KNS- Eine willkommene Abwechslung

Eine willkommene Abwechslung

Eine Briefspielgeschichte von BBB.


Eine willkommene Abwechslung – Mal gewinnt man...

Stadt Kressenburg, 4. Praios 1043 BF, vormittags

Der Almadaner schlurfte vom Turnierplatz, um das Feld für die nächsten beiden Kombattanten zu räumen. Luten Corrhenstein von Hirschenheide hatte ihm stärker zugesetzt, als ihm lieb sein konnte, und so deutete er zunächst in Richtung des Heilerzeltes, als sein Page Answin angelaufen kam, um seinen Herrn zu unterstützen.

„Ihr habt gut gekämpft, Herr!“, versuchte dieser Algerio aufzumuntern.

Algerio grinste: „Wenn ich so gut war, warum fühle ich mich, als hätte Hartmann an mir die Ayrina-Presse geübt? Danke, dass du versuchst mich zu erheitern, aber entweder werde ich langsam alt, oder ich muss gehörig steigern, will ich auch die nächste Runde überstehen.“
Answin schwieg zunächst und überlegte, was er erwidern sollte.
„Der Edle von Hirschenheide hat die Möglichkeiten, die sich ihm boten, aber auch hervorragend genutzt!“, versuchte er sein Glück, was Algerio nur bestätigen konnte.
„Das hat er, Answin. Ja, das hat er. Wir können stolz sein, dass das Reich weiterhin solch formidable Streiter hervorbringt. Uns braucht nicht bange sein.“

Vom Turnierplatz her brandete Jubel auf und der Wind Trug die Worte des Rondrageweihten herüber: „Siegerin des dritten Kampfes zu Fuß, mit einer überzeugenden Leistung, ist Isolde von Immingen.“

„Überzeugend… hast du das gehört, Answin?“, fragte Algerio. „Ich habe zwar gewonnen, aber die Edle von Immingen hat überzeugend gewonnen.“ Algerio lachte laut auf, verzog dann aber das Gesicht und hielt sich die schmerzende Seite. „Ich glaube ich werde wirklich alt.“
Answin erwiderte nichts.
Was sollte er auch sagen?

Beim Heiler, der zum Glück noch wenig zu tun hatte – einer der Vorteile daran, gleich den zweiten Kampf des Tages zu bestreiten – besah man sich Algerios Verletzungen und stellte sicher, dass keine weitere Gefahr bestand.
Es dauerte nicht lang, denn auch wenn die Streitaxt des jungen Edlen von Hirschenheide ein ums andere mal die Deckung Algerios durchdrungen und seinen Kürass getroffen hatte, hatte sich der junge Ritter zum Glück an den Turnierkodex gehalten und nicht mit voller Kraft durchgezogen – ein weiterer Grund, weshalb Algerio ihm innerlich Respekt zollte.
Die Wunden waren eher oberflächlich, sie würden schnell verheilen.

Die beiden verließen das Zelt des Heilers wieder und machten sich auf in Richtung der Zuschauertribüne, um den weiteren Kämpfen beiwohnen zu können.
„Euer nächster Gegner am Nachmittag wird dann also Kasimir von Kieselholm?“, fragte Answin.
„Genau.“
„Er hat heute früh den eigentlich favorisierten Baron von Keilholtz besiegt“, stellte Answin fest, um dann euphorisch zu ergänzen: „Ohne einen einzigen Gegentreffer!“
„Du meinst, auch er hat überzeugend gewonnen?“, fragte Algerio grinsend, doch Answin schien den Witz nicht gleich als solchen zu erkennen. Er blieb abrupt stehen und fasste seinen Ritter ernst ins Auge.
„Herr, Ihr wart siegreich und seid eine Runde weiter, nur darauf kommt es doch an. Ob ein drittklassiger Geweihter der Rondra in einem Kaff irgendwo im nirgendwo Greifenfurts diesen Sieg für überzeugend hält, ...“
Algerios lautes Gelächter unterbrach den Redeschwall des Pagen.
„Genug, Answin“, lachte der Almadaner, „Spaß! Ich mach doch nur Spaß!“ Er legte seinem Pagen die Hand auf die Schulter und fuhr grinsend fort: „Wenn es stimmt, was ich gehört habe, dann ist der Baron vor zwei Tagen zum sechsten mal Vater geworden. Er hat jetzt bestimmt wichtigeres zu tun, als sich auf einen Zweikampf im Turnier vorzubereiten. Und ausgeruht wird er auch nicht sein.“
Answin schaute verdutzt. „Achja“, sagte er dann. Und ließ es dabei bewenden.

„Der nächste Kampf“, erklang die Ankündigung des Turniermarschalls, als Algerio und Answin einen Platz auf der Tribüne gefunden hatten, „findet statt zwischen dem Edlen Antharax, Sohn des Angrox und seiner Hochgeboren Andîlgarn von Gugelforst.“
Applaus brandete auf, für beide Kombattanten. Dabei fiel auf, dass der junge Zwerg besonders viel Zuspruch von den Rängen erhielt - das nur schwer zu verkennende, anfeuernde Grölen der Angroschim Kressenburgs.

Algerio hielt inne. Was wäre, wenn…?

„Answin, tu mir einen Gefallen“, wandte er sich an seinen Pagen. „Lauf so schnell dich deine Beine tragen zu den Wagen und bring mit das kleine Fass von unserem Ferdoker Starkbier. Nicht das große, aus dem wir den Ausschank machen und zapfen, sondern das kleine, das wir nutzen um die Leute auf den Geschmack zu bringen.“
Answin schaute verdutzt.
„Wollt Ihr Euch betrinken, Herr?“, fragte er. „Ihr habt am Nachmittag bereits den nächsten Kampf, und ich glaube nicht, dass Ihr mit benebelten Sinnen jemals einen überzeugenden Sieg erringen werdet...“, wobei er den Tonfall des Turniermarschalls nachäffte.
Algerio aber hörte seinen Pagen schon nicht mehr. Er war bereits auf dem Weg und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
„Was tust du hier eigentlich, Algerio...“, murmelte er zu sich selbst, als ihm nun doch die ersten Zweifel an seinem Vorhaben kamen, „was du da machst ist Selbstmord… Selbstmord! Andererseits… wer nicht wagt...“

Unbeirrt von seinen eigenen Zweifeln, aber dennoch hin- und hergerissen, näherte er sich der weithin hörbaren Gruppe der Zwerge. Antharax, der Sohn des Angrox, hatte soeben den Turnierplatz betreten, wie Algerio aus dem Augenwinkel bemerkte.
Viel Zeit blieb ihm also nicht, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Er beschleunigte seine Schritte.
Ein paar der Menschen, an denen er sich vorbeischob, blickten ihm sichtlich irritiert nach. Man war es nicht gewohnt, dass sich so kurz vorm Beginn des Kampfes noch Zuschauer durch die Reihen bewegten. Einige aus dem Publikum erkannten ihn jedoch und wichen von sich aus zur Seite, um ihn passieren zu lassen.
Nach und nach bildete sich tatsächlich eine kleine Gasse.
Dann, unverhofft, klopfte ihm jemand von der Seite auf die Schulter. „Gut gefochten!“, klang es von irgendwoher, und von woanders: „Ausgezeichneter Kampf, Herr von Culming!“
Algerio war erkannt worden. Er lächelte, winkte dankend und schob sich weiter voran.
„Da, das ist doch der Almadaner!“, hörte er eine verzückte Frauenstimme auf der Seite. Und dann, etwas leiser, eine zweite: „Von nahem sieht der aber gar nicht mehr so gut aus.“
„Nein, das war der andere“, erwiderte eine dritte Frauenstimme, ebenfalls gedämpft, sodass sie im allgemeinen Lärm kaum zu verstehen war. „Ich hab euch doch gesagt, der da ist der mit der Augenklappe. Der, der eher gewöhnlich aussieht.“
„Gewöhnlich?“, fragte die erste Stimme. „Wohl eher verwegen!“ Sie kicherten.
Algerio musste grinsen.

Just in dem Moment, in dem sich die beiden Streiter in der Mitte des Turnierplatzes trafen und in Kampfstellung begaben, was die Zwerge Kressenbergs in euphorischen Jubel versetzte, erreichte Algerio die kleine aber lautstarke Gruppe zuschauender Angroschim. Er richtete sich auf, damit seine Worte weithin hörbar waren, und so laut er es konnte, um das Gegröle zu übertönen, rief er:
„Werte Angroschim Kressenbergs, wie steht es mit eurer Spiellaune?“

Keine Reaktion.
Waren seine Worte im Jubel untergegangen? Er hörte, wie die Streiter aufeinandertrafen, wie Stahl auf Stahl traf und die Menge tobte.
„Ich wette ein Fässchen besten Ferdoker Schwarzbiers, dass der Altbaron, Andîlgarn von Gugelforst, diesen Kampf gewinnt!“, versuchte er es nocheinmal.

Die Zwerge waren schlagartig still.
Sie wandten den Blick vom Turnierplatz, starrten Algerio an. In ihren Augen glaubte er Kränkung zu sehen, Verachtung, viel Zorn und, ja, teilweise sogar blanken Hass. Wie konnte es dieser Mensch, dieser aufgeblasene Südländer wagen, gegen einen von ihnen zu wetten? Einen Angroschim so zu beleidigen?
„Keine gute Idee“, schoss es Algerio unvermittelt durch den Kopf. „Das war wirklich keine gute Idee!“ In der Hoffnung die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen, hob er beschwichtigend die gerade so fachmännisch verbundenen Arme und machte vorsichtig einen Schritt zurück, wobei er rücklings mit einem der Zuschauer hinter ihm zusammenstieß. „Passt doch auf!“, zischte es, doch Algerio hatte ganz andere Sorgen.
Er rechnete damit, jeden Augenblick die Tracht Prügel seines Lebens zu bekommen.

Doch, Phex sei es gedankt, es kam anders.
Das umstehende Publikum brach in Jubel aus, und nur einen Wimpenschlag später fielen die eben noch wütenden Zwerge einander glücklich in die Arme, tanzten, johlten und stimmten ein immer lauter werdendes: „Athax, Athax, Athax!“ an.
Es dauerte einen Moment, ehe Algerio begriff, was soeben geschehen war. Der Kampf hatte nicht lange gedauert.
„Ihro Hochgeboren von Gugelforst streckt die Waffe“, verkündete der Turniermarschall, „Sieger ist Antharax, Sohn des Angrox!“

Algerio atmete erleichtert aus.
Manchmal hatte er wahrlich mehr Glück als Verstand.

„Nun, wo ist denn das Fässchen Ferdoker?“, fragte der nächst stehende Zwerg, nachdem er freudetrunken in Algerio getaumelt war und sich erinnert hatte, was dieser Mensch gerade noch von sich gegeben hatte. Dabei strahlten er und seine Kumpane über beide Ohren, ganz so, als hätten sie selbst gerade auf dem Platz gestanden und den Altbaron bezwungen.
„Wettschulden sind Ehrenschulden!“, kam es von rechts und linksseitig fügte ein Zwerg leicht streitsüchtig hinzu: „Er wird doch wohl nicht kneifen?!“
„Keineswegs, keineswegs!“, beeilte sich Algerio zu versichern. Er blickte sich um. „Seht ihr dort drüben, der junge Mann, der sich durch die Menge bahnt?“ Er deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. „Das ist mein Page, Answin. Und wenn mich mein Auge nicht trügt, trägt er das Fässchen bereits bei sich.“
Gemeinsam machten er sich mit der kleinen Schar Zwerge auf den Weg, ging Answin entgegen.

„Dummer Mensch, gegen einen Zwerg zu wetten“, hörte Algerio die Zwerge freudig brabbeln, als sie auf den Sieger anstießen. „Das wird den Langen eine Lehre sein!“
„Auf den Sieger!“, rief einer.
„Auf Antharax, Sohn des Angrox!“, und die Zwerge hüpften freudig auf und ab, verschütteten die Hälfte des guten Starkbiers beim Schlabbern und stimmten wieder „Athax, Athax“ Rufe an.

„Wenn ihr mögt“, sprach Algerio schließlich einen der Zwerge an, als dieser enttäuscht den letzten Tropfen aus dem Fässchen schüttelte, „wo dieses Fässchen herkommt, gibt es noch viel mehr. Die Wagen des Handelshauses Stein auf dem Marktplatz sind gut bestückt. Mein Page kann Euch den Weg zeigen.“
Dann nahm er seinen Pagen beiseite: „Sorg dafür, dass sie den Weg finden, Answin“, und leise, sodass nur de junge Garether es hören konnte, fügte er hinzu: „Und achte darauf, dass sie den weiteren Ausschank bezahlen.“

Ein zufriedenes Grinsen huschte über sein Gesicht, als sich Algerio wieder dem Turniergeschehen zuwandte.
Die Wege der Götter waren in der Tat unergründlich.
„Tja, so ist das im Leben“, sagte er zu sich selbst.
„Mal gewinnt man, und mal muss man aus der Niederlage seinen Profit schlagen...“

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