Ise Die Tsa Geweihte

Ise

Als sich die kleine Gruppe dem Lager näherte, konnten sie auch die restlichen Bewohner der Lichtung entdecken. Ein in grellen, bunten Farben gekleideter Gaukler jonglierte mit fünf klingelnden Bällen, wobei die Glöckchen, die er an sein Wams genäht hatte, leise schellten. Einige Zuschauer lagen um ihn herum auf der bunten Blumenwiese und beobachteten seine flinken Bewegungen. Am anderen Ende des Platzes hatte sich eine Gruppe der Jüngeren zusammengetan und diskutierte mit enthusiastischen Mienen und ausladenden Gesten über irgendetwas, das sie nicht verstehen konnten. Alles in allem mochten es etwa zwanzig Frauen, Männer und Kinder sein, die sich vor ihnen tummelten.

Kaum dass Baldos und Borax zu der jungen Gestütsleiterin und dem Diener der Schönen aufgeschlossen hatten, ertönte ein lautes Poltern am Rand des Lagers. Als ihre Blicke dem Geräusch folgten, entdeckten sie einen Haufen aus Armen und Beinen, der giggelnd und kichernd auf dem Boden lag und aus dem der Kopf des Knappen Lares herausschaute. Eine Frau in einer bunt schillernden Robe trat aus dem halb eingestürzten Pavillion heraus und sprach leise in der fremden Sprache mit den Kindern, die sich daraufhin blitzschnell auf ihre Beine zogen und in stürmischem Gerangel zurückzogen. Dann lächelte sie auf Lares herab und streckte ihm ihre Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen: „Willkommen.“

Noch vollständig überrumpelt von der unfassbaren Geschwindigkeit und dem turbulenten Reigen ergriff er die Hand der Frau. Er sah nach oben und musste in diesem Moment einen plötzlich überwältigenden Würgereiz herunterkämpfen. Schon immer hatte Lares solche Reigen gehasst. Sein sonst so robuster Magen schien darauf schrecklich schlecht zu reagieren. Mit Müh und Not unterdrückte er einen Schwall Galle, während er sich mit Hilfe der Frau hochkämpfte. Keuchend brachte er nur ein „Hallo“ heraus. Erst, als er sich einen Moment sammeln konnte, hatte er die Gelegenheit, sich die Gewänder der Frau näher zu besehen. Die Umgebung, die Kinder, diese Sprache. Das deutete alles auf: „Entschuldigt meine Ungezogenheit. Lares von Mersingen ist mein Name, Euer Gnaden. Vielen Dank für eure – überraschende und doch warmherzige Aufnahme. Meine Gefährten und ich würden uns sehr freuen, zu erfahren, wo wir uns hier befinden und wer diese vielen glücklichen Kinder sind. Eurem Eindruck nach zu urteilen, scheint Ihr hier die gute Seele zu sein, die diesem Ort gelenkte Bahnen in freier Entfaltung verleiht, habe ich nicht Recht?“ (Lares)

Schweigend trat nun auch Borax an die Seite des jungen Mersingers. Er war wie ausgewechselt. War der Vogt noch beim Betreten des Waldes von Abscheu gegenüber der offensichtlichen Magie abgeschreckt, schien nun seine Neugierde gegenüber der scheinbar jedem Zwerg innewohnende Abneigung vor Madas Gaben zu überwiegen. (Borax)

Als das tänzelnde Knäuel zum Halten kam und sie den seltsamen Knappen darin, und dessen Gesichtsausdruck, sah, konnte Verema einfach nur Sympathie für ihn empfinden, vielleicht lag es auch an diesem seltsamen Ort. Sie lachte, sie lachte ihn nicht aus, aber ermutigend an und strich sich dabei über den Bauch. (Verema)

<a name="_gjdgxs"></a>Baldos war klar verwirrt, die Umgebung und deren Wirkung übten ihren Einfluss auf sie alle aus. Nur schwer konnte er sich auf seine Pflicht konzentrieren, sodass er seine gesamte Energie darauf ausrichtete wachsam die Umgebung zu betrachten. Sobald er auch nur daran dachte ein paar Worte zu verlieren, merkte er wie ihm seine Aufmerksamkeit entglitt. (Baldos)

<a name="_vgibre9ns38p"></a>Anders verhielt es sich bei dem Geweihten der Schönen Göttin. Harmonie und Ekstase entsprachen dem Wesen seiner Göttin und so war ihm das hier vorherrschende Gefühl – wenn auch nicht in dieser Ausprägung – dennoch vertraut. Wo sie waren, war ihm nach der Auskunft des Jungen bereits ein Stück weit bekannt, dennoch musste er sich erneut über die forsche und unbedachte Art des Knappen wundern. Ebenso wunderte er sich darüber wie Lares darauf kam, dass es sich bei der Frau um eine Dienerin der Götter handelte – denn so hatte er sie angeredet. Für ihn war an diesem Ort nur weniges tatsächlich sicher. Diese Leute sprachen irgendein unverständliches Kauderwelsch, dieser Ort wurde durch Kräfte Alverans gesegnet und irgendwo hier musste die jüngste Tochter des niedergeschossenen Barons zu finden sein. Alles andere jedoch hinterfragte er, aller Harmonie zu trotz – denn waren sie nicht hierher gelangt als sie den Heißsporn von Baronstochter verfolgten, die wiederum den arglistigen Angreifern ihres hochgeborenen Herrn Vaters nachgestellt war? (Tassilo]

Doch noch ehe die anderen sich weiter Gedanken zu ihr oder diesem Ort machen konnten, klang glockenhell, junges, heiteres Lachen aus ihrem Mund. Das Lachen und der neugierige Schalk, der aus ihren dunklen Augen blitzte, mochten weder recht zu den schlohweißen Strähnen passen, die ihr graues Haar durchzogen, noch zu den vielen Falten, welche ihre Augen umsäumten. „Dieser Ort, mein Junge, braucht niemanden, der ihn in Bahnen drückt. Denn die Bahn IST der Ort. --- Doch leider hast du dennoch ein wenig Recht. Denn in diesem Sommer bin ich es wohl, die unserer kleinen Gruppe vorstehen muss, wenn es nötig ist. Wie in diesem Moment.“ Während sie sprach, sah sie jeden der Besucher nacheinander an. Jedem schenkte sie ein eigenes, freundliches Lächeln, jedem einen eigenen kurzen Blick auf eine betagte, aber liebenswerte Seele: „Ich bin Ise. Seid uns allen willkommen im alten Tempel der jungen Göttin.“ Ihre Hände schlugen ein Rad, wobei sie in die Umgebung deutete.

Mit einem freudigen Lächeln vernahm Tassilo, dass dieser Ort – bereits seit vielen Götterläufen – dem Segen der jungen Göttin unterlag. Angesicht der Aura, die das Tal ausstrahlte, mit der es sie alle in seinen Bann schlug, hatte er daran jedoch auch nicht wirklich zu zweifeln gewagt. Freundlich und warmherzig klang seine Stimme als er sich im Namen seiner Herrin, der Schönen Göttin, für die Gastfreundschaft dieser bunten Schar bedankte. Mit Sorge jedoch fuhr er anschließend fort: „Doch so leid es mir tut, weil es die Harmonie dieses Ortes – dem Glauben an die Junge und auch die Schöne Göttin – vollkommen zuwider, fanden wir hierher weil wir jemandem nachstellten der Schönheit, Leben und Freude nicht zu ehren weiß und stattdessen danach trachtete anderen das Geschenk der Tsa gewaltsam zu nehmen.“ [Tassilo]

Der Geweihte machte seine Sache sehr gut, fand Verema, und sie stand relativ dicht bei Tassilo, hielt sich aber mit einem Kommentar zurück. Zu durcheinander war sie und zu wenig wusste sie. Sie wollte nicht durch unbedachtes Geplapper alles versauen. (Verema)

Lares erwiderte den Gruß und wartete, bis Tassilo geendet hatte. Dem gab es nichts hinzuzufügen. Gespannt harrte er auf die Antwort der Frau, für deren Rolle er sich brennend interessierte. Und nicht nur dafür: Wer hatte diesen Ort erbaut? Wozu diente er? Es schien, als würden die Leute – Kinder? - hier Zuflucht suchen, doch wovor? So viele Fragen, die ihm auf den Lippen brannten, doch die Wichtigste, die hatte der Geweihte bereits gestellt. Und dabei war es doch die Gefährlichste. Was wäre, wenn die Täter hier ebenfalls Unterschlupf gefunden und sich unter die friedvollen Menschen gemischt hätten? Dementgegen: Würde dies der Zauber des Ortes gestatten? (Lares)

Ise runzelte die Stirn und schaute Tassilo ernst an. „Ihr sprecht von Mord und Totschlag? Ich kenne jeden hier und kann mir bei niemandem vorstellen, dass er der Göttin dieses Ortes derart frevelt. Einzig ihr seid mir unbekannt, ihr, ein kleines Mädchen, das vor euch hier hergekommen ist, und diese drei dort, die auf uns zu laufen. Also sprecht, wen beschuldigt ihr?“

*

Gemächlichen Schrittes und ohne viel Aufsehens trat nun auch der Magus auf die große Lichtung zu. Noch im Buschwerk stehend, verschaffte er sich einen Überblick über die sich ihm bietende Szenerie und vor allem das Bauwerk. Erst danach schritt er weiter und hielt dabei direkt auf den Tempel zu. Für alles Weitere hatte er nur eine erhobene Augenbraue übrig. (Rhys)

Ihm auf den Fuß folgten Prianna und Borix. Erstere stolperte nach wenigen Schritten über einen Stiefel, der verborgen im Gras lag, und riss im unerwarteten Fall den Magus mit sich ins weiche, duftende Gras, während der Zwerg, der nicht mehr bremsen konnte, ebenfalls niedergeworfen wurde und seinerseits auf der Baroness landete.

Hatte der Magus in dem Moment da er auf Prianna landete noch ein aus der Situation geboren- amüsiertes Gesicht gezeigt, so machte er ziemlich dicke Backen, als dann der Zwerg wiederum auf ihr landete. Jedoch schaffte er gegen seine übliche Gewohnheit tatsächlich sich einen derben Fluch zu verkneifen. Seine finstere Miene indes sprach Bände. Freude sah wahrlich anders aus. (Rhys)

Genau in diesem Moment, vernahmen alle drei ein Zischen und Pusten und ein zarter Windhauch umspielte ihre Körper. Der Magus spürte, wie sein Körper über den der Baroness strich, während er seine ursprüngliche Körpergröße wiedererlangte. Der Zwerg kugelte hingegen von den beiden Menschen herunter, denn durch das Ende des unangenehmen Zaubers hatte sich sein Schwerpunkt nachteilig verlagert.

Prianna erhob sich rasch und streckte Rhys ihre Hand hin. „Dort sind die anderen.“ Sie deutete auf das rot schimmernde Zelt am anderen Ende der Wiese.

Irritiert ob der Situation blickte der Magus kurz von dem Zwergen zu Prianna und war dann sichtlich froh, dass diese die Initiative ergriff und ihm das Handeln abnahm. Irgendwie fühlte er sich an diesem Ort nicht nur deplatziert, er wirkte wahrscheinlich auch ein wenig so auf die anderen.

Kurz entschlossen ergriff Rhys die ihre und sie gingen gemeinsam Hand in Hand weiter. (Rhys)

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020