Im Praiostempel

Im Praiostempel

Prianna schritt voran auf das Tor zu. Sprach kurz mit leiser Stimme mit den Wachen, die daraufhin die Gruppe von zwei Bewaffneten flankieren ließ, als die das Innere des Schlosshofes betrat. Dem forschen Schritt der Baroness folgend betraten sie dann aber nicht etwa auf direktem Wege das Schloss, sondern umrundeten es. An Ställen und kleinen Nutzgärten vorbei gelangten sie hinter das bunte Schloss, wo sie einen kleinen, weit weniger prunkvollen Garten betraten als den, in welchem sie das Konzert gehört hatten. Die Bepflanzung war spärlicher, und Hecken säumten kleine Pfade, die auf zwei Gebäude zuführten.

Eines war ein großzügig angelegtes Badehaus mit einem prachtvoll verzierten Rahjaschrein. Das andere ein schlichtes Gebäude, das durch einfache Eleganz überzeugte, war von einigen Beeten mit hoch zur Sonne schießenden Sonnenblumen umgeben. Und über dem Eingangstor prangte -in Gold eingelassen- das Symbol des Herre Praios.

Noch bevor sie dort angelangt waren, erschien eine hagere, hochgewachsene Gestalt im Eingang, die ihnen streng entgegenblickte.

„Tante.“ Die Baroness hielt vor der Alten an und neigte den Kopf, während die Praiosgeweihte zu sprechen begann: „Wir machten uns Sorgen.“ Strenge troff aus ihren Worten. Und Missbillligung sprach aus ihrem Blick: „Einen…. Ja…. Gaukler zu schicken, um eure Abwesenheit zu melden. Was hast du dir nur gedacht? Weißt du eigentlich…“

„….Er ist kein Gaukler.“ Yolde fuhr ermattet dazwischen. Praiosgeweihte waren ihr ein Graus. Diese regelversessenen Wichtigtuer. „Er ist ein Geweihter unserer Göttin. Der Schwester eures Herrn!“, ereiferte sie sich.

Eine Augenbraue der Praiosdienerin fuhr nach oben. Sie war es weder gewohnt, unterbrochen zu werden, noch ohne den ihr gebührenden Respekt behandelt zu werden. „Lassen wir die Maßregelung fürs Erste. Nun wandte sie sich der Gruppe zu. „Und ihr? Wollt ihr euch nicht vorstellen, bevor ihr sprecht. So wie es sich gehört? Mein Name ist Praiotrud von Keyserring. Ich bin die … eine der Hofgeweihten hier am Schloss, und ich bin es nicht gewohnt, von Grünschnäbeln unterbrochen zu werden, die noch nicht einmal den Anstand besitzen, sich zuvor ordnungsgemäß vorzustellen.“

Sie starrte Yolde mit unverhohlener Wut und Härte an. Ihr Blick schweifte zu dem älteren Mann an ihrer Seite und sie rümpfte die Nase.

Ohne auf die anderen, über ihr Stehenden zu warten, trat Maeve nach vorne und verbeugte sich leicht: „Wir kennen uns bereits von der gestrigen Vorstellung in den Gärten, Ehrwürden. Mein Name ist Maeve, ich bin Novizin im Tempels der Leidenschaft in Orbatal. Ich gab Euch eine Rose, wenn Ihr Euch erinnern mögt.“ Maeve schlug die Augen scheinbar demütig nieder. (Maeve)

Die Praioseweihte nickte, fast war es ein Lächeln, das über ihre unnachgiebigen Züge huschte. „Ich erinnere mich an euch.“

Dann drehte sie ihren missbilligenden Blick zu ihrer Nichte, die sich beeilte, alle Anwesenden noch einmal namentlich zu nennen, um ihrer Tante die Namen ins Gedächtnis zu rufen. Die Praiosdienerin nickte jedem kurz zu. Sich erinnernd. „Ihr seid aufgebrochen, Basilissa zu suchen. Ihr ward erfolgreich wie ich sehe. Doch habt ihr nicht nur sie mitgebracht.“

Wieder senkte sich ihr harter Blick auf Yolde und Quindan. Und die Baroness eilte sich die beiden vorzustellen: „Dies sind Yolde … Yolde ..“ Hilfesuchend schaute sie die ‚Jüngere‘ an.

„Einfach nur Yolde.“ Schnarrte die TSadienerin während sie ungebrochen dem Blick der Praiotin standhielt und Prianna fortfuhr: „Dies sind Yolde … und Quindan Dornschneider. Zwei Geweihte der jungen Göttin. Sie haben uns begleitet, denn Quindan.. Quindan hier...“ Die junge Frau suchte nach den richtigen Worten. Doch mochten diese ihr einfach nicht einfallen. „Quindan hat uns gegenüber eingeräumt bei den Vorkommnissen in der großen Halle gestern… der Schütze gewesen zu sein.“

Ein entsetztes Einatmen war aus Praiotruds Mund zu vernehmen und ihr Augen weiteten sich. Ihr Blick musterte den älteren Mann. Schmächtig. Schmutzig. Fast zerlumpt. Sonderlich lebenslustig schien er außerdem nicht zu sein. Einzig eine silberne Brosche in Form einer Eidechse wiesen seine Erscheinung als die eines Götterdieners der Jungen aus.

„Da es sich um einen Geweihten handelt, hielt ich es für besser, zuerst Euch aufzusuchen.“ Die Worte Priannas drangen nur gedämpft bis an die Ohren der alten Priesterin. „Sehr gut. Das war eine kluge Entscheidung. Denn es handelt sich um eine heikle Situation.“ Sie runzelte die Stirn und wandte sich dann an die jüngere Tochter des verletzen Barons. „Kind. Deinem Vater geht es wieder den Umständen entsprechend gut. Geh bitte hinein und sage ihm und deiner Mutter, dass deine Schwester und in erster Linie du selbst in Sicherheit seid. Dann schicke mir den Ritter von Eschengrund heraus. Und….. wenn du ihm begegnest auch Ihre Gnaden Rahjan Bader.“

Die Kleine wirkte enttäuscht, doch machte sie sich ohne Murren auf den Weg ins Schloss. Ein paar Mal sah sie sich noch um. Irgendwann würde man sie nicht mehr fortschicken.


<a name="_3juko5btzwxw"></a>Der Praiostempel

„Tretet ein. Und nehmt euch einen Schemel.“ Praiotrud von Keyserring durchschritt die Tür zu dem kleinen Tempel und deutete auf einige einfache Hocker, die hinter einem langen Vorhang standen. Eigentlich waren sie für die Baronessen und die Knappen des Barons gedacht, die hier im Tempel einen Teil ihrer theoretischen Ausbildung erhielten.

„Jeder von euch, sollte noch einmal erzählen, was er zu den Vorfällen zu sagen hat. Jede kleine Beobachtung kann wichtig sein, um ein gerechtes und weises Urteil verhängen zu können, das solltet ihr nicht vergessen. Sprecht frei heraus im Hause des Herrn Praios, so dass wir gemeinsam die Wahrheit ans Licht bringen mögen. Nichte bitte beginnt.“

Und Prianna begann mit einer Zusammenfassung ihrer Suche nach Lissa. Dass das Mädchen demjenigen durch die geheimen Gänge gefolgt war, der das Kunstwerk geschändet hatte. Dass sie die Spur des Mädchens bis in einen versteckten Tsatempel verfolgt hatten. Dass sie Lissa und einige Gläubige der Tsa schließlich dort aufgespürt hatten. Dass sie Nachforschungen angestellt und auch dort genächtigt hatten. Letztlich den Verdacht hatten, dass die Schändung der Kunstwerke und das Attentat nicht vom selben Täter begangen wurden. Und dass die Spur des Attentäters letztlich auf Quindan wies und dieser - nachdem sie ihn in seiner Hütte aufgesucht hatten - die Tat gestanden hatte und eingewilligt hatte, sie hierher zu begleiten.

„Danke, Prianna für diese kurze Erläuterung.“ Dann wandte sie sich an die anderen. „Meine Nichte, war sicherlich gestern nicht wenig aufgebracht. Besorgt um die verschwundene Schwester. Besorgt um den Vater, der gerade knapp einem Attentat entgangen war. Daher möchte ich Euch alle bitten, zu ergänzen, was die Baroness sagte. Um alles, was euch noch wichtig erscheinen mag. So dass wir ein Abbild der Geschehnisse erzeugen können, welches der Wahrheit so nah kommt, wie es uns Menschen möglich ist.“

Der erste, der sich von seinem Schemel erhob, war Borindarax von Nilsitz. „Ehrwürden“, sprach der Zwerg den Geweihten an. „Ich war einer der ersten in der Halle und habe noch versucht, den Attentäter auf der Balustrade zu stellen, war aber leider zu langsam, so dass er entkommen konnte.“ Der Vogt zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei. Ich will euch wiedergeben, wie es sich in meinen Augen abgespielt hat.“ Borax berichtete im Folgenden haarklein, wie er den Angriff auf den Baron von Eisenstein und die darauffolgenden Momente erlebt hatte. Als er mit seinem kurzen Bericht schloss, kratzte er sich nachdenklich den Bart. „Noch eines möchte ich anmerken“, fuhr er fort. „Etwas, dass vielleicht aus der Sicht eines Vertreters meines Volkes erwähnenswert ist. Dies für euch aber nicht zwangsläufig zutreffen muss. Die Anhänger der jungen Göttin, die uns begegneten, vertraten eine zum Teil äußerst radikale Auslegung ihres Glaubens. Sie meinten, dass auch aus Zerstörung Neues geboren werden kann und dass man damit die Verjüngung - den dafür notwendigen Prozess anstoßen, beschleunigen könnte. Dies mag zumindest kausal noch zutreffen - möglich sein, doch ist meiner Meinung nach der Angriff auf ein lebendes Wesen, mit der Absicht es zu verletzen oder zu töten in jedem Falle ein Frevel, gerade vor der jungen Göttin, deren Schöpfungen ihr Menschen alle seid.“ Der Vogt nickte und deutete der Praiotin damit an, dass er fertig war mit seinen Ausführungen. (Borax)

Der ältere Zwerg hatte kaum mehr hinzuzufügen und endete rasch. Nur wenig ergänzte er bevor sein Blick zum Magier schwang.

Kerzengerade stand der ganz in Weiß gekleidete Magus hinter den Sitzenden und hörte ihnen sichtlich amüsiert, aber doch hin und wieder auch interessiert zu. Rhys Gwenlian, unter diesem Namen war das Mitglied des Bundes des weißen Pentagramms der Praios-Geweihten vorgestellt worden, schien sich seine Anmerkungen bis zum Schluss aufsparen zu wollen. (Rhys)

„Unter den Radikalen, Euer Ehrwürden, war auch diese Yolde, die rundheraus erklärte, dass die Beschädigung von Sacheigentum des Barons durch dessen – aus ihrer Sicht – ‚falsches‘ Regieren gerechtfertigt sei“, meinte Lares ganz ohne Zorn in der Stimme. Er war sich bewusst, dass man bei einem Tribunal – und das war die Veranstaltung hier am Ende des Tages – mit Sachlichkeit häufig die besten Ergebnisse erzielte. „Eine Schuld am Verschwinden der Baroness tragen sie allerdings nicht. Diese war tapfer und mutig beim Versuch, den Häschern ihres Vaters hinterher zu eilen.“

Jedenfalls beschönigte Lares das höchst gefährliche Verhalten des Mädchens damit.

„Euer Ehrwürden, der Herr PRAios schätzt die Aufrichtigkeit und ich möchte auch in diesem Fall aufrichtig sein: Uns fehlt es an einem objektiven Beweis, der die Täterschaft des Geweihten Dornschneider stützt. Es steht neben dem Indiz, dass er von den Gängen in die Burg wusste, allein sein Geständnis im Raum. Ich traue ihm diese Tat nicht zu. Ich halte ihn körperlich nicht dazu befähigt, den Baron mit einem Bogen niederzustrecken und darauf aus der Burg zu flüchten, ohne gefasst zu werden. Schließlich hat er bisher nicht einmal ein echtes Lippenbekenntnis abgegeben, noch kennen wir tatsächlich sein Motiv. Grundsätzlich denke ich, dass er fest in seinem Glauben ist, aber ob er die Tat – alleine – körperlich begehen konnte? Auch fehlt es an einem Anhalt, dass er von der gleichzeitigen Beschädigung durch die andere Partei wusste.“ Der Knappe seufzte. Er hatte sich seine Zweifel von der Seele geredet, die ihn plötzlich überkamen, wo er doch zuvor noch so überzeugt von dem Geständnis und den Verfehlungen der TSA-Priester gewesen war. (Lares)

Praiotruds Augen schwangen zu Yolde, die nichts sagte. Sie mochte aufrührerisch und rebellisch sein, aber dies war das Haus eines Gottes. Sie würde sich an seine Gesetze halten. So wie sie verlangte, dass man sich an die ihrer Herrin hielt, wenn man in ihrem Tempel weilte. Mit geradem Rücken hielt sie dem Blick der Praiotin stand. Die Dienerin des Götterfürsten nickte schließlich dem Knappen zu. Und erwartete den nächsten Bericht.

Einen langen Augenblick ergriff niemand das Wort: Maeve war zuerst erstaunt über die Aussage von Lares, dann darüber, dass Tassilo oder Baldos nicht gedachten, das Wort als erste zu ergreifen. Unsicher erhob sie sich und begann zu sprechen: „Wir sind nur von der alten Tsa-Geweihten Ise zu Quindan geführt worden, da sie Zweifel hatte.“ Die junge Novizin blickte den Genannten direkt an: „Er weilte schon lange Monde nicht mehr im Tal dort unten, dass den Frieden unterstützt und Hader unterdrückt. Es heißt, er hätte sich zurückgezogen. Wir mussten einen weiten Weg durch den alten Wald zurücklegen, um jenseits eines Baches zu seiner Hütte zu gelangen und ihr seht, Ehrwürden, mancher von uns ist durchaus erschöpft, besonders Quindan selbst. Ritter Baldos hat seine Hütte durchsucht und wird sicherlich darüber sprechen. Ise aber war zutiefst erschüttert und brachte Vermutungen vor, was das Motiv sein könnte. Ich nehme an, dass Euer Ehrwürden schon lange in Obena weilt, so dass Euch das Kindermädchen der Hochgeborenen Basilissa und Regibald sicherlich bekannt sein dürfte. Tsalinde Dornschneider soll seine Tochter gewesen und hier im Kerker umgekommen sein. Und dennoch ist es so, wie Wohlgeboren von Mersingen gesagt hat, wie sollte er mit den jüngeren Leuten Schritt halten und auch schnell genug sein, um dem Vogt von Nilsitz zu entkommen – wie wir gehört haben – oder Basilissa, die ihm später nachfolgte? Kann jemand schuldig sein, nur weil er selbst es sagt – und kann jemand als unschuldig gelten, nur weil niemand Anklage führt?“

Damit setzte sie sich und sah ernst Praiotrud und dann Baldos an. (Maeve)

Aufmerksam hatte der so Angesehene den vorherigen Rednern gelauscht, ihren Ausführungen, genauso wie ihren Eindrücken. Manchmal, so befand er, war es schon erstaunlich wie unterschiedlich Situationen wahrgenommen werden konnten. „Wie die anderen auch, folgte auch ich den Spuren durch die Tunnel um unten im Tal anzugelangen. Schelmenzauber, anders kann ich es nicht bezeichnen, war es der uns auf dem rechten Pfad hielt, so gelangten wir ins das Tal, in dem die Tsa- Anhänger ihr Lager aufgeschlagen hatten. In und um ein altes Gebäude hatten sie mit Zelten und Planen sich ein Heim errichtet und uns im Geiste Travias willkommen geheißen.“ Einmal abgesehen von der plötzlich aufgeblasenen Baroness und ihrem unfreiwilligen Flug, hatte die Umgebung harmlos gewirkt. Doch der Schein mochte trügen. „Im Laufe der Gespräche stellte sich heraus, dass die Bewohner des Lagers einer radikalen Strömung des Tsa-Glaubens folgten, wobei wir auch die Personen fanden, die sich für die Zerstörung der Kunstwerke zeichnen. Nach einem längeren religiösen Disput fiel der Verdacht auf den hier anwesenden Mann. Wir suchten ihn in seiner Unterkunft am nächsten Morgen auf. Vor Ort, in einer äußerst heruntergekommenen Bruchbude, fand ich provisorische Pfeile, genauso wie einen Baum der Spuren von Übungsschüssen aufwies. Ob dieser Mann allerdings den Pfeil abgefeuert hat, war nicht zu ermitteln.“ Damit endete er seine Ausführung, wobei ein Teil der Friedfertigkeit des Tals zu ihm zurückgekehrt war.[Baldos]

Der Geweihte der schönen Göttin machte sich nicht die Mühe aufzustehen, derlei Unsinn zerstörte die Intimität des Moments und schaffte eine kalte Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern. Wenn er mit Gläubigen zusammensaß, um sich ihres Seelenheils anzunehmen oder auch um ein einfaches Gespräch mit ihnen zu führen, dann zog er es gar vor auf gemütlichen Sitzkissen Platz zu nehmen. Dergleichen lockerte die Atmosphäre, die Herzen und letztlich meist auch die Zunge. Geprägt durch ein Leben im Umfeld der Rahja-Kirche beschrieben seine Worte die verborgene Schönheit der besuchten Orte, genauso wie ihre Harmonie. Besonders die Erfahrung, als sie das Tal betraten oder im Falle einiger -betreten wollten, befand er für berichtenswert. Den Frieden der sich in einem ausbreitete, sobald man diese unsichtbare Grenze passierte. Eine Grenze die nur überwinden konnte, der von allem Gräuel, Hass und jeglicher Gewalt abgelassen und seine Waffen zurückgelassen hatte. Wenn sich eine solche Grenze nur um ganz Aventurien errichten ließe, hätte all das Grauen im Rahja des Reiches ereignen können? Doch so schön und anschaulich seine Worte auch gewesen sein mochten, so enthielten sie vermutlich nur wenig Neues. [Tassilo]

Verema war der mühsame Aufstieg zur Burg deutlich anzusehen. So fasste sie sich so kurz und sachlich, wie es ging, sie schilderte, wie sie Prianna gefolgt war und die Gruppe zu der Tsa-Gemeinschaft gelangt war. "Dem, was meine Vorredner gesagt haben, kann ich nicht viel mehr hinzufügen. Er ist der `Schuldigste`, den wir gefunden haben. Ob er die Tat selbst verübt hat oder jemanden schützen will, ist Sache des Gerichtes. Bei einer Geweihten der Zwölfe gehe ich davon aus, dass sie nicht leichtfertig oder voreingenommen handeln wird. Alles Weitere liegt bei Euch." (Verema)

Mit einem Räuspern war es nun an dem Magus auf sich aufmerksam zu machen, nachdem alle anderen bereits gesprochen hatten. „Ehrwürden, da es nun mehr nur Mutmaßungen und keine Beweise sind, die uns in dieser Sache vorliegen, ist eine Wahrheitsfindung auf herkömmlichem Wege in meinen Augen nahezu ausgeschlossen. Ich habe bei ähnlichen Fällen, in denen ebenfalls Geweihte eines der Zwölfe angeklagt waren, bereits mehrfach erleben dürfen, wie Diener des Götterfürsten den ‚Willen zur Wahrheit‘ predigten, um ein Geständnis der Beschuldigten zu erlangen.

Geschehnisse, Vorwürfe, wie Mitgliedschaft oder Nähe zu dieser verblendeten Strömung der Kirche des Tsa würde dies allemal rechtfertigen.“ (Rhys)

Die junge Tsageweihte krampfte ihre rechte Hand wütend zusammen, biss sich aber von innen auf die Wangen, um nicht laut die Stimme zu erheben. Ihre Augen fuhren aber wütend zum Magus hinüber. Verblendet? Als gäbe es nur eine einzige Wahrheit! Missbilligend ruhte der Blick der alten Praiotin auf Yolde. Ihr Blick hiess sie schweigen, während sie sich zu dem Magus umdrehte: „Habt Dank, für eure Worte, Magus. Ohne sie hätte ich wohl nicht gewusst, wie ich im Namen des Herrn Praios, dem ich seit etwas mehr als fünfzig Götterläufen diene, vorzugehen hätte.“ Streng und zynisch hallte ihre Stimme in dem kleinen Tempelraum. ‚Grünschnäbel. Zu viele Grünschnäbel. Arrogante Grünschnäbel. Ein Krieg und sie meinten, sie hätten die Welt verstanden!‘

Dann wandte sie sich an den älteren, niedergesunken auf seinem Schemel kauernden Tsageweihten: „Quindan Dornschneider.“ Streng klang ihre alte Stimme: „Stimmt es, was meine Nichte und ihre Begleiter sagten. Ihr gebt zu, den Anschlag auf das Leben des Barons verübt zu haben?“ Betreten sah der Angesprochene zu Boden. „Ich habe den Pfeil abgeschossen, der den Baron traf.“ Trauer und Scham war aus seiner Stimme zu hören.

Zufrieden drehte sich die Geweihte wieder dem Magus zu: „Die Spuren führten euch zu diesem Mann. Ihr fandet Anzeichen, dass er dort Schiessübungen absolvierte. Er ist offensichtlich geständig. Weshalb zweifelt ihr dennoch?“ Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sich die alte Adelige mit geradem Rücken der grimmig drein blickenden, jüngeren Tsadienerin zu: „Ihr seid hier, wie ich annehme, weil ihr für die Schmierereien verantwortlich seid, die seit so vielen Monden die Kunstschätze im Schloss beschmutzen?“ Missbilligend musterte sie die junge Frau: „Die Jugend entschuldigt nicht jede ‚Verblendung‘, wie sich der junge, vermessene Mann dort ausdrückte.“ Zornig bildeten die sanft geschwungenen Brauen der wütenden Priesterin ein Dreieck und legten ihre Stirn in Falten. „Ich verlange nicht, dass ihr sie entschuldigt.“ Presste Yolde trotzig zwischen ihren zusammengepressten Lippen hervor. „Da habt ihr großes Glück, denn das habe ich mitnichten vor.“ Unheilschwanger klang die Stimme der Praiospriesterin als sie Yolde antwortete: „Ihr werdet euch noch dafür verantworten, was ihr getan habt. Ihr habt nicht nur Rahja gefrevelt, indem ihr diese Kunstwerke geschändet habt. Nein! Auch die Weltordnung, gegeben von allen Zwölfen, gestützt von Praios, dem Götterfürsten selbst, habt ihr mit Füßen getreten! Mit Anmaßung!!“ Ihr Blick zeigte Verachtung und Abscheu. „Womöglich hätte es euch gut getan, hätte euer Vater mehr Härte gezeigt, als ihr ein Kind ward. Und, da ihr jung seid, ist es gegebenenfalls noch möglich euch mit Härte Verstand und Moral einzubläuen!“ Yolde schnappte mit hochrotem Kopf nach Luft. Sie wollte aufbegehren, wollte der arroganten Dienerin dieser ungerechten und bigotten Welt entgegenschleudern, was sie von ihr und ihrer heuchlerischen Ordnung hielt. Doch Quindans Hand legte sich sanft über ihre geballten Fäuste und augenblicklich überkam sie Ruhe. Sie erinnerte sich an Ise und deren Worte. Der metallische Geschmack von Blut legte sich schleiergleich über ihre Zunge, so fest presste sie ihre Zähne in das zarte Fleisch ihrer Wangen.

Praiotrud hatte sich derweil wieder an die Umsitzenden gewandt: „Weshalb sollte ich an den Worten von Quindan Dornschneider, der die Tat zugibt, zweifeln? Welche Indizien oder Beweise sprächen dafür, dass er lügt. Lügt, hier in der heiligen Halle des Herrn der Wahrheit?“ Abwartend schweifte ihr Blick in die Runde.

„Nun“, Rhys zuckte mit den Schultern und stelle ein leicht desinteressierte Miene zur Schau. „Der Täter ist uns recht flink und behände entwischt und zwar so, dass wir ihn auf dem langen Weg nicht einholen konnten. Dies muss Ausdauer erfordert haben.“ Der Magus sah zu dem Angeklagten hinüber und schüttelte wenig überzeugt den Kopf. „Es mag sein, dass ich mich irre und meine Zweifel unberechtigt sind, doch er floh schnell, unerkannt und ungesehen. Was mich in Frage ziehen lässt, dass er es vermochte. Seht ihn euch an“, forderte er alle auf. „Meint ihr der Angeklagte wäre zu alledem Imstande? Könnt ihr diese Annahme ohne Zweifel für gegeben hinnehmen? Eben diese Zweifel und die Möglichkeit, dass er unter Berücksichtigung seines eigenen, hohen Alters jemand anderen- möglicherweise bedeutend Jüngeren in Schutz nimmt, bewegten mich zu meiner Ansicht, dass es geraten sei, seine Worte auf besagte Weise zu prüfen- um ganz sicher zu gehen, nicht den Falschen abzuurteilen. Ein falsches Urteil gegen einen Götterdiener könnte zu großem Zwist zwischen den Kirchen führen.“

Unausgesprochen blieb der Fakt, das gerade die Geweihtenschaft von Praios und Tsa sich nicht immer wohlwollend gegenüberstand und die Angelegenheit auch deswegen heikel war. (Rhys)

Zwist zwischen den Kirchen? Die Geweihte runzelte die Stirn. Dieser junge Mann war mehr als vermessen. Er war dreist, arrogant und anmaßend. Er mochte einen gewissen Scharfsinn besitzen, wenngleich es ihm offenkundig an der Fähigkeit mangelte diesen demütig im Sinne der Göttergefälligkeit einzusetzen. Aber er war Magier, was konnte sie da erwarten? Mahnend sah sie ihn an: „Womöglich habt ihr noch nichts davon gehört.“ Eine rügende Pause sollte dem Zauberwirker seinen Platz weisen: „doch die Götter vermögen ihren Dienern durchaus zeitweilig Kräfte zu verleihen, die über den Geist und die Vorstellung gewöhnlicher Sterblicher hinausgehen.“ Wieder gebot sie mit einer kurze Stille mahnend Selbstreflexion: „Zumindest werde ich keinen Zwist herbeiführen, indem ich einen Priester der Zwölfe im Tempel eines anderen der Lüge bezichtige, da könnt ihr beruhigt sein. Allerdings erkenne ich euren Wunsch an, die Wahrheit zu erfahren und eine gerechte Strafe für die Frevler zu erhoffen.“ Sie schritt erneut zu dem ruhigen Tsageweihten herüber: „Womöglich seid ihr gewillt mehr preiszugeben von eurer Tat, um den Anwesenden die Beruhigung zu geben, dass sie keinen Unschuldigen hierher gebracht haben.“ Sagte sie mehr bestimmend als fragend.

Quindan nickte langsam. Er begann mit gebrochener Stimme zu sprechen. Sie zitterte im Bass der alternden Männerstimme. „Es ist wenige Jahre her, als ich noch eine Tochter hatte. Sie war ebenso alt wie die Baroness von Keyserring.“ Er deutete auf Prianna: „Sie liebte Kinder und wurde kurz nach der Geburt der beiden jüngsten Geschwister der Baroness ins Schloss geholt, um sich um die Zwillinge zu kümmern. Bis…“ Mit distanzierter Monotonie hatte er bis hierher vorgetragen. Nun schluckte er laut: „Bis die beiden Kinder sich nachts mal wieder fortschlichen. Der Junge stürzte und seine Schwester konnt nicht mehr rechtzeitig Hilfe holen. Als sie ihn fanden, war er bereits tot. Es war ein trauriger Unfall.“

Der Geweihte fuhr entschlossener fort, die Distanz in seiner Stimme verlor sich: „Doch der Baron, er wollte nicht wahrhaben, dass es ein Unfall war. Und nichts weiter als das. Ein Unfall, der Kindern eben zustossen kann. Denn wir können unsere Kinder nicht vor allem beschützen.“ Nun brach die Stimme des Mannes zur Gänze und ein gurgelndes Schluchzen entfuhr seiner Kehle: „Sosehr wir uns das wünschen. Wir können es nicht.“ Eine kurze Atempause brauchte er, in der er mit geschlossenen Augen mehrmals ein- und ausatmete. Eine kleine Träne benetzte dabei seine Wange: „Und für manche Ereignisse können wir niemanden finden, der schuldig ist. Wer war denn Schuld? War sie es? War sie schuld? Schuld, weil sie in der Nacht schlief, als die Kinder fortliefen? Schuld, weil sie versuchte, den Kindern eine liebevolle Erzieherin zu sein? Schuld, weil sie ihnen nicht mit Härte die Flausen austrieb?“ wieder entfuhr ein Schluchzer seiner Kehle: „Sie war wunderschön. Liebevoll und ein Mensch fern jedes Bösen. Niemals hätte sie irgendwem was Schlechtes gewünscht. Und mein kleines Mädchen, meine wunderschöne süße Tsalinde, sass nun im Kerker. Unter dem Schloss. Im finsteren Kerker. Sie war immer schon etwas kränklich. Und die Kälte und die Schuld, die sie sich gab, taten das ihrige, sie krank zu machen.“ Eine weitere Träne lief über sein Gesicht. Yolde strich sachte über seine Hand und sah zornig aus. Er hatte sie betrogen, aber dennoch verstand sie seine Qual: „Sie starb dort. Allein. Gram vor Trauer und Schuld.“

Er straffte sich und fuhr mit weniger zitternder Stimme fort. „Ich habe mich beschwert. Ich tat, was ich konnte. Ich ging, zu wem ich konnte. Doch überall sagte man mir dasselbe: Ein seltener Unglücksfall. Eine tote Angeklagte. Den Baron träf keine Schuld…. Aber nicht für mich… Für mich, war er der Schuldige. Er war derjenige, der den Tod meiner Kleinen zu verantworten hatte. Als er in den Osten zog, hoffte ich darauf, er fände einen grauenhaften, schmerzhaften Tod in einer Klinge der Paktierer.“ Er seufzte schamvoll: „Doch er kam unbeschadet zurück. Ohne Narbe. Ohne Kratzer. Und mein Hass wurde aufs Neue geschürt. Ich erinnerte mich an meine Jugend, meine Kenntnisse im Bogenschiessen- ich übte sie. Ich übte sie mehr. Und je tiefer mein Hass wurde, umso mehr übte ich sie. Doch … irgendwann reichte mir die Vorstellung nicht mehr, dass er tot wär. Ich wollt, dass er leiden sollt. Er sollte dasselbe fühlen, was ich fühlte. Ich wollt ihm nehmen, was er mir genommen hat. Ich wollt, dass er ebenso hilflos zuschauen sollt, wie sein ältestes Kind stirbt, wie ich es gemusst hab.“ Seine Stimme zitterte.

Lange hatte er nicht mehr so viel gesprochen. Doch all der Schmerz, all die Scham drängten nun nach aussen: „Ich habe alles vorbereitet. Yolde und die anderen belogen. Den richtigen Moment abgepasst. Die Ablenkung durch sie genutzt. Und dann hatte ich freie Schussbahn. Frei. Genau auf ihr Herz.“ Er deutete auf Prianna, die ein wenig blass um die Nase wurde, als ihr gewahr wurde, dass ihre Befürchtung wahr gewesen war. Sie war das Ziel gewesen. „In dem Moment, wo der Baron hereinkam, liess ich die Sehne los. Der Pfeil sauste auf sie zu. Ich könnt sagen, dass ich damit rechnen konnt, dass sie überlebte. Geheilt durch einen der Geweihten oder den Magus.“ Er deutete auf Rhys. „Doch das wär nicht wahr. Ich wollte es. Ich wollte ihren Tod. Weil ich mich an ihrem Vater rächen wollt.“ Er seufzte schwer. Trauer, Scham und Verachtung für seine eigene Tat schwangen mit. „In dem Moment da ich den Pfeil fliegen sah, überkam mich die Reue. All die Trauer und die Wut fielen ab. Verblendet hatte mich mein Wunsch nach Rachsucht. Mein Wunsch, ihn für meinen Verlust und meinen Schmerz zu strafen. Und ich erkannte plötzlich klar, zu welchem Ungeheuer mich dieser Zorn gemacht hatte. Ich erkannte es… doch es war zu spät. Der Pfeil hatte sein Ziel gefunden. Diese Schuld wird mich bis zum Ende meines Lebens begleiten, und wiegt schlimmer als alles, was ihr mir als Strafe aufbürden könntet.“ Nun ließ er die zuvor gestrafften Schultern kraftlos hängen. Er hatte bleiben wollen, bleiben und zusehen, wie der Baron, der verhasste Mann, das eigene geliebte Kind verlor. Dann hätte man ihn erschlagen oder in den Kerker geworfen. Dann hatte er sterben wollen, dort wo seine Tsalinde gestorben war, dort, wo sie ihn gebraucht hatte. Dort, wo er als Vater versagt hatte. Versagt, sein eigenes Kind zu retten. Im Tod wären sie vereint gewesen. Nun schämte er sich. „Ich hab missachtet, was ich zu schützen geschworen hab. Ich hab meinen Glauben verraten und meine Göttin.“

Rein äußerlich blieb der Magus ohne jede Regung, trotz des umfassenden Geständnisses. Innerlich war er froh, dass in diesem Moment niemand seine Gedanken lesen konnte und dass es jemand anderes war, der das Wort ergriff. Was waren sie doch alle für verblendete Narren. Die Götter gaben einen Dreck auf sie, auf alle Sterblichen. Das eben gehörte Schicksal war nur eines von vielen, guten Beispielen für diese These. Sie interessierten nur die eigenen Ränke und Ziele, doch die Menschen waren zu konditioniert durch die Lehren der Kirchen um dies zu erkennen. (Rhys)

Lares knickte sichtlich ein. Jetzt war es ein ausführliches, ein überprüfbares Geständnis. Und ein wahres Geständnis noch dazu. Das Licht des Herrn schien und doch wäre es wohl besser gewesen, wenn BORons Schweigen die alten Wunden bedeckt hätte. "Wie gelang euch die Flucht?", setzte der junge Mann nach einem Moment des Schweigens nach. (Lares)

„Es ist wie Ehrwürden von Keyserring sagte. Die Götter gewähren ihren Diener Kräfte, um in ihrem Sinne das Götterwirken nach Dere zu bringen… Die Kraft bleibt, … auch wenn wir uns von dem Gott entfernen….“ Er war immer leiser geworden. Fast flüsternd beendete er seine kurze Erklärung und schlug sein Gesicht in die Hände.

Schließlich nickte Rhys der Praios-Geweihten zu und zeigte ihr damit an, dass nun auch er gänzlich überzeugt war. Sicher, es schien als seien seine Zweifel falsch gewesen, doch das Gehörte war diesen Irrtum wert gewesen, zumal ein von Trauer zerfressener Vater die Chance erhalten hatte, sich alles von der Seele zu reden. (Rhys)

Der junge Zwerg in den Reihen der Ankläger schüttelte währenddessen betrübt den Kopf. Ihn hatte die Geschichte berührt, das konnte man sehen. Ganz ohne einen eigenen Kommentar konnte er es nicht auf sich beruhen lassen. “Ich nehme mir das Recht und spreche eine Wahrheit aus, die ihr Menschen nicht sehen wollt oder könnt. Diese Tragödie ist am Ende auch ein Resultat der Willkür eures Feudalsystems. Ich will nichts beschönigen, oder die Tat in irgendeiner Weise rechtfertigen - so etwas ist nicht möglich. Es hätte jedoch nicht soweit kommen müssen.“ [Borax]

Kalt durchbohrten die Augen der Praiospriesterin den jungen Angroscho und belehrend sprach sie mit bebender Stimme, die keinerlei Widerspruch mehr duldete: „Mitnichten geht es hier um Willkür. Regeln und Gesetze sind feste Säulen, die den Menschen Ordnung und Gerechtigkeit verschaffen. Feste Säulen, die nicht nur die Menschenreiche schützen. Auch euer Volk profitiert von dieser Ordnung über den Bergen, in denen die Angroschim leben. Ihr solltet dies also ebenso achten wie wir,“ Und mit bösartigem Sarkasmus fügte sie noch ein: „ werter Vogt von Nilsitz!“ an.

„Oh nein, es ist mitnichten das Feudalsystem, was dies ausgelöst hat. Nein. Es ist der überstarke Wille zum Umsturz.“ Nun fixierte die Alte die kampflustig dreinblickende Yolde. „Veränderungen – Wir müssen sie akzeptieren. Aber sollten wir sie erzwingen? Sie provozieren? Oh Nein!! DAS ist es was unsere Ordnung und den Frieden gefährdet. Ihr.“ Und ihr Zeigefinger mit dem wohlgestutzten Nagel und den unzähligen bräunlichen Altersflecken, die sich völlig ungeordnet über die pergamentene Haut verteilten deutete auf die jüngere Geweihte der Herrin Tsa. „Ihr seid für die Verschmutzungen verantwortlich, die Schändungen der Kunstwerke. Gleichsam Tritte gegen die Baronie, gegen das Feudalsystem gegen die göttergegebene Ordnung. Ich hoffe euch ist klar, dass dies eine harte Strafe nach sich ziehen wird.“

Eine ärgerliche Pause folgte, in der Prianna auf ihre Tante zuschritt und die Worte ihrer Verwandten mit zitternder Stimme ergänzte: „Solange mein Vater noch nicht dazu in der Lage ist, bin ich ermächtigt, ihn in diesen Dingen zu vertreten. Und selbstverständlich werden wir keine Willkür walten lassen: Es steht der Kirche der Tsa- so wie allen zwölfgöttlichen Kirchen- zu, ihre Priester selbst für Fehlverhalten zu belangen.“ (Prianna)

Ein unwilliges Schnauben ertönte von der Praiosdienerin: „INSOFERN…“ ergänzte die Alte und sah ihre Nichte angeekelt an. Diesen Teil der Rechtsprechung schien der alten Adeligen in keiner Weise zu gefallen: „Insofern“ ergänzte Prianna: „Sie euch auszulösen bereit sind.“ „Bereit UND zahlungsfähig.“ Schleuderte Praiotrud den beiden Tsadienern entgegen und ein Lächeln zeugte von ihrer Vorahnung, dass dies der schwierige Teil wäre. Prianna nickte: „Der fünffache Jahreslohn ist dafür vorgesehen. Welcher Tätigkeit geht ihr nach? Dann werden wir die Summe festlegen können.“

Praiotrud sah zunächst Quindan an. „Ich bestelle ein kleines Feld bei meiner Kate.“ Die Alte nickte und wandte sich dem Mädchen zu: „Und ihr? Habt ihr je in eurem Leben etwas gearbeitet? Glaubt nicht, dass euch das hier zupass kommt!“ Mit blitzenden Augen sah sie Yolde an: „Und die Namen. Wir brauchen noch die Namen eurer Mittäter.“ Yolde starrte zurück. Ohne auch nur ein Zucken ihrer Lider. Die Luft zwischen beiden Frauen schien sich mit Energie aufzuladen, während sie sich anstarrten. Fast konnte man den Zwist zwischen der vor Wut schäumenden Praiosdienerin und der schweigenden Tsageweihten mit den Fingern greifen.

Dann räusperte sich Prianna: „Wir könnten etwas aufgrund ihres Alters und ihrer Fähigkeiten festlegen. Ich möchte einen Vorschlag machen.“ Und die Baroness nannte zwei Beträge. Praiotrud zog angwidert ihre Nase kraus. Nickte dann aber. Prianna sah dann fragend zu Quindan, der ebenfalls nickte. Yolde sah die junge Adelige mit gerunzelter Stirn an: „Ein Preis? Ein Preis für was? Meine Gesundheit? Sein Leben? Die Gerechtigkeit?“ Angewidert nickte sie dann aber ebenfalls.

Prianna sprach weiter. Ihre Stimme klang erstaunlich klar und fest: „So wird eurer Kirche die Botschaft übermittelt und ihr wird eine Frist von drei Tagen gewährt, zu reagieren. Ansonsten werdet ihr euch einer weltlichen Rechtssprechung unterwerfen müssen. Solange werdet ihr im Schloss bleiben müssen. Ich werde mich sogleich um alles kümmern.“ Sie nickte ernst in die Runde und verließ den Tempel gemessenen Schrittes.

Fast war Rhys ein wenig enttäuscht. Er war davon ausgegangen, dass der Streit ein wenig, nun ja, unzivilisierter von statten gehen würde. Der Magus verzog die Mundwinkel. Gern hätte er gesehen, wie sich die beiden Götterdiener zerfleischt hätten - schließlich waren sie beide auf ihre ganz eigene Art fanatisch und von dem vermeintlichen Leitbildern ihrer Kirchen verblendet. (Rhys)

Mit einem Räuspern machte Tassilo auf sich aufmerksam: „Wohlgeboren, ich möchte Eure Pläne nicht vereiteln, doch liegt ein Tempel der jungen Göttin überhaupt nahe genug für die von euch verhangene Frist? Ich kenne mich im Isenhag nicht sonderlich gut aus, deshalb frage ich. Allerdings solltet Ihr bei der Wahl der von Euch verhangenen Frist bedenken, dass der Bote den Tempel erreichen muss, um dem dortigen Geweihten zugleich die Möglichkeit zu gewähren, angemessen anzureisen.“ Seine Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorgehens behielt er vorerst für sich, doch war sich Tassilo relativ sicher, dass diese nur durch Geweihte erfolgen dürfte.

Ritter Baldos war bei dieser Unterhaltung sichtlich unwohl zu mute. Weder gefiel es ihm, dass Geweihte sich gegen Gläubige wandten, noch gefiel es ihm, dass nun über das Leben gleich mehrerer Geweihten der Zwölfgötter Gericht gehalten werden sollte. Als Adelige sollte sie dem Volk eine Wehr sein, während die Götterdiener das seelische Heil gewährleisteten. Er selbst war niemand, der sich im religiösen Eifer erging, hier aber lag so einiges im Argen. [Baldos]

Die angesprochene Geweihte sah erst Tassilo und dann die anderen irritiert an: „Sagtet ihr nicht.“ Und die Geweihte schaute irritiert drein: „dass ihr in einem Tempel der Tsa genächtigt hättet? Einem Tempel, der sich hier in dieser Baronie befindet? Den ihr gestern in wenigen Stunden von diesem Schloss aus erreicht hättet?“ als jemand nickte, zuckte sie mit den Achseln. „Wo sollte dann ein Problem liegen?“

Dieser ließ sich durch die Art der Praios-Geweihten nicht beeindrucken. "Ich für meinen Teil war an einem Ort der der jungen Göttin nahe scheint und nicht in einem Tempel. Eine Ruine in einem Tal. Erwartet ihr wirklich, dass die Bewohner dieser Ruine über die Mittel verfügen, um die von euch noch zu verhängende Summe aufzubringen? Ich rede hier von einem Tempel, einem ordentlich geführten Göttinnenhaus wie es zum Beispiel in der Heimat meines Hauses zu finden ist." Einmal ganz davon abgesehen davon, dass sich Tassilo nicht sicher war, ob es noch weitere Geweihte im Tal gab.

Praiotrud sah zu den beiden Geweihten der jungen Göttin. Der eine, etwas bedrückt und doch mit unerwarteter Hoffnung im Blick, die andere mit Feuer und Kampfgeist in den Augen. Quindan erhob seine Stimme ehe Yolde etwas erwidern konnte. „Die Kirche unserer Herrin unterscheidet sich von euren. Wir erlauben unseren Priestern mehr. Wir haben mehr Möglichkeiten uns zu verändern. Dasselbe gilt für unsere Tempel. Der Ort, den es in dieser Baronie gibt, wurd einst als Tempel geweiht. Dann wurd er verlassen, aber irgendwann wiederentdeckt und wieder geweiht. Und dies passierte über viele Jahrhunderte mehrmals. Im Moment würd ich sagen, kommt er eurem Verständnis eines Tempels nah. Wie viele Geweihte dort sind, weiß ich aber nich.“

Er sah Yolde an, die darauf fortfuhr: „Ise ist da. Und sie ist …. Vielleicht etwas, das ihr als Tempelvorsteherin betrachtet würdet. Ansonsten halten sich dort im Moment außer Ise und mir selbst regelmäßig noch zwei weitere Geweihte und einige Akoluthen auf.“

Die Praiosdienerin hatte bereits vorhin kurz erstaunt die Augenbrauen in die Höhe gezogen als der Name Ise gefallen war, nickte nun aber als Yolde geendet hatte erst ihr und dann Tassilo zu. „Ich verstehe euren Einwand. Aber ich denke doch, dass unter den gegebenen Bedingungen diese erste Frist unproblematisch sein wird.“ Dass eine Frist bei einer so dilettantisch geführten Kirche mehr als nötig war, schien der Praiosgeweihten so klar, dass sie diesen Punkt nicht weiter erläuterte. Sie hatte genug Erfahrung mit Tsageweihten gesammelt. Sie wusste, dass kurze Fristen das beste waren, was man für diese Menschen tun konnte.

Der Schock über die Eröffnungen, die Ises frühere Vermutung nun bestätigten, obwohl Maeve es in ihrem Innersten noch immer nicht wahr haben wollte, ließ langsam nach. Die Worte, die Eröffnungen von Quindan sowie der Hass und die Häme von Praiotrud, hatten sie stumpf gemacht. Nicht stumpf im Geiste, aber im Herzen. Was hier geschah, erschütterte sie in den Grundfesten dessen, was ihr bislang gelehrt worden war und doch vermochte sie dahinter göttliche Fügung erkennen. Aber keine, die von Menschen gemacht war. Vieles war wichtig, aber auf eine Frage wollte sie nun hinarbeiten.

„Ehrwürden… Ihr sagtet vorhin… erzwungene Veränderung gefährdet den Frieden und die Ordnung“, erhob Maeve unsicher ihre Stimme. Dann erhob sie sich, um freier zu atmen und trat neben Yolde an die Seite der Angeklagten. „Ist die Gerechtigkeit wichtig für Frieden und Ordnung?“ (Maeve)

Praiotrud seufzte der jungen Novizin zu. Dass sich die zweite Kirche, die dazu neigte sich der Liederlichkeit hinzugeben und Regeln allzu freizügig zu interpretieren, auf die Seite der Tsakirche schlug, wunderte sie nicht. Das junge Ding musste durcheinander sein. Erst waren diese merkwürdigen Dinge am Wasserfall passiert, dann der Anschlag und die Eröffnung eines Tsageweihten, ein Attentäter zu sein. Was das Mädchen brauchte war eine klare Linie. Unantastbare Regeln. Um wieder Halt zu finden: „So ist es. Es muss unantastbare Regeln geben, die ohne jeden Spielraum gelten. Nur das ist der Garant für Ordnung und damit für Gerechtigkeit. Eine dieser Regeln wurde hier verletzt. Sie zu ahnden ist das Vorrecht und wie in diesem Fall die unangenehme Pflicht des Adels.“ Sie forschte in den Augen der jungen Frau nach Verständnis.

Noch immer durcheinander und unverständig blickte Maeve die alte Frau an: „Ich dachte, es ist Eure Aufgabe, Gerechtigkeit und Wahrheit in Praios Namen herbeizuführen und den Baron zu beraten?“ (Maeve)

Die alte Frau straffte sich: „Selbstverständlich. Und selbstverständlich werde ich dies auch bei meiner Nichte tun, die für den Moment diese Aufgabe für ihren Vater übernehmen wird.“

„Aber Euer Dienst an Praios kommt sicherlich an erster Stelle, Hochwürden - wie bei allen anderen Götterdienern auch?“ fragte Maeve behutsam nochmals nach, da es ihr immer noch schwer fiel, in den Aussagen Praiotruds die Prioritäten zu erkennen. (Maeve)

„Ja. Selbstverständlich.“ Fast gekränkt presste die Alte die Worte heraus: „Die Weltordnung, die zum Wohle aller in Praios Namen herrscht, wird von mir im Namen Praios verteidigt. Und dazu gehört es, sich den Gesetzen und Regeln, die es nun einmal in dieser Welt gibt und geben MUSS zu unterwerfen.“ Ein schiefer, tadelnder Seitenblick streifte die beiden TSadiener: „Wer sich der bestehenden Ordnung widersetzt, widersetzt sich dem Willen des Herrn Praios.“ Wieder traf ihr Blick die beiden Priester, diesmal mit leichtem Bedauern: „Dennoch wird anderen Götterdienern ein Sonderstatus erteilt. Sie dürfen sich einem Kirchengericht verantworten. Unter bestimmten Bedingungen. Die festgeschrieben sind, aber durchaus Spielraum lassen. Und bei der Auslegung dieses Spielraums werde ich meine Nichte eingehend beraten, damit der Wille und die Ordnung des Herrn Praios nicht NOCH MEHR Schaden nehmen.“ Diesmal war der Blick, den Yolde empfing mehr als tadelnd. Ja- eher feindselig. Kein Zweifel bestand in welche Richtung diese Beratung gehen würde.

Die junge Tsadienerin griff nach Maeves Hand, während sie dem giftigen Blick der alten, verbohrten Götterdienerin einen ebenso feindseligen Blick zurückschickte. Der Druck ihrer Finger wurde von angespannter Feuchte begleitet. Schweiß haftete an ihrer Handfläche. Nervosität und Angst schienen unter der harten und wehrhaften Oberfläche von der jungen Frau Besitz ergriffen zu haben, wie Maeve bemerkte.

Die junge Albernierin schauderte vor Wut und ergriff beherzt die Hand Yoldes, bevor sie zitternd antwortete: „Aber wenn Ihr doch die Weltordnung verteidigt...Hochwürden, kann Euch die Anklage Quindans nicht verborgen geblieben sein? Wenn es um Gerechtigkeit und Schuld geht, dann war und IST doch auch zu prüfen, ob seine Vermutung richtig ist: dass Tsalinde im Kerker des Barons, aufgrund falscher Anschuldigungen umgekommen ist? Und wenn Quindan es Euch gegenüber nicht getan hat, dann frage ich nun: hat der Baron damit Recht getan? Denn schließlich hat diese Entscheidung all dies Ungemach hier ausgelöst!“ (Maeve)

Die Augenbrauen des Magus wanderten nach oben. Rhys nickte und musste sich ein zusätzliches Grinsen verkneifen. DAS waren mehr als nur deutliche Worte gewesen. Selbst wenn er die Meinung der jungen Geweihten nicht in dem Maße teilte, wie sie sie geäußert hatte, so musste er ihr Respekt zollen. Sie hatte Rückgrat. Nüchtern betrachtet war dies nicht sein Kampf und zu gewinnen gab es nichts- nur Ärger konnte man sich einholen, gerade als Gildenmagier in den Nordmarken. Deshalb schwieg er, auch wenn ihm vieles auf den Lippen brannte. (Rhys)

„Seine Anklage? Seine Meinung, meint ihr? Seine Ansicht, dass seine Tochter unschuldig ist? Glaubt ihr nicht, dass seine Haltung eher von seiner Zuneigung zu Tsalinde herrührt als von einer objektiven Betrachtung der Umstände?“ Sagte sie streng. Junge Menschen waren ihr zuwider. Alles musste man ihnen erklären. Keinerlei Erfahrung und selten ausreichendes Gottvertrauen. „In dieser Sache gibt es vier Fakten, wie es ihrer Gnaden Dornschneider bereits von mehreren Vertretern des Rechts und von diversen Praiosgeweihten mitgeteilt wurde, Ad 1: Das Kind befand sich zum Zeitpunkt des Todes in Obhut von Tsalinde Dornschneider. Ad 2: Zur Klärung der Schuldfrage wurde eine Untersuchung eingeleitet. Ad 3: Tsalinde Dornschneider wurde bis zum Abschluss der Untersuchung unter Arrest gestellt Ad 4: Bis zur Klärung der Schuldfrage ist es per Gesetz gestattet, dass ein Beschuldigter unter Arrest gestellt wird. Von rechtlicher Seite her, kann dem Baron keinerlei Vorwurf gemacht werden. Er hat alle Gesetze befolgt und keine missachtet.“ Fast ein wenig genervt hatte sie geklungen als sie die Punkte herunterbetete. Dass es mehr auf Dere geben könnte als Gesetz und Ordnung, schien ihr jedenfalls noch nie in den Sinn gekommen zu sein.

‚Und genau DAS ist das Problem- von rechtlicher Seite. Ihr Schergen der Götter beruft euch auf Gesetze, die ihr selbst verfasst habt, um eure Ordnung aufzubauen und die Menschheit zu knechten.

Dies sind genau die Gesetze mit der im Osten willkürlich, unschuldige Menschen zum Tode verurteilt werden, nur weil sie versucht haben zu überleben und sich deswegen mit den ehemaligen Herrschern und deren Glauben arrangiert haben. Eine Geisteshaltung für die IHR am Ende Schuld seid, da ihr sie überall predigt.‘ (Rhys)

„Wie kann sich ein Kind in der Obhut einer Schlafenden befinden? Ist es nicht eher so, dass auch die Trauer des Barons ebenfalls zu keiner objektiven Betrachtung der Umstände führt?“, fragte Maeve provozierend mit den Worten der Geweihten. „Und offensichtlich kann es mit Recht, Gesetz und der von Euch beschworenen Göttlichen Ordnung nicht so weit her sein, wenn Tsalinde in Gefangenschaft verstarb, weil IHR, Hochwürden, Euch zu viel Zeit gelassen habt, die Umstände aufzuklären. Ist es nicht so, dass auch Ihr nicht objektiv sein könnt und vor Praios gefehlt habt? All die Ereignisse können Euch und den diversen Praiosgeweihten angelastet werden, die nicht in der Lage waren, die Wahrheit zu erkunden, für Gerechtigkeit zu sorgen und das nun Geschehene zu verhindern!“, Maeves Stimme war schneidend geworden – Wut beherrschte sie und ließ sie trotz ihrer Jugend mit der strengen Stimme Praiotruds gleichziehen. (Maeve)

Praiotrud sah die junge Novizin überrascht an. Dann verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. „Wir haben wenig an das wir uns halten können in dieser Welt. Daher sandte uns Praios, der Fürst aller Götter, die Gesetze, welche die Ordnung in dieser Welt garantieren. Sie sind nicht dafür da, jeden Einzelnen zu schützen, sondern die Ordnung in der Welt aufrecht zu erhalten. Sie steht über dem Glück oder Unglück jedes einzelnen Individuums. Für diese Ordnung sterben Menschen in Kriegen. Sie opfern ihr persönliches Glück für den Frieden und für eine Weltordnung, die UNS ALLE schützt. Diese Welt und diese Ordnung in ihr würde zerstört, ja‚ ZERMALMT, fingen wir an, mit jedem Gesetz das Glück jedes Einzelnen garantieren zu wollen. Garant für die Weltordnung, die Praios geschaffen hat, ist unser Wissen und unser WILLE anzuerkennen, dass wir nur ein unbedeutender Teil in dieser Welt sind und unseren Teil zu leisten haben, damit die Weltordnung bestehen bleibt.

Dies kann zum Schaden eines Individuums sein. Ja. Ist das bedauerlich? Womöglich! Aber NIEMALS ist in Frage zu stellen, dass es nötig ist!! Wir brauchen Ordnung und Gesetze, die gelten, wenn sie uns – mit unserer beschränkten menschlichen Sicht - auch mitunter ungerecht erscheinen. Sie dienen stets dem Höheren. Der Weltordnung. Den Göttern.

Und vergesst bei allem nicht, dass der Frieden für Tsalindes unsterbliche Seele nicht von etwas unbedeutendem wie der Art ihres Todes in Mitleidenschaft gezogen wird.“

Das „ich möchte wetten das ihr das ein großer Trost gewesen ist in dieser Gewissheit zu verrecken“, entfuhr dem Magus mit reichlich Sarkasmus noch bevor er in der Lage war sich selbst zu zügeln. (Rhys)

Wütend sah die die Alte zu Rhys hinüber. Was war nur aus den Nordmarken geworden. Überall im Reich bewunderte man die Praiosgefälligkeit ihrer Heimat. Doch hier in der Mitte des Herzogtums machten sich anarchistische Zustände breit. Individualismus und Aufmüpfigkeit – wo waren sie nur hingekommen. Wo waren die guten alten Zeiten? „Hat der Krieg euch etwa auch noch eurer Manieren beraubt, Zauberer!“, herrschte sie ihn an.

Sie waren hier – in einem Haus ihres Herrn. In IHREM Haus des Herrn. Und diese aufmüpfigen Grünschnäbel missachteten ihr Hausrecht, alle Regeln der Höflichkeit und die Weltordnung schien ihnen auch zu missfallen.

Quindan hingegen war nach Rhys Kommentar wieder in sich zusammengesunken und hatte seine Hände vor das Gesicht geschlagen. Stille Schluchzer hoben seine schmächtigen Schultern, während die Praiotin erbost fortfuhr.

„Bei all euren Eingaben solltet ihr zwei Fakten bedenken: Zum einen geht es hier nicht um ein eventuelles Vergehen des Barons gegen ein Gesetz. Dies wurde überdies bereits geprüft. Aber es steht euch frei, es an anderer Stelle erneut und erneut und erneut zu versuchen. Das Ergebnis wird dasselbe sein. Aber - wie gesagt – darum geht es nicht! Es geht hier um einen Anschlag auf das Leben MEINER NICHTE! Der Baroness Prianna von Keyserring.

Zum anderen, war es eben genau diese Tochter meines Neffen, die sich vehement gegen die Inhaftnahme von Tsalinde Dornschneider ausgesprochen hat. Sie hat sich bei ihrem Vater dafür eingesetzt, sie anderswo unterzubringen. Ihr einen Heiler zu schicken. Und letztendlich einen Geweihten der Peraine in die Kerker geschickt.“ Mit diesen immer härter gesprochenen Worten wurden die Schluchzer des TSApriesters heftiger, wenngleich immer noch kein Ton über seine Lippen drang. „Nun. Zu dem Zeitpunkt war es freilich bereits zu spät. Dennoch… Ist es eure Vorstellung individueller Gerechtigkeit den einzigen Menschen zu töten, der alles daran gesetzt hat, eure Tochter zu retten?“ Wandte sie sich an Quindan, der nun leise weinte, schamvoll in sich selbst versunken: „Oder eurer?“ wandte sie sich an die anderen Anwesenden. Kampfeslustig funkelte sie aus ihren alten trüben Augen.

„Offensichtlich versteht Ihr nicht, Hochwürden, worum es mir geht! Es geht nicht mehr nur um die scheinbar bewiesene Schuldfrage von Quindan – und ich weiß nicht, was individuelle Gerechtigkeit sein soll.

Es geht um Gerechtigkeit – nicht mehr und nicht weniger. Und auch wenn IHR Euren Anverwandten großmütig von jeglicher Schuld freisprecht, so tut es eine höhere Macht wohl nicht und hat ihn für sein Tun büßen lassen.

Ihr mögt zwar predigen, dass Tsalinde für das höhere Wohl einer Weltordnung gestorben ist, um Eure eigene Schuld an den Vorkommnissen zu rechtfertigen. Aber tatsächlich ist es doch so, dass Ordnung, Recht und Gerechtigkeit Vorbilder brauchen, wenn sie nicht den Keim zum eigenen Untergang in sich tragen sollen. Und als Vorbild habt ihr gefehlt – Ihr könnt mich nicht Glauben machen, dass der Tod Tsalindes irgendeinen tieferen Sinn gehabt hat – Willkür war der Grund und wird durch Eure Worte nur verschleiert!

Die Einzige, die sich vor den Göttern hervorgetan hat, dürfte also Eure Nichte sein – und deshalb ist auch nicht sie versehrt worden!“ (Maeve)

‚Lasst doch einfach einmal die Götter aus dem Spiel!‘ Rhys kochte innerlich. ‚Jeder Mensch war für sein Handeln selbst verantwortlich. Schließlich hatte ein jeder einen eigenen, freien Willen. Warum konnten das diese verfluchten Narren nicht akzeptieren?

Quindan hatte Unrecht getan und damit als Diener Tsas gefehlt- aber ganz sicher nicht in ihrem Sinne oder von Tsa geleitet gehandelt. Dieser Gedanke war absurd!

Sein Motiv ergab sich aus einem Sachverhalt, der aus seiner subjektiven Sicht heraus ebenfalls eine Ungerechtigkeit war, jedoch bisher nicht geahndet wurde. Einen Schwachpunkt gab es jedoch in der Argumentation des Praioten.

Der Magus riss sich zusammen, schluckt seinen Zorn und reduzierte seine Gedanken auf das Wesentliche. „Das einzige was hier diskutiert werden kann ist die Frage der Objektivität. Befangenheit wegen familiärer Bindung ist durchaus ein Ansatzpunkt, um eine Neuverhandlung zu erwirken. Meine Worte sind jedoch weder eine Wertung noch eine Empfehlung.“ (Rhys)

Praiotrud sah ein wenig sprachlos die junge Rahjadienerin an. Wie konnte sie erwarten, dass eine Dienerin der Schönen, eine Albernierin obendrein, verstehen würde, was die Weltordnung zusammen hielt. Sie biss die Zähne zusammen und richtete ihren Blick dann auf den Magus. „Wir sprechen hier aktuell lediglich über die der Kirche der jungen Göttin offenstehenden Möglichkeit ihre Geweiht en aus der weltlichen Gerichtsbarkeit auszulösen. Weder wird dabei eine juristische Bewertung vorgenommen, noch handelt es sich um ein Gerichtsverfahren. Wenn es zu einer Einigung zwischen dem Baron oder seiner Vertreterin und der TSA-kirche kommt, wird eine Auslöse stattfinden. Falls nicht, werde ich mich selbstverständlich darum kümmern, dass alles formaljuristisch korrekt zugeht.“ Sie warf Maeve einen strengen Blick zu: „Das ist schließlich das, was Gerechtigkeit garantiert.“

Sie atmete einmal tief durch und schaute dann über die Köpfe der Gruppe Richtung Tür. Dort war der Lockenkopf des zweiten Hofkaplans - des Rahjageweihten Rahjan Bader - aufgetaucht, der freundlich in die Runde lächelte und das Wort ergriff.

„Die Baroness bat mich, euch hier abzuholen und ins Schloss zu führen.“ Praiotrud entfuhr ein spontaner Laut der Erleichterung, den sie mit einem strengen Stirnrunzeln zu überspielen versuchte. „Die Küche hat ein reichhaltiges Abendessen für euch bereitet. Ihr müsst hungrig sein.“

Und wie zur Bestätigung knurrte der Magen des älteren Zwergs. Rahjan lächelte und wandte sich dann den beiden TSA-priestern zu: „Ihr werdet nach dem Essen mit mir ins Badehaus kommen. Dort befindet sich der Rahjaschrein und einige Gästeräume. Dort werdet ihr untergebracht, bis alles weitere geklärt wurde.“ Praiotrud atmete erbost ein, sagte aber nichts weiter zu dieser unsäglichen Entscheidung: „Sicherlich, euer Gnaden, nehmt sie mit. Ich bin mit der Zeugenbefragung ohnehin AM ENDE.“ Erklärte Praiotrud eisig.

Was sich dieser Badersohn immer herausnahm. Liederliche Sitten waren ins Schloss eingekehrt. Und er förderte das noch.

Sie machte eine entlassende Geste mit der Hand. „Ich wünsche euch allen einen guten Appetit.“ Sagte sie zum Abschied, obgleich es so klang, als würde sie einigen wünschen, dass ihnen das Mahl im Halse stecken bliebe.

*

Die Gruppe war entlassen und wurde von dem Rahjapriester ins Schloss geführt, während er sich bei der jungen Novizin einhakte und in lockerem Plauderton mit ihr sprach. „Rozen hat sich bis in die frühen Morgenstunden um die Baronin gekümmert, die der Anschlag auf das Leben ihres Mannes sehr mitgenommen hat. Heute Vormittag war sie selbst noch zu aufgewühlt, auch etwas zu besorgt um dich, als das sie schnell Schlaf gefunden hätte.“ Erzählte er der jungen Frau: „Sie ist erst vor wenigen Stunden eingeschlafen. Ich habe sie noch nicht geweckt. Falls ihr allerdings möchtet, werde ich das veranlassen?“

„Nein“, gab Maeve schlicht und mit brüchiger Stimme zurück. Das Ende der Besprechung war für sie wie ein Schock gewesen und nach all den Ereignissen wirkte Rozens Handeln, durch Rahjans ruhige Worte beschrieben, nun seltsam mahnend. Ihre Mentorin beschritt den Weg, den Maeve selbst vor ihrer Ankunft in Eisenstein für ihren eigenen gehalten hatte – doch nun begriff die junge Albernierin, dass sie nach der Erscheinung am Wasserfall weit davon abgekommen war: Vergebung, das Abenteuer im Tal, der alte Tempel, die Konfrontation mit Rhys, der Kuss, die Nacht mit Yolde und die Begegnung mit Quindan... All diese Ereignisse stellten ihr bisheriges Leben im Dienste der Göttin in Frage. Sie zweifelte angesichts des passiven Handelns von Tassilo, ob der Weg eines Götterdieners der Lieblichen noch der ihre sein konnte, und Unbehagen ergriff sie, wenn sie an die unausweichliche Begegnung mit Rozen dachte. Kurz sah sie zu Yolde hinüber, die Quindan stützte und blickte dann wieder Rhajan an: „Geht es der Baronin besser?“ (Maeve)

Er nickte erst und dann legte sich ein klein wenig Traurigkeit über seine Miene. „Leider nein. Doch das habe ich nicht erwartet. Sie hat den Tod ihres Sohnes nicht verwunden und ihren Mann am Rande des Todes zu sehen, hat, denke ich, diese Wunde wieder gänzlich aufgerissen.“

Dann sah er Maeve im Gehen von der Seite an. „Wie geht es dir denn? Es war ja doch einiges, dass du in so wenigen Stunden erlebt hast.“ Er lächelte sie freundlich an. Auffordernd. Er bot eine Tür. Aber überließ es ihr, wann und ob sie hindurch treten würde. Aber sie spürte, dass er da sein würde, wenn sie Rat und Beistand bräuchte. (Rahjan)

„Ich weiß es nicht. Ich meine, ich weiß nicht wie es mir geht – und du hast recht, es ist soviel passiert. Gerade glaube ich, dass zu viel passiert ist. Vielleicht brauche ich noch etwas Zeit, um all das für mich zu ordnen...“ (Maeve)

Borindarax von Nilsitz sah von einem zu anderen, als die Gruppe die Praiosgeweihte verließ.

“War es das und wie geht’s jetzt weiter?” Fragte der noch junge Zwerg sichtlich unzufrieden über das zurückliegende Gespräch. “Wer wird nun Recht sprechen?”

Er zuckte mit den Schultern. “In Isnatosch entscheidet der Rogmarog, wird dabei aber von einer Gruppe von entsprechend ausgebildeten Angroschim beraten, ebenso von der Priesterschaft des Angroschs, wenn es ihre Belange tangiert bzw. alte Gesetzestexte betrifft, die ausgelegt werden müssen.”

Borax schüttelte den Kopf und brachte dann den Punkt vor, der ihm am meisten irritierte. “Macht ihr ernsthaft einen Unterschied, weil es um einen Geweihten geht? Haben sie bei euch mehr Rechte, werden möglicherweise milder bestraft als ‘gewöhnliche’ Menschen?” (Borax)

Nach der enttäuschenden Wendung Quindan betreffend hatte sich Lares mit Mühe aus dem Gespräch herausgehalten. Dass der Magier in einer eigenen Welt lebte und Autorität nicht anerkannte, das hatte er sich ja bereits gedacht. Maeve allerdings schien zu träumen. Wie sollten denn Menschen wie er, wie der Baron, sogar wie die Geweihtenschaft des PRAios unfehlbar die Wahrheit finden können? Zwar war jedem adligen Blutes vom Herrn der Sonne das besondere Privileg geschenkt, Recht zu sprechen und in seinem Namen Unrechtes zu ahnden, doch war sich der junge Jurist wohl bewusst, dass Wahrheitsfindung nur für das allsehende Licht des Herrn ausnahmslos erfolgreich sein konnte. Deswegen brauchte es ordentliche, althergebrachte Verfahren! Und deren Regeln mochten zwar manchmal ungerecht erscheinen, aber waren der einzige Garant dafür, dass nicht vollkommene Willkür Einzug hielt. Und trotzdem nagte an dem jungen Mann der Zweifel – am Ende des Tages, wenn das Licht der Sonne schwand und Borons Schweigen das Land bedeckte hatte hier ein „ordentliches Verfahren“ Leben und Schicksale zerstört. Wem sollte deswegen ein Vorwurf gemacht werden können? Und wer sollte die harten Worte der schönen jungen Priesterin für falsch befinden? Diese Frau brachte ihn noch um den Verstand – das wusste er. So blieb er stumm und starrte stattdessen Löcher in ihren Hinterkopf.

Aus seiner Starre erwachte er erst durch das Gebrummel der beiden Zwerge. Ausflüge in das zwergische Rechtssystem hatte er noch nicht gemacht, aber in den eigenen Landen, da kannte er sich aus. Im Wissen seiner eigenen Rechtskenntnis fand er Sicherheit auch in anderen Lebenslagen. Das verdrängte die eigenen Zweifel, wenn man schlau tun konnte. Deshalb trat er zu den beiden Angroschim hinzu und drängte sich nassforsch in das Gespräch. „Mehr Rechte würde ich das nicht nennen. Ein anderes Verfahren steht ihnen allerdings zu. Dies ist so schon von alters her: Den besonderen Ständen der Magister und der Geweihtenschaft steht es zu, die Verfehlungen ihrer Angehörigen nach eigenem Recht und eigenen Mitteln zu bestrafen. Für die Geweihtenschaft ist eine Auslöse aus der Gerichtsbarkeit des jeweiligen Landesherrn erforderlich. Damit ist aber keinesfalls gesagt, dass die Strafe weniger hart ausfiele – glaubt mir, die Urteile der Standesgerichte fallen manches mal deutlich strenger aus, da auch die Stände nach außen Gesicht und Dogmen wahren wollen. Der Herr PRAios verlangt allein, dass Recht gesprochen und der Rechtsbruch gesühnt wird – von wem ist dabei im Rahmen der zwölfgöttlichen Ordnung nachrangig.“ (Lares)

Der Vogt schüttelte den Kopf. Für ihn schien die Aussage des Knappen nicht überzeugend zu sein.

“Das diejenigen, die über die Drachenmacht verfügen ebenfalls ein eigenes Gremium besitzen, dass über sogenanntes Gildenrecht entscheidet, habe ich bereits gelesen- verstehen tue ich es dennoch nicht. Man sollte keine Unterschiede machen”, befand er mit Nachdruck und schnaubte im Anschluss. “Es hat wohl seinen Sinn, dass wir uns nicht eurem Rechtssystem unterworfen haben. Ein Hoch auf die Lex Zwergia!” (Borax)

„Bitte versteht mich nicht falsch, aber auch das ist ein Unterschied im Verfahren, oder etwa nicht? Die Lex Zwergia hat eine lange und aufrechte Tradition und garantiert die Unabhängigkeit Eures Volkes, aber Ihr werdet mir wohl beipflichten, dass Angroschim dieselben Verbrechen begehen können wie sie Menschen begehen.“ Der Knappe legte den Kopf leicht schief. „Und doch seid ihr froh über diese Unterscheidung: Weil Ihr den Unterschied zwischen Zwergen und Menschen erkennt – die Lebensweise, die Weltanschauung und die Herrschaft. Die gleichen Erwägungen stehen hinter der Gerichtsbarkeit der Geweihten und der Magier.“ Beim letzten Wort musste Lares kurz schmunzeln ob der Formulierung, die Borax gewählt hatte – für ihn war die Abschätzigkeit des Zwergs Musik in seinen Ohren. „Beide Stände leben nach anderen, besonderen Regeln und sind anderen Mächten unterworfen. Sie repräsentieren, wenn Ihr so wollt, jederzeit ihren jeweiligen Stand. Das macht sie ‚anders‘.“ (Lares)

„Ich sehe darin eher den Schutz meiner Rasse vor Willkür“, gab der Zwerg bissig zurück. „Ich kann frei meine Meinung sagen, ohne dafür gleich wegen Nichtigkeiten angeklagt zu werden. Wir besitzen eben eine andere, viel ausgeprägtere Streitkultur als ihr.“ Borindarax atmete tief ein.

Ruhiger fuhr er fort. „Darüber hinaus verstehe ich durchaus das Konzept hinter der Teilung der Gerichtbarkeit. Das ändert aber nichts daran, dass ich sie für falsch erachte. Ungleiche Behandlung führt auch immer zu Unmut. Es sollte eine Gerichtbarkeit geben, die über alle Menschen richtet. Das schließt ja keineswegs aus, dass es Gesetzestexte geben kann, die die speziellen Paragraphen enthalten, welche Gildenrecht und Kirchenrecht abbilden.

Ich sehe das Problem einzig in der Mehrzahl der Instanzen“, fasste der Vogt seinen Standpunkt zusammen. (Borax)

In Gedanken war Tassilo das Gespräch über abgeschweift. Grundsätzlich waren die Menschen gleich und zugleich auch wieder nicht. Mann und Frau waren gleich, aber nur wenn sie dem gleichen Stand angehörten. Ein Unfreier durfte über sein eigenes Leben nicht gebieten. Wo er wohnte, wen er heiratet oder was er lernte bestimmte der Herr. Freie auf dem Land oder als Bürger in der Stadt durften über ihren Lebensweg frei entscheiden, waren jedoch durch ihre Lebensumstände begrenzt. Über ihnen stand der Adel, von den Göttern erwählt zu Führen, zu Schützen und Recht zu sprechen. Soweit die generelle Theorie, Magier und Geweihte sollten jedoch eine Ausnahme bilden – erfahrungsgemäß konnte es jedoch nicht Schaden dem Adelsstand anzugehören. [Tassilo]


<a name="_6kbcl16vgxkm"></a> Jedem seine Erfahrungen

Nach dem Essen war Ise im Schloss aufgetaucht. Sie sah müde aus, aber ihre Augen leuchteten als wäre der Schalk hinein gefahren und sie wirkte auf erstaunliche Art erfrischt und ... fröhlich. Zu Yoldes Unmut hatte die alte Geweihte Elgor, Sulvana, Ful und Grif mitgebracht. Ise stellte sie gegenüber Praiotrud als vier Akuluthen der Tsakirche vor, die sich bekennen wollten, mit Yolde gemeinsam die Schmierereien an die Gemälde und Skulpturen geschmiert zu haben. Wütend hatte Yolde erst die Praiosgeweihte angefunkelt, als diese sie zufrieden angelächelt hatte, und sich dann mit ihren Freunden gestritten.

Sie hatten doch entschieden, dass Yolde die Schuld auf sich nähme, sollte es jemals zu einer solchen Situation kommen?

Borix verabschiedete sich nach dem Essen rasch, um seiner Frau von seinen Erlebnissen zu erzählen. Ein junger Novize, der im Moment von Rahjan ausgebildet wurde, hatte sich angeboten, dem älteren Tsageweihten die müden Muskeln zu lockern. Quindan war gerne darauf eingegangen. Die letzten Tage hatten ihm alles abverlangt. Alles.

Ruhe und Harmonie, die der Rahjani ihm geben mochte, waren das, was er brauchte.

Rahjan selbst lud die übrigen der Gruppe ins Badehaus ein. Er empfahl ein heißes Bad, eine entspannende Massage oder einen ruhigen Spaziergang im Garten.

Ise saß auf den Stufen des Badehauses. Die Harmonie des Rahjaschreins hatte sich um sie gelegt und sie lächelte still in die Wipfel der Bäume, die aus den Tiefen der Wälder herausragten. Der Abend starb und mit ihm der Tag. Yolde war erbost auf sie zugestapft. Die anderen vier „Schmierfinken“-wie die alte, verbohrte Praiotin sie genannt hatte - waren bei Verwandten im Ort untergekommen.

„Soviel Feuer, meine Liebe?“ Ise klopfte neben sich auf die Stufe. Und Yolde liess sich schnaubend nieder: „Wieso hast du sie mitgebracht. Es ist gefährlich!“ Herrschte sie die alte Frau an, wenngleich man ihr Bemühen bemerkte, sich zurück zu halten. Ises kleine, runzlige Hand legte sich behutsam auf Yoldes Knie: „Du möchtest Veränderung erzwingen. Aber manchmal muss man ihr einfach nur Raum geben.“

Yoldes Hände verkrampften sich, doch ehe sie etwas erwidern konnte, hatte Ise ein Prisma aus der Tasche gezogen und ließ es nun vor den Augen der anderen baumeln. „Dein Leben wird dich noch weit führen. Da bin ich sicher. Vielleicht wirst du eines Tages an dem Punkt sein, an dem ich bin.“ Die alten Finger fuhren durch den Regenbogen, der sich vor Yoldes Augen zeigte.

„Was ist Wahrheit, Yolde? Was bedeutet Gerechtigkeit? Hast du Recht, wenn du Gerechtigkeit willst und die vielen rahjanischen Kunstwerke zerstörst? Hat Praiotrud recht, die stets von...“, die Alte überlegte kurz… Kramte in ihrem Gedächtnis: „‘Formaljuristischer‘ Korrektheit spricht? Hat Quindan recht, wenn er Rache will? Oder gar der Baron?“ sie tippte das Prisma an und ließ den Regenbogen so vor Yoldes Augen tanzen. „als er Tsalinde einsperren ließ, weil sie nicht darauf geachtet hatte, was seine Kinder nachts machten?“

Yolde schnappte nach Luft und starrte in den tanzenden Regenbogen vor ihren Augen. „Versuche das zu ergründen.“

Und Ises Zeigefinger glitt durch die Luft und bewegte sich vor dem Prisma auf und ab.

„Das Wirkliche. Das Wahre. Wir können es nicht sehen. Nur das.“

Und ihr Finger glitt auf der rückwärtigen Seite des handtellergrossen Steins durch die Strahlen des Regenbogens.

„Manche Menschen werden niemals mehr als eine Farbe sehen. Nur den einen Teil der Wahrheit, den sie sehen wollen. Nur den einen Aspekt von Gerechtigkeit, der in ihre Sicht auf die Welt passt.“ Sie nahm sachte Yoldes Hand. „Aber womöglich ist es besser, wenn wir den ganzen Regenbogen im Auge behalten. Ein besseres Bild der Wahrheit werden wir niemals bekommen. “

Rahjan lehnte am Eingang des Badeshauses als die beiden Tsageweihten ihr Gespräch führten. Er hörte ihnen zu und blickte über die Baronie hinweg. Ins Tal. Und lächelte. Als Maeve auf ihn zutrat, zog er sie sacht in eine leichte Umarmung.

Sie genoss seine achtsame Berührung und erkannte, dass sie sich nach Rozens tröstender Umarmung gesehnt hatte. (Maeve)

Mit der freien Hand deutete er über die Aussicht: „Wunderschön nicht wahr?“ (Rahjan)

Sie folgte seinem Blick über das Tal und den über dem Wasserfall aufsteigenden Dunstschleier in dem sich das Licht brach – so als ob dort ein Prisma schwebte und nicht hier in Ises Hand pendelte. Maeve spürte deutlich, dass (Maeve)

Rahjan gelöst und entspannt zu sein schien. Als wäre etwas passiert, das ihm überaus gut gefiel. (Rahjan)

<a name="_1fob9te"></a>Seine Stimmung griff langsam auf sie über, während die Novizin den Blick über dieses perfekte Gemälde des Tals gleiten ließ. In dem Durcheinander, dass aus ihrem Leben binnen eines Praioslaufs geworden war, vermochte sie wieder etwas Frieden zu spüren und war dankbar dafür. Still rannen ihr Tränen übers Gesicht und fielen schwer auf Rahjans Arm – doch sie sagte kein Wort.

Nach einer innigen Weile fragte sie leise und vertraulich: „Woher nimmst du die Kraft und die Einsicht, das Richtige zu tun? Die Göttin weist uns nicht immer den Weg. Wie entscheiden wir, welcher der Richtige ist und welcher nicht?“ (Maeve)

Rahjan zog die junge Frau einen Moment ein Stückchen näher, ließ ihren schmalen Körper aber sofort zurück gleiten. Er schwieg zwei Atemzüge lang. Lächelnd. Er dachte an Rike und an Vieskar. Seine Freunde. Nicht Freunde des Glaubens. Freunde des Herzens. Dann deutete er auf die junge Tsageweihte. Er hatte geglaubt eine Verbundenheit zwischen den beiden jungen Frauen zu spüren, auf die er nun hinwies: „Denkst du denn, dass es einen einzigen richtigen Weg geben muss?“ (Rahjan)

„Nein, du hast sicher Recht – es gibt nicht nur einen Weg. Aber doch eine Richtung zu Rahja in die unterschiedliche Wege führen.“

Kurz fiel sie in Schweigen und hob dann wieder an: „In den letzten Stunden bin ich kaum dem Weg der Harmonie gefolgt, wie mir gelehrt worden ist. Im Gegenteil – ich habe vielleicht das erste Mal geliebt, um meiner Selbst willen und die Gebote der Herrin gebeugt oder sogar gebrochen, habe mit Leidenschaft argumentiert und Partei ergriffen. All das wurde mir gewährt, da Rozen nicht zugegen war und Tassilo mir nicht Einhalt geboten hat...

<a name="_3znysh7"></a>Ich fühle Wut auf mich selbst und Enttäuschung über Tassilo, dass er als Geweihter und Vorbild so wenig beigetragen hat. Aber ohne ihn und sein Verhalten würde ich nun auch nicht mit dir reden – und dir meine Zweifel mitteilen können…

Tatsächlich weiß ich gerade nicht, ob ich noch der Richtung der Göttin folge, denn all mein Streben kommt mir so sinnlos vor, da sich nichts verändert hat. Nicht zum Besseren zumindest. Aber vielleicht ist auch das die Prüfung… eine des Glaubens... immerhin vermochte auch Rozen der Baronin nicht zu helfen…?“, unsicher blickte sie Rahjan an. (Maeve)

<a name="_2et92p0"></a>Dieser wand den Kopf sachte in ihre Richtung und musterte Maeve lange aus unergründlichen Augen. Es schien, als würde er nicht nur auf eine warme und behutsame Weise ihre Augen betrachten, sondern auch ihr Wesen ergründen wollen.
Als er das Gesuchte gefunden zu haben schien, begann er, ohne den Augenkontakt zu verlieren, sanft zu sprechen: "Mein Meister sagte einmal zu mir: 'Rahtschan'". Er hob belehrend den Zeigefinger der freien Hand und betonte seinen eigenen Namen mit einem gespielt scharfen und übertriebenen tulamidischen Akzent. Weich und akzentfrei fuhr er fort, als er die Hand wieder senkte: "In der Finsternis wird selbst der kleinste Funke zu einem Leuchtfeuer. Und so sind es nun auch die dunkelsten Stunden, in denen das Schönste im Menschen aufflammt. Diesen Moment zu erkennen, birgt für uns die Möglichkeit, einen unverschleierten Blick auf seine Seele zu werfen. - Und jetzt steh' auf du versoffener Ackergaul, die anderen trainieren bereits seit vier Stundengläsern." Er musste aufgrund der Erinnerung unweigerlich grinsen und richtete seinen Blick wieder über das Tal. Liebevoll und ohne Spott ergänzte er: "Der alte Bock hatte es schon wirklich nicht leicht mit mir."
Noch schmunzelnd fuhr er fort: "Weißt du, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese Funken zu sammeln. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen verhält es sich mit der Schönheit nämlich so, dass sie sich durchs Teilen mehrt. Dieser wunderschöne Ausblick hier vor uns wird für mich nicht weniger schön, weil du ihn mit mir teilst. Im Gegenteil. Er wird durch deine Gegenwart sogar schöner." Er zog sie noch einmal sanft an sich, um das Gesagte zu unterstreichen.
Ein weiterer Augenblick angenehmer Stille verstrich, bevor Rahjan in überraschend ernstem Ton weitersprach: "Jeder Mensch ist schön, Maeve. Und jeder Mensch hat es verdient, geliebt zu werden, egal wer er ist oder was er getan hat. Doch es sind leider oft erst die dunklen Momente, in denen wir das erkennen. Die schöne Göttin liebt uns alle. Bedingungslos. Und somit sollten auch wir dies zumindest versuchen. Das ist nicht immer leicht." Einen Herzschlag blickte er in die Leere. Seine Stimmung hellte sich jedoch schlagartig auf, als er sie wieder anschaute. Er wischte ihr sanft eine halb getrocknete Träne von der Wange - wie als Ausgleich zu der, die er nun selbst verlor. "Aber gerade das ist ja auch das Schöne an der ganzen Sache. Es ist in Ordnung, Fehler zu begehen. Es ist in Ordnung, zu straucheln und vom Weg abzukommen. Es ist sogar wichtig für unsere Entwicklung und unabdingbar für unser Vorankommen. Jeder Fehlschlag und jedes Versagen gibt dir die Chance auf einen neuen Funken. Und ob es dann dein eigener oder ein fremder ist, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist nur, dass du sie erkennst und nutzt. Wenn du das verstanden hast, und du gelernt hast, dir selbst und anderen zu vergeben, dann wirst du einen bedeutenden Schritt weiter sein. Weiter als ich in deinem Alter. Sieh die Welt, wie sie ist. Die Welt ist hart. Und die Welt ist schön. Liebe! Hasse! Fühle! Das alles gehört nun mal dazu. Ich selbst bin gerade sehr glücklich. Ich habe in den vergangenen dunklen Stunden einen besonders kleinen Funken gefunden." Mit einem verschwörerischen Grinsen beugte er sich zu ihrem Ohr und flüsterte: "Das sind die wertvollsten."
Rahjan bedachte Maeve mit einem zärtlichen Kuss auf die Schläfe und beobachtete dann schweigend ein paar Blätter, die das Tal tanzend herab wirbelten. (Rahjan)

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Die Novizin folgte seinem Blick und den Blättern, die immer kleiner wurden und schließlich außer Sicht kamen. Für einen kurzen Augenblick fühlte sie sich wie diese Blätter – getrieben vom Wind, in diesem anmutigen Reigen gefangen und so schön wie Rahjan es jedem Menschen zugesprochen hatte.

Und doch waren die Blätter den Elementen ausgeliefert. Ohne Willen, ohne Wahl.

Und sie, Maeve, hatte in diesem letzten Praioslauf oft gewählt - oder war gewählt worden: Ihre Visionen am Wasserfall, das Gefühl von Vergebung inmitten gemeinsamer Musik, Yolde...

Maeve wusste nicht, ob sie selbst mit dem kleinen Funken gemeint war, aber sie begriff, dass Rahjan ihr gerade einen bedeutsamen Weg gewiesen hatte. Obwohl er ihr nicht so nah stand wie Rozen, ahnte sie langsam, dass Nähe nicht immer notwendig war, um von anderen zu lernen – über sich selbst zu lernen.

Auch Yolde hatte sie nicht gekannt, bevor sie gemeinsam die Nacht verbracht hatten. Gerade diese Nacht aber ließ sie zweifeln, ob sie im Stande war, der Göttin ihre bedingungslose Liebe zu schenken: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich so weit bin, wie du vielleicht glaubst, Rahtschan.“

Aufgrund ihrer Mentorin kam ihr das Tulamidya leicht über die Lippen – ganz im Gegensatz zu dem nun wieder mit Macht zurückkehrenden Durcheinander in ihrem Inneren: „Ich fühle mich gerade dazwischen… durcheinander... ohne Orientierung. Ich ...weiß zwar, dass...“.

Sie brach ab und begann nochmals von vorne: „...ich habe erst hier auf Eisenstein unter dem Wasserfall das erste Mal gelernt, was Ekstase heißt, als sich mir die Herrin in buntem Licht inmitten der kalten Wasser offenbarte und mir einen Kuss schenkte. Dort sprach sie von ihrem Weg, und dass er in meinem Herzen zu meinem wird, wenn ich mich für das Neue oder das Bekannte entscheide. Und dann hörte ich eine andere Stimme, die mir verhieß, in Güte der silberweißen Schwänin zu folgen.

Das war das letzte, bevor ich dem Tode nah war…, in kaltem Wasser gefangen, konnte ich dem Meer entkommen und auf eisbedecktes Land treten, mein Blut und meine Tränen fielen mir zu Füßen in den Schnee.“

Sie hielt einen kurzen Moment inne: „Danach bin ich wohl von Lares und Rozen gerettet worden und konnte später tatsächlich das erste Mal vergeben, was damals im Krieg geschehen ist.“

Schlicht sagte sie ohne Groll: „Damals ist meine Familie getötet worden und gestern konnte ich das loslassen. Sonst hätte ich nicht Flöte spielen können am Konzertplatz.“

Maeve nickte langsam: „Es ist wie du sagst – die Liebe der Herrin hat mich begleitet, durch Rozen, durch Yolde und heute durch dich.

Aber jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll oder tun kann. Für Quindan, für Yolde, die Baronin und vielleicht auch für mich selbst“. (Maeve)

"Will man seine eigenen Probleme lösen, ist es manchmal der Beste Weg, zunächst die Probleme eines Anderen zu lösen. Doch willst du hingegen die Probleme eines Anderen lösen, löse zunächst die Eigenen." Rahjan blickte Maeve mit diesen Worten wieder sanft an.

"Das mag zunächst verwirrend und widersprüchlich klingen, aber es ist eigentlich ganz einfach. Du fühlst dich innerlich zerrissen. Du bist, wie du gesagt hast, orientierungslos und weißt noch nicht so recht wo dein Platz ist. Und zusätzlich versuchst du auch noch, die Probleme der Anderen zu lösen. Ein ehrbares Anliegen, doch ich muss dir sagen, dass es zum Scheitern verurteilt ist. Um Anderen zu helfen, musst du dich auf dich selbst verlassen können."

Er machte eine kurze Pause, um das Gesagte einsinken zu lassen. (Rahjan)

Maeve erkannte die Wahrheit eines Ideals in den Worten Rahjans und wusste dennoch, dass es möglich war, anderen zu helfen oder beizustehen, selbst wenn man selbst nicht ganz war. Sie hatte es immer als Gnade der Götter genommen, dass sie trotz der Last, die sie trug, auch anderen zu helfen vermochte – es schien ähnlich wie ihr Gedanke, dass Nähe nicht unbedingt notwendig war, um von anderen zu lernen. Dennoch war natürlich derjenige, der in sich selbst ruhte, Herausforderungen eher gewachsen, als ein belasteter Mensch – und das galt natürlich insbesondere für eine angehende Rahjageweihte. (Maeve)

"Weißt du, manchmal ist die einfachste Lösung zugleich die schwierigste.

Lass es mich dir erklären: Quindan und Yolde darfst du in der aktuellen Situation nicht helfen. Sie haben etwas Falsches getan und müssen jetzt die Konsequenzen dafür tragen."

Als sie instinktiv aufbegehren wollte, (Maeve)

erhob e r bel ehrend den Zeigefinger, um nicht unterbrochen zu werden. "Das ist der Preis dafür, dass wir immer eine Wahl haben, in dem was wir tun. Der Baronin hingegen, kannst du nicht helfen. Die Last, die auf ihr liegt, ist zu groß für deine Schultern. Für diese Art von Seelsorge bist du noch nicht bereit. Und wie du dir selbst helfen sollst, weißt du in all dem Schlamassel auch nicht.

Was du nun tun kannst, ist abwarten. Nichts tun ist sehr leicht und gleichzeitig scheinbar unendlich schwierig. Das Gefühl der Hilflosigkeit wird dir im Leben vermutlich noch öfters zuteil werden. Akzeptiere dieses Gefühl, doch lass dich nicht davon überwältigen.

Nachdem diese unangenehme Wahrheit erst einmal raus ist, nun die gute Nachricht: Du musst das nicht alles alleine bewältigen. Du hast Freunde, die dich in deinem Vorhaben unterstützen können und offensichtlich sind auch die Götter auf deiner Seite. Selbst Fremde kannst du um Hilfe fragen, wenn sie dir freundlich gesonnen sind. Du bist zu mir gekommen und ich möchte dir deshalb auch etwas von deiner Last abnehmen. Die Baronin ist in sehr guten Händen. Ein wirklich sehr freundlicher Traviageweihter und Freund, Vieskar, hat sich ihrer Belange bereits angenommen. Es wird ein sehr langer und anstrengender Weg für ihn sein, ihr Leiden zu lindern, geschweige denn es zu lösen. Die jüngsten Geschehnisse waren nur ein Bruchteil davon. Doch ich bin davon überzeugt, dass er der Richtige dafür ist. Ich unterstütze ihn, wo ich nur kann.

Was Quindan, Yolde und die anderen angeht - ich werde Morgen bei der Besprechung mit ihrer Kirche" - und er deutete auf Ise, die nur wenige Schritt entfernt saß und seinen Worten leise lauschte - "anwesend sein und die Baroness ebenso beraten wie Praiotrud es tun wird. Du musst dich nicht um sie kümmern. Ich verspreche dir, sie werden eine gerechte Strafe erhalten." Mit einem Zwinkern unterstrich er ein unausgesprochenes Versprechen. "Ich glaube, die Baroness hat gestern denselben kleinen Funken gespürt wie ich. Sie wird womöglich weiser und gerechter entscheiden als ihr alle ihr zutraut." (Rahja n)

<a name="_tyjcwt"></a>Maeve konnte noch immer nicht verstehen, welchen kleinen Funken Rahjan meinte, doch Rahjans Vertrauen in Prianna machte ihr Hoffnung. Sie spürte jedoch, dass es ihr noch immer schwerfiel, das gleiche Vertrauen aufzubringen – sie vermutete, dass ihre schlechte Meinung über den Vaters auf die Tochter abfärbte und kam sich ungnädig vor. (Maeve)

Rahjan betrachtete die Frau vor sich wieder mit einem etwas durchdringenderen Blick und tippte ihr mit dem Zeigefinger sanft auf die Nase.

"Und somit bleibst nur noch du. Losgelöst und frei von der Last, den anderen helfen zu müssen, werde ich dir nun eine Aufgabe stellen." (Rahjan)

Unsicher blickte die Novizin Rahjan an, als dieser nach kurzer Pause fortfuhr: (Maeve)

"Aber keine Angst, es wird keine Konsequenzen haben, solltest du meinen Vorschlag ablehnen. Akzeptierst du ihn hingegen, werde ich dich auf deinem Weg unterstützen so gut ich kann.

Ich möchte, dass du deine Weihe um einen Götterlauf verschiebst. Ich möchte, dass du diese Zeit nutzt, um die Götter, die ein Augenmerk auf dich geworfen haben, besser zu verstehen. Du sollst mehr über ihr Wesen erfahren, damit du herausfinden kannst, ob die heitere Herrin die richtige Wahl für dich war und ist. Ich möchte dir in Rahjas Namen zeigen, was ich mit meinen Freunden - Vieskar, der Travia, Ivetta, die Peraine. Glöckchen, die Tsa und ich, der unserer heiteren Herrin dient - tue, um den Menschen nach dem Krieg zu helfen.

Außerdem würde ich dir gerne Mikael, den du ja bereits getroffen hast, vorstellen, damit du auch eine Weile der silberweißen Schwänin folgen kannst." Er warf einen vielsagenden Blick in Richtung Yolde. "Und für den Pfad der jungen Göttin kann ich mir neben Glöckchen auch noch eine andere gute Begleitung für dich vorstellen." Er lächelte Maeve freundlich an. "Eine Tugend teilen sich diese Göttinnen nämlich: Güte. Ich halte dich für einen guten Menschen. Du hast das Herz am rechten Fleck. Deinen Funken zu finden, war nicht schwer, er ist recht hell. Was sagst du zu meiner Aufgabe, nimmst du sie an? Wenn du das möchtest, bespreche ich meinen Vorschlag auch mit Rozen." (Rahjan)

‚Ein Blatt im Wind…‘ Es war dem Wind zwar ausgeliefert, wurde aber auch von ihm getragen – weiter als sein eigenes Gewicht es vermocht hätte – und: ‚… es musste nicht entscheiden! Noch nicht!‘

„Wie könnte ich ablehnen, da ich in der Zeit hier meine Grenzen aufgezeigt bekommen, aber auch einen Ausblick darüber hinaus erhalten habe.“

Sie schluckte, da sie sich wieder auf jungfräulichen Schnee treten sah, auf einen Weg, der nicht vorgezeichnet, aber steinig war. Er würde ihr vieles abverlangen, soviel war sicher.

Sie schluckte schwer, als ihre Gedanken zu Rozen schweiften und die Ungerechtigkeit, die in dieser Entscheidung lag. Maeves Augen füllten sich mit Tränen.

Langsam nickte sie: „Wie lange es auch dauert, die Zeit wird mir die Möglichkeit geben, mich selbst und meinen Platz zu finden. Denn welchen Weg ich schließlich auch einschlagen werde, die Tage hier haben mir auch einen Ausblick gewährt, was alles möglich ist! Aber ich werde selbst mit Rozen sprechen, hab‘ dank Rahjan“, und aus ihrer Stimme sprachen neben Trauer auch Hoffnung und Entschlossenheit. (Maeve)

Die anderen, die in den letzten beiden Tagen den Weg auf sich genommen hatten, die junge Baroness zu suchen, hingen eigenen Gedanken nach, während sie den Geweihten zu hörten.


<a name="_5tnxai64f57f"></a> Epilog

Die alte Tsageweihte stapfte beschwingt durch das weiche Gras des 12-Göttergartens. Und lächelte. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen und doch so wunderschön. Gestern früh hatte sie mit Prianna, Praiotrud und Rahjan gesprochen. Prianna hatte einen sehr zurückhaltenden Preis genannt, das war allen Anwesenden klar gewesen. Einen Preis, der hoch genug war, juristischen Ansprüchen zu genügen, und nicht mehr. Dem Baron freilich wäre der Preis zu niedrig gewesen. Auch das war allen Anwesenden klar gewesen.

Ise lächelte. Sie hatte sich beeilt. Hatte ihr breites Netzwerk in den Eisensteinen angestoßen. Ihre Freunde, alte Bekannte und die anderen Geweihten und Akuluthen des Tempels hatte sie ausgeschickt. Sie war lange genug Hebamme in der Baronie gewesen, dass dies eine Menge Menschen umfasste. Eine ziemlich große Menge.

Sie hatte Männer auf die Welt geholt, die heute selbst schon mit schlohweißem Haar Enkelkinder auf den Knien schaukelten. Sie hatte Witwen getröstet und Kinder gehütet. Mit den Menschen gelacht und mit ihnen geweint. Und niemals etwas dafür gefordert. Bis gestern. Gestern nämlich hatte Ise etwas getan, das sie noch nie zuvor getan hatte: Sie hatte Spenden gesammelt. Für ihre Kirche. Breiter wurde das Lachen der alten Frau mit den blitzenden, jugendlichen, dunklen Augen. Selbst sie hatte noch Neues zu entdecken. Immer noch.

Die Eisensteiner hatten gerne gegeben. Weil sie Ise mochten. Weil sie es als gerecht empfanden, ihr etwas zurückzugeben. Weil sie Quindans Frau als Hebamme gekannt hatten oder seine Tochter als freundliches und fröhliches Kind. Weil sie trotz seiner Tat Mitleid hatten und weil so viele von ihnen verstehen konnten, wie ein Vater sich fühlte, der sein einziges Kind verloren hatte. Und das überbordernde Gefühl der Rache nachempfinden konnten, das Quindan getrieben hatte, und auch- das durfte Ise nicht unterschlagen, nicht vor sich selbst, wenn auch vielleicht vor anderen- weil viele sich insgeheim freuten, dem Baron eins auszuwischen. All die Menschen, die durch den kaltherzigen Mann im Schloss geschädigt worden waren. All die, die seiner harten Hand und seinen harten Strafen ausgeliefert gewesen waren. All die hatten gestern die Möglichkeit gehabt etwas gegen seinen Willen zu bewegen. Etwas, das ihn zutiefst ärgern würde. Etwas, das zudem völlig gesetzeskonform war und für das niemand von ihnen zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

Glockenhell klang ihr Lachen über die einsamen Blumen hinweg, die in der Abendsonne langsam ihre Kelche schlossen. Jeder hatte gewusst, dass es eilte. Dass Quindan, Yolde und die anderen ausgelöst werden mussten, ehe der Baron wieder bei Kräften war. Dennoch waren alle überrascht gewesen, als Gillis Wagen bereits einen Tag später, gezogen von seiner alten, treuen Schindmähre, vorgefahren war und die Gaukler Säcke abgeladen hatten. Säcke mit Münzen. Ein krotesker Anblick, der ihre Herrin in Alveran sicherlich erfreut hätte.

Praiotrud hatte DAS jedenfalls nicht erwartet und Ise hatte ihr angesehen, wie sehr sie innerlich kochte. Dennoch oder gerade deswegen hatte die Priesterin des Götterfürsten darauf bestanden, höchstselbst die Münzen zu zählen. Und derer waren es viele gewesen. Und so hatte es zum Verdruss der alten Praiotin Stunden gedauert, ehe sie all die Metallplättchen zu kleinen Stapeln aufgereiht hatte, um sie zählen zu können. Wie langweilig! Das Menschen so etwas freiwillig und mit Vergnügen taten, war eines der wenigen Dinge, die Ise niemals begriffen hatte.

Mit gerunzelter Stirn und sichtlich genervt hatte Praiotrud dann die Tore zur großen Halle öffnen lassen, damit alle, die wollten, der Auszählung beiwohnen konnten. Die Alte wollte sich nicht nachsagen lassen, falsch gezählt zu haben oder irgendwie die Fakten zu verdrehen.

“Nicht genug. Nicht für alle zumindest.” Befriedigt hatte ihre Stimme geklungen, als die alte Keyserring dies verkündet hatte. Ise hatte so etwas befürchtet. Einige wenige Dukaten fehlten. Sie hatte geseufzt und sich schon mit Grausen überlegt, wer ausgelöst werden sollte und wer nicht. Quindan hatte schon angesetzt zu sprechen, vermutlich um anzubieten, sich dem weltlichen Urteil zu stellen. Doch da war Priannas Stimme erklungen und hatte gefordert noch einmal nachzuzählen. Praiotrud tat dies- offenkundig beleidigt, dass man ihr einen Fehler unterstellte. Doch tatsächlich waren es beim erneuten Zählen, wenige Dukaten mehr. Und nach einem weiteren Mal, lag der volle Preis vor. Auf den Kreuzer genau. Praiotrud hatte das noch zweimal verifiziert- wie sie es nannte. Doch das Ergebnis änderte es nicht. Die alte Praiotin funkelte die Umstehenden erbost an, hatte doch offenkundig einer von ihnen das fehlende Geld erbracht. Mit mahlendem Kiefer erkärte sie die Delinquenten als offiziell ihrer Kirche überstellt und verliess ohne ein weiteres Wort das Schloss.

Ises Herz hüpfte bei dem Gedanken an diesen Moment. Ihr Lächeln hatte sie nicht ablegen können, auch nicht, als sie Yolde und die anderen anwies in den Tempel zurückzukehren und dort auf sie und ihr Urteil zu warten.

Noch etwas, das sie noch nie getan hatte: Ein kirchlisches Urteil fällen. Ihr gefiel die Vorstellung nicht, aber es musste wohl sein.

Ihre Augen blitzten und glitzerten als sie am Rande des Gartens angekommen war und vom Geländer hinab blickte. Dies war ihr Zuhause. Die Weiten der Wälder, der große Fluss im Hintergrund. Den Isenhag im Rücken. Die aal Bosch, wo sie aufgewachsen war und zu ihrer Herrin gefunden hatte, wo sie einige Kinder geboren und etliche mehr auf die Welt geholt hatte, in der ein oder anderen Weise.

Sie liebte dieses Land und die Menschen darin. Die letzten Tage hatten soviel Gutes gebracht, obwohl vieles davon ausser ihr niemand sah:

Prianna, die das erste Mal erfahren hatte, dass sie ihrem Vater etwas bedeutete. Die nun die Macht dahinter nutzen konnte, für ihr eigenes Glück und das ihrer Schwestern.

Quindan, der endlich aus seiner Lethargie erwacht war und sich wieder ihrer Herrin zuwandte.

Grif, Ful und Sulvana, die sich aus Yoldes beherrschendem Griff befreit hatten und für ihr Handeln eingetreten waren.

Yolde, die Liebe und Zuneigung durch Maeve erfahren hatte, ebenso wie umgekehrt. Zwei junge Frauen, die sich viel geben konnten, wenn sie sich darauf einzulassen trauten.

Verema, die nun wusste, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug,

Rhys, der in sich selbst geblickt hatte, die Zwerge, die die Menschen auf eine andere Art erlebt hatten.

Der junge Lares, der sich vielleicht etwas hatte öffnen können. Dem Leben und dem vielen Wundervollen, das es bereit hielt.

Baldos, der eine Chance für seine todtraurige Anverwandte war, und sein Schutzbefohlener, der in Maeve eine Gegenstimme gefunden hatte, vielleicht seinen eigenen Zwiespalt zwischen Herkunft und Berufung zu beleuchten.

Die vielen Eisensteiner, die sich daran erfreuen konnten, dem Baron ein Schnippchen geschlagen zu haben. Womöglich das einzige Mal in ihrem Leben zumindest vermeintlich Macht über einen Adeligen hatten.

Und der Baron selbst, der zumindestens die Möglichkeit hatte in sich zu blicken und Liebe zu finden.

Dann breitete sie die Arne aus. Das Herz Ises öffnete sich. Ja, es waren gute Tage gewesen. Wenn man es aus ihrer Perspektive betrachtete. Aus der Perspektive einer alten Geweihten, die schon viel gesehen hatte und wusste, dass Wahrheit und Gerechtigkeit stets nur eine Sache des Blickwinkels waren. Nichts, was es in absoluter Form gab. Dann liess sie sich kopfüber den Fels hinunter fallen. Glücklich schlugen ihre Hände dabei in der Luft und ein bunter Schmetterling glitt in den Wald hinunter.

„Tretet ein. Und nehmt euch einen Schemel.“ Praiotrud von Keyserring durchschritt die Tür zu dem kleinen Tempel und deutete auf einige einfache Hocker, die hinter einem langen Vorhang standen. Eigentlich waren sie für die Baronessen und die Knappen des Barons gedacht, die hier im Tempel einen Teil ihrer theoretischen Ausbildung erhielten.

„Jeder von euch, sollte noch einmal erzählen, was er zu den Vorfällen zu sagen hat. Jede kleine Beobachtung kann wichtig sein, um ein gerechtes und weises Urteil verhängen zu können, das solltet ihr nicht vergessen. Sprecht frei heraus im Hause des Herrn Praios, so dass wir gemeinsam die Wahrheit ans Licht bringen mögen. Nichte bitte beginnt.“

Und Prianna begann mit einer Zusammenfassung ihrer Suche nach Lissa. Dass das Mädchen demjenigen durch die geheimen Gänge gefolgt war, der das Kunstwerk geschändet hatte. Dass sie die Spur des Mädchens bis in einen versteckten Tsatempel verfolgt hatten. Dass sie Lissa und einige Gläubige der Tsa schließlich dort aufgespürt hatten. Dass sie Nachforschungen angestellt und auch dort genächtigt hatten. Letztlich den Verdacht hatten, dass die Schändung der Kunstwerke und das Attentat nicht vom selben Täter begangen wurden. Und dass die Spur des Attentäters letztlich auf Quindan wies und dieser - nachdem sie ihn in seiner Hütte aufgesucht hatten - die Tat gestanden hatte und eingewilligt hatte, sie hierher zu begleiten.

„Danke, Prianna für diese kurze Erläuterung.“ Dann wandte sie sich an die anderen. „Meine Nichte, war sicherlich gestern nicht wenig aufgebracht. Besorgt um die verschwundene Schwester. Besorgt um den Vater, der gerade knapp einem Attentat entgangen war. Daher möchte ich Euch alle bitten, zu ergänzen, was die Baroness sagte. Um alles, was euch noch wichtig erscheinen mag. So dass wir ein Abbild der Geschehnisse erzeugen können, welches der Wahrheit so nah kommt, wie es uns Menschen möglich ist.“

Der erste, der sich von seinem Schemel erhob, war Borindarax von Nilsitz. „Ehrwürden“, sprach der Zwerg den Geweihten an. „Ich war einer der ersten in der Halle und habe noch versucht, den Attentäter auf der Balustrade zu stellen, war aber leider zu langsam, so dass er entkommen konnte.“ Der Vogt zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei. Ich will euch wiedergeben, wie es sich in meinen Augen abgespielt hat.“ Borax berichtete im Folgenden haarklein, wie er den Angriff auf den Baron von Eisenstein und die darauffolgenden Momente erlebt hatte. Als er mit seinem kurzen Bericht schloss, kratzte er sich nachdenklich den Bart. „Noch eines möchte ich anmerken“, fuhr er fort. „Etwas, dass vielleicht aus der Sicht eines Vertreters meines Volkes erwähnenswert ist. Dies für euch aber nicht zwangsläufig zutreffen muss. Die Anhänger der jungen Göttin, die uns begegneten, vertraten eine zum Teil äußerst radikale Auslegung ihres Glaubens. Sie meinten, dass auch aus Zerstörung Neues geboren werden kann und dass man damit die Verjüngung - den dafür notwendigen Prozess anstoßen, beschleunigen könnte. Dies mag zumindest kausal noch zutreffen - möglich sein, doch ist meiner Meinung nach der Angriff auf ein lebendes Wesen, mit der Absicht es zu verletzen oder zu töten in jedem Falle ein Frevel, gerade vor der jungen Göttin, deren Schöpfungen ihr Menschen alle seid.“ Der Vogt nickte und deutete der Praiotin damit an, dass er fertig war mit seinen Ausführungen. (Borax)

Der ältere Zwerg hatte kaum mehr hinzuzufügen und endete rasch. Nur wenig ergänzte er bevor sein Blick zum Magier schwang.

Kerzengerade stand der ganz in Weiß gekleidete Magus hinter den Sitzenden und hörte ihnen sichtlich amüsiert, aber doch hin und wieder auch interessiert zu. Rhys Gwenlian, unter diesem Namen war das Mitglied des Bundes des weißen Pentagramms der Praios-Geweihten vorgestellt worden, schien sich seine Anmerkungen bis zum Schluss aufsparen zu wollen. (Rhys)

„Unter den Radikalen, Euer Ehrwürden, war auch diese Yolde, die rundheraus erklärte, dass die Beschädigung von Sacheigentum des Barons durch dessen – aus ihrer Sicht – ‚falsches‘ Regieren gerechtfertigt sei“, meinte Lares ganz ohne Zorn in der Stimme. Er war sich bewusst, dass man bei einem Tribunal – und das war die Veranstaltung hier am Ende des Tages – mit Sachlichkeit häufig die besten Ergebnisse erzielte. „Eine Schuld am Verschwinden der Baroness tragen sie allerdings nicht. Diese war tapfer und mutig beim Versuch, den Häschern ihres Vaters hinterher zu eilen.“

Jedenfalls beschönigte Lares das höchst gefährliche Verhalten des Mädchens damit.

„Euer Ehrwürden, der Herr PRAios schätzt die Aufrichtigkeit und ich möchte auch in diesem Fall aufrichtig sein: Uns fehlt es an einem objektiven Beweis, der die Täterschaft des Geweihten Dornschneider stützt. Es steht neben dem Indiz, dass er von den Gängen in die Burg wusste, allein sein Geständnis im Raum. Ich traue ihm diese Tat nicht zu. Ich halte ihn körperlich nicht dazu befähigt, den Baron mit einem Bogen niederzustrecken und darauf aus der Burg zu flüchten, ohne gefasst zu werden. Schließlich hat er bisher nicht einmal ein echtes Lippenbekenntnis abgegeben, noch kennen wir tatsächlich sein Motiv. Grundsätzlich denke ich, dass er fest in seinem Glauben ist, aber ob er die Tat – alleine – körperlich begehen konnte? Auch fehlt es an einem Anhalt, dass er von der gleichzeitigen Beschädigung durch die andere Partei wusste.“ Der Knappe seufzte. Er hatte sich seine Zweifel von der Seele geredet, die ihn plötzlich überkamen, wo er doch zuvor noch so überzeugt von dem Geständnis und den Verfehlungen der TSA-Priester gewesen war. (Lares)

Praiotruds Augen schwangen zu Yolde, die nichts sagte. Sie mochte aufrührerisch und rebellisch sein, aber dies war das Haus eines Gottes. Sie würde sich an seine Gesetze halten. So wie sie verlangte, dass man sich an die ihrer Herrin hielt, wenn man in ihrem Tempel weilte. Mit geradem Rücken hielt sie dem Blick der Praiotin stand. Die Dienerin des Götterfürsten nickte schließlich dem Knappen zu. Und erwartete den nächsten Bericht.

Einen langen Augenblick ergriff niemand das Wort: Maeve war zuerst erstaunt über die Aussage von Lares, dann darüber, dass Tassilo oder Baldos nicht gedachten, das Wort als erste zu ergreifen. Unsicher erhob sie sich und begann zu sprechen: „Wir sind nur von der alten Tsa-Geweihten Ise zu Quindan geführt worden, da sie Zweifel hatte.“ Die junge Novizin blickte den Genannten direkt an: „Er weilte schon lange Monde nicht mehr im Tal dort unten, dass den Frieden unterstützt und Hader unterdrückt. Es heißt, er hätte sich zurückgezogen. Wir mussten einen weiten Weg durch den alten Wald zurücklegen, um jenseits eines Baches zu seiner Hütte zu gelangen und ihr seht, Ehrwürden, mancher von uns ist durchaus erschöpft, besonders Quindan selbst. Ritter Baldos hat seine Hütte durchsucht und wird sicherlich darüber sprechen. Ise aber war zutiefst erschüttert und brachte Vermutungen vor, was das Motiv sein könnte. Ich nehme an, dass Euer Ehrwürden schon lange in Obena weilt, so dass Euch das Kindermädchen der Hochgeborenen Basilissa und Regibald sicherlich bekannt sein dürfte. Tsalinde Dornschneider soll seine Tochter gewesen und hier im Kerker umgekommen sein. Und dennoch ist es so, wie Wohlgeboren von Mersingen gesagt hat, wie sollte er mit den jüngeren Leuten Schritt halten und auch schnell genug sein, um dem Vogt von Nilsitz zu entkommen – wie wir gehört haben – oder Basilissa, die ihm später nachfolgte? Kann jemand schuldig sein, nur weil er selbst es sagt – und kann jemand als unschuldig gelten, nur weil niemand Anklage führt?“

Damit setzte sie sich und sah ernst Praiotrud und dann Baldos an. (Maeve)

Aufmerksam hatte der so Angesehene den vorherigen Rednern gelauscht, ihren Ausführungen, genauso wie ihren Eindrücken. Manchmal, so befand er, war es schon erstaunlich wie unterschiedlich Situationen wahrgenommen werden konnten. „Wie die anderen auch, folgte auch ich den Spuren durch die Tunnel um unten im Tal anzugelangen. Schelmenzauber, anders kann ich es nicht bezeichnen, war es der uns auf dem rechten Pfad hielt, so gelangten wir ins das Tal, in dem die Tsa- Anhänger ihr Lager aufgeschlagen hatten. In und um ein altes Gebäude hatten sie mit Zelten und Planen sich ein Heim errichtet und uns im Geiste Travias willkommen geheißen.“ Einmal abgesehen von der plötzlich aufgeblasenen Baroness und ihrem unfreiwilligen Flug, hatte die Umgebung harmlos gewirkt. Doch der Schein mochte trügen. „Im Laufe der Gespräche stellte sich heraus, dass die Bewohner des Lagers einer radikalen Strömung des Tsa-Glaubens folgten, wobei wir auch die Personen fanden, die sich für die Zerstörung der Kunstwerke zeichnen. Nach einem längeren religiösen Disput fiel der Verdacht auf den hier anwesenden Mann. Wir suchten ihn in seiner Unterkunft am nächsten Morgen auf. Vor Ort, in einer äußerst heruntergekommenen Bruchbude, fand ich provisorische Pfeile, genauso wie einen Baum der Spuren von Übungsschüssen aufwies. Ob dieser Mann allerdings den Pfeil abgefeuert hat, war nicht zu ermitteln.“ Damit endete er seine Ausführung, wobei ein Teil der Friedfertigkeit des Tals zu ihm zurückgekehrt war.[Baldos]

Der Geweihte der schönen Göttin machte sich nicht die Mühe aufzustehen, derlei Unsinn zerstörte die Intimität des Moments und schaffte eine kalte Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern. Wenn er mit Gläubigen zusammensaß, um sich ihres Seelenheils anzunehmen oder auch um ein einfaches Gespräch mit ihnen zu führen, dann zog er es gar vor auf gemütlichen Sitzkissen Platz zu nehmen. Dergleichen lockerte die Atmosphäre, die Herzen und letztlich meist auch die Zunge. Geprägt durch ein Leben im Umfeld der Rahja-Kirche beschrieben seine Worte die verborgene Schönheit der besuchten Orte, genauso wie ihre Harmonie. Besonders die Erfahrung, als sie das Tal betraten oder im Falle einiger -betreten wollten, befand er für berichtenswert. Den Frieden der sich in einem ausbreitete, sobald man diese unsichtbare Grenze passierte. Eine Grenze die nur überwinden konnte, der von allem Gräuel, Hass und jeglicher Gewalt abgelassen und seine Waffen zurückgelassen hatte. Wenn sich eine solche Grenze nur um ganz Aventurien errichten ließe, hätte all das Grauen im Rahja des Reiches ereignen können? Doch so schön und anschaulich seine Worte auch gewesen sein mochten, so enthielten sie vermutlich nur wenig Neues. [Tassilo]

Verema war der mühsame Aufstieg zur Burg deutlich anzusehen. So fasste sie sich so kurz und sachlich, wie es ging, sie schilderte, wie sie Prianna gefolgt war und die Gruppe zu der Tsa-Gemeinschaft gelangt war. "Dem, was meine Vorredner gesagt haben, kann ich nicht viel mehr hinzufügen. Er ist der `Schuldigste`, den wir gefunden haben. Ob er die Tat selbst verübt hat oder jemanden schützen will, ist Sache des Gerichtes. Bei einer Geweihten der Zwölfe gehe ich davon aus, dass sie nicht leichtfertig oder voreingenommen handeln wird. Alles Weitere liegt bei Euch." (Verema)

Mit einem Räuspern war es nun an dem Magus auf sich aufmerksam zu machen, nachdem alle anderen bereits gesprochen hatten. „Ehrwürden, da es nun mehr nur Mutmaßungen und keine Beweise sind, die uns in dieser Sache vorliegen, ist eine Wahrheitsfindung auf herkömmlichem Wege in meinen Augen nahezu ausgeschlossen. Ich habe bei ähnlichen Fällen, in denen ebenfalls Geweihte eines der Zwölfe angeklagt waren, bereits mehrfach erleben dürfen, wie Diener des Götterfürsten den ‚Willen zur Wahrheit‘ predigten, um ein Geständnis der Beschuldigten zu erlangen.

Geschehnisse, Vorwürfe, wie Mitgliedschaft oder Nähe zu dieser verblendeten Strömung der Kirche des Tsa würde dies allemal rechtfertigen.“ (Rhys)

Die junge Tsageweihte krampfte ihre rechte Hand wütend zusammen, biss sich aber von innen auf die Wangen, um nicht laut die Stimme zu erheben. Ihre Augen fuhren aber wütend zum Magus hinüber. Verblendet? Als gäbe es nur eine einzige Wahrheit! Missbilligend ruhte der Blick der alten Praiotin auf Yolde. Ihr Blick hiess sie schweigen, während sie sich zu dem Magus umdrehte: „Habt Dank, für eure Worte, Magus. Ohne sie hätte ich wohl nicht gewusst, wie ich im Namen des Herrn Praios, dem ich seit etwas mehr als fünfzig Götterläufen diene, vorzugehen hätte.“ Streng und zynisch hallte ihre Stimme in dem kleinen Tempelraum. ‚Grünschnäbel. Zu viele Grünschnäbel. Arrogante Grünschnäbel. Ein Krieg und sie meinten, sie hätten die Welt verstanden!‘

Dann wandte sie sich an den älteren, niedergesunken auf seinem Schemel kauernden Tsageweihten: „Quindan Dornschneider.“ Streng klang ihre alte Stimme: „Stimmt es, was meine Nichte und ihre Begleiter sagten. Ihr gebt zu, den Anschlag auf das Leben des Barons verübt zu haben?“ Betreten sah der Angesprochene zu Boden. „Ich habe den Pfeil abgeschossen, der den Baron traf.“ Trauer und Scham war aus seiner Stimme zu hören.

Zufrieden drehte sich die Geweihte wieder dem Magus zu: „Die Spuren führten euch zu diesem Mann. Ihr fandet Anzeichen, dass er dort Schiessübungen absolvierte. Er ist offensichtlich geständig. Weshalb zweifelt ihr dennoch?“ Ohne eine Antwort abzuwarten drehte sich die alte Adelige mit geradem Rücken der grimmig drein blickenden, jüngeren Tsadienerin zu: „Ihr seid hier, wie ich annehme, weil ihr für die Schmierereien verantwortlich seid, die seit so vielen Monden die Kunstschätze im Schloss beschmutzen?“ Missbilligend musterte sie die junge Frau: „Die Jugend entschuldigt nicht jede ‚Verblendung‘, wie sich der junge, vermessene Mann dort ausdrückte.“ Zornig bildeten die sanft geschwungenen Brauen der wütenden Priesterin ein Dreieck und legten ihre Stirn in Falten. „Ich verlange nicht, dass ihr sie entschuldigt.“ Presste Yolde trotzig zwischen ihren zusammengepressten Lippen hervor. „Da habt ihr großes Glück, denn das habe ich mitnichten vor.“ Unheilschwanger klang die Stimme der Praiospriesterin als sie Yolde antwortete: „Ihr werdet euch noch dafür verantworten, was ihr getan habt. Ihr habt nicht nur Rahja gefrevelt, indem ihr diese Kunstwerke geschändet habt. Nein! Auch die Weltordnung, gegeben von allen Zwölfen, gestützt von Praios, dem Götterfürsten selbst, habt ihr mit Füßen getreten! Mit Anmaßung!!“ Ihr Blick zeigte Verachtung und Abscheu. „Womöglich hätte es euch gut getan, hätte euer Vater mehr Härte gezeigt, als ihr ein Kind ward. Und, da ihr jung seid, ist es gegebenenfalls noch möglich euch mit Härte Verstand und Moral einzubläuen!“ Yolde schnappte mit hochrotem Kopf nach Luft. Sie wollte aufbegehren, wollte der arroganten Dienerin dieser ungerechten und bigotten Welt entgegenschleudern, was sie von ihr und ihrer heuchlerischen Ordnung hielt. Doch Quindans Hand legte sich sanft über ihre geballten Fäuste und augenblicklich überkam sie Ruhe. Sie erinnerte sich an Ise und deren Worte. Der metallische Geschmack von Blut legte sich schleiergleich über ihre Zunge, so fest presste sie ihre Zähne in das zarte Fleisch ihrer Wangen.

Praiotrud hatte sich derweil wieder an die Umsitzenden gewandt: „Weshalb sollte ich an den Worten von Quindan Dornschneider, der die Tat zugibt, zweifeln? Welche Indizien oder Beweise sprächen dafür, dass er lügt. Lügt, hier in der heiligen Halle des Herrn der Wahrheit?“ Abwartend schweifte ihr Blick in die Runde.

„Nun“, Rhys zuckte mit den Schultern und stelle ein leicht desinteressierte Miene zur Schau. „Der Täter ist uns recht flink und behände entwischt und zwar so, dass wir ihn auf dem langen Weg nicht einholen konnten. Dies muss Ausdauer erfordert haben.“ Der Magus sah zu dem Angeklagten hinüber und schüttelte wenig überzeugt den Kopf. „Es mag sein, dass ich mich irre und meine Zweifel unberechtigt sind, doch er floh schnell, unerkannt und ungesehen. Was mich in Frage ziehen lässt, dass er es vermochte. Seht ihn euch an“, forderte er alle auf. „Meint ihr der Angeklagte wäre zu alledem Imstande? Könnt ihr diese Annahme ohne Zweifel für gegeben hinnehmen? Eben diese Zweifel und die Möglichkeit, dass er unter Berücksichtigung seines eigenen, hohen Alters jemand anderen- möglicherweise bedeutend Jüngeren in Schutz nimmt, bewegten mich zu meiner Ansicht, dass es geraten sei, seine Worte auf besagte Weise zu prüfen- um ganz sicher zu gehen, nicht den Falschen abzuurteilen. Ein falsches Urteil gegen einen Götterdiener könnte zu großem Zwist zwischen den Kirchen führen.“

Unausgesprochen blieb der Fakt, das gerade die Geweihtenschaft von Praios und Tsa sich nicht immer wohlwollend gegenüberstand und die Angelegenheit auch deswegen heikel war. (Rhys)

Zwist zwischen den Kirchen? Die Geweihte runzelte die Stirn. Dieser junge Mann war mehr als vermessen. Er war dreist, arrogant und anmaßend. Er mochte einen gewissen Scharfsinn besitzen, wenngleich es ihm offenkundig an der Fähigkeit mangelte diesen demütig im Sinne der Göttergefälligkeit einzusetzen. Aber er war Magier, was konnte sie da erwarten? Mahnend sah sie ihn an: „Womöglich habt ihr noch nichts davon gehört.“ Eine rügende Pause sollte dem Zauberwirker seinen Platz weisen: „doch die Götter vermögen ihren Dienern durchaus zeitweilig Kräfte zu verleihen, die über den Geist und die Vorstellung gewöhnlicher Sterblicher hinausgehen.“ Wieder gebot sie mit einer kurze Stille mahnend Selbstreflexion: „Zumindest werde ich keinen Zwist herbeiführen, indem ich einen Priester der Zwölfe im Tempel eines anderen der Lüge bezichtige, da könnt ihr beruhigt sein. Allerdings erkenne ich euren Wunsch an, die Wahrheit zu erfahren und eine gerechte Strafe für die Frevler zu erhoffen.“ Sie schritt erneut zu dem ruhigen Tsageweihten herüber: „Womöglich seid ihr gewillt mehr preiszugeben von eurer Tat, um den Anwesenden die Beruhigung zu geben, dass sie keinen Unschuldigen hierher gebracht haben.“ Sagte sie mehr bestimmend als fragend.

Quindan nickte langsam. Er begann mit gebrochener Stimme zu sprechen. Sie zitterte im Bass der alternden Männerstimme. „Es ist wenige Jahre her, als ich noch eine Tochter hatte. Sie war ebenso alt wie die Baroness von Keyserring.“ Er deutete auf Prianna: „Sie liebte Kinder und wurde kurz nach der Geburt der beiden jüngsten Geschwister der Baroness ins Schloss geholt, um sich um die Zwillinge zu kümmern. Bis…“ Mit distanzierter Monotonie hatte er bis hierher vorgetragen. Nun schluckte er laut: „Bis die beiden Kinder sich nachts mal wieder fortschlichen. Der Junge stürzte und seine Schwester konnt nicht mehr rechtzeitig Hilfe holen. Als sie ihn fanden, war er bereits tot. Es war ein trauriger Unfall.“

Der Geweihte fuhr entschlossener fort, die Distanz in seiner Stimme verlor sich: „Doch der Baron, er wollte nicht wahrhaben, dass es ein Unfall war. Und nichts weiter als das. Ein Unfall, der Kindern eben zustossen kann. Denn wir können unsere Kinder nicht vor allem beschützen.“ Nun brach die Stimme des Mannes zur Gänze und ein gurgelndes Schluchzen entfuhr seiner Kehle: „Sosehr wir uns das wünschen. Wir können es nicht.“ Eine kurze Atempause brauchte er, in der er mit geschlossenen Augen mehrmals ein- und ausatmete. Eine kleine Träne benetzte dabei seine Wange: „Und für manche Ereignisse können wir niemanden finden, der schuldig ist. Wer war denn Schuld? War sie es? War sie schuld? Schuld, weil sie in der Nacht schlief, als die Kinder fortliefen? Schuld, weil sie versuchte, den Kindern eine liebevolle Erzieherin zu sein? Schuld, weil sie ihnen nicht mit Härte die Flausen austrieb?“ wieder entfuhr ein Schluchzer seiner Kehle: „Sie war wunderschön. Liebevoll und ein Mensch fern jedes Bösen. Niemals hätte sie irgendwem was Schlechtes gewünscht. Und mein kleines Mädchen, meine wunderschöne süße Tsalinde, sass nun im Kerker. Unter dem Schloss. Im finsteren Kerker. Sie war immer schon etwas kränklich. Und die Kälte und die Schuld, die sie sich gab, taten das ihrige, sie krank zu machen.“ Eine weitere Träne lief über sein Gesicht. Yolde strich sachte über seine Hand und sah zornig aus. Er hatte sie betrogen, aber dennoch verstand sie seine Qual: „Sie starb dort. Allein. Gram vor Trauer und Schuld.“

Er straffte sich und fuhr mit weniger zitternder Stimme fort. „Ich habe mich beschwert. Ich tat, was ich konnte. Ich ging, zu wem ich konnte. Doch überall sagte man mir dasselbe: Ein seltener Unglücksfall. Eine tote Angeklagte. Den Baron träf keine Schuld…. Aber nicht für mich… Für mich, war er der Schuldige. Er war derjenige, der den Tod meiner Kleinen zu verantworten hatte. Als er in den Osten zog, hoffte ich darauf, er fände einen grauenhaften, schmerzhaften Tod in einer Klinge der Paktierer.“ Er seufzte schamvoll: „Doch er kam unbeschadet zurück. Ohne Narbe. Ohne Kratzer. Und mein Hass wurde aufs Neue geschürt. Ich erinnerte mich an meine Jugend, meine Kenntnisse im Bogenschiessen- ich übte sie. Ich übte sie mehr. Und je tiefer mein Hass wurde, umso mehr übte ich sie. Doch … irgendwann reichte mir die Vorstellung nicht mehr, dass er tot wär. Ich wollt, dass er leiden sollt. Er sollte dasselbe fühlen, was ich fühlte. Ich wollt ihm nehmen, was er mir genommen hat. Ich wollt, dass er ebenso hilflos zuschauen sollt, wie sein ältestes Kind stirbt, wie ich es gemusst hab.“ Seine Stimme zitterte.

Lange hatte er nicht mehr so viel gesprochen. Doch all der Schmerz, all die Scham drängten nun nach aussen: „Ich habe alles vorbereitet. Yolde und die anderen belogen. Den richtigen Moment abgepasst. Die Ablenkung durch sie genutzt. Und dann hatte ich freie Schussbahn. Frei. Genau auf ihr Herz.“ Er deutete auf Prianna, die ein wenig blass um die Nase wurde, als ihr gewahr wurde, dass ihre Befürchtung wahr gewesen war. Sie war das Ziel gewesen. „In dem Moment, wo der Baron hereinkam, liess ich die Sehne los. Der Pfeil sauste auf sie zu. Ich könnt sagen, dass ich damit rechnen konnt, dass sie überlebte. Geheilt durch einen der Geweihten oder den Magus.“ Er deutete auf Rhys. „Doch das wär nicht wahr. Ich wollte es. Ich wollte ihren Tod. Weil ich mich an ihrem Vater rächen wollt.“ Er seufzte schwer. Trauer, Scham und Verachtung für seine eigene Tat schwangen mit. „In dem Moment da ich den Pfeil fliegen sah, überkam mich die Reue. All die Trauer und die Wut fielen ab. Verblendet hatte mich mein Wunsch nach Rachsucht. Mein Wunsch, ihn für meinen Verlust und meinen Schmerz zu strafen. Und ich erkannte plötzlich klar, zu welchem Ungeheuer mich dieser Zorn gemacht hatte. Ich erkannte es… doch es war zu spät. Der Pfeil hatte sein Ziel gefunden. Diese Schuld wird mich bis zum Ende meines Lebens begleiten, und wiegt schlimmer als alles, was ihr mir als Strafe aufbürden könntet.“ Nun ließ er die zuvor gestrafften Schultern kraftlos hängen. Er hatte bleiben wollen, bleiben und zusehen, wie der Baron, der verhasste Mann, das eigene geliebte Kind verlor. Dann hätte man ihn erschlagen oder in den Kerker geworfen. Dann hatte er sterben wollen, dort wo seine Tsalinde gestorben war, dort, wo sie ihn gebraucht hatte. Dort, wo er als Vater versagt hatte. Versagt, sein eigenes Kind zu retten. Im Tod wären sie vereint gewesen. Nun schämte er sich. „Ich hab missachtet, was ich zu schützen geschworen hab. Ich hab meinen Glauben verraten und meine Göttin.“

Rein äußerlich blieb der Magus ohne jede Regung, trotz des umfassenden Geständnisses. Innerlich war er froh, dass in diesem Moment niemand seine Gedanken lesen konnte und dass es jemand anderes war, der das Wort ergriff. Was waren sie doch alle für verblendete Narren. Die Götter gaben einen Dreck auf sie, auf alle Sterblichen. Das eben gehörte Schicksal war nur eines von vielen, guten Beispielen für diese These. Sie interessierten nur die eigenen Ränke und Ziele, doch die Menschen waren zu konditioniert durch die Lehren der Kirchen um dies zu erkennen. (Rhys)

Lares knickte sichtlich ein. Jetzt war es ein ausführliches, ein überprüfbares Geständnis. Und ein wahres Geständnis noch dazu. Das Licht des Herrn schien und doch wäre es wohl besser gewesen, wenn BORons Schweigen die alten Wunden bedeckt hätte. "Wie gelang euch die Flucht?", setzte der junge Mann nach einem Moment des Schweigens nach. (Lares)

„Es ist wie Ehrwürden von Keyserring sagte. Die Götter gewähren ihren Diener Kräfte, um in ihrem Sinne das Götterwirken nach Dere zu bringen… Die Kraft bleibt, … auch wenn wir uns von dem Gott entfernen….“ Er war immer leiser geworden. Fast flüsternd beendete er seine kurze Erklärung und schlug sein Gesicht in die Hände.

Schließlich nickte Rhys der Praios-Geweihten zu und zeigte ihr damit an, dass nun auch er gänzlich überzeugt war. Sicher, es schien als seien seine Zweifel falsch gewesen, doch das Gehörte war diesen Irrtum wert gewesen, zumal ein von Trauer zerfressener Vater die Chance erhalten hatte, sich alles von der Seele zu reden. (Rhys)

Der junge Zwerg in den Reihen der Ankläger schüttelte währenddessen betrübt den Kopf. Ihn hatte die Geschichte berührt, das konnte man sehen. Ganz ohne einen eigenen Kommentar konnte er es nicht auf sich beruhen lassen. “Ich nehme mir das Recht und spreche eine Wahrheit aus, die ihr Menschen nicht sehen wollt oder könnt. Diese Tragödie ist am Ende auch ein Resultat der Willkür eures Feudalsystems. Ich will nichts beschönigen, oder die Tat in irgendeiner Weise rechtfertigen - so etwas ist nicht möglich. Es hätte jedoch nicht soweit kommen müssen.“ [Borax]

Kalt durchbohrten die Augen der Praiospriesterin den jungen Angroscho und belehrend sprach sie mit bebender Stimme, die keinerlei Widerspruch mehr duldete: „Mitnichten geht es hier um Willkür. Regeln und Gesetze sind feste Säulen, die den Menschen Ordnung und Gerechtigkeit verschaffen. Feste Säulen, die nicht nur die Menschenreiche schützen. Auch euer Volk profitiert von dieser Ordnung über den Bergen, in denen die Angroschim leben. Ihr solltet dies also ebenso achten wie wir,“ Und mit bösartigem Sarkasmus fügte sie noch ein: „ werter Vogt von Nilsitz!“ an.

„Oh nein, es ist mitnichten das Feudalsystem, was dies ausgelöst hat. Nein. Es ist der überstarke Wille zum Umsturz.“ Nun fixierte die Alte die kampflustig dreinblickende Yolde. „Veränderungen – Wir müssen sie akzeptieren. Aber sollten wir sie erzwingen? Sie provozieren? Oh Nein!! DAS ist es was unsere Ordnung und den Frieden gefährdet. Ihr.“ Und ihr Zeigefinger mit dem wohlgestutzten Nagel und den unzähligen bräunlichen Altersflecken, die sich völlig ungeordnet über die pergamentene Haut verteilten deutete auf die jüngere Geweihte der Herrin Tsa. „Ihr seid für die Verschmutzungen verantwortlich, die Schändungen der Kunstwerke. Gleichsam Tritte gegen die Baronie, gegen das Feudalsystem gegen die göttergegebene Ordnung. Ich hoffe euch ist klar, dass dies eine harte Strafe nach sich ziehen wird.“

Eine ärgerliche Pause folgte, in der Prianna auf ihre Tante zuschritt und die Worte ihrer Verwandten mit zitternder Stimme ergänzte: „Solange mein Vater noch nicht dazu in der Lage ist, bin ich ermächtigt, ihn in diesen Dingen zu vertreten. Und selbstverständlich werden wir keine Willkür walten lassen: Es steht der Kirche der Tsa- so wie allen zwölfgöttlichen Kirchen- zu, ihre Priester selbst für Fehlverhalten zu belangen.“ (Prianna)

Ein unwilliges Schnauben ertönte von der Praiosdienerin: „INSOFERN…“ ergänzte die Alte und sah ihre Nichte angeekelt an. Diesen Teil der Rechtsprechung schien der alten Adeligen in keiner Weise zu gefallen: „Insofern“ ergänzte Prianna: „Sie euch auszulösen bereit sind.“ „Bereit UND zahlungsfähig.“ Schleuderte Praiotrud den beiden Tsadienern entgegen und ein Lächeln zeugte von ihrer Vorahnung, dass dies der schwierige Teil wäre. Prianna nickte: „Der fünffache Jahreslohn ist dafür vorgesehen. Welcher Tätigkeit geht ihr nach? Dann werden wir die Summe festlegen können.“

Praiotrud sah zunächst Quindan an. „Ich bestelle ein kleines Feld bei meiner Kate.“ Die Alte nickte und wandte sich dem Mädchen zu: „Und ihr? Habt ihr je in eurem Leben etwas gearbeitet? Glaubt nicht, dass euch das hier zupass kommt!“ Mit blitzenden Augen sah sie Yolde an: „Und die Namen. Wir brauchen noch die Namen eurer Mittäter.“ Yolde starrte zurück. Ohne auch nur ein Zucken ihrer Lider. Die Luft zwischen beiden Frauen schien sich mit Energie aufzuladen, während sie sich anstarrten. Fast konnte man den Zwist zwischen der vor Wut schäumenden Praiosdienerin und der schweigenden Tsageweihten mit den Fingern greifen.

Dann räusperte sich Prianna: „Wir könnten etwas aufgrund ihres Alters und ihrer Fähigkeiten festlegen. Ich möchte einen Vorschlag machen.“ Und die Baroness nannte zwei Beträge. Praiotrud zog angwidert ihre Nase kraus. Nickte dann aber. Prianna sah dann fragend zu Quindan, der ebenfalls nickte. Yolde sah die junge Adelige mit gerunzelter Stirn an: „Ein Preis? Ein Preis für was? Meine Gesundheit? Sein Leben? Die Gerechtigkeit?“ Angewidert nickte sie dann aber ebenfalls.

Prianna sprach weiter. Ihre Stimme klang erstaunlich klar und fest: „So wird eurer Kirche die Botschaft übermittelt und ihr wird eine Frist von drei Tagen gewährt, zu reagieren. Ansonsten werdet ihr euch einer weltlichen Rechtssprechung unterwerfen müssen. Solange werdet ihr im Schloss bleiben müssen. Ich werde mich sogleich um alles kümmern.“ Sie nickte ernst in die Runde und verließ den Tempel gemessenen Schrittes.

Fast war Rhys ein wenig enttäuscht. Er war davon ausgegangen, dass der Streit ein wenig, nun ja, unzivilisierter von statten gehen würde. Der Magus verzog die Mundwinkel. Gern hätte er gesehen, wie sich die beiden Götterdiener zerfleischt hätten - schließlich waren sie beide auf ihre ganz eigene Art fanatisch und von dem vermeintlichen Leitbildern ihrer Kirchen verblendet. (Rhys)

Mit einem Räuspern machte Tassilo auf sich aufmerksam: „Wohlgeboren, ich möchte Eure Pläne nicht vereiteln, doch liegt ein Tempel der jungen Göttin überhaupt nahe genug für die von euch verhangene Frist? Ich kenne mich im Isenhag nicht sonderlich gut aus, deshalb frage ich. Allerdings solltet Ihr bei der Wahl der von Euch verhangenen Frist bedenken, dass der Bote den Tempel erreichen muss, um dem dortigen Geweihten zugleich die Möglichkeit zu gewähren, angemessen anzureisen.“ Seine Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorgehens behielt er vorerst für sich, doch war sich Tassilo relativ sicher, dass diese nur durch Geweihte erfolgen dürfte.

Ritter Baldos war bei dieser Unterhaltung sichtlich unwohl zu mute. Weder gefiel es ihm, dass Geweihte sich gegen Gläubige wandten, noch gefiel es ihm, dass nun über das Leben gleich mehrerer Geweihten der Zwölfgötter Gericht gehalten werden sollte. Als Adelige sollte sie dem Volk eine Wehr sein, während die Götterdiener das seelische Heil gewährleisteten. Er selbst war niemand, der sich im religiösen Eifer erging, hier aber lag so einiges im Argen. [Baldos]

Die angesprochene Geweihte sah erst Tassilo und dann die anderen irritiert an: „Sagtet ihr nicht.“ Und die Geweihte schaute irritiert drein: „dass ihr in einem Tempel der Tsa genächtigt hättet? Einem Tempel, der sich hier in dieser Baronie befindet? Den ihr gestern in wenigen Stunden von diesem Schloss aus erreicht hättet?“ als jemand nickte, zuckte sie mit den Achseln. „Wo sollte dann ein Problem liegen?“

Dieser ließ sich durch die Art der Praios-Geweihten nicht beeindrucken. "Ich für meinen Teil war an einem Ort der der jungen Göttin nahe scheint und nicht in einem Tempel. Eine Ruine in einem Tal. Erwartet ihr wirklich, dass die Bewohner dieser Ruine über die Mittel verfügen, um die von euch noch zu verhängende Summe aufzubringen? Ich rede hier von einem Tempel, einem ordentlich geführten Göttinnenhaus wie es zum Beispiel in der Heimat meines Hauses zu finden ist." Einmal ganz davon abgesehen davon, dass sich Tassilo nicht sicher war, ob es noch weitere Geweihte im Tal gab.

Praiotrud sah zu den beiden Geweihten der jungen Göttin. Der eine, etwas bedrückt und doch mit unerwarteter Hoffnung im Blick, die andere mit Feuer und Kampfgeist in den Augen. Quindan erhob seine Stimme ehe Yolde etwas erwidern konnte. „Die Kirche unserer Herrin unterscheidet sich von euren. Wir erlauben unseren Priestern mehr. Wir haben mehr Möglichkeiten uns zu verändern. Dasselbe gilt für unsere Tempel. Der Ort, den es in dieser Baronie gibt, wurd einst als Tempel geweiht. Dann wurd er verlassen, aber irgendwann wiederentdeckt und wieder geweiht. Und dies passierte über viele Jahrhunderte mehrmals. Im Moment würd ich sagen, kommt er eurem Verständnis eines Tempels nah. Wie viele Geweihte dort sind, weiß ich aber nich.“

Er sah Yolde an, die darauf fortfuhr: „Ise ist da. Und sie ist …. Vielleicht etwas, das ihr als Tempelvorsteherin betrachtet würdet. Ansonsten halten sich dort im Moment außer Ise und mir selbst regelmäßig noch zwei weitere Geweihte und einige Akoluthen auf.“

Die Praiosdienerin hatte bereits vorhin kurz erstaunt die Augenbrauen in die Höhe gezogen als der Name Ise gefallen war, nickte nun aber als Yolde geendet hatte erst ihr und dann Tassilo zu. „Ich verstehe euren Einwand. Aber ich denke doch, dass unter den gegebenen Bedingungen diese erste Frist unproblematisch sein wird.“ Dass eine Frist bei einer so dilettantisch geführten Kirche mehr als nötig war, schien der Praiosgeweihten so klar, dass sie diesen Punkt nicht weiter erläuterte. Sie hatte genug Erfahrung mit Tsageweihten gesammelt. Sie wusste, dass kurze Fristen das beste waren, was man für diese Menschen tun konnte.

Der Schock über die Eröffnungen, die Ises frühere Vermutung nun bestätigten, obwohl Maeve es in ihrem Innersten noch immer nicht wahr haben wollte, ließ langsam nach. Die Worte, die Eröffnungen von Quindan sowie der Hass und die Häme von Praiotrud, hatten sie stumpf gemacht. Nicht stumpf im Geiste, aber im Herzen. Was hier geschah, erschütterte sie in den Grundfesten dessen, was ihr bislang gelehrt worden war und doch vermochte sie dahinter göttliche Fügung erkennen. Aber keine, die von Menschen gemacht war. Vieles war wichtig, aber auf eine Frage wollte sie nun hinarbeiten.

„Ehrwürden… Ihr sagtet vorhin… erzwungene Veränderung gefährdet den Frieden und die Ordnung“, erhob Maeve unsicher ihre Stimme. Dann erhob sie sich, um freier zu atmen und trat neben Yolde an die Seite der Angeklagten. „Ist die Gerechtigkeit wichtig für Frieden und Ordnung?“ (Maeve)

Praiotrud seufzte der jungen Novizin zu. Dass sich die zweite Kirche, die dazu neigte sich der Liederlichkeit hinzugeben und Regeln allzu freizügig zu interpretieren, auf die Seite der Tsakirche schlug, wunderte sie nicht. Das junge Ding musste durcheinander sein. Erst waren diese merkwürdigen Dinge am Wasserfall passiert, dann der Anschlag und die Eröffnung eines Tsageweihten, ein Attentäter zu sein. Was das Mädchen brauchte war eine klare Linie. Unantastbare Regeln. Um wieder Halt zu finden: „So ist es. Es muss unantastbare Regeln geben, die ohne jeden Spielraum gelten. Nur das ist der Garant für Ordnung und damit für Gerechtigkeit. Eine dieser Regeln wurde hier verletzt. Sie zu ahnden ist das Vorrecht und wie in diesem Fall die unangenehme Pflicht des Adels.“ Sie forschte in den Augen der jungen Frau nach Verständnis.

Noch immer durcheinander und unverständig blickte Maeve die alte Frau an: „Ich dachte, es ist Eure Aufgabe, Gerechtigkeit und Wahrheit in Praios Namen herbeizuführen und den Baron zu beraten?“ (Maeve)

Die alte Frau straffte sich: „Selbstverständlich. Und selbstverständlich werde ich dies auch bei meiner Nichte tun, die für den Moment diese Aufgabe für ihren Vater übernehmen wird.“

„Aber Euer Dienst an Praios kommt sicherlich an erster Stelle, Hochwürden - wie bei allen anderen Götterdienern auch?“ fragte Maeve behutsam nochmals nach, da es ihr immer noch schwer fiel, in den Aussagen Praiotruds die Prioritäten zu erkennen. (Maeve)

„Ja. Selbstverständlich.“ Fast gekränkt presste die Alte die Worte heraus: „Die Weltordnung, die zum Wohle aller in Praios Namen herrscht, wird von mir im Namen Praios verteidigt. Und dazu gehört es, sich den Gesetzen und Regeln, die es nun einmal in dieser Welt gibt und geben MUSS zu unterwerfen.“ Ein schiefer, tadelnder Seitenblick streifte die beiden TSadiener: „Wer sich der bestehenden Ordnung widersetzt, widersetzt sich dem Willen des Herrn Praios.“ Wieder traf ihr Blick die beiden Priester, diesmal mit leichtem Bedauern: „Dennoch wird anderen Götterdienern ein Sonderstatus erteilt. Sie dürfen sich einem Kirchengericht verantworten. Unter bestimmten Bedingungen. Die festgeschrieben sind, aber durchaus Spielraum lassen. Und bei der Auslegung dieses Spielraums werde ich meine Nichte eingehend beraten, damit der Wille und die Ordnung des Herrn Praios nicht NOCH MEHR Schaden nehmen.“ Diesmal war der Blick, den Yolde empfing mehr als tadelnd. Ja- eher feindselig. Kein Zweifel bestand in welche Richtung diese Beratung gehen würde.

Die junge Tsadienerin griff nach Maeves Hand, während sie dem giftigen Blick der alten, verbohrten Götterdienerin einen ebenso feindseligen Blick zurückschickte. Der Druck ihrer Finger wurde von angespannter Feuchte begleitet. Schweiß haftete an ihrer Handfläche. Nervosität und Angst schienen unter der harten und wehrhaften Oberfläche von der jungen Frau Besitz ergriffen zu haben, wie Maeve bemerkte.

Die junge Albernierin schauderte vor Wut und ergriff beherzt die Hand Yoldes, bevor sie zitternd antwortete: „Aber wenn Ihr doch die Weltordnung verteidigt...Hochwürden, kann Euch die Anklage Quindans nicht verborgen geblieben sein? Wenn es um Gerechtigkeit und Schuld geht, dann war und IST doch auch zu prüfen, ob seine Vermutung richtig ist: dass Tsalinde im Kerker des Barons, aufgrund falscher Anschuldigungen umgekommen ist? Und wenn Quindan es Euch gegenüber nicht getan hat, dann frage ich nun: hat der Baron damit Recht getan? Denn schließlich hat diese Entscheidung all dies Ungemach hier ausgelöst!“ (Maeve)

Die Augenbrauen des Magus wanderten nach oben. Rhys nickte und musste sich ein zusätzliches Grinsen verkneifen. DAS waren mehr als nur deutliche Worte gewesen. Selbst wenn er die Meinung der jungen Geweihten nicht in dem Maße teilte, wie sie sie geäußert hatte, so musste er ihr Respekt zollen. Sie hatte Rückgrat. Nüchtern betrachtet war dies nicht sein Kampf und zu gewinnen gab es nichts- nur Ärger konnte man sich einholen, gerade als Gildenmagier in den Nordmarken. Deshalb schwieg er, auch wenn ihm vieles auf den Lippen brannte. (Rhys)

„Seine Anklage? Seine Meinung, meint ihr? Seine Ansicht, dass seine Tochter unschuldig ist? Glaubt ihr nicht, dass seine Haltung eher von seiner Zuneigung zu Tsalinde herrührt als von einer objektiven Betrachtung der Umstände?“ Sagte sie streng. Junge Menschen waren ihr zuwider. Alles musste man ihnen erklären. Keinerlei Erfahrung und selten ausreichendes Gottvertrauen. „In dieser Sache gibt es vier Fakten, wie es ihrer Gnaden Dornschneider bereits von mehreren Vertretern des Rechts und von diversen Praiosgeweihten mitgeteilt wurde, Ad 1: Das Kind befand sich zum Zeitpunkt des Todes in Obhut von Tsalinde Dornschneider. Ad 2: Zur Klärung der Schuldfrage wurde eine Untersuchung eingeleitet. Ad 3: Tsalinde Dornschneider wurde bis zum Abschluss der Untersuchung unter Arrest gestellt Ad 4: Bis zur Klärung der Schuldfrage ist es per Gesetz gestattet, dass ein Beschuldigter unter Arrest gestellt wird. Von rechtlicher Seite her, kann dem Baron keinerlei Vorwurf gemacht werden. Er hat alle Gesetze befolgt und keine missachtet.“ Fast ein wenig genervt hatte sie geklungen als sie die Punkte herunterbetete. Dass es mehr auf Dere geben könnte als Gesetz und Ordnung, schien ihr jedenfalls noch nie in den Sinn gekommen zu sein.

‚Und genau DAS ist das Problem- von rechtlicher Seite. Ihr Schergen der Götter beruft euch auf Gesetze, die ihr selbst verfasst habt, um eure Ordnung aufzubauen und die Menschheit zu knechten.

Dies sind genau die Gesetze mit der im Osten willkürlich, unschuldige Menschen zum Tode verurteilt werden, nur weil sie versucht haben zu überleben und sich deswegen mit den ehemaligen Herrschern und deren Glauben arrangiert haben. Eine Geisteshaltung für die IHR am Ende Schuld seid, da ihr sie überall predigt.‘ (Rhys)

„Wie kann sich ein Kind in der Obhut einer Schlafenden befinden? Ist es nicht eher so, dass auch die Trauer des Barons ebenfalls zu keiner objektiven Betrachtung der Umstände führt?“, fragte Maeve provozierend mit den Worten der Geweihten. „Und offensichtlich kann es mit Recht, Gesetz und der von Euch beschworenen Göttlichen Ordnung nicht so weit her sein, wenn Tsalinde in Gefangenschaft verstarb, weil IHR, Hochwürden, Euch zu viel Zeit gelassen habt, die Umstände aufzuklären. Ist es nicht so, dass auch Ihr nicht objektiv sein könnt und vor Praios gefehlt habt? All die Ereignisse können Euch und den diversen Praiosgeweihten angelastet werden, die nicht in der Lage waren, die Wahrheit zu erkunden, für Gerechtigkeit zu sorgen und das nun Geschehene zu verhindern!“, Maeves Stimme war schneidend geworden – Wut beherrschte sie und ließ sie trotz ihrer Jugend mit der strengen Stimme Praiotruds gleichziehen. (Maeve)

Praiotrud sah die junge Novizin überrascht an. Dann verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. „Wir haben wenig an das wir uns halten können in dieser Welt. Daher sandte uns Praios, der Fürst aller Götter, die Gesetze, welche die Ordnung in dieser Welt garantieren. Sie sind nicht dafür da, jeden Einzelnen zu schützen, sondern die Ordnung in der Welt aufrecht zu erhalten. Sie steht über dem Glück oder Unglück jedes einzelnen Individuums. Für diese Ordnung sterben Menschen in Kriegen. Sie opfern ihr persönliches Glück für den Frieden und für eine Weltordnung, die UNS ALLE schützt. Diese Welt und diese Ordnung in ihr würde zerstört, ja‚ ZERMALMT, fingen wir an, mit jedem Gesetz das Glück jedes Einzelnen garantieren zu wollen. Garant für die Weltordnung, die Praios geschaffen hat, ist unser Wissen und unser WILLE anzuerkennen, dass wir nur ein unbedeutender Teil in dieser Welt sind und unseren Teil zu leisten haben, damit die Weltordnung bestehen bleibt.

Dies kann zum Schaden eines Individuums sein. Ja. Ist das bedauerlich? Womöglich! Aber NIEMALS ist in Frage zu stellen, dass es nötig ist!! Wir brauchen Ordnung und Gesetze, die gelten, wenn sie uns – mit unserer beschränkten menschlichen Sicht - auch mitunter ungerecht erscheinen. Sie dienen stets dem Höheren. Der Weltordnung. Den Göttern.

Und vergesst bei allem nicht, dass der Frieden für Tsalindes unsterbliche Seele nicht von etwas unbedeutendem wie der Art ihres Todes in Mitleidenschaft gezogen wird.“

Das „ich möchte wetten das ihr das ein großer Trost gewesen ist in dieser Gewissheit zu verrecken“, entfuhr dem Magus mit reichlich Sarkasmus noch bevor er in der Lage war sich selbst zu zügeln. (Rhys)

Wütend sah die die Alte zu Rhys hinüber. Was war nur aus den Nordmarken geworden. Überall im Reich bewunderte man die Praiosgefälligkeit ihrer Heimat. Doch hier in der Mitte des Herzogtums machten sich anarchistische Zustände breit. Individualismus und Aufmüpfigkeit – wo waren sie nur hingekommen. Wo waren die guten alten Zeiten? „Hat der Krieg euch etwa auch noch eurer Manieren beraubt, Zauberer!“, herrschte sie ihn an.

Sie waren hier – in einem Haus ihres Herrn. In IHREM Haus des Herrn. Und diese aufmüpfigen Grünschnäbel missachteten ihr Hausrecht, alle Regeln der Höflichkeit und die Weltordnung schien ihnen auch zu missfallen.

Quindan hingegen war nach Rhys Kommentar wieder in sich zusammengesunken und hatte seine Hände vor das Gesicht geschlagen. Stille Schluchzer hoben seine schmächtigen Schultern, während die Praiotin erbost fortfuhr.

„Bei all euren Eingaben solltet ihr zwei Fakten bedenken: Zum einen geht es hier nicht um ein eventuelles Vergehen des Barons gegen ein Gesetz. Dies wurde überdies bereits geprüft. Aber es steht euch frei, es an anderer Stelle erneut und erneut und erneut zu versuchen. Das Ergebnis wird dasselbe sein. Aber - wie gesagt – darum geht es nicht! Es geht hier um einen Anschlag auf das Leben MEINER NICHTE! Der Baroness Prianna von Keyserring.

Zum anderen, war es eben genau diese Tochter meines Neffen, die sich vehement gegen die Inhaftnahme von Tsalinde Dornschneider ausgesprochen hat. Sie hat sich bei ihrem Vater dafür eingesetzt, sie anderswo unterzubringen. Ihr einen Heiler zu schicken. Und letztendlich einen Geweihten der Peraine in die Kerker geschickt.“ Mit diesen immer härter gesprochenen Worten wurden die Schluchzer des TSApriesters heftiger, wenngleich immer noch kein Ton über seine Lippen drang. „Nun. Zu dem Zeitpunkt war es freilich bereits zu spät. Dennoch… Ist es eure Vorstellung individueller Gerechtigkeit den einzigen Menschen zu töten, der alles daran gesetzt hat, eure Tochter zu retten?“ Wandte sie sich an Quindan, der nun leise weinte, schamvoll in sich selbst versunken: „Oder eurer?“ wandte sie sich an die anderen Anwesenden. Kampfeslustig funkelte sie aus ihren alten trüben Augen.

„Offensichtlich versteht Ihr nicht, Hochwürden, worum es mir geht! Es geht nicht mehr nur um die scheinbar bewiesene Schuldfrage von Quindan – und ich weiß nicht, was individuelle Gerechtigkeit sein soll.

Es geht um Gerechtigkeit – nicht mehr und nicht weniger. Und auch wenn IHR Euren Anverwandten großmütig von jeglicher Schuld freisprecht, so tut es eine höhere Macht wohl nicht und hat ihn für sein Tun büßen lassen.

Ihr mögt zwar predigen, dass Tsalinde für das höhere Wohl einer Weltordnung gestorben ist, um Eure eigene Schuld an den Vorkommnissen zu rechtfertigen. Aber tatsächlich ist es doch so, dass Ordnung, Recht und Gerechtigkeit Vorbilder brauchen, wenn sie nicht den Keim zum eigenen Untergang in sich tragen sollen. Und als Vorbild habt ihr gefehlt – Ihr könnt mich nicht Glauben machen, dass der Tod Tsalindes irgendeinen tieferen Sinn gehabt hat – Willkür war der Grund und wird durch Eure Worte nur verschleiert!

Die Einzige, die sich vor den Göttern hervorgetan hat, dürfte also Eure Nichte sein – und deshalb ist auch nicht sie versehrt worden!“ (Maeve)

‚Lasst doch einfach einmal die Götter aus dem Spiel!‘ Rhys kochte innerlich. ‚Jeder Mensch war für sein Handeln selbst verantwortlich. Schließlich hatte ein jeder einen eigenen, freien Willen. Warum konnten das diese verfluchten Narren nicht akzeptieren?

Quindan hatte Unrecht getan und damit als Diener Tsas gefehlt- aber ganz sicher nicht in ihrem Sinne oder von Tsa geleitet gehandelt. Dieser Gedanke war absurd!

Sein Motiv ergab sich aus einem Sachverhalt, der aus seiner subjektiven Sicht heraus ebenfalls eine Ungerechtigkeit war, jedoch bisher nicht geahndet wurde. Einen Schwachpunkt gab es jedoch in der Argumentation des Praioten.

Der Magus riss sich zusammen, schluckt seinen Zorn und reduzierte seine Gedanken auf das Wesentliche. „Das einzige was hier diskutiert werden kann ist die Frage der Objektivität. Befangenheit wegen familiärer Bindung ist durchaus ein Ansatzpunkt, um eine Neuverhandlung zu erwirken. Meine Worte sind jedoch weder eine Wertung noch eine Empfehlung.“ (Rhys)

Praiotrud sah ein wenig sprachlos die junge Rahjadienerin an. Wie konnte sie erwarten, dass eine Dienerin der Schönen, eine Albernierin obendrein, verstehen würde, was die Weltordnung zusammen hielt. Sie biss die Zähne zusammen und richtete ihren Blick dann auf den Magus. „Wir sprechen hier aktuell lediglich über die der Kirche der jungen Göttin offenstehenden Möglichkeit ihre Geweiht en aus der weltlichen Gerichtsbarkeit auszulösen. Weder wird dabei eine juristische Bewertung vorgenommen, noch handelt es sich um ein Gerichtsverfahren. Wenn es zu einer Einigung zwischen dem Baron oder seiner Vertreterin und der TSA-kirche kommt, wird eine Auslöse stattfinden. Falls nicht, werde ich mich selbstverständlich darum kümmern, dass alles formaljuristisch korrekt zugeht.“ Sie warf Maeve einen strengen Blick zu: „Das ist schließlich das, was Gerechtigkeit garantiert.“

Sie atmete einmal tief durch und schaute dann über die Köpfe der Gruppe Richtung Tür. Dort war der Lockenkopf des zweiten Hofkaplans - des Rahjageweihten Rahjan Bader - aufgetaucht, der freundlich in die Runde lächelte und das Wort ergriff.

„Die Baroness bat mich, euch hier abzuholen und ins Schloss zu führen.“ Praiotrud entfuhr ein spontaner Laut der Erleichterung, den sie mit einem strengen Stirnrunzeln zu überspielen versuchte. „Die Küche hat ein reichhaltiges Abendessen für euch bereitet. Ihr müsst hungrig sein.“

Und wie zur Bestätigung knurrte der Magen des älteren Zwergs. Rahjan lächelte und wandte sich dann den beiden TSA-priestern zu: „Ihr werdet nach dem Essen mit mir ins Badehaus kommen. Dort befindet sich der Rahjaschrein und einige Gästeräume. Dort werdet ihr untergebracht, bis alles weitere geklärt wurde.“ Praiotrud atmete erbost ein, sagte aber nichts weiter zu dieser unsäglichen Entscheidung: „Sicherlich, euer Gnaden, nehmt sie mit. Ich bin mit der Zeugenbefragung ohnehin AM ENDE.“ Erklärte Praiotrud eisig.

Was sich dieser Badersohn immer herausnahm. Liederliche Sitten waren ins Schloss eingekehrt. Und er förderte das noch.

Sie machte eine entlassende Geste mit der Hand. „Ich wünsche euch allen einen guten Appetit.“ Sagte sie zum Abschied, obgleich es so klang, als würde sie einigen wünschen, dass ihnen das Mahl im Halse stecken bliebe.

*

Die Gruppe war entlassen und wurde von dem Rahjapriester ins Schloss geführt, während er sich bei der jungen Novizin einhakte und in lockerem Plauderton mit ihr sprach. „Rozen hat sich bis in die frühen Morgenstunden um die Baronin gekümmert, die der Anschlag auf das Leben ihres Mannes sehr mitgenommen hat. Heute Vormittag war sie selbst noch zu aufgewühlt, auch etwas zu besorgt um dich, als das sie schnell Schlaf gefunden hätte.“ Erzählte er der jungen Frau: „Sie ist erst vor wenigen Stunden eingeschlafen. Ich habe sie noch nicht geweckt. Falls ihr allerdings möchtet, werde ich das veranlassen?“

„Nein“, gab Maeve schlicht und mit brüchiger Stimme zurück. Das Ende der Besprechung war für sie wie ein Schock gewesen und nach all den Ereignissen wirkte Rozens Handeln, durch Rahjans ruhige Worte beschrieben, nun seltsam mahnend. Ihre Mentorin beschritt den Weg, den Maeve selbst vor ihrer Ankunft in Eisenstein für ihren eigenen gehalten hatte – doch nun begriff die junge Albernierin, dass sie nach der Erscheinung am Wasserfall weit davon abgekommen war: Vergebung, das Abenteuer im Tal, der alte Tempel, die Konfrontation mit Rhys, der Kuss, die Nacht mit Yolde und die Begegnung mit Quindan... All diese Ereignisse stellten ihr bisheriges Leben im Dienste der Göttin in Frage. Sie zweifelte angesichts des passiven Handelns von Tassilo, ob der Weg eines Götterdieners der Lieblichen noch der ihre sein konnte, und Unbehagen ergriff sie, wenn sie an die unausweichliche Begegnung mit Rozen dachte. Kurz sah sie zu Yolde hinüber, die Quindan stützte und blickte dann wieder Rhajan an: „Geht es der Baronin besser?“ (Maeve)

Er nickte erst und dann legte sich ein klein wenig Traurigkeit über seine Miene. „Leider nein. Doch das habe ich nicht erwartet. Sie hat den Tod ihres Sohnes nicht verwunden und ihren Mann am Rande des Todes zu sehen, hat, denke ich, diese Wunde wieder gänzlich aufgerissen.“

Dann sah er Maeve im Gehen von der Seite an. „Wie geht es dir denn? Es war ja doch einiges, dass du in so wenigen Stunden erlebt hast.“ Er lächelte sie freundlich an. Auffordernd. Er bot eine Tür. Aber überließ es ihr, wann und ob sie hindurch treten würde. Aber sie spürte, dass er da sein würde, wenn sie Rat und Beistand bräuchte. (Rahjan)

„Ich weiß es nicht. Ich meine, ich weiß nicht wie es mir geht – und du hast recht, es ist soviel passiert. Gerade glaube ich, dass zu viel passiert ist. Vielleicht brauche ich noch etwas Zeit, um all das für mich zu ordnen...“ (Maeve)

Borindarax von Nilsitz sah von einem zu anderen, als die Gruppe die Praiosgeweihte verließ.

“War es das und wie geht’s jetzt weiter?” Fragte der noch junge Zwerg sichtlich unzufrieden über das zurückliegende Gespräch. “Wer wird nun Recht sprechen?”

Er zuckte mit den Schultern. “In Isnatosch entscheidet der Rogmarog, wird dabei aber von einer Gruppe von entsprechend ausgebildeten Angroschim beraten, ebenso von der Priesterschaft des Angroschs, wenn es ihre Belange tangiert bzw. alte Gesetzestexte betrifft, die ausgelegt werden müssen.”

Borax schüttelte den Kopf und brachte dann den Punkt vor, der ihm am meisten irritierte. “Macht ihr ernsthaft einen Unterschied, weil es um einen Geweihten geht? Haben sie bei euch mehr Rechte, werden möglicherweise milder bestraft als ‘gewöhnliche’ Menschen?” (Borax)

Nach der enttäuschenden Wendung Quindan betreffend hatte sich Lares mit Mühe aus dem Gespräch herausgehalten. Dass der Magier in einer eigenen Welt lebte und Autorität nicht anerkannte, das hatte er sich ja bereits gedacht. Maeve allerdings schien zu träumen. Wie sollten denn Menschen wie er, wie der Baron, sogar wie die Geweihtenschaft des PRAios unfehlbar die Wahrheit finden können? Zwar war jedem adligen Blutes vom Herrn der Sonne das besondere Privileg geschenkt, Recht zu sprechen und in seinem Namen Unrechtes zu ahnden, doch war sich der junge Jurist wohl bewusst, dass Wahrheitsfindung nur für das allsehende Licht des Herrn ausnahmslos erfolgreich sein konnte. Deswegen brauchte es ordentliche, althergebrachte Verfahren! Und deren Regeln mochten zwar manchmal ungerecht erscheinen, aber waren der einzige Garant dafür, dass nicht vollkommene Willkür Einzug hielt. Und trotzdem nagte an dem jungen Mann der Zweifel – am Ende des Tages, wenn das Licht der Sonne schwand und Borons Schweigen das Land bedeckte hatte hier ein „ordentliches Verfahren“ Leben und Schicksale zerstört. Wem sollte deswegen ein Vorwurf gemacht werden können? Und wer sollte die harten Worte der schönen jungen Priesterin für falsch befinden? Diese Frau brachte ihn noch um den Verstand – das wusste er. So blieb er stumm und starrte stattdessen Löcher in ihren Hinterkopf.

Aus seiner Starre erwachte er erst durch das Gebrummel der beiden Zwerge. Ausflüge in das zwergische Rechtssystem hatte er noch nicht gemacht, aber in den eigenen Landen, da kannte er sich aus. Im Wissen seiner eigenen Rechtskenntnis fand er Sicherheit auch in anderen Lebenslagen. Das verdrängte die eigenen Zweifel, wenn man schlau tun konnte. Deshalb trat er zu den beiden Angroschim hinzu und drängte sich nassforsch in das Gespräch. „Mehr Rechte würde ich das nicht nennen. Ein anderes Verfahren steht ihnen allerdings zu. Dies ist so schon von alters her: Den besonderen Ständen der Magister und der Geweihtenschaft steht es zu, die Verfehlungen ihrer Angehörigen nach eigenem Recht und eigenen Mitteln zu bestrafen. Für die Geweihtenschaft ist eine Auslöse aus der Gerichtsbarkeit des jeweiligen Landesherrn erforderlich. Damit ist aber keinesfalls gesagt, dass die Strafe weniger hart ausfiele – glaubt mir, die Urteile der Standesgerichte fallen manches mal deutlich strenger aus, da auch die Stände nach außen Gesicht und Dogmen wahren wollen. Der Herr PRAios verlangt allein, dass Recht gesprochen und der Rechtsbruch gesühnt wird – von wem ist dabei im Rahmen der zwölfgöttlichen Ordnung nachrangig.“ (Lares)

Der Vogt schüttelte den Kopf. Für ihn schien die Aussage des Knappen nicht überzeugend zu sein.

“Das diejenigen, die über die Drachenmacht verfügen ebenfalls ein eigenes Gremium besitzen, dass über sogenanntes Gildenrecht entscheidet, habe ich bereits gelesen- verstehen tue ich es dennoch nicht. Man sollte keine Unterschiede machen”, befand er mit Nachdruck und schnaubte im Anschluss. “Es hat wohl seinen Sinn, dass wir uns nicht eurem Rechtssystem unterworfen haben. Ein Hoch auf die Lex Zwergia!” (Borax)

„Bitte versteht mich nicht falsch, aber auch das ist ein Unterschied im Verfahren, oder etwa nicht? Die Lex Zwergia hat eine lange und aufrechte Tradition und garantiert die Unabhängigkeit Eures Volkes, aber Ihr werdet mir wohl beipflichten, dass Angroschim dieselben Verbrechen begehen können wie sie Menschen begehen.“ Der Knappe legte den Kopf leicht schief. „Und doch seid ihr froh über diese Unterscheidung: Weil Ihr den Unterschied zwischen Zwergen und Menschen erkennt – die Lebensweise, die Weltanschauung und die Herrschaft. Die gleichen Erwägungen stehen hinter der Gerichtsbarkeit der Geweihten und der Magier.“ Beim letzten Wort musste Lares kurz schmunzeln ob der Formulierung, die Borax gewählt hatte – für ihn war die Abschätzigkeit des Zwergs Musik in seinen Ohren. „Beide Stände leben nach anderen, besonderen Regeln und sind anderen Mächten unterworfen. Sie repräsentieren, wenn Ihr so wollt, jederzeit ihren jeweiligen Stand. Das macht sie ‚anders‘.“ (Lares)

„Ich sehe darin eher den Schutz meiner Rasse vor Willkür“, gab der Zwerg bissig zurück. „Ich kann frei meine Meinung sagen, ohne dafür gleich wegen Nichtigkeiten angeklagt zu werden. Wir besitzen eben eine andere, viel ausgeprägtere Streitkultur als ihr.“ Borindarax atmete tief ein.

Ruhiger fuhr er fort. „Darüber hinaus verstehe ich durchaus das Konzept hinter der Teilung der Gerichtbarkeit. Das ändert aber nichts daran, dass ich sie für falsch erachte. Ungleiche Behandlung führt auch immer zu Unmut. Es sollte eine Gerichtbarkeit geben, die über alle Menschen richtet. Das schließt ja keineswegs aus, dass es Gesetzestexte geben kann, die die speziellen Paragraphen enthalten, welche Gildenrecht und Kirchenrecht abbilden.

Ich sehe das Problem einzig in der Mehrzahl der Instanzen“, fasste der Vogt seinen Standpunkt zusammen. (Borax)

In Gedanken war Tassilo das Gespräch über abgeschweift. Grundsätzlich waren die Menschen gleich und zugleich auch wieder nicht. Mann und Frau waren gleich, aber nur wenn sie dem gleichen Stand angehörten. Ein Unfreier durfte über sein eigenes Leben nicht gebieten. Wo er wohnte, wen er heiratet oder was er lernte bestimmte der Herr. Freie auf dem Land oder als Bürger in der Stadt durften über ihren Lebensweg frei entscheiden, waren jedoch durch ihre Lebensumstände begrenzt. Über ihnen stand der Adel, von den Göttern erwählt zu Führen, zu Schützen und Recht zu sprechen. Soweit die generelle Theorie, Magier und Geweihte sollten jedoch eine Ausnahme bilden – erfahrungsgemäß konnte es jedoch nicht Schaden dem Adelsstand anzugehören. [Tassilo]

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020