurz in Richtung der beiden Damen, ernst lächelnd. “Schlaft gut.” Sein Blick verfing sich nochmals in Geldas Augen, es fiel ihm schwer sich von diesen zu lösen. Zu viel unausgesprochenes hing noch zwischen ihr und ihm, wollte aus seinem nun wieder schweren Herzen, das kurz vor dem Zerbersten stand. Ein wenig enttäuscht sah Doratrava ihre Freunde an. “Kein Tanz mehr?” fragte sie schmollend in die Runde und streifte dabei auch den Wachmann mit einem abschätzenden Blick. Dann vollführte sie spielerisch ein paar schnelle Tanzschritte, welche mit voller Absicht über ein paar der Abspannungen hinwegführten, um sich dann mit einem ohne Hände ausgeführten Rad wieder zu ihren Gefährten zurückzubewegen. “Nun gut”, lachte sie Nivard an, “das kann ich wohl kaum von dir verlangen.” Dann wurde sie wieder etwas ernster. “Aber mein Angebot steht: tanzt mit mir - gerne und umso besser auf einem glatten Parkett mit schöner Musik und nicht im Schlamm im Halbdunkel zwischen Zeltschnüren - dann werdet ihr mich vielleicht - vielleicht! Versprechen kann ich leider nichts - besser verstehen.” Schon wollte sich eine neue Träne in ihr Auge schleichen, aber die Gauklerin schüttelte ärgerlich den Kopf. Nicht schon wieder! Statt dessen machte sie einen schnellen Schritt in Nivards Richtung und bevor dieser sich’s versah, hatte sie ihm einen sanften Kuss auf die Wange gedrückt. “Danke!” flüsterte sie, dann drehte sie sich zum Zelteingang, in dem Gelda mittlerweile verschwunden war. “Ach ja Schlamm”, rief sie fröhlich in das Dunkel hinein. “Sieh mich an, ich kann meine Haut leider nicht ausziehen. Willst du mich so in deinem Zelt haben?” Sie deutete auf ihre schlammbespritzten Beine, von ihren Füßen ganz zu schweigen, lächelte dabei aber kurioserweise versonnen. Nivard blickte Doratrava verlegen und ebenso ein wenig versonnen wie verwirrt hinterher, während seine Hand ganz unwillkürlich zu seiner Wange ging. Nur die Dunkelheit verbarg die Farbe des jäh in sein Gesicht geschossenen Blutes. Ein seltsamer Abend war das. Lange in alveranischen Höhen geschwebt, dann hart auf dem Boden aufgeschlagen, so viel erzählt und am Ende doch nicht gesagt, was ihm auf dem Herzen brannte, von zwei schönen Frauen geküsst, die jeweils auf ihre Weise zwischen ihm und der Liebe standen und es doch gut mit ihm meinten. Gerade die von freundschaftlicher Zuneigung geprägte Geste Doratravas bedeutete ihm viel. Ein ernstes Lächeln stahl sich in seine Züge. Die raue Stimme des Söldners sprach Doratrava von der Seite an. “Ich hol Euch Wasser”. Mehr sagte er nicht, stand auf und kehrt kurze Zeit später mit einem Holzeimer voll kaltem Wasser wieder. Wortlos hielt er ihr den Eimer entgegen.  Seine Gesichtsröte steigerte sich noch, als Nivard gewahr wurde, dass sich Doratrava gleich hier und jetzt waschen wollte. Er hatte hier nichts mehr verloren. “Ich geh dann mal nach nebenan, zu mir, gute Nacht Ihr beiden!’ verabschiedete er sich eilig und stahl sich, den Blick abwendend, rasch die wenigen Schritte zu seinem Zelt davon.  Verwundert hatte Doratrava dem Söldner nachgesehen, dann aber die kurze Wartezeit genutzt, sich geschwind in die Büsche zu schlagen. Anschließend nickte sie dem Mann dankbar zu und begann, sich mit dem kalten Wasser die Beine und Füße zu waschen, was ihr nichts ausmachte, sie war kaltes Wasser gewohnt. “Hast du mir ein Tuch?” rief sie dann aufgeräumt in das dunkle Zelt hinein, von einer seltsamen Hochstimmung ergriffen. Hoffentlich war Gelda noch nicht eingeschlafen! “Gelda?” rief Doratrava nochmal, allerdings gedämpft. Sie wollte niemand in den Nachbarzelten aufmerksam machen, und falls … “Gelda?” zischte sie nun, nur noch leise. Ihre Freundin schien tatsächlich schon zu schlafen! Was sollte sie jetzt denn machen? Im Zelt war es dunkel, sie kannte sich darin nicht aus. Sie streckte ihren Kopf durch den Zelteingang, aber auch nach kurzer Wartezeit rührte sich nichts, auch nachdem sie nochmals flüsternd nach Gelda gerufen hatte. In der fast vollständigen Dunkelheit konnte sie nur ein unförmiges, menschengroßes Bündel erkennen und den gleichmäßigen Atem ihrer Freundin hören. Unschlüssig verharrte die Gauklerin, doch dann zog sie sich aus dem Zelt zurück. Sie brachte es nicht über sich, Gelda jetzt noch einmal aus dem Schlaf zu reißen, indem sie sich mühsam unter den Haufen wühlte. Wahrscheinlich gab es sowieso nur eine Decke, und dann würde es eh schwierig … Mit leichtem Bedauern wandte sich Doratrava an den Söldner. Puh, jetzt war ihr wirklich kalt nach der Wäsche, aber es half ja nichts. “Sagt Gelda, dass ich ihr wirklich sehr dankbar war für ihr Angebot, aber sie schläft jetzt schon und ich will sie nicht mehr wecken. Gute Nacht!” Unter den undeutbaren Blicken des Söldners huschte sie leise und schnell davon, einerseits, damit es ihr wärmer wurde, andererseits, um nicht noch jemandem anderen über den Weg zu stolpern. Wer weiß, wohin das sonst noch führte! Heute würde sie ganz züchtig auf dem Dachboden der Jagdhütte schlafen und sonst nichts. Alle anderen Gedanken an Liana, Eduina, Gelda, Nivard und sonst wen verdrängte sie …

Schlafschwierigkeiten

Nivard wollte sich eigentlich direkt hinlegen, doch noch während er an seiner Schlafstätte nestelte, spürte er, dass er noch keinen Schlaf finden würde. Seine Müdigkeit schien wie weggeblasen. Schließlich griff er sich seine Decke und setzte sich vor sein Zelt, auf der den Altenbergern abgewandten Seite, ins vom Tau benetzte Gras, und sah in den sternenübersäten Nachthimmel. Seine Gedanken begannen zu kreisen. “Huch!” Erschrocken fuhr die junge Frau zurück, die gerade in viel zu knappem Abstand um das Zelt geschlichen war - ohne Licht, und auf leisen Sohlen. Jung klang sie - deutlich jünger als Nivard, wenn man mit ‘deutlich’ höchstens eine handvoll Götterläufe meinte. Es dauerte einige Augenblicke, ehe er in ihr die Knappin wieder erkannte, die ganz am Morgen des vergangenen Tages so sehnsüchtig die Einladung zu einem Bier ausgeschlagen hatte. “Wer seid ihr und - ich meine, was macht ihr - ach, vergesst es bitte, dass ich hier war!” versuchte sie reichlich zusammenhanglos den Rückzug anzutreten, dabei fast erneut über eine Zeltschnur stolpernd. Jäh aus wehmütig schmachtenden Gedanken und der kurz aufkeimenden Hoffnung gerissen, es sei Gelda, die sich in der Dunkelheit zu ihm schlich (dabei hätte sie aber sicher eine bessere Figur abgegeben), musste Nivard schließlich doch schmunzeln, als er die über die Zeltschnüre stolpernde Knappin wieder erkannte. Sie war wahrscheinlich, wenn überhaupt, nur wenig jünger als Elvans Cousine, wirkte aber, als ob Jahre zwischen den beiden lagen. "Vergessen kann ich Euren Besuch wohl kaum," entgegnete er leise in freundlichem und erkennbar heiterem Tonfall. Er wollte die junge Frau nicht nochmal erschrecken. "Schließlich ertappe ich Euch schon das zweite Mal in heimlicher Tat: zuerst belauscht Ihr uns aus vermeintlich sicherem Versteck, dann schleicht Ihr des Nachts durch das Lager und reißt außerdem nahezu meine bescheidene Schlafstätte ein. Aber eher müsste ich Euch als Ihr mich befragen! Also: Was führt Ihr hier im Schilde, junge Dame... von Henjasburg, richtig? Schickt Euer Schwertvater Euch auf nächtliche Mission? Oder seid Ihr in eigener Sache unterwegs?"  Die Frau verharrte, wie vom Blitz getroffen, und schüttelte entschieden den Kopf.  “Ich wollte Euch nicht stören, Herr Ritter. Ich habe frei.” Letzterer Zusatz schien mehr aus Hoffnung denn aus Überzeugung geboren. “Ich wollte ein Bier holen.” Deutlicher Trotz in ihrer Stimme. Diese kurze, kostbare Zeit, einmal nicht unter den Augen ihres Knappenherrn und mit nur der bedingten Möglichkeit, ungesehen zum Bierzelt zu gelangen - und nun ruinierte dieser Ritter auch das! Nicht nur das - er könnte auch ihrem Knappenherrn Bescheid geben, und diese Aussicht war nun überhaupt keine erfreuliche. Boromada zog die Schultern ein, während sie gleichzeitig mit trotzig emporgehobenen Kinn den jungen Ritter musterte, der sie schon gestern morgen beim Lauschen ertappt hatte - wie überaus demütigend! Ihre Augen begannen herausfordernd zu funkeln. "Schon in Ordnung!" beschwichtigte Nivard, "macht Euch keine Sorgen wegen der Störung! Ich war weder am Schlafen noch bei anderen Dingen, die nicht gestört werden wollen ... und mein Zelt steht ja noch ..." Der junge Krieger lächelte. "Mit Ritter braucht ihr mich im Übrigen nicht anzusprechen, ich nenne nur einen Kriegerbrief mein eigen. Doch wundern darf ich mich - warum pirscht Ihr Euch so verstohlen durch das Lager, wenn Ihr doch frei habt und nur ein Bier holen wollt? Oder gibt es etwa auch in Knappschaft einen Zapfenstreich?" Jetzt grinste Nivard die Knappin an. "Der machte manchmal auch aus durstigen Kriegerschülern wahre Meister der Heimlichkeit..." Boromada senkte kurz den Kopf und ihre Ohren hatten eine deutlich rote Farbe angenommen, als sie Nivards Blick erneut kreuzte. “Ich will einfach nur ein Bier und dabei nicht auffallen, Herr Krieger!” Sie holte kurz Luft. “Warum habt ihr eigentlich nur einen Kriegerbrief? Und meint ihr, die Luft am Bierzelt ist einigermaßen rein?” In letzterem Satz schwang entschieden mehr Hoffnung als Überzeugung mit. 'Herr Krieger?' Nivard war insgeheim zusehends belustigt über die Knappin, die einerseits in aller Heimlichkeit durch das Lager zu schleichen versuchte (gut, das üben wir nochmal), andererseits aber recht unverblümte Fragen zu stellen wagte.  "Mit 'nur' den Kriegerbrief meinte ich eigentlich, dass Ihr mich nicht mit 'Herr Ritter' oder 'Hoher Herr' anzusprechen braucht." Nivard streckte seinen Rücken durch - er wollte seine Schule und sich selbst natürlich ins rechte Licht rücken, selbst bei dieser Knappin, die ihm reichlich durch den Wind schien. "Ansonsten belegt der Kriegerbrief der herzöglichen Kadettenschule zu Elenvina aber sehr wohl, dass ich mich, wie jeder Ritter, in den ritterlichen Kampffertigkeiten ebenso wie den ritterlichen Künsten und Tugenden bewiesen habe." Eigentlich noch mehr als viele Ritter, immerhin hatte er eine Ausbildung durch mehrere Lehrer, alle Meister ihres Faches, genossen und nicht nur durch einen einzigen Schwertvater, an dem dann alles stand oder fiel. Das sprach er aber nicht aus, bei allem Stolz auf die Akademie war ihm nicht nach Streit an diesem Abend, schon gar nicht mit der jungen Knappin hier. Auch verschwieg er, dass ihm als Zweitgeborener eines wenig betuchten Edlengeschlechts aus den Wäldern Ambelmunds die Knappschaft nicht offen gestanden hatte - seine Mutter war bereits froh, für ihren ältesten die Ausbildung zu einem Ritter erreicht zu haben. "Was Eure Mission angeht, so kann ich Euch aber frohe Kunde mit auf den Weg geben: Die Luft dürfte rein sein, wenigstens war sie das noch, als ich die Festivität verließ: der höhere Adel schwang zuletzt in der Halle das Tanzbein, ich meine, dort auch Euren Schwertvater tanzen gesehen zu haben. Jedenfalls wird er sich kaum selbst am Bierstand eindecken, oder was denkt Ihr? Ich glaube, am allerbesten stehen Eure Chancen, keine Aufmerksamkeit auf Euch zu lenken, wenn Ihr das Schleichen den Jüngern Phex’ überlasst und einfach ganz offen und normal dorthin geht und Euch ein Bier holt."  Nivard hielt kurz inne und besah sich den Gesichtsausdruck der Knappin, dann fragte er - ein wenig neugierig - immerhin hatte er den Baron von Rabenstein bereits in Punin flüchtig kennengelernt - nach: “Oder ist seine Hochgeboren von Rabenstein ein so gestrenger Schwertvater, dass zufällig erwischt zu werden zu riskant für Euch wäre?” Die urplötzlich versteinernde Miene des Mädchens erzählte Nivard alles, was er darüber wissen musste. Boromada nickte knapp. “Ich wollte Euch nicht beleidigen. Es wundert mich nur - es ist hier sehr selten, einen Akademiekrieger zu treffen.” Sie biss sich auf die Lippen und blickte überlegend in Richtung Bierzelt. “Wenn ihr meint, dass ich es ungesehen schaffen kann … .” Sie ließ den Satz in der Luft hängen. Nivard nickte nachdenklich - wahrscheinlich waren Akademiekrieger in diesen Kreisen tatsächlich selten. Unter all den Grafen, Baronen, Edlen und Hochgeweihten war er tatsächlich nur ein kleines Licht - selbst die Ritter waren hier teilweise nur als Bedienstete höherstehender Gäste zugegen. Was dies wohl im Hinblick auf sein Ansehen bei Gelda bedeuten mochte - war dieser Rondrageweihte nicht sogar ein Edler? Nivard verscheuchte den Gedanken. "Ist schon in Ordnung. Ihr habt mich nicht beleidigt. Aber Ihr solltet auf meinen Rat hören - Ihr erregt wirklich weit weniger Aufsehen, wenn Ihr ganz offen zum Bierstand geht. Und glaubt Ihr ernsthaft, die anderen hoch- und wohlgeborenen Gäste hätten nichts besseres zu tun, als Eurem Schwertvater brühwarm zu erzählen, Euch am Bierstand gesehen zu haben?" Als er in das immer noch versteinert wirkende Gesicht der jungen Frau blickte, wurde ihm aber klar, dass mit dem Baron von Rabenstein scheinbar tatsächlich nicht gut Kirschen essen war. Zumindest nicht als dessen Knappin. Jetzt tat sie ihm leid: "Wenn Ihr wollt, kann ich Euch kurz Geleitschutz geben. Und mich sogar in die Höhle des Löwen begeben und ein Bier für Euch beschaffen. Oder zwei. Während Ihr im Schutz der Nacht verbleibt." Hoffentlich hatte er sie jetzt nicht beleidigt. Sondern vielmehr an der Ehre gepackt und Mut gemacht. "Mein Name ist im Übrigen Nivard." “Boromada. Von Henjasburg.” Fügte sie als zweiten Gedanken hinzu. “Ich kann Euch doch nicht zum Bierholen anstiften, weil ich zu feige dazu bin, Hoher Herr.” Doch ihr sehnsüchtiger Tonfall erzählte, dass sie genau das jetzt nur zu gerne getan hätte. “Und wie wäre es, wenn Ihr einfach ein Bier mit mir trinkt und mir von Eurer Knappschaft berichtet und Ich Euch ein wenig von der Kriegerakademie. Selbstverständlich gebührt es sich, dass der Herr das Bier holen geht.” versuchte er, ihr eine Brücke zu bauen. Jetzt würde er ohnehin nicht zur Ruhe kommen, und vielleicht würde ihm ein weiteres Bier und Gespräche über Waffenhandwerk und Kriegskunst dabei helfen, seinen um grüne Augen und rotes Haar kreisenden Gedanken zu entkommen. Redete sich Nivard jedenfalls ein. Die grasgrünen Augen der Knappin blitzten. “Das, Hoher Herr, ist eine ausgezeichnete Idee. Wenn ihr meint, leiste ich euch auch bis zum Bierstand Gesellschaft. Niemand soll sagen, dass ich vor der Gefahr zurückschrecke!” Zumindest nicht, solange sie nicht allein der potentiellen Entdeckung am Bierstand gegenübertreten musste. Sie grinste. “Welches Bier könnt ihr empfehlen?” “Sie schenken hier ein dunkles, recht malziges Bier aus. Sehr süffig, kann ich Euch sagen.” Nivard wurde im Mondlicht der grünen Augen gewahr. Immer wieder grüne Augen… ob es so einfach würde, auf andere Gedanken zu kommen… egal. Er schälte sich aus seiner Decke, stopfte sie rasch ins Zelt und sprang auf. “Dann lasst uns direkt aufbrechen. Solange die taktische Lage so ist, wie sie sich zuletzt darstellte.” grinste er zurück. “Ran an den Feind!” Boromada lachte auf, erstaunlich dunkel für eine Frau ihres Alters, und lächelte den jungen Krieger an. “Und wenn ihr mir über Eure Ausbildung erzählen wollt, dann kann ich auch mit der einen oder anderen Knappengeschichte aufwarten.” “Das ist ein Wort! Ich bin schon gespannt!” Gemeinsam schritten sie los. “Wie lange habt Ihr denn noch bis zum Ritterschlag?” erkundigte sich Nivard, neugierig, weil er ihr Alter nicht richtig zu schätzen vermochte. “Noch knapp vier Jahre.” Die junge Frau lächelte. “Eigentlich nur noch drei.” Vorausgesetzt, ihr Knappenherr erwischte sie nicht doch am Bierstand - ein Gedanke, der dafür sorgte, dass ihre Züge mit einemmal einfroren. “Mit wieviel Götterläufen habt ihr euren Kriegerbrief erhalten?” fragte sie neugierig. “Erst im vergangenen Rondra, 21 war ich damals noch. Bin also noch gar nicht so lange Krieger. Und seitdem viel auf Reisen, als Geleitschützer bei den Plötzbognern, Ihr habt sicher von diesen gehört?” begann Nivard zu erzählen. “Hm - sind das nicht die Stadtvögte von Elenvina?” Grübelnd krauste Boromada die Stirn. “Ich wusste gar nicht, dass diese Schwerter einstellen.” Sie überlegte ihren Satz und schluckte. “Verzeiht, hoher Herr, ich will Euch keinesfalls beleidigen. Da kommt ihr sicher weit herum - in den Nordmarken und außerhalb, nicht wahr?” “Keine Sorge, ich höre diese vermeintliche Verbindung nicht zum allerersten Mal aus dem Munde Außenstehender. Sie trifft aber nicht zu. Auch wenn Emmeran von Plötzbogen, unser Unternehmensoberhaupt, der Sohn des Stadtvogtes ist, arbeiten wir nicht als dessen Schwerter. Ich beispielsweise habe noch keinen Auftrag im Namen des Stadtvogtes verrichtet. Dafür aber Reisende von Stand durch die Nordmarken, aber beispielsweise auch bis ins ferne Almada geleitet.” Er überlegte, ober Boromada erzählen sollte, dass er dort ihren Schwertvater flüchtig kennengelernt hatte, wollte dann aber dieses Thema lieber nicht anschneiden, immerhin hob sich ihre Laune gerade erst... “So weit ist Almada aber gar nicht weg.” Boromada grinste vorsichtig. “Über den Tannwachtweg sind’s nur drei Dutzend Meilen - zwei Tage, vielleicht drei, zumindest im Sommer. Aber sagt, was machen wir jetzt mit dem Bier?” Da hatte Boromada gar nicht unrecht - trotz der Jahre in Elenvina war er doch noch recht stark in Nordgratenfels verwurzelt. Und hatte die Nordmarken bislang kaum verlassen. Für ihn war Almada noch fern. Zumindest gedanklich. Nivard musste über sich selbst schmunzeln. “Es ging nach Punin, und von dort nach Osten, in Richtung Garetien...“ versuchte er, die Größe seines Radius etwas eindrucksvoller zu beschreiben. “Und in Sachen Sitten erschien mir Punin teils recht… fern. Aber Ihr habt Recht, da vorne ist der Bierstand. Wollt Ihr kurz hier warten? Ich bin dann gleich zurück. Also das dunkle? Eines? Oder gleich zwei? Um das Risiko zu minimieren?” “Zwei erscheint mir klüger.” Die Knappin grinste kurz, was ihre grünen Augen Funken sprühen ließ. “Erzählt ihr mir dann von Garetien? Da war ich noch nie.” "Mach ich beides gerne. Von Garetien erzählen und Euch zwei Bier holen!" Nivard grinste Boromada an. "Nun haltet Euch aber erstmal verborgen und gebt mir Deckung." Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt geradewegs auf den Bierstand zu. "Vier dunkle, bitte." orderte er von den zwergischen Schankwirten. Wenig später kam er mit zwei schaumgekrönten, randvollen Krügen in jeder Hand zur jungen Knappin zurück. "Ihr müsst mir aber gleich zwei abnehmen. Das mag nicht sehr galant von meiner Seite sein, wofür ich um Entschuldigung bitte. Aber sonst verschütte ich mindestens die Hälfte auf dem Weg ins sichere Lager, und wir verfehlen das taktische Ziel dieser Mission. Rückzug?" “Rückzug!” stimmte Boromada, mit einem glücklichen Blick auf die Humpen, zu und übernahm zwei der randvollen Krüge, während sich ein vorfreudiges Lächeln bis zu ihren Ohrläppchen zog. “Aber nicht nochmal zwischen den Zelten hindurch. Wir nehmen den Hauptweg. Ich denke, es ist dunkel genug dafür. Und wir haben mehr vom Bier…” schlug Nivard nachdrücklich vor. “Zumindest wird mehr davon ankommen!” stimmte die Knappin zu, die sich vorsichtig über die Schulter in Richtung Bierzelt umsah. “Macht Euch keine Sorgen, so weit reicht der Blick Eures Knappenherrn sicher nicht. Noch dazu müsste er aus dem Licht in die Finsternis blicken. Und zur Sicherheit lasst uns rasch einfach noch etwas mehr Nacht zwischen uns und die Festhalle bringen.” schritt Nivard voran. “Ihr habt eindeutig recht.” Etwas schneller, als gut für das Bier war, schloss Boromada zu Nivard auf. “Ich muss aber auf jeden Fall vor ihm im Zelt zurück sein … allzu weit sollten wir nicht weg.” Gab sie ihren Bedenken Worte. Sie schnupperte an dem Bier. “Aber die wollen genossen werden.” "Euer Zelt ist dem meinen nicht so fern. Wir können uns so neben meines setzen, dass Ihr vom Weg aus nicht zu sehen seid, während ich diesen im Auge behalte. Wenn sich was tut, sag ich Euch Bescheid und ihr huscht zurück zu Eurem. Aber auf die Zeltschnüre achten." schlug Nivard einen weiteren Schlachtplan vor. Er selbst war ein recht ehrgeiziger und disziplinierter Eleve der Kriegerakademie gewesen, der in seiner Ausbildungszeit nur selten über die Stränge geschlagen hatte. Es musste daher wohl an den Bieren des bisherigen Abends liegen, dass ihm das Spielchen gerade anfing, diebische Freude zu bereiten. Und er machte damit dieser eingeschüchterten jungen Frau eine Freude. Hoffentlich wurde sie nur nicht seinetwegen bei etwas Verbotenem erwischt. "Was haltet Ihr von dem Plan?" “Er gefällt mir.” Boromada grinste. “Und ihr wolltet mir von Gareth erzählen. Wann wart ihr dort - und was habt ihr da getan?” Sie setzte sich vorsichtig und mit einem genauen Auge auf den Verlauf der Zeltschnüre zu Boden, darauf bedacht, auf keinen Fall vom Weg eingesehen werden zu können. “Auf den edlen Spender.” Hob sie ihren Bierhumpen, um ihn mit einem dumpfen Geräusch an Nivards zu stoßen. "Auf den edlen Spender!" stimmte Nivard mit ein. "Nun, meine Aufgabe war es, erst in diesem Jahr, eine Dienerin der Rahja auf ihrer Reise durch mehrere Provinzen des Reichs sicher zu geleiten. Insofern habe ich, neben Land, Leuten und vielen Städten Almadas, der Nordmarken und Garetiens vor allem jede Menge Rahjatempel von außen und innen gesehen, auch den in Gareth. Und viel über die Götter im allgemeinen und die liebliche Göttin im besonderen gelernt." Er nahm nachdenklich einen weiteren Schluck Bier. Ja, viel gelernt hatte er über Rahja. Aber nicht auf alle ihre Aspekte praktisch eingelassen. Und sie zu verstehen gelang ihm trotzdem noch nicht, wenigstens erschien ihm dies so. "Ich bin aber dennoch immer ein Mann der Rondra geblieben." fasste er diesen Umstand zusammen. “Ich kenne den Borontempel in Punin.” bot die Knappin an. “Da war ich bereits zweimal.” Sie beäugte die rasch schwindende Schaumkrone auf ihrem Bierkrug. “In einem Rahjatempel war ich noch nie - und ich glaube nicht, dass alles stimmt, was so darüber erzählt wird.” Nicht, dass sie erwarten würde, jemals an der Seite oder auf Geheiß - oder mit Erlaubnis - ihres Knappenherrn ein solches Bauwerk zu betreten. Sie schüttelte sich gründlich. “Was hat euch auf Euren Reisen am besten gefallen?” fischte sie nach einem unverfänglichen - und spannenden - Thema. “Ihr habt Recht, nicht alles stimmt, was man über die Tempel der Rahja erzählt. Manches aber schon…” fügte Nivard mit einem Grinsen dazu. “Es sind aber nicht zuletzt auch Orte der Kunstfertigkeit und der Dichtkunst, nicht nur der … fleischlichen Dinge.” Er sah die Knappin fragend an. “Habt Ihr bislang nur ein Haus Borons besucht? Nie in einer Halle der Rondra geweilt? Oder einem anderen der Zwölfe in seinem oder ihrem Tempel gehuldigt?” Obgleich er wusste, dass der Rabensteiner ein Borongeweihter war, war Nivard überrascht über die völlige Ausrichtung der jungen Knappin auf den Gott des Todes. Wahrscheinlich war ihr Herr deswegen so streng und sie so eingeschüchtert.  “Was mir am besten auf meinen Reisen gefallen hat? Das ist eine gute Frage. Ich kann Euch gar keine einzelne Sache oder einen bestimmten Ort nennen. Wenngleich Gareth natürlich beeindruckend war… und riesig. Ich mag es, die Welt zu sehen, zuweilen über die Grenzen der Nordmarken hinauszuschauen, fremde Städte und Provinzen zu erkunden, und das alles als ritterlicher Begleiter und Beschützer. Ich habe bereits in der kurzen Zeit viel gelernt, über die Ländereien, die ich bereiste. Über und von den Menschen, die ich begleitete. Und über mich selbst.” Auch wenn er sich selbst manchmal noch immer gar nicht verstand. Nachdenklich blickte er den Weg, den er im Auge behielt, entlang in die Nacht. “Ich war natürlich schon einmal im Praiostempel in Elenvina. Und auch schon einmal in einem Haus der Peraine.” Boromada schwieg kurz und grub ihre Zähne in die Unterlippe, als sie nachdachte und offensichtlich überlegte, wie viel sie erzählen solle. “Mein Vater ist der Vorsteher des Borontempels in Herzogenfurt.” Setzte sie schließlich wie zur Erklärung hinzu. “Ich bin noch nicht allzulange Knappin in Rabenstein. Mein Herr nimmt mich ja schon mit, wenn er auf Reisen geht - aber er sagt, dass die meisten Dinge nicht so ungefährlich sind, wie sie sich darstellen, und dass er keine Knappen für ein waghalsiges Abenteuer riskieren wird, wenn sich das vermeiden lässt. Ich denke, das wird anders sein, wenn ich meinen Ritterschlag habe.” Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Bierhumpen und blickte versonnen in das Dunkel, zuckte kurz zusammen, als sie Schritte auf dem längst zu Matsch zertretenen Gras hörte, entspannte sich aber wieder, als diese weiter in Richtung Bierzelt verklangen. “Wollt ihr lange im Geleitschutz arbeiten? Oder habt ihr ein Gut in Aussicht, dass ihr irgendwann erben werdet?” setzte sie neugierig hinterher. “Euch keinen unverhältnismäßigen Gefahren auszusetzen ist sicher nobel und richtig von Eurem Knappenherrn…” Nivard hielt inne, als auch er die Schritte hörte und die Anspannung Boromadas spürte. Er spähte noch konzentrierter in die Nacht, konnte der jungen Frau aber wenig später lautlos Entwarnung signalisieren. ‘Ob ab und an ein Bier und ein wenig Freude und Kurzweil auch Gefahren waren, vor denen man eine Knappin immerzu schützen musste, sei dahingestellt.’ Er verkniff sich aber, dies auszusprechen, als Boromada bereits das Thema gewechselt hatte. “Ich weiß nicht, wie lange ich im Geleitschutz bleiben werde. Derzeit gefällt es mir gut bei den Plötzbognern - sowohl die Erfahrungen und Reisen, als auch die Rückkehren nach Elenvina.” Er dachte kurz an die, die ihn immer wieder nach Elenvina zurückzog - zuerst war sein Herz dieser verfallen gewesen, mittlerweile fühlte er sich aber vor allem verantwortlich für deren Schicksal, auch wenn dieses nur zu einem kleinen Teil in seinen Händen lag. Bald würde es schon wieder Rondra sein, und dann würde ihre Zeit unter den Menschen enden. Der Tannenfelser riss sich von diesem Gedanken, der ihn stets melancholisch machte, los, und erzählte nach der entstandenen kurzen Pause und einem Schluck Bier weiter: “Ein Gut erben werde ich nicht. Zumindest, solange es meinem älteren Bruder Rondrard, der im Übrigen Ritter ist und sich bereits in der Verwaltung des Edlengutes meiner Mutter übt, wohlergeht, was ich schwer hoffen möchte. Entweder ich verdiene mir durch heldenhafte Taten selbst ein Gut, oder ich werde mich weiter als Krieger verdingen müssen. Vielleicht gehe ich irgendwann auch zur Flussgarde…” Zum Beispiel, wenn dereinst Frau und Kinder nach einem Ende des unsteten Lebens verlangten. Was die Brautschau diesbezüglich wohl am Ende für ihn bedeuten würden…? “Aber Ihr werdet sicherlich irgendwann ein Gut erben, oder?” Warum sonst sollte Boromada wohl eine Ausbildung zur Ritterin erhalten? “Ihr seid aus der Baronie Schweinsfold, richtig? Zumindest Euer Geschlecht stammt von dort?” “Mein Onkel ist der Junker von Gut Schweinsfold, meine Mutter die Junkerin von Herzogenfurt. In meiner Familie gibt es einige Ritter.” Sie hob das Kinn und überlegte, wie sie diese Aussage des jungen Kriegers werten sollte - nachdem sie darauf geantwortet hatte. “Bei der Flussgarde erlebt man sicher auch viele Abenteuer - ich habe gehört, dass einer der ehemaligen Knappen meines Knappenvaters dort Leuenant ist.” Sie nahm einen weiteren tiefen Schluck aus dem Becher und wischte sich den Schaumbart von der Oberlippe. “Nach meinem Ritterschlag will ich erst einmal reisen und das Land kennenlernen. Mindestens auf Jahr und Tag. Und dann sehe ich weiter.” Sie lächelte versonnen. “Seid ihr nach dem Erhalt Eures Kriegerbriefes auch auf Ritterfahrt gezogen?” wollte sie wissen. Dass man auch bei der Flussgarde Abenteuer erleben konnte, war Nivard spätestens seit seiner Fahrt auf der Concabella nur allzu bewusst geworden. Allerdings hatte man dort deutlich weniger Freiheiten als bei den Plötzbognern. Aber wer weiß, vielleicht würde ihn das Empfehlungsschreiben der Herzogenmutter irgendwann doch noch zur Flussgarde bringen.  “Naja, praktisch stellt ja meine Tätigkeit bei den Plötzbognern eine Art große Ritterfahrt dar, nur eben länger als Jahr und Tag.” Er sah die Knappin an. “Ich denke, eine Ritterfahrt wird Euch in der Tat gefallen. Den Wind um die Nase wehen lassen und erste Heldentaten vollbringen… an Eurem eigenen Lied schreiben, übertragen gesehen, meine ich. Und danach bereitet Ihr Euch auf Euer Erbe vor? Oder habt Ihr andere Pläne für die weitere Zukunft.?” “Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht.” bekannte Boromada und leerte mit einem durstigen Zug ihren ersten Krug. “Ich hoffe, dass ich eine Weile herumreisen kann - und dass sich meine Mutter noch lange guter Gesundheit erfreut. “ Sie nahm einen tiefen Schluck aus dem zweiten Krug. “Ich habe noch keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Irgendwann werde ich wohl auch heiraten - aber das ist hoffentlich noch eine Weile hin, denn ob ich dann noch auf Ritterfahrt gehen kann - keine Ahnung.” Sie dachte nach und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. “Vermutlich wird aber meine Mutter etwas dagegen haben, dass ich dem Geleitschutz beitrete. Die Flussgarde ist dann schon eher wahrscheinlich.” Sie schwieg einige Augenblicke und lauschte in die Nacht, doch die Schritte, die von der Jagdhütte auf sie zuhielten, drehten in einiger Entfernung ab.  “Was hattet Ihr für Pläne am Ende Eurer Ausbildung? Oder war es für Euch rasch klar, dass ihr in den Geleitschutz wechseln würdet?”  Nivard lächelte kurz nachdenklich vor sich hin, dann tat er einen kräftigen Zug aus seinem Krug. "Ganz klar war es mir bis kurz vor dem Abschluss nicht - natürlich habe ich auch an die Flussgarde gedacht. Gleichzeitig reizte mich aber auch eine Art 'Ritterfahrt', wie ich sie von meinem Bruder oder anderen Rittern mitbekommen habe -  da sind wir beide aus gleichem Holz geschnitzt" lächelte er die Knappin an, "sowas hat man eher beim Geleitschutz. Im letzten Monat meiner Ausbildung erwuchs dann jäh der Wunsch, bei aller Abenteuerlust meine Basis in Elenvina zu belassen, und ich erlangte zugleich Kontakt zu den Plötzbognern, so fügte sich eines zum anderen... Manchmal kann und muss man nicht alles planen... vor allem als Zweitgeborener." fügte er leise hinzu. "Aber als Erstgeborene und Erbin eines Gutes... wie in Eurem Fall... mag das anders aussehen, oder?" Sein erster Krug neigte sich der Leere entgegen. "Im übrigen sind wir gleich beim zweiten Bier. Sollen wir 'Du' zueinander sagen?" Er hob seinen zweiten Krug. "Nivard." “Boromada.” Die Knappin lächelte selig und hob ihren zweiten Krug an, den sie mit einem etwas zu kraftvollen Stoß an jenen des jungen Kriegers brachte.  Die junge Frau seufzte versonnen. “Es wird noch ewig dauern, bis ich auf Ritterfahrt gehen werde. Hast Du noch eine Geschichte für mich?” “Was willst Du denn lieber hören? Von meinen Reisen im zurückliegenden Jahr? Oder eine Geschichte von der Jagd im Tann, zuhause, in den tiefen Wäldern von Ambelmund, wo es noch vor Goblins wimmelt?” “Welche gefällt dir am besten? Sie klingen alle spannend.” Boromada lehnte sich entspannt zurück und nahm einen weiteren tiefen Schluck, diesesmal aus dem zweiten Krug. Über ihr spannte sich der Sternenhimmel des Hochgebirges und im Wald hatte das Konzert der Zikaden wieder eingesetzt. So ließ es sich beileibe aushalten! Auch Nivard genoss es für den Augenblick sehr, ohne Hoffen und Bangen des Herzens in dieser sternenklaren Frühsommernacht entspannt bei einem Bier zusammenzusitzen, den Geräuschen des Waldes und der Wiese zu lauschen und zu erzählen. Dabei den Weg zu beobachten gehörte für ihn zu den leichteren Übungen, die ihn nicht weiter anstrengte. "Bei der Jagd habe ich schon einiges Gefährliches, aber auch so manches Kurioses erlebt. Wobei die aufregendsten Jagden gar nicht die nach Schwarz- oder Rotwild, sondern die nach meiner jüngsten Schwester gewesen sind. Silfrun ist ein Kind des Waldes, musst Du wissen, das immer wieder, manchmal auch länger, in den Tann ausgebüchst ist. Meine Eltern wurden ihretwegen nicht nur einmal beinahe verrückt vor Sorge." Nicht nur deswegen konnte er auch die blinde Marbolieb nur allzu gut verstehen. Mirla erinnerte ihn ein klein wenig an Silfrun, auch wenn diese sicherlich weit weniger abenteuerlustig war als seine Schwester. Sie war aber natürlich auch noch sehr klein und besaß daher auf jeden Fall Entwicklungspotential. Um der Geweihten willen hoffte er, dass die kleine etwas harmloser heranwachsen mochte. Nivard schmunzelte, als er nach einer kurzen Pause mit seiner Erzählung fortfuhr. "Einmal, sie war noch keine fünf Jahre alt, haben wir sie erst nach vier Tagen wiedergefunden. Sie irrte aber nicht verängstigt oder ausgehungert durch den Wald, sondern saß fröhlich spielend inmitten einer Goblinsippe." Boromada kicherte, hickste und hielt sich, noch immer bis über beide Ohren grinsend, die Hand vor den Mund. “Was macht Deine Schwester jetzt? Ist sie noch immer so eigensinnig? Und gibt es noch die Goblins in euren Wäldern?”  Wollt sie wissen. “Ich hoffe, meine Tochter, wenn ich einmal Kinder haben sollte, ist leichter einzufangen. Ich glaube, da würde ich sie anbinden.” Sie beäugte ihren Bierkrug, dessen Füllstand schon bedenklich abgenommen hatte. “Ich fürchte, allzu lange sollte ich besser nicht mehr bleiben. Wenn der Baron das spitzkriegt … . “ sie ließ den Satz unvollendet und schüttelte sich. “Silfrun hat gerade eine Ausbildung zur Rechtsgelehrten an der Rechtsschule Altenberg in Gratenfels aufgenommen. Ob sie dort ihren Eigensinn immer noch bewahren kann oder ihr dieser ausgetrieben wird, kann ich Dir ehrlich gesagt nicht prophezeien. Ich schätze aber, wenn dies einer Frau gelingen kann, dann Prianna von Altenberg.” Er erinnerte sich an seine Begegnung mit der resoluten Rektorin, die eine Muhme Elvans war, im letzten Sommer. “Allerdings hat sie damit eine echte Aufgabe.” schob er grinsend nach.  “Goblins gibt es aber auf jeden Fall noch in unseren Wäldern, und gar nicht so wenige. Wobei man mit diesen auskommen kann: seit mein Ahn Mikvard sie in die Schranken gewiesen hat, gab es keinen allzugroßen Ärger mehr mit diesen - meistens geht man sich gegenseitig aus dem Weg, und nur ab und an muss man einigen halbstarken Rotpelzen die Grenzen aufzeigen.” “Ob Du aber eigensinnigen Kindern durch Anbinden Grenzen aufzwingen kannst, möchte ich bezweifeln - bei Silfrun hättest Du ziemlich sicher auch damit keinen Erfolg gehabt.” Nivard merkte, wie Boromada wieder etwas unruhiger wurde. Die Furcht vor der Strenge ihres Schwertvaters steckte offenkundig tief in ihr. “Jetzt trink erstmal in Ruhe Dein Bier aus. Und danach kannst Du Dich ja vorsichtig zurückschleichen. Ich beobachte dann noch ein Weilchen den Weg, und zur Not verwickel ich Deinen Herrn rasch in ein kurzes Gespräch, um Dir noch etwas Vorsprung zu verschaffen. Wenn Du Dich schlafend stellst, wird der doch sicher nichts mitbekommen, oder?” versuchte er die Knappin zu beruhigen. “Und wirklich über die Stränge geschlagen hast Du doch auch gar nicht. Finde ich.” “Das wird er anders sehen.” Sehr zweifelnd auf Nivards Worte, aber dennoch gewillt, ihnen Glauben zu schenken, trank Boromada einen tiefen Schluck und wischte sich gedankenverloren den Schaum von den Lippen. “Rechtskunde klingt wirklich heftig - gerade für eine so energische junge Frau. Ich drücke Deiner Schwester alle Daumen, dass sie ihre Freude daran findet.” Boromada schüttelte sich. “Ich könnte das nicht. Klar bekommen wir auch etwas Wissen über Recht und Land, Erben und Steuern mit - und mein Knappenherr ist da ziemlich genau, dass wir wissen, welcher Bauer bei welchem Streit recht bekommt, schließlich will er uns auch mal schicken können, wenn es Streitigkeiten gibt … aber da ewig viele alte Folianten zu wälzen - das muss doch furchtbar staubig und langweilig sein.”  “Meins wäre die Rechtskunde auch nicht, aber Silfrun ist nicht nur ein Wildfang, sondern auch ein sehr wacher Geist und Verstand. Vielleicht zähmt die geistige Anstrengung ja auch die Unruhe, die sie sonst so im Griff hat.” Nivards Blick verriet, dass auch er leichte Zweifel hatte. “Und außerdem ist die Juristerei wahrscheinlich vor allem im Studium staubig, in der Anwendung aber durchaus recht hilfreich. Man kann ja nicht alles mit dem Schwert in der Hand regeln.“  Auch sein zweites Bier in dieser Runde neigte sich allmählich seinem Ende entgegen. “Musstest Du schon mal für Deinen Herrn in irgendwelchen Streitigkeiten eingreifen? Oder steht das erst in den letzten Jahren Deiner Knappschaft an?” “Mein Knappenherr nimmt mich mit, wenn es Dinge zu regeln gibt - aber in den letzten Monaten gab es sehr wenig Streitthemen, die vor ihn gebracht wurden. Seit seiner Weihe, meinte er, haben die Bauern ihr Probleme verloren.” Sie schüttelte den Kopf. “Schade - die letzten Knappen haben mir einmal erzählt, dass sie einmal über die Ladung eines Kaufmanns entscheiden mussten, die in den Graben vor dem Dorfetter gekippt war und um die sich dann Dörfler und Kaufmann stritten. Ich weiß aber nicht mehr, wie sie es aufgelöst haben - ich glaube, es gab eine Abslösezahlung des Kaufmanns.” Sie beäugte den bedauerlich tiefen Stand in ihrem Krug. “Du hast recht - in der Anwendung ist es gar nicht so übel.” Sie nahm einen letzten Schluck und beäugte erneut ihren Krug, in dem auch das zweite Bier schon wieder bedenklich zur Neige ging. “Du würdest wirklich Schmiere stehen? Danke.” “Natürlich!” erwiderte Nivard lächelnd. “Immerhin habe ich Dir ja bei dieser Regelverletzung geholfen. Das heißt, ich stecke bereits als Dein Komplize mit drin. Dann gibt es keinen Rückzieher mehr, und wir ziehen die Sache bis zum Ende durch.” Boromada grinste und stieß ihren Krug gegen Nivards. “Auf die Komplizenschaft!” Mit einem tiefen Zug leerte sie den letzten Rest. “Das tat richtig gut. Vielleicht können wir das irgendwann nochmal wiederholen. Ich fürchte, ich muss jetzt aber zurück - es ist ordentlich spät geworden.” Kritisch lauschte sie in die Dunkelheit. “Echt schade.” Mühsam rappelte sie sich auf. “Auf die Komplizenschaft!” entgegnete Nivard den Trinkspruch und leerte auch seinen Krug. “Ich fand die Spätabendrunde hier mit Dir auch sehr schön. Sicher ergibt sich irgendwann wieder mal die Gelegenheit dazu.” Er schwieg, als Boromada in die Nacht lauschte. “Ich glaube die Luft ist rein. Dann wünsche ich Dir eine gute Nacht. Komm gut zurück zu Deinem Zelt. Ich halte derweil noch eine kurze Runde Ausschau und decke Deinen Rückzug, wie versprochen.” Der junge Krieger zwinkerte der Knappin dabei zu. “Wir sehen uns sicher morgen, oder?” “Bestimmt.” Die Knappin stellte die Krüge mit einer betont sorgsamen Geste auf dem Boden ab und salutierte Nivard. “Ich schleiche mich dann mal von dannen. Dir ebenfalls gute Nacht, Nivard - und vielen Dank für das Bier und den schönen Abend!” Sie blickte sich nochmals forschend um, entschied dann, dass die Luft rein genug war und steuerte dann meistenteils aufrecht wieder das heimische Zelt an.  Nivard sah Boromada kurz mit einem Lächeln nach, dann hielt er sich an sein Versprechen und beobachtete noch einige Zeit den Weg. Als niemand kam und auch aus Richtung des Lagers der Rabensteiner alles friedlich blieb, bettete sich auch Nivard zur Ruhe. Seine Gedanken verharrten noch kurze Zeit am zurückliegenden Tag, doch schon bald begannen sie zu kreisen. Um leuchtend grüne Augen, umwallt von rotem Haar. Klar und kalt war die nächtliche Luft hier in den Bergen und vertrieb rasch die Biernebel wieder aus dem Kopf. In der kristallklaren Sommerluft funkelten Phexens Diamanten wie achtlos auf einen Samtmantel ausgeschüttetes Geschmeide und verliehen der Sommernacht einen ganz eigenen, niemals fassbaren und zugleich immer fremden Zauber. Das Zirpen der Zikaden klang erneut auf und mischte sich mit dem Murmeln des Nachtwindes in den Zweigen des Waldes, alles nur ein Unterstreichen der großen Stille, die die Eisenberge fest in ihrem Griff hielt und die auch das kurze Gewese der Menschen und Zwerge nicht zu stören vermochte.

Maura von Altenberg

Maura genoss den Tanz und der junge Knappe war ein guter Tänzer. Nach dem sie einige Runden getanzt hatten, verabschiedete sie sich vor ihn und schaute sich um. Dann entdeckte sie den jungen Tannenfelser, der trübselig am Rande stand. Schnurstracks ging sie zu ihm. “Edler Herr von Tannenfels, würdet ihr mir die Ehre geben?”, fragte sie und hielt ihm ihre Hand entgegen. Nivard schreckte aus seinem Trübsal hoch, als ihn Maura zum Tanze aufforderte. Überrascht blickte er ihr entgegen, dann straffte er sich, erhob sich und ergriff mit einer Verbeugung die Hand der Dame. "Es ist mir eine Ehre, hochgelehrte edle Dame!" 'Jetzt bloß nichts vermasseln!, wenn seine Felle im Hinblick auf die Brautschau, mit der er sich zwischenzeitig dabei war, mehr als nur abzufinden, heute Abend nicht ganz davon schwimmen sollten. Etwas schüchtern nahm er vor ihr Aufstellung und versuchte, sich so gut es ihm möglich war, der Schrittfolgen zu erinnern, die ihm an der Kadettenschule zu Elenvina gezeigt worden waren. Er musste führen, wenigstens die auf Handfühlung getanzten Strecken des Schreittanzes. Und das bei einer erfahrenen Dame, die offensichtlich wusste, was sie auf dem Tanzparkett konnte und wollte. Nivard wurde heiß, aber er nahm die Herausforderung wie ein Kämpfer an. Was hatte er schon zu verlieren. Etwas unbeholfen fing Nivard an, fand dann aber, wenn auch mühsam in die ersten Schrittfolgen. Bei allem kostete es ihn Willenskraft, seinen Blick nicht in Richtung Geldas und Rondradins zu lenken. Wer weiß, was dies für seine Konzentration, die er hier brauchte, bedeutete. Und es geziemte sich, seiner Tanzpartnerin die volle Aufmerksamkeit zu schenken. “Ich bin überrascht. Ihr habt eine gute Schrittfolge, Nivard”, wisperte sie ihm zu während des Tanzes. “Ihr solltet Euch aber darin üben, Euer Trübsal nicht allzu deutlich in Euren Gesicht zu zeigen. Das schreckt die jungen Damen ab.” Sie lächelte.”Ihr habt aber Glück, eine reife Frau, kann einen Mann mit gutem Herzen erkennen.” Sie drehten ihre letzte Runde. “Ihr wäret eine gute Partie für meine Tochter Elvrun. Ein Mann von Eurem Format kann ich mir gut an ihrer Seite vorstellen. Im nächsten Jahr erhält sie ihrer Weihe der Travia. Sie könnte Euch das Heim bieten, das Euch zur wahren Stärke führen könnte.” Sie verneigte sich und setzte an, sich zurück an ihren Tisch zu begeben. Nivard war zunächst überrascht über das Lob, dann erschrocken - sprach sein Gesicht so sehr Bände? “Verzeiht, falls ich den Eindruck vermittelt haben sollte…” Er wollte es zuerst auf die Müdigkeit schieben, ließ aber ab davon. Er war ein schlechter Lügner, und er hatte das Gefühl, dass seine Gegenüber ihn ohnehin lesen konnte. Er versuchte, ihr Lächeln aufgemuntert wirkend, zu entgegnen. Warum erkannten nur reife Frauen sein gutes Herz… nein, nicht schon wieder in trübselige Gedanken verfallen... Er konzentrierte sich lieber auf die weiteren Schrittfolgen, die ihm erstaunlich gut gelangen. “Habt Dank für diesen Tanz… und Eure Worte.” erwiderte er, sich ebenfalls verneigend, mit einem aufrichtigen Lächeln auf den Lippen. “Ich werde nach Herzogenfurt kommen, im Rahja.” Auch wenn es immer noch nicht unbedingt die ihm unbekannte Elvrun war, die ihn lockte. “Ich freue mich, dort Euch zu treffen. Und Eure Tochter kennenzulernen.” Warum konnte Gelda nicht einfach Elvans Schwester sein? 

Die Qual der Wahl

Elvan schaute seiner Mutter und Kusine hinterher und fühlte sich ein wenig zurückgelassen. Auch er liebte Musik und Rhythmus, seine Beine machte schon jetzt im Takt mit. Würde jemand auch ihn auffordern? Er schaute sich um zu Nivard. Er überlegte kurz. Nein, ihn konnte er nicht fragen. Er blickte sich weiter und entdeckte Doratrava. Vielleicht sie? oder die Elfe in dem schönen Kleid? Elvan bemerkte, wie Doratrava, die noch immer ihr überaus luftiges Tanzkostüm trug und trotz der angenehmen Wärme in der Halle ein wenig zu frösteln schien, ebenfalls mit einem sehr nachdenklichen Gesichtsausdruck zu Liana hinüber schaute. Dann stand sie plötzlich abrupt auf, machte ein paar Schritte in deren Richtung, um dann unschlüssig stehenzubleiben. Sie wandte sich wieder um um wurde Elvans Blick gewahr, der auf ihr ruhte. Unsicherheit sprach aus ihrer Miene. Den Blick den ihm die Gauklerin schenkte, deutete Elvan als Desinteresse ihrerseits.Er ließ seinen Blick weiter schweifen. Die Baronin von Rodaschquell liebte den Tanz. Und es war ihre eigene kleine Eitelkeit, nur mit jenen zu tanzen, die dieses bisweilen schwierige Handwerk auch beherrschten. “Damenwahl”, hieß es. Sie blickte sich um. Eine schwierige Sache. Ihr Blick fiel zunächst auf ihren Ritter, einen durchaus gutaussehenden Mann, von dem sie auch wusste, dass er - als guter Reiter - auch einen Sinn für Takt sowie eine gute Körperbeherrschung hatte. Darian war ihr Ritter, doch als sie ihn ansah, und er verlegen und entschuldigend lächelnd, leicht errötend den Blick ein wenig senkte, da wussten beide, dass dies nichts werden würde. Zu oft schon war er ihr auf die Füße getreten. Bewegen konnte er sich ja, aber er war immer so schrecklich nervös im Tanzsaal … Der Rabensteiner vielleicht? Ein exzellenter Tänzer, das wusste sie. Aber ob er Freude daran finden konnte? Wahrscheinlich würde er aus Höflichkeit annehmen, doch das war ihr nicht genug. Ihr Partner sollte auch mit ihr tanzen wollen. Sie betrachtete Rondradin, den jungen Rondrageweihten, und fragte sich, wie gut er sich wohl auf dem Parkett machen würde.  Und während sie sich so weiter neugierig umblickte, sah sie natürlich auch die Gauklerin, die Liana nachdenklich ansah. Ein dezentes und vorsichtiges Lächeln huschte über die Züge der Dame Morgenrot. Sie vermochte die Unsicherheit nicht so recht zu deuten ... Ihr Blick fiel dann auf den jungen Mann mit der auffälligen Schamkapsel, einer der wenigen Herren die so etwas heute Abend trugen. Er war ein gutaussehender Mann Anfang Zwanzig mit dunklen Haar, aber eher schmaler Statur. Er wirkte zurückhalten, obwohl die im Takt schlagenden Beine verrieten ihr, dass er den Rhythmus spürte.Der Blick seiner verträumten blauen Augen traf sie kurz. Er lächelte ihr zu.  Wäre er vielleicht ein guter Tänzer? Was sprach dagegen? Vielleicht sollte sie... Als Doratrava sah, wie Elvans Blick weiter zu Liana schweifte, fegte ein plötzlicher Impuls ihr bewusstes Denken hinfort. ‘Ein andermal’, formte sich ein letzter klarer, auf Elvan gemünzter Gedanke, dann stand sie unvermittelt vor der Elfe, ohne sich genau erinnern zu können, wie sie die mehrere Schritt Abstand überwunden hatte. Schwarze Augen ohne sichtbare Pupille blickten in die amethystfarbenen Lianas, als die Gauklerin sie ansprach: “Gewährst du mir diesen Tanz?” fragte sie schlicht und ohne jede merkbare Unsicherheit. Ihr aus diesen Augen seltsamer Blick hatte etwas Eindringliches, ohne zwingend zu wirken, dennoch nahm er die Aufmerksamkeit Lianas für einen Augenblick vollkommen in Anspruch, als bestünde die Welt für diesen kurzen Moment nur noch aus ihnen beiden. Doch schon war wieder ein wenig Sand aus Satinavs Gefäß gerieselt und der Eindruck gehörte der Vergangenheit an.  Fast hätte Lianas Zofe Eduina etwas einwenden wollen.  Ihr müsst ‘Euer Hochgeboren’ sagen, wenn Ihr mit der Baronin sprecht, meine Liebe!  Dass diese kecke Akrobatin ihre Dame so ungeniert duzte, missfiel ihr durchaus. Und sie hätte es lieber gesehen, wenn Liana selbst die Initiative und einen der schmucken anwesenden Herren angesprochen hätte, anstatt sich von einer Bediensteten aufs Parkett führen zu lassen. Aber sie kannte ihre Herrin gut genug, um zu wissen, dass dieser beides herzlich egal war. Und mit ihrem Einwand hätte sie das junge Ding in dem aufreizenden Kostüm wahrscheinlich nur verunsichert. Seufzend und gütig lächelnd wartete sie ab. Und schweigend - was ihr durchaus schwer fiel.  Ein Hauch von Überraschung indes überkam die Rodaschquellerin. Ihre Augen weiteten sich etwas. Mit ihrer rechten Hand spielte sie vorsichtig mit dem Saum ihres Kleides; der feingliedrige Zeigefinger glitt langsam, kaum merklich, am Kragen vorsichtig die Borte entlang, während sie verwundert den Blick aus diesen seltsamen Augen erwiderte. Für einen Augenblick irritierte sie diese völlige Schwärze. Aber sie wusste ja, dass Mandra in Doratrava floss. Und das wohl auf eine Weise, die der weißhaarigen Frau selbst vielleicht gar nicht bewusst war … Die Überraschung wich der Freude. Doch zunächst neigte sie ihren Kopf noch einmal in Richtung des dunkelhaarigen Mannes mit den schönen Augen, die es ihr sofort angetan hatten. Sie erwiderte seine Freundlichkeit mit einem ganz dezenten Nicken. Ihr Blick sprach nicht von Enttäuschung, sondern schien vielmehr ein Versprechen. Schließlich war dieser Abend noch jung. Dann sah sie schnell wieder in Doratravas Richtung, wissend, dass sie nicht lange eine Antwort schuldig bleiben durfte. Es musste sie schließlich einige Überwindung gekostet haben, Liana zu fragen. Die kurzen Momente des Wartens belohnte die Rodaschquellerin mit einem Lächeln, dass strahlender und schöner wurde, und hielt dann ihre Hand hin.   “Das tue ich mit Freuden.”

Doratrava neigte erfreut lächelnd den Kopf, dann nahm sie Liana bei der Hand und führte sie auf die Tanzfläche, als sei es das Natürlichste der Welt. Was es in diesem Moment für sie auch war. Die Gauklerin kannte die formalen Schrittfolgen nicht, welchen die anderen Tanzpaare folgten, und sie beachtete diese auch nicht weiter. Statt dessen hielt sie weiterhin Lianas Blick mit ihren eigenen Augen gefangen. Doratrava war fast genauso groß wie die Elfe, deren Haar wie Herbstlaub schimmerte und im Gegensatz zu ihrem eigenen höchst kunstvoll frisiert war, und zwar trug sie im weiteren Gegensatz keine Schuhe, doch das trug nur unwesentlich zum Größenunterschied bei, so dass sie Liana fast auf Augenhöhe begegnen konnte und sich nicht anstrengen musste, ihr in die Augen zu blicken. Und diese Augen waren nun die sichtbare Welt, die Musik, ihrer beiden Körper und deren Bewegungen die fühlbare, und diese Welt wollte nun erkundet werden. Liana stellte erstaunt und mit leicht geweiteten Augen fest, dass Doratrava sogleich wie selbstverständlich die Initiative übernahm, ungeachtet dessen, dass diese leicht erschauerte, als die Elfe ihre Hand federleicht auf die bloßliegende Haut des Oberarms der Gauklerin legte. Liana konnte Gänsehaut fühlen, oberflächliche Kühle, aber darunter eine sich aufbauende Hitze, die mehr war als nur ansteigende Temperatur durch die Bewegung, als Doratrava zu ihrer Überraschung sehr nah an sie heranrückte, so dass die Oberschenkel und Hüften der beiden Frauen sich berührten und die Gauklerin Liana nicht nur mit den Händen führen konnte, denn genau das tat diese nun: Völlig überrumpelt fühlte sich Liana unwiderstehlich hineingezogen in einen wilden Reigen, der so überhaupt nichts mit dem von ihr erwarteten formalen Tanz zu tun hatte und dessen Tempo und Richtung Doratrava viel mehr bestimmte als die Musik. Im ersten Moment verspürte die Elfe den Impuls, sich zu sperren und selbst die Führung zu übernehmen, um den Tanz in geregelte Bahnen zu lenken, doch so schnell dieser Impuls gekommen war, so schnell legte er sich wieder und verkehrte sich in das Gegenteil: Sie beschloss, das Wagnis einzugehen und die Überraschung, ja Herausforderung anzunehmen. Wer sie in diesem Moment beobachtete, konnte sehen, dass sich ihr Gesichtsausdruck von grenzenloser Verblüffung zu freudiger Erwartung zu auffordernder Anfeuerung wandelte. Als die exzellente Tänzerin, die sie war, konnte Liana die Zeichen der Gauklerin immer besser deuten, den Druck eines Oberschenkels oder den Zug einer Hand, folgte den Vorgaben, ließ alle Konventionen fallen, aber setzte dabei dennoch auch ihre eigenen Akzente, was den Tanz noch mehr bereicherte. Bald schon kam ihr ein Bild aus fröhlichen Kindertagen in den Sinn, als sie mit einer Freundin glücklich lachend Fangen gespielt hatte in einem wilden Garten, und die Pflanzen, das waren die Schrittfolgen der Gauklerin: nichts war geplant, aber alles war an seinem Platz genau richtig und schön und harmonisch, wie es sein sollte, und hinter jeder Ecke entdeckte man etwas Neues, Überraschendes, noch Schöneres. Noch niemals hatte jemand auf diese Weise mit ihr getanzt, es berührte sie im tiefsten Inneren auf eine Art, welche sie lange vergessen geglaubt hatte. Und die ganze Zeit hielten die schwarzen Augen der Gauklerin ihren Blick gefangen, doch spürte sie gar nicht das Verlangen, etwas anderes in Augenschein zu nehmen. Sie fühlte sich völlig sicher und geborgen und eingebettet in den Tanz und wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass es nötig wäre, solch profanen Dingen wie Tischen oder anderen Tänzern ausweichen zu müssen, diese waren einfach nicht mehr Teil der Welt. Die Zuschauer und anderen Tänzer konnten nur staunen, als die beiden so unterschiedlichen Frauen der Musik auf nahezu magische Weise mehr Rhythmus und Geschwindigkeit entlockten, als den meisten Ohren zugänglich war, so dass das Tempo, mit welchem sie sich auf der Tanzfläche bewegten, durchaus gewagt zu nennen war, und doch wichen sie mit traumwandlerischer Sicherheit jedem Hindernis aus und schafften es sogar, die anderen Tänzer nicht zu behindern und auch diese ihr Vergnügen ausleben zu lassen. Die meiste Zeit wirbelten die Elfe und die Gauklerin in engem Körperkontakt, bisweilen sogar eng umschlungen, umeinander, nur um dann ab und an ihre Formation unvermittelt zu öffnen, damit eine der Frauen sich anmutig und elegant unter dem Arm der anderen hindurchdrehen konnte, um danach wieder eingefangen zu werden wie ein fröhlich flatternder Schmetterling. Selbst die Musiker schienen gefangen und gebannt von diesem Anblick, spielten sie das Stück doch schon viel länger, als es eigentlich vorgesehen war, als hätten sie Angst, diese vollkommene Harmonie in unziemlicher Weise zu stören, wenn sie denn zu früh zum Ende kamen, und vielleicht war es genau so. Doch nichts währte ewig, und die Zwänge der äußeren Welt konnten von der inneren Welt nicht für immer ignoriert werden, und so kamen die Musiker doch irgendwann zum Ende, damit dann zwangsläufig auch der Tanz der beiden Frauen, die endlich keuchend innehielten und sich jetzt erst gewahr wurden, das sie sich völlig verausgabt hatten. Doch in den schwarzen Augen der Gauklerin schien ein heißes Feuer zu lodern, als sie Liana nun mit glühendem, leuchtendem Gesicht ansah, während sie die Elfe immer noch an der Hand hielt. Eine unausgesprochene Frage schien in ihrem Blick zu liegen.

Nachdem Palinor, zu seinem Bedauern, von Maura entlassen worden war, schaute er  sehnsüchtig den anderen Tänzern zu. Der Tanz - durfte man das überhaupt noch Tanz nennen? - der Baronin und der Gauklerin zog ihn magisch in ihren Bann. Etwas derartiges hatte er noch nicht gesehen. Der Knappe war zugleich ergriffen, erregt, verzückt und gleichzeitig auch neidisch. Als der Tanz endete und sich die beiden Frauen schwer atmend ansahen, konnte er nicht anders und begann begeistert zu klatschen.

Der Ritter der Rodaschquellerin betrachtete die Dame, die zu schützen er geschworen hatte, mit einer Mischung aus Wehmut, Sehnsucht und Bedauern. Lange genug diente er seiner oft unnahbar scheinenden Herrin nun schon, doch nur selten hatte er sie derart ergriffen erlebt. Und genau diese Ergriffenheit war es, die sie für ihn so einzigartig machte. Doch ein derartiges Geschenk, wie es diese seltsame Gauklerin ihr gemacht hatte, würde er ihr niemals bieten können ... Eduina indes war sehr bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, dass eine Spur von Missfallen in ihr aufkam. Mit einem dezenten Lächeln und hochgezogenen Brauen hatte sie das Schauspiel verfolgt, ohne eine weitere Regung zu verraten. Aber als ihre Zofe hatte sie auch auf die Gesellschaft zu achten, die im Moment ihre Herrin umgab. Und es schickte sich ganz und gar nicht, derart mit den Konventionen zu brechen. Es gefiel ihr nicht, dass die Dame Morgenrot nun zum Gegenstand allgemeinen Getuschels wurde wegen dieser allzu kecken Akrobatin. Oh, sie war sich völlig im Klaren darüber, dass Liana dies herzlich egal war. Aber ihr, Eduina Malganahr, war es nicht egal. So sehr sie das junge Ding, das da mit der Rodaschquellerin tanzte, auch bewunderte für diese Kunstfertigkeit, die jene ihrer Herrin so wunderbar ergänzte …

Es dauerte eine Weile, bis anmutigen Tänzerinnen wieder halbwegs Herr ihrer Sinne waren. Zu berauschend, zu intensiv war doch dieser wunderbare Tanz gewesen, den sie soeben beendet hatten. Zu fern noch die Welt um sie herum, die sie so bereitwillig zu vergessen imstande gewesen waren.  Es bedurfte keiner Worte. Nur sehr, sehr selten hatte die Dame Morgenrot das Vergnügen, derart tief in diese Kunst eintauchen, ja, sich dieser Leidenschaft derart hinzugeben zu können. In ihre Freude mischte sich anfangs noch ein Hauch von Bedauern nun, da sie erkannt hatte, dass sie diese Erfahrung nicht mehr länger auskosten konnte. Doch dieser Impuls verflog, und zurück blieben Zufriedenheit und Dankbarkeit, die jeder, der sie ansah, deutlich spüren konnte. So vernahm sie die Begeisterung Palinors nicht sofort. Doch schließlich neigte sie ihr Haupt in Richtung des Knappen. Sie lächelte und senkte leicht verlegen ihren Blick. Palinor war sich nicht sicher: Hatte er ein wenig mehr Röte in den anmutigen Zügen der Baronin entdeckt? Nein… es konnte doch nur die Erschöpfung gewesen sein, die da aus ihr sprach. Oder?

Auch Doratrava brauchte einige Zeit, um die eben erlebten Eindrücke soweit zu verarbeiten, dass sie wieder auf die Umwelt reagieren konnte. Auch sie hörte zunächst die Beifallsbekundungen jenes jungen Knappen, dem sie lächelnd und erfreut zunickte, doch sogleich fixierte sie ihren Blick wieder auf Liana. So etwas hatte sie noch nie erlebt - und die Elfe offensichtlich auch nicht, wenn sie deren Mimik und Ausstrahlung richtig deutete. Und dennoch - dennoch ... wie sollte sie Worte dafür finden? Sie fühlte tiefgreifende ... Erfüllung, aber gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dem Wesen der Elfe selbst im Tanz nicht richtig nahe gekommen zu sein. Während des Tanzes war das auch nicht wichtig gewesen, da hatte sie nur für den Moment gelebt und gefühlt, dass es Liana genauso erging, da waren sie eins gewesen, harmonisch und untrennbar verbunden. Aber jetzt ... wieder zurück in der ... wirklichen ... Welt fühlte Doratrava wieder dieselbe Barriere, die sie schon bei ihrer ersten Begegnung mit der Elfenbaronin gespürt hatte. Das verstand sie nicht. Das wollte sie auch nicht verstehen. Sie musste es einfach versuchen. "Liana ...", begann sie zaghaft, "es ... wird nie wieder so sein wie beim ersten Mal ... doch ... können wir nochmal tanzen? Nicht heute!" wehrte sie schnell ab, obwohl Liana noch gar nichts gesagt hatte, aber sie wollte ihr Glück nicht überstrapazieren. "Es wird nie wieder so sein wie beim ersten Mal, aber ... hinter jedem Hügel liegt ein neuer Horizont!" Erst jetzt merkte Doratrava, dass sie immer noch Lianas Hand festhielt. Doch sie dachte gar nicht daran, diese loszulassen und nahm statt dessen auch die zweite Hand der Elfe sanft in die ihre. Erneut lag eine Frage in ihren lodernd schwarzen Augen. Endlich ... endlich sah die Elfe sie an, mit ihren so großen, amethystfarbenen Augen, in denen man sich so leicht verlieren konnte. Doratrava war versucht, genau das zu tun, doch sie riss sich mühsam zusammen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Vielleicht ... sie riss sich zusammen! "Liana ...", flüsterte sie schließlich mit heiserer Stimme, "du hattest ... fast ... recht." Ob die Elfe wusste, sich noch erinnerte, worauf sie anspielte? "Dieser Tanz war nicht für das Publikum bestimmt, sondern nur für dich und mich ... danke ..." Eine einzelne Träne der ... Rührung? ... lief die Wange der Gauklerin herunter.

Die Ergriffenheit der Gauklerin berührte Liana. Und sie selbst war ebenfalls ergriffen. Diese Intensität, diese Tiefe… Wie hätte sie ahnen können, etwas derartiges hier zu spüren, auf einem Fest inmitten von vielen Dutzend lachenden Zwergen und Menschen, die miteinander feierten? Ganz langsam löste sie eine ihrer Hände und machte Anstalten, vorsichtig mit ihrem Handrücken die Träne wegzuwischen. Sie hob langsam ihren Arm …

Parkettkatastrophen

Das kann doch wohl nicht wahr sein!  Eduina betrachtete mit zunehmender Entrüstung, was sich da auf dem Parkett abspielte. Diese Gauklerin hatte nach der Hand der Baronin gegriffen, ja , sogar auch die zweite! Was erlaubte sie sich? Sie musste einschreiten. Es durfte nicht sein, dass die Gauklerin sich eine derartige Intimität herausnahm.  Schnell schnappte die treue Zofe sich ein Tablett, stellte zwei Becher mit Wasser darauf und schritt eilig, aber gewandt auf die beiden Tänzerinnen zu, die einander erschöpft und ergriffen zugleich ansahen.  “Was für ein hinreißender, wunderbarer Tanz!”, sagte sie freundlich. “Und sicherlich auch sehr anstrengend! Daher habe ich mir erlaubt, Euch zwei Gläser mit kühlem Quellwasser zu bringen, auf dass Ihr Euch erfrischen mögt.”   Liana hatte sie zunächst nicht wirklich gehört. Zu sehr war sie noch gefangen in dieser intensiven Erfahrung, in der Leidenschaft des Tanzes, die sie soeben gespürt hatte, und in den Emotionen Doratravas, welche die Gauklerin so bereitwillig und offen teilte… Sie musste erst wieder Herrin ihrer Sinne werden. Es dauerte daher einen Moment, ehe sie auf Eduina reagierte. Das angebotene Wasser schien ihr jedoch in diesem Augenblick geradezu nebensächlich, obwohl sie tatsächlich Durst verspürte. Die Hand, die sie soeben erhoben hatte, griff wie selbstverständlich nach dem Wasser. Sie sah jedoch nur kurz hin, nickte Eduina zu, und sah dann wieder Doratrava an. Die Güte und Dankbarkeit, die Doratrava darin las, waren geradezu greifbar. “Ein unvergleichliches Geschenk, das wir teilen …”, sagte sie dann ganz leise.

Doratrava sah Lianas Hand, die sich ihrem Gesicht näherte. Fast schien die Zeit stillzustehen ... doch dann platzte diese ... Frau ... dazwischen. Kurz zuckte der flammende Blick der Gauklerin zu Eduina, der Zofe der Elfe, wie sie im Laufe des Tages mitbekommen hatte, hinüber, die ihr mit übertrieben unschuldigem Lächeln einen Becher auf einem Tablett darbot. Doch irgendwie lauerte hinter diesem Lächeln stählerne Entschlossenheit. Doratrava verstand das nicht, auch wenn sie den kaum zu zügelnden Impuls verspürte, die freche Zofe in der Luft zu zerreißen, die mit dem Schwert ihrer angriffslustigen Aufdringlichkeit auf die eben im Entstehen begriffenen zarten Bande einschlug. Lianas leise Stimme riss Doratrava aus diesen ungerufenen Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das, was wirklich wichtig war. Die wenigen Worte der Elfe brachten eine Saite in ihrem Inneren zum Erklingen, welche die zudringliche Zofe am Rande ihres Blickfelds verschwimmen ließ - was auch daran liegen mochte, dass nun weitere heiße Tränen ihren Weg aus den Augen der Gauklerin suchten. Sie versuchte sich an einer Antwort, aber nach einem unbestimmten Krächzen versagte ihr die Stimme den Dienst. Dabei gab es viel zu sagen, und Liana hatte auch noch immer nicht auf ihre Frage geantwortet. Nun versuchte Doratrava ganz bewusst, in den strahlenden Augen der Elfe zu versinken, sich darin zu verlieren, die Welt um sich herum erneut zu vergessen, um ... ja, was? Verzweifelt hielt sie die andere Hand Lianas noch immer umklammert, als fürchte sie, gewaltsam von ihr getrennt zu werden. Einem plötzlichen Impuls folgend drehte Doratrava den Kopf erneut in Eduinas Richtung, zerriss damit wiederum den Blickkontakt mit Liana, und sah in die erbarmungslosen Augen des ruhelosen Racheengels, welcher drauf und dran war, sie mit Haut und Haaren zu verschlingen. Diesem Kampf fühlte die Gauklerin sich nicht gewachsen, nicht hier und nicht jetzt. Verzweiflung lag in ihrem tränenüberströmenden Blick, und eine innigliche, flehende Bitte. Sie bot den Klauen der Furie ihre Kehle dar. Wenn es denn sein musste, ging es hoffentlich schnell ... Liana registrierte verwirrt, wie der Blick der Gauklerin sich unvermittelt Eduina zuwandte und dabei die Augenfarbe von einem auf den anderen Moment von loderndem Nachtschwarz auf strahlendes Smaragdgrün wechselte - doch das Gesicht der jungen, weißhaarigen Frau drückte Schrecken, Verzweiflung, abgrundtiefe Hingabe, wilde Hoffnung, bedingungslose Liebe und resignierte Schicksalsergebenheit aus, nacheinander, gleichzeitig, durcheinander, untrennbar. Die Elfe musste blinzeln, den Kopf ein wenig zur Seite drehen, die Intensität all dieser Gefühle machte sie schwindeln. Sie spürte, sie fühlte intuitiv, dass gleich ... es sei denn …

Zunächst war die Zofe völlig überrascht ob dieses geradezu unkontrollierten Gefühlsausbruchs der Akrobatin.  Wie kann man nur so unbeherrscht sein!, dachte sie bei sich. Eine Spur von ehrlicher Entrüstung überkam sie für einen kleinen Moment, doch war Eduina geübt genug darin, solcherlei gut zu verbergen. Sie hob lediglich in völliger Verwunderung beide Brauen und sah Doratrava mit großen Augen an, als verstehe nicht so recht, was hier vor sich ging - was zum Teil ja sogar stimmte. Dann jedoch tat ihr das arme Ding Leid, das so völlig aufgelöst vor ihr stand und sich an die Baronin …. ja, geradezu klammerte. Sie wusste durchaus, welche Wirkung ihre Herrin allein durch ihr Auftreten mitunter hervorzurufen imstande war. Aber diesmal schien es besonders intensiv zu sein. Doch sei es, wie es sei: Sie konnte nicht zulassen, dass die Baronin weiterhin derart bedrängt würde! Zumal, wie sie feststellte, auch die Baronin nicht ganz bei sich selbst zu sein schien ...

Liana war zunehmend irritiert. Diese schnellen Wechsel der Gefühle, diese Hingabe und Verzweiflung, diese Begeisterung und zugleich Resignation, all das war mehr, als sie in so schneller Folge aufzunehmen imstande war. Dieser innere Aufruhr, der Doratrava überkommen hatte …. die Akrobatin musste sich wieder finden, musste zur Ruhe kommen.  “Es ist niemals wie bei einem ersten Mal, ganz gleich, was es auch sei”, sagte sie dann leise und mit sanfter Stimme. “Und es wird umso schöner beim nächsten Mal.” Es klang fast wie ein Versprechen. Sie schenkte Doratrava ein vorsichtiges Lächeln, das von Zuversicht und Hoffnung sprach, während Eduina mit einem bekümmerten, milden Lächeln ein kleines, weißes Tuch aus Spitze aus dem Ärmel fischte und es Doratrava hin hielt - in der Hoffnung, diese würde endlich ihre andere Hand von der Baronin lösen.

Wechselhaft ist ein leichtes Wort

Sie hatte nun schon zweimal erlebt, wie wechselhaft die Gefühle dieser Akrobatin waren. Liana spürte den Griff um ihre zarte Hand, der fester geworden war. Es war ihr etwas unangenehm. Nicht in erster Linie wegen des Drucks, sondern vor allem, weil sie befürchtete, Doratrava könne noch mehr in Unruhe geraten. Sie war so… aufgewühlt. Die Freiheit und die Freude, die sie gerade gespürt hatte, und von der sie sich sicher war, dass auch Doratrava sie geteilt hatte: Beides schien nun einem gewissen… Drängen zu weichen. Als würde sich die weißhaarige Frau verlieren, würde Liana sie nicht halten. Die Elfe  unterdrückte den Impuls, erneut das Lied zu singen, dass sie vor kurzem erst gesungen hatte, um Doratrava Trost zu geben. Es würde sicher auch diesmal nicht seine Wirkung verfehlen, doch es würde auf Doratrava wohl dieselbe Auswirkung haben wie der Tanz. Sie würde mehr davon wollen, und mehr… um diese Erfahrung immer intensiver auskosten zu können. Wie ein Dürstender, der einen Kelch voll Wasser bekommt, aber nur einen Schluck daraus nehmen soll. Liana verstand nicht ganz, was ihre junge Tanzpartnerin so aufwühlte. Aber sie ahnte es.  “Komm’ wieder etwas zur Ruhe”, sagte sie schließlich. “Erlaube dir, diese Erfahrung zu bewahren! Und was sollte uns davon abhalten, es erneut zu erleben? Doch jetzt muss auch ich ein wenig ruhen.” Die Zufriedenheit und die Erschöpfung, die sie gleichermaßen ausstrahlte, waren ein beredtes Zeugnis dafür, dass es wohl schon lange niemanden mehr gegeben haben mochte, ihr im Tanz den Atem zu rauben ...

Tatsächlich und fast unerwartet von Eduina ließ Doratrava Lianas Hand los und griff nach dem Tuch. Der vorletzte Blick aus smaragdgrünen Augen traf die Zofe - wieder war er voller Intensität, aber undeutbar … irgend etwas zwischen Verzweiflung und Mordlust, wie Eduina leicht zurückzuckend zu erkennen glaubte, aber da wanderte der Blick weiter zu ihrer Herrin. Und wandelte sich. Wieder war er kaum zu deuten, zumal von Eduina, die das tränenüberströmte Gesicht der Gauklerin nurmehr von der Seite sah. Liana dagegen sah sich nun wieder voll im Fokus der Aufmerksamkeit der … zitternden? … weißhaarigen Frau. Sie erkannte, dass das Tor zu Doratravas Seele weit geöffnet war, doch wirbelten dahinter die Emotionen in solch einem Orkan durcheinander, dass sie sich kaum einen Reim darauf machen konnte, was sie zu sehen  - nein, zu fühlen glaubte, denn nicht ihre Augen blickten hinter das Tor, sondern ihr inneres Selbst, ihre eigene Seele. Mit Mühe erkannte Liana tiefe  Dankbarkeit, eine flehende Bitte, ein bedingungsloses Versprechen … und dann schloss sich das Tor, denn die Gauklerin … floh. Anders konnte man das kaum bezeichnen. Das unbenutzte Tuch in der Hand eilte, ja flog sie ohne einen Blick zurück zum Portal der großen Halle, stieß es auf und verschwand im Dunkel der Nacht. Und wieder rennt sie vor mir davon ... Sorgenvoll blickte die Elfe Doratrava hinterher, doch sie wusste, dass sie hier nichts tun konnte. Zu aufgewühlt schien sie ihr, zu sehr in ihren durcheinander geworfenen Gedanken und Gefühlen gefangen. Die weißhaarige Tänzerin musste erst wieder zur Ruhe kommen, und sie, Liana, würde ihr wohl nicht dabei helfen können. Es war nicht ihr Wunsch, sie noch weiter in Aufruhr zu versetzen, und das geschah offenkundig nur allzu schnell, wenn die beiden aufeinander trafen ... “Was ist denn nur in sie gefahren?” Die treue Zofe stand einen Moment etwas ratlos neben ihrer Dame, gleichermaßen bestürzt wie auch verstört. “Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde mir an die Kehle springen!” “Sie ist im Augenblick ... sehr durcheinander. Sie braucht Zeit”, antwortete die Herrin von Rodaschquell leise und zögerlich, während sie noch immer in Richtung des Portals schaute. Wissend, dass Doratravas Mandra sich einen Weg bahnte, auch wenn sie wohl nie jemand gelehrt hatte, wie sehr es ein Teil von ihr war. Es bekümmerte Liana, dass etwas, das für sie so selbstverständlich war, anderen, die es ebenfalls in sich trugen, so fremd war. Und sie konnte sich nicht ausmalen, was all diese unkontrollierten Eindrücke für eine Wirkung haben mussten. Einen kleinen Moment lang verspürte sie wieder diesen Anflug von Ärger. Darüber, dass die Priester, bei denen Doratrava groß geworden war, in ihrer Unwissenheit und Arroganz geglaubt haben mochten, das Mandra womöglich unterdrücken zu können. Sie senkte den Blick und schüttelte leicht den Kopf. Im Gegensatz zu ihrer Herrin teilte Eduina ihre Gedanken bereitwillig. “Ich meine, erst dieser wundervolle Tanz, doch dann… dann schien sie ja geradezu wie besessen! Ich musste doch eingreifen! Ich meine, was hat sie sich denn dabei gedacht? Mitten auf dem Parkett nach Euren Händen zu greifen und Euch mit ihren Blicken geradezu zu verschlingen .…  … ist, ist Euch nicht wohl, Euer Hochgeboren?” Liana blickte wieder auf und sah Eduina freundlich und gütig an. Diese Frau war schon seit vielen Jahren ihre engste Vertraute, und doch gab es Dinge, die sie ihr nie zur Gänze würde erklären können. “Komm, lass uns zurück an den Tisch gehen. Ich muss mich nur etwas ausruhen.”

Aureus auf Beobachterposten

Aureus lehnte sich lässig an eine der acht tragenden Säulen und schaute dem heiteren Treiben zu. Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen als er den tanzenden Angroschim zusah. Aus irgendeinem Grunde hatte er nie daran gedacht, dass Angrosch´s Kinder tanzen würden, doch wieder einmal merkte er, wie unerfahren er doch war und was für Wunder die Welt doch zu bieten hatte. Aber auch, dass er sich in den letzten Jahren verändert hatte. Früher hätte er sich über solche Gedanken geärgert, doch heute freute er sich darüber.  Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher und spürte die Hitze in seinen Wangen. Er sah Rahjania zu, wie sie ihrer Göttin einen Weg in die Herzen der Feiernden bahnte und dachte unwillkürlich an den Tag, als sie in Elenvina Vorbereitungen für die Reise getroffen hatten. Dazu zählte auch seine heutige Garderobe, bei deren Auswahl sie ihm geholfen hatte. Er trug schwarze, kniehohe Stiefel über einer engen schwarzen Hose. Darüber eine dunkelrote Tunika mit doppelten Ärmeln. Die einen eng anliegend, die anderen weit und mit einem Schlitz bis zu den Schultern versehen. Sie dienten dazu den sonnengelben, und mit einem filigranen Pflanzenmuster versehenen, Futterstoff zu präsentieren. Der untere Saum, sowie ein eckiger Rahmen um den Halsausschnitt, waren ebenfalls aus diesem Stoff gefertigt. Dazu trug er eine dunkelrote Kappe, die er schräg über die rechte Seite trug und an der eine Schwanenfeder befestigt war. Auf seiner linken Brust thronte ein Anhänger in Form einer Spore mit einer roten und einer weißen Perle. Obwohl die Tunika nicht dazu gedacht war, hatte er sich seinen schwarzen Schwertgurt umgebunden, an dem sein Schwert in einer einfachen Scheide hing. Der gutaussehende junge Mann lächelte, während er sich eine blonde Locke aus dem Gesicht strich und unmerklich anfing mit dem linken Fuß zu wippen. Da saß er nun, von allen Damen um sich herum verlassen. Nivard musste schlucken, als er das Geschehen auf der Tanzfläche beobachtete. Vor allem die vollendeten Umgangsformen  Rondradins und dessen geübte Tanzschritte führten ihm schlagartig seine eigene Unzulänglichkeit vor Augen. An der Kadettenschule hatten sie auch einige Gesellschaftstänze gezeigt bekommen, aber gut war er in diesen nicht. Eher noch in den Tänzen des einfachen Volks, aber diese wären in dieser Gesellschaft fehl am Platze. Er war halt doch nur ein Krieger aus den Wäldern, keiner der feineren Edlen aus dem Süden. Missmutig leerte er seinen Becher. Der Alkohol, der ihm vorher noch zu so heiter-gelösten Stunden verholfen hatte, verstärkte nun rasch seine trübsinnige Stimmung. Mit Rahja stand er halt doch auf Kriegsfuß - oder besser diese mit ihm. Kaum hatte sie ihm ihre Schönheit gezeigt, kam eine ihrer Geweihten und verdarb alles... mit ihrem 'Tanzen'! Hoffentlich würde es nicht allzu lange dauern. Nivards Blick fiel auf seinen Freund Elvan, der sich suchend umblickte und dabei auch nicht allzu glücklich wirkte. Gequält lächelte er diesem zu. Elvan beobachtete die Tanzenden und hätte so gerne mit gemacht. Erst dachte er, dass vielleicht die Elfe mit ihm tanzen wollte, aber der Gedanke, es bei einem anderen mal zu versuchen, schlich sich in seine Gedanken. Als er seinen Freund Nivard sah, wirkte dieser unglücklich. Auch er hatte keine Tanzpartnerin. Lag es daran das Gelda mit dem edlen Rondrageweihten tanzte? Erst wollte er sich aufmachen und sich zu Nivard gesellen, doch dann sah er einen gutaussehenden Mann. ´Oh, wer ist das denn?´ ging es ihm durch den Kopf. Seine Interesse war geweckt. Er stand auf und postierte sich so, das er dem Edlen gegenüber stand und ihn gut beobachten konnte. Der Gutaussehende war stilvoll und edel gekleidet, besaß eine gute Figur und sein Haar war blond und lockig. Und er besaß Rhythmus. Sein Herz schlug ein wenig schneller. ´Wie schön er ist´. Als dieser zufällig in seine Richtung schaute, prostete er ihn kurz zu und tat so als ob er darauf warten würde von der Rahjageweihten angesprochen zu werden.  Während er so seinen Gedanken nachging, spürte Aureus einen Blick auf sich ruhen. Er bemerkte einen jungen Adligen, der ihm gegenüber auf der anderen Seite des Raumes stand und ihm zuprostete. Der Altenweiner lächelte und erwiderte den Gruß, bevor ihm auffiel, dass der junge Mann sehnsüchtig? (er konnte den Blick nicht richtig deuten) zur Hochgeweihten hinübersah. Na, da wollen wir dem Glück mal auf die Sprünge helfen, dachte er bei sich, stieß sich lässig von der Säule ab und schlenderte über die Tanzfläche zu seiner Reisegefährtin, um ihrem derzeitigen Tanzpartner auf die Schulter zu klopfen: “Gestattet Ihr, dass ich diese liebreizende Rose kurz entführe?” Der gutaussehende Edle prostete ihm zurück. Elvan war überrascht und gleichzeitig angetan. Er folgten den Mann mit seinen Blicken, der dann die Rahjageweihte ansprach. Der Schreiber blieb an seiner Stelle stehen und beobachtete weiter. Leicht aufgeregt zupfte er sich an seinem Kinnbart. Elvan konnte sehen, wie der charmante Unbekannte ein paar Schritte mit der Geweihten tanzte und dabei mit ihr sprach. Einmal deutete er in seine Richtung, woraufhin die Geweihte Elvan ansah und lächelte. Dann nickte sie, sagte wieder etwas zu dem Blondschopf und sie tanzten wieder ein paar Schritte, bevor sie sich lösten. Dann steuerte der Altenweiner direkt auf den Kalligraphen zu. ´Kommt er etwas zu mir rüber? Ja, aber Nein. Was mach ich jetzt?´, schoss es ihm durch den Kopf. Ihm wurde heiß und kalt. Er schluckte kurz und versuchte seine Panik sich nicht anmerken zu lassen. Mit einem lasziven Blick erwartete er den schönen Unbekannten. “Guten Abend”, sagte dieser und hatte kurz einen irritierten Gesichtsausdruck, der schnell wieder verschwand, “ mein Name ist Aureus Praioslaus von Altenwein. Mit wem habe ich die Ehre?” Elvan stellte sich gerade hin, spannte den Brustkorb ein wenig an, um selbstbewusster zu wirken. “Guten Abend, edler Herr. Elvan von Altenberg mein Name. Ordentlicher Schreiber und Kalligraph aus Elenvina. Ihr seid ohne Begleitung heute Abend? Oder ist gar die liebliche Geweihte der Rahja Eure Herzensdame?”, fragte er mutig. Jetzt wo er so nahe war, schaute er genauer hin. ´Eine schöne Stimme hat er auch ...´ Seine Wangen glühten beinahe, ob vor Aufregung oder Aufgrund des Weines war nicht zu erkennen. Im Fackelschein schienen seine grünen Augen zu funkeln. “Meine Herzensdame?”, Aureus lachte, “Nein, wie könnte ich? Ich habe sie zwar in den letzten Tagen sehr lieb gewonnen, aber eigentlich bin ich derzeit ihr Beschützer auf den Wegen durch unsere Heimat. Soll ich Euch bekannt machen? Ich bin sicher, sie hat gewiss gleich etwas Zeit.”  Elvan lächelte. “Das ist nicht nötig. Ich war mehr an Euch interessiert. Ihr seid ein Mann, der weiß sich zu kleiden. Und mir ist auch nicht entgangen, dass ihr Rhythmus habt. Etwas, was man nicht von vielen Männern behaupten kann.” Er nippte an seinem Wein, ließ aber seinen Blick nicht von Aureus los. “Nun sagt, wenn nicht die liebliche Geweihte Eure Herzensdame ist, gibt es den jemanden in Euren Herzen?”, fragte er neugierig. Aureus seufzte und sein Blick verlor sich in seinem Becher. “Ja, da gibt es jemanden. Aber ich war nicht schnell genug. Nun ist I…”, er unterbrach sich selbst, “diese Person - unerreichbar für mich.” Er lächelte traurig. “Vielleicht sollte ich, ganz nach den alten Tugenden, mich der Minne widmen”, sagte er dann mehr zu sich selbst und nahm einen tiefen Schluck. Dann fiel ihm wieder etwas ein. “Wie meint Ihr das, Ihr seid an mir interessiert? Habt Ihr schon von mir gehört?” Er dachte an seine Wandlung in den letzten Jahren zurück und an die Ereignisse, die kaum eine Woche her waren, doch war da seiner Meinung nach nichts Rühmliches dabei gewesen, dass man in den Tavernen über ihn hätte hören können. Elvan nickte verständnisvoll. “Ich kenne das, wenn jemand unerreichbar ist”. Auch er hatte nun ein trauriges Lächeln. Dann hellte sein Blick wieder auf. “Ich habe Euren Namen heute das erste mal gehört. Gibt es den etwas über Euch zu hören? Nun ist meine Neugier geweckt, Edler Herr.” Nun schaute er etwas herausfordernd.   “Vor wenigen Tagen wurde ich zum Junker von Altenwein ernannt”, sagte Aureus nicht ohne Stolz. “Ihre Hochwürden gehörte zu der Geweihtenschar, die mir den Segen erteilt haben. Kurz zuvor sind wir zusammen mit dem Herzog und dem Landgrafen auf der Concabella gefahren.” Hier verdüsterte sich sein Blick ein wenig, als er sich das Ende der Fahrt in Erinnerung rief.  “Wie wunderbar, herzlichen Glückwunsch. Ich bin mir sicher Ihr habt es Euch Wohl verdient. Und ihr wart mit dem Herzog unterwegs? Ist er nicht ein großartiger Mann?” Dem Schreiber konnte man die wahre Begeisterung ansehen. Er legt seine rechte Hand auf Aureus Schulter, als Geste des Glückwunsches. Und auch zu fühlen wie kräftig diese war. “Ich war erst im letzten Rondra auf der Concabella. Zusammen mit der Herzogenmutter Grimberta. Vielleicht habt Ihr von dieser turbulenten Fahrt gehört?”  Elvan konnte festes Fleisch und wohlgeformte Muskeln unter dem feinen Wollstoff fühlen. Auch die Wärme, die von Aureus´Körper ausging. “War das nicht die Fahrt, bei der der Fluss verschwunden ist?”, überlegte Aureus. “Ich durfte dem Herzog aufwarten, zusammen mit einem Knappen. Aber sonst hatte ich nicht viel mit ihm zu tun. War der Fluss wirklich verschwunden? Und was ist mit dem Schiff passiert?” Elvan nahm nochmals einen Schluck. Wie gerne hätte er den Leuten erzählt, was wirklich auf dieser Fahrt passiert ist. Doch ein heiliger Schwur der Alt-Herzogin gegenüber hinderte ihn daran. “Nun, ob der Fluss verschwunden war, kann ich nicht bestätigen. Es ist aber was die Leute erzählen. Was ich aber bestätigen kann ist, dass wir in ein Feenreich gelandet sind. Bei dem Muschelfürst, einem Gefolgsmann des Flussvaters.” Nun wartete er ab. Entweder waren die Leute voller Begeisterung oder sie lachten ihn aus, wenn er diese Geschichte erzählte. “Wir sind aber, den Göttern sei dank, wieder zurück gekommen. Ich kann auch soviel sagen, das ich und einige andere Edle, daran beteiligt waren, das zu ermöglichen.” Sein Blick wanderte zu Nivard, dem einzigen hier, der auch wusste, was wirklich passiert war.  Als er sich wieder Aureus widmete, stellte er sich vor, wie er wohl ohne seine Kleidung aussah. Er errötete ein wenig, als er sich selbst dabei ertappte.  Begeisterung mochte anders aussehen, doch hörte Aureus gespannt zu ohne loszulachen. Mit Magie und derlei Dingen hatte er bereits Erfahrung gesammelt, doch war da immer noch ein gewisses Unbehagen tief in seinem Inneren. “Ich bin froh, dass Ihr es geschafft habt und alles wieder normal ist.” Auch er hatte Geheimnisse zu hüten, darum blickte er erneut in seinen Becher. “Leer”, stellte er mit einem Lächeln fest. “Vielleicht sollten wir uns irgendwo setzen, wo es noch ein wenig Nachschub gibt.”  “Das können wir gerne machen”. Mit einer Handgeste ließ er ihn wissen, das er ihn folgen würde. Er wollte sicher gehen, das er Aureus auch einmal von hinten betrachten konnte. Elvans Interesse war geweckt, auch wenn er sich innerlich darauf vorbereitet, enttäuscht zu werden. Wie immer. Rahja schien ihre Scherze mit ihm zu treiben. Der Altenberger folgte seiner neuen Bekanntschaft. Aureus sah sich nach einem Tisch um, der etwas abseits stand und unbesetzt war. Auf dem Weg dorthin schnappte er sich noch einen Krug und ein paar Knabbereien. Elvan konnte ausgiebig seinen breiten Rücken bewundern, der sich zur Taille hin verjüngte. Aureus war zwar muskulös, aber schlank, so dass alles wohl proportioniert und nicht aufgeplustert war. Er fühlte sich wohl. Der Alkohol stieg langsam und warm in seinen Kopf, doch er konnte immer noch denken. Bald würde er sich zügeln müssen und auch diesen Krug sollte er eher langsam leeren. Doch er fühlte sich auch frei, unbeschwert und genoss es Teil dieser Feier zu sein und freute sich über die Gegenwart des jungen Kalligraphen. Aus irgendeinem Grund glaubte er, dass sie was gemeinsam hatten, auch wenn ihm nicht bewusst war, dass es hier verschiedene Gesichtspunkte auf beiden Seiten gab. Als er merkte, dass Elvan etwas Abstand hielt, drehte er sich um, holte ihn ein und legte den Arm um ihn, als wären sie alte Waffenbrüder und Saufkumpane, und führte ihn so zum Tisch. Die ´waffenbrüderliche´ Umarmung fühlte sich gut an, fest und eine Nähe ohne innerlichen Widerstand, aber eine Geste die Elvan schon kannte. All die Ritter, Krieger, sowie seine Freunde Dorcas von Paggenfeld und Nivard von Tannenfels, mochten ihn und umarmten ihn wie einen guten Freund. So wie man es unter Männer so macht, ohne allerdings romantische Gefühle dabei zu haben. Nicht lange danach erzählten sie ihn alle von ihren Herzen, dass sie an irgendeiner Frau verloren hatten. Ja, Frauen. Auch wenn Elvan spürte, wie ihn diese Umarmung erregte, so machte es ihn auch traurig. Er konnte machen was er wolle, aber bis jetzt war sein Herz oder sein Leib noch nie von den Flammen der Leidenschaft erfasst worden, wenn es um eine Frau ging. Im Gegensatz zu den Männern. Er hatte mal von einem Praiosgeweihten gehört, der öffentlich mit seinem Partner, einem Mann, auftrat. Elvan jedoch ist noch nie jemanden begegnet, der seine Gefühle teilte.  Mit einem Seufzen, gab er sich dem Moment hin und griff einen neuen Kelch. “ Ein Hoch auf die holde Weiblichkeit!”, sagte er laut und stieß mit Aureus an. “Auf die Weiblichkeit”,stimmte er mit ein und trank. Dabei entging ihm nicht, dass sich Elvans Gemütszustand leicht verändert hatte. Das Lächeln war nicht mehr ganz so strahlend und sein Blick hatte den Glanz verloren, der zu Beginn der Unterhaltung noch da gewesen war. “Was ist mit Euch? Es wirkt so, als würdet Ihr eine Last auf Eurem Herzen tragen. Wollt Ihr Euch mir anvertrauen?” Elvan fühlte sich plötzlich ertappt. Konnte der Junker ihn so leicht lesen. Oder kann er gar verstehen, wie Elvan sich fühlte? ´Reiss' dich zusammen. Du hast den Mann gerade erst kennengelernt´, schellte er sich innerlich. “Alles gut, Herr von Altenwein. Der Wein scheint sein Tribut zu zollen. Ich dachte nur gerade daran, dass man nicht immer alles haben kann, was man begehrt.” Der laszive Blick kehrte wieder zurück, als er Aureus tief in die Augen blickte. “Wohl wahr, eine Freundin von mir empfindet es auch so. Auch ich habe diese Erfahrung schon machen müssen”, sagte  er mit trauriger Stimme, um nach einer kleinen Pause fortzufahren: “Aber das Leben oder das Schicksal oder die Götter machen einem manchmal auch Geschenke. Ich zum Beispiel hätte nie geglaubt, dass ich unser altes Junkergut wiedererlangen könnte, oder Teil der Gesellschaft sein darf.” Er lachte vor Freude und Erleichterung. Der Wein zeigte wohl seine Wirkung. “Doch, nun bin ich hier, werde morgen auf die Jagd gehen und befinde mich in guter Gesellschaft.” Er prostete Elvan aufmunternd zu. “Vielleicht hat es ja auch sein Gutes, wenn man eben nicht immer alles bekommt, was man begehrt.” ´Ist dem so?´, dachte Elvan bei sich und stimmte in das Prosten ein. Es wäre auch zu schön, um wahr zu sein, das Aureus seine Gefühle teilte. Nachdem er seinen Wein ausgetrunken hatte, war es an der Zeit zu gehen. “Ich habe Eure Gesellschaft sehr genossen, Aureus. Doch ich denke, es ist Zeit sich zur Ruhe zu legen. Morgen ist ja wieder ein großer Tag. Wir sehen uns morgen!” Der Schreiber verabschiedet sich, mit einem kräftigen Griff und Aureus linker Schulter. Leicht wehmütig, machte er sich auf, das Fest zu verlassen. “Bis morgen, Elvan und schlaft gut.” Nachdenklich blickte er dem jungen Mann hinterher. Ob es an den ungewöhnlichen Umständen, die seiner Ernennung zum Junker vorausgingen, den Gesprächen mit der Rahjani in den letzten Tagen, dem rahjagesegneten Fest oder dem konsumierten Alkohol lag, wusste Aureus nicht, doch bemerkte er Elvans leicht gesenkten Kopf und die hängenden Schultern, als sich dieser entfernte. Ihm war, als läge ein Schatten auf dem Kalligraphen und das schmerzte ihn. Wehmütig blickte er in seinen Becher, vergaß seine eigenen Sorgen und beschloß den restlichen Wein der heiteren Göttin zu opfern, indem er den Becher umdrehte. Dabei bat er stumm die Göttin Elvan von seiner Last zu befreien und ihm die Freude wiederzugeben. Er selbst würde ihr in Elenvina die Hälfte seiner verbliebenen Reisekasse dafür geben und später noch mit Rahjania sprechen.

Auf zur Jagd

Zuerst hatte Nivard aus dem Augenwinkel Gelda die Halle verlassen sehen, was in ihm bereits den Impuls auslöste, sich - mit ein wenig Anstandsabstand, vielleicht befand er sich noch unter dem Blick der Doctora - zu ihr zu begeben. Als er nach einem kurzen Augenblick, während er noch unsicher zuwartete, Rondradin ihr folgen sah,  begannen sein Herz und die Gedanken zu rasen. Sollte er hinterher? Wollte er das überhaupt? Was würde geschehen? Schließlich konnte er dem inneren Drängen nicht mehr länger widerstehen. Aufgewühlt riss er sich von der Tanzfläche los, auf der er kurz festgewurzelt schien, als plötzlich die Urheberin des ganzen Schlamassels vor ihm stand und ihm den Weg versperrte.. Rahjania steuerte siegessicher und entschieden auf Nivard zu. “Gebt Ihr mir Eure Hand, schöner Mann?” ‘Rahja ist eine grausame Göttin!’ durchfuhr es ihn. Zuerst zeigte sie ihm ihre Schönheit und weckte Gefühle in ihm, dann sandte sie ihre Dienerin, die alles wieder kaputt machte, und schließlich stellte sie ihm diese auch noch in den Weg, wenn er versuchen wollte, sein Schicksal doch nochmals zum Guten zu wenden. Herzen aus der Deckung locken und zerfetzen, ja das konnte sie, die liebliche Göttin. Nivard schluckte ein Aufstöhnen hinunter und sah mit schreckensgeweiteten Augen unter einer schweißnass glänzenden Stirn die Rahjageweihte an, während seine Wangenfarbe gerade vom Roten ins Bleiche changierte. “Was wollt ihr…” presst er verzweifelt heraus. Dann wurde ihm allem inneren Aufruhr zum Trotze bewusst, wie er hier einer zwölfgöttlichen Geweihten gegenüber auftrat, und stammelte ein “Verzeiht, ich wollte... ich meine, ich wollte…” hinterher Armer Junge, so schüchtern… “Es wird schon gut, keine Sorge.” Rahjania glaubte zu wissen, warum ihr neuer Tanzpartner so verunsichert war. “Ich tanze nur kurz mit Euch, dann wechseln wir wieder. Was bedrückt Euch ?” Sie hatte inzwischen die Rolle des Mannes übernommen und führte Nivard weiter. "Euer Wort in Rahjas Ohren..." setzte Nivard an, ihre beschwichtigenden Worte zu erwidern, da sah er sich auch schon in das Tanzgeschehen gezerrt, aller Kontrolle über seine Schritte verlustig. Und sie entfernten sich vom Hallentor. 'Jetzt ist alles zu spät!' Verzweifelt versuchte er, wieder Herr seiner Bewegungen zu werden, und gegen die von der Geweihten geführte Richtung tanzend anzukämpfen. Der Tanz selbst verlangte keine feste Formation, und so wollte er, wenn er schon in diesem gefangen war, seine Position nicht weiter verschlechtern. Durch sein Streben, die Führung zu übernehmen, kam das für die Umstehenden merkwürdig anmutende Duo in eine wankende, nur wenig anmutig wirkende Bewegung, eher einem Ringkampf als einem Tanz gleichend. Er sah, wie Rondradin, mit jemandem zusammenstieß, es war die Baronin von Ambelmund. Rondra sei Dank, Zeit! Nivard schöpfte neue Hoffnung. Und entschloss sich zu Flucht nach vorne: Mit flehendem Blick, immer wieder nach Rondradin schielend, flüsterte er Rahjania zu: "Wenn Eure Göttin Euch heilig ist und diese mich nicht hasst, dann lasst mich bitte ziehen. Wenn Ihr verlangt, will ich Euch meine Gründe gerne später erklären." Rahjania schenkte ihm einen kurzen, etwas zornigen Blick, der weicher wurde, je länger sie den unsicheren, jungen Mann ansah. “Mein Herr… nennt mir bitte sofort mindestens EINEN guten Grund, warum man eine Hochgeweihte der schönen Göttin beim Tanzen stehen lässt.” Sie hielt Nivard fest in Tanzhaltung und ihre faszinierenden, dunklen Augen musterten ihn interessiert. “Ja? Danach ist Vieles möglich, wir werden sehen.” Die Geweihte vor ihm war anders als die Rahjani, die Nivard zuvor über den Weg gelaufen waren - genau genommen hatte er bisher nur eine näher kennengelernt, und die war damals noch Novizin. Rajalind von Zweibruckenburg, die er im letzten Sommer nach Punin eskortiert hatte, war eine viel sanftere, zurückhaltendere und warmherzigere Frau, als die, die ihn hier im Tanze gerade wieder unerbittlich von der Hallenpforte wegzwang. Wenigstens kam ihm dies in seiner jetzigen Gemütslage so vor. Genauso, wie er auch Rahja selbst im zurückliegenden Sommer, ja selbst noch wenige Momente zuvor noch in helleren Tönen besungen hätte als in diesem Augenblick..  “Weil…,” mit dem Mute der Verzweiflung sah er Rahjania in die Augen, “weil mein Herz es mir befiehlt, Hochwürden!” Nivards Augen verharrten kurz in denen der Geweihten, dann suchten sie wieder nach Rondradin, der zuvor - dem Tanz geschuldet - aus seinem Blick entschwunden war. “Und weil ich Euch, in Rahjas Namen, darum bitte!” In diesem Moment entdeckte er schließlich den Rondrageweihten wieder - offenbar hatte sich dieser recht rasch von Wunnemine von Fadersberg lösen können und deckte sich gerade mit einem raschen Griff mit neuem Wein ein. Schon näherte er sich dem Hallentor. ‘Zu spät’, durchfuhr es Nivard.  Rahjania sah, wie in diesem Moment etwas im Blick des jungen Mannes erlosch, das verzweifelte Ankämpfen einer Mischung aus Entsetzen und  Resignation wich, und die Gegenwehr gegen ihre Führung jäh erstarb.  ‘Zu spät!’ Irgendwas an dem jungen Mann stimmte sie um und ließ sie weich werden. Sie gab ihn frei, ließ ihn los aber gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. “Es drängt Euch. dann lauft los, Rahja sei mit Euch. Aber versprecht mir, danach davon zu berichte. Vielleicht kann ich helfen.” Sie schob ihn nun von sich weg und nickte aufmunternd. Als er im Begriff war, zu gehen, gab sie ihm noch einen leisen Rat. “Nivard...seid ein Mann, kein lappen. Sowas schätzen Frauen nicht.” Nivard nickte verständig, aber aus seinen Augen sprach Verwirrung. "Habt Dank, Euer Hochwürden, für Euer Verständnis... und Euer Angebot!" Dann wandte er sich von Rahjania ab. Langsamen Schrittes nahm er Kurs auf die Tür der Halle, hinter der Gelda verschwunden war. Und leider auch Rondradin. Dabei fasste sich der junge Krieger an die von der Geweihten berührte Wange. Aus dem Wesen Rahjas würde er nie schlau werden, fürchtete er. 'Seid ein Mann, kein Lappen.' Das war leicht gesagt. Wenn Gelda gerade in die Hände einiger Wegelagerer gefallen wäre oder von einem wilden Tier bedroht würde, dann wäre es ein einfaches für ihn, sich als Mann zu beweisen (auch wenn er all dies Gelda natürlich keinesfalls wünschte). Aber in der vorliegenden Gemengelage war ihm nicht klar, was er jetzt tun sollte. Er konnte nicht einfach mit gezücktem Schwert nach draußen stürmen und Gelda aus den Händen eines Rondrageweihten und Edlen 'befreien'. Oder sich vor den beiden aufbauen und ein Gedicht vortragen oder singen. Ach wäre er doch nur vor Rondradin nach draußen gelangt. Dann wäre dieser jetzt der Störenfried, und nicht er selbst liefe Gefahr, zum solchen zu werden. Andererseits, war Gelda vielleicht vor dem jungen Geweihten geflohen, und wurde nun weiter von diesem bedrängt? Wenn er doch nur wüsste, was da draußen vor sich ging.  Nivard starrte ein Weilchen unschlüssig auf die Tür, mit sich ringend, dann straffte er sich und fasste einen Entschluss. 'Seid ein Mann, kein Lappen.'

Rondra und Rahja

Die warme, abgestandene, rauchgeschwängerte Luft umarmte Rondradin wie einen alten  Freund, als er die Halle betrat. Er hatte das starke Bedürfnis nach Wein. Allerdings nicht diesen Essig, den sie hier ausschenkten, sondern den Guten des Rabensteiners. Hatte der Baron ihm nicht angeboten, ihn aufzusuchen und einen Becher mit ihm zu trinken? Wenn Rondradin es richtig sah, geleitete sein Bruder im Glauben gerade die Baronin von Rickenhausen zurück an ihren Tisch. Immer noch verwirrt und missmutig stapfte er auf dem Weg zu ihm dicht an der Rahjageweihten vorbei, welche für den Tanz verantwortlich war. Dabei murmelte der Rondrageweihte mehr zu sich als zu ihr: "Eure Herrin treibt mal wieder ihre Spiele mit den Sterblichen."

Alleine auf der Tanzfläche zurückgelassen orientierte sich Rahjania. Sie beobachtete, es war einfach zu interessant. So viele junge Menschen und Angroschim, die sich nicht trauten, das zu tun, was sie wollten. Sie seufzte. Sie war eine herausragend attraktive Frau, nicht aufdringlich, wie man es in so manchen Bordellen findet, sie bestach trotz ihres relativ schlichten Gewandes. Trotzdem schien man hier wenig mit ihr anfangen zu können. Ein Umstand, der sie nur kurz betrübte, in ihrer Wahlheimat war das ähnlich und sie war nicht so schwach, sich deswegen Gedanken zu machen. So waren sie eben, die, die die ihr Glück noch nicht gefunden hatten oder nicht wussten, was sie wollten. Die Bemerkung des Rondrianers entging ihr nicht, so fasste sie ihn am Arm (o ja.. so manch einer war irritiert, da sie im Vergleich zu ihren Glaubensschwestern und Brüdern doch recht ...anders war.) “Verzeiht, junger Herr, Rondra sei mit Euch. Was meint Ihr?” Sie fasste Rondradin fest am Arm. Fester, als er es von anderen Rahjani gewohnt war. Sollte er Augen für die Geweihte haben, nicht nur für seine Herzensdame, so  sah er, als Mann, eine überaus attraktive Frau. er hatte sicher kein schöneres weibliches Wesen gesehen.Und sie war ihm gegenüber nicht abwesend, nein, sie sah ihn liebevoll aus ihren großen, dunklen Augen an “Bruder … was bedrückt Euch? Sagt es mir. Nicht jede Liebe wird sofort erwidert, ebenso wird nicht jeder Kampf gewonnen. Wollt Ihr deswegen Rondra zürnen?” Ihre Hände, zart und weich, fassten die Seinen. 

Rondradin errötete, als die Geweihte, die ihn aufgehalten hatte, ihn so ansprach. Trotzdem erwiderte er ihren Blick mit seinen blauen Augen, aus denen Scham und Verwirrung sprachen. "Verzeiht, Schwester, meine Worte richteten sich nicht gegen Euch. Sie waren nur Ausdruck meines... ." Er seufzte niedergeschlagen. "Aber ich will Euch gerne erzählen, wie es dazu kam." Eigentlich hatte Rondradin noch ergänzen wollen, dass er erst die Kehle mit einem Schluck Bier befeuchten wolle, aber bei dem Anblick Rahjanias, dessen sich der Geweihte erst jetzt richtig bewusst wurde, vergaß er es einfach. "Ich traf heute eine junge Dame, die mich in ihren Bann schlug und soweit ich das sagen kann, ich sie wohl auch. Sie forderte mich zum Tanz auf und wob ihren Zauber. Keine Magie sondern, nun ihr wisst schon. Dann lief sie unvermittelt hinaus. Ich folgte ihr. Ob ich nur wissen wollte, weshalb sie hinauslief oder um sicherzugehen ob es ihr gut ging, ich kann es Euch nicht sagen. Wir redeten draußen und wieder war da dieser Zauber. Wir waren beide darin gefangen und beinahe hätten wir uns tatsächlich geküsst. Doch dann floh sie erneut, als ein Bekannter von ihr erschien. Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. War es ein Spiel? War sie verunsichert? Empfand sie Scham als ihr Bekannter erschien? Was meint Ihr, Schwester Rahjania?" Rondradin wirkte konfus und ratlos, ein Umstand der so gar nicht zu der fast 97 Finger großen Gestalt passen wollte.

Schon wieder eine `Dame`, der ein junger Mann vergebens folgte… Was mussten die sich auch so zieren ? Die geweihte streichelte Rondradin den Unterarm und überlegte kurz. “Das kann man nicht so leicht sagen, die Seele einer Frau ist ein Geheimnis für sich. Vielleicht fehlt es ihr an Erfahrung ? Wie alt ist sie denn? Habe ich sie schon gesehen ?” Der Geweihte entspannte sich ein wenig als er über die Fragen nachdachte. “Gewiss habt Ihr sie schon gesehen. Wie Euch, ist es schwer, sie zu übersehen. Langes kupferrotes Haar umspielt ein zartes Gesicht mit Haut so weiß wie Porzellan  und einigen Sommersprossen. Aber nicht das nimmt einen gefangen, auch nicht der süße, sinnliche Mund, der zum Küssen einlädt. Es sind diese tiefgründigen grünen Augen, die einen verzaubern.” Rondradin verlor sich selbst in der Beschreibung und lächelte versonnen. Er blinzelte kurz und fuhr fort. “Das Alter kann ich nur schwer einschätzen, vielleicht 16 oder 17 Sommer? Aber es ist seltsam, Ihr seid die schönste Frau, deren Antlitz ich jemals schauen durfte und doch weckt Ihr nicht diese Gefühle in mir, die sie bei mir auslöst.” Rondradin sah Rahjania um Verzeihung bittend an.  “Ach nein, da mach dir mal keine Sorgen.” Sie lächelte herzlich und warf ihre Haare zurück.”Wenn dem so wäre, hätte ich ja viele verliebte Männer. Ich bin Geweihte und weiß, wo mein Platz ist. Aber mal ehrlich...so jung ? Die hat doch keine Ahnung.” Rahjania runzelte skeptisch die Stirn, wenn ein Mädchen eine derartige Anziehungskraft hatte, wäre sie sicher eine passable Novizin. Allerdings war dazu auch ein gefestigter Geist nötig. “Nun, mein Herr...Was machen wir denn jetzt ?”

Wir sind also schon per du? Wunderte sich Rondradin, nahm es aber wohlwollend hin. Die Fragen der Geweihten gingen ihm durch den Kopf. Blutjung und unerfahren waren eigentlich nicht die Dinge die er bei einer Frau suchte. Bei Gelda war es anders gewesen, aber vielleicht lag es auch an etwas anderem. Der kleine verbale Zweikampf mit Eduina war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. War das der Grund, warum er so von Gelda verzaubert war? Aber müsste er dann nicht auch bei Rahjania etwas ähnliches empfinden? “Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist. Vielleicht ist es ganz gut so, wie es jetzt ist.” Er schüttelte den Kopf und ging auf die letzte Frage Rahjania ein. Der Geweihte bot seiner Glaubensschwester den Arm. “Mir würden da schon ein paar Dinge einfallen, die wir jetzt machen könnten.” Er grinste schelmisch. “Aber wie wäre es zu Beginn mit einem Tanz?”

“Aber gerne doch.” Die hübsche Frau nahm seinen Arm und schmunzelte ihn neckisch an. “Zeig doch mal wie gut du tanzen kannst, dabei kannst du mir nebenher etwas von deiner eigenen Erfahrung mit meiner Herrin berichten. Vielleicht ...na warten wir es mal ab.” Die Tulamidin war, wie er noch nicht wusste, aber zusehends merkte hin und wieder etwas eigen. Ihr oder Du wählte sie gerne frei und nach Sympathie. 

So führte Rondradin Rahjania zur Tanzfläche und sie reihten sich bei den anderen Tänzern ein. Schnell wurde klar, dass Rondradin ein durchaus kompetenter Tänzer war, dem aber der letzte Schliff zur Meisterschaft oder gar Vollendung noch fehlte. Trotzdem führte der Geweihte seine Glaubensschwester sicher und fehlerfrei über die Tanzfläche. "Ich schätze Deine Herrin sehr und wenn ich mir die letzten Götterläufe so betrachte, dann sie mich wohl auch. Vielleicht auch manchmal zu sehr, wie mir scheint." Er sprach leise, gerade so laut, dass Rahjania es verstehen konnte. "Um alles hier auszubreiten, reicht dieser Tanz nicht aus. Möchtest du stattdessen etwas Spezielles wissen?" 

Ihre Augen blitzten beim Tanzen und den Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen. “Ja,..” Sie beugte sich zu Rondradins Ohr und flüsterte dezent. “Wie erfahren bist du denn ? Und wie bequem ist dein Zelt ?” Mit gespielter Scheu wich sie etwas zurück. “Ich meine, falls wir uns unterhalten, will ich es bequem haben.”

Beinahe wäre Rondradin aus dem Takt gekommen, konnte sich aber noch rechtzeitig fangen. “Du bist sehr direkt.” war das Erste was er herausbrachte. Er hatte gedacht, seine Glaubensschwester wäre an seinen Liebschaften interessiert gewesen. “Ich habe in den letzten Götterläufen einiges an Erfahrung sammeln können. Reisende Geweihte sind gern gesehene Gäste, wenn du verstehst. Aber auch eine schlechte Erfahrung habe ich machen müssen und diese würde ich nicht wiederholen wollen.” Rondradin musterte Rahjania jetzt ganz offen. “Aber zum Glück fehlt dir das Federkleid dafür.” Ihr zuzwinkernd fuhr er fort. “Mein Zelt ist recht gemütlich. Auf dem Boden sind Felle ausgelegt worden, eine kleine Feuerschale sorgt für Wärme und Licht. Nur das Bett ist ein einfaches Feldbett, auch wenn es dick mit Fellen und Decken ausstaffiert wurde. Auf dem Boden sitzt es sich übrigens auch recht gut. Die Felle halten die Kälte und Nässe fern und das Feuer macht alles recht behaglich.” Nochmals wanderte der Blick des Geweihten über Rahjania. “Woran hattest du gedacht?”

“Ja, ich bin direkt. Das hat sich bisweilen bewährt.” Rahjania schmunzelte vergnügt, als sie über die Ausführung des jungen Geweihten, ja, fast ein Referat über sein Zelt, nachdachte. “Wir sollten in das gemütliche Zelt gehen, ich habe es gerne warm...ein Relikt meiner Herkunft. Da wirst du mir dann berichten, was dich betrübt. Ich spüre das und ich möchte gerne helfen.” Rondradin konnte nichts als ehrliche Anteilnahme erkennen, die Tulamidin zog aber auch interessiert die Brauen hoch und nickte leicht. Aufmunternd.

Sie ist so anders als Gelda, schoss es ihm ungewollt durch den Kopf. Die junge Altenbergerin wäre wahrscheinlich schon längst geflohen oder hätte sich anderweitig entschuldigt. Mal ganz davon abgesehen, dass sie dieses Gespräch nie geführt hätten. Rahjania dagegen wusste was sie wollte und ging die Dinge auch direkt an. Aber über was genau wollte sie sich mit ihm unterhalten? Gelda, seine schlechte Erfahrung in der Vergangenheit? Nun ja, er würde es noch erfahren. Glücklicherweise endete das Musikstück und sie konnten die Tanzfläche verlassen. “Dein Wunsch ist mir Befehl.” sagte er vergnügt, seine Unsicherheit, des Gesprächsthemas wegen, überdeckend. Im Vorbeigehen griff er sich sein Schwertgehänge, welches er vor dem Tanz mit Gelda abgelegt hatte und geleitete Rahjania zur Pforte. Sein Blick glitt über ihr Kleid. “Draußen ist es kalt. Darf ich dir meinen Umhang gegen die Kälte anbieten?”

“Gut beobachtet, ich vertrage die Kälte nicht gut.” Zufrieden schlüpfte sie in den Mantel und ließ sich zum Zelt führen. Obwohl es dunkel war, konnte Rondradin sehen, dass sie schmunzelte und neugierig von der Seite betrachtete. Am Zelt angekommen blieb sie stehen. “Ich lasse dir den Vortritt, es wäre auch nett, wenn wir was zu trinken hätten.”

“Natürlich. Wie wäre es mit heißem gewürztem Wein?” Rondradin nickte dem Waffenknecht zu, der an dem Feuer vor dem Zelt saß. Dort hing ein kleiner Kessel aus dem es nach Wein und Gewürzen duftete. Der Geweihte hob die Zeltlasche und machte eine einladende Geste in Richtung Rahjania. “Bitte, tritt ein.” Das Zelt war geräumig und genauso wie Rondradin es beschrieben hatte. Eine große Truhe stand neben dem Rüstungsständer, auf dem das Kettenhemd und der Helm ihren Platz gefunden hatten. Es war warm und hell, dank des Feuers in der Feuerschale. Rondradin warf noch einen weiteren Holzscheit darauf. Durch den Eingang wurde dem Geweihten zwei dampfende Becher gereicht, von denen er einen an Rahjania weiter reichte. “Ich hoffe, er schmeckt dir.”

Neugierig sah sie sich um und suchte sich dann einen Platz, der weich, warm und bequem aussah. “Danke, der Wein ist genau das Richtige.” Sie trank, wartete,bis auch Rondradin saß und betrachtete ihn dann nachdenklich. “Irgendwas ist mit dir, du bist ein stattlicher Mann, aber du wirkst nicht im reinen mit dir. Das musste ich auch bei anderen Gästen heute schon feststellen.” Aufmunternd prostete und nickte sie ihm zu. “Keine Scheu. Mir scheint nur, dass manche den Weg zu Rahja finden müssen, oder jemand, der sich ganz und gar nicht auskennt, ungewollt die Harmonie durcheinanderbringt.” Der Geweihte hatte sich neben seiner Glaubensschwester niedergelassen und seufzte nun. “Ist das so offensichtlich?” fragte er überrascht. Dann, einige Herzschläge später. “Ach, du meinst Gelda.” Am liebsten hätte er sich auf die Lippe gebissen, als ihm der Name heraus rutschte. Gut, jetzt war es raus. “Wie soll ich das erklären? Ich bin es nicht gewohnt, dass Frauen vor mir fliehen. Noch dazu, wenn ich gar nichts getan habe.” Der Geweihte schüttelte verständnislos den Kopf. “Bin ich inzwischen so furchterregend?” wollte er von Rahjania wissen.

Rahjania hustete, als sie sich am Wein verschluckte. “Gelda ?! Dieses Kind ? Mach dir keine Sorgen, wenn sie wegrennt, sie ist noch zu jung, um überhaupt zu wissen, was sie will. Ich hätte etwas mit ihr reden sollen.” Versöhnlicher lächelte sie Rondradin an, er war ja selber noch recht jung. “Auf der Feier hier, war es da nur diese Gelda ? Du solltest dich richtigen Frauen zuwenden. Erfahrung hast du doch, oder ?” Das hatte er zumindest behauptet, aber meist konnte man den Damen oder Herren noch etwas helfen. “weißt du, es ist wichtig, als richtiger Mann aufzutreten. Erzähl weiter. Wer gefällt dir auf der Feier noch ?”

Rondradin musste ob des Ausbruchs Rahjanias kurz auflachen. “Du hast wirklich was dagegen, dass ich die junge Gelda interessant finde? Was ich empfinde, empfand, ach wie auch immer, es hatte nichts mit Gedanken an Fleischeslust zu tun, allenfalls an einen möglichen Kuss habe ich gedacht. Aber es fühlte sich so… “ die richtigen Worte wollten ihm nicht einfallen und er zuckte deshalb mit den Schultern. “Gut, lassen wir das. Wer mir noch gefällt, außer dir?” Nachdenklich nahm er einen Schluck des Gewürzweines. “Eduina, die Zofe der Baronin von Rodaschquell hatte mein Interesse geweckt, allerdings auf eine andere Art. Ich mag ihre scharfe Zunge und ihren wachen Verstand. Zudem habe ich da schon meine Belohnung bekommen.” Er lächelte versonnen, als er an ihren Zweikampf zurück dachte. “Und ja, ich habe Erfahrungen in Liebesdingen sammeln können, angefangen mit Garhelt Finnwulfdottir, damals in Tobrien, als ich gerade 15 Lenze zählte.” Er sah Rahjania herausfordernd an. “Deiner Meinung nach soll ich also Gelda vergessen und mir stattdessen jemand anderen suchen? Aber ich war heute doch gar nicht auf der Suche nach jemanden, mit dem ich das Bett teilen könnte.”

Rahjania schlug die Beine übereinander und legte ihre Hände in den Schoß. "So, mein Guter, wie soll ich anfangen...? Ich spüre eine gewisse Unzufriedenheit, Du bist nicht im Gleichklang mit Dir und da wir gerade ungestört sind, werde ich dir etwas über Frauen erzählen. Nur Ratschläge. Wenn du mit einem Kuss zufrieden bist, ist es bemerkenswert, wollen die meisten Männer doch eher mehr … ähh … körperliche Nähe." Die nahm einen großen Schluck Wein und versicherte sich, dass sie Rondradins Aufmerksamkeit hatte. "So, wo fange ich am besten an ... Wenn Du etwas für eine Frau, oder dieses Mädchen empfindest, das über dem Drang nach Freundschaft liegt, solltest Du versuchen, irgendwie Körperkontakt herzustellen. Meist wird Dir dann recht schnell klar, ob deine Bemühungen zielführend sind, oder nicht. Ich meine damit nicht, dass Du sie ungefragt begrapscht. Mach es subtil – ein leichtes Streichen über ihre Schultern, wenn Du ihr deinen Mantel auflegst zum Beispiel. Wenn sie wegläuft, ist sie wohl überfordert, sich ihrer Gefühle nicht sicher, oder einfach noch nicht so weit. Ja, oder sie hat einfach auch kein Interesse. Es lohnt sich dann nicht, da zu viel Zeit und Mühe zu investieren." Die Hochgeweihte hob den Zeigefinger, um etwas klar zu stellen. "Ich spreche hier natürlich bloß für die Gebote der Herrin Rahja, nicht für jene ihrer Schwester Travia. Dann war unsere Begegnung ein hervorragendes Beispiel, wie man mit einer Frau, von der man sich etwas erhofft, nicht umgeht. Versteh das nicht falsch, Du warst sehr charmant und höflich. Ich mache es von Natur aus den Menschen leicht und versuche, ihnen ihre Hemmungen zu nehmen. Hier ein paar klitzekleine Missgeschicke, die sich bei deiner Herzensdame wohl ungut summieren würden." Rahjania streckte nun ihre Beine aus und sprach so lieb, wie es ging. "Es ist nicht förderlich, gleich beim ersten Gespräch zu sagen, dass du eine andere Frau anziehender finden würdest - da du bei mir keine Absichten hast, lassen wir das einmal weg. Tanzen eignet sich übrigens hervorragen, um etwas Kontakt herzustellen, da darf man nicht so schüchtern sein. Wenn die Frau dann von sich aus dein Zelt sehen will, kannst Du davon ausgehen, dass - davon abgesehen, dass sie ausschließen will, ob es ein verschnarchtes dreckiges Loch ist - sie sich für den Mann, der darin wohnt, auch interessiert. Wichtig ist, dass du es schaffst, nicht wie ein Jammerlappen dazustehen, dem die Frau davongelaufen ist und der mit sich hadert, sondern wie ein selbstsicherer, starker Krieger und Geweihter. Wenn eine Frau nicht will, dann ist es ihr Pech, denn sie hat keine Ahnung, was ihr entgeht. Dieser Eindruck muss entstehen."

Aufmerksam hatte Rondradin den Ausführungen Rahjanias verfolgt. Irgendwann hatte sich dann ein trauriges Lächeln bei ihm eingestellt und als sie geendet hatte, suchte er ihren Blick. “Ich danke dir für deine Offenheit und deine Ratschläge. Ich gebe dir auch recht, was Gelda angeht. Am besten lasse ich es sein. Aber zu dem ‘Jammerlappen’. Du warst es, die mich aufgefordert hat, nochmal darüber zu sprechen.” Kein Groll lag in seiner Stimme und er lächelte beinahe entschuldigend. “Hättest du mich Anfang des letzten Götterlaufs getroffen, dann wäre ich genau die Art Mann gewesen, den du hier angepriesen hast. Mein Motto damals war: ‘Genieße jeden Augenblick, den der nächste könnte dein letzter sein.’ Jedenfalls was Frauen anging.” Sein Blick fiel auf seinen leeren Becher und er sah Rahjania fragend an. “Möchtest du noch Wein? Wenn du es willst, dann erzähle ich dir was mich wirklich aus dem Gleichklang gebracht hat.” […]

Für einen Augenblick verließ Rondradin das Zelt und kam mit zwei dampfenden Bechern zurück, von denen er einen Rahjania reichte und den anderen abstellte. Dann löste er seinen Schwertgurt, zog Wappenrock und Robe aus und legte alles säuberlich auf der Truhe ab. Um seinen Hals hingen ein Amulett aus Gold mit einem blauen Stein und an einem einfachen Lederband ein Beutelchen, gerade groß genug für einen Ring.  Ansonsten nur noch mit Hose und Stiefeln bekleidet wandte er sich Rahjania zu. “Alles was ich nun erzähle ist die volle Wahrheit, so unwahrscheinlich wie manches klingen mag. Dies schwöre ich bei Rondra. Wenn du Fragen hast, beantworte ich sie dir anschließend.” Er kniete sich vor Rahjania hin, damit diese seinen Oberkörper näher in Augenschein nehmen konnte. Zahlreiche verblasste Narben zierten den durchtrainierten Körper des Geweihten. Auffällig war eine große über den Bauch verlaufende Narbe und eine Vielzahl vernarbter Kratzspuren, die an die Klauen großer Greifvögel gemahnten. “Wo soll ich beginnen? Siehst du die Krallenspuren? Die habe ich empfangen als ich vor drei Götterläufen eine Nacht in einem Harpyiennest verbrachte. Es war keine schöne Erfahrung, die mich zudem fast das Leben gekostet hätte. Trotzdem tat es meiner Liebe zu den Frauen keinen Abbruch. Dies änderte sich während dem letzten Götterlauf. Auf einer Reise traf ich auf eine traumhaft schöne Frau, dir nicht unähnlich, aber deutlich düsterer Natur, wie ich nachträglich feststellen musste. Sie versuchte, mich auf ihre Seite zu ziehen, was ihr allerdings nicht gelang und letztendlich vereitelten wir ihre Pläne. Was sie mir nie verzeihen wird, wie sie mir wenig später erklärte. Wenig später begann es. Wenn ich mit einer Frau zusammen bin und diese in ihrer Verzückung ihre Nägel in mein Fleisch bohrt oder mich liebevoll beißt, dann erwachen sofort unliebsame Erinnerungen aus der Nacht mit den Harpyien. Erinnerungen, die es unmöglich machen… “ er verstummte beschämt. “Jedenfalls ist das einer der Gründe, warum ich heute zurückhaltender bin, wenn es um Rahjadienste geht. Außerdem lebe ich nicht mehr nach dem Motto, welches ich vorhin erwähnte. Siehst du die große Narbe über meinem Bauch? Das war eine Vampirin, vor fast genau einem Götterlauf. Hast du schon einmal von Thalionmels Schlachtgesang gehört? Diese Liturgie singt ein Rondrageweihter ein einziges mal in seinem Leben, denn ein zweites mal gibt es in der Regel nicht.” Rondradin schluckte. “Im Kampf gegen die Vampirin und noch zweier weiterer dieser Monster, sang ich diese Liturgie, nachdem ich diese Wunde empfangen hatte und mir gewiss war, dass ich diesen Kampf niemals überleben würde. Aber Rondra wies mein Opfer zurück und sandte mir stattdessen eine Walküre, die mir verbot hier zu sterben, da es meine Aufgabe sei, das Kind, welches wir vor den Vampiren retteten, zu einer Geweihten der Rondra heranzuziehen. Ich darf also nicht sterben und damit wurde mein Motto sinnlos. Also, warum sich auf eine Frau einlassen, noch dazu, wenn es fast sicher im Harpyiennest enden wird?” er verstummte und trank einen tiefen Schluck, des inzwischen abgekühlten Gewürzweins. "Das alles hat mich aus dem Gleichklang gebracht."

"Nun...also...jetzt sieht die Sache etwas anders aus." Während Rondradin geredet hatte, war Rahjania still geblieben und hatte nur ab und zu etwas Wein getrunken. Jetzt sah sie etwas ratlos aus. Aber nicht lange, in ihren Augen stand wieder Hoffnung und Zuversicht, dann lächelte sie auch wieder recht optimistisch. "Armer Mann.." sachte strich sie dem Geweihten über die Narben. "Aber es gibt eine Lösung, wir müssen es anders anpacken, hör zu." Rahjania schlug ihre Beine zum Schneidersitz unter. "Ein paar Punkte. Also erstmal, das Kind, das von Vampiren gerettet wurde ist doch keine schlechte Sache." Sie machte eine Pause und biss sich leicht in die Unterlippe, unsicher, wie sie das Thema ansprechen sollte. "Das mit den Harpyien ist ohne Zweifel ein traumatisches Erlebnis. Du bist der erste Mann, den ich treffe, der das überlebt hat. Ich hatte vor kurzem erst selbst eine Begegnung mit einem kleinen Schwarm, sie wollten unseren Führer rauben.. Es geschehen so viele schlimme Dinge, es gibt so viel Unrecht und Gewalt. Aber gerade wir, die wir die Götter spüren durften, wissen, dass am Ende etwas anderes steht. Wir wissen um das, was danach ist, und das macht es uns leichter, die schweren Seiten des Lebens zu ertragen, oder besser, sie zu überwinden und aus unserem Glauben Kraft zu schöpfen. Du wirst das Erlebte nie vergessen, aber du kannst einer Frau sagen, dass du es nicht magst, wenn sie kratzt oder beißt. Nichts sollte gegen den Willen des Partners geschehen und das muss sie verstehen.

Ich habe meine Meinung geändert, ob es nun zum Erfolg führen mag oder nicht, sei dahingestellt. Aber vielleicht ist gerade eine Unerfahrene richtig, um dir wieder das zu geben, was du in den Jahren verloren hast. Morgen, nach der Jagd, wirst du mit deiner Beute zurückkehren und wenn du Gelda siehst, gib ihr einen Kuss auf den Mund. Aber Obacht, einen Sanften:"

“Nein, das Kind ist keine schlechte Sache. Tatsächlich liebe ich es, als ob es mein eigenes Kind wäre. Allerdings erinnert sie mich auch ein jedes mal daran, dass ich ihre Mutter nicht retten konnte.” Erinnerungsfetzen zogen vor seinen Augen vorbei. Morand von Firnsaat, der Tempelvorsteher in Albenhus, und er selbst, wie sie in den Katakomben unter der Stadt über der Leiche der Mutter stehend, die Vampire abwehrten, während Ivetta von Leihenhof und Shanija von Rabenstein die kleine Alrike fort trugen, und die Baronin von Rickenhausen zusammen mit dem Baron von Rabenstein ihnen die Schergen vom Hals hielten. Rondradin schüttelte den Kopf um die Bilder zu vertreiben. “Allerdings erinnert mich ihr Anblick auch daran, dass ich andere nicht retten konnte. Aber das ist der Lauf der Dinge, nicht wahr?” Seine Gesichtszüge entspannten sich und Rondradin lächelte versuchsweise. “Vielleicht ergibt sich eines Tages die Möglichkeit und ich kann dir Alrike vorstellen, wenn du möchtest.” Der Geweihte sah Rahjania hoffnungsvoll an.

“Du bist die erste, der ich von von den wiederkehrenden Erinnerungen an das Harpyiennest erzählt habe. Natürlich wissen andere davon, dass ich in dem Nest war, aber nicht mehr.” Mit einem mal schlang er die Arme um die Geweihte und drückte sie an sich. “Vielen Dank Rahjania, für alles.” hörte sie Rondradin befreit sagen. Dann gab er sie wieder frei. “Dein Rat ist also, ich soll es doch mit Gelda versuchen?”   „Nun ja … versuchen ? Warum nicht ? Aber wenn sie nicht will, sei wieder der Mann von früher.“ Rahjania zupfte ihr Kleid zurecht, bevor sie weitersprach. „Sag mir morgen, wie es gelaufen ist. Du brauchst dein Vertrauen in dich wieder, sowas spüren Frauen. Ich werde im Lager bleiben. Ach und das interessiert mich jetzt doch. Wie hast du die Harpyien überlebt?“ Rondradin stand auf und wanderte im Zelt auf und ab, während er nach einer zufriedenstellenden Erklärung suchte, die er auch für sich selbst noch nicht finden konnte. Seufzend setzte er sich dicht neben Rahjania, soweit das ihr Schneidersitz zuließ. 

“Darauf kann ich dir keine endgültige Antwort geben. Ich kann allenfalls Vermutungen anstellen. Zum einen war ich nicht der einzige “Gast” der Harpyien. Ein junger Spießbürger war ebenfalls dort. Tatsächlich war er der Grund für meine Anwesenheit im Nest. Er überlebte ebenfalls, aber danach gab er das Abenteurerleben auf und lebt nun in einer größeren Stadt. Als sie sich über uns her machten rief ich die Herrin Rondra an, sie möge uns die Konstitution und Ausdauer verleihen, dieses Martyrium zu überstehen. Die Vogelweiber konzentrierten sich in jener Nacht allerdings auf mich, den Jungen wollten sie sich für den nächsten Tag aufheben. Deswegen überlebte er die Nacht, auch wenn sie tiefe Spuren in seinem Geist hinterlassen haben, denn nicht alle hielten sich daran und ... nahmen ihn schon dieser Nacht.

Zum anderen hatte eine der Mächtigen des Schwarms einen Narren an mir gefressen und wollte mich nur ungern teilen. Jedenfalls stellte sie sich schützend vor mich, als ich letztendlich erschöpft zusammenbrach und in gnädige Ohnmacht fiel.” Einen Schluck Wein später, fuhr Rondradin fort. “Der Rest ist schnell erzählt. Am nächsten Tag konnten wir fliehen und mit Hilfe einiger tapferer Gefährten vertrieben wir den Schwarm.” Während seines Vortrags hatte der Geweihte fortwährend in die Flammen gestarrt. Nun, da er geendet hatte, wandte er seinen Blick wieder der Rahjageweihten zu. “Willst du heute Nacht hier bleiben?” meinte er sanft.

"Ach Rondradin, das ist keine gute Idee, auch wenn sie dir jetzt so scheint, glaub mir." Rahjania gab den jungen Mann einen Kuss auf die Wange. "Konzentriere dich auf morgen, es ist von Vorteil, wenn du ... liebestoll an die Sache rangehst. Außerdem hängt dein Herz jetzt an Gelda, da solltest du nicht die nächste Gelegenheit nutzen, die sich ergibt. Stell dir vor, wie sie dir eine schmiert, wenn sie das erfährt." Sie strich ihm noch über die Wange. "Aber auch wenn es nichts wird, nicht verzagen, versprochen ? Lass uns morgen darüber reden, ich will wissen, wie es gelaufen ist."

Rondradin neigte den Kopf. “Ich musste nur an deine Worte von vorhin denken, warum eine Frau das Zelt eines Mannes sehen will. Wie du siehst, sind deine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen und haben mir zu denken gegeben. Dafür möchte ich dir danken.” Der Geweihte lächelte seine Glaubensschwester an und nahm ihre Hand bevor er weitersprach. “Hiermit verspreche ich dir, falls Gelda mir morgen nicht gewogen sein sollte, werde ich frohen Mutes weiterziehen und nicht verzagen. Und ich werde dich morgen Abend aufsuchen, auch das verspreche ich dir.” Damit gab er ihre Hand wieder frei.

“Rahja sei mit dir, Rondradin. ich bin schon gespannt, was der morgige Tag bringen mag.” Sie klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und trank dann ihren Wein aus, bereit, ihr eigenes Zelt aufzusuchen.

Tanz mit dem Angroscho

Mirla nahm ihren Daumen aus dem Mund, als die Musik aufspielte, und schaute mit riesengroßen, runden Augen durch den Saal. Vor Verwunderung stand ihr Mündchen offen und bildete ein vollkommen fassungslose ‘o’, während sie zu den Takten der Musik zappelte. Über Marboliebs Lippen zog ein Schmunzeln, als die Musik an ihre Ohren drang und das Gemurmel im Saal kurzzeitig abebbte, untermalt von einer schwer erklärbaren Mischung aus Anspannung, Hoffnung und Enttäuschung, als die Partner gewählt wurden. Die vielen kostbar gewandeten Damen und Herren, die sich zum Tanz fanden, würden gewiss ein prachtvolles Bild abgeben, eine Überlegung, die ein leicht wehmütiges Lächeln auf die Lippen der jungen Geweihten legte.

Sie hatte nie tanzen gelernt, dies war keine Sache, die für eine Geweihte des Schweigsamen als ziemlich galt, und niemand würde die Frau, die für das Begraben der eigenen Toten zuständig war, auf die Tanzfläche führen. Doch sie mochte es, der Musik zuzuhören und den vor Anspannung fast vibrierenden Stimmen zu lauschen. Sie lehnte sich an die kräftige Gestalt des Oberst neben ihr und strich ihrem Kind über die Wange, das gerade zum allerersten Mal so vielen verschiedenen Instrumenten auf einmal lauschte und dieses Fest für die Ohren sichtlich genoss.

Ein Tanz endete, es wurde kurz etwas stiller, dann erklang erneut Musik. Dwarosch spürte eine schlanke Hand auf seiner Schulter, die ihn sanft aber entschlossen berührte. Mit ihr kam eine Wolke aus Rosenduft. Die wunderschöne Rahjageweihte war wie aus dem Nichts aufgetaucht. “Dwarosch! Tanzt mit mir!” Mit leichter Verwunderung ob des vertrauten Tones blickte der Sohn des Dwalin der Dienerin der liebreizenden Göttin entgegen, nachdem er seinen Oberkörper im Sitzen soweit gedreht hatte, das er ihrer Ansichtig wurde. Der Oberst hatte sich sogleich erinnert. Borindarax hatte ihn um einen Gefallen gebeten. Es war darum gegangen, Andragrimm von seinem Dienst freizustellen, damit die Götterdienerin sich seiner 'annehmen könne.' Genauer hatte sich sein Freund nicht ausgedrückt, aber das war auch nicht notwendig gewesen. Andragrimm war jung und aufgeschlossen, den Rest konnte er sich denken. Dwarosch hatte Borax die Bitte nur zu gerne erfüllt, außerdem schätzte Andragrimm Herausforderungen.  Dwarosch wusste also schon bevor Rahjania ihre kleine Ansprache gehalten und zum Tanz aufgefordert hatte, dass eine Rahjageweihte zugegen war. Was er allerdings nicht wusste war, welchen Rang sie innerhalb der Hierarchie ihrer Kirche bekleidete. Borax hatte diesbezüglich keine Andeutung gemacht und Dwarosch hatte es schlicht nicht für wichtig erachtet. Er hatte nicht nachgefragt. Das war ein Fehler gewesen, wie er nun feststellen musste. Notgedrungen ging er deswegen auf Nummer sicher.  "Hochwürden, eure Frage schmeichelt mir, doch neige ich in Anbetracht der Tatsache, dass sich mein Weib an meiner Seite befindet dazu, diese aus Respekt vor ihr ablehnen zu müssen. Ich denke ihr versteht dies.  Vielleicht", so überlegte der Oberst laut, "mögt ihr euch zu uns setzen und uns berichten, was euch dazu bewog ausgerechnet mich zum Tanzen aufzufordern?"  “Ihr seid eine Geweihte der schönen Göttin?” Marbolieb hatte sich umgewandt, als die Wolke an Rosenduft über sie hinwegwehte. “Dwarosch, Du solltest annehmen. Es gilt nicht als höflich, eine Geweihte der Rahja abzuweisen.”  Ihre Stimme blieb ruhig und gelassen, während ihre Fingerspitzen kurz über die Hand ihres Liebsten strichen. Immerhin ging es hier nur um einen Tanz. Der Zwerg ließ ein unverständliches Grummeln vernehmen. Er war offenbar nicht ganz schlüssig, wie er mit der Situation umzugehen hatte und obendrein ganz und gar nicht glücklich, in ihr zu stecken. “Nur, wenn es dir wirklich nichts ausmacht, Räblein”, kam die Rückfrage, die klarstellen sollte, wo er seine Prioritäten setzte. Dwarosch kümmerte wenig, ob und wen er abwies. Marblieb hob die Hand und fand mit einer leichten Berührung die Wange des Oberst. “Du darfst gerne tanzen, wenn Du magst.” Es war nicht an ihr, diese Dinge zu verwehren - und mehr, sie vertraute Dwarosch. Sie atmete das fruchtige, volle Parfüm ein, das die Geweihte aufgelegt hatte und das es schaffte, sogar seinen Weg durch den Bierdunst der Halle zu bahnen. Die Stimme der Priesterin war dunkel und mit einem geringen südländischen Einschlag - und klang nach einer sehr edlen, gebildeten Frau, wie es doch fast alle Dienerinnen der schönen Göttin waren. Wehmütig zog sie ihre Hand zurück und legte ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. “Nun denn”, ergab sich der Oberst und erhob sich ein wenig schwerfällig. “Wenn sich die beiden Damen einig sind, kann ich ihnen wohl kaum widersprechen.”  Er bot der Rahjageweihten den Arm, auf dass sie sich bei ihm einhaken konnte. “Ich hoffe meine Füße erinnern sich an die Schrittfolge. Um ehrlich zu sein war ich nie ein sonderlich guter Tänzer, zudem ist es lange her, dass ich das Vergnügen hatte. Ich bitte also bereits im Vorwege um Verzeihung.”

Sie wusste mittlerweile aus Erfahrung, dass Angroschim einen herben, direkten Ton bevorzugten (zumindest im Vergleich zu ihrem gewohnten Umgangston). So hatte sie natürlich mit einer Zusage gerechnet. Ihr Blick blieb etwas länger auf Marbolieb hängen. Verwundert, zögernd … dann riss sie sich los und ließ sich wegführen. “Eure Frau? Oberst Dwarosch, wie soll ich sagen … das hätte ich nicht erwartet. Wie lange ist sie schon die Eure?” “Wir sind liiert”, erklärte Dwarosch schlicht, als er mit der Geweihte an seiner Seite herüber zu den Tanzenden schritt. Gekonnt, aber dennoch etwas steif führte der Oberst Rahjania unter die anderen, sich im Takt der Musik bewegenden Paare.

Erst nach einigen Schritten und Drehungen, als sie merkte, dass der Angroscho sich auf die Art des Tanzes eingestellt hatte und dadurch zumindest ein wenig seiner Anspannung wich, sprach er weiter.

“Wir lernten und auf dem vergangenen Feldzug gen Mendena kennen. Die Götter verwoben unsere Lebenswege auf bemerkenswerte Art und Weise. Ich glaube nicht an so etwas wie Schicksal, aber ich glaube, dass SIE damit etwas bezwecken wollten und dieses noch nicht aus den Augen verloren haben.  Wir sind uns Stück für Stück näher gekommen, so dass ich euch keinen konkreten Zeitpunkt nennen kann”- oder will, “wann wir zueinander gefunden haben.”

“Sie ist sehr hübsch, ihr seid ein schönes Paar. Ich freue mich, wenn zwei zusammenfinden und glücklich werden, gerade, wenn es verschiedene Rassen sind. Die Kinderlosigkeit macht Euch beiden keine Sorgen?” Während des Tanzes fasste sie sich an die Stirn. “Entschuldigt, das hat weniger mit meiner Göttin zu tun, als mit den Aufgaben, die ich im Dorf habe. ich bin dort die einzige Geweihte … .”

Noch bevor der Oberst auf diese Frage antwortete, erkannte die Geweihte, wie seine Züge weicher wurden. War seine Stimme zuvor leicht reserviert, so schwang nun Wärme und vor allem auch Stolz mit.  "Marbolieb hat eine kleine Tochter. Mirlaxa ist ein wundervolles Kind, das ich ins Herz geschlossen habe.  Doch das ist noch nicht alles. Ich besitze einen Sohn!" Dwarosch lachte mit den Augen und schüttelte fast ein wenig ungläubig über seine eigenen Worte den Kopf.

"Ich kenne Dwarix erst seit kurzem. Und war ich anfangs verunsichert, ja vielleicht sogar ein wenig verstört darüber, Vater zu sein, bin ich mittlerweile sehr glücklich mit dieser Tatsache, auch wenn er nicht in Senalosch geblieben ist und in der Fremde lebt. Dies indes muss ja in Zukunft nicht immer so bleiben." Dwarosch zuckte lächelnd mit den Schulter, Selbstironie sprach aus ihm. "Ihr seht also, unsere Bindung ist mit Nachwuchs gesegnet, aber eben nicht so wie es vielleicht eurer Göttin Travia gefallen mag, sondern eher auf die Art und Weise, die zu Marbolieb und mir passt, denn gewöhnlich ist unsere Liebe sicher auch nicht." 

Rahjania fasste Dwarosch bei beiden Schultern und sah ihm lieb in die Augen.”Das macht mich glücklich ... ihr seid ein guter Partner. Ich finde es schön, wenn sich zwei Liebende zwischen den Rassen finden. Wie sieht Eure Zukunft aus?”

Sichtlich irritiert darüber, dass die Geweihte stehen blieb und ihn auf derart vertraute Weise berührte, brauchte der Oberst etwas bevor er eine Antwort herausbrachte. “Ich für meinen Teil bin niemand, der in persönlichen Dingen weit voraus plant. Mein Handwerk ist das des Krieges. Das eine schließt das andere auf gewisse Weise aus. Man lernt mit den Jahren im hier und jetzt zu leben, wenn der Tod um einen herum allgegenwärtig ist.” Dwarosch zuckte mit den breiten Schultern und tätigte einen flüchtigen Seitenblick. Sie waren am Rande der Fläche zum stehen gekommen, auf der getanzt wurde. Zumindest behinderte sie auf diese Weise niemanden.

“Darüber hinaus muss Marbolieb bald zurück nach Calmir, rüber nach Rabenstein.” Dwarosch seufzte. “Ich werde sie so oft besuchen wie ich es vermag und meine Verpflichtungen es erlauben. Ich mache jedoch keinen Hehl daraus, dass es mir lieber wäre sie bliebe an meiner Seite hier in Senalosch.”

Sie zog Dwarosch noch etwas weiter von der Tanzfläche auf die Seite und sah ihn ernst an. “Das ist schade. Wenn Euch nicht mehr viel Zeit bleibt, solltet ihr sie mit Marbolieb verbringen. Tanzt mit ihr, ich bin sicher, dass es ihr gefallen wird.” Das Lächeln des Oberst wurde schmaler. Ratschläge in privaten Dingen mochte der Zwerg ganz und gar nicht. Vor allem nicht von jemanden der so jung war wie diese Menschenfrau. Dennoch versuchte Dwarosch höflich zu bleiben.

“Marbolieb ist wegen ihrer Blindheit zum Teil recht unsicher auf ihren Füßen. Ich werde sie nicht in Verlegenheit bringen. Wäre ich ein guter Tänzer und sie eine erfahrene Tänzerin vielleicht, doch die Dinge liegen anders.” Rahjania sah ihn ehrlich betroffen an. “Sie ist blind, die arme Frau.” Ihr Blick glitt in eine Ferne, die nur sie kannte, dabei fasste sie den Oberst erneut an die Schulter. Nur einen Augenblick, ein Wimpernschlag, dann war sie wieder voll bei ihm und kramte eifrig in ihrem Gewand. “Hier, das schenke ich Euch.” Sie gab dem irritierten Mann ein kleines Fläschchen. “Das ist Rosenöl, es duftet wundervoll, sie wird es lieben. Vor allem, wenn Ihr sie damit einreibt. Das hat sie sich verdient.” Verdutzt, Dwaroschs Gesichtsausdruck war in jenem Moment nicht anders zu deuten, sah der bullige Zwergenoberst die Rahjageweihte an. Sein Mund klappte einmal auf und wieder zu, bevor er eine Entgegnung parat hatte. 

Rahja war Dwarosch, ebenso wie den meisten anderen Erzzwergen relativ fern. Kaum Platz gab es in der Anbetung der Angroschim neben ihrem Schöpfergott. Doch der Oberst hatte den gesamten Kontinent bereist und vor allem im Lieblichen Feld gesehen, welche Macht und welchen Einfluss ihre Kirche besaß. Er war kein Narr und liberaler als so mancher seiner Brüder und Schwestern. Dies war auch eine Folge seiner langen Jahre in der Fremde. Ein solches Geschenk abzulehnen, oder geringzuschätzen war nicht richtig, dass wusste er.

“Ich danke euch für dieses Geschenk. Ihr habt mein Wort, dass jenes edle Öl Marboliebs Haut benetzen wird, sobald wir wieder ungestörte Zweisamkeit miteinander teilen können, ganz so, wie es im Sinne eurer Göttin ist.” Rahjania strahlte vor Freude und umarmte Dwarosch noch einmal herzlich. “Wie schön, genauso soll es sein. Grüßt Marbolieb von mir, ich werde mich noch etwas auf dem Fest umschauen. Rahjas Segen sei mit Euch.”

Diesmal war Dwarosch gefasst und nahm die Umarmung mit einem breiten Schmunzeln hin, ja erwiderte sie sogar ein Stück weit, denn die offene, ehrliche Art der Geweihten war entwaffnend.  “Das werde ich tun, Hochwürden. Einen schönen Abend.”

Der Graf tanzt

Shanija von Rabenstein betrachtete das Spiel im Saal mit blitzenden Augen und warf ihrem Gemahl einen auffordernden Blick zu, dessen steinerne Miene, als er die ersten Tänzer goutierte, vollkommen richtig deutend.

Sie lachte. “Hochgeboren, auf später!” und machte sich, kaum, dass die Musik ihre erste Pause erreicht hatte, zielsicher zum Tisch des Grafen auf, Schulter an Schulter mit der Ambelmunderin, die mit dem Blick einer Jägerin, die, ihr Opfer fest fixiert, sich einen Weg ohne Gnade durch die Halle bahnte. 

Die Rabensteinerin hingegen erreicht den Gastgeber, gerade, als der Vogt bis über beide Ohren strahlend die Hand der Prinzessin freigab. “Hochgeboren Borindarax, wie schön. Tanzt Ihr mit mir?” gab die Baronin ihrer Neugier die Zügel und reichte mit einer höchst eleganten Bewegung Borindarax von Nilsitz ihre Hand. Nur kurz währte die Überraschung auf den Zügen des noch jungen Angroscho, dann begann er von neuem zu Strahlen und reichte der Adligen galant seine Hand, nur um sie darauf mit einer angedeuteten Verbeugung zu ergreifen, als Shanija sie ihm reichte.

“Es wird mir eine große Ehre sein, Hochgeboren”, quittierte er die Aufforderung. Gemeinsam schritten sie zu den anderen Tänzern und nahmen Aufstellung ein, um auf die Gelegenheit zu warten sich einzureihen.

“Ich hoffe sehr ihr und euer Gemahl amüsiert euch. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ihr gekommen seid. Nachbarschaften muss man pflegen. Im Isenhag gilt dies wohl ganz besonders.”  “Das ist in meiner alten Heimat, dem Kosch, nicht anders.” Shanija strahlte auf ihren Tanzpartner hinab. Eine sehr eigenartige Erfahrung war es, mit einem so kleinen Mann zu interagieren. Der Vogt ging ihr  gerade einmal bis zur Brust, was die Baronin ihrerseits veranlasste, einige Handbreit zusätzlichen Abstand zu halten. “Je rauer das Land ist, um so enger rücken die Bewohner üblicherweise zusammen.” Sie schmunzelte. “Ich habe Euch noch für die großartige Führung durch Eure Jagdhütte zu danken. Diese Bezeichnung ist vollkommen untertrieben - wollt Ihr sie nicht besser in ‘Jagdburg’ umbenennen? Zumindest habe ich nun viel, über das ich im Hinblick auf die Rabenstein nachdenken muss.” Ein wehmütiges Grinsen huschte über ihr Gesicht, es würde alles andere als einfach werden, der Plötzbogenerin ihren Baumeister für einige Zeit zu entleihen - und noch schwieriger, ihren Gemahl von den dringend notwendig gewordenen Umbaumaßnahmen zu überzeugen. Sie kannte diesen schon über viele Götterläufe und hatte die sehr bestimmte Ahnung, dass er seine Burg für gut befand, so wie sie war. 

Sie ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen, gespannt, wie der Angroscho tanzen können würde - und wie sich das Zusammenspiel anstellte.  “Jedenfalls muss ich gestehen, dass ich Euch um die Annehmlichkeiten dieses Gemäuers durchaus etwas beneide.”

Zunächst darauf bedacht den Takt und das Tempo der anderen Paare korrekt aufzunehmen, dauerte es einen Moment bis der Vogt die notwendige Konzentration erübrigen konnte, um im Plauderton zu antworten. “So dies so ist Hochgeboren, solltet ihr ernsthaft darüber nachdenken nicht nur alle paar Jahre zur Großen Jagd hierher zu kommen, sondern einfach öfter. Kleinere Jagdgesellschaften werden sich jedes Jahr einfinden. Ich habe auch vor das Treffen der Vögte hier zu veranstalten. Ihr seid jederzeit herzlich willkommen dem beizuwohnen. Vielleicht werden auch andere Lehnsherren kommen. Ich bin guter Hoffnung”, sprach er und wurde sodann durch den Verlauf des Tanzes von Shanija getrennt, als die Partner getauscht wurden.

Shanija genoss den Wechsel, der sie in rascher Reihenfolge durch die Bekanntschaft eines halben Dutzends anderer Tänzer führte. Sie lächelte, entgegnete die eine oder andere Artigkeit und freute sich an den prachtvoll gekleideten Adligen und der bunten Gesellschaft. Auch wenn einige der Angroschim das mit dem ‘prachtvoll’ eher mit ‘pragmatisch’ übersetzt zu haben schienen - was schade war, taten sich doch insbesondere die Erzzwerge durch einen Brokat aus ihren Werkstätten hervor, den noch kein menschlicher Weber hatte kopieren können.

Als sie wieder dem Vogt gegenüberstand, blitzten ihre Augen. “Ich selbst bin keine Jägerin, Euer Hochgeboren. Doch wenn Eure Einladung wieder einmal ein derartiges Beisammensein - oder auch nur eine ruhige Runde unter Nachbarn - umfassen sollte, werde ich Eure Einladung sehr dankbar annehmen.” Neugierig setzte sie hinzu. “Besteht Euer gesamter Hof ausschließlich aus Angroschim?” "Hof?", fragte Borindarax amüsiert. "Mir dienen eine Haushälterin, ein Leibwächter, sowie einige Stadtwachen und Steuereintreiber, das war es dann auch fast schon. Natürlich habe ich einige weitere Untergebene, wie diejenigen, die hier arbeiten, aber in Summe sind es kaum zwanzig. Und nein, es sind nicht ausschließlich Angroschim. Einige wohlverdiente Bedienstete habe ich von meinem Vorgänger übernommen. Zumeist habe ich mich aber entschlossen auf Brüder und Schwester zurückzugreifen, die ich bereits vom Hofe des Rogmarog her kenne und denen ich vertraue.  Warum fragt ihr?"

“Ich bin einfach neugierig.” Gab die Baronin mit einem entwaffnenden Lächeln zu. “Es interessiert mich, wie ein zwergischer Hofstaat aussieht und worin er sich von einem menschlichen unterscheiden mag. Aber zwei Dutzend Leute sind wahrlich nicht viel. Das erstaunt mich - ihr scheint beispielsweise weniger Wachen zu beschäftigen als mein Gemahl.” "Dem ist so." Borindarax nickte, während er mit der Baronin von Rabenstein eine weitere Drehung vollführte.

"Ich benötige nur wenige Büttel, weil ich jederzeit die Tunneljäger meines Großvaters zur Hilfe rufen kann. Außerdem wimmelt es in ganz Senalosch von Soldaten des Garderegimentes. Auch sie würden beherzt eingreifen, sollte dies notwendig sein, wie ihr im Falle der Dämonenbuhlerin gesehen habt."

“Mein Gemahl erzählte davon, dass er den Grenzübertritt der Soldaten mit Euch besprochen habe.” Die Baronin blickte dem Vogt aufmerksam in die Augen. “Es war ein überaus glücklicher Zufall, dass die Paktiererin mitten in den Bergen derart schnell entdeckt wurde. Dennoch hätte ein größerer Militäreinsatz gewiss seine Schwierigkeiten besessen, denkt Ihr nicht?”

Die Angelegenheit war von einer Art, die Shanija überaus dankbar darüber zurückließ, als Magierin von den Belangen der Regentschaft eines Lehens ausgeschlossen zu sein. In diesem Fall hatte sich die Sache sehr schnell und zur beiderseitigen Zufriedenheit (selten genug) geklärt - aber auch die gräflichen Truppen ohne Ankündigung im eigenen Vorgarten stehen zu sehen, war unerfreulich. Höflich gesagt. Eine Höflichkeit, welche die Deutlichkeit ihres Gemahls vermutlich nicht besessen hätte.

“Ich habe mich aus der Sache weitgehend herausgehalten. Der Oberst hatte zu dem Zeitpunkt da ich darin involviert wurde schon das Wichtigste mit eurem Gemahl besprochen. An mir war es später lediglich stellvertretend für den Rogmarog einige Dinge zu klären. Er ist der Hauptfinanzier der Eisenwalder, außerdem ihr Ehrenoberst. Es waren auch seine Männer, die in Rabenstein den Tod fanden.” Das es dabei auch um Entschädigungsforderungen ging ließ Borax unausgesprochen, doch das konnte sich die Baronin denken.

Shanija antwortete nur mit einem freundlichen, aber letztlich mechanischen Lächeln, das sie sich immer für solche Situationen aufsparte. Dass ihr Gemahl sehr sicher keine Entschädigung an den Grafen für gräfliche Soldaten leisten würde, die sich ungeladen und unangekündigt in seiner Baronie den Tod gefunden hatten, würden die entsprechenden Herren unter sich ausmachen. Ob es sich bei den Toten nun um Zwerge in gräflichem Sold gehandelt hatte, fiel gleichfalls in diesen Bereich. Und war nicht ihre Sache. Das Lächeln der Rabensteinerin erhielt bei diesen letzten Gedanken sehr viel an Wärme zurück, das auch noch anhielt, nachdem sie nach dem Ende des Tanzes dem Vogt  gestattet hatte, sie an ihren Platz zurückzuführen.

Rickenhausen und Rabenstein

Thalissa erhob sich seufzend. Diese Rahjageweihte hatte ja seltsame Ideen. Mit einem Zwerg würde sie aber ohne Not sicher nicht tanzen. Bevor es jemand anderes tat, trat sie auf den Baron von Rabenstein zu und lächelte ein wenig selbstironisch. “Darf ich bitten?” war alles, was sie sagte. Schließlich war der Baron kein Mann vieler Worte.

Der Rabensteiner war für diesen Abend wie immer ganz in schwarz gekleidet. Zu der Robe eines Borongeweihten aus kostbarem, schwarzen Tuch trug er hohe Stulpenstiefel. Über seiner Mozzetta, dem Schultermantel mit Kapuze, trug er offen ein einfaches silbernes Boronsrad an einer dünnen Kette. Im Gegensatz dazu hatte er er als vollkommene Selbstverständlichkeit seinen Waffengurt an einem breiten, schmucklosen Ledergürtel angelegt. Die Hände steckten in schwarzen Handschuhen, darüber blitzte als einziges Schmuckstück ein breiter, gravierter Siegelring mit einer quadratischen schwarzen Gemme, in der ein aufsteigender Rabe eingraviert war.

Als die Baronin von Rickenhausen ihm ihre Aufwartung machte, hob er interessiert eine Augenbraue, beschränkte sich aber auf ein knappes Nicken, als er sich erhob und Thalissa formvollendet, aber wortlos die Hand reichte. Geschmeidig waren seine Bewegungen und sprachen seinen Jahren, die seine scharfgeschnittenen Züge und die an den Schläfen längst ergrauten Haare deutlich berichteten, Hohn. Mit einem aufmerksamen Blick, so als wäge er die Beweggründe seiner ungleich jüngeren Tanzpartnerin auf das Genaueste, führte er die junge Liebfelderin auf die Tanzfläche.

Die Baronin hob unwillkürlich eine Augenbraue, als sie feststellen musste, dass der Rabensteiner offenbar mit seinem Waffengehänge tanzen wollte. Nun, sie hoffte, er wusste, was er tat, und würde eben aufpassen, die Rapierscheide nicht zwischen die Beine zu bekommen. Sie war eine ganz gute Tänzerin, aber unter derart erschwerten Bedingungen mochte es zu … Komplikationen kommen.

Thalissa ließ sich also auf die Tanzfläche führen und wartete auf die Initiative des Barons von Rabenstein. Ganz selbstverständlich ging sie davon aus, dass er die Führung übernehmen würde.

Doch Thalissas Befürchtungen sollten sich als unbegründet herausstellen. Der alte Baron beherrschte sein Handwerk offensichtlich, und der Waffengurt erwies sich bei dem nur mäßig schnellen Reihentanz mit mehrfachem Partnerwechsel, zu dem die Musikanten dieses Mal aufspielten, nicht als hinderlich. Mit sehr sicheren Schritten führte der Rabensteiner Thalissa durch die Figuren des alten Tanzes, präsentierte sich und seine schöne Partnerin, wie es der Sinn hinter dieser Belustigung war und schaffte es, sie mit einer vorausschauenden Drehung aus dem Bewegungsradius eines Jungspundes führen, der bei einem der komplizierteren Übergänge sichtlich jedes Wissen darüber, wer und wo er gerade war, verloren hatte und sich mit einem hilflosen Straucheln von seiner Dame mit verwirrtem Blick wieder auf die rechte Position bugsieren ließ.

Durchaus überrascht stellte Thalissa fest, dass Lucrann von Rabenstein offenbar öfters mit Waffengurt tanzte, denn dieser schien ihn und erstaunlicherweise auch sie kaum zu behindern. Man lernte nie aus, wie sie mal wieder feststellte, vor allem nicht, wenn man mit dem Rabensteiner zu tun hatte - und sei es nur auf dem Tanzparkett.

Von einer verbalen Kommunikation sah sie von sich aus ab, hatte sie doch schon gehört, dass der Herr von Rabenstein nicht gern tanzte, ob da was dran sein mochte oder nicht. Da wollte sie ihn nicht auch noch mit seichtem Geplänkel belasten. Allerdings - wenn sie es recht bedachte, wer so gut tanzte, konnte das nicht mit reinem Widerwillen tun. Sie lächelte ihr Gegenüber leicht schelmisch-ironisch an, als er ihr wieder einmal gegenüberstand.

Der dunkelhaarige Baron begegnete ihrem Lächeln mit stoischer Miene und einem raschen, kaum merklichen Zwinkern, als er mit leichtem, aber nichtsdestotrotz sicherem Griff wieder ihre Hand ergriff und sich anschickte, mit ihr die nächste Figur zu beschreiten. Seiner Position - und der seiner Tanzpartnerin - war er sich absolut sicher, und er machte durchaus den Eindruck, das aufbrandende Durcheinander um sie herum gut im Überblick zu haben. Wenn der jungen Liebfelderin eine Angelegenheit unter den Nägeln brannte, so würde sie diese von selbst zur Sprache bringen - falls nicht, so wäre er auch durchaus zufrieden, nur den Tanz um des Tanzes willen zu zelebrieren.

Thalissa genoss den Tanz. Zwar war dies hier ein sehr einfacher, wohl nicht zuletzt den Vorlieben und Fähigkeiten ihrer Gastgeber geschuldet, aber dennoch erfreute sie sich an der Bewegung und der Beobachtung ihrer Mittänzer, vor allem des Barons von Rabenstein. Sie machte es sich zur Aufgabe, seine winzigen Regungen zu erhaschen und zu deuten zu versuchen, was eine durchaus spannende Abwechslung zu den einstudierten, immer gleichen, aber dennoch auf ihre Art befriedigenden Bewegungen des Tanzes brachte.

Aus den Augenwinkeln bekam sie mit, dass diese halbnackte Tänzerin plötzlich auf Liana von Rodaschquell zuging und sie allen Ernstes zum Tanz zu bitten schien. Und oh Wunder, die Elfe ging auch noch darauf ein! Thalissa war so perplex, dass sie die nächste Drehung verstolperte und den Rabensteiner kurzzeitig aus dem Blick verlor, wurde der ihre doch wie magisch von diesem seltsamen Frauenpaar angezogen, denn nun begannen diese auch noch völlig ungeregelt quer über die Tanzfläche … ja, zu fegen, anders konnte man das nicht nennen. Und die Rodaschquellerin machte das weiterhin mit! Sie schien zwar im ersten Moment überrascht, doch ließ sie sich dann offenbar umso bereitwilliger darauf ein, schien sogar aktiv dazu beizutragen. Und diese Nähe, die beiden umarmten sich ja fast! Jetzt ging es quer durch die Reihen der ordentlichen Tänzer, aber seltsamerweise eckten die Frauen nirgends an und schafften es sogar, die Ordnung des Reigens nicht zu stören, sah man davon ab, dass Thalissa nicht die einzige war, die allein von dem Anblick mindestens leicht aus dem Konzept gebracht worden war.

Als die Baronin von Rickenhausen sich halbwegs gefangen hatte und wieder dem Rabensteiner gegenüberstand, hob sie in einer fragenden Geste kaum merklich Hände und Schultern. Was dieser wohl von der Sache hielt? Wenn Thalissa ganz ehrlich zu sich war, dann musste sie zugeben, dass sich beim Anblick der völlig selbstvergessenen Tänzerinnen, deren Kunstfertigkeit der ihren in höchstem Maße überlegen war,  ganz leise Neid … nein, das nicht, aber … Sehnsucht? ... in ihr regte. Unwillig schüttelte sie den Kopf, als sie sich dessen gewahr wurde.

Der Rabensteiner betrachtete das ungleiche Tanzpaar mit zusammengezogenen Augenbrauen. Als die Rickenhausenerin auf die beiden - die Gauklerin und die Baronin, die alle Standesgrenzen vergessend wie ein Wirbelwind durch die Halle fegte und ihren Ruf nur dadurch einigermaßen rettete, dass sie eine Elfe war, bei der derlei Ausbrüche als unvermeidlich hingenommen wurden - hinwies und sich dabei ein einen Lidschlag lang ein sehr weicher Ausdruck auf ihr Gesicht stahl, schüttelte der alte Baron leise den Kopf. “Der falsche Ort - doch begeistertes Publikum.” kommentiere er, mit einer knappen Geste auf die Rahjahochgeweihte deutend, die, hierbei ganz offensichtlich anderer Meinung, mit einem begeisterten Leuchten im Gesicht und leicht offenem Mund - was der Tulamidin überaus reizend stand - den beiden Tänzerinnen hinterherblickte, ehe sie sich wieder fing und ihre Aufmerksamkeit ihrem Tanzpartner widmete.

Sein trockener Ton erzählte indes mehr als seine Worte, was er selbst von diesem Treiben hielt. Ein knapper, abschätzender Blick traf Thalissa, aufmerksam, was ihre Meinung zu diesem Duo, abseits einer gewissen Faszination, wäre. Thalissa lächelte hintergründig, während die beiden sich gemessenen Schrittes umeinanderdrehten. “Nun - die Geweihte der Schönen Göttin hat dies hier initiiert; sollte es da nicht ganz in ihrem Sinne sein, wenn manche der Gäste sich auf ganz eigene Art erfreuen, und sei es auch durch formalen Bruch der Etikette - die Kenntnis derselben kann ich bei der weißhaarigen Tänzerin sowieso kaum voraussetzen. Die Baronin von Rodaschquell hingegen mag diese besser verinnerlicht haben als selbst ich, die ich noch immer fremd in diesen Landen bin, doch scheint sie es als nicht schädlich zu erachten, sich darüber hinwegzusetzen. Sie sieht nicht im Mindesten unglücklich aus - oder was würdet Ihr sagen?” Just in jedem Moment rückte die Reihe eine Person weiter, so dass sich Thalissa gedulden musste, was die Antwort des Herrn von Rabenstein anging. Verstohlen hielt sie die beiden selbstvergessen umherwirbelnden Frauen im Blick und versuchte vergeblich, zu einem Urteil zu gelangen.   Es dauerte mehrere Takte, ehe der Tanz beide wieder zusammenführte.

“Die Etikette hält diese Gesellschaft zusammen.” Schwungvoll schickte der alte Baron seine Tänzerin in eine Drehung, sicher, dass sie wieder an seinem Arm zum Stehen käme. Leichtfüßig und mit Eleganz wusste die Baronin ihre Schritte zu setzen, und verriet mit ihren Gesten  ihre Herkunft und gute Schule im Alten Reich. “Sie mutwillig zu zerbrechen ist Risiko.” Eine neue Drehung ein Handwechsel, vier Schritte Rücken an Rücken. Ein erneuter Blick in dunkelblaue, kluge Augen. “Und wie bedeutsam ist Glück?”

Die kühlen, behandschuhten Hände des Rabensteiners lösten sich von ihr, gaben sie frei für eine Drehung hinter dem seitlich tanzenden Herrn. Geschmeidig die Bewegungen des alten Freiherrn und wohlgeübt, doch nicht von dem Feuer des deutlich unerfahreneren Herrn neben Thalissa, der gerade nur um Haaresbreite ihre Zehen verfehlte und entschuldigend lächelte. Thalissa warf dem unachtsamen jüngeren Herrn mit leicht zusammengezogenen Brauen einen warnenden Blick zu, bevor sie sich wieder dem Rabensteiner widmete. “Mutwillig? Hm, so … “ Und wieder führte der Tanz sie auseinander, wieder mussten mehrere Positionswechsel vergehen, bis die Baronin ihren Gedanken dem richtigen Zuhörer gegenüber fortsetzen konnte. ‘Müsste der Tanz nicht langsam zu Ende sein?’ überlegte sie währenddessen und musste erneut bewundernd zur Kenntnis nehmen, wie ihr Gesprächsstoff nur wenige Schritt von ihr entfernt wieder einmal quer durch die Reichen flatterte. “Ihr kennt doch Liana von Rodaschquell, nach allem, was ich weiß?” fuhr sie schließlich fort, als der Rabensteiner sie aus der Hand ihres Nebenmanns empfing. “Meint Ihr, das macht sie mutwillig?

Plötzlich fiel ihr in der Menge der nicht tanzenden Zuschauer ein … dunkelgrauer? … nun, nicht gerade Farbklecks ins Auge und sie erinnerte sich daran, dem Herrn von Rabenstein schon längst eine andere Frage hatte stellen wollen. “Ach übrigens”, holte sie dies nun nach, “diese junge Frau in dieser völlig zerschlissenen Robe, welche ich jetzt schon mehrfach nicht umhin kam zu bemerken, ist das nicht ebenfalls eine Geweihte des Herrn Boron? Kennt Ihr sie? Und ist ihr Aufzug nicht ebenfalls ein Bruch der Etikette?” Langsam begann Thalissa Gefallen an dem Spiel der Worte und Gesten zu finden.

“Es wird Ihre Hochgeboren zumindest nicht kümmern.” überlegte der Rabensteiner bezüglich seiner Rodaschqueller Standeskollegin, die schwungvoll, präzise und mit versonnenem Lächeln durch die Tanzenden wirbelte. Er ließ sich fünf Takte Zeit, ehe er auf Thalissas zweite Frage einging. “Ihre Gnaden Marbolieb ist meine Borongeweihte in Calmir. Seit einiger Zeit lebt sie in Senalosch.” Der Baron führte Thalissa in eine Drehung, nahm ihre Hand wieder entgegen und führte sie elegant an einem Wirbel aus Armen und Beinen vorbei, mit dem Elfe und Gauklerin die Tanzkünste der anderen Anwesenden herausforderten. “Was sie mit ihrem Aufzug bezweckt, mag sie allein wissen.” Keine Zier für den Haushalt des Vogtes stellte er dar er - und war doch aktuell nicht das Problem des Rabensteiners. 

Mit einem letzten Schnörkel und einem schiefen Quietschen einer Balgpfeife endete der Tanz und der Baron dankte Thalissa mit einer höflichen angedeuteten Verbeugung, ehe er ihr den Arm reichte, um sie zu ihrem Platz zurückzubegleiten. Durch die ausgerufene Damenwahl - ein sehr zwergisches Phänomen - war es an ihr, weitere Tänze zu fordern - oder zu unterlassen.

Thalissa bedankte sich mit einem strahlenden Lächeln und einem leichten Knicks, als der Rabensteiner sie wieder zu ihrem Tisch zurück gebracht hatte. Was seine Einschätzung bezüglich Liana anging, stimmte sie stumm zu, während seine Aussage bezüglich ‘seiner’ Geweihten in ihren Ohren etwas befremdlich klang. Doch würde sie von dem schweigsamen Baron wohl kaum eine nähere Erklärung bekommen, also fragte sie gar nicht erst. Statt dessen ließ sie ihn schweigend seiner Wege ziehen und sah ihm nur kurz sinnend nach, bevor sie sich wieder ihren Tischnachbarn widmete. 

Die Hochgeweihte und der Ritter

Sie war zufrieden mit sich,der Abend war besser verlaufen, als sie es gedacht hatte. Rahjania hatte mit vielen hübschen Personen unterschiedlichster Rassen getanzt und sich gut unterhalten. Der da. Den hatte sie zu Anfang gesehen, dann war er ihrem Blick immer wieder entglitten. Sie schritt schwungvoll auf den jungen Mann, ein Bild von einem Ritter, zu. “Werter Herr Ritter, tanzt mit mir.”

Sie riss ihn aus seinen Grübeleien. Aus seinen trüben Gedanken.  Er neigte den Kopf und blickte in das schöne Antlitz der Geweihten der lieblichen Göttin. Darian sog die Luft ein und schenkte ihr ein Lächeln. “Wenn … wenn Ihr wünscht, Euer Gnaden. Doch seid gewarnt, ich bin kein besonders guter Tänzer. Doch dafür sind meine Schritte zumindest …  ehrlich”. Das Lächeln wurde etwas breiter, und schließlich lachte er kurz.  Bei Rondra, das war eine schöne Feier! Und er stand hier und grübelte. Mit Freuden nahm er das Angebot Rahjanias an. 

Darian verbeugte sich mit einer weit ausholenden Armbewegung galant vor der Dame. “Auf Eure Verantwortung”. Seine blauen Augen sprühten geradezu herausfordernd. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und spürte gleichermaßen seine Kraft wie auch eine gewisse Anspannung, die er trotz seines selbstsicheren Lächelns nur schwer verbergen konnte. “Nach dem Tanz mit mir seid Ihr ein besserer Tänzer, ganz gewiss.” Ungewohnt fügsam und artig folgte sie ihrem Partner. “Mit wem habe ich die Ehre ? erzählt mir etwas über Euch.” “Ich bin Darian von Sturmfels, Ritter zu Rodaschquell”, antwortete er nicht ohne einen gewissen Stolz in seiner Stimme, während er die anmutige Dame zwischen die anderen tanzenden führte und sich innerlich die richtigen Schrittfolgen ins Gedächtnis rief.

“Ich bin der Ritter Ihrer Hochgeboren, der Baronin von Rodaschquell.” Er neigte seinen Kopf in Richtung seiner Herrin, die noch vor Kurzem einen hinreißenden Tanz mit der Gauklerin vollführt hatte. “Ich bin der Zweitgeborene des Junkers von Sassenheim und habe den Platz meines Oheims eingenommen. Meine Familie hat geschworen, die Dame Morgenrot zu schützen. Von daher bin ich recht gut mit dem Schwert, aber weniger gut im Tanz. Ich hoffe, Eure Gewissheit bewahrheitet sich”, sagte er mit einem geradezu schelmischen Lächeln.  Dann setzte die Musik ein. Nach dem anstrengenden, schnellen Tanz von vorhin spielten die Musiker nun eine langsamere Pavane. Darian kniete vor der Geweihten und hob seinen Arm, während sie seine Hand ergriff und langsam um ihn herum schritt, wobei die beiden einander nicht aus den Augen ließen.

Während seiner Ausführung war Rahjania, wie meist still aber aufmerksam geblieben. “Ihr seid bereits jetzt ein passabler Tänzer, das hatte ich gehofft. Ich kenne leider die Familien hier nicht sehr gut, ich bin gebürtig aus Fasar, führe aber einen Tempel in Weiden, meiner Wahlheimat an.” Sanft und voller Liebe strich sie dem jungen Mann über das Haar. “sagt … edler Herr … diese Dame, erzählt mir mehr von ihr. Ich bin von Natur aus neugierig.” Keck, fast schelmisch lächelte sie ihn an.

Das Lob aus dem Munde der Geweihten - ganz gleich, ob es nun eine kleine Schmeichelei oder tatsächlich ernst gemeint war - ließ den Stolz des Ritters steigen. Seine Brust straffte sich, und gern ließ es sich gefallen, dass die reizende und gleichermaßen exotische Dame ihm durchs Haar fuhr. Er spitzte lächelnd die Lippen ein wenig, während er mit einer gespielten Verlegenheit zugleich den Blick kurz senkte, um ihr kurz darauf direkt in die Augen zu sehen mit einem Lächeln im Gesicht, das gleichermaßen von Zufriedenheit und Selbstsicherheit strotzte. “Ihr wollt also mehr über meine Herrin erfahren”, eine gespielte Enttäuschung klang in seiner Stimme mit, wobei er keinen Zweifel daran ließ, Gefallen an diesem kleinen Spielchen gefunden zu haben. 

“Ja natürlich. Und über Euch auch. Und nicht nur die üblichen Familiengeschichten.Mich interessiert das, nun, das Private. Ich helfe gerne und freue mich, wenn ich meine Göttin und ihr Facetten anderen nahe bringen kann” Sie legte keck den Kopf schief und lächelte herzlich. “Wie Ihr wisst, ich bin auf der Durchreise, mein Tempel in Weiden ist klein, die Ortschaft voller liebenswerter Bewohner. Aber ich erfahre so wenig.” Ihre dunklen Augen blitzten vor Neugier und Lebensfreude, als sie ihre Gedanken sortierte. “Schon alleine die Erfahrung mit den Angroschim war es wert, dieses Fest zu besuchen. Na ..?”

“Das ‘Private’ interessiert Euch also?” Er fasste sie während eines bestimmten Taktes an den Hüften und hob sie kurz mit Leichtigkeit in die Höhe. Ein kleines Manöver, das dieser Tanz erlaubte. Und eines, von dem er wusste, dass es sich nicht jeder der anwesenden Herren bei seiner Dame traute. Darian mochte kein brillanter Tänzer sein. Aber er verstand es immerhin, seine Karten auszuspielen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. “Wenn ich es preis gäbe, dann wäre es ja wohl kaum mehr privat, meint Ihr nicht?” Das Lächeln wurde breiter. “Doch die vielen Facetten der Rahja sind etwas … dem auch ich mich nicht verschließen kann”. Erneut hob er sie kurz in die Luft. “Und vielleicht überrascht es Euch, dass auch meine Herrin auf ihre Weise offen ist für die Inspiration, die Rahja bietet. Auch wenn sie eine Elfe ist. Sie liebt die Leichtigkeit und gleichermaßen die Tiefe, die niemand so gut verbindet wie Rahja und all jene, die ihrem Ruf folgen.”

Die attraktive Frau schwieg, doch sah er an ihren Augen, dass sie von seinen Tanzkünsten sehr angetan war. “Ach, Elfen sind so grazil und hübsch...eine Freude, sie anzusehen, aber leider sind sie, das musste ich auch vor kurzem feststellen, nicht einfach im Wesen..na ja. Eure Herrin steht meiner Herrin offen gegenüber ?” Es blitzte verdächtig in Rahjanias Augen. “Wollen wir uns auf dem Fest privat treffen? Wie sieht euer Zelt aus? Ist es bequem?” Er kannte sie kaum, eigentlich kannte er sie gar nicht, doch kam sie ihm so lieb und vertraut vor. Eine wunderschöne, zarte und hilflose Frau, die Nähe suchte.

Dieser abrupte Wechsel verwunderte den Ritter. Gleichwohl kam er nicht umhin, sich einzugestehen, dass diese Priesterin überaus sinnlich war ...  “Mein Zelt? Ich fürchte, das ist alles andere als bequem. Das einfache Zelt eines Soldaten, mit einer Pritsche und jeder Menge schnarchender Zwerge im Umfeld.” Und vor allen Dingen ein gewisser Vogt, der nicht müde wird, sich ständig über die Unterbringung zu beklagen, dachte er bei sich.

“Ah..schnarchende Angroschim und eine Pritsche...nein, das taugt nicht.” Rahjania überlegte, und dann dachte sie noch länger nach…”Ich hätte gerne mit dir und der hübschen Elfe ungezwungen etwas geredet. ich glaube, dass du nicht ganz glücklich und im Reinen mit dir bist. Nehmt ihr morgen an der Jagd teil ? Danach werden sie wieder feiern und wir können uns ein hübsches Plätzchen suchen.” Rahjania missfiel es, wenn sie unglückliche Personen traf, oft spürte sie es, manchmal aber trog sie ihr Gefühl. Selten. Der Kleine schien etwas auf dem Herzen zu haben.

Der Ritter war überaus erstaunt. Diese Geweihte schien ihm doch recht forsch. “ihr seid sehr…. direkt, Euer Gnaden”, sagte er, während er einmal mehr auf die richtige Schrittfolge achten musste, um ihr nicht auf die zarten Füße zu treten. “Ich danke Euch für Eure … Fürsorge….,” - er zog das Wort bewusst ein wenig in die Länge, ehe er fortfuhr “... und ich bin sicher, dass Ihre Hochgeboren gerne bereit ist, sich mit Euch zu unterhalten, wenn Ihr es wünscht. Doch das ist etwas, was Ihr mit ihr selbst ausmachen solltet. An der Jagd wird die Dame Morgenrot sicherlich nicht teilnehmen, wie ich sie kenne, aber bei den anschließenden Feierlichkeiten wird sie zweifellos wieder zugegen sein. Und gerne bin ich mit dabei, wenn Ihr die Baronin trefft und es Euer und ihrer Hochgeboren Wunsch ist.” Rahjania spürte eine Mauer, die der Ritter aus Pflicht und Loyalität heraus notdürftig um sich errichtet hatte. Aber sie spürte auch seine Irritation. Und einen dezenten Hauch von Unsicherheit ob Ihrer Bemerkungen dahingehend, dass er nicht im Reinen mit sich sei.

“Hmmm ...wie schade. Ich möchte Euch gerne beide gemeinsam sprechen, ein Gefühl sagt mir das. Manchmal liege ich falsch, doch meist richtig.” Sie schwieg ein paar Tanzschritte. “ihr nehmt also an der Jagd teil und ich kann derweil mit den Damen im Lager etwas reden...Dann warten wir doch einfach ab, wie es sich morgen ergibt. ich habe es mir gemerkt, keine Sorge.” Dem jungen Mann war nicht ganz klar, ob das Lob oder Drohung sein sollte. Jedenfalls kam er in die Ehre, einen fast perfekten Tanz mit einer Dame, die sich wie eine Feder so leicht, führen ließ, zu vollbringen.

Er wurde nicht so recht schlau aus diesen Worten.  “Nun, wenn Ihrer Hochgeboren der Sinn danach ist, wird eine gemeinsame Unterredung vermutlich nicht schwierig sein. Meine Herrin ist für ihre Offenheit bekannt. Doch erlaubt mir die Frage, warum ihr so viel Wert darauf legt, uns beide zugleich zu sprechen. Und was für ein Gefühl habt ihr und was hat dies mit der Dame Morgenrot oder mir zu tun?” Seine Worte klangen nicht vorwurfsvoll, aber irritiert und fast ein wenig vorsichtig. Sie spürte, wie die Anspannung in ihm ein wenig zunahm. Es war ihr gelungen, diesen stattlichen Ritter gehörig durcheinanderzubringen ... Rahjania runzelte die Stirn und sah Darian schräg an. Hatte ihr Gefühl sie in die Irre geführt ? „Ich mag mich täuschen, ich habe so ein ...nennen wir es Gespür.. aber es ist nicht zuverlässig. Was empfindet Ihr für eure Herrin ? Mir war, als wäre da mehr.“

Die Züge Darians wurden härter. Die Worte der Geweihten nahmen eine Richtung an, die ihm zu direkt und vor allem entschieden zu persönlich war. Ganz besonders, wenn man berücksichtigte, dass er die Dame gar nicht kannte. “Ich bin der Ritter ihrer Hochgeboren. Das ist alles, was Ihr wissen müsst, Euer Gnaden. Und was ich für meine Herrin empfinde ist nichts, was ich mit einer fremden Dame auf dem Tanzparkett erörtere, auch wenn sie so charmant ist wie Ihr”, sagte er schließlich. “Wie Ihr wünscht, dann lasst uns einfach tanzen, das könnt Ihr ja schon ganz gut.” Er war wohl noch etwas zu jung, um eine interessante Möglichkeit zu erkennen. Vielleicht hatte er auch noch nie eine Rahjani getroffen, dachte sich Rahjania. “Lassen wir es gut sein, schlaft darüber und jetzt machen wir den nächsten Tanz noch, dann seid Ihr mich wieder los.”

Er wurde einfach nicht schlau aus dieser Geweihten. Vermutlich lag es daran, dass sie aus dem Süden stammte. Darian wusste nur wenig über die Tulamiden, doch ganz sicher pflegten sie andere Gewohnheiten als hier im Norden. Und das betraf wohl auch das Verständnis von Minne - oder gar dessen Fehlen. Ein Gedanke, mit dem er sich arrangieren, ja, den er akzeptieren konnte. Er bedachte die Rahjani mit einem versöhnlichen Lächeln. “Nun, dann wollen wir sehen, ob ich Euch auch beim nächsten Tanz zufriedenstelle. Und seid gewiss, dass mir nie in den Sinn käme, eine so anmutige Lehrerin loswerden zu wollen.” Die ersten Takte des neuen Stückes wurden gespielt, und Darian machte eine sehr gekonnte Referenz, wobei er der Priesterin tief in die Augen sah, während er sich verbeugte.

Der Gebirgsbock

Es war bereits sehr spät, als das große, doppelflügelige Tor der Halle noch einmal geöffnet wurde und ein weiterer Gast, bis hierhin begleitet von zwei Soldaten, die ihn einließen, erschien.  Durchschnittlich von Wuchs und dabei recht hager, bot der Angroscho ansonsten einen starken Gegensatz zu den meisten der anderen, anwesenden Angroschim.  Bekleidet in einen dunkelgrünen, langen Kapuzenmantel, trat er barfuß in die Hohe Halle. Das wirklich besondere jedoch war der breite Ring um seinen Hals und die auf dem Kopf sitzende Kappe mit Widderhörnern. Eine Vielzahl von dunklen Glaskügelchen in seinem fast weißen Bart reflektierten das Licht der Fackeln auf fast mystische Art und Weise. Ein Raunen ging durch die Menge der Zwerge, als er durch die Halle schritt. Einige von ihnen standen auf, um dem späten Gast ihren Respekt zu zollen, andere jedoch schüttelten den Kopf und griffen instinktiv zu ihrem Drachenzahn, den so ziemlich jeder Zwerg an der Seite trug, um dessen Metall zu berühren. Eine Geste, die den Schutz Angroschs erbitten sollte. “Der Gebirgsbock”, hörte man die Angroschim mit Ehrfurcht wispern. Auch er war gekommen. Der Vogt eilte Gargamil entgegen und begrüßte ihn herzlich, bevor er den Geoden direkt zum Tisch der Grafen führte, wo dieser Platz nahm. Kaum hätte er gedacht, dass dieses noch hätte möglich sein können, doch die Laune Korningers sank noch weiter, als er den Neuankömmling sah.

Was in Phexens Namen machte er, der Vogt von Rodaschquell, eigentlich auf diesem albernen Gelage der Zwerge? Vor der Nacht in dem Zelt draußen grauste es ihm. Schon seit Ewigkeiten hatte er nicht mehr in einem Zelt schlafen müssen. Unbequeme Betten, schnarchende Zwerge in der Nachbarschaft …

Dummerweise war es ihm nicht gelungen, der Baronin das Zimmer abzuschwatzen. Diese dumme Gans von Zofe war ihm zuvorgekommen und hatte in der Zeit, in der das Spitzohr mit einigen Gästen belangloses Zeug geplappert hatte, längst das Zimmer hergerichtet. Da hatte er nichts mehr machen können … Und dann hatte sie ihn noch so unverschämt grinsend angesehen und ihm einen schönen Tag gewünscht … Und einen guten Zeitpunkt, um Geschäfte zu machen, hatte er auch noch nicht gefunden, weil diese sturen Zwerge die ganze Zeit mit sich selbst beschäftigt waren, und mit ihrem schalen Bier. Irgendwo hatte er aufgeschnappt, es würde Spinnensuppe serviert. Das war ja nicht zu fassen! Missmutig blickte er in seinen Kelch, den er schon seit mehreren Minuten nicht mehr angerührt hatte. Dieser Wein hier schmeckt wie Orkpisse. Es ging ihm nicht in den Kopf, wie die Gäste so etwas trinken konnten. Und das schale Bier wollte er gar nicht erst ausprobieren. Und jetzt marschierte noch dieser Ziegenhirte mit dem albernen Hut und schwieligen Füßen in die Halle, geradewegs auf den Tisch der Grafen zu. Das wurde ja immer besser! Was kam als nächstes? Vielleicht ein paar hüpfende Goblins?

Genauso wie diese komische Halbelfe, die da auf den Seilen ihr Tara veranstaltet hatte. Gehüpfe, das keiner sehen will, zu Musik, die keiner hören will. Nun, zumindest war sie ja was fürs Auge, dachte Korninger, und ein lüsternes Lächeln huschte kurz über seine Lippen, als er Ausschau nach der leicht bekleidete Gauklerin hielt.

Das lenkte ihn kurzzeitig etwas ab. Dann musste er einfach etwas sagen und raunzte seinem Tischnachbarn zu: “Wer in der Zwölfe Namen ist das denn nun, der hier barfuß in die Halle gelaufen kommt? Ist ja ungeheuerlich, was der sich erlaubt!”

Der Trollpforzer war es, der die leicht erbosten Worte des Vogtes vernommen hatte und sich dazu hinreißen ließ sich zu ihm zu gesellen.  Der Hüne erhob sich von seinem Platz an der Tafel und stellte sich mit verschränkten Armen neben den sitzenden Korninger.  "Er ist einer der gefährlichsten Männer des Isenhag", antwortete der vollbärtige Mann, der noch recht jung zu sein schien, ohne den Vogt dabei anzusehen auf dessen mehr zu sich selbst getätigten Worte. 

Dieser erinnerte sich, dass seine Herrin mit dem Trollpforzer am Vortag eine kleine Konfrontation gehabt hatte, an dem auch Darian und die Zofe der Baronin beteiligt gewesen waren. Alle drei benannten saßen derzeit nicht am Tisch, an dem nun nur der Vogt zurückgelassen ausharrte. Entweder sie tanzten, oder sie waren anderweitig in ein Gespräch verwickelt.

Korninger hatte nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet, er sprach nur gerne mit sich selbst. Schließlich gab es hier ja nur wenige Anwesende, mit denen man ein gutes Gespräch hätte führen können, also musste er sich meistens mit sich selbst begnügen. Er merkte ruckartig auf, als er den hünenhaften Trollpforzer neben sich sah. Der kleine … Zwischenfall ... vom Vortag war ihm noch im Gedächtnis, aber er interessierte Korninger überhaupt nicht. Zwei Böcke, die ihre Köpfe aneinander gestoßen hatten, und dann hatte natürlich noch diese schnatternde Gans von Zofe ihren Senf dazugeben müssen ... 

Der Vogt - selbst nur wenig größer als die anwesenden Zwerge, sah verwundert von unten nach oben die imposante Gestalt hinauf. “Gefährlich? Also mit Verlaub, IHR seht mir aus wie ein Mann, den man besser nicht verärgern sollte”, sagte er schnell und ohne Hohn. Für Korningers Verhältnisse konnte man das fast als ein Kompliment auffassen. Er ruckte auf dem Sitz wieder herum und starrte zum Grafentisch. “Aber der da soll gefährlich sein? Gefährlich sehen mir eher diese Füße aus. Wer weiß, was er sich da einfängt, wenn er die ganze Zeit mit diesen nackten, geschundenen Füßen durch die Gegend läuft. Ich meine, überall hinterlassen die Hunde, Pferde und Vögel ihren Dreck und da …”

Er unterbrach sich selbst mitten im Satz, zuckte mit dem Kopf zur Seite und hielt sich dabei die Hand gespielt vor die geschlossenen Augen. “Uhhhh… bei der guten Travia, da kann ich ja nicht länger hinsehen! Diese ramponierten Hufe! Kann dem Mann denn nicht irgendwer ein paar alte Schuhe geben? Gefährlich ist der nicht, eher arm wie eine Kirchenmaus, wenn er keine Schuhe hat. Wahrscheinlich ist er hierher gekommen, um etwas abzugrasen. An Tagen wie diesen sind die hohen Herrschaften ja meistens in Geberlaune …” Meister Korninger verachtete dieses arme Pack, das zum Betteln kam. Und Armut verachtete er gleich ebenfalls. Und Großzügigkeit verabscheute er natürlich auch.

Lachend nickte der Junker und schenkte dem Vogt ein wohlwollendes Lächeln. Er teilte dessen Spott und doch musste er Korninger eines besseren belehren.  "Die Trolle erzählen voller Respekt Gargamil Gebirgsbock sei der Freund des Waldes und der Baumhirten, er beherrsche die Elemente und obendrein das Wetter zwischen Ingrakuppen und Eisenwald.  Weiter berichteten sie mir, dass die Zwerge von Nilsitz vor kurzem irgendetwas gefunden hätten, etwas äußerst Wichtiges, was längst vergessen war. Auch die Trolle rätseln was es ist. Die kleinen Steinbeißer hüten ihr Geheimnis. 

Erinnert ihr euch, erst das große Treffen ihrer Zauberer, zu denen auch der Gebirgsbock gehört? Und nun Abgesandte aller Bergkönigreiche, Grafen und was weiß ich nicht noch.  Hier braut sich etwas zusammen."

Magie! Korninger verachtete und fürchtete Zauberei gleichermaßen. Alle Zauberer waren aus seiner Sicht hinterhältig. Man musste sich vor ihnen vorsehen. Ja, gewiss, es gab auch harmlose … wie dieses arglose Spitzohr, dass ihn seinerzeit zum Vogt von Rodaschquell berufen hatte. Aber trauen konnte er niemandem, und Zauberern schon gar nicht.  Und so gut wie möglich sah ihnen nicht in die Augen. Die bedeuteten nur Ärger - und das galt ganz gewiss für diesen grantigen Zausel dort, der mit seinen schwieligen Sohlen sicher noch mehr Dreck in die Halle getragen hatte.  Doch dieser Trollpforzer, der anfangs noch recht simpel und tumb auf ihn gewirkt hatte, schien durchaus kundig hinsichtlich dessen, was im Isenhag so vor sich ging … .

“Hm… Ihr scheint gut informiert. Ich gebe zu, dass ich von einem Treffen der Zauberer nichts mitbekommen habe. Was sicherlich auch daran liegen mag, dass ich dieses unerfreuliche Thema ‘Zauberei’ in der Regel so gut wie möglich meide.” Er deutete auf den Geoden.

“Wenn es nach mir ginge, würde ich diese Steinkreishüpfer freundlich nach Albernia eskortieren lassen, damit sie dort mit den Blumen singen und den Feen tanzen können ... oder was weiß ich, was die den ganzen Tag so treiben.” Wild gestikulierend redete sich der Vogt ein wenig in Rage. “Ich meine, wo kommen wir denn da hin, wenn die einfach meinen, sich in Rondras Belange zu mischen und am Wetter herumzupfuschen! Und ich habe gehört, dass sie ekelhafte Tieropfer für diese Götzin Sumu bringen und noch ganz andere Dinge widerliche Dinge machen… Es ist ein Jammer, dass das Magieverbot nicht in den gesamten Nordmarken gilt, sondern die Barone das selbst entscheiden sollen!”

Als Vogt von Rodaschquell hätte er das für diese Baronie veranlassen können. Immerhin oblag die Verwaltung ihm, da laut geltendem Recht magiebegabte Adlige ihre Belange von einem Vogt regeln zu lassen verpflichtet waren. Doch dummerweise wäre er die längste Zeit Vogt gewesen, wenn er das täte. Denn es oblag den Baronen, zu entscheiden, wer ihr Vogt sei … .

Plötzlich fing er sich abrupt und lächelte listig und erfreut, während er nach einem leeren Kelch griff und dem Trollpforzer freudig und hektisch etwas von der Orkpisse einschenkte, die er selbst nicht mehr zu trinken gedachte, sofern es sich vermeiden ließ.

“Hier. Vielleicht nicht der Allerbeste, was nicht verwunderlich ist, denn die Zwerge sind ja eher für Bier bekannt, aber ich schenke Euch gern so viel nach, wie Ihr wollte. Kostet mich ja nichts.” Er grinste schelmisch-verschwörerisch. “Und nun lasst uns überlegen, wie wir herausfinden können, was die Zwerge da wieder aus der Erde gebuddelt haben. Ein Treffen von Zaubermumpeln? Das ist ja höchst beunruhigend … .”

Der Junker lachte und trank einen tiefen Schluck des ihm angebotenen Weines, ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Er war den sauren Rebensaft offenbar gewohnt. Kein Wunder dachte der Vogt. Trollpforz lag inmitten des Isenhag, weit abgelegen von den großen Ansiedlungen, wo guter Wein erstanden werden konnte, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sich ein Junker solch einen Luxus wohl nicht leisten konnte.  Immer noch belustigt klopfte Thankred Korninger kräftig auf die Schulter. 

Korninger sah nach vorn, so dass der Junker seine weit geöffneten Augen und seine Überraschung nicht sah, während der Vogt zugleich bei jedem Schlag auf die Schulter ein wenig kleiner zu werden schien. "Ihr gefallt mir. Doch im Ernst, ich habe bisher lediglich in Erfahrung bringen können, dass die kleinen Steinbeißer von der Baustelle dieser, 'sogenannten Jagdhütte' einen schwer beladenen und von sicher fünfzig Soldaten bewachten Transport nach Senalosch durchgeführt haben. Drei große Wagen sollen es gewesen sein, gezogen von Ochsen. Die tiefen Rillen der Räder habe ich noch einige Tage später im Waldboden ausmachen können.  Vielleicht", so überlegte der Junker, "könntet ich euch umhören. Die Zwerge Xorloschs sind von Rodaschquell ja nicht fern. Obendrein besitzt ihr ja zwei zwergische Lehnsherrn in der Nachbarschaft. Diese könnten ebenfalls etwas wissen. Habt ihr Kontakt in eine dieser Richtungen? 

Womöglich bekommt ihr ja etwas heraus. Schreibt mir, oder kommt mich besuchen. Vielleicht wollt ihr ja am Schrein des Heiligen Quanion zum Götterfürsten beten. Das tun viele Gläubige dieser Tage." Der alte Vogt zog die Stirn kraus.

“hm…. interessant, was Ihr da sagt. In der Tat, das sollte man im Auge behalten… Ich würde ja darauf tippen, dass sie Silbererz in den Wagen hatten. Das ist ja in den Ingrakuppen keine Seltenheit und würde auch die Wachen erklären. Aber vielleicht ist da ja mehr dahinter. Ich werde mal sehen, was sich da machen lässt und was ich in Erfahrung bringen kann. Die meisten Zwerge sind zwar nicht sonderlich gesprächig, aber versuchen kann man’s ja. Dann lasst uns einen kleinen Pakt schließen: Wir informieren uns gegenseitig, wenn wir etwas herausfinden.”

Er setzte wieder dieses diebische Grinsen auf, während er dem Trollpforzer die Hand hin hielt. Offenbar war dieser grobschlächtige Kerl ja nicht ganz so tumb, wie er wirkte. Er konnte sich als ein wertvoller Informant erweisen. Die Bemerkung über den Schrein des Götterfürsten ignorierte Korninger geflissentlich. Mit dem Kopf und den Worten war er bei Praios, ja. Aber mit dem Herzen bei Phex, seinem Herrn … . "Darauf habt ihr mein Wort", bestätigte Thankred mit einem gewinnenden Lächeln, das durchaus auch Zufriedenheit ausdrückte. Für ihn schien sich der Abend bereits jetzt gelohnt zu haben. 

Ambelmunder Abendsorgen

Der Abend war weit vorangeschritten - Etliche hatten die Halle bereits verlassen und sich vor dem Tag der Jagd zur Ruhe gebettet. Auch Leodegar hatte sich schon vor einiger Zeit, mit ihrem Einverständnis, zurückgezogen. Der Wein hörte langsam auf, zu munden, und die zuvor noch angenehme Angetrunkenheit wich mehr und mehr einer kalten Wachheit oder eher Ruhelosigkeit. Sie hatte es verpasst, rechtzeitig ihr Lager aufzusuchen, nun würden die Gedanken wieder kreisen, Bilder des zurückliegenden Tages. Und länger zurückliegender Tage. 

Wunnemine starrte unschlüssig in die Halle. Die Gemahlin des Rabensteiners schickte sich ebenfalls gerade an, sich vom Gelage zu verabschieden. Sie dachte an das Angebot, dass Shanija ihr vor einigen Stunden gemacht hatte. 'Warum eigentlich nicht? Um den Schlaf bringen würde es sie diese Nacht sicher nicht mehr ...'.

"Ihr geht, Hochgeboren?" fragte Wunnemine, mit einem matten Lächeln. "Habt Dank für die angenehme Gesellschaft heute Abend!” Sie zögerte kurz, dann rang sie sich schließlich endgültig durch: “Sagt, wäre es eine arge Zumutung, heute Abend noch auf Euer Angebot, auf das Gespräch mit Eurer Hausgeweihten zurückzukommen? Ich möchte ihr aber nicht den Schlaf rauben … ."

“Sehr gerne, Euer Hochgeboren.” Shanija betrachtete ihres Standeskollegin mit einem sehr nachdenklichen Blick. “Ich lasse sie gerne holen.” Sie wandte sich an Boromada, die Knappin ihres Gemahls, und lächelte dem Kind zu. “Hol ihre Gnaden Marbolieb her, ja? Sag’ ihr, es gibt Arbeit für sie, wir benötigen ihre Unterstützung.” Pflichtbewusst trabte die Knappin bis zu dem Tisch, an dem neben dem Korgeweihten und einigen Zwergen auch die Borongeweihte saß, ein schlafendes Kind auf dem Arm und selbst offensichtlich dabei, langsam einzunicken.

Marbolieb genoss das gleichmäßige, dumpfe Gebrumm der Stimmen, das mit zunehmender Stunde etwas sehr Friedliches in sich trug. Sehnsüchtig atmete sie den würzigen Tabakduft aus den Pfeifen der anderen ein und rückte Mirla, die schon vor einigen Stunden in die Gefilde des Herrn der Träume geglitten war, etwas bequemer zurecht. Dwarosch schien glücklich dabei, mit seinen alten Freunden Geschichten auszutauschen, jedenfalls klang sein polternder Bass energisch und froh. Auch wenn ihr der Gedanke daran gefallen hätte, sich schon vor einigen Stunden von ihm aus der Halle tragen zu lassen. Ein liebevolles Lächeln wärmte ihre hübschen Züge, das ihre Wangen mit einer sanften Röte einfärbte.

Jäh schreckte sie hoch, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. “Euer Gnaden?” Eine Frauenstimme - sehr jung noch, fast ein Mädchen. “Die Baronin von Rabenstein bitte Euch, zu ihr zu kommen. Sie sagt, es gibt jemand, der Eure Hilfe benötigt.”

Sehr aus ihren Gedanken gerissen brauchte Marbolieb einige Herzschläge, bis sie die Worte sortiert und gewichtet hatte. Sie holte tief Luft und nickte götterergeben, rappelte sich auf und schwang ihre bloßen Füße über die Bank, ehe sie, die glücklich schlafende Mirla auf einem Arm, der jungen Frau, die es wohl vergessen hatte, ihre Namen zu nennen, eine Hand reichte. Der Oberst, der spät bemerkt hatte, dass Marbolieb aufgestanden war, hielt sie mit einer Schulter über die Lehne der Bank gelehnt sanft am Unterarm zurück. “Alles in Ordnung?”, fragte er mit leicht besorgtem Unterton. Das ‘wohin gehst du’ brauchte er nicht auszusprechen. Die Geweihte nickte. “Ihre Hochgeboren von Rabenstein schickt nach mir. Jemand wünscht meine Hilfe.” erzählte sie mit leiser Stimme. Sie legte ihre freie Hand auf den Arm des Oberst und drückte diesen sanft. Dwarosch kannte sie indes gut und wusste inzwischen die gesenkten Schultern und die Neigung ihres Kopfes, aus dem ihre Müdigkeit sprach, zu deuten.

“Räblein. Gib mir doch Mirlaxa”, schlug Dwarosch vor. “Schlafen kann sie auch bei mir im Arm. Sie ist ja grad so friedlich.” Und an die Knappin gewandt ergänzte er.  “Hol mich bitte, wenn die Dienste ihrer Gnaden nicht mehr benötigt werden. Ich werde mit ihr dann das Fest verlassen.”

“Danke.” Marbolieb reichte Dwarosch ihre friedlich schlafende Tochter, die, tief im Traum, einmal die Nase kräuselte, den Daumen in den Mund steckte und zufrieden daran nuckelte, ehe sie, in die Armbeuge des muskelbepackten Angroscho gekuschelt, selig weiterträumte. Die Geweihte ließ ihre Fingerspitzen über das Kind, Schulter und Wange des Mannes streichen, beugte sich vor und küsste den Oberst schüchtern auf die Stirn, ein federleichtes Streicheln ihrer warmen, vollen Lippen.

Sie reichte Boromada ein Hand. “Wo müssen wir hin? Die Knappin blickte verwirrt von Geweihter auf Zwerg und wieder zurück, streckte vorsichtig eine Hand aus und fasste die Priesterin, als fürchte sie, dass ihr diese ins Gesicht springen könnte. Bei der Aussage des Oberst, ihn später abzuholen, war ihr einen Atemzug lang das Gesicht entgleist, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Sie nickte nur und bugsierte ihre eigenartige Begleitung fast ohne Karambolagen durch die noch immer volle Halle der Jagdhütte, die sich so unversehens in einen Hindernislauf verwandelt hatte. Kurze Zeit später langte sie bei den beiden Baroninnen an.

“Hier, Eure Hochgeboren.” Eine Knappe Verbeugung, ehe sie mit dem Mut der Verzweiflung die Hand der Boroni in die ihrer Baronin drückte. “Der Oberst bittet darum, dass ich ihm Bescheid sage, wenn Ihr die Dienste Ihrer Gnaden nicht mehr braucht.” Ihre Miene zeigte das Seufzen, das sie mit eisernem Willen aus Ihrer Stimme herausgehalten hatte. Der Abend war spontan deutlich länger geworden, als ihr recht war. Ihr Knappenherr war gnadenlos, was das Aufstehen bei Sonnenaufgang anbelangte.

“Dann wirst Du das tun.” Shanija sah darin offensichtlich kein Problem. Sie wandte sich an Wunnemine und übergab die Hand der Boroni. “Euer Gnaden, das ist Ihre Hochgeboren Wunnemine von Fadersberg. Euer Hochgeboren, das ist Ihre Gnaden Marbolieb. Werdet Ihr miteinander auskommen - oder wünscht Ihr, dass ich bei Euch bleibe?”

Wunnemine von Fadersberg war sich nicht mehr sicher, ob das Gespräch eine so gute Idee war. Doch jetzt gab es kein zurück mehr. "Ich bin mir sicher, wir werden miteinander auskommen." antwortete sie, sich sicherer gerierend, als sie es tatsächlich war. Aber sie wollte auf jeden Fall unter vier Augen mit der Geweihten sprechen. Oder besser unter vier Ohren, war die Boroni doch offensichtlich blind. "Ich danke Euch, Hochgeboren. Und Euch, Euer Gnaden, dass Ihr mir zu so später Stunde Euer Ohr leiht!" Wunnemine ging auf die zierliche Gestalt zu und reichte ihr die Hand. Leise fragte sie: "Wäret ihr damit einverstanden, mich zu meinem Zelt zu begleiten, weg von Lärm und Trubel? Ich werde Euch anschließend selbstverständlich hierher zurückbringen. Oder zu Eurem Zelt, wenn Euch dies lieber ist." Die Ambelmunderin war alles andere als auf Zeugen erpicht, falls sie gleich in die dunkleren Kammern ihrer Seele vordringen sollten. Eine Anführerin musste stark sein. Oder die angeführten und auch alle anderen wenigstens in diesem Glauben wiegen. Sie wollte keine Schwächen zeigen, nicht vor so vielen Augen.  “Selbstverständlich” nickte die Boroni. Die Ruhe eines Zeltes war ihr gleichfalls sehr viel lieber als das Getümmel der Halle, auch wenn dies ein leichteres Zurückfinden bedeutet hätte. “Kind, Du kannst schlafen gehen.” wandte sie sich auf der Suche nach der Knappin ungefähr in Richtung der Rabensteinerin.

Sie legte ihre freie Hand auf den Arm Wunnemines, eine kleine, tröstende Geste, beließ es aber dabei. Und wartete. “Nun denn - Gute Nacht Euch, Euer Hochgeboren.” verabschiedete sich Shanija, ihre Standesgenossin in guten Händen wähnend. Wunnemine nickte Shanija dankend zu. “Die wünsche ich Euch auch, Euer Hochgeboren. Dabei legte sie bereits ihre freie Hand auf die auf ihrem anderen Arm ruhende der Geweihten. “Dann führe ich Euch, lasst Euch einfach von mir leiten.” Langsam aber bestimmt hielt sie auf Hallenpforte zu, lenkte sie beiden in die Nacht hinaus und zu ihrem Zelt. Wenigstens bis hier führte sie - dies vermittelte ihr - zumindest vorläufig - ein Gefühl der Sicherheit. Bald würde sie wahrscheinlich diese Rolle abgeben müssen, sah sie ein wenig skeptisch dem entgegen, was da nun kommen würde.

Marbolieb fühlte, wie die warmen Binsen auf dem Boden der Halle dem taunassen, kalten Matsch und zertretenen Gras vor der Tür wichen. Einige verbliebene Halme streichelten nass und klamm ihre bloßen Füße, und die kalte Luft umfing sie wie ein Guss aus einem Wasserkübel. Die Frau an ihrer Seite war angespannt - hart die Muskeln und ihre Schritte die eines Kriegers, der jeden Augenblick einen Angriff erwartet. Sie schwieg, lauschte in die Nacht und ließ sich leiten, viel des Ungesagten aus dem schweren Atem und den knappen, genau bemessenen Bewegungen erahnend.  “Da vorne sind wir schon”, durchbrach sie das Schweigen, das sie auf ihrem Weg begleitet hatte. Wunnemine beschleunigte ganz schwach, doch für Marbolieb dennoch deutlich spürbar ihre Schritte. Angekommen schlug sie die Zeltplane zur Seite und schob die zierliche Boroni ins Innere. “Ich entzünde nur kurz eine Kerze …”

“Setzt Euch am besten hierhin” sie rückte einen Stuhl zurecht… “Mögt Ihr etwas trinken?” Sie sah die ruhig dasitzende Geweihte an. Spätestens, wenn ihre Gesprächspartnerin gleich versorgt sein würde, gab es keine Gründe für Geschäftigkeit mehr, dann würde sie sich … wohl sich selbst stellen müssen … . “Ein Glas Wasser - habt Dank, Euer Wohlgeboren.” Die Stimme der zierlichen Boroni war leise und sanft, und doch von einer Eindringlichkeit, die ihren Weg direkt zu Wunnemine fand. Nicht lange, und sie hatte das Gewünschte und das Rücken eines Stuhles - es musste ein sehr großes und luxuriöses Zelt sein, das so viel Platz aufwies - verriet, dass die Frau ebenfalls ihren Platz, wenngleich noch keine Ruhe, fand. Marbolieb erlaubte dem Schweigen, für einige Atemzüge lang den Raum zu erobern, verscheuchte es aber wieder, ehe es die arme Frau noch mehr erschreckte. “Was darf ich für Euch tun?” “Ihre Hochgeboren von Rabenstein erzählte mir, dass Ihr Euch auf die Heilung von Wunden … an der Seele versteht.” begann Wunnemine vorsichtig, beinahe stockend. “Auch vernarbte, die im Lichte verborgen sind, verheilt wirken, jedoch in den dunklen Stunden aufbrechen, uns das Geschenk Borons rauben … ?”  Die Hand der Boroni zuckte kurz, blieb dann aber, züchtig und brav, gefaltet bei ihrer Schwester auf ihren Knien. Quer über den Tisch nach der Hand der anderen zu suchen war nur eine bedingt gute Idee. Und so dauerte es zwei, drei, fünf Atemzüge, bis sie sprach. “Was plagt Euch, Euer Hochgeboren? Was ist geschehen?” “Es ist für mich nur schwer zu fassen …” setzte Wunnemine an,nahm dann aber erst einen Schluck aus dem Becher. Nicht aus Durst, eher aus Gewohnheit. Und um Zeit zu gewinnen, Zeit zum Nachdenken, dem Ringen um Worte. “Ihr müsst wissen, dass ich ein Leben im Zeichen Rondras führe - darauf wurde ich seit Kindestagen vorbereitet, und das habe ich nicht nur in einem Kampf  bewiesen.” Ihre Worte waren weniger an die die Boroni als an sich selbst gerichtet. “Geboren, um zu kämpfen, die mir Anvertrauten zu führen. Und zu beschützen. Ich weiß, dass ein Anführer im Krieg auch Entscheidungen treffen muss, die den Seinen den Tod bringen können. Für die gerechte Sache müssen manchmal Opfer erbracht werden.” Wunnemine atmete tief und schwer. “Aber seit dem … Haffaxfeldzug verfolgen mich meine Entscheidungen. Die Bilder meiner Schutzbefohlenen, die ich opfern musste.” Wunnemines Stimme verlor an Festigkeit, beschleunigte. “Das Grauen in den Augen derer, die ich Schlimmerem als nur dem Tod im Kampf entgegenschickte …” Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt und die Zähne malmten, als sie nach weiteren Worten rang. Nun streckte die kleine Geweihte doch die Hand aus und legte sie offen auf den Tisch. “Mögt Ihr mir Eure Hand geben?” bot sie an. So viel Schmerz - aber auch so viel Zweifel und Wut - kochten in den Worten der Kriegerin, und legten beredt Zeugnis davon ab, wie sehr diese gesammelten Gefühle, selbst jetzt, zwei Jahre nach dem Krieg, noch an der Frau nagten. Die Baronin von Ambelmund zögerte - sie musste doch stark sein - schon immer, seit Kindesbeinen an. Nur allzu früh wurde sie die tragenden Säule - ihrer Familie, ihres Hauses, ihrer Baronie. Tragende Säulen durften nicht schwach sein, sollte das auf ihnen ruhende Bauwerk nicht zusammenstürzen. Und vor allem keine Schwäche zeigen, denn Vertrauen in die Stärke der Anführer war der Mörtel, der diese Gesellschaft, der alles zusammenhielt. Galten hier in der Dunkelheit der Nacht, in der Stille des Moments, etwa andere Gesetze? Boroni waren verschwiegen, zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wunnemine rang mit sich, ihrem Willen stark zu sein. Und ihrem Bedürfnis, es nicht immer sein zu müssen. Schließlich legte sie ihre Rechte in die Hände Marboliebs.

Warm waren die Hände der kleinen Boroni, ihre Haut auf der Innenseite mit Schwielen bedeckt, die verrieten, dass ihr köperliche Arbeit nicht fremd war - auch wenn es nicht die rauhen Stellen der Hand einer Kriegerin waren, gewohnt, Schwert und Schild zu führen. Sie nahm Wunnemines Hand in die Ihre und schwieg einige Augenblicke, lauschte dem raschen Atem der Anderen und ließ zu, dass die Nacht und Stille ihr ruhiges Tuch über beide legten. Fest und sicher war der nichtsdestotrotz leichte Griff Marboliebs, Geborgenheit gebend - und Ruhe. “Was wäre geschehen, wenn Ihr Eure Leute zurückgehalten hättet?” fragte sie schließlich mit sanfter Stimme. Für Wunnemine war es zunächst ungewohnt, ihre Hand in der einer anderen Frau zu finden, doch empfand sie die Berührung, als sie sich auf diese einließ, wohltuend. Wärme ging von dieser aus. Und Ruhe, ein wenig Ruhe. Sie dachte über die Frage nach. So hatte sie das noch nicht betrachtet. Ihre Leute zurückzuhalten war für sie nie in Frage gekommen. Der Angriff war erforderlich, keiner durfte zurückbleiben, ohne die Angriffsreihe zu zerstören und damit alle anderen zu gefährden. “Es hätte den Tod vieler mehr bedeuten können, wahrscheinlich hätte es das. Mein Verstand sagt mir immer wieder, dass es richtig war, was wir taten, notwendig. Im Lichte des Tages scheinen die Dinge klar. Aber im Dunkel der Nacht höre ich ihre Schreie, ihr Grauen, ihre entsetzliche Furcht, in schrecklichere Tiefen gerissen zu werden als in Borons friedliches Reich. Und ich frage mich manchmal, warum ich diese in ihr Verderben schickte, und selbst zurückgekehrt bin.” Statt einer Antwort strich Marbolieb sanft mit ihren Fingerspitzen über die Hand Wunnemines. “Habt ihr für Sie gebetet?” wollte sie wissen. Das Gebet war der erste Schritt für Vergebung - und zu vergeben hatte die Frau sich selbst so viel. Als wäre es ihre Schuld gewesen, dass sie die Befehlshaberin war - und nicht die Waffenmagd im Gefolge. “Ihr könnt Euch Euren Platz in der Schlacht nicht aussuchen, Hochgeboren. Und niemand wusste vor Mendena, wohin der Gegner seine Schergen schickte.” Wunnemine nickte. “Ich habe für sie gebetet, ja. Habe Rondra und ihre göttlichen Geschwister angefleht, die Seelen derer, die den Tod fanden, zu sich zu nehmen, sie den Frieden finden zu lassen. Aber in mir nagt die Furcht, dass nicht allen diese Gnade zuteil wurde.” Sie hielt kurz inne, fühlte die Berührungen Marboliebs. “Ihr habt Recht damit, dass man sich den Platz in der Schlacht nicht aussuchen kann. Aber in dieser Schlacht hätte er in erster Reihe sein müssen. Ich hätte meinen Leuten vorangehen müssen. Auf Rondras Segen vertrauend. Anführen, und nicht nur befehligen.” Sie starrte auf Marboliebs Hand auf der ihren. “Habt Ihr einige Eurer Leute zurückgebracht?” Sanft kam die Frage Marboliebs, ihre Hände noch immer fest und sicher die ungleich Kräftigere Wunnemines bergend. Mitleid, nein, Anteilnahme lag in ihre Stimme, und gab der Baronin die Gewissheit, dass sie gerade das Zentrum und der einzige Ankerpunkt der Aufmerksamkeit der Geweihten war. “Einige konnte ich zurückbringen, doch wir haben viele verloren. So viele…” Sie stockte. “Aber auch jene, die zurückkehrten, trugen schwere Wunden mit nach Hause. Manche blutige. Die meisten aber Wunden, die man nicht sieht, fürchte ich. Ich frage mich nur immer, ob ich mehr hätte nach Hause bringen können, ja, müssen, und denen, die am Leibe verschont geblieben sind, mehr von Rondras Mut und Zuversicht und damit… Rüstzeug für die Seele... hätte geben können, hätte ich den richtigen Platz eingenommen… .” “Doch ihr wisst nicht, was der richtige Platz war. Noch hättet Ihr ihn bestimmen können.” Warm und schwer, wie die Dunkelheit in den letzten Atemzügen vor dem Einschlafen, war die Berührung Marboliebs. “Keiner kann das.” Ihre Stimme, ruhig und tröstlich, versank in der Stille, die aus den Ecken des Zeltes kroch wie ein großes Tier und begann, die beiden Frauen zu umkreisen - neugierig, abwartend, doch nicht bedrohlich. Noch nicht.

“Habt Ihr weniger für die Euren getan, als ihr vermocht hättet?” Führte sie behutsam den Gedankengang der Kriegerin weiter.

Schweigend ließ sich die Baronin die Frage durch den Kopf gehen, wog ab: 'Hatte sie alles getan, was in ihrer Macht stand?'  Ihr Blick war dabei auf die Flamme der Kerze gerichtet, doch ging er durch deren Licht hindurch, ins Leere. Bilder drängten in ihren Geist, Erinnerungen an die Schlacht. Jäh schien sie wieder mitten hinein geworfen in das Grauen, das sie seither verfolgte. Wunnemine schloss die zuletzt weit aufgerissenen Augen, schüttelte den Kopf, kämpfte sich wieder zurück ins Hier und Jetzt. In leisen, langsam gesprochenen Worten antwortete sie: "Im Lichte des Verstandes betrachtet habe ich wohl alles für die Meinen getan, was ich vermochte. Ich habe sie für eine gerechte Sache, gegen die Finsternis, ins Feld geführt, die für alle unsere Truppen bestimmte Taktik umgesetzt, und alles getan, um in der Schlacht die Ordnung und damit die Wehrhaftigkeit der von mir geführten Reihen aufrecht zu erhalten. Ich habe auch mit dem Schwert meine Frau gestanden, als die Zeit dazu gekommen war, die Feinde in die Niederhöllen zurückzuschicken und so viele der Meinen nach Hause zu bringen, als mir möglich war."

Die Ritterin holte tief und gut vernehmbar Luft, dann umschlang sie mit beiden Händen die der Geweihten. Mit flüsternder Stimme brachen ihre Fragen an die Geweihte heraus: "Doch warum verfolgen mich dann seit meiner Rückkehr die Schrecken dieser Schlacht? Die Schreie der Sterbenden? Ihre entsetzten Blicke? Die aufgerissenen Augen der Gefallenen? Warum finde ich des Nachts keinen Frieden mehr? Werfen sie mir nicht vor, versagt zu haben? Verlangen sie nicht nach Buße? Ich glaube immer mehr, sie nehmen mir den Frieden, den ich ihnen hätte geben müssen. Aber nicht gab."

Einige Zeit besann sich die kleine Borongeweihte, ehe sie die Stille brach. “Ihr hättet ihnen den Frieden in der Schlacht nicht geben können.” Was auch die Baronin wusste - wissen musste. “Warum Euch die Gesichte verfolgen, werden Euch Eure Träume sagen können.” Sie hob den Kopf in die Dunkelheit, wo sich - vielleicht - die Frau befand. “Wollen wir zusammen für die Euren - und für Euch - beten? Ich werde den Segen meines Herrn spenden, wenn Ihr Euch zur Ruhe legt. Dies wird Eure Träume mildern. Und sollten sie zurückkehren, so gibt es Mittel und Wege, darauf Antwort und Abhilfe zu finden.” 

Tröstend und ruhig klang ihre Stimme, und in den Ohren der Adelsfrau voller Verheißung. Wunnemine nickte, natürlich hatte die Boroni recht. Aber ob sie in ihren Träumen jemals den Schlüssel zur Erkenntnis finden würde? Und nicht eher nur den Wahnsinn? Mühsam schüttelte sie diesen Gedanken ab - stattdessen ließ sie sich dankbar auf den Vorschlag der Geweihten ein - der Segen Borons verhieß Schlaf. Und Vergessen. Und vielleicht sogar Frieden? Sachte drückte sie Marboliebs Hand. "Ja, lasst uns beten."  Marbolieb nickte. “Wollt Ihr Euch gleich zu Bett begeben? Dann ist es nicht mehr weit in die Gefilde des Schlafes.” Die Baronin nickte. “Ja.” fügte sie kurz danach hinzu. Sie erhob sich, ging um den kleinen Tisch herum und griff sachte nach der Hand der Geweihten. Plötzlich hielt sie inne: “Ich versprach, Euch noch zur Festhalle oder Eurem Zelt zurückzugeleiten. Ich kann und möchte Euch nicht alleine zurückirren lassen.” Die Geweihte grub ihre Zähne in die Unterlippe. Ein Spaziergang durch das schlafende Lager wäre alles andere als erquicklich. Schließlich fasste sie einen Entschluss. “Habt Ihr vielleicht jemanden hier, der mich zurückbringen könnte?” “Ihr habt natürlich Recht.” Wunnemine hätte die Geweihte für das, was sie für sie tat, zwar gerne selbst geführt, doch so war dies in der Tat besser. “Wenn Ihr mit Abarhild, einer jungen Büttelin, die mich begleitet, Vorlieb nehmen wollt, könnte diese Euch zurückgeleiten. Ich werde diese gleich ansprechen.” “Danke.” Die südländisch aussehende junge Frau nickte, deutliche Erleichterung ein kurzes Spiel auf ihren feinen Zügen. 

Die Ambelmunderin ging rasch ins benachbarte Zelt. Nach kurzer Zeit nahm Marbolieb durch die dicke Zeltplane gedämpft einige geflüsterte Anweisungen wahr. Dann wurde die Zeltplane zur Seite geschlagen und Wunnemine war zurück bei ihr. “Abarhild wartet vor dem Zelt auf Euch und wird Euch sicher zur Festhalle zurückführen. Oder für Euch nach Eurem Zelt suchen. Wenn Ihr grob beschreiben könnt, wo dieses steht…” “Mein Kind wartet in der Festhalle - ich möchte später gerne dorthin.” Wärme lag in der leisen Stimme der Dunkelgekleideten. “Doch das hat Zeit - ihr seid jetzt wichtig.” Sie lächelte Wunnemine an. “Gehen wir zu Eurem Lager?”

Die sanfte Stimme der Geweihten und deren Zuwendung entkrampfte das Herz der Baronin. Bereitwillig ergriff sie die Hand Marboliebs und führte sie zu ihrem Lager. “Mögt Ihr Euch hier niederlassen?” bot sie der Boroni einen Sitzplatz an der Seite ihrer Schlafstätte. Dann machte sie sich daran, sich rasch für die Nacht zu bereiten. Marbolieb wartete geduldig, bis Wunnemine ihre Tätigkeiten abgeschlossen und sich zur Ruhe gelegt hatte. Es war schon spät, und die Geräusche der Feiernden und Heimkehrer im Lager waren bis auf einige letzte Gespräche verstummt. Draußen strich ein nächtlicher Wind über die Wipfel des Waldes und rauschte in den dichten Zweigen. Zeigte den Menschen in ihrer kleinen Welt, wie begrenzt und zerbrechlich diese doch war. Die Boroni legte eine Hand auf die Stirn der Adligen, die andere auf ihre überkreuzten Hände. Leicht wie der Hauch einer Feder war die Berührung, warm und tröstlich.  Nichts weiter geschah, als dass die Nacht ihre Schwingen um beide schloss und die Stille sie einhüllte wie ein Mantel. Die hastigen Atemzüge Wunnemines fanden Halt an der leichten Berührung der Geweihten, dem Rhythmus ihres Atems und dem Takt ihres Herzens. “Herr Boron, diese Frau tritt vor Dich, gemartert im Geiste, mit der Bitte um Verstehen.” Ein Flüstern die Worte, durchwoben die Stille, statt sie zu brechen, eins mit der schweigenden, lauernden Nacht, die wie ein gewaltiges Tier vor dem Zelt lauerte, durch den dünnen Stoff spähte, ihrer Beute sicher, wissend, dass kein Entkommen war. Aufmerksam geworden. Lauschend. “Viele der Ihren sind gefallen - und fragen jede Nacht, warum. Ohne Frieden, wie sie selbst.” Stille. Verstummt selbst das Rauschen des Windes. Das große, dunkle Tier hatte die Ohren gespitzt und lauerte. “Schenke ihr Vergebung diese Nacht. Für sich und die Ihren.”  Schweigen, tiefe Stille, die einzige Antwort. “So sei es.”  Marboliebs Flüstern verklang, der Herzschlag beider Frauen das einzige Geräusch. Ruhe senkte sich über beide, warm und einlullend, gleich den letzten Atemzügen vor dem Schlaf.  Und das Versprechen auf Frieden.

“So sei es.” hauchte Wunnemine, nahezu stimmlos. Sie war innerlich ruhig geworden, endlich bereit, sich in Borons Arme fallen zu lassen. Marbolieb zog ein kleines Fläschchen mit Salböl, gerade noch halbvoll, aus ihrer Gürteltasche und entkorkte es. Ein leichter, würziger Duft nach Myrrhe, Weihrauch, Rosmarin und kostbaren Hölzern breitete sich aus, unaufdringlich, aber merklich. Die Geweihte zeichnete damit ein Boronsrad auf die Stirn Wunnemines, legte eine Hand sanft über ihre Augen, die andere auf ihren Scheitel. Wärme breitete sich von ihren Handflächen aus, sammelte sich auf der Stirn der Kriegerin und floss von dort aus durch ihren gesamten Leib, warme, überaus angenehme Schwere verbreitend. Ein leises Rauschen wie von machtvollen, schwarzen Schwingen - oder dem Murmeln des Waldes, wer wusste das schon zu sagen - war das letzte, was Wunnemine bewusst wahrnahm, ehe sie in die Gefilde des Schlafes glitt.

Ohne Familiensegen

Es war spät, sehr spät. Die Anzahl der Feiernden in der Festhalle war auf ein kleines Häufchen glückseliger Zecher geschwunden, und die hohen Feuer waren längst in sich zusammengesunken, nur gelegentlich noch von einigen Scheitern genährt, die einige dienstbare Geister nachlegten. Genug, um die erbarmungslose Kälte der Nacht im Hochgebirge draußen zu halten. Mit der Zeit war das leichte Gewicht des schlafenden Mädchens schwer geworden, doch ihr glattes, weiches Gesicht, das im Licht der Kerzen und des Feuers fast zu leuchten schien, war tief erfüllt von einer Ruhe des Schlafes, wie sie wohl nur kleine Kinder zu genießen vermochten. Wie einzelne Tuschestriche langen ihre langen Wimpern auf ihren Wangen und ihr keines Mündchen verzog sich hin und wieder zu einem glückseligen Lächeln, dass anzeigte, dass alles gut war auf dem starken Arm Oberst Dwaroschs. Ein Schwall kühler Luft verkündete ein neues Öffnen der Türe und brachte eine Waffenmagd in den Ambelmunder Farben in den Raum, die eine kleine Gestalt in einer ehemals schwarzen Robe an der Hand hielt und nach einem kurzen, gründlichen Blick durch den Raum auf den Tisch Dwaroschs zusteuerte und mit einem ‘hier sind wir, Euer Gnaden’ schnell und zielsicher den Rückweg antrat. Marbolieb streckte eine Hand aus, fragend und suchend. Auf ihren Lippen lag ein rätselhaftes, kleines Lächeln. Sie hatte ihre Kapuze tief in die Stirn gezogen, doch auf ihrer Hand und ihrem Arm zeichneten sich Gänsepusteln ab und ihre Hand, als der Zwerg sie ergriff, war eiskalt.

Der Oberst eilte sich zu seiner Gefährtin zu kommen, als er ihrer gewahr wurde. Rasch stand er auf und trank noch währenddessen seinen Krug leer. Aufrecht stehend plusterte er einmal die Backen auf, rülpste herzhaft und verabschiedete sich mit polterndem Bass und darauffolgend leicht schwankendem Schritt.

"Au weia", raunte Dwarosch, als er Marboliebs Hand ergriff. "Liegt draußen bereits Schnee? Kälter könnten deine Finger vermutlich selbst dann nicht sein."  Der breitschultrige Zwerg schüttelte den Kopf und legte seinen massigen Arm um die zierliche Taille der Geweihten. "Komm, ich bring dich in unser Zelt. Du musst dich dringend aufwärmen." 'Und ich schlafen', ergänzte er bangend im Geiste. 'Sonst bereust du es morgen im Wald.'

Unterwegs zurück zum Tor der Halle sprach der Oberst eine der Bediensteten an und trug ihr auf ihnen eine Schale mit heißen Steinen zum Zelt des Oberst bringen zu lassen. Eine Bitte, die die Zwergin eiligst mit einem dienstbeflissenen Nicken quittierte. Draußen umfing sie die eisige Nachtluft, die für Marbolieb nichts Neues war, sehr wohl aber für Dwarosch, dem der Alkohol in jenen Moment zumindest kurzzeitig den Kopf vernebelte. "Nur gut, dass ich so große Füße habe, sonst würde ich noch glatt umkippen", kommentierte er und war recht amüsiert über seine eigene Wortwahl.  Trotz allem jedoch steuerte der Oberst zielsicher in Richtung ihres Zeltes. Es war auch kaum zu verfehlen, war es doch das größte unter denen des Regimentes, die darum angeordnet waren. Außerdem stand ein großes Feldzeichen davor. Von einer Querstange hing das Wappen der Eisenwalder, ein schwarzer Kriegshammer auf silbernem Grund.

“Konntest du helfen?” fragte Dwarosch plötzlich ernster in Richtung Marbolieb, die das Gefühl hatte, die Kälte hätte es nun vermocht, den Kopf des Zwergen etwas klarer werden zu lassen. Marbolieb, die versonnen vor sich hinlächelte, ein tiefes, von innen kommendes Strahlen, fuhr auf Dwaroschs Worte hin auf, stolperte und konnte sich gerade noch dank des kräftigen Griffs des Oberst auf den Beinen halten. Sie lauschte in seine Richtung, bemüht, den Sinn hinter dem Gesagten zu entwirren. Die Kälte, die durch ihre dünne Robe drang und auch für Dwarosch deutlich fühlbar war, schien sie nicht zu bemerken. Sie blieb stehen, und es dauerte mehrere Atemzüge lang, bis  sie schließlich knapp nickte. Das halbe Lächeln hing noch immer in ihren Mundwinkeln, losgelöst von ihrer Geste.

Sternenklar war der Himmel, und Phexens Geschmeide funkelte verlockend und nah auf dem samtschwarzen Tuch der Nacht. Das auf- und abschwellende Zirpen der Zikaden und das Rauschen der Tannen war das Lied dazu, in einem der Atem der Berge und der Abglanz des kurzen Sommers, hoch oben in den Gipfeln des Eisenwaldes. Die Borongeweihte schob mit einer Hand ihre Kapuze vom Haupte. Gerade einmal halbfingerlanger Flaum bedeckte ihren geschorenen Kopf, ein dunkler Schatten hier im unbestimmten Dunkel der Nacht, durchsetzt nur von den kleinen Lichtpunkten der Laternen und Feuerkörbe, die vor einigen Zelten brannten.

Der Duft nach Rauch, Gebratenem, zertretenem Gras, Staub und dem Harz der Nadelbäume hing in der Luft, die nach der klaren, frischen Kälte der weiter oben liegenden Firnfelder und Schneehalden, die auch mitten im Sommer die Hänge der mächtigen Riesen bedeckten, schmeckte. Die zierliche Frau befeuchtete ihre Lippen und schüttelte sanft den Kopf, den abwesenden Ausdruck aus ihren blinden Augen zu vertreiben suchend. Sie hob eine Hand und legte sie sanft auf die Wange des Zwergen, eisig ihre Fingerspitzen auf seiner warmen Haut, obgleich die Bewegung nicht mehr wog als das Streifen einer Feder.

“Du hast mich Dein Weib genannt, Dwarosch.” erhob sie zum ersten Mal die Stimme, seit sie die Halle betreten hatte. Ein Flüstern, kaum lauter als das leise Rauschen des Windes in den Zweigen der Kiefern und Tannen. “Das hat mich erfreut.” Süß und einladend strichen ihre vollen Lippen über die seinen, einen halben Herzschlag lang, ehe sie entschieden den Kopf abwandte. “Du weißt, dass das niemals sein kann.”

Sie schloss die Augen, ihre Wimpern lang und fein wie Pinselstriche auf ihrer glatten Haut, ihre jähe Anspannung verratend, was ihre Züge nicht zeigen würden. "In wessen Augen?", fragte Dwarosch trotzig. "Nur weil uns kein Pfaffe seinen Segen gibt heißt das nicht, dass die Götter mit weniger Wohlgefallen auf uns herab blicken. Oder glaubst du im Ernst, daß das was diese Gänsepriester in Calmir mit dir vorhatten im Sinne ihrer Göttin ist? Oh nein. Unsere Bindung verkörpert IHRE Ideale sicher bedeutend besser, als die unter euch üblichen, arrangierten Traviabünde. Das ist meine Überzeugung. Die Götter mögen unfehlbar sein, doch ihre Diener sind es ganz sicher nicht. Ihre Auslegung ist falsch, zumindest in dieser Hinsicht."

Dwarosch schnaubte und drückte Marbolieb einen Kuss auf die Lippen. "Der Tag an dem ich an unserer Liebe zweifeln werde, nur weil wir nicht den derischen Segen eines Priesters zu erlangen vermögen, wird niemals kommen. Das was ich empfinde wird nicht stärker oder schwächer, nur weil ein Mensch oder ein Angroschim die Hand über unsere Häupter hält. Nein Räblein, so funktioniert das nicht. Es braucht nur viel Zeit, das zu begreifen. Du bist mein Weib und solange das in deiner und meiner Überzeugung so richtig ist, gibt es niemanden, dessen Meinung mir in dieser Hinsicht irgendwie interessiert, und wenn es das hohe Paar aus Rommilys ist."

Die zierliche Priesterin schwieg erst einmal - wie so oft. Doch der Oberst bemerkte, wie sie sich in seinem Griff versteifte. Sie presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. “So einfach ist das nicht, Dwarosch.”

Da ging er hin, der letzte Rest des Hochgefühls, das sie aus dem gemeinsamen Gebet mit der Baronin - wie lange war der letzte Götterdienst davor schon her? Lange, sehr lange zumindest - mitgenommen hatte. Betreten schlug Marbolieb die Augen nieder. “Ein Travienbund wird vor den Göttern geschlossen, nicht für die Geweihten. Sie spenden über ihre Diener den Segen.”  Die eisige Kälte der Nacht ergriff Besitz von ihren Füßen und schickte sich an, über ihre Knöchel die Beine empor zu wandern. Sie senkte ihre Stimme, so dass Dwarosch sich mühen musste, sie zu verstehen.

“Meine Brüder und Schwestern in der Kirche sind fehlbar wie alle Menschen. Und doch mühen wir uns nach unserem besten Vermögen, den Zwölfen zu dienen. Deine Verachtung ist unangemessen.”  Marbolieb schlang ihre Arme um ihre Schultern und rieb sie in dem müßigen Bemühen um Wärme.  “Ohne den Segen der Götter sind wir nie Mann und Weib, Dwarosch. In den Augen von Menschen und Göttern bleibe ich nur die Frau, die Dir das Bett wärmt.”  Die Kälte der Nacht hatte sie nur endgültig in ihrem Griff, umschlang sie mit ihren eisigen Händen und sorgte dafür, dass ihre Lippen zitterten.

“Ich bin glücklich bei Dir. Bitte lass es so, wie es ist.” Solange ihre Zeit noch währte - was zunehmend weniger wurde. Ihre Worte besaßen einen flehentlichen Unterton, der selbst dem Zwergen nicht entging.

Dwarosch brummelte sich zur Antwort etwas in den Bart, dass Marbolieb mit ‘wenn das deine Meinung ist’ interpretierte. Er schien beleidigt über diese Aussage, gekränkt gar, aber er beließ es dabei, scheinbar nicht gewillt mit ihr zu streiten, nur weil er anderer Meinung, ja Überzeugung war. Geweihte und Oberst passierten indes einige Soldaten, die im improvisierten Lager der Eisenwalder um ein Feuer saßen grüßten, was Dwarosch jedoch nur mit einem aufmunternden Lächeln und einem zur Kenntnis nehmendem Nicken quittierte. Er blieb stumm, hing offensichtlich seinen eigenen Gedanken nach.

Beim Zelt angekommen nahmen zwei weitere Soldaten Haltung an, als sie ihren Befehlshaber erblickten. Sie gehörten zum zweiten Banner des Regiments, der Leibgarde des Oberst. Dwarosch grüßte die beiden mit Namen. Seine Stimme klang müde. Bereits von drinnen ergänzte er an die Wachen: "Holt euch ein Bier. Eure Wache hat ja grad erst angefangen.”  Mirla, von diesem Lärm in ihrer Ruhe gestört, räkelte sich auf dem Arm des Oberst, was diesen wiederum in Alarmbereitschaft versetzte. Vorsichtig ging er mit ihr und Marbolieb, bei der Liegestatt angekommen in die Knie und bettete zunächst das kleine Mädchen behutsam, bevor er auch Marbolieb half unter die dicken Decken zu kriechen und sie sorgfältig zudeckte. Das Licht der Sturmlaterne seiner Soldaten, welches die Plane an der Frontscheibe leicht erhellte, reichte dem an die Dunkelheit gewöhnten Angroscho dabei aus.

Die  Geweihte hatte seit dem letzten Disput eisern geschwiegen. Sie tastete nach ihrer Tochter und küsste sie mit klammen Lippen sanft auf die Stirn, was das das Mädchen dazu brachte, unwillig die Nase zu kräuseln und sich tiefer unter die dicken Decken zu kuscheln. Ohne ein weiteres Wort drehte sich die Priesterin des Rabengottes auf eine Seite, weg von dem Zwergen, und zog sich die Decke über die Schultern. Keinesfalls hatte sie mit dem Oberst einen Streit anfangen wollen, doch es tat ihr weh, solche Worte von ihm über sich und ihre Glaubensgeschwister zu vernehmen. Die Kälte hing in ihren Fingern, Zehen, Armen und Beinen und weigerte sich, auch nur einen Fingerbreit zu weichen.

Draußen waren nach kurzer Zeit Fetzen eines Gesprächs zu vernehmen. Als es wieder still wurde, deutete ein kratzendes Geräusch vom plattgetretenen Boden darauf hin, dass jemand etwas ins Zelt hinein schob.  Dwarosch, der sich in der Zwischenzeit seiner Rüstung entledigt und sie auf einen hölzernen Ständer drapiert hatte, schritt zum Zelteingang und kam mit der Wärme ausstrahlenden Pfanne zur Liegestatt.  Mit einem leichten Stöhnen ließ sich nun auch der Angroscho nieder, hob sanft Marboliebs Beine an, faltete die Decke um sie und schob die Pfanne darunter.  Danach legte sich auch der Oberst zur Ruh, aufgewühlt über das desaströse Ende eines vermeintlich schönen Abends.

Die Geweihte rollte sich zu einem fast perfekten Ball zusammen, die Bettpfanne an ihren bloßen Füßen eine kleine, höchst willkommene Wärmequelle, die sich dennoch schwertat, die Kälte, deren Ursprung nicht nur die kühle Bergnacht war, zu vertreiben. Diese Feier war um keinen Deut besser verlaufen als die letzte, bei der der Oberst schließlich volltrunken unter dem Tisch eingeschlafen war. Sie hätte zu gut auf beide verzichten können - an einer dritten, sollte sich jemals die Gelegenheit ergeben, würde sie nicht mehr teilnehmen. Sie zog die Decke enger um ihre Schultern und schloss die Augen, darauf vertrauend, dass der Rabe bald seine Boten sändte, sie für diese eine Nacht in sein Reich zu tragen. Dennoch, so hatte sie  den Ausgang des Abends nicht erwartet. Sie blinzelte, um die jähe Feuchtigkeit aus ihren Augenwinkeln zu vertreiben, erreichte damit aber nur, dass ein einzelner Tropfen sich in ihren Wimpern verfing und mit einer verrätersich schimmernden Spur in die Kissen rann. Dieses eine Mal kündete die Stille der Nacht, die sie umschlang, nicht nur von Trost, sondern erzählte von einer Einsamkeit, wie sie diese vor ihren Erlebnissen in den letzten beiden Götterläufen mangels Vergleich nicht verspürt hätte.

Mit einem Seufzen drehte sich Dwarosch im zu Marbolieb um, auch er schien keinen Schlaf zu finden. Sanft berührte seine Hand ihre Schulter. “Hast du das ernst gemeint?”, setzte er leise und ohne Zorn, ja eher zaghaft an. “Ich meine, dass wir ohne den Segen der Götter in deinen Augen niemals Mann und Weib sind und das selbst SIE dich nur als die Frau ansehen, die mir das Bett wärmt?” Dwarosch atmete tief ein und aus, suchte nach innerer Ruhe und wohl auch nach passenden Worten. “Ich weiß, dass ich in Rage gesprochen habe, aber das was ich gesagt habe war im Kern Zeugnis meiner Liebe, dass kannst du doch nicht abstreiten, oder? Was war falsch daran?”

Marbolieb drehte sich zu dem Zwergen um, ohne ihn indes zu berühren. “Ich lüge nicht vor dir, Dwarosch.” Entschieden. Die ersten Worte, die sie seit dem Erreichen des Zeltes gesprochen hatte. Still war die Dunkelheit zwischen beiden, die Nähe des anderen ebenso spür- wie unerreichbar. “Meine Brüder und Schwestern im Glauben erfüllen nach bester Möglichkeit ihre Pflicht. Diese sieht bei den Dienern der Travia anders aus als bei mir, aber wir alle dienen den Zwölfen. Es bedrückt mich, wenn Du uns dafür schiltst.”

Die Geweihte zog die Decke enger um ihre schmalen Schultern überlegte, ob sie noch etwas hinzufügen solle, und schwieg dann doch. Ihre Finger fühlten sich an wie aus Eis, was gut zu dem schweren, eiskalten Klumpen, den sie in ihrem Magen fühlte, passte. Der Zwerg seufzte - ‘Weiber’. Warum nur musste sie seine Rede auf sich beziehen, hatte er ihr dazu direkten Anlass gegeben? Nein, natürlich nicht.  Angestrengt nachdenkend ruckten Dwaroschs Augen hin und her, indes konnte Marbolieb dies natürlich nicht sehen. Er betrachtete ihre Miene in der Dunkelheit, versuchte zu ergründen was sie bewegte.

“Ich wollte dich nicht als Lügnerin bezichtigen”, versuchte er zu beschwichtigen. “Wenn du meine Worte in dieser Weise deuten konntest tut es mir leid. Tief in deinem Inneren, so hoffe ich zumindest, weißt du, dass nicht du es bist, der Ziel meines Ausbruchs war, denn alles was ich sagte war Zeichen meiner Gefühle zu dir. Ich will keinen Glaubensdisput mir dir führen, Räblein, den könnte ich vermutlich eh nicht gewinnen, doch es gibt Dinge, die ihr Menschen als göttergegeben hinnehmt, die sich aber durch nichts belegen lassen und die sich zum Teil auch ganz klar widersprechen.

Euer Adel und das Geburtsrecht ist Teil der Ordnung, die euer Götterfürst euch vorgibt. Die Ehen, die in diesem Sinne und zum Erhalt dieser Ordnung geschlossen werden aber, werden vor Travia geschlossen und das ist falsch. Wenn, dann lasst diese Bindungen von Praios segnen, aber nicht von Travia. Sie hat damit nichts zu tun. Ich bin nur ein Zwerg. Mir ist euer Zwölfgötterglaube fremd und ich weiß, dass ich nicht alles verstehe, aber das kann nicht richtig sein. In die Aspekte der Göttin des Herdfeuers lassen sich keine arrangierten Ehen hineindeuten. Bindungen, die nichts mit Liebe, gemeinsamen Glück und gewachsenem Vertrauen zu tun haben, sondern von Kalkül und Machtbestrebungen veranlasst sind.

Das was ich sagen wollte war, dass das was zwischen uns ist IHREM Glauben viel näher kommt, als so etwas. Bestreitest du das? Deine Aussage, dass dich die Götter darauf reduzieren, dass du mir das Bett wärmst ist aus eben diesen Gründen schlichtweg grotesk.” Nochmals seufzte Dwarosch. “Wenn wir ihnen überhaupt so wichtig sind, dass sie sich über sowas Gedanken machen. Noch etwas, dass ich in Zweifel ziehe.”

Konnte oder wollte er einfach nicht verstehen? Vermutlich beides. Marbolieb wickelte sich enger in ihre Decke. Sie fror am ganzen Körper, einer Sache, in der auch die Bettpfanne kaum Abhilfe schaffte, und dieses Streitgespräch war nicht das, wie sie den Abend hatte verbringen wollen. Sie wäre mittlerweile froh darüber gewesen, einfach zu Bett zu gehen und schlafen zu dürfen. Natürlich verstand er als Zwerg viele Dinge des Zwölfgötterglaubens nicht - aber das hinderte ihn keinesfalls daran, über alles zu urteilen und was er sah, zu zerpflücken - ohne sich aber die Mühe zu machen, mehr dahinter zu begreifen. Männer! Und davon noch ein ganz unerreicht dickschädeliges und stures Exemplar!

“Die Götter interessiert es nicht, in welchem Bett ich liege, Dwarosch.” Ihre Stimme verriet Unverständnis. Wie kam er auf diese Idee? Abgesehen davon, dass diese Frage nie von Interesse gewesen war. “Eine dauerhafte Verbindung von Mann und Frau, die Gründung einer Familie im Zwölfgötterglauben, ist immer ein Travienbund. Ein Schwertbund oder ein Rahjabund mag zwei Menschen auf bestimmte Zeit oder für ein bestimmtes Ziel zusammenführen, ist aber keine Gründung einer göttergesegneten Familie. Das ist der Bereich der Gütigen.” Leise und sanft war ihre Stimme, geübt darin, leise und sanft zu sein und nicht zu verraten, was sie dabei dachte. “Travia vereint Mann und Frau zu einer Familie und macht aus einem Haus ein Heim unter ihrem Schutz. Sie steht für Treue und Vertrauen. Liebe ist nur ein geringer Teil davon.” Was war Liebe? Ebenso schwer zu erklären wie Zeit und Tod. Ebenso gewaltig. Ebenso flüchtig. Sie seufzte tief. “Ich wärme gerne Dein Bett, Dwarosch. Ich verlange nicht mehr.”

Mit einem erneuten, tiefen Seufzer ließ sich Dwarosch zur Seite, auf den Rücken fallen. Auch die letzte Erklärung war ins Leere gelaufen, hatte Marbolieb nicht erreicht, oder besser ausgedrückt, war von ihr so ausgelegt worden, wie sie eben nicht gemeint war. Eine Sache, die im Umgang mit Frauen relativ häufig geschah. Dennoch war der Oberst noch nicht bereit die Waffen zu strecken, auch wenn er zugegebenermaßen kurz davor stand zu kapitulieren. "Nur damit ich es richtig verstehe", rekapitulierte Dwarosch  nun nüchtern und ruhig - auch wenn es ihm schwer fiel. Mit Gefühlen war er nicht weitergekommen, also wählte er eine andere Taktik. Vielleicht ließ sich ihr Standpunkt aufweichen, oder zumindest soweit klarstellen, dass er ihn verstand. Das wäre auch ein Gewinn.

"Du bist der Ansicht, dass jeder vor Travia geschlossene Bund, ist er auch von den Familien arrangiert und gegen den Willen der Vermählten IHREN Segen hat, mehr noch, dass den Segen auch einschließt, dass der Mann sich sein 'Recht' in der Ehe mit Gewalt nimmt und das diese Art Bindung vor der Göttin mehr gilt als die unsrige?”

Warum nur konnte Dwarosch diesen Punkt nicht einfach auf sich beruhen lassen und musste immer wieder weitermachen? Marbolieb benötigte einige Zeit, ehe sie zu einer Antwort ansetzte (und sich gewiss sein konnte, dass ihre Stimme nicht wanken würde). “Unsere Verbindung ist vor den Göttern gar nichts, Dwarosch. Es ist kein Bund vor irgendeinem Gott. Und Travia wird einer Ehe, in der es so zugeht, wie Du es sagst, ganz sicher ihr Wohlgefallen entziehen.” flüsterte sie. Marbolieb holte tief Luft und kämpfte gegen das Zittern, dass sich ungefragt in ihre Worte schleichen wollte. “Es wird dich nie betreffen - du bist nicht initiiert, und du wirst nie einen Bund vor den Zwölfen schließen können.” Sie drehte sich weg von dem Oberst, zog die Decke enger um ihre Schultern und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. “Lass’ es doch endlich gut sein.” flehte sie mit erstickter Stimme, während sie fühlte, wie ihre Augen nass wurden. Warum musste er sie ausgerechnet jetzt damit heimsuchen? Was wollte er damit von ihr? Es war tief in der Nacht, sie war erbärmlich müde und kalt bis auf die Knochen - und von jedem Gedanken, der mehr bedeutet hätte als ein ruhiges Bett, hatte sie sich schon vor Stunden verabschiedet. Die Geweihte schniefte und hoffte, dass das Kissen das Geräusch schlucken würde.

Dwarosch schüttelte den Kopf und unterdrückte dabei das Bedürfnis erneut zu seufzen. Das, was Marbolieb gesagt hatte, stellte alles in Frage und machte unzweifelhaft klar, wo ihr Standpunkt war. Sie hatte seine Frage beantwortet und zwar mit einem eindeutigen ja. Diese Erkenntnis schmerzte, denn er liebte sie. ‘Unsere Verbindung ist vor den Göttern gar nichts.’ Das tat weh! Wieder und wieder wiederholte er diesen Satz im Geiste, doch es änderte nichts am Ergebnis, dem das daraus resultierte. Marboliebs Meinung von ihrer Bindung war gering, sie war nichts in ihren Augen, denn sie bemaß ihren ‘Wert’ nur danach, welchen Stellenwert sie für die Götter haben mochte.

Dwarosch selbst war allein der Gedanke ihrer Bindung einen ‘Wert’ beizumessen zuwider, mehr noch aber diese in Verbindung mit den Göttern zu setzen. Dies ging die Unsterblichen nun wahrlich nichts an. Nach Ansicht des Zwergen nahmen sich die Götterdiener in dieser Hinsicht viel zu wichtig. Den Segen den sie spendeten konnte nach seiner Meinung nur eine Art Anempfehlung des Brautpaares an die Gütige sein, denn die Geweihten konnten ja niemals wissen, wie Mann und Frau es daheim mit den Gebote Travias hielten. Travia selbst musste entscheiden, wer ihren wahren Segen erhielt. Das tat sicher kein Sterblicher. Folglich war der reine Segen auch kaum von Bedeutung, wenn dahinter keine gelebten Prinzipien standen. Darüber hinaus war es für Dwarosch unzweifelhaft, dass die Ehe eine Erfindung der Sterblichen war und keineswegs der Göttin selbst. Von diesem Standpunkt aus betrachtet musste jedes Paar, dass nach IHREN Geboten lebte, auch ihr Wohlwollen erlangen, denn bevor die Angroschim den Bund von Feuer und Erz und die Menschen den Bund der Ehe erfunden hatte, gab es Zwerge und wahrscheinlich auch Menschen, die zusammenlebten und dies sicher nicht unglücklicher, nur weil sie keinen Segen von irgendeinem Priester erhalten hatten.  Was hätte Marbolieb wohl auf diese Argumente geantwortet?

Missmutig schloss der Oberst sie Augen und hoffte, dass ihn der Schlaf bald übermannen würde. Eine Hoffnung indes, die sich nicht bestätigen sollte.