Maskenball Feenkuesschen

Kapitel 9: Feenküsschen

Nach dem menschlich etwas enttäuschenden Intermezzo mit dem Schneider machte sich Doratrava auf die Suche nach den Männern und Frauen, die am heutigen Abend für die musikalische Untermalung zu sorgen hatten. Schon während sie auf die Dienste des Schneiders gewartet hatte, nahm sie dahingehend allerlei Munkeleien und Klatsch auf; so sollte es dem Edlen und seiner Frau gar gelungen sein, einen der berühmten Zauberbarden aus Albernia für das Fest zu engagieren. Aelfwin und die Feenküsschen nannte sich die Gruppe, bestehend aus dem Barden und seinen beiden Gefährtinnen, von denen nicht wenige Männer zu schwärmen begannen. Doratrava verdrehte innerlich die Augen. Ausgerechnet! Na, da war sie ja mal gespannt.

Es sollte nicht lange dauern, bis Doratrava die dreiköpfige Gruppe ausgemacht hatte. Wirklich schwer zu verfehlen waren sie ja nicht. Aelfwin war ein großer, schlanker Mann mit braunem Haar, großen grünen Augen und leicht angespitzten Ohren. Gekleidet war der Barde in edle Kleidung aus dunkelgrünem Bausch. Die beiden Feenküsschen waren junge Frauen, wohl Zwillinge, die einander bis auf die Haarspitze glichen. Die beiden Musikerinnen bestachen durch ihren hohen, schlanken Wuchs und die prächtigen feuerroten Locken.

Als sich die Gauklerin der Gruppe näherte, zog Aelfwin grüßend seinen Spitzhut vom Kopf. „Mir scheint, Ihr sucht etwas … oder jemanden?“, kam die Frage des Barden, welche sogleich mit einem simultanen Kichern der beiden Feenküsschen quittiert wurde.

Doratrava warf den beiden einen scharfen Blick zu. Was war denn daran so lächerlich? Dann widmete sie sich dem Barden. Irgendetwas in ihr drängte sie dazu, das seltsame Trio zu provozieren, aber sie schaffte es mit Mühe, diese Aufwallung zu unterdrücken, Immerhin brauchte sie die Musiker heute Abend. „Seid gegrüßt, Meister … Elf … win?“ Sie wurde schon wieder blassrosa. Warum konnte sie sich bloß keine Namen merken? Schnell sprach sie weiter. „Ich möchte heute Abend für die Gesellschaft tanzen, dazu sollte ich wissen, was ihr alles spielen könnt? Und ob wir ein wenig proben könnten, wo es niemand gleich mitbekommt?“

„Mmmmmh…“, der Barde fuhr sich durch sein Haar, „… werte …“, und sah sie dann aus fragenden Augen an, „… Unbekannte … die bessere Frage wäre es, was wir nicht spielen können.“ Er lächelte breit und wies dann auf seine beiden Begleiterinnen. „Ich bin ja schließlich der weithin bekannte Aelfwin mit seinen Feenküsschen. Ihr habt doch auch schon von uns gehört?“ Der Musiker machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir wollten vor dem Fest sowieso noch einmal ein paar Stücke durchgehen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch uns anschließen.“

Das Blassrosa ihrer Wangen wurde eine Nuance intensiver, als Doratrava hastig ihren Namen nannte und sich wie vor einer Aufführung leicht verbeugte. Die angedeutete Frage des Barden überging sie einfach. Hatte sie schon mal was von dem ‚berühmten Barden‘ und seiner auffälligen Begleitung gehört? Sie war tatsächlich schon selbst viel herumgekommen, ihrer Jugend zum Trotz, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. „Gerne“, erwiderte die Gauklerin, ohne sicher zu sein, dass sie das auch meinte. Der … Halbelf? … brachte sie irgendwie ein wenig aus dem Gleichgewicht. „Wo gehen wir hin?“

Der Barde drehte sich theatralisch sinnierend einmal um die eigene Achse, dann kratzte er sich den Nasenrücken und lächelte. „Wie wäre es denn dort hinten …“, er wies zu einer Baumgruppe, „… unter den Linden.“ Als Doratrava schon dahin losgehen wollte, hob er beschwichtigend seine Hand. „Werte Kollegin, nicht so schnell.“ Abermals folgte ein breites Lächeln. „Erst sollten wir Euch vielleicht über das aufklären, was wir gedenken zu spielen …“, er wandte sich zu einem der Feenküsschen um.

„Die Herrschaften haben sich vor allem langsame Musik gewünscht …“, ergriff diese dann das Wort, „… zu Beginn wurde sich gar das elfische Lied der Freundschaft gewünscht – ein magisches Lied, das Aelfwin beherrscht …“

Der Barde unterbrach seine Assistentin mit einer schwungvollen Verbeugung. „Meine Mutter sei Dank …“, warf er ein, bedeutete dem Feenküsschen dann jedoch mit einer knappen Handbewegung fortzufahren.

„Die letzte Strophe jenes Liedes bekräftigt übrigens den Bund zwischen zwei Elfen, doch wird Meister Aelfwin diese nicht vortragen …“, Doratrava konnte die Begeisterung der Künstlerin für diesen elfischen Brauch ganz deutlich am Leuchten ihrer Augen festmachen, „… sonst werden wir uns auf Balladen und Liedgut aus Albernia beschränken. Die Herrschaften haben uns freie Hand gewährt.“

Bei der Erwähnung des magischen Liedes lief es Doratrava eiskalt den Rücken hinunter und sie schlug ihre Arme unwillkürlich fröstelnd um den Körper. Sie hatte ihre ganz eigenen Erfahrungen mit einem magischen Lied gemacht, und das hatte sie unter sehr bizarren Umständen ihre Unschuld gekostet – gegen ihren Willen. Und so etwas wollte der Halbelf heute Abend spielen? Der Einwurf des Feenküsschens, die letzte Strophe des Liedes würde nicht gespielt werden, trug wenig zu ihrer Beruhigung bei. Allerdings half das alles nichts, offenbar waren diese drei Musiker das einzige, was sie bekommen würde.

Doratrava konzentrierte sich mühsam wieder auf die praktischen Aspekte. Soso, die Herrschaften hatten sich langsame Lieder gewünscht, aber den Musikern freie Hand gelassen? Na, mal sehen. „Haben die Herrschaften wenigstens euch gesagt, wie der Abend ablaufen wird? Werdet ihr die ganze Zeit spielen?“, begann die Gauklerin zu fragen, während die Gruppe sich zu den Linden begab. „Was macht dieses Freundschaftslied denn überhaupt genau?“ setzte sie unbehaglich hinzu. Vielleicht wurde es nicht so schlimm, wenn sie vorbereitet war.

„Wie der Abend ablaufen wird …“, Aelfwin kratzte sich die Schläfe, „… nein, haben sie nicht. Das werden wir schon sehen, meinten sie.“ Der Albernier hob die Schultern. „Alles KANN nichts MUSS, hieß es wiederholt.“

Doratrava verdrehte die Augen. Schon wieder diese allgegenwärtige Floskel. Das wurde ja langsam zum Ritual! Aber sie zuckte nur die Schultern und meinte: "Schade."

Erst als die Gruppe bei den Linden angekommen war, ging der Barde auf die nächste Frage ein. „Das Lied der Freundschaft wird vom Volk der Elfen normalerweise nur dann gespielt, wenn es darum geht Bünde der Freundschaft und der Liebe zu besiegeln. Das Lied hat derer drei Strophen, und wie Feenküsschen meinte, wird die dritte hier nicht gesungen werden. Die ersten beiden Strophen sollen die Emotionen und Gefühle der Feiernden verstärken.“

Gefühle verstärken. So etwas ähnliches hatte Doratrava schon befürchtet. Immerhin, 'verstärken' und nicht 'auslösen'. Sie runzelte sie Stirn.

Fast schien es der Gauklerin, als wollte der Albernier damit enden, als er noch einmal nachsetzte. „Ihr wirkt besorgt?“

Diese hatte keine Lust, dem ziemlich von sich überzeugten Barden, der seine 'Feenküsschen' auch noch so ansprach, obwohl sie sicher eigene Namen hatten, ihr Seelenleben auseinanderzusetzen, also lenkte Doratrava ein wenig ab. "Auf so einen Fest sollte man doch meinen, dass die Emotionen ganz von selbst in Wallung kommen, meint Ihr nicht?"

„Hmmm…“, brummte er auf den Einwand der Gauklerin hin. Diese konnte jedoch sogleich erkennen, dass er nur zum Schein darüber nachdachte. „… fragt Ihr Euch, warum es Menschen gibt, die sich in den Tempel der Schönen Göttin begeben, um sich dort ihr Liebesspiel segnen zu lassen?“ Aelfwin hob fragend seine Brauen und neben ihm kicherte eines der Feenküsschen. „Ich will niemandem die Fähigkeiten absprechen, seinen Partner zu beglücken, aber die göttlich verstärkte Empfindung, oder in dem Fall auch die magische, ist dann noch einmal was anderes. Wer möchte nicht überderisch empfinden?“

Doratrava erkannte, dass hier wahrscheinlich jede Diskussion sinnlos war. Sie hatte schon genug Probleme mit völlig unmagischen derischen Emotionen, und den katastrophalen ... Kater? - nach einem magisch verstärkten Taumel der Gefühle wollte sie nicht noch einmal verspüren, aber ihre Meinung war hier offenbar nicht gefragt, zumal sie diese nur durch Ausplaudern ihrer intimsten Geheimnisse hätte begründen können. Um sich nicht noch mehr in rahjanisch-magischen Fallstricken zu verfangen, wechselte sie lieber schnell das Thema. "Ja, wer möchte das nicht?" So ganz konnte die Gauklerin ihre widerstreitenden Gefühle allerdings nicht aus ihrer Stimme heraushalten, schnell sprach sie weiter: "Wir sind übrigens da. Dann lasst uns am besten anfangen. Erstmal spielt ihr, und ich schaue mal, was sich darauf tanzen lässt. Anschließend habe ich ein paar Wünsche und wäre froh, wenn ihr mir die erfüllen könntet." Ganz überzeugend klag Doratrava nicht, aber das mit dem magischen Lied ging ihr immer noch nach, so dass sie nicht ganz bei der Sache war.

Der Barde wandte sich zu den Feenküsschen um und wirkte etwas belustigt über den Gouvernantenton, den die junge Gauklerin anschlug. Dann zuckte er mit den Schultern und begann aufzuspielen. Die Gruppe spielte fünf Stücke, die allesamt ineinander übergingen. Aelfwin sang und spielte die Laute, die Feenküsschen spielten Flöte und Handtrommel, wobei sie den Meister immer wieder mit Hintergrundgesang unterstützten.

Das erste Lied war wohl ein albernisches Seemannslied, in welchem es um die Liebe, ferne Lande und Heimweh ging. Es folgte etwas fröhlicheres - beinahe schon ein Sprechgesang, der die Liebe einer jungen Frau zu einem Feenwesen aus dem Farindel erzählte. Auch ein Heldenepos fand sich unter den dargebrachten Stücken. Wohl die Geschichte des Kampfes Hlûthars von den Nordmarken gegen das Dämonenheer Fran Horas´.

Die Gauklerin kannte nicht sonderlich viele formale Tänze, aber sie war eine begnadete intuitive Tänzerin. Sie hielt nicht lange still, als die Barden angefangen hatten zu spielen, und kaum tat sie die ersten, noch prüfenden, sich einfühlenden Schritte, da traten all ihre geäußerten und nicht geäußerten Sorgen in den Hintergrund, und sie verlor sich in den gespielten Melodien, nahm sie in sich auf, webte im Kopf ein unbewusstes Muster, und ließ dieses wiederum in ihre Glieder fließen, welche sich fast wie von selbst in anmutiger Weise bewegten. Allerdings merkte man Doratrava an, dass die überwiegend langsamen Passagen sie irgendwie ausbremsten, dass ein Temperament und eine Energie in ihr steckte, welche herauswollte, aber nicht richtig konnte. Wann immer die Musik ein wenig beschleunigte, verströmte die ganze Haltung der Gauklerin Erleichterung, begann sie Pirouetten und Sprungeinlagen in die Tanzschritte einzuflechten, nur um sich dann wieder mühsam einbremsen zu müssen, wenn die Musik an Fahrt verlor. Den gesungenen Text der Weisen nahm Doratrava dabei gar nicht wahr.

Als die Gruppe geendet hatte, setzte sich der Barde in die Wiese unter die Bäume und legte seine Laute neben ihm ab. Er legte seinen Kopf schief und grinste Doratrava an. "Ich hoffe zu Eurer Zufriedenheit. Was sind Eure Wünsche?"

„Wart Ihr denn mit mir zufrieden?“, konnte Doratrava sich nicht verkneifen zu fragen. Auch wenn die albernischen Balladen nicht direkt ihren Geschmack trafen, waren es doch schöne Lieder, die sie mit ihren Bewegungen für ihr Dafürhalten durchaus anmutig untermalt hatte.

Aelfwin wog seinen Kopf, dann nickte er. „Ja, das könnte ganz gut funktionieren.“

‚Könnte … ganz gut … na warte!‘ schwor sich Doratrava im Stillen, aber beschloss, auf einen Streit mit dem arroganten Gockel zu verzichten. Es gab ja keine anderen Musiker.

Dann kam die Gauklerin auf ihre Wünsche zu sprechen: „Kennt ihr ‚Sternenhimmel‘? Ich weiß nicht, wer das Stück komponiert hat, aber als ich eine Zeitlang mit Zahori unterwegs war, habe ich dort eine Tänzerin kennengelernt, deren Mann auf der Fiedel die unglaublichsten Stücke spielen konnte. Kennt ihr vielleicht auch ‚Erzengel‘? Oder ‚Grün auf immerdar‘? Oder vielleicht auch „‘Gib‘ niemals auf‘? Ich würde die Leute so gerne überraschen, ihnen einen Tanz – oder mehrere – bescheren, den sie so schnell nicht vergessen werden! Doratravas Stimme nahm einen träumerischen, fast flehenden Unterton an, auch ihr Blick hing plötzlich mit banger Erwartung an dem Barden und wanderte dann, nicht minder intensiv und violett flammend, zu den Feenküsschen. Wer sagte denn, dass der Meister dasselbe Repertoire aufwies wie seine Begleiterinnen?

„Hmmmm…“, der Blick des Barden ging hinauf in die Baumkrone und dann weiter zu den Feenküsschen, die jedoch auch nur ahnungslos ihre Schultern hoben, „… Grün auf immerdar …“, wiederholte er langsam, „… ja das kenne ich. Was gedenkt Ihr dazu zu tanzen?“

Na, immerhin. Wobei die Gauklerin zugeben musste, dass dies keine Weisen für einen gemütlichen Tavernenabend waren und sie außerhalb jener Zahorigruppe noch selten jemanden getroffen hatte, der die Stücke überhaupt kannte., insofern musste sie sich schon glücklich schätzen. Manche dieser Werke erforderten auch eine größere Vielfalt von Instrumenten, um ihre Wirkung richtig entfalten zu können. Aber sie musste nehmen, was sie kriegen konnte.

„Spielt, dann zeige ich es euch!“ erwiderte Doratrava mit herausforderndem Augenaufschlag. Mal sehen, ob das Stück, welches Aelfwin zu kennen glaubte, auch dasselbe war, das sie meinte.

„Alles klar …“, in einer schnellen Bewegung sprang der Barde auf, nahm seine Laute und begann das Stück zu spielen. Bei den Feenküsschen dauerte es etwas, bis sie mit ihren Instrumenten in die Melodie einstimmten, sodass ein guter Teil des Liedes bereits gespielt war, als alle drei Musiker jene vollendete Einheit darboten, die sie sonst waren.

Doratrava setzte sich auf den Boden und zog sich die Stiefel aus. Sie trug ja schon den ganzen Tag seit dem Ende des Frühstücks ihre normale Straßenkleidung, um nicht über Gebühr aufzufallen und weil es einfach praktischer war. Sie nutzte die kurze Zeit, die dies dauerte, um die Melodie des Barden kritisch zu prüfen. Die Gauklerin konnte selbst kein Instrument spielen und auch nur mäßig gut singen, wenn sie auch eine eigentlich schöne Stimme hatte, aber sie hatte ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl, und damit galt es sich auf die Melodie, die der Barde spielte, einzustimmen. Schade, dass die Feenküsschen so ratlos dabeistanden. Die Flöte und die Trommel wurden auf jeden Fall gebraucht, wenn man das Stück nur mit der Laute spielte, fehlten sozusagen ein paar Stimmen.

Nun, dafür schlug sich Aelfwin ganz gut. Sie musste zugeben, dass er sein Handwerk durchaus verstand und nicht nur irgend ein Wald- und Wiesenbarde war. Allerdings wich seine Version von „Grün auf immerdar“ an ein paar Stellen von dem ab, was Doratrava kannte. Damit sie später nicht ins Stolpern kam, galt es, sich diese Stellen besonders einzuprägen. Verbessern konnte und wollte sie den Barden nicht, denn sie hätte nicht gewusst, wie sie ihm in der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit ihre Wünsche hätte deutlich machen sollen, so ganz ohne Kenntnis der musikalischen ‚Sprache‘.

Doratrava ignorierte die fragenden Blicke des Barden und blieb erst einmal im Gras sitzen, um die Musik auf sich wirken zu lassen. Als die beiden Begleiterinnen Aelfwins dann im Verlauf des Spiels doch noch einstimmten, war die Gauklerin erleichtert, denn das hörte sich schon viel besser an. Sie nickte ihnen zu und ermutigte sie mit einer Handbewegung, weiterzuspielen, als sie merkte, dass die Musiker immer ungeduldiger wurden, weil sie selbst nichts tat.

Genug der Gedanken. Sie erhob sich am Ende des Stücks in einer fließenden Bewegung vom Boden, fast schien es, sie hätte die Hände dazu gar nicht nötig. „Damit lässt sich arbeiten,“ ließ die Gauklerin sich versonnen lächelnd vernehmen. Aelfwin blickte sie mit hochgezogenen Brauen an, wie man ein ungezogenes Kind ansieht, dem man wohlwollend seine Allüren nachsieht, aber Doratrava bekam das gar nicht richtig mit. „So, wenn ihr etwas sehen wollt, dann bitte nochmal von vorne.“ Ihre Stimme klang jetzt so, als sei eine Widerrede keine Option. Der Barde sah die Gauklerin ein wenig verwundert und fast ein bisschen verärgert an, seine Feenküsschen sahen erst zu Doratrava, dann mit einem Gesichtsausdruck, in den deutlich ‚Was soll die Scheiße?‘ geschrieben stand, zu ihrem Meister. Der sah recht nachdenklich aus, gab sich dann aber einen Ruck und sprang über seinen Schatten. Was erlaubte die kleine Gauklerin sich? Aber sie schien sich ihrer Sache so sicher zu sein, dass er seiner Neugier nachgab. Wenn sie sich blamierte, war es nicht seine Schuld. Wenn sie es nicht tat, ja dann …

Aelfwin gab seinen Begleiterinnen ein Zeichen, und sie fingen das Stück von vorne an zu spielen, während Doratrava den Austausch der Blicke zwischen den Musikern zwar mitbekommen, aber nicht verstanden hatte, weil ihre Gedanken schon im Reich des Tanzes weilten und jede Faser ihres Körpers auf die bevorstehende Aufführung vorbereiteten. Allerdings war ihre Trance diesmal nicht vollständig, denn sie wollte jetzt nicht alles geben, nicht alle Karten auf den Tisch legen. Heute Abend war das Fest, nicht jetzt, das hier war nur eine Probe. Trotzdem fiel es ihr schwer, so herausgefordert von dem frechen Barden und seinen Begleiterinnen, mit ihren Fähigkeiten hinter dem Berg zu halten.

Sie begann den Tanz, langsam wie das Stück, barfuß über das Gras. ‚Hoffentlich liegen hier keine Steine herum‘, meldete sich eine innere Stimme leicht gehässig und äußerst ungebeten, welche die Gauklerin mühsam zur Seite schob.

In kleinen Drehungen wand sie sich mit zur Musik passenden wellenförmigen Armbewegungen um eine Linde und um sich selbst. Jede vierte Drehung war ein kleiner Sprung. Schon jetzt sah es fast aus, als schwebe Doratrava über den Boden. Dann nahm die Musik im zweiten Teil des Stücks Fahrt auf und damit auch die Gauklerin. Die Drehungen wurden größer und schneller, teils schwang sie ein Bein durch die Luft, während sie sich auf dem anderen drehte. Das sah schon sehr beeindruckend aus, und das, obwohl sie eben nur Straßenkleidung trug und kein Kleid, welches in Harmonie mit ihren Bewegungen um sie herumfließen könnte. Sie ließ ab vom Tanz um die Linde, ihre sich stakkatoartig bewegenden Füße erkundeten den Platz zwischen den Bäumen, mit halb geschlossenen Augen flog sie dahin, immer schneller, als die Musik neue Höhen erklomm, der Tanz bekam nun akrobatische Elemente, als die eingestreuten Sprünge immer weiter und kunstvoller wurden, bis Doratrava beim Schluss-Crescendo mit einem letzten Sprung abhob, sich mehrfach bei senkrecht überkreuz in die Luft gehaltenen Armen um die eigene Achse drehte und mit ausgebreiteten Armen und in den Himmel gerecktem Gesicht perfekt auf einem Knie landete.

Aelfwin zuckte zusammen, denn das sah nicht so aus, als könnte ein Mensch es ohne ernsthafte Verletzung überstehen, und spielte im Schlussakkord deshalb tatsächlich einen falschen Ton. Als dann die Gauklerin mit einem schmerzhaften Aufschrei zur Seite kippte, ließ er die Laute sinken und stürzte mit Besorgnis in der Miene auf die Gauklerin zu. „Ist Euch etwas geschehen“, rief er erschreckt.

Doratrava ächzte. Verdammt, ausgerechnet hier hatte doch ein Stein gelegen, welcher sich schmerzhaft in ihre linke Fußsohle gebohrt hatte, wegen des Schwungs des letzten Kunststücks so tief, dass Blut floss, und nicht zu wenig.

Der Barde war schnell zur Stelle und kniete sich neben Doratrava. „Lasst mich sehen…“, sprach er und ohne wirklich eine Antwort abzuwarten, nahm er ihren zarten Fuß in seine Hände und betrachtete die Wunde. „Das sieht nicht gut aus …“, bemerkte er, „… legt Euch zurück.“

Vor lauter Schmerzen, die ihr die Tränen auf die Wangen trieben, und den Kampf darum, keinen weiteren Schmerzenslaut von sich zu geben, vergaß sie, sich gegen die ungewollte Berührung des Halbelfen zu wehren, und folgte sogar seinen Anweisungen.

Aelfwin wartete, bis sie seiner Aufforderung nachgekommen war. Dann begann er, elfische Worte zu murmeln. Immer wieder wiederholte er sie und nach der dritten oder vierten Wiederholung fühlte die junge Gauklerin ein kribbelndes Gefühl von ihrer Wunde ausgehen, das sich bald in einen wohligen Schauer für ihren ganzen Körper steigerte.

Wenige Momente später ließ der Albernier wieder von ihrem Fuß ab und half ihr auf. Der Schmerz war weg und die Wunde geschlossen.

Doratrava seufzte erleichtert. Das war nicht die erste magische Heilung, welche man ihr ihn ihrem Leben hatte angedeihen lassen, insofern war sie weder verwundert noch überrascht. Aber wenn sie allein oder mit anderen Gauklern unterwegs war, dann war normalerweise kein magisch begabter Heiler zur Hand, weswegen sie sich glücklich schätzte, denn sonst wäre ihr Auftritt heute Abend sicher anders ausgefallen als gedacht. In einer Ecke zu sitzen und mit drei Bällen zu jonglieren war sicher nicht das, was Rahjalind sich vorgestellt hatte. "Habt Dank", murmelte sie, etwas widerwillig, denn so ganz kam sie mit der herablassenden Art des Barden noch immer nicht zurecht, dann machte sie sich schnell los von ihm und trat einen Schritt zurück. Nachdem das unmittelbare Problem gelöst war, musste sie nun trotzdem wissen, was die Musiker zu ihrem Tanz sagten. "Könnte das auch ganz gut funktionieren?" fragte sie daher mit ironischer Betonung. "Mal abgesehen von dem Stein", fügte sie etwas versöhnlicher hinzu.

„Der Tanz war gut. Ihr beherrscht Euer Handwerk …“, der Barde wischte sich Doratravas Blut auf seinen Händen in ein Taschentuch, das er zuvor aus seiner Tasche nestelte. „Eigentlich schade, Ihr würdet gut zu unserer Truppe passen …“, er rieb sich sein Kinn, „… gut, mit Euren Haaren müssten wir etwas machen, aber von Eurem Talent her würde das gut funktionieren.“ Aelfwin zwinkerte ihr frech zu.

Doratravas Blut geriet schon wieder in Wallung. Sie spürte die blassrosa Farbe in ihren Wangen aufsteigen, aber diesmal nicht aus Verlegenheit. Diese Gönnerhaftigkeit machte sie noch wahnsinnig. Und was hieß hier ‚gut‘? Das hörte sich aus seinem Mund an wie ‚nicht ganz schlecht‘. Und was war falsch mit ihren Haaren? „Was stört Euch an meinen Haaren?“ Demonstrativ schüttelte sie ihre weiße Mähne nach hinten. „Ansonsten würde ich sagen: sprechen wir nach dem Fest, dann habe ich vielleicht den Kopf, mich mit Eurem Angebot auseinanderzusetzen. Ihr seid ja immerhin auch nicht schlecht“, versuchte sich Doratrava in dem gleichen gönnerhaften Ton. Allerdings war sie darin nicht geübt, und es hörte sich schon in ihren eigenen Ohren eher lahm an. Mist!

Der Halbelf näherte sich abermals ungefragt der Gauklerin und strich ihr mit den Fingern durch ihr weißes Haar. So unaufdringlich es in diesem Moment möglich war, und Doratrava sollte seine Berührung nicht einmal spüren. Als er wieder von ihr abließ, sah er kurz zu einem der Feenküsschen. „Stören würde ich nicht sagen …“, meinte der Barde dann lächelnd, „… Ihr könntet nur mehr daraus machen, und was das andere angeht …“, sein Lächeln wandelte sich zu einem Schmunzeln, „… und was das andere angeht – gerne können wir uns nach der Feier darüber unterhalten.“

„Hach!“ Doratrava warf die Arme in die Luft. „Also! Dann nach dem Fest!“ Sie floh regelrecht von dem Platz unter den Linden, um dem Barden mit ihren aufgewühlten Gefühlen nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten. ‚Was das andere angeht‘ … was ging wohl das andere an? Und vor allem: welches anderes? Verdammt, sie musste sich beruhigen. Am besten kehrte sie in ihr Zimmer zurück, sie musste sich eh‘ langsam fertigmachen für das Fest, wenn sie den Stand der Sonne richtig bedachte.