Kräutergarten

Kräutergarten

Utsinde von Plötzbogen und Verema von Artigas lernen sich etwas besser kennen und erfreuen sich bis zum Konzert an den Pflanzen des Perainegartens.

Der Ablauf des kleinen Sees auf der darüberliegenden Terrasse speiste einen kleinen Bach, der sich seitlich an einem etwa zehn Schritt breiten, bunten Beet der Schlucht entgegen wandte. Über eine weitere hölzerne Brücke gelangte man dort zu schneckenförmigen Wegen aus flach im Boden eingelassenen braunen Steinen. Zwischen den schmalen Pfaden erhoben sich aus dunkler, brauner Erde duftende Pflanzen: Lauch, Zwiebeln, Salbei, Kamille, Melisse, Rahjalieb, Johanniskraut, Ackerminze, Fenchel, Lavendel und viele weitere blühende Kräuter hüllten diesen Gartenteil in einen angenehmen, sanften Duft. Hölzerne Stäbe, verbunden mit leinenen Bändern, an denen getrocknete Kräuterbündel hingen, bildeten die halbhohe Grenzen zu den anderen Bereichen des Gartens. Mittig in dem bepflanzten Rund war ein flacher Tisch aufgestellt worden, auf dem auf einer großen braunen Tonplatte mundgerechte Stücke von duftendem Apfelkuchen drapiert waren.

Utsinde liebte Kräuter. Droben auf ihrem Gut in den Bergen kultivierte sie die wilden Verwandten domestizierter Sorten, wie sie in den Kräutergärten des Mittelreichs gediehen. Die Ritterin mochte dabei die Heil- und Wildkräuter, die in den schroffen Klüften der Berge trotz aller Beschwerlichkeiten wuchsen, am liebsten. Den Duft ursprünglicher Blütenstände lieber als die neuesten Zuchtrosen. Freilich, die Rose gehörte der Göttin Rahja, aber ihr allein. Bei den Kräutern besaß jede Gottheit gleich mehrere und wiederum eine Pflanze mehrere alveranische Fürsprecher und wer diese kannte, wusste um ihre Bedeutung. Efferdsblatt beispielsweise, das in seiner fleischigen Mitte seines tablettartigen Blattwerks Tautropfen fing, war auch der Herrin Peraine eigen, denn seine heilende Wirkung war nicht zu unterschätzen. Man nahm Efferdsblatt zur Behandlung von Wunden, Blutungen, Frauenkrankheiten, Geschwüren, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und anderen Beschwerden her, es half bei Mensch und Tier – und wie Utsinde aus eigener Erfahrung wusste, auch den Angroschim. Ehrenpreis wiederum galt dem Herre Praios wie auch der Sturmherrin als Opfergabe, die erzürnt Gewitter senden konnte, wenn man ihr von der Ernte nichts darbrachte. Rahjaminze kühlte erhitzte Gemüter, das wusste jeder, ebenso wie sie im Namen der Herrin Hesinde einen klaren Kopf schenkte, wenn man die Blätter kaute. Schlüsselblümchen waren von Phex auf Dere gebracht, denn mit Hilfe der gelben schlüsselartigen Blüten konnte man versteckte Schätze aufspüren, so hieß es, allerdings hatte auch die Junge Göttin ihren Gefallen an diesen Blümlein gefunden, sollten doch Frauen, die Kinder haben wollten, frischen Tee davon trinken. Und der betörende Geruch des in großen Dolden blühenden Hollerstrauchs gefiel nicht nur halb Alveran, sondern auch den Berggeistern. Ganz zu schweigen davon, dass sich Sirup aus den Hollerbeeren hervorragend mit Zwergenbier mischen ließ und ein vorzügliches Getränk abgab, das sich zudem noch lange hielt.

Die alte Vögtin probierte mal hier, und schnabbulierte mal da Blätter oder Blüten von den Pflanzen, die hier in diesem Teil des Gartens wuchsen. Auch den Apfelkuchen verschmähte sie höflichkeitshalber nicht. Das Backwerk konnte allerdings ihrer Meinung nach mit dem Potpourri an herzhaften Geschmäckern der Kräuter nicht mithalten. Ein gebackener Salzkuchen mit Speck und Rahm, den man zudem noch selbst mit ein paar frischen Kräutern garnieren hätte können, wäre eher nach Utsindes Geschmack gewesen. Nun ja. So wichtig der Baron auch immer tat – die Weisheit hatte man auch in Obena nicht mit Löffeln gefressen.

Verema war Utsinde in den Kräutergarten gefolgt und ließ in Gedanken versunken den Ort auf sich wirken. Ihr Wissen über Kräuter konnte man als durchschnittlich bezeichnen, ihr Verhältnis zu selbst gezogenen Pflänzchen als getrübt.

So wollte unter ihrer Obhut nichts so wachsen, wie sie es wünschte, aber sie hatte keine Lust, jetzt darüber zu reden. Kurz schielte sie zu dem Apfelkuchen...eigentlich war es hier hübsch und der Gastgeber nicht so unfreundlich, wie sie vermutet hatte. "Utsinde, darf ich Euch etwas fragen? Ihr scheint Rahjodan schon länger zu kennen. Er kam mir vorhin ganz umgänglich vor, aber wer weiß. Gibt es irgend etwas, d as ich besser nicht sage oder mache ? Ich will nicht gleich unangenehm auffallen. Und wollen wir vielleicht etwas Apfelkuchen probieren ?"

Utsinde sah lächelnd zu der Almadanerin auf. Ach Herzchen… seufzte die alte Vögtin in Gedanken. Sie musste sich vor Augen führen, dass die Domna eine erwachsene Frau war und kein kleines schützenswertes Mädchen, wie es Utsinde gerade bei diesen zaudernden Worten wieder vorkam. Irgendwie fühlte sie sich aber doch verantwortlich für die hübsche Schönheit, deren Eleganz genauso strahlend waren wie ihr kindliche Unsicherheit – Nein, Neugier, wollte Utsinde eher dazu sagen und schmunzelte weiterhin in sich hinein, weil sie sich bei dem Gedanken ertappte, der armen Seele reinen Wein über den Baron einzuschenken, was ihr allerdings dann doch selbst einen großen Schritt zu weit ging. Der Baron mochte dies selbst kultiviert haben, doch Unhöflichkeit und Intrige waren keine von Utsindes Tugenden. Vielleicht ein wenig Neckereien, eine bissige Zunge, ja, aber ganz sicher kein Rufmord. Nein, nein, sie musste die Domna behutsam an der Hand nehmen. Ihr vor allem diesen Zahn mit der Angst ziehen.

„Ach, wisst ihr,“ begann Utsinde und zupfte sich selbst noch eine Blüte ab, die sie vor ihrer Nase in den Fingern zwirbelte, während sie daran roch. „Ihr tut sicher gut daran, euch schlau zu machen, wie man sich hierzulande verhält. Doch sagte ich euch ja schon, dass ihr euch bezüglich des Barons keine Sorgen machen braucht. Ihr habt sicher Recht, man hört über Obena so einiges und ich will nicht bestreiten, dass in vielen der Geschichten doch ein Funken Wahrheit stecken kann. Oder es sogar tut. Aber seid euch versichert, dass ihr hier nichts und niemanden fürchten braucht. Wer soll es euch übelnehmen, dass ihr als Kind anderer Gefilde mit unseren verstaubten nordmärker Gepflogenheiten nicht vertraut seid? Bleibt einfach ihr selbst, dann macht ihr schon alles richtig.“ Die alte Vögtin schmunzelte und bedachte die Almadanerin mit einem großmütterlichen Blick, bei dem sie den Kopf leicht schief legte. „Oh, ihr fallt übrigens durchaus auf. Aber alles andere als unangenehm, glaubt mir. Uns Nordmärkern reicht vielleicht der Ruf voraus, mürrisch und ungehobelt zu sein und festgefahren in unserer Denkweise – das mag sogar stimmen. Aber wir schätzen unsere Verbündeten und vor allem wohlgefällige Gastfreundschaft! Ihr könnt also gar nichts falsch machen. Seht doch: am Ende des Tages ist der Herr Rajodan schließlich auch nur was? Ein Mensch wie ihr und ich." Immer noch schmunzelnd hielt sie in ihrer Handbewegung inne. „Ach, ihr wolltet ja Apfelkuchen.“ fiel es ihr wieder ein und so deutete sie an, den Standort ihres Gespräches vom Kiesbett in die Mitte des Gartens zu dem kleinen Tischchen zu verlegen, auf der das süße Backwerk seiner Bestimmung harrte.

„Bitte lasst es euch schmecken. Ich selbst bleibe derzeit lieber bei Ampfer und Schnittlauch.“

Während sich die Domna also Apfelkuchen gönnte, schnupperte Utsinde weiterhin an Blättern, die sie im Vorbeigehen behutsam abgezupft hatte, um nun ein kleines Sträußchen unter ihrer Nase schwenken zu können.

"Ampfer und Schnittlauch, na schön." Während die Vögtin die Blümlein betrachtete und sie selbst den Apfelkuchen, spekulierte Verema, ob in den anderen Bereichen des Gartens wohl auch noch verschiedene -regionale- Spezialitäten auslägen. Noch ein, zwei Dinge gab es zu klären, dann würde sie sich weiter umsehen. Ihr war es, als hätte sie am Eingang fern ein vage bekanntes Gesicht gesehen, irgendeine Person, die ihr auf dem Gestüt schon begegnet war, aber sie konnte sich auch irren.

"Gut, der Hochgeboren wird mich also nicht gleich zum Duell fordern, das ist beruhigend. Ihr wolltet noch etwas zu mir und dem Gestüt wissen?"

„Nein, ich versichere euch, das wird er nicht. Ihr habt Recht, ihr wolltet erzählen, wie ihr zu der Ehre kamt, dem Herzogengestüt vorzustehen. Immerhin spekulierten sicherlich viele meiner Landsmänner auf diesen Posten.“ Ein Schmunzeln. „Und ihr habt sie alle ausgestochen. – Und natürlich interessiert es mich, ob ihr plant, der Züchtung einen eigenen Stempel aufzudrücken, ihr eine neue Richtung zu geben. Immerhin scheint ihr vom Fach zu sein. Habt ihr in eurer Heimat schon immer mit Pferden zu tun gehabt? Leider war die Zucht von Rössern, egal welcher Art, nie etwas, was mein Interesse geweckt hat. Zumal es auch oben in den Bergen, wo ich herkomme, schwierig ist, sie zu halten. Zu viel Gestein für die zarten Knöchel. Zu kalte Winter. Dort ist man mit Ziegen besser bedient. Die machen auch eindeutig besseren Käse.“ Ein Zwinkern im Auge der alten Vögtin.

Die Junkerin aus Almada musste kurz lachen, scheinbar amüsiert. "Ach ja? Viele spekulier t en angeblich darauf?“

„Das nahm ich bisher an. Dem war etwa nicht so? Hm, kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber ich kann auch nicht alles wissen.“ Die Vögtin lächelte.

„Nun ja, vielleicht waren die anderen Bewerber etwas zu träge, ha tt en keine Ahnung und etwas almadanisches Blut – keine Sorge, ich will keine Almadaner einkreuzen, ich meine damit mich – tut ihnen gut und frischt das Gestüt auf. Manche denken, es reiche, zwei schöne Pferde zu paaren, der Rest wird dann schon... Aber nein, mal im Ernst." Den Apfelkuchen hatte sie beiseitegestellt und untermalte ihre Worte mit ausschweifenden Gesten. Auch schien die kleine, zierliche Frau gar nicht mehr unsicher, nein, sie schien sehr genau zu wissen, wovon sie sprach. "Wie Ihr unschwer gemerkt haben dürftet, mangelt es mir an Erfahrung in höfischem...Umgang. Das liegt daran, dass ich erst spät meinen Platz als Junkerin gefunden habe – langweilige Familiengeschichte, sowas erspare ich euch. So habe ich mich seit ich denken kann mit Pferden beschäftigt. Wir züchten seit Jahrzehnten. Bitte, ich komme aus Almada, was muss man da noch sagen. Allerdings habe ich mich in die Elenviner verguckt, besonders ihre Schnelligkeit und Charakter faszinieren mich. Aber auch damit würde ich Euch nur langweilen," ein Lächeln "Ich hatte einst ein Streitgespräch mit dem Herrn von Rabenstein.“

„So?“ Utsinde machte ein überraschtes Gesicht. Sie fand es faszinierend, dass dieser redefaule Kerl überhaupt Streitgespräche führte. Immerhin war ein Gespräch doch etwas, woran beide Gesprächspartner zu gleichen Teilen beteiligt waren…

„Er versteht viel von Pferden, aber wir hatten unterschiedliche Meinungen. So habe ich ihn wohl derart beeindruckt, dass ich durch ihn auf den Posten gekommen bin. Wir planen, eine Hofreitschule aufzubauen und diese vielseitige Rasse athletisch zu verbessern. Mehr Leistungsprüfungen würde ich mir wünschen, aber das ist alles noch ein weiter Weg. Ihr kennt doch sicher viele der adligen Herrschaften hier. Ist jemand dabei, der Elenviner züchtet oder ein paar schöne Pferde dieser Rasse hat?"

Utsinde überlegte, ging im Geiste die Gesichter durch, die sie hier schon gesehen hatte. Wer wusste schon, wer seit ihres Flanierens noch in Obena angekommen war. Vorsichtig zuckte sie daher mit den Schultern. „Sicherlich wird der Herr Baron einige von ihnen in seinem Stall stehen haben. Ihr könntet euch auch bei den anwesenden Rahjanis umhören. In den Nordmarken ist es nun mal so, dass beinahe jeder Baron seine eigene Pferdezucht betreibt. Das ist wohl in der Tatsache begründet, dass ein jeder auch unterschiedliche Anforderungen an seine Schlachtenrösser hat. Elenviner gehören nicht unbedingt zu den Pferden, die im Lanzengang oder in der Schweren Kavallerie Einsatz finden, müsst ihr wissen. Das dürfte doch in eurem Heimatland nicht anders sein, nehme ich an. Als einfache leichte Reitpferde – sicherlich. Als Kampfgefährte eines Ritters – sicherlich nicht. Wer allerdings eine gute Mischung aus beidem pflegt, ist hier in der Baronie Eisenstein das Gestüt Rickenbach. Die Züchterfamilie kreuzt seit vielen Jahren schon recht erfolgreich Elenviner mit Tralloper Riesen. Heraus kommen sehr hübsche Schlachtenrösser, die Wendigkeit, Eleganz, ein moderates Stockmaß und Schönheit der Elenviner mit der Zähigkeit, Ausdauer, Kraft und dem Gehorsam der Weidener verbindet. Wirklich sehr gute Pferde im übrigen. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit erst meinem Patenkind eine Stute aus dieser Zucht geschenkt. Sie hat ihren Ritterschlag in diesem Götterlauf erhalten und reitet damit nun Turniere. Dafür sind die „Eisensteiner Riesen“, wie sie heißen, ideal! Ich würde euch empfehlen bei dem ehrenwerten Herrn Merkan Adlerkralle von Rickenbach mal vorbeizuschauen, wenn ihr Obenas überdrüssig geworden seid. Das Gut liegt nicht weit von hier. Wenn ihr über den Weg von Altenfurth her angereist seid, seid ihr sogar schon vorbeigekommen.“

Und so plätscherte das Gespräch der beiden Frauen gemächlich dahin. Verema berichtete über ihre Ziele und Ideen und Utsinde erfreute die junge Frau mit den Gerüchen und den Geschmäckern der vielen Pflanzen des Gartens und Erzählungen aus den Nordmarken. Erst als von weitem der Gong ertönte, realisierten die beiden, wie viel Zeit bereits vergangen war und dass sie sich aufmachen sollten, um einen guten Platz beim Konzert zu ergattern. ---

Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.CatrinGrunewald - 11 Dec 2018