Nilsitz Jagd Bankett

Kapitel 18: Das Bankett zur frühen Stund

Das Bankett zur frühen Stund

Einige Wassermaß später, es war schon spät in der Nacht und man hatte sich längst wieder in der großen Halle eingefunden, stieg Borindarax von Nilsitz noch einmal auf seinen Stuhl und breitete die Arme aus, um die Aufmerksamkeit seiner Gäste auf sich zu ziehen und für Ruhe zu sorgen. “Wen von euch keine Verpflichtungen in der Heimat erwarten, der sei hiermit herzlich eingeladen, mich nach Senalosch zu begleiten. Das Isenhager Donnergrollen beginnt schon übermorgen. 

Seid auch in der Hauptstadt des Bergkönigreiches Eisenwald meine Gäste. Der Rogmarog von Isnatosch, mein Großvater, wird den Feierlichkeiten ebenfalls beiwohnen. Einige von euch, diejenigen, die am Schwertzug gen Mendena beteiligt waren, haben bereits eine persönliche Einladung von seiner Ehrwürden Metenax Einhand, oder dem Sohn des Dwalin, dem Oberst Ingerimms Hammers erhalten, denn wir feiern am 10. Ingerimm nicht nur das Donnergrollen, sondern wollen einen Veteranentag begehen.  Im neuen Kortempel der Stadt wurde ein Kriegsdenkmal errichtet, an dem wir den Gefallenen gedenken wollen.

Mein Haus wird nicht allen Gästen Platz bieten können, doch die Kaserne des Tempels ist geräumig, so dass alle Unterkunft finden können." Kurz hielt Borax inne und ließ seinen Zuhörern Zeit nachzudenken, ob sie es in Erwägung ziehen konnten, nach Senalosch zu reisen oder nicht.  ‘Mal wieder nach Senalosch, wäre ja auch nicht schlecht mal wieder bei meinem Sohn vorbei zu schauen’ schoss es Borix durch den Kopf als der Vogt die Einladung ausgesprochen hatte. ‘Andererseits erwarten mich Verpflichtungen und nicht nur das Murla wartet auch auf mich.’ Hin und her gerissen wohin ihn seine Reise von hier aus führen wird, wandte er sich an Tharnax. “Was meinst Du wollen wir zusammen nach Senalosch?” "Unbedingt alter Freund", entgegnete Tharnax voller Enthusiasmus. "Die Hämmer von Arxozim haben unseren Zyklopen hoffentlich schon funktionstüchtig aufgebaut. Ich gedenke auch dieses Jahr am Zielschießen teilzunehmen. Der 'Orkfresser' hat schließlich seinen guten Ruf zu verlieren.  Außerdem", der Koscher senkte etwas die Stimme, so dass nur Borix ihn hören konnte, "will ich Topaxandrina, der Haushälterin Borindaraxs meine Aufwartung machen. " “Na, das wird doch nicht was Ernstes?” fragte Borix augenzwinkernd. “Willst Du etwa doch noch ein gemütliches Leben führen? Also machen wir das, reisen wir mit nach Senalosch!”

‘Dann werde ich wohl Murla einen Brief schreiben müssen, dass ich wohl ein wenig später nach Hause komme …’ Tharnax seufzte und zuckte mit den Schultern. "Topaxandrina ist schon lange alleinstehend und besitzt gleich mehrere Verehrer. Ich glaube nicht daran, dass ausgerechnet ich eine Chance habe sie für mich zu gewinnen. Dennoch ist es meiner Meinung nach einen Versuch  wert. Sie besitzt ein sehr gutmütigen Wesen, naja für ein Frauenzimmer. Ihr Äußeren und ihre Rundungen schüren selbst mein inneres Feuer noch zu solch einer Hitze, dass man darin Eisen verhütten könnte. Und sie kann  kochen Borix, ich glaube ähnlich gut wie deine Murla." “Tja, Murla”, sinnierte Borix, “die kann schon gut kochen, aber wenn ich ihr nicht morgen eine Nachricht schicke, dass ich nicht gleich nach Hause komme, dann wird sie kochen aber hauptsächlich vor Wut! Egal, was morgen ist, heute wird gefeiert. Gib’ mir Deinen Humpen, ich hole noch mal zwei!” Herzhaft lachend übergab Tharnax seinem Freund das Gefäß und beobachtete, wie er sich infolge seinen Weg durch die dichtbevölkerte Halle zum Bierausschank bahnte. 

"Aber dies ist mitnichten die einzige Einladung, die ich hier und heute aussprechen möchte", hob Borax dann noch einmal zu reden an. "Im kommendem Jahr wird es im Mond des Allvaters in Senalosch ein Turnier geben." Der Vogt ließ die Worte wirken. Ein Raunen ging durch die Halle. Viele der Anwesenden Angroschim warfen sich irritierte Blicke zu.  Borindarax ignorierte die entstehende Unruhe und fuhr unbeirrt fort. "Es wird kein übliches Turnier sein, worin sich nur die Ritter messen. Nein, das wäre unpassend, denn wir Angroschim treten nicht mit Holzlatten in Händen und auf gerüsteten Ungetümen sitzend gegeneinander an, oder?"  Eine rhetorische Frage, die wegen ihres Vergleiches zu Gelächter führte bei manchem der Zwerge.  "Es wird Wettkämpfe geben, die dazu geeignet sind, dass sich sowohl Ritter, Krieger, Soldaten, ebenso aber auch Gemeine beider Rassen miteinander messen können, dem Publikum zum Gefallen." Jetzt hatte Borax seine Zuschauer überzeugt, viele nickten, andere prosteten ihm zu. Er jedoch hatte immer noch nicht alles gesagt.  "Und am Ende, so war meine Überlegung, gibt es großes Gestampfe aller Teilnehmer gegen das Banner der in Senalosch stationierten Garde des Oberst der Eisenwalder. Das heißt, wenn dieser damit einverstanden ist."

Viele Blicke wanderten zu jenem Platz, an dem noch am Vorabend der Sohn des Dwalin gesessen hatte. Doch auf seinem Stuhl saß ein anderer. Es war Andragrimm, der Sohn des Arborax, Dwaroschs bester Krieger, sein Primus, wie er selbst ihn nannte.  Der durch seine Taten bei der Erstürmung Mendenas in den Städten des Herzogtums berühmt gewordene Zwerg überlegte nicht lange und erhob seinen Krug in Richtung des Vogtes.  "Wir werden kämpfen, als verteidigten wir die Mauern Senaloschs - die Mauern der letzten Festung", willigte Andragrimm mit lauter Stimme ein, und das entstehende Johlen und Grölen unter den Zwergen verriet, dass das Ereignis schon jetzt herbeigesehnt wurde.  Lange dauerte es, bis der Tumult sich legte und der Vogt mit zufriedenem Lächeln in die Hände klatschte. “Das Bankett sei eröffnet.”

Auf zur Mahlzeit

Shanija von Rabenstein hatte dezent, aber unerbittlich, für einen Sitzplatz in der Nähe der Ambelmunder gesorgt.  Sie wandte sich zu den beiden Paginnen, die hinter dem Stuhl ihres Mannes standen, und ließ sich zwei Becher von ihrem eigenen Wein einschenken, ehe sie sich zu Wunnemine wandte. “Es stand noch eine Einladung aus, Euer Hochgeboren. Wollt ihr mit mir auf die Jagd und die Erfolge anstoßen?” 

“Wie aufmerksam von Euch, uns Plätze bei Euch zu sichern - habt vielen Dank, Euer Hochgeboren! Ich habe mich bereits darauf gefreut, mit Euch anzustoßen!” gesellte sich Wunnemine zu Shanija von Rabenstein. “Auf die Jagd, die reiche Beute und einen Abend in wunderbarer Gesellschaft! mmmh, ein wunderbarer Tropfen, muss ich sagen!” Auch Leodegar hob einen Becher, der allerdings noch mit einem hiesigen Wein befüllt war und nickte ergeben in Richtung Shanijas: “Auf die Jagd. Aber auch auf die Annehmlichkeiten der Jagdhütte. Ich hoffe, Ihr hattet trotz der meinerseits bedauerten Störung weiterhin einen schönen Tag!” versuchte er die peinliche Situation vom Tage, nun da alle gleichermaßen sittsam bekleidet waren, gänzlich auszuräumen. Wunnemine hob die Brauen ob der merkwürdigen Verlautbarung ihres Vogts und sah von Leodegar zu Shanija. Shanija prostete zuerst Wunnemine zu, zufrieden, dass die Standeskollegin ihr Angebot angenommen hatte. Ihr Gemahl neben ihr war es zufrieden, mit wachem Auge das Durcheinander der Halle zu mustern und gelegentlich einen Schluck aus seinem Becher zu trinken, wohl wissend, dass ihn kaum jemand aus eigenem Antrieb ansprechen würde. Bei Leodegars Worten indes hob er gleichfalls eine Augenbraue und musterte den jungen Vogt mit einem scharfen, abschätzenden Blick, der nicht besagte, ihn vorschnell aus seiner Aufmerksamkeit zu entlassen. Shanija betrachtete den Vogt neugierig. “Ihr solltet künftig etwas vorsichtiger damit sein, in Badehäuser zu stolpern, Herr Vogt.” gab sie schließlich zur Antwort, was dem Blick ihres Gatten auf Leodegar jäh die Qualität eines schlanken, scharfen Dolches verlieht. “Wie Recht Ihr habt, Hochgeboren! Allein meine Unkenntnis der Örtlichkeit in Verbindung mit dem ritterlichen Willen, ein verschwundenes Kind aufzufinden und seiner Mutter zuzuführen, führten zu dieser unglücklichen Verkettung von Umständen, deren Resultat ich nach wie vor zutiefst bedaure.” Dabei verneigte sich Leodegar kurz vor der Baronsgemahlin. “Doch seid versichert, dass sich mein Blick sogleich sittsam von der Szenerie abwandte und ich meinen Augen keineswegs gestattete, aus der unglücklichen Situation Gewinn zu ziehen.”  Wunnemines gehobene Brauen hatten sich inzwischen gesenkt und die Augen sogar kurz zu Schlitzen verengt. In was war Leodegar da reingetappt? Sowas sah im eigentlich gar nicht ähnlich. Sie schielte weiter in Richtung des Rabensteiners, der nicht minder… aufmerksam war ein zu schwaches Wort… dem Gespräch folgte.

“Ich hoffe, ich konnte wenigstens einen kleinen Teil meiner Schuld abtragen,” versuchte Leodegar das Gespräch in Richtungen zu lenken, die ein besseres Licht auf ihn warfen, “in dem ich mein Scherflein dazu beitrug, Ihrer Gnaden Marbolieb, die aus Eurem Gefolge stammt, war das nicht so?, aus einer äußerst unglückseligen Situation zu helfen. Wisst Ihr, wie es der Geweihten inzwischen geht?” “Was ist Ihrer Gnaden denn zugestoßen?” fragte Wunnemine, aufrichtig besorgt. Der Rabensteiner hob  eine Augenbraue und blickte zwischen seiner Gemahlin, Wunnemine und Leodegar hin und her. “Wir sprechen später darüber, Hochgeboren.” bemerkte er zu seiner Gemahlin, während er abermals den unglückseligen Vogt fixierte.

“Sie gehört nicht mehr zu unserem Gefolge.” Beschied er den armen Tropf, der allein aus diesen Worte einen Hauch eines Ausweges erahnen mochte. “Doch was ist mit ihr Geschehen?” verlangte er zu wissen. “Ich war im Bad.” Gleichfalls neugierig richtete sich Shanijas Aufmerksamkeit auf den Vogt. “Doch ich habe gehört, dass es draußen Unruhe gab.” “Nach allem was ich vernommen habe, wurde Ihrer Gnaden durch das Einwirken eines Söldlings, der sich im Gefolge derer von Altenberg befand, das Gewand vom Leibe gerissen.” Leodegar machte eine gemessene Pause, in der er die Reaktion der beiden Rabensteiner abwartete. Da vor allem die Regungen des Barons zunächst weiter unterkühlt auf ihn wirkten, fuhr er rasch mit seinem Bericht fort: “Gemeinsam mit der Zofe der Baronin von Rickenhausen und einer Waffenmagd seiner Gnaden von Wasserthal fand ich sie am Boden zerstört im Treppenhaus des Jagdhauses. Der Wüstling war zwar bereits durch die Angroschim ergriffen und abgeführt, doch die Boroni in einer noch immer ausgesprochen misslichen und unschicklichen Lage, obendrein bereits der Ohnmacht nahe, in die sie wenig später fiel. Wir, also besser gesagt, die beiden Damen, selbstverständlich,” sein Blick suchte dabei beteuernd den des Rabensteiners, “halfen, Ihre Gnaden in ein der Baronin von Rickenhausen entliehenes Kleid zu gewanden, und ich trug sie anschließend, angemessen verhüllt, bis nahe ihres Zeltes, wo ihr schließlich vom jungen Herrn von Altenberg auch ihr Kind wieder zugeführt werden konnte.”

“Welch schreckliche Geschehnisse!” warf Wunnemine zunächst in einer Bestürzung ein, die sich rasch grimmig wendete. “Was für ein Schwein, das sich an einer blinden Götterdienerin vergreift! Und das am helllichten Tag  hier im Jagdhaus! Sollen ihn die Zwerge nur hart dafür bestrafen! Ich hoffe nur inständig, dass sich Ihre Gnaden rasch wieder von alldem erholt.” Wenn sie sich doch nur bei der Geweihten revanchieren könnte.  Die Hand der Ambelmunderin berührte den Unterarm ihres Vogtes, und sie sagte, zu diesem gerichtet, jedoch zu Lucrann von Rabenstein gemeint: “Ihr habt gut daran getan, Ihrer Gnaden behilflich zu sein!” Auch wenn er ihr später unter vier Augen zu erklären hatte, was genau vorgefallen war. Im Badehaus, aber auch sonst.

Der alte Baron warf beiden einen undeutbaren Blick zu, ehe er nach seinem Weinkelch griff und einen Schluck trank. Offensichtlich war der Vorfall für ihn damit abgeschlossen. “Die Arme!” entrüstete sich Shanija. “Ich hoffe, dass es ihr bald wieder besser geht.” Sie wandte sich an den Vogt. “Sagt, war sie körperlich verletzt?” “Ich kann es Euch nicht sagen - mir schien sie vor allem verschreckt und in der Seele getroffen, doch ob sich hinter ihrem Schmerz nicht auch noch eine körperliche Wunde verborgen hat ...? Jedenfalls wirkte sie - zumindest äußerlich - nicht schwerer am Leibe verletzt. Und mir ist bislang auch nichts dergleichen zu Ohren gekommen.” Leodegar sah für einen kurzen Augenblick an Shanija vorbei, und eine Geste des Erkennens blitzte auf. “Ah, da sehe ich die besagte Zofe der Baronin von Rickenhausen. Diese weilte noch etwas länger bei Ihrer Gnaden Marbolieb. Wenn Ihr entschuldigt, gehe ich direkt zu ihr und erkundige mich, ob sie näheres zum Befinden der Geweihten weiß. Ich weiß Euch dann hoffentlich sogleich Genaueres zu berichten.” Außerdem trieb ihn, so unwichtig dies auch erschien - ein wenig die Neugier, wie die “Kleidaffäre” am Ende ausgegangen war. Auch wenn er dies den Rabensteinern und Wunnemine gegenüber besser nicht erwähnte. Shanijas Augenbrauen schossen nach oben, als der Vogt sich ob der Zofe zu empfehlen gedachte, doch sie entließ ihn kommentarlos mit einem Nicken. “Es freut mich, dass Ihre Gnaden wohl zumindest körperlich unversehrt ist.” wandte sie sich an Wunnemine. “Was ist das für eine Welt, in der auf einer Feier eine Geweihte der Zwölfe angegriffen wird.” 

Ihr Gemahl beantwortete diese Aussage mit einem verächtlichen Schnaufen - Einen Angriff auf seine Person hätte ihn nicht überrascht, wäre von ihm aber als Pech für den Attentäter klassifiziert worden. “Ich bin mir gewiss, dass die Leute des Nilsitzers die Sache bereinigen werden.” warf der Baron ein. Dies nicht zu tun, hätte der Vogt sich angesichts seiner in Menge anwesenden Standeskollegen auch gar nicht leisten können. Marbolieb selbst hatte sich für ihren Aufenthalt in Senalosch entschieden und sich damit in den Haushalt des Nilsitzer Vogtes begeben - damit war dies seine eigene Angelegenheit nicht mehr, zumindest, solange sein Nachbar einigermaßen die Kontrolle über sein Lehen demonstrierte. “Sagt, habt ihr einen Hofpriester?” wandte sich Shanija neugierig an ihre Standeskollegin. “Und wenn ja - welchem Kult  gehört er an?” “Ich unterhalte einen kleinen, der Herrin Rondra geweihten Schrein in meiner Burgkapelle, derzeit weilt dort jedoch kein eigener Hofpriester.” musste Wunnemine eingestehen. Genau genommen weilte dort schon sehr lange, länger als sie sich erinnern konnte, kein Geweihter mehr. “Allerdings findet sich die im Rondratempel zu Ambelmund ansässige Geweihte, Theodara  heißt sie, regelmäßig zu Andachten an meinem Hofe ein. In der Stadt gibt es auch noch einen dem Herrn Praios und einen dem launischen Efferd geweihten Tempel. Und Ihr? Sicher wird bei Euch vor allem Boron gehuldigt - übernimmt Euer Gemahl selbst die sakralen Aufgaben?”

“Selten.” mischte sich der Gegenstand von Wunnemines Überlegungen ein. “Dafür habe ich meine Geweihten in Calmir und zwei anderen meiner Dörfer.” Was allerdings Geweihte der Travia, Peraine und, im Fall von Rossol, Ingerimm waren. Er betrachtete Wunnemine mit ruhigem Blick. “Plant ihr, Euch eine neue Geweihte an den Hof zu holen?” “Und wird dies wieder eine Rondrageweihte?” wollte Shanija neugierig wissen. “Ich hoffe, dass sie euch länger erhalten bleibt, als uns unsere Boroni. Ich hoffe wirklich, dass der Vogt für Gerechtigkeit sorgt.” “Er sollte den Kerl aufhängen.” Der Baron war kein Freund von viel Federlesens. “Es war ein Angriff auf eine Geweihte - dafür gibt es nur eine Strafe.”  Entspannt lehnte sich der Baron zurück, trank einen Schluck des mehr als akzeptablen Weins - der in seinem Gepäck hierher gereist war - und überließ wieder den beiden Damen das Gespräch. “Hängen soll das Schwein, da habt Ihr vollkommen Recht - unverzeihlich bereits, über eine wehrlose Frau herzufallen, und noch mehr, sich an einer Dienerin der Zwölfe zu vergreifen. Mir ist nur unverständlich, wie ein Mensch, nein eine Bestie in Menschengestalt so niederträchtig und feige sein kann und gleichzeitig so wahnwitzig, dies auf einem Fest wie diesem am helllichten Tage zu tun. Hätte ich ihn in flagranti erwischt, bräuchte es kein Seil mehr, fürchte ich…” Wunnemine schnaufte kurz durch - sie wollte sich nicht weiter in Rage reden. “Sicher wird er die ihm zustehende Strafe erhalten.” 

Nachdem sie einen Schluck des Weins zu sich genommen hatte, griff sie das vorangegangene Thema wieder auf: “Was Eure Frage angeht - gerade verfolge ich dringendere Ziele, als kurzfristig eine Geweihte an den Hof zu holen. Mittelfristig wünsche ich mir dies aber sehr wohl. Eine Dienerin der Rondra läge in der Tat am nächsten…” Wunnemine machte eine kurze Pause. Vielleicht sollte sie eher einen Geweihten des Phex gewinnen, auf dass sein Segen ihr mehr Glück bei den geschäftlichen Dingen schenkte als zuletzt. Sie verschwieg, dass ein eigener Hofgeweihter derzeit nicht nur, aber auch eine Kostenfrage war… Die Lösung ihrer diesbezüglichen Probleme lag aber wohl eher in der Göttin Travia. Als Oberhaupt eines Baronshaus hatte sie hier noch Handlungsoptionen.

“Darf ich neugierig fragen, Euer Hochgeboren, was Eure einstige Boroni von Eurem Hofe fortlockte? War es der Ruf ihrer Kirche?” Der alte Baron schüttelte den Kopf. “Sie wurde vorletzten Winter entführt - von einer Paktiererin der Widersacherin Borons. Zwei der Golgariten aus Isenbrück und Oberst Dwarosch erfuhren zufällig davon und schafften es, die Paktiererin zu besiegen und Ihre Gnaden zu befreien. Der Oberst nahm sie mit sich nach Senalosch und bat mich, sie für einige Zeit dort zu belassen.” Der Rabensteiner schwieg einige Atemzüge lang. “Ich befand mich zu dieser Zeit in Punin.” Und hatte die Weihe erhalten - wenig war ohne Preis.

“Dann scheint die Rückkehr Eurer Hofgeweihten ja wenigstens gesichert - wann beabsichtigt Ihr sie zurückrufen?” Wunnemine erinnerte sich noch einmal an die zurückliegende Nacht zurück und die Linderung, die Marbolieb ihr verschafft hatte. “Es ist jedenfalls ein Segen, dass sie durch das Wirken der Paktiererin nicht viel zu früh zu Boron gerufen wurde, sondern noch immer ihr segensreiches Werk hier auf Dere verrichten kann. Wisst Ihr, warum jene Buhle der Niederhöllen es auf Ihre Gnaden abgesehen hatte?”

“Ich vermute, dass ihre Gnaden im Sommer vor zwei Jahren zum ersten Mal mit der Unseligen in Kontakt geriet - sie berichtete mir, dass sie zusammen mit dem Oberst zwei untote Menschen und einige untote Tiere aufstöbern und unschädlich zu machen vermochte. Die Urheberin dieser Unsäglichlichkeiten blieb im Dunkeln - und scheint im darauffolgenden Winter ihrerseits nach meiner Geweihten gegriffen zu haben.” Er schwieg, unzufrieden damit, dass er damals nicht vor Ort gewesen war.  “Ich erwarte, dass sie im Herbst ihren Dienst aufnimmt.” Setzte er knapp hinzu.

“Nun, nach dann bald zwei Götterläufen der Erholung könnten die Wunden, die diese Ereignisse geschlagen haben, geschlossen sein - zumindest wirkt Eure Geweihte wieder als fähige Seelsorgerin.” So sicher war sich Wunnemine allerdings aus eigener Erfahrung nicht, was dies anging - aber vielleicht schenkte Boron den Seelen der Seinen das ‘Heilfleisch’, das Rondra oder Peraine den Körpern derer gewährte, die die Narben vieler Schlachten trugen und noch immer zu Felde ziehen konnten.  “Ist denn aus den Berichten Ihrer Gnaden oder ihrer Retter gesichert, dass sich diese Umtriebe auf jene eine Paktiererin beschränkten? Und nicht etwas ein größerer Zirkel dahinter steckt?”

“Ich bezweifele einen Zirkel. Die Golgariten und der Oberst haben eine Dämonenbeschwörung unterbrochen und sämtliche Beteiligten unschädlich gemacht. Es ist zumindest äußerst unwahrscheinlich, dass es sich um eine Gruppe handelte, von der nur Teile bei der Anrufung zugegen waren.” Der Baron musterte mit finsterem Blick seinen Weinkelch, der harmlos und vermeintlich unschuldig auf seinem Tisch vor ihm stand. Die Pagin hinter ihm beugte sich vor, um herauszufinden, ob das Stirnrunzeln gar ihr galt und sie vielleicht vergessen hätte, rechtzeitig nachzuschenken.

“Ich könnt davon ausgehen, dass ich die Hinterlassenschaften finden und ausmerzen werde, so es welche gibt.” Er musterte seine Amtskollegin, und was in seinem verbliebenen Auge stand, verhieß nichts Gutes für mögliche Dämonenbündler in seinem Lehen.

Wunnemine hegte nicht den geringsten Zweifel, dass es der Baron ernst damit meinte, alles, was vielleicht von diesem Geschwür übrig geblieben war, auszumerzen. Sie nickte daher nur zu seinen Worten. “Ich kann von Glück reden, dass derartige Machenschaften nicht auch in meiner Baronie um sich greifen!” ‘bislang wenigstens nicht, nicht offen’ fügte sie in Gedanken düster hinzu. “Doch was in den tiefen Wäldern passiert, wie es sie bei uns noch gibt, entzieht sich zuweilen auch dem aufmerksamen Auge. Wir müssen stets wachsam sein, gerade in diesen Zeiten.” Und vielleicht auch das Dickicht lichten, zum Wohle aller... “Wahre Worte.” stimmte der alte Baron zu. “Es zahlt sich aus, wenn Ihr Euch eine ungefähre Ahnung davon verschafft, was in Euren Wäldern vor sich geht. Auch wenn dies leider nicht bedeutet, dass ihr auch sogleich allem habhaft werdet, was da kreucht und fleucht.” Er griff nun doch nach dem Becher, den ihm die Pagin vorsorglich wieder bis zum Rand aufgefüllt hatte. “Doch ist das kein gutes Thema für diese Feier. Oder gibt es etwas, nach dem Ihr fragen wolltet?” “Damit hab Ihr unzweifelhaft Recht - lasst uns den Abend über erfreulichere Dinge sprechen.” Die Baronin von Ambelmund spülte ihre Gedanken zum Tann mit einem kräftigen Schluck hinab.  “Werdet Ihr Borindarax’ Einladung gen Senalosch wahr- und am Veteranentag teilnehmen? Oder ziehen Euch andere Verpflichtungen, in die Heimat oder gen Elenvina?” Der alte Baron nickte. “Ihr ebenso, Hochgeboren?”  Shanija fühlte offenbar Mitleid ob der knappen Ansprache ihres Gemahls, ließ einige Atemzüge lang verstreichen und fügte dann mit einem kleinen Lächeln hinzu. “Die Wege sind nicht weit - von unserer Burg bis Senalosch sind es kaum einmal neun Tage, manchmal auch weniger, wenn das Wetter mitspielt. Von Ambelmund aus werdet ihr sicher mindestens drei Wochen benötigen, nicht wahr?” Ihre Augen blitzten neugierig, als sie hinzufügte. “Auch wenn ich noch niemals Euer Lehen bereist habe, ich mag mich also sehr irren.”

“Wenn Ihr gut zu Ross seid, Witterung und Jahreszeit es gut mit Euch meinen und Ihr nirgends verweilt, könnt Ihr die Strecke auch in etwa zwei Wochen bewältigen. Dazu müsst Ihr aber die Reichstraße III entlang durchs Albernische und dann den großen Fluss hoch. Wollt Ihr alleine in den Nordmarken bleiben, so wie wir auf dem Hinweg, solltet Ihr gen Ambelmund über den Großen Fluss und den Halwartsstieg in der Tat eher mit drei Wochen rechnen. Oder auch mehr, gerade im oder kurz nach dem Winter. Von meinem Lehen aus kommend spart Ihr dagegen einige Tage. Ich werde daher - da ich ich bereits hier bin - auf jeden Fall weiter gen Senalosch ziehen.” Wunnemine grinste einen kurzen Augenblick grimmig in sich hinein, als sie an die politischen Themen dachte, die sie über den Veteranentag hinaus dorthin zogen.  Dann wurde ihr Blick aber, Shanija zugewandt, weicher: “Ich würde mich freuen, wenn Ihr trotz der weiten Strecke Gelegenheit fändet, den Norden unseres Herzogtums und vor allem meine Baronie zu bereisen. Wisst, dass Ihr dort und auf meiner Burg, die über der Mündung der Ambla in den Tommel wacht, immer herzlich willkommen seid, Hochgeboren!”

“Eure Einladung erfreut mich sehr.” Das neugierige Blitzen in Shanijas Augen unterstrich noch ihre Worte. “Es ist mir eine Ehre, dieser nachzukommen, Hochgeboren. Am besten einmal im Sommer - die Winter hier in den Nordmarken sind keine Zeit, in der man reisen sollte. Aber wenn ihr ebenfalls nach Senalosch reist - vielleicht mögt ihr es einrichten, auf dem Rückweg einen kurzen Besuch in Rabenstein zu machen? Weit wird die Strecke nicht mehr sein - und im Sommer kommt ihr auch auf der Via Ferra sehr kommod nach Elenvina zurück.” Sie lächelte hoffnungsvoll - die letzte Einladung eines Standeskollegen auf der Burg ihres Gemahls war schon wieder eine ganze Weile her. Wunnemine zögerte nicht lange. “Habt Dank für die Einladung - sehr gerne nehme ich diese an und sehe mit Freude dem Abstecher nach Rabenstein entgegen.” Ihr Lächeln sprach über ihre Worte hinausgehende Bände von deren Aufrichtigkeit. Sie war neugierig, wie das Baronspaar von Rabenstein lebte und residierte, und gespannt auf weitere Gespräche im kleinen Kreis. “Auch wenn ich mich über Euren Besuch eher früher als später freuen würde, kann ich Euer Streben, diesen im Sommer zu realisieren, nur bestätigen. Mag der Winter im Isenhag und um Elenvina bereits beschwerlich und nicht für Reisen geeignet erscheinen, ja die dortigen Hochgebirgswege faktisch unpassierbar machen, so zeigt Firun bei uns bereits in deutlich tieferen Lagen und weit in den Frühling hinein sein unbarmherziges Antlitz. Besonders ans Herz legen als Reisezeit kann ich Euch den späten Rondra, so dass Ihr zu Anfang Efferd in Ambelmund weilt. Dann kann nicht nur ich Euch mit offenen Armen auf meiner Burg empfangen, sondern es wartet auch das schönste Fest des Jahres mit reichlich Kurzweil auf Euch.” “Habt Dank für Eure Einladung.” Brachte sich der Baron wieder in das Gespräch der beiden Damen ein. “Ich bin mir sicher, dass wir dieser bei Gelegenheit nachkommen werden.” Shanijas Miene vereiste einen halben Lidschlag lang angesichts dieser höflichen Unbestimmtheit.

“Sagt, Hochgeboren, um welches Fest handelt es sich dabei?” “Das jährliche Fest des Tempels des Launenhaften, der sich im Wesentlichen für das liturgische Zeremoniell verantwortlich zeigt. Ich habe die Ehre der Schirmherrschaft über die weltlichen Freuden drumherum, auf dass den Feierlichkeiten ein angemessener Rahmen gegeben sei. Es wird wohl der größte Jahrmarkt im nördlichen Gratenfels sein, möchte ich meinen, mit einer langen Tradition, an dem nicht nur eine bunte Warenpalette feilgeboten wird und Gaukler für Unterhaltung sorgen, nein, ich werde auch wieder ein Turnier ausrichten.” warb Wunnemine für gewissermaßen auch ihr Fest. “Überlegt es Euch, wie gesagt, ich würde mich sehr freuen!” “Wir werden es uns überlegen.” blieb der Baron hart, den mühsam beherrschten Gesichtsausdruck seiner Gemahlin vorgeblich nicht bemerkend. “Es ist gewiss eine sehr wechselhafte, kurzweilige Feier, wenn sie dem Launischen gewidmet ist. Ihr solltet uns bei Eurem Besuch auf der Rabenstein mehr darüber berichten.”

“Das werde ich sehr gerne tun - und Euch hoffentlich überzeugen, dass es sich lohnt, Euch bereits diesen Spätsommer auf den Weg gen Ambelmund zu machen!” Wunnemine blickte von Lucrann zu Shanija und wieder zurück. “Sagt, wie steht Ihr eigentlich zum Tjost? Seid Ihr diesem ebenso zugeneigt wie dem Übungszweikampf zu Fuß und mit dem Rapier?” “Vor einem Dutzend Götterläufen hätte ich Euch dies bejaht, Hochgeboren.” Fast wollte sich ein Schmunzeln in die Züge des Freiherrn verirren. “Doch inzwischen ist es Zeit, die Tjostbahn den Jüngeren zu überlassen. Doch wie steht es bei Euch? Bereitet Euch ein Lanzengang Vergnügen?” “Durchaus, sehr sogar!” bejahte die Baronin. “Auch wenn mir die Teilnahme an meiner eigenen Turney als Schirmherrin natürlich verwehrt bleiben wird, habe ich doch über selbige zu wachen und am Ende den Sieger zu kränzen. Da es ansonsten nicht so viele Anlässe zum Tjost gibt, vor allem nicht im Norden unseres Herzogtums, ist dieser auch für mich leider ein seltenes Vergnügen, das noch dazu meist nur auf dem Übungsplatz stattfindet. Seid Ihr denn auf größeren Turnieren geritten?”  “Hin und wieder.” Der Baron unterdrückte fast ein Schmunzeln. “Ich habe meine Farben beim Kaiserturnier vorletzten Götterlauf gezeigt, und bei einigen Turneien in der Herzogenstadt.” Er betrachtete seine Standeskollegin sinnend. “Plant Ihr, bei der nächsten Herzogenturnei anzutreten?” Alle vier Götterläufe, jeweils zum Tsatag des Herzogs fanden diese statt - die nächste war in drei Jahren zu erwarten. “Bis dahin ist es noch weit, und wer weiß, mit welch dringlicheren Aufgaben uns die Götter in jenen Tagen betrauen werden…” Das nächste Turnier lag noch fern in der Zukunft. Sicher würde aber auch dies eine gute Gelegenheit sein, politische Bande zu knüpfen oder zu vertiefen. Und dazu eine sehr kurzweilige. “Doch wenn meine Pflichten dies zulassen, werde ich gerne dabei sein. Werdet auch Ihr noch einmal eine Teilnahme ins Auge fassen? Oder überlasst Ihr es Eurer Tochter und Ihrem zukünftigen Gemahl, Eure Farben zu zeigen und den Ruhm Eures Hauses zu mehren?”

“Ich bin zu alt für diese Art Spiel, Hochgeboren.” Die dunkle Stimme des Boronis war ruhig und gelassen. “Es sind traurige Wesen, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen und wissen, wann derlei Lustbarkeit den Jüngeren zu überlassen ist.” Das verbliebene Auge des alten Freiherrn ruhte indes unerbittlich auf der Ambelmunderin. Ohnedies war die Tjosterei eine Kurzweil, auf die er gut zu verzichten vermochte - zwar hatte sie ihre Reize, doch die Jahre hatten ihn mit genug Werkzeug versehen, um seine Sträuße anderweitig auszufechten - auf nicht minder vergnügliche Weise, insbesondere, wenn es gegen seine alte Nemesis, den Hungersteger, ging. Oder gegen seinen alten Zechkumpan, den Herrn von Aschenfeld. Mit den Jahren war die Zahl seiner Weggefährten geschwunden - aber zu Nichts geworden war sie nicht. “Aufgrund Eures Alters bringt Ihr doch viel mehr an Erfahrung mit auf die Bahn als die meisten anderen,  Hochgeboren.” gab Wunnemine zu bedenken. “Ich bin mir sicher, Ihr könntet noch mit weit Jüngeren konkurrieren. Alleine Peraines heilende Kraft wohnt nicht mehr im selben Maße im reiferen Körper - insofern kann ich Eure Haltung dennoch nachvollziehen.” Manchmal fragte sie sich zwar, ob es nicht besser wäre, im Kampf oder gar im Tjost zu versterben als alt und gebrechlich am Leben selbst zugrunde zu gehen. Aber nein - in einem Spiel den Tod zu finden, würde ein Leben nicht vollenden. Wenn, dann ehrenvoll im Kampf für eine gerechte Sache… nicht um einen eitlen Turniersieg… “Das Kämpfen habe ich nicht aufgegeben.” echote der Baron unwissentlich ihre Gedanken. “Dies wird mich noch geraume Zeit begleiten.” Verfolgen wäre der bessere Ausdruck gewesen, doch brachte es wenig, die deutlich jüngere Baronin zu verunsichern. “Ich kann euch versichern, dass mir auch ohne Tjoste keinerlei Langeweile droht.” Der Boroni zwinkerte ihr zu. “Was ist Euer Ziel im Leben, Hochgeboren? Einmal den Siegeskranz im Kaiserturnier zu tragen?”

Was ihr Ziel war im Leben? Diese Frage stellte Wunnemine sich auch - zuletzt immer öfter und drängender. Eine gute Baronin sein, sicherlich. Aber was bedeutete das? Heldenmutig das Reich, das Herzogtum und damit am Ende auch Ambelmund wie eine Leuin zu verteidigen, koste es, was es wolle? Oder ihr Lehen wirtschaftlich besser aufzustellen, worauf Leodegar drängte? Ihrem Haus einen Erben oder eine Erbin bescheren? Wenn letzteres nur so einfach wäre…  “Auf jeden Fall weit mehr, als nur das Kaiserturnier zu gewinnen.” gab sie nur zurück, bevor der Geräuschpegel jäh anschwoll, als zum späten Tanz aufgespielt wurde und sie stutzend ihres Vogtes im Tanze mit der Zofe der Baronin von Rickenhausen gewahr wurde...

Leodegar und Melisande

Leodegar hatte sich indessen hinüber zu Melisande begeben, die sich, wie er jetzt ausmachte, als Begleitung bei Ihrer Herrin aufhielt. “Euer Hochgeboren” verneigte er sich vor der Baronin, um dann Melisande freundlich und mit einem Blitzen in den Augen zuzunicken. Sogleich wandte er sich wieder - wie es sich gehörte - der Baronin von Rickenhausen zu. “Ich hoffe, die Jagd heute ist delektierlich für Euch verlaufen - jedenfalls habt Ihr eine mehr als beeindruckende Beute und eine spannende Geschichte mitgebracht.” stieg er zunächst unverfänglich in das Gespräch ein.  “Ich kann nicht klagen, Euer Wohlgeboren”, antwortete Thalissa mit unverbindlichem Lächeln. Leodegar konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie ein schulterfreies, aufwendiges Kleid in verschiedenen Blautönen passend zu ihrer Augenfarbe trug. “Habt Dank für Eure Worte, leider war unsere Beute  - zu der ich selbst nur einen kleinen Teil beigetragen habe - nicht ausreichend, um zu Jagdkönigen gekürt zu werden.” Die Baronin verlor ihr Lächeln bei diesen Worten nicht, offenbar trauerte sie diesem Titel nicht nach. “Aber sagt, was führt Euch an meinem Tisch abgesehen von Interesse an der Jagd?” Thalissa führte ein kleines Krüglein an die Lippen, dem Vogt fiel auf, dass der Weinkelch an ihrem Platz zwar gefüllt, aber unberührt war. Außerdem fühlte er sich nun intensiv gemustert. Melisande hatte indessen hatte das Nicken des Vogts mit einem Neigen ihres Kopfes erwidert, mischte sich aber natürlich unaufgefordert nicht in das Gespräch der beiden Höherrangigen ein. Immerhin sprach ihr Gesichtsausdruck nicht davon, dass sie unglücklich oder unzufrieden wäre. Bei ganz genauem Hinsehen fiel Leodegar aber eine schwache Röte ihrer Wangen auf, die bei der dunklen Hautfarbe der Zofe kaum zu erkennen war. Leodegar kam nicht umhin, die in ihrer Garderobe umwerfend aussehende Thalissa still zu bewundern. Und einmal mehr zu bedauern, dass Wunnemine ein derart weibliches Auftreten ablehnte. Als ob nicht auch eine Ritterin und gläubige Anhängerin der Leuin ihre rahjagefälligen Reize präsentieren durfte. Wenigstens abseits des Schlachtfelds oder des Übungsplatzes.

”Ihr durchschaut mich - neben dem Interesse an Euren Jagdeindrücken treibt mich auch die Neugier zu Euch und der Dame in Eurem Gefolge, zu welchem Ende ein bestimmtes Geschehnis des heutigen Tages hier im Jagdhaus gekommen ist.” Leodegar warf einen längeren Seitenblick in Richtung Melisandes, wandte sich dann aber wieder der Baronin zu. “Sicher habt Ihr bereits von dem schrecklichen Übergriff auf die Borongeweihte an der Seite des Obersts Dwarosch gehört! Eure Zofe und ich sind in die darauf folgenden Geschehnisse hineingezogen worden, wobei sich Melisande durch ihre Hilfsbereitschaft hervorgetan und Eurem Hofe ausgesprochen zur Ehre gereicht hat, die diesem ohne Zweifel auch gebührt.” “Ihr seid ja offenbar gut über meinen Hof unterrichtet, wenn Ihr wisst, was ihm gebührt”, gab Thalissa mit hintergründigem Lächeln zurück, um dann ernster fortzufahren: “Ja, ich habe von dem Übergriff auf die Boroni gehört und auch von Melisandes uns Eurer Rolle bei dieser Geschichte. Bedauerlicherweise musste ein mir sehr lieb gewesenes Kleid darunter leiden, welches ich diesem Söldner am liebsten in Rechnung stellen würde, aber den Ärger ist es mir dann doch nicht wert. Es freut mich wenigstens, dass Ihr und Melisande helfen konntet.” Trotz des ernsten Gesprächsthemas schien die Baronin entspannter Stimmung zu sein, was sie nicht davon abhielt, den Vogt weiterhin zu taxieren. Sie schwieg abwartend, während Melisande sich um einen neutralen Gesichtsausdruck bemühte. 

”Es tut mir leid, dass Eurer Kleid in die Sache hineingeraten und zu Schaden gekommen ist, aber wenigstens bot es in diesem Moment die von Eurer Zofe treffsicher erkannte Chance, die arme Geweihte sittsam zu gewanden und davor zu bewahren, weiterhin entblößt den Blicken der Umgebung ausgesetzt zu sein.” Wenigstens schien die Baronin ihrer Bediensteten nicht allzu sehr zu grollen, so dass sich sein zuvor ein bisschen schlechtes Gewissen gegenüber Melisande zusehends verflüchtigte. Keineswegs aber die Erinnerung an den verabredeten Tanz an diesem Abend. “Habt Ihr noch mitbekommen, wie es Ihrer Gnaden weiter ergangen ist?” fragte er zunächst jedoch weiter, an beide gerichtet.  “Nun, es lohnt sich nicht, sich wegen Dingen zu grämen, die man nicht mehr ändern kann”, antwortete Thalissa mit einem hintergründigen Lächeln auf den Lippen. “Doch was mit der Boroni hinterher noch geschehen ist, kann ich Euch nicht sagen. Melisande?” wandte sie sich halb um zu ihrer Zofe.

Diese schüttelte den Kopf. “Nein, Euer Wohlgeboren, auch ich kann dem nicht viel hinzufügen. Nachdem wir in ihrem Zelt waren, hat sie sich umgezogen, ich habe das Kleid zurückbekommen und bin dann gegangen. Ich hatte ja schon einiges an Zeit verloren wegen dieser Geschichte, so musste ich mich ein wenig sputen.” Aber auch Melisande machte nicht den Eindruck, im Nachhinein  sonderlich ärgerlich über die Geschichte mit dem Kleid zu sein, auch sie lächelte andeutungsweise.  ”Nun, so scheint sich zumindest etwas am Ende bereits zum Guten gewandt haben - und ich darf mich daran erfreuen, mit Euch beiden hier angenehm parlieren zu können. Ich hoffe, dass die Boroni am Ende des Tages ebenfalls die heutigen Feierlichkeiten wenigstens noch etwas genießen kann.” Leodegar hielt kurz inne, dann lächelte er zuerst Melisande, dann schließlich Thalissa an: “Zum Ende des Tages hin, nachher, falls wieder die Musik aufspielt, so gestehe ich bereits jetzt freimütig, muss ich Euch wahrscheinlich  bitten, wenigstens für einen Tanz auf die Dienste und die Gesellschaft Eurer Zofe zu verzichten, damit wir unsere in den Wirrungen des heutigen Tages auf Euer Kleid gegebene entsprechende Verabredung einhalten können. Ich würde mich sehr freuen, wenn dies auf Euer Einverständnis stieße.”

Die Baronin hob eine Augenbraue und warf Melisande einen schnellen Blick zu, was diese noch ein wenig mehr erröten ließ. “Hm …”, sinnierte Thalissa, der ein Gedanke gekommen war. “Nun, ich könnte mich vielleicht tatsächlich dazu hinreißen lassen, auf die wertvollen Dienste meiner geschätzten Melisande für einen oder zwei Tänze zu verzichten - wenn Ihr mir eine kleine Gefälligkeit erweist, Wohlgeboren.” Die Baronin lächelte und machte eine kurze Pause, um ihre Worte wirken zu lassen, um sich dann etwas vorzubeugen und mit leiser Stimme fortzufahren: “Die Zwerge hier verstehen nichts von Wein, das Zeug hier”, sie machte eine abfällige Bewegung in Richtung ihres nicht angerührten Kelches, “kann man leider nicht guten Gewissens trinken. Wenn Ihr es schafft, mir einen guten Tropfen zu besorgen, entleihe ich Euch Melisande, solange es dieser gefällt.” Abwartend lehnte sich Thalissa wieder zurück, noch immer umspielte ein fast schon etwas berechnend zu nennendes Lächeln ihre Lippen.

Schnapsverkostung

So schrecklich war der von den Angroschim gereichte Wein gar nicht, fand Leodegar. Kein Vergleich natürlich zu dem wahrlich guten Tropfen, in dessen Genuss er durch das Baronspaar von Rabenstein gekommen war, aber für eine Säure-gewohnte Nordgratenfelser Kehle durchaus akzeptabel. Jedenfalls keine Beleidigung des Gaumens wie offensichtlich für die aus dem Liebfeldischen stammende Baronin.  “Ich glaube, die einzigen Euch mundenden Weine auf diesem Feste vermögt Ihr alleine über seine Hochgeboren von Rabenstein zu erhalten, der wahrhaft erlesene Tropfen mit sich führt. Die Jahre im Norden unseres Herzogtums haben mich aber gelehrt, dass die vergorenen Säfte all jener Früchte, die Praios und Rahja vielleicht zu wenig mit ihrer Gunst gesegnet haben, durch die Kraft Ingerimms heiligen Feuers durchaus so eingeengt und zuweilen mit den Geschenken fleißiger Immen so veredelt werden können, dass sie zugleich vom rauen Charakter unserer Lande berichten und doch auch dem Munde zu schmeicheln vermögen. Wenn Ihr mögt, werde ich Euch anstelle eines Weines aus der Fremde eine kleine Auswahl an Bränden aus unserer Baronie kredenzen, die Euch vielleicht von den Geschenken unserer Heimat überzeugen. Was sagt Ihr?”

Thalissa verzog leicht den Mund, als das Gespräch vom wahrlich exzellenten Wein der Rabensteiner, den sie am gestrigen Tag hatte genießen dürfen, zu ihrer Vermutung nach eher rustikalen Bränden schwenkte, doch sie fing sich schnell wieder. Sie lernte ja noch immer jeden Tag mehr über dieses eher raue, ungeschliffene Land, warum auch nicht auf diesem Gebiet? “Hm, nicht, was ich erwartet hatte, aber ich lasse es darauf ankommen”, beschied sie dem Vogt. “Mal sehen, ob Ihr es mit derlei Erzeugnissen der Brau- oder vielmehr Brennkunst schafft, die Hand meiner Melisande für einen Tanz zu erringen.” Die Baronin warf ihrer Zofe einen erneuten flüchtigen Blick zu, den diese mit einem kaum wahrnehmbaren Neigen ihres Kopfes quittierte. Wie gut, dass er als Vogt zur Unterstützung seiner nicht nur dann und wann erforderlichen geschäftlichen und diplomatischen Aktivitäten immer ein durchaus ansehnliches und aus seiner Sicht recht feines Sortiment hochprozentiger Getränke aus Ambelmund mit sich führte. Bald kam er mit drei Fläschchen zurück, die er, nachdem er noch rasch einige Schnapstassen herbei gedeutet hatte, ganz bedächtig vor der Baronin auf den Tisch stellte. “Wenn Ihr bereit seid, entführe ich Euren Gaumen nun in die Landschaften, die mir bereits seit vielen Jahren Heimat geworden sind. Wo mögt Ihr Eure Reise beginnen? Auf den Obstwiesen an Tommel und Ambla, die Euch vielleicht noch am vertrautesten vorkommen und munden dürften?” Leodegar zeigte auf ein Fläschchen mit dem auch außerhalb Ambelmunds noch recht bekannten Brannt aus Mostäpfeln und Trollbirnen. “Oder in den hügeligen Heiden, die so typisch für unsere Baronie sind.” Seine Finger wies nun auf ein Tongefäß, in dem sich ein Heidelbeer-Wacholder-Schnaps verbarg. “Vielleicht wollt Ihr aber auch direkt im Tann anfangen, und sehen, dass selbst die Tannen uns weit mehr zu schenken vermögen als nur ihr Holz!” Auf den mitgebrachten Tannspitz deutend sah er die beiden Damen gespannt an. Melisande beugte sich interessiert vor, doch der scherzhaft erhobene Zeigefinger der Baronin ließ sie innehalten. “Noch hast du nicht frei, meine Gute”, stellte Thalissa in heiterem Tonfall fest. Leodegar vermeinte kurz, einen angedeuteten Schmollmund bei der Zofe feststellen zu können, kam aber auch nicht umhin zu bemerken, dass der Umgang der beiden eher freundschaftlich geprägt war und den Unterschied zwischen Herrin und Dienerin nicht explizit in den Vordergrund stellte.

An den Vogt gewandt, deutete Thalissa nun auf den Tannspitz. “Ich denke, wir beginnen die Reise im düsteren Wald, auf dass wir diesen bald verlassen und über die Hügel hinweg in den sonnendurchfluteten Obstwiesen eine wohlverdiente Pause einlegen können. Bei der sich dann Euer weiteres Schicksal entscheiden wird.” Wobei das leicht hintersinnige Lächeln der Baronin für Leodegar nicht den Eindruck machte, dass dieses Schicksal sonderlich gravierende Unbill für ihn bereithielt - hoffte er.

“Eine nicht nur in der Dramaturgie der Landschaften gute Wahl - Ihr beginnt Eure Reise in einer vielleicht düster anmutenden Gegend, die aber nicht nur Menschen, sondern auch Brände voll Stärke und Charakter hervorbringt. Dieser hier ist ein besonders feiner -  ein Tannspitz aus dem Gut Tannenfels, aus dem im Übrigen auch der heutige sangesfreudige Jagdkönig stammt. Der Schnaps kündet nicht nur vom Einfallsreichtum der Gefolgsleute meiner Herrin im kargen Tann, die mangels Obst selbst die Nadeln der Tannen zu nutzen wissen, sondern ist noch mit Honig veredelt, der ihm die Strenge und Schärfe nimmt. Riecht erst einmal daran, bevor Ihr ihn verkostet - nehmt ihr den Duft des Waldes an einem schönen Sommertag wahr?” Leodegar zwinkerte kurz Melisande zu, dann wartete er gespannt die Verkostung und die Reaktion der Baronin ab. Wie wohl dieser ebenso gute wie ehrliche und auch eigentümliche Brand einer liebfeldischen Kehle munden mochte? Wie vom Vogt vorgeschlagen führte Thalissa das kleine Tongefäß mit dem Tannspitz unter die Nase, um den Duft intensiv einzuatmen. Eine herbe Süße drang ihr in die Nase, sie vermeinte fast, den Geruch der Tannennadeln herauszuriechen. Dann nahm sie zuerst einen vorsichtigen Schluck, den sie mit der Zunge im Mund verteilte, bevor sie ihn die Kehle hinabrinnen ließ. Ein wenig verzog sie das Gesicht, denn das ungewohnte Getränk kam schon recht rauh und kratzig daher.

Die Baronin räusperte sich. “Nun, den Sommertag erdreiste ich mir nicht herauszuschmecken, aber sonst scheint mir der Brannt die Charakteristika der von Euch beschriebenen Landschaft durchaus widerzuspiegeln”, urteilte Thalissa, während sie sowohl Leodegar als auch Melisande gespannt ansahen, wenn letztere auch weniger offensichtlich. “Zu bestimmten Gelegenheiten könnte ich mir durchaus vorstellen, auf den Tannspitz zurückgreifen zu wollen, aber wirkliche Freunde werden mein Gaumen und der Brannt wohl nicht werden”, fuhr sie wahrheitsgemäß fort. “Was per se ja nicht Eure Schuld ist.” Allerdings wollte sie den zweiten Schluck des Getränks nicht verkommen lassen und schickte diesen schnell dem ersten hinterher. Da sie darauf geachtet hatte, dass die Menge, die Leodegar ihr einschenkte, nicht zu groß war, würde ihr hoffentlich nichts zu Kopf steigen. Sie schüttelte sich ein wenig und stellte den Schnapsbecher leer zurück auf den Tisch.

“Nun, manch echte Freundschaft offenbart sich nicht bereits bei der ersten Begegnung, sondern muss durch etliche Wiedersehen und gemeinsame Erfahrungen wachsen - so geht es nicht nur zwischen den Menschen, sondern wohl auch bei vielen, die nicht dem Tann entstammen, mit dem Tannspitz. Auch ich brauchte ein Weilchen, um ihn schätzen zu lernen, möchte ihn nun aber nicht mehr missen.” Leodegar lächelte der Baronin von Rickenhausen aufmunternd zu. Immerhin hatte sie den Schnapsbecher ausgetrunken. “Auch der zweite Schnaps, den ich Euch zur Verkostung biete, erzählt von der herben Natur der Baronie Ambelmund, davon, dass süße Schönheit nur zu gerne mit einem Schuss Bitterkeit einhergeht: in den Hügellanden, wo im Sommer die Schafe und Ziegen weiden und an einem windarmen Tag die Insekten summen, braust anderntags ein kalter schneidender Wind, vor dem sich Pflanze und Tier nur wegducken können und dem nur ein starker Menschenschlag zu widerstehen mag. Im Süden und Osten dieser Gegend findet man besonders zahlreich den unbeugsamen Wacholderbusch, dessen Beeren Grundlage für diesen Brannt hier sind. Kostet zuerst die subtile Süße und dann die angenehme Bitterkeit, es lohnt sich, wie ich finde!” “Habt Ihr schon einmal darüber nachgedacht, Handelsvertreter für die Spirituosen Eurer Baronie zu werden?” erwiderte Thalissa lächelnd. “Ihr würdet Euch hervorragend machen, davon bin ich überzeugt!” Mit diesen Worten führte sie sich die zweite Probe zu Gemüte, erkundete sie wiederum mit Nase und Gaumen, wie sie es auch mit einem guten Wein tun würde. Allerdings eigneten sich ihre dahingehend gut geschulte Sinne nicht sonderlich gut für die Beurteilung der ungewohnten Brände. So konnte sie nur sehr allgemein feststellen, dass dieser Schnaps tatsächlich deutlich weniger im Hals kratzte und die herbe Süße ihr zumindest vordergründig mundete. Sie gab ihre Eindrücke an den Vogt weiter. “Aber wie Ihr schon sagtet, man muss sich wahrscheinlich erst an einen gewissen Geschmack gewöhnen, um zu erkennen, ob man Freund oder Feind vor sich hat”, beendete sie ihre Einschätzung und stellte auch diesen Becher leer zurück auf den Tisch. “So, nun bin ich gespannt auf Euren dritten Brannt, sowohl was den Geschmack als auch was Eure Anpreisung desselben betrifft.” Wieder umspielte ein feines Lächeln die Lippen der Baronin, sie fand offensichtlich durchaus Gefallen an dieser Plänkelei.  ”Nun, zu einem Diener seiner Baronin, der ein Vogt zu sein hat, gehört neben der unbedingten und unverbrüchlichen Treue zu seiner Herrin auch die Liebe zu ihrem Lehen. Und nach mittlerweile gar nicht mehr so wenigen Jahren in deren Dienst habe ich die herbe Schönheit der Lande an Tommel und Ambla, der Geschenke, die deren Natur uns  macht und die dort ansässigen Menschen kennen und lieben gelernt. Wenn mich das überdies zu einem guten Spirituosenhändler machte, habe ich meine Aufgabe als Vogt vielleicht nicht ganz verfehlt.” erwiderte Leodegar, ebenfalls lächelnd und sein Haupt ergeben neigend. “So lasst uns unsere Reise vollenden und dem rauen Wind der Hügellande in Richtung der fruchtbaren Lande entlang der beiden Flussläufe entfliehen, ganz in die Nähe der Stadt Ambelmund. Hier gedeihen neben Gerste und Emmer, Rüben und Kohl auch die eine oder andere Obstwiese. Dass Peraine es dort besonders gut mit uns meint, selbst wenn manch Fremder die Äpfel frisch dargereicht als sauer und die Trollbirnen als pelzig bezichtigen würde, offenbart sich besonders nach deren gemeinsamer Veredelung zu dem nun folgenden Brannt.” Leodegar schenkte eine absolut klare Flüssigkeit aus einem durchsichtigen Fläschchen aus. “Schließt am besten Eure Augen und atmet zuerst von dem wunderbar fruchtigen Duft, der an einen wundervollen Frühherbsttag erinnert, bevor Ihr Eure Zunge von ihm trotz seines hohen Gehalts sanft umschmeicheln lasst.” Im Vergleich zu seinen Vorgängern erwartete die Baronin nun tatsächlich ein geradezu lieblicher Geschmack, und der Vogt harrte neugierig auf dessen Rezeption. “Ich glaube, Ihr solltet Euch einmal mit dem Vogt von Rodaschquell unterhalten”, schlug Thalissa vor, wobei ihr Lächeln allerdings eine leicht schelmische Qualität annahm. “Ich habe den guten Herrn Korninger als sehr geschäftstüchtig kennengelernt, vielleicht ergäben sich da Synergien.” Dann nahm sie den letzten Becher auf und roch daran, wie vorgeschlagen mit geschlossenen Augen. Die fruchtige Note war dem Getränk auf jeden Fall nicht abzusprechen, und so nahm sie einen beherzten Schluck. Tatsächlich fühlte sich der Brannt im Mund recht mild an, erst im Abgang zeigte sich die erwartete Schärfe, welche jedoch nicht so rauh und ungeschliffen daherkam wie bei dem Tannspitz, sondern eher dezent und ein wenig hinterhältig. Thalissa hatte den Eindruck, dass man mit diesem Getränk durchaus vorsichtig umgehen musste, wollte man Herr seiner Sinne bleiben. “Hm, dieser Tropfen könnte tatsächlich meinen Gefallen finden”, offenbarte sie Baronin dem Vogt ihr Urteil. “Zumindest dann, wenn es mich nach etwas stärkerem als Wein verlangt”, fügte sie dann leicht ironisch hinzu. “Dafür dürft Ihr mir gerne eine Flasche zukommen lassen - oder auch zwei.” Thalissa blinzelte Leodegar mit einem Auge zu, dann wandte sie sich zu Melisande um. “Trotz des bedauerlichen Umstandes, dass der gute Herr Leodegar keinen guten Wein herbeischaffen konnte, will ich dich nun für den Rest des Abends in seine Arme entlassen - für den Tanz natürlich”, setzte sie mit scherzhaft erhobenem Zeigefinger hinzu, während Melisande erfreut lächelte. “Denn er hat es geschafft, den Mangel durch eine Fremdenführung besonderer Art durch die Baronie Ambelmund zu ersetzen, so dass deren geographische Merkmale mir vermutlich lange im Gedächtnis bleiben werden.” Die Baronin wandte sich wieder dem Vogt zu und erhob den Becher mit dem letzten Schluck Brannt. “Viel Spaß!”  Welche Art der Synergie die Baronin im Hinblick auf Korninger wohl gemeint haben mochte? Wahrscheinlich wäre eine Eröffnung etwaiger Handelsbeziehungen über Schnapswaren mehr als sinnvoll - wer weiß, vielleicht wurde der Rodaschqueller Vogt ja bei hinreichender Beprobung der Warenmuster zu einem umgänglichen Menschen… oder, selbst genossen, wenigstens zu einem erträglichen… Leodegar musste ob der Vorstellung in sich hinein schmunzeln. “Ich werde in meinem Bestand nachsehen - ich meine, da müsste sich auf jeden Fall ein Fläschchen finden lassen. Jedenfalls freut es mich sehr, dass Euch die kleine Reise gefallen hat - vielleicht hat Sie Euch sogar Lust gemacht, die Lande mit eigenen Augen sehen zu wollen… gerade im Sommer und Frühherbst ist es dort wirklich, wie der letzte Eindruck vermittelte!”

Sein trotz der fortgeschrittenen und allgemein zusehends bier-, wein- und schnapsgeschwängerten Stunde noch immer aufmerksamer Blick wandte sich nun ganz Melisande zu: “Und jetzt freut es mich sehr, Euch, werte Melisande, um den heute Morgen bereits avisierten Tanz bitten zu dürfen.” Leodegar bot der Zofe auffordernd seine Hand, und deutete mit einer Bewegung seines Antlitzes in Richtung der Tanzfläche, nicht ohne dabei mit den Augenwinkeln dezent über die noch immer im Gespräch mit den Rabensteinern vertiefte Wunnemine zu streichen.

Tanz zu zweit

Melisande nahm die dargebotene Hand mit einem herzlichen Lächeln und ließ sich zur Tanzfläche führen. Die Zofe trug ein zunächst recht schlicht anmutendes, aber dennoch elegant geschnittenes weißes Kleid mit silbernen Ornamenten am Saum und den langen Ärmeln, das vermutlich durchaus mit Absicht mit der dunkelbraunen Hautfarbe Melisandes kontrastierte und sich bei schnellen Drehungen fast wie eine Blüte auffächerte, so dass ein safrangelbes Unterkleid durch die freigelegten Schlitze schimmerte, wie Leodegar bald feststellte. Was er auch bald feststellte: die Zofe war ohne Frage eine sehr gute Tänzerin, allerdings unterschied sich die Art, wie man in Vinsalt tanzte, doch nicht unwesentlich von der, wie sie hier in den tiefsten Nordmarken gepflegt wurde, und die beiden Tänzer mussten sich doch des öfteren neu sortieren und einen schritttechnischen Konsens finden, was auf Melisandes Seite nicht ganz ohne leises Kichern und eine gelegentliche Rötung ihrer Wangen vonstatten ging. Alles in allem schien die Zofe ihren Spaß zu haben. Auch Leodegar hatte große Freude am Tanz mit Melisande, auf den er sich ganz und voll Genuss einließ. In jüngeren Jahren war er ein sehr guter Tänzer gewesen, doch musste er heute zunächst feststellen, dass seine einstigen Fertigkeiten in Ambelmund allzu brach lagen und zuerst wieder wachgeküsst werden mussten. Einmal geweckt kamen sie jedoch rasch wieder zum Vorschein und bald sogar zu neuer Blüte.  Am Ende, das für ihn noch ein wenig später hätte sein dürfen, bedankte er sich von Herzen bei Melisande und geleitete diese galant zurück zu Ihrer Herrin, um auch dieser nochmals für das Geschenk der Freigabe zu danken. So lebendig und gelöst hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Diese Erkenntnis führte ihm zugleich schmerzhaft vor Augen, wie sehr der ewig schwebende Zustand zwischen ihm und Wunnemine einen Teil von ihm zu verdorren drohte. Ob sie ihn beobachtet hatte? Um ehrlich zu sein, war ihm dies gerade aber völlig gleich…

Die Altenberger saßen am Tisch zusammen mit Nivard und dem Junker von Altenwein. Die jungen Leute schienen sich gut zu Unterhalten, als Maura dies als gute Gelegenheit sah sich zu erheben. Sie griff die lederne Tasche die ihr Sohn Elvan ihr gebracht hatte und suchte nach der Borongeweihten Marbolieb. Es war Zeit, um Entschuldigung zu bitten.  Die jedoch war an diesem Abend nirgendwo im Saal zu finden. Maura überlegte kurz und verließ die Jagdhütte. ´Warum sollten Boronis auch bei Feierlichkeiten teilnehmen?´. Zielsicher strebte sie das Zelt der Boroni an. Vielleicht war sie dort zu finden. Das Zelt der Boroni, so erfuhr sie, war das Zelt des Oberst der Eisenwalder - eines Zwergen. Die Lagerwache, die sie bei ihrem Eintreffen nach woher und wohin anrief - und insgeheim einen etwas entnervten Eindruck hinterließ - beschied sie indes, dass ihre Gnaden sich nicht hier befinde, sondern im Baderaum. Mit entschlossenen Schritten ging sie zurück zur Jagdhütte und direkt zum Baderaum. Er am Mittag des Tages hatte sie ja selbst ein Bad mit der Baronin von Rabenstein dort genossen. Kurz blieb sie vor der dampfenden Tür stehen und klopfte.

Liebeslyrik

Elvan von Altenberg spürte den Alkohol, wie schon lange nicht mehr. Das Zechen war nie einer seiner Stärken, doch den Sieg seiner Freunde musste gefeiert werden. Er schätze es, dass das Zechen seine Hemmungen lösten und er geselliger wurde. Und so hatte er den Arm um Nivard gelegt und sang mit ihm eines der Trinklieder, das so oft in Elenvina gesungen wurde. Auch der Junker schien es Spaß zu machen. Oh ja, der schöne Junker ... Dank des Alkohols war auch Nivards Stimmung mittlerweile sehr gelöst, wenngleich er, den Ambelmunder Bränden geschuldet, etwas trinkfester als Elvan war (gegen einen Zwergen oder gar Thorwaler würde er aber trotzdem sicher den Kürzeren ziehen) - als Jagdkönig hatte er diese dafür aber auch schon unzählige Male unter Beweis stellen müssen.  In so guter Laune und so lauthals mitsingend hatte er Elvan noch nie erlebt - Nivard freute sich darüber sehr und genoss den gemeinsamen Abend. Auch Aureus von Altenwein, der ihm bislang nicht bekannt gewesen war, schien sich prächtig zu amüsieren und fügte sich ein, als ob sie sich alle schon ewig kennen würden. Bei einer besonders überschwänglich intonierten Passage, die in fröhliches Gelächter der kleinen Runde überging, fiel Nivard auf, dass Gelda, obgleich offensichtlich gut gelaunt mitfeiernd, nicht mit letztem Elan bei der Sache war. War sie einfach nur müde nach dem langen Tag? Oder beschäftigte sie etwas anderes? Ihre Blicke glitten immer wieder über die Runde. Als ihre grünen Augen wieder zurück waren, sah er in diese und warf ihr einen fragenden Gesichtsausdruck zu. Der nach kurzem Becherklirren wieder einsetzende Gesang gab ihm die Gelegenheit, ihr, für seine Verhältnisse nahezu tollkühn, ins Ohr zu raunen: “Alles gut bei Dir, meine Jagdkönigin? Ich schulde Dir heute Abend noch einen Vortrag!” Aureus fühlte sich sichtlich wohl in dieser großen Halle, inmitten von neuen Freunden bei Speis' und Trank. Die Jagd an sich wahr nicht so gut verlaufen. Der Junker hatte leider kein Glück gehabt und sich stattdessen sogar einen Ärmel aufgerissen, im Gesicht ein paar Schrammen von einem Dornenstrauch geholt und auf seinem rechten Oberschenkel würde sich morgen ein prächtiger blauer Fleck zeigen, aber er hatte Erfahrungen sammeln und seine spärlichen Kenntnisse des Rogolan auffrischen und erweitern können. Fürs erste war er zufrieden mit sich selbst. So zufrieden, dass er vergaß sein persönliches Maß in Sachen Alkohol einzuhalten. Seine Wangen glühten bereits und fröhlich sang er mit den anderen mit, obwohl er kein besonders guter Sänger war. Aber auch das war eine Tätigkeit die man erlernen konnte. Und somit kümmerte es ihn nicht, wenn der ein oder andere Ton nicht saß. In all dem Trubel war ihm weder aufgefallen, dass Elvan langsam näher gerückt war und sich beider Oberschenkel bereits berührten, noch dass dieser ihn länger als üblich ansah, selbst wenn sie gerade nicht miteinander sprachen. “Wieso muss deine Königin so lange warten?”, raunte Gelda zurück und ergriff ihren Becher. Erwartungsvoll schaute sie Nivard an. “Lass hören, was einer Königin gebührt!”, sagte sie laut. Elvan legte währenddessen seinen Arm um den Junker. “Ist das nischh ein schöness Fest?”, lallte er leicht in dessen Ohr. Als seine Kusine Nivard aufforderte zu singen, strahlte er beide an. “Jetscht wird er wieder … von der Liebe singen.” Dann wandte er sich dem Junker zu. “Ihr müsst wissen ...sein Herzzz isst escht gross und schnell verlie ...bt!” Ein Rülpser bahnte sich seinen Weg über Elvans Lippen. “Echt? Dasch isch beneidenschwert.Son grosches Hersch schu habben, dasch alle mögen.” Er hickste und musste einen Augenblick mit sich ringen bevor er weitersprach: “Waisch… waischu aigenndlisch wie esch isch verliebt schu sein ohne schurück geleibt schu werdn?” Er starrte kurz ins Leere und hing Gedanken nach, die Elvan nur schwer erraten konnte. Plötzlich hob er seinen Becher: “Auf i Liiebe”, prostete er Elvan zu und stürzte den restlichen Wein in einem Zug hinunter. Nivard hatte die mehr gelallten denn gesprochenen Worte Elvans und Aureus’ durchaus mit einem Ohr vernommen. Sonst hätten diese ihn vielleicht zum Rückzug verleitet, doch erwiesen sich das zwergische Bier und die anderen alkoholischen Getränke als wahre Mutelixire. Wer würde sich schon der Aufforderung einer, nein nicht nur einer, sondern seiner Königin widersetzen? Und außerdem: an was seines Vortags würden sich Elvan und der Junker von Altenwein wohl am nächsten Morgen noch erinnern können? Gelda und er waren also praktisch doch unter sich. Nivard neigte sein Haupt näher zu dem Geldas und sah sie mit einem nur leicht glasigen, aber dafür von Gefühlen umso volleren Blick an. Sein Innerstes quoll ihm über und spülte, während die Schmetterlinge in ihm tanzten, die Worte leise raunend an ihr Ohr, von denen er hoffte, dass sie das Herz der Schönen erreichen mögen:

“Erstes Begegnen –, glückliche Stunde! Da ich Dich sah, war ich selig verloren, Alle Gedanke sind mit Dir im Bunde, Leib und Seele mit Dir verschworen, Nichts kann mich lösen aus Deinem Bann. Deine Schönheit und Güte, die haben's gemacht, Und Dein roter Mund, der so lieblich lacht.

Ich habe Sinne und Seele gewendet An Dich Gelda, Du Gute, Du Reine. Mag mein Sehnen werden vollendet, Was ich im stillen erhoffe und meine. Was ich auf Deren an Freuden gewann, Deine Schönheit und Güte, die haben's gemacht, Und Dein roter Mund, der so lieblich lacht.”

Gelda schoss die Röte ins Gesicht. Noch nie hatte jemand ihr etwas gedichtet und vorgesungen. Sie mußte sich eingestehen, dass sie diese musische Seite an dem Krieger mochte. Am liebsten hätte sie ihn aus Dankbarkeit geküsst, aber hier in aller Öffentlichkeit, schickte sich das nicht. Ihre grünen, mandelförmigen Augen blitzten ihn an und zum Dank hielt sie ihm ihre rechte Hand hin, bereit für einen Kuss.  Derweilen prostete auch Elvan ein: ”Auf i Lieepe!”, verlor das Gleichgewicht und fiel von der Bank. Gelda schaute etwas besorgt Nivard an. “Ich glaube die beiden haben genug. Würdest du Elvan in sein Zelt bringen, liebster Nivi?”, fragte sie den Krieger und lächelte ihn dabei an. Nivard ließ sich zunächst nicht ablenken und ergriff Geldas rechte Hand, erspürte die Wärme, die von den feinen, aber dennoch nicht schwächlich-zarten Fingern ausgingen. Nur noch für einen kurzen Augenblick wollte er selig lächelnd in ihren grünen Augen versinken, dann hauchte er einen sanften Kuss auf Geldas Handrücken.  ‘Liebster Nivi’! Schwang hierin bereits eine tiefere Zuneigung für ihn? Erwiderte sie seine Gefühle? Natürlich würde er ihrer Bitte nachkommen. Ihr Wunsch war ihm Befehl. Auch wenn er sich dafür schon wieder von ihr lösen musste. Für sie. Und natürlich auch für Elvan, seinen Freund, der Rahja ganz offensichtlich über das zuträgliche Maß hinaus mit der Kehle gehuldigt hatte.  “Ich kümmere mich um Elvan. Sei unbesorgt um ihn. Wir sehen uns nachher.” In seinen Worten lagen Versprechen. Und Hoffnung. Aureus schaute bestürzt, dann schwang er ein Bein über die Bank, um einen besseren Halt zu haben. Er wartete einige Augenblicke bevor er sich vorbeugte und Elvan die Hand reichte, um ihm aufzuhelfen. Die schnelle Bewegung löste einen kurzen Schwindel aus. Er hielt erneut inne, atmete tief ein und stand dann auf, da es Elvan nicht gelang seine Hand zu ergreifen, sondern stattdessen anfing zu kichern. Der Junker stellte sich hinter Elvan, ging in die Hocke, wobei sich ein kleiner Rülpser seinen Weg nach draußen bahnte. Er richtete Elvan auf, griff dann unter seine Achseln und versuchte ihn auf die Beine zu stellen. Für die Anwesenden mochte es reichlich komisch aussehen, doch nach einer gefühlten Ewigkeit und einer helfenden Hand gelang es ihm schließlich. “Isch glaub Du gehörscht insch Bett”, brachte er hervor und schlang einen von Elvans Armen um seinen Hals und schlang seinen eigenen um dessen Hüfte. “Kommt Männer” rief Nivard Elvan und Aureus zu, während er den noch frei baumelnden Arm Elvans um den seinen legte und gemeinsam mit dem Junker von Altenwein versuchte, den taumelnden Schreiber zu stabilisieren. “Wir schaffen Euch beide zu Euren Zelten!” Schon nach wenigen Schritten merkte er aber, dass er bei weitem nicht nur Elvan auf Kurs halten musste, sondern durchaus auch das Wanken Aureus’ mit kompensieren musste. Obgleich selbst durchaus angeheitert, und das nicht schlecht, wurde ihm rasch klar, dass alle Orientierung und Steuerung von ihm kommen musste. Diese Erkenntnis ließ ein Lachen in ihm aufsteigen, dass er aber jäh verschluckte, als er auf einmal den starken und zugleich unkontrollierten Zug des Gespanns auf einen voller Becher und Krüge gestellten Tisch und die ersten besorgten Blicke der um diesen sitzenden Gäste bemerkte. “Halt, ihr zwei, die Tür nach draußen ist in diese Richtung, nein, nicht dalang, sondern dorthin!” Mit aller Kraft hielt der junge Krieger dagegen und schaffte es, wenigstens die erste drohende Kollision knapp zu vermeiden und wieder grob kurs auf das Hallentor zu nehmen. Das konnte noch heiter werden... Der Junker war dankbar für die Hilfe, da auch er nicht mehr Herr über sämtliche seiner Körperglieder war. Er schwankte, fühlte aber rasch den kraftvollen Zug des Ritters auf der anderen Seite Elvans. Er blinzelte, als sie nur knapp dem Tisch mit anderen Feiernden entgingen. Er hörte dumpf Nivards Worte, blieb stehen, holte tief Luft und konzentrierte sich. Dann entdeckte er das Tor und steuerte darauf zu. Zusammen mit Nivard, der dabei einen größeren Anteil hatte, gelang es ihnen, mit ein paar Schwenkern nach links und nach rechts, den Ausgang zu erreichen.

Katzenjammer

Draußen angekommen schlug ihm die frische Nachtluft ins Gesicht und raubte ihm fast den Atem. “Sch  Schtopp. Isch brauch einen Augenblick.”Er nahm zwei, drei tiefe Atemzüge. Der Kopf wurde etwas klarer. Es gelang ihm nun sich etwas besser zu konzentrieren. Aber die Nacht würde sicherlich sehr unruhig verlaufen. Besorgt schaute er zu Elvan. Dann gab er Nivard ein Zeichen, dass er bereit war weiter zu gehen. Nivard gewährte Aureus gerne den gewünschten Augenblick, konnte er so doch selbst durchschnaufen. Einen stark Betrunkenen und eine Beinahe-Schnaps-Leiche ins richtige Zelt zu bugsieren stellte eine gar nicht so kleine Aufgabe dar. Wenigstens hatten sie schon Mal die Halle ohne größere Unfälle verlassen. Hoffentlich würde sich zumindest der Junker von Altenwein noch ein bisschen berappeln. Und für Elvan wäre es wahrscheinlich das Beste, er würde sich direkt hier übergeben. Und nicht später auf sein Lager. Oder die Gefährten, die ihn dorthin schafften… vielleicht leistete die kalte Nachtluft gleich ihren Beitrag dazu. “Wir geben Elvan am besten noch einen kleinen Moment… oder sollen wir direkt weiter, Elvan?” Nivard rechnete indes nicht mit einer verständlichen Antwort. Offenbar hatte Aureus einen ähnlichen Gedanken. “Lasst uns langsam dort zu den Bü Büschen gehn. Isch glaube der Herr von Altenberg sollt nochmal seinen Magen leeren.” Und ich vielleicht besser auch, dachte er bei sich.

Kaum waren die letzten Worte ausgesprochen, übergab sich der junge Altenberger. Die Büsche waren ein leidliches Ziel und wurden um einige Schritte verfehlt. Der bleiche und elend aussehende Schreiber rollte die Augen. Ein Wort schien er nicht mehr herauszubringen und hängte sich nun gänzlich in die Arme seines Freundes Nivard. Fast wie eine Geliebte die zum Bett getragen werden wollte. Der säuerliche Geruch ließ auch des Junkers Magen rebellieren. Befreit von seiner Last eilte er den Büschen entgegen und schaffte es gerade noch rechtzeitig seine Kleidung zu raffen, um sich nicht selbst zu besudeln. Es dauerte ein paar Augenblicke, bevor er sich sicher war, dass sein Magen leer war. Er sammelte noch etwas Speichel in seinem Mund und spuckte ein letztes mal aus, bevor er sich wieder umdrehte und zu Nivard und Elvan zurückkehrte. Als er den Schreiber sah, wie er sich an den Ritter klammerte, keimte tief in seinem Hinterkopf ein Gedanke auf, doch schaffte es dieser nicht sich durch den Schleier aus Alkohol zu kämpfen und vielleicht würde er die Nacht auch nicht überstehen.

Nachdem auch dieser, vielleicht nicht angenehme, so doch aber sowohl für Aureus als auch Elvan befreiende und äußerst hilfreiche Teil der Mission geschafft war, versuchte Nivard, die beiden weiter in Richtung ihrer Zelte zu motivieren. Aureus schien sich etwas zu berappeln, aber um Elvan stand es gerade desolat. Seine Beine wollten ihn nun gänzlich nicht mehr tragen. Die Aufforderung “Auf Elvan, lass Dich nicht so hängen.” schien ungehört zu verhallen. Der junge Krieger besaß zwar mehr Tragkraft, als man es angesichts seiner recht hageren Gestalt glauben mochte, aber den jungen Altenberger die ganze Strecke zum Zelt zu tragen, wäre ihm, selbst wenn er nicht angetrunken gewesen wäre, schwer gefallen. Der zum schlaff hängenden Gewicht des Schreibers bei jedem dessen flacher Atemzüge hinzutretende Geruch nach Alkohol und Erbrochenem bestärkten Nivard, nachdem er einen aufkommenden Brechreiz heruntergeschluckt hatte, in seiner Entschlossenheit, den Gang zum Zeltplatz beschleunigen zu wollen. “Kommt, Aureus, packt nochmal mit an. Gemeinsam werden wir es doch wohl schaffen, Elvan in sein Lager zu überführen… Da kann er dann in aller Ruhe mit Rahja disputieren, warum in aller Welt dem Genuss immer die Reue folgen muss.” fügte er mit einem Hauch Mitleid hinzu. Der Altenweiner nahm noch einen tiefen Atemzug und ließ die kalte Nachtluft seine Lungen füllen. Ihm war, als würde ihm dadurch auch der Kopf klarer werden. Ein Trugschluss, der aber dafür sorgte, dass er sich der Verantwortung für einen Freund bewusst wurde und letzte Kräfte mobilisierte. Also wankte er auf die beiden zu und nahm wieder dieselbe Position ein, wie in der Halle. “Auf geht´s”, nickte er Nivard zu und sie trugen den Kalligraphen in Richtung der Zelte. Eigentlich war ihm gerade nicht nach reden zumute, doch die Stille war schlimmer:” Wo woher kennt ihr euch?”, wollte er wissen.

“Wir hatten im zurückliegenden Sommer…” Nivard stöhnte kurz, als Elvan an einer Unebenheit stolperte und er selbst nur mit Mühe verhindern konnte, dass das Dreier-Gespann gemeinsam zu Boden ging, “wir hatten also die Ehre und das Vergnügen, gemeinsam mit Ihrer Hoheit, der Herzogenmutter Grimberta, und in Gesellschaft weiterer junger Adliger an einer Flussfahrt an Bord der Concabella - Ihr habt sicher schon von diesem Schiff gehört - teilzunehmen… Achtung, hier wird es etwas rutschig.” Beinahe wären sie zusammen an einer matschigen Stelle ausgeglitten. “Jedenfalls war die Fahrt… ein außerordentliches Erlebnis. Das ich nie vergessen werde.” Viel mehr Details wollte… und durfte… er nicht zum Besten geben. “Und an die sich auch Elvan sicher ein Leben lang weit besser erinnern wird als bereits morgen an den heutigen Abend. Was, Elvan?” Elvan ruckte hoch, blickte beide an und lächelte. Es schien, dass sich etwas Klarheit in den Zustand des betrunkenen Schreiberlings geschlichen hatte. “Wo du vom Liebbessauber von der Nixsche versauberst wurdest.” Er riss sich von beiden los und torkelte zu einem Fass mit Trinkwasser und tauchte seinen Kopf ins kühle Nass. Als er wieder auftauchte, schüttelte er sich das Wasser aus dem Haar. Auffordernd blitzte er die beiden Adligen an. “Besser.”, sagte er wesentlich klarer. “Isch war grad auf er Concabella, schönesch Schiff, aber wohl unter keinem guten Ssschtern geboren”, sinnierte der Junker. Dann riss er die Augen auf:” Warte. Sa sagtescht Du gerade Liebeszauber?!” Er zeichnete mit der Handfläche seiner Rechten die Sonnenscheibe in die Luft.

Einerseits war Nivard froh, dass Elvan wieder anfing, körperliche und offensichtlich auch geistige Regungen zu zeigen. Weil es dem Freund wieder besser ging. Und weil dies den Weg zum Zelt deutlich erleichtern würde. Aber was plauderte Elvan denn da gerade leichtfertig aus? Der Schreiber schien wieder hinreichend klar, sich an die Geschehnisse des letzten Sommers zu erinnern. Wenn er doch nur auch seines Versprechens der Herzogenmutter gegenüber eingedenk wäre. “Es war in der Tat… äh… ja, genau, eine zauberhafte Flussfahrt, aber kein Grund, den Herrn PRAios um Schutz anzuflehen. Wir sind Ihrer Hoheit… zutiefst… verpflichtet, zu Dank, und Du WEISST SCHON ELVAN, nicht wahr!” hoffte Nivard, seinen Freund an das Stillschweigen zu gemahnen, das sie am Ende der Fahrt gelobt hatten. Zu viel hing daran, nicht zuletzt das Schicksal der Schönen, die damals sein Herz berührt hatte.  “Komm, wir packen es weiter. Du brauchst Dein Bett. Und jetzt auch trockene Gewänder, Elvan!” Mit diesen Worten sah er Aureus an. “Ich glaube, ich schaffe es jetzt alleine, den Herrn von Altenberg zu seinem Lager zu schaffen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch gerne auf den Weg zu dem Euren machen.” versuchte Nivard, einem volltrunkenen Geheimnisverrat vorzubeugen.

“Oh! Nun scha, wie Ihr meint. Isch wünsche eusch noch ne geruschame Nacht”, sagte er und wollte sich zum gehen wenden. Doch brauchte er noch einen Moment, um sich zu orientieren. Leicht schwankend nickte Elvan. “Du hascht recht, mein Freund. Boron ruft mich.” Etwas unbeholfen klopfter er Aureus auf die Schulter. Dann legte er seinen Arm wieder um Nivard und ließ sich zu seinem Zelt führen, ohne aber zu vergessen, dem Junker noch einen wehmütigen Blick hinterher zu werfen. “Alles klar, Elvan?” Nivard war der Blick des jungen Schreibers in Richtung Aureus nicht entgangen. “Komm, das schaffen wir auch zu zweit. Ich habe den Eindruck, Dir geht es so langsam auch ein wenig besser.” Er wartete, bis der Junker von Altenwein sicher außer Hörweite war. “Elvan, das mit der Fahrt auf der Concabella und unserer Nixe, das müssen wir für uns behalten, hörst Du mich?” sprach er eindringlich auf den Altenberger ein. “Wir haben es Grimberta geschworen!” Dann wurde sein Tonfall nicht nur versöhnlicher, sondern sogar heiter: “Naja, nüchtern ist Dir das ja auch klar. Aber Du verträgst nicht allzuviel. Noch weniger als ich… und Deine Kusine.” Er überlegte, ob er mit Elvan, jetzt, da sie - selten genug - wirklich zu zweit waren, ein wenig vertraulich sprechen konnte, über Gelda, die ganze Familie und die Brautschau, merkte aber, dass “ein bisschen aufwärts” noch weit entfernt von auch nur annähernd “nüchtern” hieß. Und es nahten ja noch viele gemeinsame Reisetage … . “Enspann dich, mein Freund. Ich hab nur Spasss gemacht.” Elvan umarmte seinen Freund kräftig. “Du kanscht jetz wieder feiern gehen. Ich schaffe den Rest hier, wir sind ja bei meinem Zelt.” Er ließ Nivard los, strich ihm über die Wange und stürzte dann in sein Zelt. Nivard stutzte kurz ob der selbst für Freunde, die sie waren, ungewöhnlich starken Geste der Nähe. Aber machte Alkohol nicht auch ihn zuweilen etwas rührseliger als gewöhnlich. Er beschloss, sich darüber nicht weiter zu wundern. “Dann wünsche ich Dir eine gute und geruhsame Nacht, Elvan! Wir sehen uns morgen!” rief Nivard ihm stattdessen hinterher. Dann nichts wie zurück zu Gelda, machte er sich beschwingt zurück auf den Weg zur Festhalle. 

Doravtravas Auftritt

Irgendwann, die fleißigen Angroschna aus dem Kosch waren gerade dabei die inzwischen fast leeren, hölzernen Platten mit den Speisen abzudecken, um sie erneut zu füllen, hämmerte Borindarax seinen Trinkpokal auf die lange Tafel.  "Und nun habe ich das Vergnügen euch noch einmal Doratrava anzukündigen. Unsere Jagdkönigin wird uns die Chance geben das Essen etwas sacken zu lassen, bevor wieder aufgetischt wird." Kurz sah es so aus, als habe Borindarax bereits fertig gesprochen, doch dann sah der Vogt von Nilsitz zur Decke der Halle, wo die Schausteller sich anschickte für etwas weniger Licht zu sorgen. "Ach und Doratrava”, grinste Borax leicht bierselig. “Ich respektiere die Leidenschaft mit der du für deine Berufung brennst und auch, dass du dafür auf Bier und Gebrannten verzichtest. Wenn du aber fertig bist mit deiner Aufführung, dann kommst du zu mir an den Tisch und stößt mit mir an. Du wirst diese Feier nicht verlassen, ohne einen ganzen Krug Bockbier getrunken zu haben." Es war soweit. Der erste Gang (oder wie man das nannte) des Banketts näherte sich seinem Ende und Doratrava hatte das Signal bekommen, dass sie bald mit ihrer Vorführung beginnen konnte. Sie wischte sich die schweißnassen Hände an einem Tuch ab, denn sie war nervös wie selten vor einem Auftritt. Was sie heute Nacht tat, hatte sie noch nie getan, zudem hatte sie ihren Auftritt größtenteils nur in ihrem Kopf vorbereiten können, zu spontan war ihr die Idee dazu gekommen, nachdem sie das kleine Dorf Firnruh verlassen hatte. Zum Glück kannte sie sich und ihren Körper seit langem so gut, dass sie wusste, die Aufregung würde sich legen, sobald sie begonnen hatte. Dann zählte nur noch der Augenblick, die Zuschauer und ihre Kunst. Die Gauklerin trug das gleiche grüne, sehr freizügige Kostüm wie bei ihrem ersten Auftritt in dieser Halle. Leider hatte sie ja die Einladung zu der Jagd fast vergessen gehabt und deshalb ihr ganzes Gepäck in Twergenhausen untergestellt, eigentlich war es nur einem Zufall zu verdanken, dass sie nun hier war. Und dass sie überhaupt ein geeignetes Kostüm für ihre Kunst dabei hatte. Aber eben kein zweites. Diesmal hatte Doratrava zusätzlich die weitgehend unbekleideten Arme und Beine mit schmalen Bändern eines sehr leichten, halb durchsichtigen Stoffes von weißer Farbe umwickelt. Jedes der Bänder bildete eine Schleife, von der ein Ende nach unten hing, an den Armen und Oberschenkeln länger, zu den Füßen hin kürzer, so dass die Enden den Boden nicht berührten. Im Moment sicherte ein weiteres, kunstvoll geschlungenes und geknotetes Band je Gliedmaße die herabhängenden Stücke, so dass sie sicher am Körper blieben, und ebenso weitere Bänder, welche sie am Rücken befestigt hatte. Unten im Saal hatten wieder Musiker Aufstellung genommen, doch da Doratrava diesmal nicht tanzen würde, handelte es sich ausschließlich um Trommler, drei an der Zahl, allesamt aus dem Volk der Zwerge. Da erhob sich Borindarax als Gastgeber und kündigte vollmundig ihren Auftritt an. Als er vor allen Leuten androhte, dass sie am heutigen Abend noch einen Krug Bockbier mit ihm würde trinken müssen, verdrehte die Gauklerin die Augen, beim Gedanken daran wurde ihr ganz flau im Magen. Doch davon konnte sie sich jetzt nicht ablenken lassen, sie verzichtete auf eine Erwiderung und riss sich zusammen.

Langsam wurde es leiser, wenn auch nicht still, denn einige unverbesserliche Kunstverächter scherten sich wenig um derlei Ablenkung und führten ihre Gespräche einfach weiter. Nun, es würde sich zeigen, ob sie nicht auch diese würde aufrütteln können. Im Geiste dankte sie nochmals Gelda und Maura von Altenberg, der Rahjageweihten Rahjania, deren Nachnamen sie gar nicht kannte, wie ihr jetzt erst auffiel, und vor allem Shanija von Rabenstein. Ohne die Fürsorge dieser Frauen hätte sie nach ihrer Jagdverletzung den heutigen Auftritt absagen müssen, was sie sehr traurig gemacht hätte, Jagdkönig hin oder her. Mit dem ersten sanften Schlag einer Trommel schwang sich die weißhaarige, spitzohrige Gauklerin an einem Seil knapp unter der Decke in den Saal. Zu einem leisen, aber dennoch eindringlichen Rhythmus der drei Trommler verließ sie das Seil mit einem Salto, völlig ungesichert flog sie auf den ersten der beiden Kronleuchter zu und fing sich mit beiden Händen an dem großen Rad, nutzte den Schwung, um ihre Beine durch die Speichen nach oben zu katapultieren und schließlich rittlings auf dem Rad zu sitzen zu kommen. Dann begann sie flink die vielen Kerzen zu löschen, während sie sich mit traumwandlerischer Sicherheit rings um den Ring bewegte. Unten im Saal löschten derweil Bedienstete die Laternen an den Wänden, während sich Doratrava an einem weiteren Seil zum zweiten Kronleuchter hinüberschwang und dort ihr Werk fortsetzte. So lag der ganze Saal bald in düsterem Dämmerlicht. Nur das Feuer im großen Kamin und ein paar wenige Laternen, die man absichtlich hatte brennen lassen, spendeten noch spärlich Licht. Unter der Decke war es praktisch finster, für den Moment war die Gauklerin den Blicken der Zuschauer entzogen.

Doratrava hatte sich im Schutz der Dunkelheit wieder zurück zu einer Öffnung unter der Decke geschwungen und dort die Sicherungsbänder an Armen und Beinen gelöst, so dass die Stoffstreifen an diesen nun frei herabhingen. Gleichzeitig lösten ein paar Bedienstete nun vom Dachstuhl aus diverse Stangen, die an je zwei Seilen hingen („Trapeze“ nannte man so etwas im Horasreich, wenn sie sich recht erinnerte), so dass diese schaukelnd herabfielen, was aber den Zuschauern wegen der Dunkelheit noch verborgen blieb, soweit sie über keine besonders geschärften Sinne verfügten.

Nun kam der kritische Augenblick, mit dem ihre Vorführung stand und fiel. Nun würde sich zeigen, ob das Pulver, welches Jelride ihr in Firnruh aus den Beständen ihrer Mutter geschenkt hatte, hielt, was es versprochen hatte. Ein Dutzend kleine Fläschchen des Pulvers hatte sie mitnehmen können, zwei davon hatte sie bei ein paar Versuchen verbraucht, das Präparieren ihres Kleides und der Bänder hatte weitere acht verschlungen. Mit zwei übrigen Fläschchen würde es keinen zweiten Versuch geben, wenn jetzt etwas schief gehen sollte. Doratrava winkte der bereitstehenden zwergischen Magd, damit diese die vorbereitete Kerze bringen möge, was sie auch sogleich tat. Vorsichtig nahm ihr die Gauklerin die Kerze aus der Hand und hielt sie an den Saum ihres Kleides. Kurz kamen ihr Zweifel, als der Geruch verbrannten Stoffes in ihre Nase stieg, doch dann gab es einen Funken, und eine Welle weißblauen Feuers breitete sich über das Kostüm aus und erfasste auch die Bänder an Armen und Beinen, denn sie hatte wohlweislich alle mit einer dünnen Schnur verbunden, welche ebenfalls mit dem Pulver präpariert war, da das einzelne Anzünden jeden Bandes zu lange gedauert hätte. Freude wallte in Doratrava auf, als sie sah, wie ihr Plan funktionierte. Rasch ergriff sie das bereitliegende Seil und schwang sich wieder hinaus in den Saal, denn nun hatte sie vielleicht zwei Zehntel eines Stundenglases, bis das kalte Feuer verebbte.

Da die Bänder an Armen, Beinen und Rücken nun nicht mehr fixiert waren, strömten sie Flügeln gleich hinter der Gauklerin her, als diese durch die Luft unter der Decke sauste. Doch für die Zuschauer sah es so aus, als rauschte ein flammender Lichtvogel durch die Lüfte mit Flügeln aus kaltem, blauen Feuer, der einen gleißenden Funkenregen hinter sich herzog. Keiner der Funken erreichte den Boden, und doch hatten sie lange genug Bestand, um eine Spur der Bewegungen der Gauklerin in die Schwärze unter dem Dach der Halle zu zeichnen, die mehrere Augenblicke lang Bestand hatte. Nur ganz entfernt nahm Doratrava die „Ahs“ und „Ohs“ der Gäste war, als sie ganz und gar im Rausch der Bewegung aufging, voller Hingabe und Konzentration und ohne bewusst über ihre jeweils nächste Aktion nachzudenken. Wie weggeblasen war jegliche Nervosität, ja, sogar die Wahrnehmung der Realität war ins Unwirkliche verschoben, fast so, als … Diesen letzten Gedanken ihres wachen Bewusstseins erlaubte sich die Gauklerin nicht, sondern ließ im Geiste endgültig los, während ihre Hände umso fester zupackten, als sie das Seil losließ, einen doppelten Salto durch die Luft machte, um dann das erste Trapez zu ergreifen. Dieses war so an der Decke befestigt, dass es durch ihr Körpergewicht eine Sicherung löste, welche es drei Schritt in die Tiefe sacken ließ – und mit ihm den leuchtenden Feuervogel, der am tiefsten Punkt der Bewegung wieder losließ, um mit einem weiteren mehrfachen Salto das nächste Trapez, welches sich wieder ein Stück weiter oben befand, zu erreichen. Manche der Zuschauer konnten sich bei dieser halsbrecherisch aussehenden Aktion einen Aufschrei nicht verkneifen, während Doratrava schon wieder zum nächsten Trapez flog. Die Zeit schien stillzustehen, als die Gauklerin sich in unmöglich anmutenden Schwüngen und Kurven von Stange zu Stange hangelte und warf, sich hier mit nur einem Knie einhakte und kopfunter fast zur Decke schwang, dort das Seil eines Trapezes erklomm, um sich dann wieder in die Tiefe stürzen zu lassen, um im letzten Moment die Querstange zu fassen zu bekommen. Sie hängte sich mit beiden Armen lang an das am tiefsten hängende Turngerät, um daran knapp über den Köpfen der Gäste einen Schwung durch die ganze Halle zu vollführen. Kurz vor der Wand des Saales ließ sie los, flog auf diese zu – und stieß sich mit den Beinen ab in Richtung eines Seiles, welches sie gerade so zu erreichen vermochte. Am Seil hängend holte sie erneut Schwung, um mit einem weiteren Salto zum nächsten Trapez zu fliegen. Die ganze Zeit untermalten die Trommler jede Bewegung, mal sanfter, leiser, Spannung aufbauend, dann wieder treibend und dramatisch, um Höhepunkte mit Paukenschlägen zu unterstreichen.

Niemand konnte genau sagen, wie lange die Vorführung gedauert hatte, als das kalte blaue Feuer, von dem die Gauklerin umgeben war, langsam verblasste. Mit einem letzten dreifachen Salto verließ Doratrava das Reich der Luft, um mit einem Aufschrei, der freudige Erschöpfung und erfüllten Triumph gleichermaßen ausdrückte, zu Sumus Erdboden zurückzukehren. Wer genau hinsah, konnte erkennen, dass die Gauklerin diesmal hart an ihre Grenzen, wenn nicht gar ein wenig darüber hinaus gegangen war, denn diesmal musste sie bei der Landung einen Ausgleichsschritt nach hinten machen, um nicht hinzufallen, bevor sie die Arme in die Luft warf, um sich dem Publikum zu präsentieren. Schwer atmete sie, der Schweiß lief ihr über die Stirn und an Armen und Beinen herunter, was aber nur die am nächsten sitzenden Gäste erkennen konnten, doch das Strahlen ihres Gesichts enthielt alles Glück der Welt.

Borindarax sprang ungeachtet seiner Jagdverletzung auf und klatschte voller Begeisterung in die Hände. Viele andere der Zwerge jedoch reagierten deutlich verhaltener, manche gar, so wie viele Vertreter der kleinen Rasse aus dem Kosch, waren ein wenig blass um die breiten Nasen, als wieder mehr Licht in der Halle entfacht wurde. Zwar hatte der nilsitzer Vogt all seinen Gästen versichert, dass keine Magie bei den Vorstellungen im Spiel war, überzeugt waren davon nun längst nicht mehr alle. Die Zwerge aus Koschim, oder dem Tiefland um Angbar jedoch hatten Doratravas Vorstellung nahezu alle mit dem flammenden Aar assoziiert, mit dem Alagrimm, der das Bergkönigreich, wie auch die stolze Stadt verwüstet hatte und nur dank eines Wunders des göttlichen Schmieds gebannt werden konnte.

Nachdem er am Morgen die Enttäuschung in Doratravas Gesicht bemerkt hatte, als er erklärte, ihren gestrigen Auftritt nicht gesehen zu haben, hatte Rondradin sich fest vorgenommen zumindest diese Darbietung der Gauklerin zu verfolgen. Mit offenem Mund und bisweilen hämmernden Herzen verfolgte er das was Doratrava eine Darbietung nannte. Zauberei traf es in seinen Augen weit besser. Natürlich hatte der Geweihte von der Beweglichkeit und Körperbeherrschung Doratravas gewusst, schließlich hatte er sie oft genug in anderen Situationen gesehen, aber das hier… war einfach unglaublich. Als Doratrava sicher gelandet und sich offensichtlich glücklich den Zuschauern zuwandte, stand er auf und begann zu klatschen. Dabei grinste er die Gauklerin breit an  und schüttelte gleichzeitig den Kopf.  Shanija hatte dem Schauspiel mit offenem Mund beigewohnt. Wie schaffte die Gauklerin es, ohne merkliche Magieanwendung derart schwerelos durch die Luft zu gleiten - und dennoch jedesmal ihren Griff wieder an die rettenden Seile und Stäbe zu finden. Wunderschön war das Bild, das sie ihr geboten hatte, und ergriffen fasste sie nach der Hand ihres Gemahls und drückte sie. Dass dieser mit keiner Silbe darauf einging, sondern im Gegenteil noch zustimmend nickte war ihr Beleg genug, dass er die Vorführung gleichfalls bewundert hatte. Sie schmunzelte. Allein für die architektonischen Besonderheiten, diverse daraus hervorgegangene Umbaupläne und diese Vorführung hatte sich diese Reise wahrlich gelohnt.

Der Jagdtag insgesamt und der Kampf mit dem riesigen Schröter, das Auf und Ab seiner Gefühlslage, die Kür zum Jagdkönig und die vielen Male bierseligen Anstoßens danach und während des Banketts, all das musste ihm inzwischen ganz schön zugesetzt haben: wie sonst konnte Nivard nur glauben, akrobatische Kunststücke zu sehen, die ein Mensch (oder selbst eine Eiselfe) keinesfalls vollbringen konnte. Blitzschnelle Bewegungen wahrnehmen, die als flammende Zeichen in die Dunkelheit der Halle geschrieben standen und nachwirkten. Auch wenn all dies ein verrückter Wachtraum, ein Rausch, ausgelöst vom Bier und dem hypnotisierenden Trommelrhythmus  war - ja, sein musste - ließ er sich doch voll von diesem einnehmen und das offensichtlich Unmögliche auf sich einwirken. Und genoß den atemberaubenden Augenblick. Erst als er durch das aufbrandende Klatschen aus seiner Trance gerissen war und in die gleichsam verwunderten Gesichter der anderen Gäste um ihn herum blickte, wurde ihm bewusst, dass er keinesfalls geträumt hatte. Erst verblüfft und dann stürmisch stimmte Nivard in den Applaus ein. Fürbass erstaunt und gebannt hatte auch Wunnemine von Fadersberg den Auftritt verfolgt. Als in der Halle begeisterter Jubel ausbrach, rief sie dem ebenfalls aufgesprungenen Leodegar ins Ohr: “Was meinst Du? Einfach unglaublich, oder? Wir müssen diese Gauklerin gewinnen, bei unserem Turnier im Herbst aufzutreten. Unbedingt. Davon wird man in Ambelmund und ganz Nordgratenfels noch Jahre sprechen.”

Ausgeflogen

Als der Applaus der Gäste nach einiger Zeit abflaute, straffte sich Doratrava, winkte noch einmal in die Runde, wobei sie ihre Freunde besonders bedachte, und trat dann erschöpft und verschwitzt wie sie war an den Tisch des Vogts. Immer noch im Überschwang der Gefühle klang ihre Stimme recht keck und übermütig, als sie Borindarax lächelnd ansprach: “So, Ihr habt mich an Euren Tisch geladen, da bin ich! Aber lasst Euch gesagt sein, wenn ich jetzt einen Krug Bier hinunterstürze, müsst ihr mich aus der Halle tragen!” Sie zwinkerte dem Zwergen zu, allerdings war ihre Bemerkung nur halb scherzhaft gemeint. Sie hatte seit Stunden nichts gegessen und sich nun völlig verausgabt, zudem sollte Zwergenbier deutlich stärker sein als das, was sie sonst gewohnt war, da würde ihr der Alkohol wohl sofort zu Kopf steigen  - und ihr vermutlich die Lichter ausblasen, wie sie sich halb selbstironisch, halb unbehaglich eingestand. Erst jetzt fiel ihr auf, dass nicht alle Zwerge ein glückliches Gesicht machten, einige sahen sogar recht grimmig in ihre Richtung. Etwas ernüchtert und unsicher konzentrierte sie sich wieder auf den Vogt, da sie sich diese Blicke nicht erklären konnte. Borindarax lachte vergnügt und winkte energisch in Richtung einer seiner Bediensteten. Die Angroschna verstand und brachte nur wenige Augenblicke später einen Stuhl von einem der Nachbartisch herüber, so dass sich die Schaustellerin inmitten der Zwergenschar, gleich neben den Vogt setzen konnte. Es schien ihr ohnehin kaum eine feste Sitzordnung zu geben in deren Reihen, von den Delegationen der Grafen und dem Platz des Vogtes einmal abgesehen.  "Iss bitte. Es ist reichlich da und Zurückhaltung ist nun ja sicher auch nicht mehr notwendig, da du deine Vorführung beendet hast", bat der Vogt, doch es kam schon fast einer Forderung gleich sich am Essen gütlich zu tun. 

Dann hob er erneut den Arm und deutete mit zwei ausgestreckten Fingern in Richtung Bierausschank. Eine dralle Angroschna mit feuerrotem Haar und geröteten Wangen nickte nur und begann zu zapfen.

"Ich muss ehrlich zugeben, dass ihr mich überrascht habt. Damit meine ich nicht nur dich, sondern auch all deine Begleiter. Die vermeintlich ‘bunteste’ und ‘durchmischteste’ aller Jagdgruppen bringt mir so prächtige Zangen mit. Bär und Hirsch sind jedoch auch keine zu verachtende Jagdbeute. Die Entscheidung war äußerst schwer für mich. Überzeugt hat mich letztlich euer Vortrag, an dem sich alle beteiligt haben. Man konnte sehen, dass ihr euch untereinander versteht und dass ihr diesen Tag gemeinsam als Jagdkönige krönen wolltet. Gemeinsam - das ist das Wort was von Bedeutung ist, habt ihr daran geglaubt. Das hat mir imponiert, gerade weil es den Sinn, dem ich der Jagd geben wollte, so vortrefflich repräsentiert.”

Zwar war Doratrava noch immer ganz berauscht von ihrem Auftritt und dem Zuspruch der vielen Leute, doch sehnte sie sich auch nach einem Bad, und wenn es in einem kalten Bach wäre. Allerdings sah es nicht so aus, als würde sie der Vogt beizeiten von der Angel lassen, also griff sie sich innerlich leise seufzend wahllos etwas zu essen und trank auch pflichtschuldig einen großen Schluck des dargebotenen Bieres, zumal sie nun auch richtig Durst hatte. Fast unmittelbar spürte sie schon die Wirkung des starken Getränks, wie sie es befürchtet hatte, eine seltsame Leichtigkeit breitete sich in ihrem Kopf aus. Schnell nahm sie noch einen Bissen zu sich, während die Worte Borindarax’ über sie hinwegschwappten, ohne dass sie allem folgen konnte, verstand sie doch nichts von Politik und hatte den Kopf gerade auch anderweitig voll.

Genüsslich steckte sich der Vogt ein Stück Braten in den Mund und kaute darauf, während er die Gauklerin mit seinen verstörend grünen Augen betrachtete, die im klaren Kontrast zu seinen roten Haaren und Bart standen. Dann stahl sich ein freches Grinsen auf die Züge des jungen Angroschos. Seine Neugierde blitzte auf. “Was wirst du mitnehmen, wenn du Nilsitz die kommenden Tage verlässt? Was wird hängen bleiben? Hast du etwas über uns gelernt, über unsere Kultur? Welche deiner Vorurteile siehst du bestätigt im Rückblick auf die vergangenen Tage, welche auch nicht?”

Fast unbewusst hatte Doratrava den zweiten Schluck Bier getrunken, so dass die Frage des Vogtes ein paar Augenblicke brauchte, um in ihr sich langsam vernebelndes Bewusstsein zu dringen. Fast ein wenig erschreckt bemühte sie sich, eine Antwort auf diese seltsamen Fragen zu finden, konnte sie dem Gastgeber schlecht mit “ich weiß nicht” kommen. Mühsam riss sie sich zusammen und öffnete den Mund, und dann fiel ihr tatsächlich etwas ein, was sie hier gefunden hatte und mitnehmen würde: Freundschaft! “Ich habe einen alten Freund wiedergetroffen und zwei neue Freunde gefunden, mit den zusammen ich sogar Jagdkönigin geworden bin”, sprudelten die Worte aus ihr heraus. “Ich habe zwei wunderbare Auftritte gehabt und vielen Leuten Freude bereitet, auch vielen Zwergen … äh, Angroschim.” Leichte Röte stieg der Gauklerin ins Gesicht, doch sie fuhr unbeirrt fort. “Ich habe festgestellt, dass es unter den Angroschim gute Trommler gibt.” Sie zwinkerte dem Vogt mit Schalk in den Augen zu. “Eure Jagdhütten sind ein wenig groß geraten und auch nicht aus Holz. Und Vorurteile hatte ich keine, habe ich doch bislang kaum was mit Eurem Volk zu tun gehabt. Aber man kann gut mit euch Angroschim auskommen, also zumindest mit Euch, mit Borix und mit Tharnax. Mit anderen habe ich leider wenig Gelegenheit gehabt zu sprechen.” Die Gauklerin nahm den dritten Schluck Bier, leicht schwankend setzte sie den Krug wieder auf den Tisch. Ihre rubinroten Augen bekamen einen glasigen Ausdruck. “Euer … Hoch … geboren, besteht Ihr wirklich darauf, dass ich den Krug leer mache?” Ihre Aussprache klang nun schon leicht verschliffen, während sie versuchte, den Blick weiterhin auf das Gesicht des Vogtes zu fokussieren.

Der Vogt winkte ab. “Nein, dass war nur leichthin gesagt. Niemand ohne elfisches Blut ist in der Lage solche akrobatischen Dinge zu vollbringen. Die notwendige Körperbeherrschung vermag kein Vertreter unserer Rasse aufzubringen, noch ein Mensch. Deine Herkunft ist wahrscheinlich aber auch dafür verantwortlich, dass du Vergorenes weniger gut verträgst.” Borax lächelte und zuckte mit den Schultern. “Ich nehme es dir nicht übel, wenn du das Bier stehen lässt.” Er zwinkerte ihr schelmisch zu. “Es wird hier garantiert nicht schal werden.” Infolge lehnte sich Borax zurück und strich sich mit beiden Händen über den Bauch während er weitersprach. “Es freut mich, dass du hier alte und neue Freunde gefunden hast. Wenn du jedoch darüber hinaus drei Angroschim kennengelernt und gelernt hast ein bisschen zu verstehen warum wir sind wie wir sind, dann war all dies hier”, der Vogt ließ seinen Blick durch die Halle schweifen, die von tobendem Leben nur so überquoll”, nicht umsonst, denn darum geht es ja schließlich. Sag Doratrava, wohin werden dich deine Füße als nächstes Tragen?”

Doratrava wollte gerade den nächsten Schluck zu sich nehmen, als die Bedeutung der Worte Borindarax’ in ihren Geist sickerten. Erleichtert stellte sie den Krug wieder ab und nickte dem Vogt zu. “Ich werde zusammen mit den Altenbergern, Nivard von Tannenfels und Rondradin von Wasserthal zur Brauschau nach Herzogenfurt reisen.” Die Gauklerin war selbst überrascht, dass sie noch ganze Sätze zusammenbekam, wenn sie auch einen unerklärlichen Drang verspürte, in Kichern auszubrechen, welchen sie mühsam unterdrückte. “Äh, ich meine natürlich Brautschau!” Nun musste sie doch kichern. “‘Schuldigung.” Sie räusperte sich verlegen. “War wohl doch schon zuviel Bier auf leeren Magen … die Familie Altenberg hat mich eingeladen, bei der Brautschau aufzutreten - wenn ich auch so etwas”, sie machte eine umfassende Geste mit dem Arm in die Halle hinein, “nicht nochmal zustande bringen werde. Das war einzigartig.” Jetzt wallten die Emotionen in ihr hoch, und sie musste sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. “Ich danke Euch von Herzen, dass ich hier sein durfte.” "Ich habe dir zu danken Doratrava. Du hast für ganz besondere Momente gesorgt, die sicher kaum ein Anwesender je vergessen wird. Auch dies hat dazu beigetragen diese Feier zu einem vollen Erfolg zu machen. 

Ja, ich denke zur nächsten Jagd werden wieder ähnlich viele Leute kommen und damit ist meiner Sache vollends gedient, die Veranstaltung als festen Termin im Adelskalender zu etablieren." Das breite Grinsen des Zwergen bei diesen Worten zeugte von Zuversicht, Zufriedenheit, aber ebenso gesteigertem Alkoholgenuss.  "Und nun geh wieder zu deinen Freunden. Feiert als gäbe es kein Morgen.  Ich bin mir sicher wir werden uns wiedersehen.  Möge Simia dich stets begleiten Doratrava."

Die Gauklerin wusste nicht, was sie auf die letzten Sätze Borindarax’ antworten sollte, freute sich aber sehr über das Lob. Doch sie war auch erleichtert, jetzt entlassen zu sein, begann sie doch so langsam abzukühlen und in ihrer mehr als knappen und zudem noch durchgeschwitzten Kleidung zu frösteln. Sie erhob sich und verbeugte sich nochmals bühnenreif und mit einem warmen Lächeln vor dem Vogt und den anderen Zwergen an seinem Tisch. “Habt Dank, Euer Hochgeboren. Ich werde Euren Rat beherzigen und bin gespannt, wann unsere Wege sich wieder kreuzen werden.” Mit diesen Worten sprang sie davon, doch nicht gleich zu ihren Freunden, sondern hinaus aus der Halle und hinauf unter das Dach zu ihren Sachen. Sie brauchte ein Tuch, trockene Kleidung  - und vielleicht auch ein Bad. Sie hatte davon gehört, dass es hier Badezuber geben sollte, welche man nicht von Hand nachfüllen musste, wie auch immer das gehen sollte, wenn man mal Magie aus dem Spiel ließ. Das wollte sie sich jetzt dringend einmal ansehen - und ausprobieren. Jetzt waren doch sicher alle Gäste bei der Feier, da würde hoffentlich niemand sonst einen Badezuber benötigen. 

Vom Davonlaufen und Stellung halten

So viel war geschehen und Gelda von Altenberg war froh, das dieser Tag sich dem Ende zuneigte. Allerdings einer Sache konnte sie sich noch nicht stellen: dem Rondrageweihten Rondradin. Den ganzen Abend hatte er bei den Baronen von Rabenstein verbracht und ihre Tante steckte ihr nebenbei das es eine Verlobung gab. Ein unerwartetes Gefühl der Enttäuschung hatte sich in ihrer Brust breit gemacht. Schon morgen würden alle abreisen und auch wenn sie wußte, das Rondradin bei der Reise zur Brautschau sie begleiten würde, wusste sie, dass es höchstwahrscheinlich keine Gelegenheit mehr gab, unter vier Augen zu sprechen. Seufzend erhob sie sich, als sie sah, wie Rondradin mit mehreren Krügen sich vom Tisch der Rabensteiner entfernte. Mit schnellen Schritt holte sie auf und hielt ihn an. “Eure Gnaden, habt ihr vielleicht einen Moment für mich?”

Überrascht sah Rondradin Gelda an. “Ja, natürlich. Das trifft sich gut, ich war gerade auf dem Weg den Jagdkönigen meine Aufwartung zu machen”, erklärte der Geweihte, während er um seine Worte zu unterstreichen, gleichzeitig die Krüge anhob. “Meinen herzlichen Glückwunsch, Gelda.”

Zwar lächelte der Wasserthaler, aber seine Gedanken und Gefühle waren ein einziges Chaos. Zwar hatte er sich auf diese Begegnung geistig vorbereitet, aber außer einem guten Vorsatz war nichts davon übrig. Er empfand etwas für Gelda. Liebe? Vielleicht. Aber nun war er mit Ravena von Rabenstein verlobt, also durfte das nicht sein.  Wusste sie bereits von seiner Verlobung? Falls nicht, was wenn sie ihm ihre Liebe gestehen wollte? Wenn doch, würde sie ihm Vorhaltungen machen? Auch wenn seine Miene keinen Anhaltspunkt für seine Gefühle bot, so verriet ein Blick in seine Augen alles.  Als sein Blick ihn traf, spürte sie die Röte die ihr ins Gesicht schoss. “Danke, euer Gnaden.”, brachte sie heraus, zögerte aber dann einen Moment. “Ist es möglich, das wir uns unter vier Augen unterhalten könnten?” fragte sie ihn, ohne den sehnsüchtigen und erwartenden Blick in ihren grünen Augen verbergen zu können. Es dauerte einen Moment, bis sich Rondradin den Blickkontakt mit Gelda zu lösen vermochte. Ein Hochgefühl des Glücks umspülte ihn im ersten Augenblick, das sogleich in das genaue Gegenteil umschlug als ihm die Verlobung wieder einfiel. Trotzdem, er würde nun die Möglichkeit haben die Missverständnisse des Morgens auszuräumen. So nickte er Gelda zu: “Natürlich. Ich würde auch gerne mit Euch sprechen.” Dieses mal würde er Gelda einen für sie angenehmen Ort wählen lassen. Sich der vollen Krüge in seinen Händen gewahr werdend, drehte sich der Geweihte einer Gruppe Angroschim zu und stellte ihnen die Bierkrüge mit einem fröhlichen ‘Baroschem!’ auf den Tisch. Dann wandte er sich wieder Gelda zu und bot ihr den Arm. “Wollen wir? Ihr führt.” Sogleich ergriff sie seinen Arm und führte ihn in die kühle Nacht nach draußen. Sie lief ein wenig um die Jagdhütte, an eine abgelegene Ecke. Der Himmel war sternenklar und von weiten hellte noch immer einer der Lagerfeuer das Antlitz des Rondrageweihten auf.  Nun konnte auch er erkennen das sie ziemlich müde aussah, aber dennoch eine neue gewonnene Selbstsicherheit mit sich führte. “Ich wollte mich bei euch… dir entschuldigen, Rondradin. Ich hatte viel Zeit nachzudenken und ich glaube, das ich dich falsch verstanden habe. Mir ist klar geworden, dass du ein anständiger Mann bist. Ich muss gestehen, das ich mich von dir angezogen … also ich meine da war so ein Gefühl der Nähe. So etwas kannte  ich gar nicht und ich …” Gelda unterbrach kurz und senkte den Kopf. “Aber, das ist ja jetzt alles nicht so wichtig mehr. Ich wusste nicht, dass es da noch eine andere gab. “ Sie blickte ihn wieder in die Augen. “Ich wollte dich auch nur wissen lassen, das ich bereit gewesen wäre, die Herausforderung anzunehmen.” Wieder war da dieses anziehende Gefühl, das ihr Herz höher schlagen ließ. Rondradin schluckte ob dieses Geständnisses. “Meine liebe Gelda, die Herausforderung hast du gerade gemeistert. Du sprichst mit mir über deine Gefühle und rennst nicht weg. Ach, hätten wir dieses Gespräch doch nur vor dem Aufbruch zur Jagd geführt. Ich habe dieses Gefühl doch auch verspürt. Gestern beim Tanz, hier vor der Halle und selbst jetzt.” Auch wenn es ihm schwer fiel, er senkte nicht den Blick, sondern hielt dem ihren stand. “Als ich mich heute morgen bei dir entschuldigte, war das nicht für den Mantel, sondern dafür, dass ich gestern kurz davor stand dich zu küssen. Ich dachte ich hätte dich verschreckt.” Ein tiefer Seufzer entrang seiner Kehle. “Hätten wir nur ein wenig mehr Zeit gehabt und wäre diese dumme Geschichte heute nicht gewesen…” Er sah Gelda eindringlich an. “Diese Verlobung kommt für mich genauso überraschend, wie für dich. Ich habe dich gestern nicht angelogen, als ich davon sprach, dass ich nicht versprochen bin. Der Baron von Rabenstein hat mir heute während der Jagd die Verlobung mit seiner Tochter nahegelegt. Nach dem Gespräch mit der Rahjageweihten gestern Abend und dem Verlauf unseres Gesprächs heute morgen war ich versucht, seinem Anliegen nachzugeben. Allerdings erbat ich mir Bedenkzeit und sie wurde mir gewährt. Ich wollte zuerst mit dir sprechen, alles Missverständnisse von heute Morgen ausräumen und sehen ob du mir verzeihen könntest. Allerdings hat mein Vetter während meiner Abwesenheit etwas nicht wiedergutzumachendes angestellt, was mich dazu zwang, diese Verlobung einzugehen um die Wogen zu glätten.” Der Geweihte fiel vor Gelda auf ein Knie und senkte den Kopf. “Es tut mir unendlich leid, wenn ich dir damit Schmerz zugefügt habe, dass ich eine mögliche gemeinsame Zukunft für uns beide zerstörte.” Seine Stimme war zu einem leisen, belegten Flüstern geworden. Ihre ganze Brust erfüllte sich mit Wärme, als sie begriff das er genauso fühlte wie sie. “Das Leben ist schon seltsam und vor allem … unvorhersehbar.” Die letzten Worte verkamen zu einem Flüstern. Sie begriff, dass sie ihm nie wieder so nahe sein durfte, wie in diesem Moment. Mit sanften Druck ihrer Finger unter seinem Kinn, wies Gelda ihn an sie anzuschauen.  Rondradin stockte der Atem als Gelda sein Kinn anhob. Wollte sie ihn etwa küssen? Sein Herz begann heftiger zu schlagen. Das durfte er nicht zulassen, egal wie sehr er sich danach sehnte. Oder etwa doch? Mit leicht  feuchten Blick schaute sie Rondradin tief in die Augen. “Wie ich schon sagte, ich nehme die Herausforderung an.” Sie schloss ihre Augen und küsste ihn. Als sich ihre Lippen trafen, war es um ihn geschehen. Seine Arme umfingen Gelda und zogen sie sanft zu sich heran. Zärtlich war seine Berührung, doch unmissverständlich. Er wollte ihren Kuss, ihre Lippen. Doch auch, wenn er sie so hielt, bestand für Gelda keinerlei Zweifel, dass sie sich jederzeit aus seiner Umarmung lösen konnte, wenn sie dies wollte. Hallte noch immer der Segen der Holden auf sie nach, den die Geweihte über Doratrava gesprochen hatte, vor der Siegerehrung? Ihr erster Kuss war mehr, als sie je zu hoffen wagte. Es war magisch, ein Wechselbad der Gefühle, heiß und kalt gleichzeitig. Gelda wusste, dass sie diesen Moment auskosten sollte und gab sich den starken Armen Rondradins hin. Als dann seine Zungenspitze die ihre berührte, reagierte sogar ihr ganzer Körper. Einem inneren Verlangen geschuldet, drückte sie den nun sehr erregten Körper enger an den Geweihten. Ihm wurde gerade schmerzhaft bewusst, wie sehr er sich nach der jungen Altenbergerin verzehrt hatte. Die von Gelda ausgehende Hitze steigerte sein Verlangen nach ihr nur noch mehr. Ihre Zungen umspielten einander, bis er seine Lippen von den ihren löste, nur um gleich darauf ihren Hals und Nacken zu liebkosen. Er konnte den wohligen Schauer spüren, der sie überrollte. Diese tiefgründigen grünen Augen, die Wärme ihres Körpers, ihr Duft, ihre seidenweiche Haut beraubten ihn jeder Widerstandskraft.

Die Flamme der Leidenschaft war entzündet, wie in einem Rausch fanden sich Küsse, Umarmungen und Berührungen am ganzen Körper. Ohne viel zu überlegen nestelte sie an ihrer Kleidung, um diese loszuwerden, bis Gelda bewusst wurde, dass sie noch immer draußen im Dunkeln standen. Sie hielt kurz inne und raunte ihm ins Ohr:” Nicht hier … wohin können wir gehen?” Rondradin musste nicht lange überlegen. “Mein Zelt.” Andere klare Gedanken konnte er gerade nicht fassen, als er Gelda in Richtung seines Lagers führte. Er beugte sich zu der kleineren Gelda hinunter und gab ihr einen weiteren leidenschaftlichen Kuss, während er  sich wünschte, das Zelt schon erreicht zu haben. Sein Blick wanderte hungrig ihren Leib entlang. Der Weg dorthin war nicht weit und sie konnten schon aus einiger Entfernung das kleine Feuer sehen, welches vor den Zelten brannte. Zwei Gestalten erhoben sich als Gelda und Rondradin näher kamen. Es waren die Waffenknechte, die Gelda heute schon gesehen hatte. Beide grüßten nur nickend und während Raxajida so tat, als ob sie Gelda gerade nicht sehen würde, warf Alarich einige Holzscheite auf die noch glühenden Kohlen, welche sich in der Feuerschale innerhalb des Zelts befanden. Rondradin hielt die Zeltplane für Gelda zurück. Im neu entfachten Feuerschein konnte sie das Innere des Zelts erkennen. Teppiche hielten die Kälte und etwaige Nässe zurück und darauf hatte man Felle bereitet. Mehrere Truhen luden dazu ein, sich auf ihnen niederzulassen und zuletzt war da noch das Bett, welches mit dicken Decken und Fellen gepolstert war. Hier war es deutlich wärmer als in der kalten Nacht draußen, geradezu behaglich. “Willst du nicht hereinkommen?” Der Geweihte hatte eine Hand einladend in Richtung der wunderschönen jungen Frau vor ihm ausgestreckt. Beim Anblick der beiden Waffenknechte schlichen sich kurz Zweifel in Geldas Gedanken. ´Nimmst du die Herausforderung an oder rennst du wieder davon?´ Ihr war fast so, also ob eine fremde Stimme sich in ihren Kopf geschlichen hätte. Mit selbstbewussten Schritt betrat sie das Zelt. Nun war sie sich sicher. Jetzt oder nie. Mit schnellem Atem drehte sie ihren Rücken dem Rondrageweihten zu und entkleidete sich langsam. Ihre helle Haut schien regelrecht im Scheine des flackernden Lagerfeuers und Rondradin erkannte ein kleines Geheimnis, das fast niemand zu sehen bekam. Ein kleines Muttermal auf ihrem linken Schulterblatt, das dem Betrachter gleich an einen Schwan denken ließ. Zu guter Letzt öffnete sie ihr Haar, das rot glänzend sich bis ihre Rückenmitte ausbreitete. Schüchtern drehte sie sich um mit verschränkten Armen vor der Brust, doch in ihren grünen, mandelförmigen Augen, war noch immer der Rausch Rahjas zu erkennen.

Unfähig seinen Blick von Gelda abzuwenden, hatte Rondradin verfolgt, wie sie sich langsam entblätterte. Erst dann hatte er begonnen seine eigenen Kleider abzustreifen. Als Gelda sich zu ihm umdrehte, hatte er sich gerade aufgerichtet, nachdem er seine Beinkleider abgestreift hatte. Zahlreiche verblasste Narben zierten den durchtrainierten Körper des Geweihten. Auffällig war eine große über den Bauch verlaufende Narbe und eine Vielzahl vernarbter Kratzspuren, die an die Klauen großer Greifvögel gemahnten. Seine Augen wanderten bewundernd über ihren nackten Leib und suchten dann ihren Blick. Seine blauen Augen schienen beinahe zu strahlen, befeuert durch das in ihm lodernde Feuer der Leidenschaft. Ihm gefiel was er sah und nur zu gerne hätte er die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückt und sie in seine Arme geschlossen, aber er wollte ihr die Gelegenheit geben, ihn in Augenschein zu nehmen. Auch wenn dieses Abwarten ihm beinahe alles abverlangte. 

Noch immer war ihr nicht ganz klar, was mit ihr geschah. Als sie den Geweihten bar jeder Kleidung sah, den muskulösen Körper, die Narben die schon trotz seiner jungen Jahre viele Geschichten erzählten, seine aufgerichtete Männlichkeit, breitete sich eine erregte Spannung von ihren Brüsten bis zu ihren Unterleib aus. Sie öffnete die Arme und ließ auch ihn, ihren vollen Körper betrachten und ging auf ihn zu. Mit etwas unsicheren Blick schaute sie Rondradin in die Augen. Sie hatte keine Ahnung, was sie als nächstes tun sollte. Als er ihre Unsicherheit sah, verlor sein Blick etwas von dem leidenschaftlichen Feuer und wurde stattdessen weicher, zärtlicher. Hatte sie etwa Angst oder Zweifel? Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft, während seine Hände über ihre Schultern streichelten. Ihr Lippen lösten sich und er flüsterte leise in ihr Ohr: “Gelda, mein Herz gehört dir. Du bist für mich die schönste Frau auf dem Dererund.” Rondradins Kopf wich ein wenig zurück um Gelda in die Augen sehen zu können. “Nichts kann daran etwas ändern. Gerne würde ich dir die Freuden Rahjas zeigen, aber ich werde dich nicht minder lieben, wenn du es dir doch anders überlegt hast.” Seine Hand lag nun sanft auf ihrer Wange und er lächelte sie voller Zärtlichkeit an.  Als sie dann ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn leidenschaftlich küsste, war ihm das Antwort genug. Rondradin hob Gelda hoch und trug sie hinüber zu seinem Lager. Ihr Kopf lehnte an seiner Brust und so konnte sie seinen starken Herzschlag wahrnehmen und wie dieser schneller wurde. Er genoss die Wärme und das Gefühl ihrer Haut auf der seinen. Vorsichtig bettete er Gelda auf die dicken Laken, dann legte er sich neben sie. Sie küssten sich, während ihre Hände den Körper des jeweils anderen erkundeten. Nach einem letzten langen Kuss, ließ Rondradin dann seine Lippen auf Wanderschaft gehen, verweilte hier und da, erkundete ihren ganzen Körper um schließlich wieder am Ausgangspunkt anzukommen. Ein weiterer Kuss folgte, ihre Zungen spielten und neckten sich. Ihre Blicke trafen sich. Gelda konnte nicht anders als vor Erregung zu stöhnen. Als ihre Blick sich trafen, wußte sie, dass sie bereit war. Der kurze stechende Schmerz ließ ihren Körper  kurz aufbäumen, doch alles was danach folgte, ließ diesen in Rahjas Rausch vergessen. 

Später, als Gelda längst gegangen war, lag Rondradin noch immer auf seinem Lager und dachte über die Geschehnisse der letzten Stunden nach. 

Knappenfreuden und Knappensorgen

Zu einem späteren Zeitpunkt des Banketts. Es wurde langsam ruhiger. Rondradin hatte sich von seinen künftigen Schwiegereltern verabschiedet und war mit mehreren Krügen beladen losgezogen, Palinor sich selbst überlassend. In seiner Tasche befand sich ein kleines Tiegelchen, das ihm jedes mal einen roten Kopf bescherte, wenn er daran dachte. Sein Vetter hatte es ihm widerwillig überreicht, zusammen mit einigen deutlichen Worten der Warnung. Der Baron von Rabenstein war gerade in ein Gespräch mit seiner Gemahlin vertieft und beide achteten nicht auf ihre Umwelt. Palinor hatte gehofft, dass Boromada wenigstens beim Bankett wieder zugegen sein würde, aber scheinbar gönnte ihr Schwertvater auch dieses nicht. Sie machte sich sicherlich Sorgen und Hunger dürfte sie auch haben. Ein Entschluss reifte in seinem Kopf heran. Mit einem letzten Blick auf ihre Knappeneltern griff er sich einen Teller und packte mehrere Scheiben Braten, Brot und andere Beilagen darauf. Auch einen Krug verdünnten Bieres - worauf er achtete - schnappte er und schlüpfte dann aus der Halle hinaus in die kühle Nacht. Im Schutze der Dunkelheit schlich der Knappe durch das Zeltlager, bis er das Zeltlager der Rabensteiner erreichte. Leise näherte er sich dem Zelt, in welchem Boromada vorhin verschwunden war und lauschte, ob er sie hören konnte. Im Zelt war es leise, bis auf leichtes Rascheln, dass anzeigte, dass sich eine Person dort befand. Viel zu sehen war durch die dunkle Zeltplane nicht.

Leise flüsterte der Knappe in Richtung des Raschelns: “Boromada, bist du noch wach?” “Palinor?” kam eine leise Frage von innen. “Komm herein, schnell, ehe dich jemand sieht!” Das ließ sich dieser nicht zweimal sagen und schlüpfte in das Zelt hinein.  Eine kleine Laterne erhellte das Zelt nur unzureichend. “Was machst Du den hier?” Boromadas betretene Miene hellte sich auf, als sie des Knappen ansichtig wurde. Er lächelte glücklich, als er seine Angebetete erblickte. “Du warst nicht beim Bankett. Ich dachte du hast bestimmt Hunger, außerdem habe ich dich vermisst”, damit zeigte er ihr den beladenen Teller und den Krug.

“Dich schickt die gütige Travia!” strahlte Boromada den Jüngeren an. “Wie geht es Dir? Hat Dein Onkel dich sehr rundgemacht?” wollte sie besorgt wissen, die Augen hungrig auf die gefüllte Platte gerichtet. “Hast Du schon gegessen?” “Ich hatte schon etwas, aber ich leiste dir gerne Gesellschaft.” Er setzte sich neben Boromada. “Mein Vetter war wütend und hat mir eine Standpauke gehalten, das ist wahr. Aber ich glaube, es liegt mehr an der Vereinbarung die er unseretwegen mit deinem Knappenherrn geschlossen hat.”  “Welche Vereinbarung?” fragt Boromada, leichte Panik in der Stimme. Sie hatte nur die leisen Stimmen vor dem Zelt gehört, aber nicht, was sie sagten. Und ihre Strafe war ausgeblieben - vorerst. Palinor legte beruhigend den Arm um sie. “Wir werden nicht bestraft werden, weder von meinem Vetter noch von deinem Schwertvater. Dafür wird Rondradin die Tochter des Barons, Ravena heißt sie wohl,  heiraten.” Ein wenig mulmig war ihm immer noch deswegen, aber das wollte er gegenüber Boromada, die sich sichtlich Sorgen machte, nicht zeigen. Boromada seufzte tief auf und legte ihren Kopf auf die Schulter Palinors. “Au weia. Hat er das freiwillig gemacht?” Sie betrachtet sinnierend den Teller und entschied sich dann für ein dickes Brot, belegt mit zwei Scheiben Braten, einer Wurst und einer dicken Scheibe Käse, ehe sie genussvoll hineinbiß. Mit zwei vollen Backen kauend schaute sie Palinor an. “Wasch meinscht Du - war’s dasch wert?”

Palinor bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick, bevor er antwortete. “Ich möchte keinen Moment mit dir missen. Aber ich mache mir schon Vorwürfe, ihn in diese Lage gebracht zu haben. Was ist mit dir? Bedauerst du es?” “Nein!” Fast erschrocken fuhr Boromada auf und schluckte ihren Bissen hinunter. “Das war … großartig, Palinor. Und wir sollten das wieder tun. Ich habe nur Angst, was passiert, wenn er es herausbekommt.”

Sein Herz machte einen Sprung als er Boromadas Worte hörte. “Wir müssen vorsichtiger sein, aber ich will das ebenfalls wieder mit dir tun.” Der Knappe blickte Boromada in die Augen und wischte einen einsamen Brotkrümmel von ihrer Wange. Boromada wandte sich Palinor zu und ihre Augen leuchteten. “Palinor, ich …. .” Sie suchte nach Worten, fand doch nicht die richtigen und küsste den Knappen als Antwort einfach auf den Mund. Ganz egal, was daraus werden würde.

Palinor erwiderte den Kuss, schlang die Arme um Boromada und zog sie an sich heran. Sie schmiegten sich aneinander, genossen die Nähe des jeweils anderen, doch schließlich trennten sich ihre Lippen und sie sahen einander, verzückt lächelnd, tief in die Augen. “Boromada”, begann Palinor und fasste endlich den Mut es laut auszusprechen. “Ich liebe dich.” “Ich liebe Dich auch.” strahlte Boromada im Überschwang ihrer Gefühle.  Sie schwieg und kostete den Moment aus, die erste wahre Verliebtheit ihres Lebens. So saßen sie eine zeitlang dicht beieinander und schmiegten sich aneinander. Zufrieden damit, die Nähe des jeweils anderen zu spüren. Palinor machte sich einen Spaß daraus, Boromada zu füttern. Die kicherte und schloss die Augen, wann immer er mit einem Bissen ankam. Schließlich war die Platte bis auf ein paar Brotkrümmel restlos geleert. Palinor nahm den Krug auf und reichte ihn Boromada. “Es ist nur verdünntes Bier, aber es schmeckt trotzdem.”  Als er den Krug zurückbekam, nahm er einen Schluck und überlegte dabei, wie er das nächste Thema ansprechen sollte. “Glaubst du, dein Schwertvater würde es erlauben, dass ich dir schreibe?” “Ich weiß es nicht. Vielleicht solltest Du ihn einfach fragen. Mehr als Nein kann er nicht sagen.” das klang hoffnungsvoll. “Ich würde Dir jedenfalls antworten.” Sie lächelte, mit mehr Hoffnung, als sie tatsächlich fand.

Seine Augen leuchteten auf. “Dann werde ich ihn fragen.” Er schluckte, als er daran dachte, wie er den Baron ansprechen sollte. Insgeheim scholt er sich dafür, das eigentlich Thema gar nicht angesprochen zu haben. Was wenn sie wirklich… nein! Das war Unsinn, egal was die Baronin gesagt hatte! Aber falls doch? Da war diese leise Stimme, die diesen Gedanken wieder aufbrachte. Palinor ging in sich und dachte nach. Unbewusst begann seine Hand über den Bauch der Knappin zu streicheln. Kinder zusammen mit Boromada? Warum nicht, in ein paar Jahren vielleicht, wenn sie beide von ihrer Ritterfahrt zurück wahren. Ein schöner Gedanke, dachte er und kuschelte sich nochmal näher an Boromada an. Palinor würde bald aufbrechen müssen und wollte die verbleibende Zeit mit seiner Boromada genießen.  Plötzlich waren von draußen Schritte und leise Stimmen zu vernehmen. Aufgeschreckt und mit großen Augen starrte Palinor alarmiert zu Boromada. Er beruhigte sich wieder als die Geräusche am Zelt vorüberliefen und wieder verklangen. Erleichtert sank er vor der Knappin auf die Knie. “Ich sollte jetzt gehen, bevor wir wirklich erwischt werden.” Palinor beugte sich vor und gab Boromada einen letzten, leidenschaftlichen Kuss, bevor er  rasch den leeren Krug und die Platte aufhob. “Wir sehen uns morgen. Ich liebe dich.” Sich vorsichtig umsehend, ob die Luft auch wirklich rein war, schlüpfte er dann aus dem Zelt.

Die Zangenbeichte

Als die ersten Fässer geleert waren und Tharnax und Borix sich gegenseitig so langsam aber sicher keine Geschichte mehr erzählen konnten, die sich noch nicht kannten oder noch nicht erzählt hatten, erhob sich Borix und ging  - ein wenig, aber auch nur ein klein wenig - unsicher in die Richtung von Borindarax’ Sessel. Bei dem Gastgeber angekommen, schielte er nach einem freien Stuhl, zog diesen neben den Sessel des Vogts, ließ sich darauf mit einem lauten Seufzer fallen und neigte sich vor um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Nachdem er mehrmals angesetzt hatte, aber der Vogt in anscheinend auf Grund des Lärms, der in dem Saal herrschte wohl nicht richtig verstanden hatte, ließ er sich mit einem derben Fluch zurück auf den Stuhl fallen. Dann begann er lauter und mit doch schon schwerer Zunge zu reden: “Freund Boraksch, isch musch Dir da wasch beichten …” Amüsiert lächelte der Vogt und machte dann eine auffordernde Geste in Richtung des Veteranen. “Heraus damit.” “Tscha, also …”, druckste der alte Kämpe herum, “... die Dingsch, na, die Tschange von dem Dingsch … dem dicken Käferdingsch … von heute vonne Jagd.” Borix machte eine kleine Pause um die Worte erst noch einmal zu sortieren bevor er weitersprach. “Dasch Dingsch ischt mir kaputt gebrochen … dasch kannschte so nischt an die Wand häng’n! Isch musch dasch erschtma’ … na, weischt Du … repa...repari… heile machen!” Verständnislos glotzte Borax Borix an. Einige Momente verstrichen, dann hellte sich das Gesicht des Vogts plötzlich auf und er grinste. “Ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Na”, Borindarax klopfte dem Veteranen freundschaftlich auf die Schulter, “dann wird mein Jagdkönig sein überragendes Können ja noch einmal auf andere Weise unter Beweis stellen müssen.” Der Vogt zwinkerte dem Älteren verschwörerisch zu. “Aber erst, wenn du wieder nüchtern bist würde ich vorschlagen. Wenn deine Zunge schon nicht so will wie sie soll, dann sieht das mit deinen Fingern sicher kaum anders aus.” “Dasch mache isch!” antwortete der Angroscho nach einer kurzen Pause. “Morgen früh … Du darfscht esch nur nischt schon aufhängen! War nur wischtisch, dasch Du dasch weischt!” Nach diesen Worten ließ er sich zurück auf den Stuhl fallen und kurze Zeit später sackte der Kopf auf die Brust und ein leichtes Schnarchen war zu vernehmen. Lachend schüttelte der Vogt den Kopf. Das erste ‘Opfer’ war zu vermelden. Weitere würden folgen, daran hatte Borax nicht den geringsten Zweifel. Bier und Gebrannter flossen in Strömen, so dass er zwischenzeitlich sogar befürchtet hatte sein Vorrat im Keller würde nicht reichen. Dies jedoch würde nicht geschehen, davon hatte er sich selbst überzeugt. Eine weitere, solche Feier jedoch würde erst stattfinden können, nachdem die Vorräte aufgefrischt worden waren. Zufrieden seufzte der Vogt und ließ sich wieder zurück in seinen Lehnenstuhl sinken, nur um dann Tharnax, der einige Plätze weiter saß, mit ausgestrecktem Arm herbei zu winken. Der Bergvogt würde seinen Freund sicher in sein Bett geleiten. Wenn Borax richtig lag, war er ja auch schließlich Hauptverantwortlicher für seinen Zustand.

Rauchkrautbetrachtungen

Während all dies geschah, saß die Rahjageweihte ruhig auf einem der hinteren Plätzen des Banketts. Sie beobachtet. Rauchte mit ausgestreckten Beinen ihr Rauschkraut und sah Gäste reden, kommen und gehen. Es bestand keine Eile. Heute, oder morgen...sie würden kommen. Ach, als gäbe es nur dieses Fest und nur diese Männer und Frauen. Sie verdrehte die Augen und musterte noch einmal die Gesellschaft.  Ah...ein paar Gäste waren durchaus interessanter, als gedacht.  Endlich zurück! Trotz Aureus’ Hilfe war es ein ganz schön mühsames Geschäft gewesen, Elvan in sein Lager zu verfrachten. Nun war Nivard zurück, und freute sich darauf, den Abend gemeinsam mit Gelda ausklingen zu lassen. Kaum in die Halle eingetreten richteten sich seine Sinne ganz auf den Tisch, an dem sie vorhin noch gesessen hatte, doch war Geldas Platz verwaist. Schnell glitten seine Augen durch die Halle, doch vermochten sie die junge Altenbergerin nirgendwo auszumachen.  Nicht nur von der frischen Luft zuvor ernüchtert und etwas ratlos drehte sich der junge Krieger um, da kreuzte sein Blick den der Rahjageweihten. Oje, da war doch noch was. Aber ausgerechnet jetzt? Offenbar hatte sie ihn ihrerseits auch erkannt … .

Rahjania spielte mit ihrem Dolch und hatte eben eine Kerbe in die Bank geritzt. Da erblickte sie ein bekanntes Gesicht, der Name dazu war ihr entfallen, der Dings...ach ja, Nirbad oder so. Der stand noch auf ihrer imaginären Liste. Sie lächelte leicht , hob die Augenbrauen und machte eine sehr eindeutige Geste mit der Hand. Mehr bewegte sie nicht, er musste kommen. Er würde kommen. Er hatte es der Geweihten gestern versprochen, dafür, dass sie ihn ziehen ließ, als er den Tanz mit ihr abbrechen wollte. Ihr zu berichten, was ihm in Rahjas Namen geschehen war. ‘Seid ein Mann, kein Lappen’, hatte sie ihm gesagt. Nivard fragte sich, ob er sich als Mann bewiesen hatte, hinreichend bewiesen. Er hatte gegen einen Schröter gekämpft, und er war Jagdkönig geworden. Er hatte Gelda ein Gedicht vorgetragen. Aber nun war sie verschwunden. Und das nicht zu ihrem Zelt, denn auf dem Weg dorthin hätte er sie treffen müssen. Wo war der Rondrageweihte? Auch ihn konnte er nirgendwo sehen. Ein Sturm der Gedanken und Gefühle erhob sich in ihm. Enttäuschung. Zweifel. Ängste. Es drängte ihn, nach Gelda zu suchen. Aber war das eine gute Idee? Und er hatte ein Versprechen gegeben. Etwas unschlüssig ging Nivard auf Rahjania zu. “Gestatten, Hochwürden, dass ich mich für einen Augenblick zu Euch geselle?” sprach er sie mit leiser, schüchtern wirkender Stimme an. Ah, der ! Wie so oft suchte sie nach dem passenden Namen. Irgendwas mit N… Jedenfalls war es der junge Mann, der anscheinend unglücklich verliebt war. Gespannt faltete sie die Hände und blickte unverhohlen neugierig. “Nirbad, wie schön, dich zu sehen. Rahja zum Gruße und meinen Glückwunsch zu Eurem Titel.” Seine Gruppe war doch Jagdkönig geworden, da sie so ein hässliches Käfervieh erlegt hatten. “Kommt das Ungetüm auch in die Suppe, so wie die Spinnen ?” Sie hatte die Frage im Scherz gestellt aber während sie noch sprach, wurde ihr klar, dass die Angroschim, dieses seltsame Volk, es wirklich essen würden. Rahjania verdrängte das Bild, das sie jetzt im Kopf hatte….”Du wolltest mir was erzählen, oder ?”

“Nivard, Euer Hochwürden, Nivard von Tannenfels.” korrigierte der junge Krieger seinen Namen. “Habt Dank für Eure Glückwünsche. Ich vermute, dass der Schröter tatsächlich ebenfalls zu einer Suppe, oder zu einer Art Brei verarbeitet wird, die Konsistenz seines Inhalts legt zumindest eine solche Verwertung nahe. Bereits die Spinnensuppe gestern war durchaus nicht zu verachten, und die Riesenkäfer gelten als noch größere Delikatesse. Ich muss unbedingt auch davon kosten.” Dem immer noch vorhandenen Alkoholpegel sei Dank, fand er der Rahjageweihten gegenüber wenigstens einen Gesprächseinstieg. Wenn er nur bei Schrötern und deren Verwertungsmöglichkeiten bleiben könnte! Aber er hatte Rahjania etwas anderes dafür gelobt, dass sie ihn gestern hatte ziehen lassen. “Ich schulde Euch noch... eine Erklärung… für mein Verhalten gestern… gestern Abend.” Nivard sah die Geweihte mit entschuldigendem Blick an. “Auch wenn ich es wahrscheinlich nicht gut erklären kann, fürchte ich doch, das Spiel, dass Eure Göttin mit den Herzen von uns Sterblichen treibt, niemals verstehen zu werden.” Sein leicht glasiger Blick schweiften wieder in die Halle, auf der Suche nach rotem Haar und grünen Augen. Erneut ohne Erfolg kehrten seine Augen, müde und schüchtern, zurück zu seiner Gesprächspartnerin. “Aber vielleicht könnt ihr mir ja ihr Wesen und ihre Regeln erklären?”

Wie ekelhaft ... Rahjania spielte mit dem Gedanken, eingelegtes Orkenfleisch in diese Gegend zu importieren, denen schien vor nichts zu grausen und sie konnte immer Geld für ihren Tempel brauchen. Sie würde es erst mit Wulfi besprechen. Dann seufzte sie und legte Nirvad beide Hände auf die Schultern. “Das Wesen meiner Göttin ... und ihre Regeln. Sie ist so vielschichtig, das vergessen die Menschen oft. Um es richtig zu erklären, bräuchte es sehr viel Zeit, weißt du, Rahja gibt nicht jedem den Partner, den man meint, haben zu wollen, wo würde das denn hinführen?” Sie lächelte, sie ahnte es. “Was du jetzt fühlst, fühlt mancher nie. Der Schmerz wird vergehen und du wirst erkennen, dass nicht alle schönen Frauen Deres nur auf diesem Fest hier sind. Du hast die Jagd gewonnen, denk daran. Gehe wie ein Sieger und verhalte dich so. Und...binde dich bloß nicht zu früh, ja?”

Nivard wusste nicht, ob es am Alkohol oder an ihm lag, dass er nicht so recht schlau wurde aus den Worten der Geweihten. Oder an diesen selbst? Wahrscheinlich an allen dreien. “Wie kann, wie soll ich mich nur wie ein Sieger verhalten und zugleich den Regungen meines Herzens in Richtung der liebreizendsten Dame, die mir hier und je begegnet, kampflos entsagen? Ist Rahja nicht auch die Göttin der Leidenschaft? Warum pflanzt Rahja solch starke Gefühle in die Herzen der Menschen, und ist dann so grausam diese alsbald unerwidert und kalt zu zerschmettern? Wenn es Trost sein soll, dass auch andere Mütter schöne Töchter haben, so wirkt dieser nur schal auf mich, und nicht dem leidenschaftlichen Glanz Eurer Göttin gerecht.” Nivard schnaubte grimmig. “Aber Ihr habt Recht, wie ein Sieger sollte ich mich geben. Und dem Weg folgen, der mich zu diesem gemacht hat. Wieder aufstehen, selbst wenn man niedergeworfen unter einem Riesenkäfer zu liegen kommt, und weiter kämpfen.” Nivard nickte trotzig, mehr an sich selbst als an Rahjania gewandt.  Wahrscheinlich gab es einen guten Grund, warum Gelda nicht mehr hier war. Der nichts mit ihm zu tun hatte. Und selbst wenn… heute hatte er mehr als genügend Mutelixir zu sich genommen. Und Willenstrank, von den Zwergen gefertigt, mit einer Schaumkrone obenauf.

“Ja, das werde ich tun, wieder aufstehen und weiterkämpfen. Wie die Herrin Rondra es mir befiehlt… Irgendwann wird dann auch Rahja ein Einsehen haben. Müssen. Oder?” Rahjania gefiel der Ton nicht, mit dem Nirvad über Rahja sprach, sie schrieb es auch dem Alkohol zu, und seiner Jugend. Trotzdem musste sie etwas klarstellen. “Nirvad,so wird das nichts. Denkst du wirklich, Rahja wäre dazu da, jedem, der es sich wünscht, seinen Partner zu geben ? Ha, wie viele Männer hätte ich dann wohl ? teilweise hast du verstanden, teilweise nicht, wobei ich nicht weiß, ob du fähig wärst, in der Kürze der zeit, das gesamte Wesen der Gottheit zu verstehen.” Stolz stemmte sie ihre Hände in die Hüften. “Die Meisten hier haben keine Ahnung, wie der Glaube in meiner ehemaligen Heimat aussieht, viele sind sogar so reaktionär, uns für bessere Prostituierte zu halten. Wer weiß, was dein Herz in ein oder zwei Götterläufen verspürt, oder das, deiner Angebeteten ?” Sie lachte amüsiert. “Rahja muss genauso wenig alle Wünsche erfüllen, wie Rondra. Glaubst du nicht, in einem Kampf würden beide Seiten zu ihr beten ? Bleib auf dem Weg, auf den ich dir geholfen habe, jammere nicht so viel rum, so bekommt man keine Frau.” Ach, sie ahnte es. Mittelreicher, Angroschim. Anstatt ihre eigenen Fehler zu sehen, und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, würden sie sie, die Geweihte für unsensibel oder zu grob halten. Ein paar Tage mehr mit ihm, und er würde vielleicht lernen. “Um welche Frau geht es eigentlich?”

Hatte er zuviel getrunken, oder die Geweihte zuviel geraucht - das taten sie im Süden doch ständig, oder? Irgendwie hatte Nivard das Gefühl, dass sie beide aneinander vorbei redeten. Für einige Momente starrte er ratlos in die Halle, dann fragte er doch nach: “Habt Ihr mir nicht gesagt, ich solle ein Mann sein und kein Lappen? Mich verhalten wie ein Sieger? Und nun schimpft Ihr mich dafür, dass ich für und um die Dame, die mein Herz berührte, kämpfen möchte? Wenn das die Sicht Eurer Göttin ist, verstehe ich sie in der Tat nicht… auch wenn ich Euch sicherlich nicht für bessere Prostituierte halte, so gut habe ich Eure Kirche durchaus bereits kennengelernt, Hochwürden.” Vielmehr hatte die Reise mit Rahjalind von Zweibruckenburg ihn vor allem die Kunstsinnigkeit des Rahjakultes aufgezeigt. Anderen Dingen, die ihm damals vielleicht die Schamesröte aufs Gesicht getrieben hätten, hatte er sich dagegen bewusst eher ferngehalten.

Wieder glitt sein Blick suchend über die Halle. “Gerne würde ich Euch die Dame jetzt zeigen,” begann er zögerlich, “aber sie weilt heute Abend wohl nicht mehr auf dieser Feier. Wenn Ihr sie seht, werdet Ihr mich vielleicht verstehen. Sicher habt Ihr sie bereits gesehen - auch sie war im Kreise der heutigen Jagdkönige, kupferrotes, glänzendes Haar, ein lieblicher Mund und Augen, grün und voll Zauber…” Nivard merkte, dass er ins Schwärmen abdriftete, was ihm angesichts des Verschwindens Geldas und auch des merkwürdigen Gesprächs mit der Dienerin Rahjas untrefflich erschien, und endete abrupt. Wahrscheinlich führte dieses Gespräch zu nichts, fürchtete er. Andererseits: Gelda war nicht mehr hier, Elvan lag betrunken in seinem Zelt, und nach unbeschwert feiern war ihm gerade auch nicht mehr. Also warum nicht anhören, was ihm die liebliche Göttin über ihre Dienerin noch mitzuteilen hatte. Auch wenn er am Ende nichts davon kapierte.

Sicher traf beides zu… Alkohol und Rauschkraut führten zu besonders obskuren Gesprächen, aber irgendwo würde man sich schon verstehen. Rahjania hätte sich nicht gewehrt, oder nur halbherzig, wenn Nirvad in Rage oder Zorn sie einfach gepackt und sie beide sich dem Feuer der Leidenschaft hingegeben hätten. Jetzt blinzelte sie, ebenfalls verwirrt. "Also Jammern und sich von der Herrin Rahja ungerecht behandelt fühlen ist mitnichten kämpfen, mein Lieber. Zeig ihr, dass du sie als Frau begehrst, viele jungen Mädchen warten auf den ersten Schritt des Mannes, es ist eine Kunst, zu spüren, wie forsch man sein darf. Aber wenn dieser nicht kommt, wird es nie über den Status der Freundschaft hinaus gehen. Und nein.." Sie hob beschwichtigend ihre hübsche und makellose Hand. "Gedichte und Lieder vortragen ist kein geeignetes Mittel dazu. Die Minne, ich kenne sie aus Weiden, ist die Verehrung durch Wort und Tat. Dem kannst du frönen, wenn du verheiratet bist und dich eine Andere interessiert, denn am Ende der Minne steht nie die körperliche Vereinigung..." Dunkel waren ihre Augen und exotisch, sie lächelte Nirvad unergründlich an. "Warum auch immer, irgendwie liegst du mir am Herzen und ich möchte dich glücklich sehen. Es wird wohl noch etwas Zeit brauchen, du wirst verstehen, was ich meine. Wie schade, dass diese so wundervolle Dame gerade nicht hier ist... Aber eure Wege werden sich erneut kreuzen..." Er sah ihre Augen nicht genau, aber er spürte es...sie nahm etwas wahr..." Ja, ihr werdet Euch bald wieder treffen, da bin ich sicher. Wie schade, dass ich nach Weiden muss, aber man braucht mich dort und ich vermisse Wargentrutz."

Nivard nickte. Ja, er würde Gelda bald wiedersehen, und das sogar für eine ganze Zeit. Darin lagen Trost, Hoffnung, aber auch Furcht. Denn wie sollte er ihr nur sein Begehren zeigen - das sagte sich alles so leicht für eine Rahja-Geweihte - vor allem, wenn Gedichte und Lieder nicht geeignet wären, so Rahjania Recht hätte. Gedichte und Lieder, ja, und auch Taten, erschienen ihm gerade der einzige ihm gangbare Weg, seinem Herzen Ausdruck zu verleihen. Er hatte keine Ahnung, wie sonst er Gelda gegenüber forsch sein könnte.  Und wie erkennen sollte, wann er dies durfte. Etwas ratlos dreinblickend fragte er daher nach: “Und wie um alles in der Welt soll ich ihr zeigen, das mein Herz für sie brennt, wenn Worte, Lieder und Taten nicht dafür in Frage kommen? Ich kann und möchte sie ja nicht körperlich bedrängen oder ihr anderweitig unziemlich begegnen!” Nivard schnaubte kurz, dann fügte er hinzu: “Werdet Ihr in Weiden eigentlich mit den gleichen Fragen behelligt? Ich hoffe, Sie erscheinen Euch nicht allzu töricht!” “Aber natürlich darfst du etwas tun. Wenn du wie ein schüchterner Bub rum stehst bringt es nur genauso wenig, als wenn du dich ihr wie ein brünftiger Unhold näherst. Du musst da einen Mittelweg finden. Vor allem musst du mit ihr alleine sein, dann kannst du sie berühren, sollte sie schreckhaft sein, forciere es nicht.” Junge Männer… sie rieb sich die Hände und besah ihre Fingernägel. Kurz war es schwer, Rahjanias Alter zu schätzen. Nirvad wusste es nicht, sie mochte gleich viele Götterläufe gezählt haben oder doppelt so viel. Eigentlich war es gleichgültig. Sie drehte den Kopf wieder zu ihm, still, musterte seine Augen. In ferner Zeit würde dies alles vergessen sein, zu Asche und Staub vergangen, verweht im kalten Abendhauch. Vielleicht würde etwas aus dem Gespräch bleiben, das in der ungewissen Zukunft weiter existierte und doch von den beiden Personen hier und jetzt keine Ahnung hatte. Das nicht wusste, dass seine Existenz durch ein Gespräch, an das sich niemand mehr erinnern würde, geführt von Personen, die niemand mehr kannte und die nicht mehr waren, als Namen in einer Ahnentafel, geprägt wurde. Der Augenblick verging. “Nein.” Antwortete sie ernst. “Dort fragt man mich nach anderen Dingen. Meist halte ich mich aus der Liebe raus.” Dass er mit Gelda am besten alleine sein musste, war ihm auch längst klar. Wenn das nur so einfach wäre… er hatte es durchaus versucht… und dann die Herausforderung, in der Annäherung das rechte Maß zu finden... Er würde darüber schlafen müssen, und sich dann wahrscheinlich wieder Mut antrinken… oder zunächst doch bei der Minne bleiben. Heute Abend würde aber wahrscheinlich ohnehin nichts mehr passieren, wie er mit Schwermut feststellte. “Erstaunlich.” kehrte er aus seinen Gedanken zum Gespräch zurück. “Dass eine Dienerin der Rahja sich aus der Liebe raushält, meine ich. Widmet Ihr Euch dann auch vor allem den Künsten? Genau wie die einzige Geweihte Eures Kultes, die ich bereits näher kennenlernen durfte? Oder der Pferdezucht? Weinbau wird es in Weiden nicht sein, zumindest, falls ich die richtige Vorstellung von Weiden habe...” Etwas irritiert schüttelte sie den Kopf und fasste sich an die Stirn. “Komm, setz dich noch etwas her. Ich bin heute etwas aus der Fassung, wegen diverser Ereignisse und habe mich wohl falsch ausgedrückt.” Rahjania trank etwas Wasser und ihr Blick schweifte im Raum umher. “Natürlich kümmere ich mich um Verliebte, aber...es ist meist so, dass die fest vorhaben, einen Bund einzugehen. Ich bin weit und breit die einzige Geweihte und übernehme verschiedenste Aufgaben, begleite Geburt und Tod, kümmere mich um Pferde, Ziegen und Schweine...sehr, sehr selten kommt jemand, der Kontakt zu mir in rahjagefälliger Sache sucht. Es ist wohl mehr die Liebe, die von Travia gesegnet werden wird. Aber es ist schön, wenn sie durch Rahja bestätigt und gesegnet wird.” Nivard wunderte sich - eine Rahjageweihte als Dorfpriesterin war ihm in dieser Form noch nicht untergekommen. Eine Dienerin Travias oder Peraines hätte er in so einer Rolle erwartet, aber eine Rahjani? Die kannte er in den verschiedensten Formen des Rausches entrückt, oder in die Künste vertieft. Aber nicht im Angesicht der handfesten Angelegenheiten, die das Leben in den nördlichen Provinzen des Reiches mit sich brachte. Eine weitere überraschende Facette dieses merkwürdigen Kultes. 

“Ja, das kann ich mir gut vorstellen.” nickte er, verhalten lächelnd, als die Geweihte schloss. “Darf ich fragen, was Euch in Eure jetzige Heimat verschlagen hat?” Rahjania lachte herzlich und wandte sich ihm zu. “Natürlich darfst du. Es ist zwar eine ernste Sache, aber so skurril, dass ich selbst darüber lachen muss.” Unter den vollen Wimpern blitzen ihre Augen und sie streichelte langsam einen ihrer Finger nach dem anderen. Noch einmal kicherte sie, dann erzählte sie ernst ihre Geschichte. “ich war Novizin in Fasar, als ich eine göttliche Vision bekam und ohnmächtig wurde. Es war, als würde Rahja, die ich nur verschwommen, wie hinter einem Wasserfall sah, mir auftrug, den Glauben an sie auch im Norden zu verbreiten, also nicht missionieren, aber  es sei da im Norden ein Volk, die Unterstützung bräuchten, bärtig und wild. Ein Tempel. meine Intuition würde mich führen. Nach der Vision war an meinem  Dekolleté eine Rosentätowierung. Ich war mir meiner Sache wie noch nie zuvor im Leben. Etwas zog mich gen Norden. Wie ein Lachs, der seinem Fluss folgt… Ich kam durch mehrere Länder, bis nach Weiden. 

Ich fasse mich kurz. Als ich den Tempel in Wargentrutz erreicht hatte, der zu dem Zeitpunkt in keinem guten Zustand war, aber ein Heiligtum der Rahja beherbergt, spross eine zweite Knospe aus meinem Zeichen.” Sie lockerte ihr Gewand und zog die Kleidung so weit, dass Nirvad eine schöne, rote Rose und eine Knospe rechts über ihrer Brust erkennen konnte.  “Die Menschen dort sind arm, Rahjani gegenüber misstrauisch, aber ich war und bin die einzige Geweihte in diesem kleinen Dorf. Die nächste Traviageweihte braucht ein paar Stunden, so war es selbstverständlich, dass ich auch andere aufgaben übernahm. Ich habe mich angepasst und man schätzt mich. Ich pflege die heiligen Rosen, die ein versteinertes Liebespaar umranken und die besondere Fähigkeiten haben. Ich kümmere mich um die Pferde, Sterbende, sollte es die andere Geweihte nicht rechtzeitig schaffen, und ebenso Säuglinge. Die Bewohner dort sind wie eine Familie, und ich versuche, sie zu schützen und ihnen zu helfen. Etwas Skepsis bleibt natürlich.” Sie trank gierig etwas Wein, ihre Kehle war von dem Vielen Reden trocken geworden.” Nivard musste innerlich lachen - er war zwar rasiert, aber ansonsten wahrscheinlich auch nicht so anderes aus Sicht der Rahjani wie die bärtigen Wilden in Weiden, die zu missionieren sie nach Norden kam. Er hätte sich - fast - nicht gewundert, hätte sich in diesem Augenblick eine dritte Rose zum Dekolleté Rahjanias gefügt. Der Alkohol, er wurde kindisch… und es wurde Zeit, seinem Lager entgegen zu streben. Gelda würde wohl nicht mehr kommen.

~*~ Einige Zeit später kam dann der junge Knappe von heute Nachmittag wieder herein, in seinen Händen hatte er einen leeren Krug und eine ebenso leere Platte, die er bei einer Magd ablud. Hektisch sah er sich um, als suche er jemanden um dann verwirrt stehenzubleiben. Einen Augenblick später sah er dann zur der Rahjageweihten hinüber und kam auf diese zu. “Ra… Rahja zum Gruße, Hochwürden.” Sie direkt anzusehen bereitete ihm immer noch Probleme und sein Kopf war rot angelaufen. “Habt Ihr den Rondrageweihten gesehen?”

Rahjania hob langsam den Kopf und musterte Palinor eingehend. Jetzt erst sah er, dass sie einen Dolch in der Hand hatte, mit dem sie Kerben, besser gesagt eine, in ihre Sitzgelegenheit geritzt hatte. Dunkel und lasziv verweilte ihr Blick auf ihm. "Du bist der kleine Knappe von Rondrian, oder ?" Nun setzte sie sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf und richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf ihn. Es lief ihm kalt den Rücken hinab, als sie seine Hand packte und die Spitze des Dolches auf deren Fläche kreisen ließ... "Ja, den hab ich gesehen, der hat das Zelt verlassen. Ich hoffe, in der richtigen Absicht. Es wird Zeit, dass er ein richtiger Mann wird... " Der Druck des Dolches verstärkte sich und Rahjania hielt ihn weiterhin fest, es fühlte sich seltsamerweise sanft an. "Weißt du, wenn der Hengst die Stute besteigt, beißt er ihr in den Nacken ... auch das ist eine Seite Rahjas..." Sie ließ ihn los und zwinkerte. "Dich interessiert das doch auch, nicht wahr ? Er ist nach da raus..." Sie wies dem verwirrten Knappen mit einem Wink zu einem der Ausgänge und beobachtete weiter die Gesellschaft. Für jeden echten Mann eine Kerbe … .

Das Dolchspiel machte den Knappen nervös und er froh als die Klinge verschwand. Die Geweihte wirkte so anders als noch am Nachmittag. Da hatte er sie noch für nett gehalten. Aber nun? Palinor gefiel nicht wie die Geweihte über seinen Vetter sprach und noch weniger was sie über ihn sagte. Als ob er seinem Vetter nachlaufen würde, um ihn zu beobachten! "Verzeiht, aber was haben mein Vetter oder ich getan um uns Euren Unbill zuzuziehen?"  Rahjania blickte den jungen Knappen fragend an. Dann wandelte sich ihr Gesichtsausdruck in ein Lächeln. "Ach das Kraut ... es hat eine besondere Wirkung auf mich. Ich sehe Dinge, die mir sonst verborgen bleiben und es ist mir unmöglich meine Gedanken in mir zu behalten..." Sie kicherte mädchenhaft und winkte ab. "Rondradin ist wie gesagt dort raus doch mir scheint du bist nicht nur zu mir gekommen um nach dem Verbleib deines Herrn zu fragen?"

Der Knappe war verwirrt. War die Geweihte doch nicht wütend auf sie?  Aber was sollte dann das mit dem Dolch? Vielleicht sollte er diesen vorerst außer Acht lassen und der Rahjani ein paar Fragen stellen, die ihn beschäftigten. “Eigentlich wollte ich schon wissen, wo mein Vetter gerade ist, aber wenn er fort ist, will ich ihn auch nicht stören.” Der Junge seufzte herzerweichend. ‘Heute habe ich bei ihm einen echten Bock geschossen!’ dachte er bei sich. “Das mit den Pferden habe ich nicht ganz verstanden. Tut das nicht weh? Und sieht man sich, also wenn wir Menschen… sind wir dann nicht immer einander zugewandt?” Er wusste selbst nicht, woher der Mut kam, das auszusprechen. Allerdings lief er trotzdem rot an. Dabei hatte er doch ganz was anderes fragen wollen. Ach, wie niedlich. Rahjania setzte sich auf und lachte herzlich. "Komm, Palinor, setzt dich etwas zu mir." Sie steckte den Dolch weg, rutschte elegant zur Seite und klopfte auf den freien Platz zu ihrer Rechten. Nachdem der Junge sich gesetzt hatte, sprudelten die Worte förmlich aus ihr heraus. "Also weißt du, in der Gegend, aus der ich komme, da wird die schöne Göttin etwas, nun ja, etwas anders verehrt. Urtümlicher als im güldenländischen Ritus, der im Mittel- und Horasreich vorherrscht. Sie ist überall, doch wir stellen auch andere Aspekte ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund. Wie ein Rosenbusch auch von jeder Seite anders aussieht. So sehen wir zum Beispiel auch die Dornen. Den Schmerz, der zur Lust führen kann, das Blut und dessen Geschmack ... Radscha Uschtammar, oder Rote Schwester, nennen wir die Herrin auch." Rahjanias Augen leuchteten bei der Erinnerung an ihre Ausbildung und voller Hingabe versuchte sie, Palinor begreiflich zu machen, was sie fühlte. "Es ist wie ein ewiger Rausch, man spürt den Schmerz, doch ist er nicht mehr wichtig, man geht wie in eine andere Ebene des Bewusstseins." Sie lächelte selig und versuchte es mit einem neuen Vergleich. "Wahrscheinlich fühlen Krieger im Kampf so, wenn sie in einen Rausch geraten. Oder, wenn du 40 Meilen läufst, tut es zwar weh, aber es scheint egal, es ist als würde man fliegen." Die Rahjani fasste mit beiden Händen ihr Haar und strich es nach hinten. "Tja... Erstmal dazu, die vielen Möglichkeiten beim Liebesspiel erkläre ich dir als nächstes."

Fasziniert aber auch skeptisch hörte Palinor den Ausführungen der Geweihten zu. Jemanden Schmerz zufügen um denjenigen damit Lust zu verschaffen? Das hörte sich seltsam an, sogar falsch. Allerdings war die Frau neben ihm eine Tempelvorsteherin. Zudem kannte er das beschriebene Gefühl, wenn einem alles weh tat und man trotzdem glücklich war. "Aber ist das nicht böse? Ich meine von demjenigen der den Schmerz bereitet?" Nie könnte er Boromada sowas antun. Wobei, zählte knabbern am Ohr etwa auch? Seine Augen weiteten  sich vor Schreck, als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss. “Gehört knabbern auch schon dazu?” "Nein, nein, nein..." Er hatte, ob er es ursprünglich wollte oder nicht, nun ihre volle Aufmerksamkeit. Freudig, überschwänglich und nicht zurückhaltend, legte sie doch ihre makellosen Hände auf seinen Schoß. "Beide müssen einverstanden sein, sonst widerspricht es dem, was SIE uns lehrt. Kein Zwang, nur Harmonie. Ja, das Knabbern an den Ohren geht in diese Richtung. Du hast sicher die Ohren gemeint, es gibt viele Stellen,an denen man jemanden verwöhnen kann. Sag, wie alt bist du eigentlich...?" “Ich bin 16, Hochwürden.” Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Rahjageweihten zu haben, machte Palinor nervös und ihre Hände auf seinem Schoß, machten es auch nicht besser. Der Gesprächsinhalt sorgte für eine gewisse Erregung und ihre Finger, so sie diese nicht noch verstärkten, konnten doch zumindest die Erregung spüren. Der Knappe zwang sich dazu Rahjania ins Gesicht zu blicken und schluckte als er dem der tulamidischen Schönheit begegnete. “Warum fragt Ihr?”  "Reines Interesse..." Sie nahm ihre Hände wieder zu sich und lächelte aufmunternd. "ich hab mich nur gefragt, ob du schon Erfahrung in körperlicher Liebe gesammelt hast, oder ob es dich einfach so interessiert. Aber wo waren wir ?" Etwas zerstreut fasste sie sich an die Stirn und strich ihre Haare wieder in eine andere Richtung. "Ach ja, Hengst und Stute.. Ach wie niedlich.." Es folgte ein herzliches Lachen. "Es gibt mehrere Positionen, in der Mann und Frau sich zusammenfinden können. Die, von der du gesprochen hast ist eine Möglichkeit. Sie wird meist zuerst gewählt. Aber stell dir die Frau als Stute und den Mann als Hengst vor, das ist auch eine weitere Möglichkeit. Man kann da sehr erfinderisch sein."

Dem Gesichtsausdruck nach, stellte sich der Knappe das Bild wohl gerade vor seinem geistigen Auge vor. Es dauerte einen Moment bis sich sein Blick wieder klärte. Zu seiner Erleichterung hatte die Geweihte ihre Hände wieder zu sich genommen, so dass er seine wachsende Erregung mit den eigenen Händen bedecken konnte. Aber dieses ‘ach wie niedlich’ war ein Stich gegen sein Ego. Palinor war versucht zu schweigen, konnte es aber nicht. Hielt sie ihn wirklich noch für ein Kind?  “Also, es interessiert mich schon, gerade diese anderen Möglichkeiten.” Seine Gesichtsröte, die etwas nachgelassen hatte, nahm deutlich dunklere Schattierungen an. “Das mit dem Verwöhnen hat mir schon mal jemand gezei… erklärt und ... “ Er atmete tief durch, bevor er weitersprach, “es hat ihr gefallen.”  So, so. Umso besser. “Das hast du sehr gut gemacht, viele Männer stellen sich anfangs recht ungeschickt an, tun ihrer Liebsten weh oder achten nur auf sich. Es gefiel ihr, dass der Knappe so interessiert war, erfrischend offen im Vergleich zu manch anderen Kerlen. “Auf dich ist sicher Verlass, nicht wahr? Ich meine, wenn ich dir heute ein Büchlein leihe, das Vieles veranschaulicht - Bilder helfen meist mehr, als Geschwafel - dann würdest du es mir morgen vor meiner Abreise wieder geben? Unaufgefordert, versteht sich.” Ja, die Abreise rückte näher und insgeheim konnte sie es nicht erwarten, dem lieben Wulfi in Weiden von ihren Erlebnissen zu erzählen. Es würde ein schöner Abend werden, soviel war sicher. “Aber noch etwas, Palinor. Darüber wird leider selten gesprochen, aber du weißt, dass Sauberkeit gerade in diesem Bereich sehr wichtig ist, oder? Nicht nur, wenn er oder sie ihre Zunge spielen lassen, nein. Bei jeder Anbetung meiner Herrin soll man gereinigt sein. Wir sind doch keine Orken.”

Hatte Palinor gerade ob des Lobes Rahjanias stolz gelächelt, sackten seine Schultern ein Stück herab als sie auf das Buch und die Rückgabemodalitäten zu sprechen kam. "Hochwürden, habt Dank für das Angebot, aber ich kann es nicht annehmen. Mein Vetter hat noch nicht verlauten lassen wann wir aufbrechen, aber ich werde beim Abbau eingebunden sein und so weder Zeit zum lesen noch zum zurückbringen haben." Seine Stimme hatte einen enttäuschten Unterton während der Blick auf den Boden vor ihm gerichtet war. "Auch wenn ich es sehr gerne gelesen hätte." Das hätte er tatsächlich gerne, aber hier konnte er es schlecht lesen und sein Zelt war zu dieser späten Stunde auch kein geeigneter Ort dazu. Rahjania war ehrlich enttäuscht, genauso, wie Palinor. “Wie schade … Du bist so interessiert und aufgeschlossen.” Gedankenverloren weiteten sich ihre Augen, als sie anscheinend etwas in der Ferne, das Feuer? - beobachtete. Palinor bemerkte, wie sich die feinen Härchen auf den gebräunten Armen der Tulamidin aufstellten und wieder legten. Ehe er sich über irgendetwas Gedanken machen konnte, war sein weiteres Schicksal beschlossen worden. “Palinor, ich werde dir das Buch schenken. es soll so sein, sonst hätten wir uns nicht getroffen.” Sie kramte in ihrem Beutel und überreichte dem Jungen ein in unscheinbares Pergament geschlagenes Büchlein. “Hier. Hüte es gut und mach deine Liebste glücklich.” Zufrieden mit ihrer Entscheidung gab sie ihm einen leichten Kuss auf die Wange und wirkte selig. Perplex starrte Palinor abwechselnd die Rahjageweihte und dann wieder das kleine Buch in seinen Händen an. Ohne groß nachzudenken umarmte er Rahjania. “Vielen Dank, Hochwürden! Ich werde das Buch in Ehren halten.” Dann ließ er sie wieder los und lächelte glücklich. Unfähig seiner Neugier Einhalt zu gebieten besah er sich den Titel des Buches - das Rahjasutra -, nur um dann einen schnellen Blick auf den Inhalt zu werfen, der ihm wiederum die Röte ins Gesicht trieb. Mit hochrotem Kopf sah von seiner Lektüre zu Rahjania auf. “So viele… ich meine… das wird Bo… meiner Liebste gefallen?” Er klang ein wenig unsicher, aber insgeheim freute er sich schon darauf mit Boromada zusammen dieses Büchlein zu studieren. “Aber sicher doch, ihr werdet euren Spaß haben.” Rahjanias Blick glitt wieder über die Feiernden,sie runzelte kurz die Stirn und murmelte zu sich selbst. “Ja,der vielleicht auch…” Eine zweite Kerbe zierte kurz darauf die Bank. “Palinor, wollte mich Rondrian nochmal sehen? Zur Not hat das auch bis morgen Zeit.” Nach einer kurzen nachdenklichen Stille nickte Palinor. “Ja, Hochwürden. Vetter Rondradin hatte sowas erwähnt. Allerdings scheint er gerade mit anderen Dingen beschäftigt zu sein, wenn ich Eure Worte von vorhin richtig deute.” Ungerechterweise rügte niemand seinen Vetter dafür, dass er Rahja huldigte. Seine Gedanken wanderten wieder zu Boromada und dem Rahjasutra. So wie es aussah, würde sie ebenfalls nach Senalosch reisen. Sie würden also vielleicht schon in den nächsten Tagen einen gemeinsamen Blick in das Buch werfen können. Mit ein wenig Glück würde sie ihren Knappenherrn sogar zum Hoftag begleiten dürfen. Der Hoftag! “Hochwürden, seid Ihr auch beim Hoftag in Elenvina zugegen? Dort könnte ich Euch meine Liebste vorstellen.” 

Badefreuden

Später an diesem Abend, als das Bankett schon in vollem Gange war, traten Dwarosch und Marbolieb durch einen Nebeneingang der Jagdhütte in den Küchentrakt und wandten sich von dort direkt dem Waschraum zu, ohne dabei einem Feiernden unter die Augen zu kommen. Beide verspüren dazu kein Bedürfnis. Sie hatten anderes im Sinn. Der Oberst hatte bereits vor seinem Kampf gegen den Mietling Anweisung gegeben, Wasser anzuheizen und den Bottich vorzubereiten für ein ausgedehntes Bad. Auch eine Auswahl an Speisen hatte er bereitstellen lassen, dazu eine große Kanne Bier, eine Sorte, von der er aus Erfahrung wusste, dass auch Marbolieb sie mochte und vertrug. Mirla schlief derweil in der Obhut von Dwaroschs Adjutanten Boringarth, der im Zelt des Oberst einen mehr oder minder ruhigen Abend verleben würde. Mit einem Schnappen fiel die massive Holztür in Schloss. Dwarosch schob rasch den Sperrhebel vor. Sie waren allein.

Der Raum war warm, Feuchtigkeit lag schwer in der Luft, die Dwarosch an die dampfenden Dschungel des Südens erinnerte. Er hatte das Klima Meridianas hassen gelernt, nun aber freute er sich auf das heiße Nass. Nachdem sein inneres Feuer verklungen und seine Muskeln ausgekühlt waren, kam der Schmerz. Er war nicht ohne Blessuren davongekommen. Die Borongeweihte hatte für den Weg zur Jagdhütte ihren Umhang über das kurze Hemd geworfen, das sie in Ermangelung ihrer Robe noch immer trug. Die Sonne war untergegangen, und dies bedeutete, dass es selbst im Hochsommer in den Bergen rasch empfindlich kalt wurde. Das niedergetretene Gras und der zu Schlamm zertretene Grund bedeckten sich mit Tau, der ihre bloßen Füße benetzte. Fest klammerte sie sich an den Arm ihres Begleiters, sicher, dass er sie nicht stolpern lassen würde.

Sie seufzte erleichtert, als ihr die warme, feuchte Luft ins Gesicht wehte und von einem wohl bereiteten Bad berichtete. Welch ein Luxus! Ein leichter Duft von Kräutern und Blüten hing in der Luft - vermutlich hatte ein früherer Badegast aus Blüten gefertigte Seife oder ein mit Kräutern versetztes Öl benutzt. Marbolieb sog den feinen Wohlgeruch ein und umfasste das Stoffsäckchen fester, das eine solide, grobe Kernseife - ein Geschenk Topaxandrinas, der Haushälterin des Vogtes - enthielt. Ein Räuspern Dwaroschs brachte sie wieder in die Gegenwart zurück - sie war bei ihrem Sinnieren unvermittelt stehen geblieben. Schweigsam war der Oberst zu seinem Zelt zurückgekehrt, um sie abzuholen. Bisher hatte auch die Priesterin nicht das Wort ergriffen.  Sie wandte sich ihm zu, strich mit ihrer Hand über seinen Unterarm, der an einer Stelle eine merkliche Schwellung aufwies, und wartete, aufmerksam, was er nun zu tun gedachte.

Dwarosch führte Marbolieb langsam in Richtung des großen Bottichs, welcher Ursprung des feinen Nebels war. Vor ihm angekommen half der Zwerg der Geweihten, sich zu entkleiden, um ihre Hände, als dies geschehen war, an den Handlauf der kurzen Treppe zu legen, der hinauf führte, um über den Rand hineinsteigen zu können. Langsam, Schritt für Schritt setzte Dwarosch ihre Füße hinauf, indem er sie bei den Fesseln griff und führte. Oben angekommen nahm er ihre Hand, bot ihr somit Halt, so dass sie langsam und sicher in den Bottich steigen konnte.

Als Marboliebs Fuß die Wasseroberfläche berührte, verharrte sie, spielte mit den Zehen in dem heißen Wasser. Ein seliges Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie ganz langsam den Fuß eintauchte und ob der jähen Hitze tief Luft holte. Sehr langsam und andächtig, als begehe sie eine sakrale Handlung, tauchte sie ihren Fuß in den schier bodenlosen Bottich. Die Wärme kribbelte auf ihrer Haut und erinnerte sie an ihre Heimat am Yaquir, das Gebrochene Rad - wo ein heißes Bad für die Priester eine häufige und willkommene Annehmlichkeit gewesen war. Die mit ihrer Abberufung in die Nordmarken ein jähes Ende gefunden hatte. Das letzte Mal, dass sie ein solches Wohlbehagen hatte genießen können, war vor zwei Götterläufen im Sommer gewesen, als sie zusammen mit Dwarosch und zwei Golgariten auf der Burg des Rabensteiner Barones zu Gast war - nachdem sie in den Bergen die Schändlichkeiten einer Paktiererin aufgespürt und besiegt hatte. Wobei es die Kämpfer waren, die das Besiegen übernommen hatten.  Aber das war noch vor dem Winter gewesen. Als sie noch sehen konnte.

Vorsichtig tastete sie mit ihren Zehen in die Tiefe des Zubers und klammerte sich mit beiden Händen an Dwaroschs Arm fest, bis sie endlich, weit unten, den Boden spürte. Mit einem kleinen, zufriedenen Seufzen ließ sie sich in das Wasser gleiten, das ihr bis zur Brust reichte. Herrlich war das Gefühl des heißen Bades auf ihre bloßen Haut - so viel Platz um sie herum - und eine solch gewaltige Menge heißen Wassers! Genießerisch streckte sie ihre Beine aus und ließ sich noch einen Spann tiefer ins Bad gleiten, bis die Wellen ihre Schulter und ihre schwere Halskette aus getriebenem Silber umspülten. Mit einem hörbaren, genussvollen Seufzen schloss sie die Augen und lehnte ihren Kopf an die hölzerne Zuberwand, den Augenblick mit allen Sinnen auskostend.

Dwarosch selbst eilte sich, nun da Marbolieb bereits Platz genommen hatte, eine kleine Tragetasche, die er aus seinem Zelt mitgenommen hatte an einem der Haken aufzuhängen, die am Rand des Zubers angebracht waren. Danach stellte er noch die Platte mit den Speisen nebst Bierkanne und Humpen auf die hohe Platte, die hierfür ebenfalls extra am Rand des Bottichs angebracht war, so dass man ihn nicht verlassen musste, wenn man Appetit oder Durst verspürte. Erst danach streifte sich der Oberst das einfache Wollhemd mit einem unterdrückten Schmerzenslaut vom Oberkörper, streifte die nicht geschnürten Stiefel ab und zog seine Hose aus. Mit einem wohligen Stöhnen ließ er sich kurz darauf ebenfalls in das angenehm warme Wasser gleiten. Der Zuber besaß innen eine umlaufende Sitzbank - auf Zwergengröße angepasst wohlgemerkt. Dies machte das Bad noch bequemer.  “Wahrlich, das ist fast so schön wie in den heißen Quellen von Kashdarlosch.” Er ergriff Marboliebs Hand unter der Wasseroberfläche und zog sie sanft auf seinen Schoß.  Dann fasste er über den Rand des Zubers in seine Tasche und holte ein Stück nach Kräutern duftender Seite heraus. Dwarosch tauchte sie einmal unter Wasser bevor er begann Marbolieb damit den Rücken, Nacken und Schultern einzureiben. Die zierliche Geweihte seufzte behaglich, als sie die bloße Haut ihres Liebsten an ihrem Leib spürte, schmiegte sich an seine Hände und kostete die zärtliche Berührung mit allen Sinnen aus. Der feine Duft nach Kräutern schmeichelte ihrer Nase und Marbolieb genoss den weichen, glatten Schaum auf ihrer Haut. Auf ihren Schultern und ihrem Rücken zeichneten sich deutlich sichtbar die Spuren der Treppe vom Nachmittag als blaue und rote Stellen ab, sowie eine dazu passende Beule auf ihrem Hinterkopf. Dessen ungeachtet schnurrte die junge Frau glücklich und lehnte sich mit dem Rücken an die breite - und äußerst haarige - Brust des Zwergen. Das heiße, dampfende Wasser umfasste sie bis zu den Schultern. Sie kuschelte sich nachdrücklich in Dwaroschs Arme und bugsierte seine Hand mit der Seife dorthin, wo sie ihrer Meinung nach zu sein hatte - und sich noch überhaupt keine Seife befand. Zum allerersten Mal an diesem furchtbaren Tag fiel die Anspannung von ihr ab und wich einem warmen, wonniglichen Gefühl in ihrem Leib und Geist. Sie legte ihren Kopf nach hinten auf Dwaroschs Schulter, so dass ihre Wange die seine berührte und ein seliges Lächeln zog sich über ihr Gesicht. Dwarosch schloss die Augen und legte seinen Kopf auf der Umrandung des Zubers ab, während seine Hände bereitwillig Marboliebs Führung folgten.  “Wer immer sagt, dass wir Angroschim kein Wasser mögen lügt”, meinte er mit einem leisen, unterdrückten Lachen. “Wir schwimmen nur einfach nicht gern.” Danach kehrte Stille ein. Doch es war keine bedrückende Stille. Es war jene Stille, die Marbolieb und Dwarosch teilten, so wie sie es ihm gelehrt hatte, so wie es ihrem Herren gefiel. Doch die Stille sorgte auch dafür, dass die Momente der Gewalt, die Bilder voller Schmerz und Blut, die nur kurze Zeit zurücklagen, wiederkehrten.  Fast unmerklich spannte sich Dwarosch an, doch die Geweihte vermochte es wahrzunehmen, ebenso wie sie spürte, dass das Herz in seiner Brust stärker und auch ein wenig schneller schlug.  Marbolieb wusste, dass der Mann an ihrer Seite eine eiserne Fassade besaß, dass er gelernt hatte, seine Gefühle nicht nach außen zu tragen, wenn er unter den Männern und Frauen war, die unter ihm dienten. Doch die Geweihte besaß feine Sinne und hatte gelernt ihn ‘zu lesen’, wie es nur möglich war, wenn man einem Mann - oder in diesem Falle einem Zwergen, - sehr nah war. Auch wenn dies entschiedenermaßen eine sehr einseitige Fähigkeit war. Die Geweihte griff nach Dwaroschs Hand, die nun schon geraume Zeit auf einer Stelle knapp unterhalb ihres Brustbeins seifenschäumende Kreise zog, und legte sie sachte beiseite, ehe sie sich umwandte und rittlings auf seinem Schoß setzte. Das heiße Wasser umschmeichelte sie bei dieser Bewegung, spielte um ihre hübsch geformten Brüste und rann als wohlige Berührung über ihren Nacken. Sanft legte sie eine flache Hand auf seinen Oberarm, während sie mit der anderen über seine Wange nach seiner Schläfe tastete. Mit sachten Berührungen ihrer Fingerspitzen strich sie das wirre, vom Wasserdampf feuchte Haar des Oberst beiseite und liebkoste seinen Kopf mit federleichten, gleichmäßigen Bewegungen ihrer Rechten. Das verzückte Lächeln auf Marboliebs Zügen war einem ruhigen, sehr aufmerksamen Ausdruck gewichen, doch sprach die Priesterin kein einziges Wort, als sie mit ihrer Tätigkeit fortfuhr - und geduldig abwartete. Sie kannte ihren Liebsten - und wusste, dass er reden würde, sobald es die rechte Zeit war. “Verzeih mir. Ich war in Gedanken”, sagte Dwarosch tatsächlich schon nach kurzer Zeit und hob dabei den Kopf, so dass er Marbolieb wieder ansehen konnte.

“Es war ein langer, ereignisreicher Tag und vor allem die letzte Stunde spukt mir noch im Kopf herum.” Er seufzte und schüttelte leicht den Kopf. “Es ist jedoch nicht der Streit mit Rahjania oder der Kampf gegen den Söldner, der mich beschäftigt. Ersteres, also Streit, habe ich oft mit Menschen und an zweiteres kann man sich zwar nicht gewöhnen, aber man lernt damit umzugehen. Nein, aber es gibt einen Grund, warum dies beides am heutigen Tag speziell ist, eben anders. Es sind in diesem Fall nur die Folgen eines Vorgangs, der mich unterbewusst stark beschäftigt. Es ist wie damals in Rabenstein. Ich bin nicht da und du gerätst in Gefahr, wirst mir gewaltsam genommen. Das ist der Kern. Mein Verstand weiß, dass es Dinge gibt, die man nehmen muss, wie sie kommen, die man nicht beeinflussen kann. Mein Herz sieht das grundlegend anders, will das nicht einsehen und rebelliert, entfacht eine Unruhe in mir.” Die Borongeweihte hielt inne, legte beide Hände auf die Schläfen des Oberst, beugte sich vor und legte sanft ihre Stirn an die Seine. Einige Augenblicke schwieg sie, genoss die Berührung und fühlte, sie auch die Atmung ihres Liebsten wieder ruhiger wurde. Wie das Streicheln einer Feder liebkosten ihre Lippen seine Stirn, einen Augenblick nur, als sie sich wieder zurückzog, ohne ihre Hände zu lösen.

“Du kannst nicht immer bei mir sein.” Sanft und warm ihre Stimme. Die ersten Worte, die sie sprach, seit beide das Bad betreten hatten. “Sei nicht so hart zu dir. Dinge geschehen. Du kannst sie nicht aufhalten - eines Tages kommt die Zeit, da du loslassen wirst.” Eine der elementarsten - und zugleich schwersten - Lehren ihres Herrn.

“Das ist mir alles bewusst, Räblein, darum geht es nicht. Zwischen der bloßen Erkenntnis, dem Wissen und dem Moment, an dem der Verstand diesen Umstand wirklich verinnerlicht hat, ihn akzeptiert, liegen in meinem Fall wohl Welten.” Dwarosch schmunzelte und Marbolieb erkannte die ihr bekannte Selbstironie in seiner Stimme. “Am Ende bin ich selbst zu stur, um das begreifen zu können - zu wollen, so wie es einem echten Groscharoroximangrasch gut zu Gesicht steht.” Dwarosch schnaubte amüsiert und schüttelte erneut den Kopf, bevor er weitersprach. “Doch genug davon Räblein. Nun bist du an der Reihe.” Behutsam strich Dwaroschs Zeigefinger von ihrem Kinn über die Wange bis hoch zur Schläfe. “Was geht in deinem hübschen Kopf vor sich, was beschäftigt dich, es ist viel geschehen? Marbolieb schloss genussvoll die Augen und spürte der sanften Berührung auf ihre Haut - und der liebevollen Stimme - nach. Das heiße Wasser tat das Seinige dazu, ihr Wohlbehagen zu steigern. Sie seufzte glücklich.

“Zu viel, mein Liebster.” Ein leises Schmunzeln wärmte ihre vollen, schön geschwungenen Lippen. Ihr Mundwinkel zuckte. “Was ist ein Groschomaroximagrasch?” drängte sich eine Frage nach vorn, die auf ihren Lippen gerade gar nichts zu suchen hatte und sich hinter den wirklich wichtigen Dingen längst hätte anstellen sollen. "Dieser Begriff steht im Rogolan für den Namen meines Volkes, das im Eisenwald, im Phecanowald und im Koschgebirge beheimatet ist", erklärte der Oberst bereitwillig und verdeutlichte der Geweihten dann mit zwei sanften Stupsern seines Fingers an ihrer Schläfe, dass das nicht das anvisierte Thema war. “Ich war heute morgen der Meinung, dass dies ganz sicher das letzte Fest ist, an dem ich teilnehme. Heute nachmittag noch mehr.”  Sie lehnte ihren Kopf nach vorn, bis sie mit ihrer Stirn jene des Zwergen berührte.  “Das Bad hier ist fast alles wert.” Marbolieb rutschte etwas weiter nach vorn, so dass sie sich an die breite Brust des Oberst lehnen konnte, und atmete mit einem erleichterten kleinen Geräusch aus. “Mit Mirla benötigen wir eine Lösung, Dwarosch. Das geht so nicht mehr.” Das heiße Wasser schwappte um ihre Schultern, tastete in die tiefen Kerben, die die Klaue des Dämons auf dem Haffaxfeldzug hinterlassen hatte, und umspielte ihre verheißungsvollen Rundungen. “Ein Zeltlager ist nichts für sie - sie ist so neugierig, dass sie überall unterwegs ist, ich komme da nicht hinterher. Es wäre besser, wenn ich mit ihr daheimgeblieben wäre.” Sie schwieg einige Augenblicke, und ihr Atem kitzelte auf Dwaroschs Haut. “Ich hatte große Sorge um sie.” Was eine Untertreibung war, angesichts ihres so zerrütteten Nervenkostüms. Dwarosch atmete langgezogen aus. "Du hast recht, in jeder Hinsicht. Morgen ist dieses Fest vorbei und wir reisen zurück nach Senalosch. Wir werden jemand Vertrauenswürdiges finden, der sich um Mirlaxa kümmert und dir zur Hand geht, wenn du wieder nach Calmir musst. Diese Einsicht war mir bereits allein gekommen, zu spät wie ich eingestehen muss. Es tut mir leid."

“Das Problem habe ich immer, wenn wir Senalosch verlassen, Dwarosch. Ich werde künftig mit Mirla zuhause bleiben.” Marbolieb seufzte. “Es ist lieb von dir, dass du dir um eine Hilfe in Calmir Gedanken machst.” Sie schmiegte ihre Wange an den wuchtigen Bart des Zwergen. “Aber dafür reicht meine Barschaft nicht. Auch weiß ich niemand in Calmir, der für mich arbeiten wollte.”  Sie seufzte abermals und ließ den Kopf hängen. “Es wäre besser, wenn Mirla bei dir bleiben könnte.” und fügte mit bedrückter Stimme hinzu: “Wenn du sie nehmen willst.”

"Halt, halt, halt", intervenierte der Oberst verdutzt und ungläubig. "Das kannst du unmöglich ernst meinen, Räblein. Ich weiß, wie viel mir Mirlaxa bedeutet, aber ich kann unmöglich ermessen, wie es bei dir ist, da du sie zur Welt gebracht hast. Es wäre grausam von mir, wenn ich dem zustimmen würde. Nein, ich werde für die Aushilfe aufkommen, das steht außer Frage und eine Idee habe ich auch schon, wer dafür in Frage kommen würde." Dwarosch atmete einmal tief ein und aus, als er dann weitersprach, war die Erregung aus seiner Stimme gewichen und hatte etwas anderem Platz gemacht - Freude über die Tatsache, dass Marbolieb es scheinbar nicht so abwegig fand, dass Mirlaxa allein, ohne ihre Mutter, in Senalosch weilte, bei ihm.  "Das heißt jedoch nicht, dass ich mir nicht wünsche, dass sie meinetwegen den Winter bei mir verbringt, oder wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet", eröffnete er. "Ich kann ihr einiges beibringen, auch wenn ich nicht der geborene Handwerker bin. Ich kenne die Wälder und die Berge und es würde mir große Freude bereiten ihr all dies zu zeigen. Ich wünsche mir, dass sie ihre Heimat kennenlernt. Und wie ich es bereits sagte, ich werde für eine gute Ausbildung sorgen in Senalosch, wenn es soweit ist. Was meinst du, können wir uns auf einen solchen, gemeinsamen Weg einigen?" Marbolieb seufzte erneut in den Bart des Zwergen. “Du musst das nicht tun, Dwarosch. Ich möchte dich nicht mit Mirla belasten. Ich weiß, welche Mühe ein so kleines Kind bedeutet. Aber natürlich darf sie dich jederzeit besuchen, solange du dies willst.” Ihre Schultern sackten nach unten. “Ich werde aber nicht annehmen, dass du jemanden für mich anmietest. Ich will nicht, das du dich für mich in Schulden stürzt.” Die Fingerspitzen der kleinen Frau liebkosten seine Wange, während sie bedrückt die Augen schloss. “Auch wenn ich weiß, dass du das tun würdest.”

"Räblein", Dwarosch griff Marbolieb sachte an der Schulter. "Ich habe es zu jedem Zeitpunkt ernst gemeint, als ich sagte, dass ich möchte, dass du die Frau an meiner Seite bist. Ich betrachte Mirlaxa als meine Tochter und das mit jeder sich daraus ergebenden Konsequenz. Ich liebe sie, wie ich dich liebe und empfinde es als beschämend, wenn du sagst du würdest mich in irgendeiner Weise 'belasten'.   Wenn du es unbedingt willst, dann bleibt Mirlaxa bei mir in Senalosch, aber du sollst wissen, dass das nicht notwendig ist. Ich muss mich für eine solche Hilfe für euch beide mitnichten in Schulden stürzen. Nur der Marschall der Nordmarken wird besser bezahlt als ich und ich habe weder Bedienstete, noch irgendwelche Ausgaben für Hab und Gut. Nicht einmal mein Essen bezahle ich für gewöhnlich. Und selbst wenn es anders wäre, so würde ich die Hilfe für euch beide aus Überzeugung einstellen, das Richtige zu tun, Räblein. Mirlaxa wird immer einen Platz haben in Senalosch, aber ich will nicht verantworten, dass du unglücklich bist, weil deine Tochter in noch so jungen Jahren nicht bei dir ist. Bitte bedenke dies, bevor du voreilig eine Entscheidung triffst, die du bereuen könntest." “Mirla liebt dich sehr, Dwarosch. Und es ist nicht gut für sie, wenn sie zwischen uns hin- und hergeschoben wird. Und ich bin mir sicher, dass du sehr gut für sie sorgen wirst.” Die Geweihte wehrte sich nicht gegen den vorsichtigen Griff des Zwergen. Ungleich besser als nichts war dieser - und war vermutlich das, was an diesem Abend einer Umarmung am nächsten kommen würde. Sie legte den Kopf schräg und fixierte einen Punkt irgendwo dort, wo Dwaroschs Augen hätten sein mögen.

“Du hast nicht einmal ein eigenes Haus, mein Liebster. Wir wohnen in einem Gästezimmer des Vogtes in Senalosch.” Marbolieb strich liebevoll über die Wange des Oberst. Die störrischen Barthaare kitzelten ihre Fingerspitzen und sie gab der Versuchung nach, ihnen zu folgen und durch die prachtvolle Gesichtszier des Angroscho zu fahren. Noch niemals hatte sie einen Soldaten oder Söldner mit Geld erlebt. Deren Taschen waren immer leer. “Es ist unwichtig, ob du Barschaft hast - mach’ dir darum keine Gedanken.” tröstete sie.  Sie schmunzelte. “Ich habe es nicht auf dein Gold abgesehen. Du bist es, der mir wichtig ist.” Jäh verschwand das Lächeln aus ihren Zügen und wich blankem Wehmut. “Ich werde sie furchtbar vermissen. Aber ich weiß, dass sie es bei dir besser hat, als sie es bei mir  in Calmir jemals haben könnte.” Wenn er sie wenigstens umarmt hätte! So sehr wie in diesem Moment hatte sie sich selten nach der Geborgenheit seiner Arme gesehnt. Marbolieb schluckte, grub ihre Zähne in die Unterlippe und kämpfte einige Atemzüge lang um die rechten Worte. “Ich hatte überlegt, sie zu ihrem siebten Tsatag nach Punin ins Noviziat zu bringen, Dwarosch. Es wären nur wenige Götterläufe, die sie hätte bei mir bleiben können.”  Sie blinzelte und verstummte einige Augenblicke. “Meinst Du, du könntest ihr dennoch einige Grundlagen über die Zwölfgötter beibringen? Auch wenn sie bei dir eine andere Ausbildung erhält? Und ihr könntet mich in Calmir besuchen kommen.” Die Boroni holte tief Luft. “Und ich möchte dich jederzeit als meinen Mann an meiner Seite, Dwarosch.” Er küsste sie innig. Bei all dem Durcheinander war das klare, beidseitige Bekenntnis zueinander das, was von Bedeutung war, soviel hatte Dwarosch schon begriffen, auch wenn er in Sachen zwischen’menschlicher’ Dinge eher unerfahren war. “Gut, dann ist es beschlossen”, beschied Dwarosch. Behutsam zog er Marbolieb wieder auf seinen Schoss, gerade weil er andere Vorstellungen von Mirlas Zukunft hatte und nicht wollte, dass seine Worte erneut Distanz aufbauten. “Räblein, wenn Mirlaxa bei mir bleibt, so würde ich sie gerne in besagtem Alter im Tempel der immerwährenden Schätze des Allvaters vorstellen. Sie steht mehr als jedes andere Kind zwischen den Welten und ist deswegen prädestiniert dafür. In Senalosch werden ja nicht nur Angrosch-, sondern auch Ingerimmgeweihte ausgebildet.  Mirlaxa würde zudem jeweils ein, zwei Monde in der Werkstatt eines Meisters dienen, um zu ergründen, ob sie einem Handwerk besonders zugetan ist. Wie du weißt, wird in Senalosch jede Art des Schmiedehandwerks betrieben, bis hin zum Kunst- und Goldschmieden. Dazu gibt es Gießereien, Edelsteinschleifer, Steinmetze und sogar einen Glasbläser. Und natürlich werde ich ihr alles über die Götter und ihre Heiligen beibringen, das ich weiß.”

Marbolieb schwieg und fühlte dem unerwarteten Kuss auf ihren Lippen nach. Sie lehnte sich an die Brust des Angroschos, verzichtete aber darauf, sich - wie zuvor - rittlings auf seine Knie zu setzen. Bequem war der Zuber nicht, dafür aber liebkoste das Wasser noch immer angenehm heiß ihre Haut . Schließlich nickte sie. “Wenn sie bei dir lebt, wirst du entscheiden.”  Alles andere wäre auch kaum möglich - selbst wenn beide sie oft besuchen würden, häufiger als zweimal im Götterlauf wäre das nicht der Fall. Sie schloss die Augen und genoss die Nähe ihres Liebsten. Und natürlich war der energische Widerspruch bei ihrer - zutreffenden - Einschätzung seiner Barschaft ausgeblieben. Im Haushalt des Vogtes würde Mirla auch noch Topaxandrina haben, die auf sie aufpasste - und die Kinder gewohnt war. Es würde ihr an nichts fehlen. Außer vielleicht an etwas Licht und Sonne, aber zumindest ein paar Räume der Residenz Seiner Hochgeboren lagen oberirdisch. Marboliebs Mundwinkel zuckten, als die dichten Haare auf der Brust des Oberst ihre nackte Haut kitzelten. Einige Atemzüge lang kehrte ein tiefer Friede im Baderaum ein.

Der jäh von einem energischen, lauten Klopfen an der Tür unterbrochen wurde. Irritiert wandte Dwarosch seinen Kopf zur Tür. “Was ist?”, fragte er laut und deutlich ungehalten. Bei einem solch wichtigem Gespräch gestört zu werden passte ihm ganz und gar nicht.  “Euer Gnaden? Kann ich euch kurz sprechen? Hier ist die Doctora von Altenberg, ich habe etwas für euch.” Sagte Maura dicht durch die Tür. Schnauben und Kopfschütteln war die Antwort des Oberst. Warum nur musste man sie selbst hier stören? Was konnte schon so wichtig sein, dass man es nicht auch hinterher hätte besprechen oder überreichen können? “Gewiss. Einen Moment bitte.” Mit einem kaum hörbaren Seufzen löste sich Marbolieb aus den Armen des Oberst, tastete nach dem Rand des Bottichs und kletterte unbeholfen darüber, ehe sie mit ausgestreckter Hand die an der Wand umlaufende Bank suchte, auf der irgendwo ihre Kleidung liegen musste, mit einem dumpfen Aufschlag und einem unterdrückten Atemholen die Stufen zum Zuber mit ihren Schienbeinen fand, ihr Gleichgewicht dank einiger Übung zurückgewann und schließlich, auf ähnliche Weise, die Bank an der Wand des Baderaums kontaktierte. Ihre tastenden Finger fanden die Kleidung des Oberst und schließlich ihr eigenes Hemd. Stellten fest, dass sie ein Leintuch vergessen hatte. Und zogen ihr Hemd über ihren Kopf, woraufhin es gleich einer zweiten Haut an ihrem Leib festklebte. 

Maura hörte aus dem Baderaum ein hölzernes Poltern, wie es wohl von einem umgeworfenen Eimer stammen mochte, und vernahm schließlich das Kratzen und Schaben eines Riegels, ehe sich die Tür einen Spalt öffnete und die pitschnasse Boroni in einem kurzen Hemd in einer wachsenden Wasserlache um ihre Füße offenbarte. “Was ist passiert, Doctora?” fragte die kleine Geweihte mit ruhiger Stimme, während sie mit ihrem Fuß dezent über ein Schienbein rieb. Die angesäuerte Miene des Zwergen im Hintergrund war wegen dem schummrigen Licht und dem Wasserdampf im Raum nicht zu erkennen, doch hörte die Doctora einige Brocken unverständliche Worte in der Zunge der Angroschim, deren Tonfall darauf schließen ließ, dass der Sohn des Dwalin nicht glücklich über die Störung war.

Das erste was die Boroni wahrnahm, war der Duft den die Doctora umgab. Ein strahlend-frische, leicht metallisch-rauchige Duftnote, die an Rosenblätter und Arangen erinnerte. Das helle Lachen begrüßte sie fröhlich und die Stimme trug Reife und Sicherheit mit sich. “Verzeiht die Störung, euer Gnaden Marbolieb. Vielleicht hätte ich nicht so energisch Klopfen sollen, denn nichts ist passiert.” Marbolieb bemerkte, wie die ältere Frau etwas näher kam, aber dennoch einen würdevollen Abstand hielt. “Ich konnte leider nicht warten, denn zum großen Bedauern werden meine Familie und ich im Morgengrauen aufbrechen. Eine wichtige Brautschau hält uns zur Eile an. Nun, ich mache es kurz.” Ein hölzerner Klang ließ die Geweihte darauf schließen, dass die Doctora etwas abstellte. Ein Surren und Knirschen folgte, anscheinend zog sie etwas aus einer ledernen Tasche. Die Altenbergerin sog die Luft stark ein und schlug einen etwas ernsteren Ton an. “Mein Sohn Elvan hatte eine Idee, die euch das Leben etwas erleichtern sollte. Und es ist nur recht, euch ein Geschenk zu machen, bedenkt man, was euch zugestoßen ist. Und für diese schlechte Wahl, für die ich mich verantwortlich fühle, hoffe ich, dass ihr uns verzeihen könnt.” Die letzten Worte waren mit echten Bedauern gesprochen. “Ich werde nun eure rechte Hand nehmen und euch einen Stab überreichen.” Vorsichtig aber mit sicheren Griff spürte Marbolieb die zarte Hand der Doctora, die ihr dann einen hölzernen Stab in die Hand übergab. “Ein meisterlicher Handwerker hat diesen Stab für uns gefertigt. Er geht euch ungefähr bis zur Hüfte und endet mit einer eisernen Spitze. Das Kopfende haben wir zu einem Rabenkopf schnitzen lassen. Elvan hatte die Idee aus einem Buch, das er im Hesindetempel in Elenvina gelesen hatte, das von einem wandernden, tulamidischen Gelehrten berichtete, der sein Augenlicht verloren hatte. Mit Hilfe des Stabes bewegte er sich sicher fort. Nun,” sie machte eine kurze Pause,” ich hoffe, es wird euch auch helfen, euch sicherer zu bewegen. So könnt ihr eure Umgebung ertasten und müsst dafür nicht eure Füße oder Hände benutzen. Und im Notfall kann man den Stab auch gegen Flegel einsetzen.” Nun hörte sie wieder das lederne Knirschen mit einem leichten Rasseln, offensichtlich hielt die Altenbergerin einen zweiten Gegenstand entgegen. “Gebt mir nun bitte eure linke Hand, euer Gnaden.” Nur kurze Zeit später spürte Marbolieb ein Bündel, das aus Lederriemen und metallenen Ringen bestand. “Auch wenn es etwas unüblich ist, so etwas einem Kind anzulegen, denke ich, dass es euch eine große Hilfe sein wird mit eurer kleinen Mirla. Das hier hat der Handwerker Talumox ebenfalls angefertigt. Es ist ein Geschirr mit einer Leine. Sie ist ungefähr 2 Schritt lang. Ihr könnt das eurer Tochter anlegen, falls ihr euch ausruhen wollt oder anderweitig beschäftigt seid. Ich denke aber, dass ihr diese nicht lange brauchen werdet. Die Kleine wächst schnell und ist bald selbst verantwortungsvoller. Kinder lernen schnell.” Gespannt wartete die Doctora ab. Auf dem Gesicht der Geweihten stand vollkommene Fassunglosigkeit bei den Worten Mauras. Sehr verdattert nahm sie den Stab entgegen, strich andächtig mit ihren Fingerspitzen über die glatte Oberfläche und ließ sich dann, noch immer völlig verwundert, das Kindergeschirr in die Hand drücken.  Schließlich schloss sie ihren Mund wieder und ihre Lippen formten ein noch immer ungläubiges Lächeln. “Oh. Herzlichen Dank, Doctora.” Sie grub ihre Zähne in die Unterlippe und suchte merklich nach Worten.  “Womit habe ich das verdient?”  Das ‘was wünscht Ihr dafür’ schwang ungesagt in ihren Worten mit. Ihre Arme bargen die Schätze, als sie schließlich strahlend den Kopf hob und in Richtung der Doctora blickte. Der Oberst nutzte währenddessen die sich ihm bietende Chance und ließ sich komplett in den Bottich hinab gleiten, so dass das Wasser über seinem Kopf zusammenschwappte.  Dwaroschs Verlangen nach Unterhaltungen mit ihm fremden Weibsvolk war verständlicherweise äußerst gering und so machte er keine Anstalten, sich am Gespräch zu beteiligen. Maura und Marbolieb bekamen indes nur am Rande mit, wie Dwarosch kurz darauf wieder auftauchte und dann damit begann, Haupthaar und Bart mit Seife zu bearbeiten, um sie daraufhin auszuspülen. Maura war zufrieden. Der Gesichtsausdruck der Boroni bestätigte sie. Den grummeligen Zwerg ignorierte sie beflissen. Vorsichtig und sanft legte sie ihre Rechte auf die Schulter der Geweihten. “Glaubt mir einfach, Marbolieb. Ihr habt es verdient. Der Familie von Altenberg ist es sehr daran gelegen, dass es euch und eurer Tochter Mirla gut geht und ihr in keine weiteren Unfälle geratet. Und nun, meine Liebe, geht  rasch wieder ins Bad und lasst es euch gutgehen. Ihr werdet ja schon sehnsüchtig erwartet. Boron mit euch!” Auch wenn Marbolieb sie nicht sehen konnte machte Maura einen höflichen Knicks und machte sich auf zu ihren Zelt. Als sich die Tür schloss, stieg auch Dwarosch aus dem Bottich und bat Marbolieb zu warten.  Die Geweihte wandte sich ihm mit fragendem Blick zu und tastete sich dann an der Wand entlang bis zu der umlaufenden Bank, auf der sie, nach einem kurzen Kontakt mit dem umgeworfenen Eimer, der mitten in ihren Weg gerollt war, sorgsam ihre Schätze ablegte. Mit andächtigem Staunen betastete sie die kunstvolle Schnitzerei am Knauf des Stocks, ließ ihre Fingerspitzen über seine gesamte Länge gleiten und nahm ihn probehalber zur Hand, wog ihn und stocherte nach dem Boden, ehe sie sich an die ungleich schwierigere Aufgabe machte, das Kindergeschirr zu entwirren. Mit einem glücklichen Strahlen drehte sie den Kopf in die Richtung, in der sie Dwarosch vermutete. “Hast Du gesehen, was mir die Doctora für wundervolle Dinge geschenkt hat? Sie ist äußerst großzügig.” Glück und freudige Verwunderung wärmte ihre Stimme, als sie, noch immer strahlend, erneut über die so bedachtvoll ausgewählten und nützlichen Geschenke strich. Der Oberst brummte zustimmend, dass er sehr wohl mitbekommen hatte, was Marbolieb zum Geschenk gemacht worden war. Eine Wertung jedoch schloss seine Reaktion nicht ein. Dwarosch ging zu ihr herüber und führte sie dann zu einer Liege, die am Rand des Raumes stand. Dass er dabei die Dinge, die der Geweihten überreicht worden waren, interessiert bis abschätzig betrachtete, entging ihr, nicht jedoch der warme Klang seiner Stimme, der danach trachtete, die Störung schnell zu überwinden. “Zieh dir bitte dein Hemd wieder aus und mach es dir bequem, Räblein. Ich bin gleich bei dir.”  Gutwillig kämpfte sich die Geweihte wieder aus dem dünnen Hemd, das sich eng, nass und kalt an ihre Haut schmiegte. Ein leiser Schauder wanderte über ihren bloßen Rücken, als sie sich den klammen Stoff vom Leib zog und unschlüssig, das nasse Kleidungsstück in der Hand, abwartend dastand.  Um ihre Füße und unter dem Hemd sammelte sich eine kleine, dezente Lache aus vielen Wassertropfen auf dem Boden. Wie vorausgesagt war Dwarosch rasch wieder bei Marbolieb, nahm ihr das Hemd aus der Hand und half ihr dann, sich bäuchlings auf die Holzpritsche zu legen, die lediglich mit einem dicken Leinentuch versehen war.  Als nächstes vernahm Marbolieb ein Geräusch, als wäre ein Korken aus einer Flasche gezogen worden. Dann rieb Dwarosch seine Hände aneinander, dies konnte die Geweihte noch klarer zuordnen. Ihre Blindheit machte Geräusche plastischer, als sie für sehende Menschen waren. Schwer legten sich infolge die Hände des Zwergen auf ihren zarten Nacken und ein wundervoll betörender Duft stieg Marbolieb in die Nase. Zögerlich, fast zaghaft, als könne er etwas kaputt brechen, begann Dwarosch sie zu massieren und das Öl, welches er von der Priesterin der Rahja hatte geschenkt bekommen, diente vortrefflich zu diesem Zweck. Die kleine Geweihte holte tief Luft, als die Hände des Oberst ihre Haut berührten, schnupperte und wandte den Kopf zur Seite. Sie seufzte leise, und Dwarosch spürte, wie sich ihre Muskeln unter seiner Berührung entspannten. Die wenigen Kerzen, die den Baderaum in unsicheres Licht tauchten, spiegelten sich auf den Wassertropfen, die noch auf ihrem wohlgeformten Rücken hingen, und verwandelten sie in kleine, funkelnde Gemmen auf ihrer sanft gebräunten Haut. “Dwarosch.” Ihr Tonfall besaß etwas Träumerisches. “Was ist das - und wo stammt es her?”  Unter den Händen des Angroscho löste sich ein harter Knoten in ihrem Rücken, begleitet von einem kleinen, halb schmerzerfüllten, halb wohligen Laut aus ihrer Kehle. “Rahjania”, kam die Antwort im noch tieferen Ton, als es für die Stimme des Oberst sonst bereits üblich war. Weiter ging er darauf aus eigener Initiative nicht ein. Anstelle dessen schien sich Dwarosch viel mehr damit zu begnügen, die Massage, die er nicht ungekonnt vollzog, noch weiter auszudehnen. Seine kräftigen Hände kneteten und strichen die Muskulatur vom Hals über Nacken und Schultern, den Rücken bis hinab zu den Hüften aus. Danach folgte das Gesäß und die Oberschenkel, beides vom Volumen her große Muskeln, die darum auch etwas mehr Kraft erforderten, um sie in der Tiefe zu bearbeiten. Der Oberst jedoch schien zu wissen, wo die richtige Dosierung lag, auch wenn Marbolieb das ein oder andere Mal zuckte, wenn einer ihrer Muskeln soweit gereizt wurde, dass er eigenständig kontrahierte. Waden und Fußsohlen wurden dann wieder etwas behutsamer angefasst, wobei gerade bei letzteren besonders viele Nerven angesprochen wurden.

Marbolieb rang nach Luft, als Dwarosch ihren Rücken derart bearbeitete, und entspannte sich, als der Druck seiner Hände kurzfristig nachließ und diese sich um ihren schön geformten Po schlossen. Seine Mühen ließen ihre gesamte Rückseite kribbeln, als wäre ein Heer von Ameisen zugange, und weckten den intensiven, anregenden Rosenduft, der sich zusammen mit dem Öl auf ihrer Haut ausbreitete.  So hatte er sie noch nie berührt. Mit einem verklärten Lächeln genoss die junge Frau die Massage, ließ ihn tun, wie er wünschte und spreizte leicht ihre Beine, um den Händen des Oberst Platz für ihre Arbeit zu verschaffen. Sie seufzte, als er seine Hände unerbittlich weiter wandern ließ und ihre Waden bearbeitete. Einige dunkle Flecken auf Waden und Schienbeinen - wie auch auf ihrem Rücken - legten beredtes Zeugnis von diversen harten Gegenständen ab, mit denen sie im Verlauf der letzten beiden Tage kollidiert war. Sie zuckte zusammen, als Dwaroschs Hände über eine besonders frische Prellung an ihrem Fuß strichen und atmete dann erleichtert aus, als seine Hände begannen, ihre Fußsohlen zu massieren. Eine dicke Hornschwiele mit einigen deutlichen Rissen bedeckte sie, Zeugnis davon, dass sie seit anderthalb Götterläufen größtenteils barfuß ging. Wärme breitete sich von ihren Füßen ausgehend aus und wanderte durch ihren gesamten Leib. Sie schnurrte, tief in ihrer Kehle, und wünschte sich, dieser Moment möge niemals enden.  “Das ist wunderschön.”  “Ich habe oft Badehäuser und Thermen aufgesucht, wenn ich im Lieblichen Feld war”, erklärte Dwarosch im Plauderton, während er eifrig weiter massierte. “Auch in Städten wie Khunchom oder Fasar, ja selbst in Al’Anfa wird derartiges Handwerk hoch geschätzt.  Ich habe ‘beobachtet’ und mir einiges abgeguckt.” Um Marboliebs Lippen tanzte ein glückliches Lächeln, und ihre glatte, mit Duftöl verwöhnte Haut glänzte sacht im Licht der Kerzen.  Die Geweihte wartete, bis sich der Griff des Angroscho lockerte, und drehte sich vorsichtig, darauf bedacht, sich nicht in dem Tuch zu verfangen, auf den Rücken. Sie lächelte in Richtung ihres Liebsten - einladend, sinnlich und ein wenig verschämt. Zunächst widmete sich Dwarosch nun den Oberseiten der Schenkel. Dies bedeutete noch einmal, dass beherzt zugepackt wurde. Danach wurde es bedeutend sanfter.  Nacheinander nahm er ihre Arme, legte sie sich auf die Schulter und begann auch sie zu kneten, wobei besonders die Unterarme eine besondere Erfahrung bedeuteten. Marboliebs Finger zuckten unkontrolliert, wenn bestimmte Nerven betroffen waren. Ein Umstand, der beide zum Schmunzeln brachte. Als Dwarosch danach alle Extremitäten massiert hatte und ihre Arme wieder ruhig neben der Geweihten auf der Liege lagen, nahm der Oberst erneut das Fläschchen zur Hand und vergoss langsam etwas von dem Öl über Marboliebs Brust und ihrem Bauch. Sachte, ohne jedweden Druck verstrich er die gut riechende Flüssigkeit. Nun jedoch war es kein Durchkneten der Muskulatur mehr, sondern ein sanftes Einmassieren des Öls in die Haut. Dwaroschs Hände waren warm, fast heiß auf ihrer Haut, und das rahjagesegnete Rosenöl hinterließ ein Kribbeln, das ihren gesamten Körper einhüllte.  Marbolieb seufzte vor Wohlbehagen und räkelte sich auf dem weißen Leinen. Wäre sie eine Katze, hätte sie vor Zufriedenheit geschnurrt, doch auch so hatte ihr leises Stöhnen sehr viel gemein mit dem Geräusch eines überaus glücklichen Mäusetigers. Ihre Augen glänzten vor Glück, auf ihren halb geöffneten, vollen Lippen lag ein seliges Lächeln, und der Oberst spürte, wie ihr sauberer, duftender Leib ihn auf seine Berührungen hin einlud, ihn weiter zu erkunden. Das wenige Licht der Kerzen, das den Raum nur unzureichend erhellte, spiegelte sich auf ihrer vom Öl glänzenden Haut und zeichnete ein weiches Bild aus Licht und Schatten, eine Insel in der Dunkelheit, die sich in den Ecken des warmen, wasserdampfschwangeren Raumes zu dunklen Seen sammelte und still und schweigend ausharrte.

Leicht schwankend eilte Doratrava aus dem Saal und die Treppe hinauf. Bei ihrem Schlafplatz unter dem Dach angekommen schnappte sie sich ein Tuch und ihre Straßenkleidung. Sie hätte für die Restfeier gerne etwas Schöneres angezogen, aber sie hatte nun einmal nichts dabei. Sie zuckte innerlich die Schultern und wollte sich schon einen Platz suchen, wo sie sich ungestört umziehen konnte, da fiel ihr ein, dass sie ihr Kostüm ja auch gleich waschen konnte, wenn sie nun sowieso den Baderaum aufsuchte. Also verzichtete sie zunächst auf das Umkleiden und klemmte sich stattdessen ihre Sachen und das Tuch unter den Arm und ging vorfreudig und mit entschieden zuviel Alkohol im Kopf auf die Suche nach dem Bad. Es dauerte ein wenig, bis Doratrava mit leicht getrübtem Orientierungssinn die Wegbeschreibungen der Bediensteten richtig interpretiert hatte und tatsächlich vor einer Tür stand, bei der sie den Eindruck hatte, es könnte dahinter wärmer und feuchter sein als in den Gängen, durch die sie bisher geschritten war. Ohne weiter nachzudenken, griff die Gauklerin zur Klinke und öffnete schwungvoll und vorfreudig die Tür.

Ihr bot sich ein wahrlich bedenkenswertes Bild. Einige Kerzen erhellten den Raum nur schwach, reichten aber aus, um ihr die äußerst haarige und vollkommen unbekleidete Rückfront eines Zwergen zu präsentieren, der sich über die nackte Gestalt einer Frau beugte, die vor ihm auf einer Liege ausgestreckt lag, ein Bein angewinkelt hatte und nach ihren Äußerungen offensichtlich gerade sehr zufrieden damit war, wo sich die Hände des Schwarzhaarigen befanden und was sie unternahmen. Sie hatte den Kopf zur Tür gewandt und blickte Doratrava geradewegs in die Augen - und doch dauerte es einen Augenblick, bis die Gauklerin in ihr die zerlumpte Borongeweihte vom gestrigen Bankett erkannte.  In ihrem Gesicht stand sinnliche, verlockende Einladung geschrieben und in der Luft hing ein verführerischer Duft nach Rosen.

Völlig verdattert erstarrte Doratrava im Türrahmen. Die freie Hand schlug sie vor den Mund, konnte aber nicht verhindern, dass ihr ein ersticktes Keuchen entfuhr. Allerdings war das die einzige Lautäußerung, welche sie nun noch zuwege brachte. Die Rückseite des haarigen, nackten Zwerges in Kombination mit dem sinnlichen Lächeln der ebenso nackten, aber ungleich anmutigeren Frau verschlugen ihr komplett die Sprache und beraubten sie für den Moment ihrer Bewegungsfähigkeit. Das sollte die Boroni sein, die sie nur ein paar Mal hauptsächlich wegen ihrer abgerissenen Kleidung und - Moment, war sie nicht blind? Wieso schaute sie die Gauklerin dann an wie eine Inkarnation Rahjas persönlich, die etwas zu verschenken hatte? Zumal Doratrava deutlich bewusst war, dass ihr nassgeschwitztes, knappes Kostüm mehr preisgab als verbarg.   Dwarosch schloss die Augen und atmete tief ein, Wut stieg in ihm auf. Ein tiefes, bedrohliches Knurren entrann seiner Kehle. "Hier ist besetzt", presste er erbost über diese wiederholte Störung zwischen den Zähnen hervor. Wer immer da gerade eintreten wollte, er hatte sich einen denkbar schlechten Augenblick gewählt.

Marbolieb versteifte sich angesichts der harschen Wut in Dwaroschs Stimme und lauschte erschrocken in die Dunkelheit, bemüht, herauszufinden, was soeben geschehen war. Doratrava schluckte, um die Gewalt über ihre Stimme zurückzugewinnen, was ihr auch leidlich gelang. “E...entschuldigt, e...es war offen. Ich wollte nicht stören.” Dann fasste sich sich trotz der offensichtlich wenig begeisterten Laune des Zwerges  doch ein Herz und wagte zu fragen: “Ähm … wisst Ihr vielleicht, wo ich mich dann waschen kann?” Dwarosch seufzte langgezogen und zwang sich zur Ruhe. Ohne sich umzudrehen antwortete er. “In der Küche gibt es fließend Wasser, fragt dort. Man wird euch sicher eine Schüssel mit frischem, warmem Wasser geben können.” Die Geweihte setzte sich auf und zog die Beine vor den Körper, ehe sie ihre Arme schützend um die Knie schlang. “Was ist?” wollte sie mit kleinlauter Stimme wissen. Wer war die Frau - und wie war sie überhaupt hier hereingekommen? Marbolieb kam deren Stimme zwar vage bekannt vor, doch schaffte sie es nicht, sie zweifelsfrei zuzuordnen. Und hatte in diesem Moment auch gar nicht das Bedürfnis danach - zu gern hätte sie die Fremde mit eigenen Händen aus dem Baderaum gescheucht, gleichwohl wissend, dass auch das die verzauberte Stimmung nicht zurückbringen würde. Sie seufzte traurig, obgleich ihr vielmehr zum Heulen war, und tastete mit einer Hand nach ihrem Liebsten. “Ha..habt vielen Dank”, stammelte Doratrava verlegen und wollte sich schon hastig davonmachen, als ihr die offensichtlich sehr geknickte Stimmung der Geweihten bewusst wurde. Nun hielt die Gauklerin doch noch einmal inne und sprach die Frau an. “Es ist nichts, i...ich dachte nur, ich könnte mich nach meinem Auftritt hier waschen. Ich … bin schon so gut wie weg. O...oder ist irgend etwas mit Euch? Braucht Ihr Hilfe?” Irgendwie hatte diese Geweihte etwas an sich … eine seltsame Traurigkeit, obwohl sie doch eben noch so zufrieden, gar einladend gewirkt, hatte. Sicherheitshalber machte Doratrava einen halben Schritt zur Tür hinaus, um den Zwerg nicht weiter zu verärgern, wobei dieser sich ja nicht einmal herumgedreht hatte, verharrte dann aber abwartend. Erschrocken schüttelte die Boroni den Kopf. “Nein … nein.” Sie drückte die Hand Dwaroschs und ihre Finger flochten sich durch die ungleich massigeren des Oberst. Warum nur ging diese Frau nicht einfach? Dankbar darüber, dass Marbolieb das Wort ergriffen hatte schwieg der Oberst und begnügte sich damit, seinen Unmut niederzuringen, wohl wissend, dass Marbolieb nicht wollte, dass weitere böse Worte fielen. Nachdem die Geweihte abstritt, dass sie ein Problem hätte, zuckte Doratrava mit den Schultern, zumal die Anspannung der beträchtlichen Muskeln des Zwerges nicht zu übersehen war. “Ich gehe dann mal wieder …”, ließ sie noch fallen, dann war die Gauklerin verschwunden. Nach zwei Schritt drehte sie allerdings nochmals herum, denn sie hatte vergessen, die Tür wieder zu schließen. Mit einem gemurmelten “Entschuldigung” holte sie das nach, bevor sie endgültig den Weg zur Küche einschlug. So viel zu einem entspannenden Bad. Nun ja, sie war eben nur die Gauklerin.

Der Zwerg stieß die Luft aus und entspannte sich ein Stück weit, soviel konnte Marbolieb spüren. “Warte einen Moment”, bat er mit rauer Stimme, dann löste er sich von ihr und die Geweihte vernahm platschende Schritte, die sich in Richtung Tür entfernten, von wo sie zuvor die weibliche Stimme vernommen hatte. Mit einem Knallen fuhr der Riegel kurz darauf wieder vor die Tür. Nun würden niemand mehr hereinplatzen können. “Den nächsten, der uns stört, werde ich in diesem Bottich ersäufen, und wenn es der Heliodan persönlich ist”, gab Dwarosch zu verstehen, während er wieder zu Marbolieb herüberschritt. Diese erkannte in der Stimme des Oberst nun nicht mehr nur Unwillen, sondern auch eine Spur Belustigung, vermutlich über die Situation. Man konnte vieles behaupten, jedoch nicht, dass Dwarosch keinen Humor besaß. Als der Oberst schließlich wieder bei der Liege angekommen war, hielt er sich nicht weiter mit Erklärungen oder dergleichen auf, sondern griff Marbolieb unter Arme und Kniekehlen und hob sie vor seine breite Brust, um sie zum Zuber zu tragen. Marbolieb holte erschrocken Luft, als sie so unvermittelt hochgehoben wurde, und klammerte ihre Arme um dem massigen Hals Dwaroschs. Ganz geheuer war ihr die Sache nicht, auch wenn merkliche Neugier darauf, was der Zwerg nun vorhatte, in ihrem Gesicht geschrieben stand. Am großen, mit Eisen beschlagenen Holzbottich angekommen drehte sich der Zwerg mit dem Rücken zur Stiege und schritt vorsichtig ein, zwei Stufen hinauf, nur um sich dann soweit im Oberkörper zu drehen, so dass er seine kostbare Fracht über den Rand des Zubers behutsam hineingleiten lassen konnte. Kaum hatte die Geweihte Platz und Halt im warmen Wasser gefunden, da stieg Dwarosch auch schon hinterher. Mit einem geraunten: “soweit kommt es noch, dass wir uns von irgendjemanden die Stimmung versauen lassen”, packte er Marbolieb an der schmalen Taille, hob sie ein Stück aus dem Wasser und legte sich ihre Beine um die Hüfte, so dass sie hilfesuchend beide Arme nach hinten ausstreckte, um am Rand des Zubers Halt zu finden. Diese Geste bescherte Dwarosch einen äußerst appetitlichen Anblick - bei weitem nicht nur in der Art und Weise, wie die Wassertropfen über den vom Rosenöl glänzenden Leib seiner Geliebten rannen. Die junge Geweihte stöhnte auf, als sich ihre beiden Leiber vereinigten, schaffte es schließlich, ihn mit einer Hand zu greifen, grub ihre Finger in den Rücken des Oberst und schmiegte sich an ihn, gemeinsam mit ihm den Weg in die Gefilde der Lieblichen Herrin, die doch ebenso über Lust und Extase gebot, beschreitend. Der Rausch der Lust, das Feuer der Leidenschaft, all das ließ Dwarosch die Welt um sich herum vergessen. Ärger, Zorn und Wut, Streit und Zwist, all das hatte keinerlei Bedeutung mehr, verblasste, ja ward vergessen für die Momente, da sich Fleisch und Geist im Akt der Vereinigung durch göttliches Geschenk verbanden. Wie viel Zeit vergangen war, als der Rausch beider einer tiefen, befriedigten Wonne gewichen war, hätte Marbolieb nicht sagen können. Eng umschlungen lag sie in den Armen ihres Liebsten, ihre Wange an seiner, und genoss den schweren Frieden, der mit der Stille und dem Erlöschen des Feuers Platz in ihren Gliedern gefunden hatte. Sanft strich sie durch das dichte Haar des Oberst und seufzte leise, ein entrücktes, seliges Lächeln auf ihren Zügen. Etwas Vergleichbares hatte sie bisher noch nie gefühlt - gewiss hatte das Rosenöl der Rahjageweihten hier seinen Teil beigetragen. Dwarosch seufzte. Tiefe Zufriedenheit und fast schon vergessene Entspannung mit damit einhergehender Trägheit hatten von seinem Körper Besitz ergriffen. Und so machte der Oberst Frieden mit diesem Tag der Jagd, der so einige, unliebsame Überraschungen parat gehalten hatte. Dwarosch gähnte. All dies sollte für heute nicht mehr seine Sorge sein. Nicht fähig - und willens - sich zu bewegen flüsterte Marbolieb träumerisch: “Dwarosch, ich liebe dich.” Selig lächelnd streichelte Dwarosch Marbolieb mit dem Handrücken über die Wange und küsste ihre schmale Schulter. “Und ich dich, mein Räblein.”