Ingerimm Garten

Ingerimmkreis

Der mit dunklen Steinen gepflasterte Terrassenkreis schimmerte schwarz und wurde seitlich von dem hohen Felsen begrenzt. Ihn umgab sowohl entlang der Schlucht als auch zum Bachufer hin eine halbhohe Mauer aus dunklem Stein. Der Wiese zugewandt hatte man allerdings Beete mit tiefrot blühenden Blumen angelegt. Genau in der Mitte des dunklen Kreises stand eine große Feuerschale, in der bereits die Glut funkelte, auf die später am Abend Holzscheite gelegt werden sollten, so dass rasch hohe Flammen in den Himmel steigen würden. Um die wärmende Schale herum standen elf robuste aus Tannenholz gezimmerte Lehnstühle.

Borax, Murla und Borix unterhalten sich unter Zwergen über gemeinsame Bekannte. Mikael, der Geweihte der Ifirn, und Berylla stossen dazu. Mikael wird allerdings bald durch einen Wink seiner Göttin abgelenkt.

Borindarax durchmaß gemessenen Schrittes die einzelnen Teile des Zwölfgöttergartens und genoss sichtlich die dargebotene Schönheit in all ihren Formen, Farben und Gerüchen.

Einen Trinkbecher aus Horn haltend, den er sich im dem dem Jagdgott gewidmeten Bereich des Gartens wiederholt mit scharfen Schnaps hatte füllen lassen, setzte er sich schließlich auf die Lehnstühle im Ingerimmkreis und blickte versonnen in die Glut der Feuerschale.

Der Vogt von Nilsitz trug einen moosgrünen Wappenrock mit dem goldenen, steigenden Steinbock auf der Brust über einem kurzärmligen Kettenhemd, das seiner Meinung nach niemals fehlen durfte. Dazu kamen Beinlinge aus grobem aber edlem, hellem Wildleder und dunkel-braune Stiefel. Am sicher handbreiten Gürtel aus übereinanderlappenden Metallplatten hing ein reich mit zwergischer Ornamentik verzierter, breiter Dolch, der traditionelle Drachenzahn jedes Angroschim. Um den Hals trug Borax, wie der noch junge Zwerg zumeist nur von seinen Freunden gerufen wurde, die Amtskette des gräflichen Vogtes von Nilsitz. Gebildet wurde diese aus bereits angelaufen en, achteckigen Eisenplättchen, welche durch zwei Ketten gehalten wurden. Auf jedem der fingerdicken Teile, war eine andere alt- zwergische Angram- Rune kunstvoll eingearbeitet.

Die lange, beinerne Pfeife im Mundwinkel haltend nahm der Angroschim gelassen das Treiben um sich wahr, genoss den würzigen Tabak und schien dabei recht schnell in Gedanken verloren oder vom Anblick der Glut gefangen genommen.

„Hier muss es sein!“ kam eine tiefe Frauenstimme hinter den Felsen hervor. Dann trat eine Angroscha in den Kreis. Sie trug einen dunkelgrünen langen Lodenrock, darüber eine langärmlige weiße Bluse und darüber wiederum ein besticktes schwarzes Mieder. An dem Gürtel hing auf der einen Seite eine Ledertasche, auf der anderen Seite der obligatorische Drachenzahn – natürlich aus gutem Zwergenstahl und nicht aus dem Reißzahn eines Drachen. Die hellgrauen Haare waren zu einem dicken Zopf geflochten, der bis zur Hüfte hing.

Sie blickte sich nach hinten um und nahm daher den am Feuer sitzenden Zwerg nicht wahr.

Wenige Augenblicke später trat ein weiterer Zwerg in den Kreis. Er war ähnlich gekleidet wie die Zwergin: dunkelgrüne Hose aus Lodenstoff, die in schwarzen Lederstiefeln steckte, darüber ein weißes langärmliges Hemd und ein schwarzes ebenfalls besticktes Wams. Auch an seinem Gürtel hing ein Drachenzahn und ein schwerer lederner Beutel. Die kupferroten Haare und der lange geflochtene Bart wiesen die ersten grauen Haare auf, aber der Gang des Zwergs war jung und durchtrainiert.

Er blickte in den Kreis und entdeckte den Zwerg am Feuer – ohne ihn jedoch gleich zu erkennen, da er mit dem Rücken zu ihnen saß.

„Angrosch zum Gruße!“ rief er in die Richtung des Sitzenden.

Borax drehte sich so aus seinen Gedanken gerissen auf seinem Stuhl zu den Neuankömmlingen an Ingerimms Feuerschale um. Er freute sich, dass ganz offenbar noch andere Kinder des himmlischen Schmieds gekommen waren, denn die tiefe, wohlklingende Stimme konnte zweifelsohne nur einem Angrosch o gehören. Gleichzeitig aber war er ein wenig verwirrt, denn er kannte diese Tonlage, zweifelsohne.

Einen Moment lang benötigte er, um den kräftigen Zwergen samt weiblicher Begleitung, ganz offenbar seine Gattin, einzuordnen. Dann jedoch sprang er freudig erregt auf und breitete die Arme aus.

“Borix, welch Überraschung!”

„Oh!“ rief der Zwerg erstaunt, ging auf den Vogt zu und drückte seinen Lehnsherr an die breite Brust. „Wenn das nicht unser Herr Vogt ist! Schau an, Murla, hättest Du das erwartet?“

„Aber natürlich“, antwortete die Angesprochene. „Schließlich vertritt er das Väterchen. Und Du weißt doch, wer hier alles zu Besuch ist.

Aber verzeiht, Herr Borax, wir sind unhöflich.“ Sie knickste höflich, wenn auch mit einem leicht schelmischen Grinsen auf den Lippen.

„Das ist also deine bezaubernde Frau.“ Der Vogt nickte wohlwollend in Richtung Murlas. „Es freut mich auch dich nun endlich kennenzulernen. Ich hoffe sehr, ihr habt euch in Senalosch inzwischen eingelebt.“

„Ja, es war doch recht einfach, schließlich gibt es in Senalosch – sowohl über als auch unter dem Berg genügend Angrschax, die meine Hilfe benötigen.“ antwortete Murla. Dann überlegte sie kurz. „Ihr wis…, Du weißt doch, dass ich Hebamme bin?“

Borax nickte. „Ja, euer Mann hat mir davon berichtet als er mich letzten Winter besuchte. Gut, da s s ihr so fleißig seid. Senalosch erlebt einen begrüßenswerten Zuwachs an Geburten in den letzten Götternamen. Ich hoffe sehr, das s dieser Trend anhält.“ Er lachte herzhaft und strich sich über den Bart.

Derweil trat Borix wieder einen Schritt zurück und fragt e Borax – eher rhetorisch: „Es ist doch recht, wenn wir hier bleiben und ein wenig ins Feuer schauen?“

Ohne groß auf die Antwort zu warten, ging sein Griff an die Gürteltasche und er zückte den Tabakbeutel und die Pfeife und begann noch im Stehen sein Pfeifchen zu stopfen. Dann reichte er den Beutel an seine Frau weiter, die ebenfalls aus ihre Tasche eine Pfeife holte und diese zu stopfen begann.

Als die beiden damit fertig waren, verschwand der Beutel wieder in der Tasche und die Pfeifen wurden mit einem Span entzündet.

Auch Borax nahm seinerseits wieder Platz und machte es sich bequem.

„Welch eine amüsante Fügung. So finden wir dann also abseits der Heimat die Zeit, dass du mir berichtest, wie es euch ergeht. Sag, was machen deine Söhne und natürlich nicht zu vergessen deine Tochter? Ich habe nach der freudigen Heimkehr Baschtaschs leider bisher keine Zeit gefunden, euch zu besuchen.“

„Nun“, begann der Zwerg zu erzählen, während er an seiner Pfeife zog. „es geht allen gut. Ja, Baschtaschs Geschichte diesen Winter war schon wunderlich, aber das hat er dir ja alles berichtet und wie er sagte in einem eigenen Buch niedergeschrieben.

Und Borix, der Jüngere, ist jetzt auch zum Hauptmann ernannt und tritt in meine Fußstapfen.“

„Möge ihn Angrosch auf das gleiche Glück im Kampf zu teil werden lassen wie dir!“ unterbrach ihn Murla.

„Ja“, nickte Borix, „aber noch besser wäre es, wenn es in seiner Laufbahn gar nicht so viele Kriege geben würde.“

Borax winkte unterdessen einem der umhereilenden Bediensteten zu und sorgte dafür, dass sie alle etwas zu trinken hatten.

Wieder ein langer Zug aus der Pfeife, dann redete der Zwerg weiter. „Boram wurde ja mit Deiner Fürsprache in die Gilde der Waffenschmiede aufgenommen und zusammen mit Bengurr konnte er schon manches gute Geschäft abschließen.“

Als Borix von den Söhnen erzählt hatte, begann nun Murla von ihrer Jüngsten zu erzählen. „Murixe haben wir auch schon lange nicht mehr gesehen, denn auf Grund deines Schreibens ist sie gleich nach dem Winter nach Xorlosch aufgebrochen um dort zu lernen.

Aber sie schre i bt mindestens einmal die Woche einen Brief.“

„Da erklärt sie uns immer, was wir wie zu machen haben. Besonders Boram und Bengurr haben unter ihren Zahlenorakeln zu leiden.“ Borix lachte amüsiert in sich hinein.

Nachdenklich nickte der Vogt zwischenzeitlich bei der Erwähnung des Krieges. Borax wurde unweigerlich daran erinnerte, wie viele Tote ihr Volk und die Nordmarken im Ganzen zu beklagen gehabt hatten.

„Es freut mich, dass ich eurer Familie behilflich sein konnte. Schön, da s s ihr in Senalosch eine neue Heimat gefunden habt.“

Er erhob sein Glas, da Borix und Murla zwischenzeitlich auch eines erhalten hatten und prostete ihnen zu. „Mögen Angrosch und Simia uns in eine goldene, friedvolle Zukunft führen. Und mögen die Kinder des Schmieds bald wieder so zahlreich sein, wie sie einst waren vor der Rückkehr des Dämonenmeisters, um Isnatosch und mit ihr seine Hauptstadt zu einer neuen Blüte zu führen.“

Nun hob auch Murla ihr Glas und prostete zurück. „Auf Väterchen Angrosch, Schwester Tsa und ihre Kinder!“

„Auf das Ehrwürdige Väterchen Fargol und die anderen Rogmarogim!“ fügte Borix hinzu. Nachdem sie ausgetrunken hatten und wieder bei dem Pfeifchen saßen, frug er den Vogt: „Sag, warst Du schon öfter auf diesem Konzert? Für uns ist es das erste Mal …

Und ich weiß nicht so recht, was uns hier erwartet.“

“Um ehrlich zu sein, bin ich ebenfalls das erste Mal hier in Obena. Zudem muss ich euch gestehen, dass ich das A ngenehme mit dem N otwendigen verbinde. Nicht allein der Kunst wegen habe ich Senalosch verlassen. Vorrangig bin ich hier, um die Adelskreise unseres schönen Herzogtums näher kennenzulernen. Eine Veranstaltung wie diese ist gleichzeitig auch immer politische Bühne.”

„Tja, wenn das so ist, dann lassen wir uns doch alle am besten von dem Fortgang des Abends überraschen“, meinte Borix und zog wieder lange an seiner Pfeife.

Nach einer kurzen Weile schnitt Borax ein anderes Thema an, welchem er in Nilsitz zwar sehr nahe war, welches aber nicht in seine Zuständigkeit f iel.

„Sagt Borix! In Senalosch kann man der Vielzahl der neuen Rekruten von Ingerimms Hammer ja nicht aus dem Weg gehen, sie marschieren mit knallenden Stiefeln durch die Straßen und halten ihre Übungen geräuschvoll vor den Toren der Stadt ab. Bisher hatte ich jedoch immer das Gefühl, da s s die in Senalosch stationierten Truppen auch in der Stadt bleiben würden. Am Tag, da ich meine Reise hierher begann, brach allerdings ein Trupp Leichtg erüsteter in die Berge auf. Es war sicher ein ganzes Banner. Wisst ihr etwas davon? Zogen sie in ein Manöver?“

„Nun, ich hatte es bei unserem Gespräch im Winter vielleicht nicht erwähnt“, nachdenklich zog Borix an der Pfeife, „aber trotz den 60 Jahren Dienst wollte mich Oberst Dwarosch – ich nehme an Ihr kennt ihn? – nicht einfach so aus dem Dienst entlassen.

Er hatte mir das Haus in Senalosch und die Abfindung nur unter der Bedingung überlassen, dass ich mich dafür ein wenig um die Rekruten kümmern sollte.“

Kümmern?!“ fuhr Murla mit einem gespielt verzweifelten Ausdruck im Gesicht dazwischen. „Na, wenn das nur kümmern ist, dann möchte ich nicht wissen, wie bei Dir drillen aussieht.

Er hat die Jungs im Winter draußen übernachten lassen und im Frühjahr durften sie dann durch Bäche waten und schwimmen. Als wenn es Enten wären.“

„Ach, Murla, das tut doch jetzt alles nicht zur Sache“, wurde sie von Ihrem Mann unterbrochen. „Aber es ist in den letzten Götterläufen sicherlich ein Banner Rekruten durch meine Hände gelaufen.

Und einige davon gehören auch zu dem Banner, das in die Berge aufgebrochen ist.“

Er nickte bedächtig, nicht ganz sicher, ob er dem Vogt von den Projekten Dwaroschs erzählen sollte.

Sichtlich amüsiert über den Ton zwischen Murla und Borix schmunzelte der Vogt zwischenzeitlich vergnügt. Ja, so hörten sich nur V erheiratete an.

“Kennen?” Kurz lachte Borax. “Oh ja, sehr gut sogar. Dwarosch ist wie ich Mitglied der Faxarasch- Sippe aus der auch unser Rogmarog stammt. Er ist sein bisheriges Leben aber immer so etwas wie ein Außenseiter gewesen. Seine Brüder haben es ihm aber auch nicht leichtgemacht, denke ich, und mit seinem Vater war er lange zerstritten. Vielleicht hat er Isnatosch deswegen so früh verlassen und ist Söldner geworden. Naja, jetzt ist er nach über einem halben Jahrhundert ja wieder da, wo er hingehört.

Er und ich reden normalerweise viel miteinander. Dwarosch ist für mich nicht nur ein Verwandter, ich nenne ihn einen engen Freund. Doch seitdem ich mein Amt bekleide und er seines, nun ja, wir sehen uns leider nur noch selten. Derzeit residiert er auf Burg Nilsitz, um Teile des schweren Fußvolk zu drillen, wie ihr sicher wisst.”

„Oh ja, schließlich teilt er mir die Soldaten zu“, antwortete Borix. „Und sein Plan ist es, die Pässe im Eisenwald von dem neuen Banner genau erkunden zu lassen.

Für alles Weitere solltet Ihr i h n dann bei Eurem nächsten Gespräch fragen.“

„Nun hört doch auf nur über Soldaten und die Arbeit zu reden“, meldete sich nun Murla wieder zu Wort. „Lasst uns den Abend und das Konzert genießen.“

Der Vogt lachte erneut, diesmal jedoch bedeutend länger und auch herzhafter. „Du erinnerst mich an meine Mutter, wenn sie meinen Vater und mich am Essenstisch vom Diskutieren abhalten wollte Murla. Es wurde häufig etwas zu hitzig für ihren Geschmack, da mein Erzeuger und ich oft eben nicht einer Meinung waren.

Aber du hast recht. Ich werde Dwarosch einfach auf Burg Nilsitz besuchen - auf dem Rückweg nach Senalosch. Genug jetzt von Soldaten und Manövern.

Sag Murla, auf was freust du dich bei dieser Veranstaltung am meisten?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte die Zwergin und errötete leicht. „Ich war doch noch nie bei solch einer Veranstaltung. Es soll halt einfach nur schön sein, so habe ich gehört, aber ich weiß es halt nicht.“

Borix nickte bestätigend, auch er hat keine Ahnung, was sie erwarten. Dann widmete er sich wieder seiner Pfeife und dem Getränk. Murla tat es ihm gleich.

Ebenfalls betrat der Geweihte der Ifirn mit seiner reizenden Begleitung den Kreis um die Feuerschale. Dieser hatte er bei dem kurzen Spaziergang hier her von Bruder Branjan erzählt. Ein wandernder Praiosgeweihter, der ihn oft in den Koschbergen bei seinem Schrein und dem Dorf, das den Schrein behütete, besucht hatte. Leider war er im letzten Winter unter seltsamen Umständen, auf die Mikail ersteinmal nicht näher einging, ums Leben gebracht worden und musste so etwas wie ein Ziehvater für den jungen Ifirngeweihten gewesen sein. Da ihn die Erzählung doch recht traurig gestimmt hatte, legte Mikail kurz vor dem Ingerimmschrein eine kurze Pause ein, um sich wieder auf das heitere Wesen seiner Herrin zu besinnen. Und tatsächlich, nach nur kurzer Zeit der inneren Einkehr hellten sich seine Züge wieder auf und das offene und ansteckend freundliche Lächeln kehrte zurück.

Mit neugieriger und staunender Freude trat dann der „Waldschrat“ samt entspannten Bogen und Jagdmesser, gekleidet in sein Schwanengewand an die Stühle heran und nickte grüßend den Angroschim zu. „Angrosch zum Gruße, werte Zwerge. Ich freue mich, Euch zu sehen und entbiete Euch den Gruß meiner sanften Herrin Ifirn. Möget Ihr immer ein wärmendes Feuer finden, wenn Ihr in der kalten Wildnis wandert.“

Die junge Hartsteigerin blickte sich neugierig, wenn auch nicht ungebührlich, in der Runde um. Ein paar weitere saßen ja bereits in diesem Garten und ließen es sich gut gehen, so dass der Blick der jungen Frau ebenso diese, wie auch die verschiedenen Steine beobachtete. „Angrosch zum Gruße“ kam es sanft aus der Kehle, während die Augen noch immer jedes Detail erfasst hatten.

“Angrosch zum Gruße euer Gnaden”, entgegnete Borax sichtlich erfreut einen weiteren Gast im Ingerimmkreis willkommen heißen zu können. Einen ungewöhnlichen Gast, das versprach ein äußerst reizvoller Abend zu werden.

„Angrosch zum Gruße!“ grüßte auch der älter e der drei anwesenden Zwerge den Geweihten und seine Begleiterin. „Da die Zeit Eurer Herrin noch fern ist, nehmen wir das Feuer im Moment als beruhigendes Element an.“

„So will er sich nur höflich für den Gruß bedanken, Euer Gnaden!“ unterbrach ihn die Zwergin. „Aber bitte, tretet doch näher und setzt euch zu uns.“

Sie nickte freundlich dem Geweihten und seiner Begleitung zu.

Als sich die beiden setzten, fragte sie: „Verzeiht mir die neugierige Frage, aber da es nicht so viele Geweihte der Herrin Ifrin gibt, kennt Ihr einen Bruder Mikail?“

Interessiert hob Borax eine Augenbraue, da er die Geschichte kannte, auf die die Frau des alten Veteranen anspielte.

“Gute Frage”, ließ er darauf nur kurz zwischen zwei genüsslichen Zügen an der Pfeife von sich vernehmen.

Ein breites Lächeln huschte über das bärtige, aber dennoch jugendliche Gesicht und die Augen funkelten: „Aber ja, das bin ich selbst! Ach, ohje, sag, habe ich dich schon kennengelernt und dein Gesicht vergessen? Das würde mir sehr leidtun. Du musst wissen, ich bin noch nicht sehr lange unter den Menschenmassen in den Niederungen, da fällt es mir schwer, Gesichter zu behalten.“

Überraschung zeigte sich in der Miene des Vogtes. Das war allerdings eine interessante Wendung. Damit hatte wohl auch Borix nicht gerechnet.

„Es fällt vielen Kurzlebigen schwer uns Angroschim auseinanderzuhalten“, antwortete Borix belustigt. „Für euch sind wir alle klein und haben einen Bart.“

„Das sagt ihr auch von uns Frauen!“ ergänzte Murla. „Aber verzeiht unsere Unhöflichkeit, Euer Gnaden, wir haben uns ja auch noch nicht vorgestellt.

Dieser alte Gnom“ – sie deutete auf Borix – „ist mein Gemahl, Borix, Sohn des Barax und ich bin Murloschtaxa, Tochter der Mokloscha. Aber nennt mich ruhig Murla, das geht euch einfacher von der Zunge.

Und dieser Herr dort“ – sie deutete auf Borax – „ist unser Herr Vogt. Herr Borindarax, der Sohn des Barbaxosch, Vogt von Nilsitz. Er war es auch, der im Winter unseren Sohn Baschtasch beauftragte an der Pilgerfahrt zum Ifirnschrein teilzunehmen. Und nach der Rückkehr hat uns Baschtasch natürlich auch von Euch erzählt.“

Borax nickte dem Geweihten lächelnd zu, als di e Zwergin ihn vorstellte.

„Unser Dank gilt euch und eurer Göttin, Mikail. Ihr habt uns vor einem noch längeren und strengeren Winter bewahrt.“

Borix stimmte nickend dem Vogt zu. Es war eine aufregende Geschichte, die aber doch ein gutes Ende gefunden hatte.

Mikail schlug die Hände zusammen, so dass ein lautes K latschen den Platz erfüllte. „Nein, ihr seid die Eltern von Baschtasch? Das ist ja eine schöne Fügung an diesem Tag.“ Und mit ausgebreiteten Armen trat er auf Borix und Murla zu, um beide herzlich zu umarmen. Dann drehte er sich zu Berylla hin. „Stell dir vor, Berylla. Das sind die Eltern des tapferen Zwerges, der dabei geholfen hat, den Mord an meinem Ziehvater im letzten Winter aufzuklären! Die Welt ist doch immer kleiner als man denkt!“

Dann w andte er sich erneut den Zwergen zu, mit vor froher N eugierde leuchtenden Augen. „Sagt, geht es Baschtasch gut? Was macht er denn jetzt, wieso hat er euch nicht hierher begleitet?

Die Köchin lauschte dem Gespräch des Geweihten der Ifirn mit den beiden Zwergen und fragte sich, ob Ifirn, die milde Göttin, ihren freundlichen Dienern nicht auch etwas mehr Respekt hätte mitgeben können. Auf der anderen Seite war es fast schon eine Wohltat, solche kindliche Neugier und Naivität zu betrachten, wenn der junge Mann sicherlich auch anders konnte. „Ja, eine wirklich glückliche Fügung, da muss ich Euch zustimmen, werter Mikail.“ Nickte sie und knickste artig vor den beiden Zwergen: „Es ist mir eine Freude, die Eltern eines Helden kennen zu lernen“.

Mikail wollte soeben etwas zu den Zwergen sagen, als ein plötzlicher Windstoß sein Gewand aufplusterte. Verwirrt blickte der Geweihte der Schwanengleichen sich um. Und staunte! Mit weit aufgerissenen Augen sah er einer einzelnen Schwanenfeder nach, die sich von seinem Umhang gelöst hatte und zügig und zielstrebig davongetragen wurde.

„<a name="_Hlk491196106"></a>Bitte entschuldigt mich, ich glaube, ich werde gebraucht,“ ließ er noch vernehmen bevor er davoneilte. Über Steine und Abhänge und kleine Flüsschen hinweg führte ihn die frech vor ihm in der Luft tanzende Feder bis hin zu einem Plateau, welches bei einem eisigkalten Wasserfall lag. Die Wassertropfen gefroren beinah in der Luft und Mikail glaubte, ein leises K lirren wie von Grimmschnee zu hören, der in den Nächten des Firunmondes, wenn der Mond voll am Sternenhimmel steht, fast zu singen beginnt. Gänsehaut überzog Mikails Haut, als er die Präsenz und Nähe des gestrengen Herrn Firun spürte.

Der Vogt schüttelte überrascht ob des plötzlichen Abganges des Geweihten den Kopf und zog noch einmal bedächtig an seiner Pfeife. Dann gab er sich aber doch einen Ruck und erhob sich, um ihm nachzueilen. Wobei letzteres aufgrund seines Stechschrittes für seine Verhältnisse durchaus richtig beschrieben sein mochte, er aber wegen seiner deutlich kürzeren Beine nicht hinterherkam und den Anschluss verlor.

Berylla selbst ging einige Schritte hinter dem Geweihten her, doch eine innere Stimme gebot ihr, dass dies nicht ihre Aufgabe war. Zumindest fasste sie es so auf, als sie aufgrund eines spitzen Steines im Schuh anhalten musste, um diesen zu entfernen. Wie bei Phex er in die Stiefel gekommen war? Die Augen glitten zu dem Zwergen, als sie schmunzelte: „Mir scheint die Götter wollen uns nicht dabeihaben.“

Borax blieb seinerseits stehen und schmunzelte. „Ob der himmlische Schmied bei der Erschaffung seiner Kinder schon bedacht hat, dass sie dank ihrer kurzen Beine nicht hinter rennenden Geweihten hinterherkommen sollen, kann ich nicht beurteilen.“ Er lachte herzhaft.

„Kann ich etwas für euch tun, werte Dame, seid ihr umgeknickt?“

„Angrosch wird sich etwas dabei gedacht haben, dass Ihr den menschlichen Geweihten nicht nachrennen müsst. Wenn es ernst wird, so werden sie stets zu denen kommen, deren Hilfe sie benötigen“ schmunzelte die Köchin und stützte sich an einem Geländer ab: „Habt vielen Dank, allein ich habe einen Stein in meinem Stiefel“. Einen Moment stand sie dort, öffnete geschickt mit einer Hand die Riemen an dem Stiefel und leerte einen kleinen, spitzen Stein aus, welcher auf dem Weg aus Kies unterging, ehe der Schuh wieder an dem schlanken Fuß saß: „Doch auf diesen Schreck gelüstet es mich nach etwas zu Trinken. Sagt, werter Herr, habt Ihr hier etwas Bier oder Wein gesehen?“

„Gut gekontert“, brachte Borax lachend hervor. „Ja, dies ergibt auch für mich durchaus einen Sinn.“ Er feixte. „Noch Sinnvoller erachte ich jedoch eure zweite Idee. Etwas zu trinken könnte ich auch noch vertragen. Bei dieser Hitze zu rennen macht einen unweigerlich durstig! Aber ich muss zu meinem Bedauern einschränken, dass ich von Wein wenig verstehe und von Menschenhand gebrautes Bier meinen Gaumen kaum zu erfreuen vermag. Jedoch kann ich euch eröffnen, dass es am Firunsstieg einen vortrefflichen Gebrannten gibt.“

Nachdem jetzt alle gegangen waren und die Becher geleert waren, meinte Borix zu Murla: „Komm, Liebste, die Menschen haben anscheinend wenig Gefallen an den Freuden Angroschs, lass uns einen anderen Platz aufsuchen.“

Sie nickte zustimmend und hakte sich bei ihrem Mann unter und gemeinsam schlenderten die beiden Zwerge weiter.

-- Main.CatrinGrunewald - 14 Dec 2018