Im Jagdlager

Im Jagdlager

Auszug in die Wälder

Roklan war bereits früh erwacht, schien doch die aufgehende Sonne in warmen Rot durch das geöffnete Fenster. Nach einer kurzen Morgenandacht zu Ehren Hesindes, hatte sich der Baron von Galebquell erfrischt und war dann seinen beiden Knappen bei den Pferden zur Hand gegangen.
Jetzt saß er im Sattel seiner Teshkaler Stute Sternenfeuer. Kraftvoll, aber ruhig schritt die elegante Stute aus, sanft setzten ihre Hufe auf den weichen Waldboden. Seine beiden Knappen folgten ihrem Herrn auf sehnigen Warunkern und genossen ebenso wie der Schwertvater die frische Waldluft.
Der Rabensteiner war mit dem Morgengrauen erwacht und hatte die Zeit vor dem Morgenmahl genutzt, seine Knappen durch einige Schwertkampfübungen zu scheuchen. Sean, der Page, hatte die Mühen der Älteren betrachtet und versucht, sich klar zu werden, ob er nun zufrieden sein sollte, dass dieser Kelch an ihm vorüberging – oder sich wünschen sollte, selbst alt genug zu sein, um den Umgang mit dem Schwert zu lernen. Statt dessen putzte er das Sattelzeug, packte und beobachtete, wie sein Pagenherr es offensichtlich genoß, sich mit dem Jungvolk zu schlagen und dafür zu sorgen, dass dieses ihm bei späteren Kämpfen Ehre machen würde.
So aber sorgte er dafür, dass Armbrust und Bolzen, Lederzeug und mancherlei mehr, was dem Baron auf einer Jagd dienlich sein würde, ihren Weg ins Gepäck für den Ritt zur Koschwacht fanden. Er zuckte zusammen, als Tsalind eine augenblickslange Ablenkung des armen Boronians ausnutzte und diesem ihr Schwert mit der flachen Seite zuerst über die Kehrseite zog, was ein Schmerzgeheul des Burschen zur Folge hatte, und entschied sich, dass das Packen für diesmal doch das bessere Los sei.
Der Morgen war schon etwas fortgeschritten und die Strahlen des Praiosrunds drangen längst durch den dünnen Vorhang der Kammer. Melcher Sigismund erwachte mit niederhöllischen Schmerzen in seinem Kopf. Was war nur am gestrigen Abend passiert? Er hatte dem Wein, Bier, Met und Schnaps ungefähr in dieser Reihenfolge wohl zu sehr zugesprochen. Nun wusste er zumindest, was Lichthüter Bodar aus Gratenfels meinte, wenn er aus dem Buch mit dem Titel "Von dem grewlichen lasther der trunckenheyt" zitierte.
Zitate wie "Trunckenheyt verderpt den leyb und ist ein ursach fieler kranckheytt". Er schwang sich auf und setzte sich auf die Kante seiner Bettstatt. Sein Kopf quittierte dies sofort mit stechenden Schmerzen.
Seine nackten Füße verspürten eine kühle Flüssigkeit unter den Sohlen.
Melcher sah hinab, möglichst ohne seinen Kopf zu neigen, und erblickte eine grau-braun-grüne Flüssigkeit, die abscheulich stank. Einige Reste des Banketts am gestrigen Abend, die er soeben in der Brühe erkannte, ließen ihn darauf schließen, es handele sich wohl um sein Erbrochenes, worin er gerade seine Füße badete. Melcher beschloss, Bartolos von Bilgraten aufzusuchen, mit ein wenig Glück kam er noch rechtzeitig zum Ende der Morgenandacht des Herrn Praios.
Aber zuerst musste er sich waschen und ankleiden.
Als er einige Zeit später im Hof der Feste erschien, die rechte Hand über den Augen, um nicht zu sehr von den Sonnenstrahlen geblendet zu werden, trug er einen neuen dunkelroten, wattierten Waffenrock, der stolz den Adler derer von Ibenburg auf der Brust zeigte. Der mit silbern gefärbten Fäden durchwirkte Stoff war fein abgesteppt und die daraus entstandenen Taschen mit Rosshaar gefüttert. Seine Hände steckten vorsorglich in schwarzen Stulpenhandschuhen. Dies würde ihn vor Kontakt mit Feld und Wald bewahren, dachte er. Als Beinkleider wählte Melcher eine schwarze Hose aus Glattleder zusammen mit schweren Reiterstiefeln der gleichen Farbe. An seinem Schwertgehänge saß ein Kusliker Säbel, dessen Griffkorb verschnörkelte, florale Ornamente aufwies und nahtlos in die ungewöhnlich schmale, ziselierte Klinge überging. Der Knauf stellte einen sitzenden, löwenköpfigen Greifen mit ausgestreckten Schwingen dar. Man musste das Kriegerhandwerk nicht erlernt haben, um abschätzen zu können, dass dies eine überraschend schnelle, erfreulich leichte und tödliche Waffe war. Ein kleines, einfaches Messer, das beim Herauslösen widerspenstiger Armbrustbolzen aus allerlei Wild sicherlich gute Dienste leisten würde, steckte unter dem Gürtel.
Auf der anderen Seite am Gürtel trug Melcher einen Köcher mit einigen Bolzen darin. Die nur zweifach, in den Farben Rot und Blau befiederten Bolzen versprachen eine stabile Flugbahn, da der Schaft des Bolzens direkt in der Führung der Armbrust lag. Den Abschluss seiner, wie er selbst fand, erneut hervorragend getroffenen Kleidungsauswahl bildete der schwere Kapuzenumhang aus wetterfestem gewachstem Leinen. Der hellbraune Umhang passte farblich kaum zum Rest der Garderobe. Dies lag daran, dass in Gratenfels kein anderer, passenderer zu bekommen gewesen war. Auf dem Weg zu den Stallungen trug er, die Augen zu kleinen Schlitzen geschlossen, eine schwere Windenarmbrust über der Schulter, die er, dort angekommen, sorgsam auf dem leicht bepackten, zweiten Pferd verstaute, das Binya zusammen mit dem Elenviner Vollblut des Vogtes bereits hergerichtet hatte.
Etwas später stapfte der Edle Anselm von Bollenstieg über den Hof. Die schweren Stiefel klackerten über den Pflasterstein. Seine Hofkleidung vom gestrigen Abend hatte er ergänzt um einen Kapuzenwollmantel in dunklem Blau. Sein Langschwert, ergänzt um ein Jagdmesser, hatte er an der Hüfte, über die Schulter war, in dünnes Leder gewickelt, eine leichte Armbrust gehängt. Trotz des langen und weinseligen Abends wirkte der Gardehauptmann ausgeruht und unternehmungslustig. Seinem Gesicht war wenig an Nachwirkungen von der Feier anzusehen, er wirkte allerdings etwas blasser als gestern. Der Dämmerung angemessen begrüßte er die Versammelten mit einem „Praios zum Gruße“ und wandte sich dann seiner Stute zu, die ihm von einem Stallknecht gebraucht wurde. Er überprüfte nochmals den Sitz von Sattel und Zaumzeug, bevor er aufsaß.
Die Geweihte der Hesinde gesellte sich als eine der Letzten zusammen mit ihrem Leibwächter Tar'anam zu der aufbrechenden Gruppe. Sie hatte wieder ihre eher unauffällige Reisekleidung vom vorigen Tage angelegt, ihre roten Locken zu einem Zopf zusammengebunden und unter einem spitz nach vorne zulaufende grünen Jagdhut mit einer kleinen roten Feder an der Seite verstaut. Leicht amüsiert beobachtete sie die mehr oder weniger deutlichen Spuren, die das Bankett bei einigen der Teilnehmer hinterlassen hatte, und dann, als es Zeit für den Aufbruch wurde, schwang sie sich auf ihr Pferd und ließ die Eindrücke der Jagdgesellschaft verblassen zugunsten der frischen, klaren Luft, dem Schein der Praiosscheibe und den vielfältigen Geräuschen des Waldes, soweit diese durch den Lärm der Reiterschar drangen.
„Welch ein Morgen Baronin von Rickenhausen, was?“ an den Worten des Vogtes konnte man nicht erkennen ob er dies nun auf seine Kopfschmerzen oder tatsächlich auf den schönen Tagesanbruch bezog. „Wünsche wohl geruht zu haben, auch Euch Edler von Bollenstieg“, sprachs und hielt seinen Elenviner Hengst zum langsamen Schritt an. „Erlaubt ihr mir neben Euch zu reiten Baronin?“ fragte Melcher die Baronin höfflich, „Seid gewiss, heute werde ich Euch weniger mit meinem Gerede bedrängen, mein Kopf ist doch noch etwas schwer vom letzten Abend“.
„Oh ja, ein wirklich schöner Tag, besser könnten wir es uns nicht wünschen für die Jagd. Und natürlich dürft Ihr neben mir reiten, Hochgeboren, wenn Ihr mir doch zu eloquent zu werden droht, könnte es allerdings sein, dass ich die Flucht ergreife.“ Biora bemühte sich vergeblich, bei diesen Worten ein ernstes Gesicht zu machen.
Der Hauptmann beobachtete die Unterhaltung stumm. Aus irgendeinem Grund erinnerte ihn das Gespräch an das Balzverhalten junger Kadetten. Er schmunzelte.

Der Ritt der Gesellschaft führte auf ausgetretenen Pfaden durch die sachte immer hügeliger werdende Landschaft. Hoch stand das Praios Mal am Himmel, ein leichter Wind ging durch die in voller Herbspracht stehenden Wälder, brachte den Duft von warmer Erde und fallendem Laub mit sich als Versprechen auf den nahenden Winter.
Bald schon währte man sich inmitten der tiefen Wälder, deren Dach herrlichen Schatten spendete gegen das arg stechende Schilde des Sonnenfürsten. Feucht war die Luft und kühl, zum Gruße der hohen Jägerschaft frohlockten Eichelhäher und Seidenschwanz, Sperber und Heckenbraunelle vor dem die Marschtrommel schlagenden Schwarzspechte. Der Pfad war lange schon eng geworden, in Serpentinen wand er sich hinauf und hinab, weit genug dass man ihm auch zu Pferde weiter folgen konnte. Immer wieder auf’s Neue trafen sie auf Bächlein, die sich wie Lebensadern durch die Landschaft zogen und gar verspielt plätscherten, noch nichts ahnten von der drohenden Starre des Winterschlafes. Oder war’s gar immer derselbe Bach?

Garobald saß an diesem Tage ein wenig unsicher im Sattel. Kreidebleich und mit tiefen Ringen unter den Augen hatte der Baronet sich der Gesellschaft am Morgen präsentiert. Warum hatten sie gestern diesen Krug auch leeren müssen? Er hätte aufhören sollen als seine Fingerspitzen langsam taub wurden, ein sicheres Anzeichen das er genug hatte. Er erinnerte sich noch an das Gespräch mit Barnabas, aber über dem Rest lag ein dichter Schleier.
Das Licht der Praiosscheibe strafte ihn zusätzlich für seine gestrigen Taten und ihm war als würde eine Gruppe Zwerge in seinem Schädel auf einen großen Amboss einhämmern. Also hatte er sich zum Schutze die Kapuze seines Reiseumhangs über den Kopf gezogen um sich zumindest etwas Linderung zu verschaffen.
Sobald sie die tiefen Wälder erreichten und damit der Praiosscheibe entkamen, ging es ihm etwas besser, die kühle feuchte Luft tat ihm gut.
Garobald blickte kurz hinüber zu Barnabas, ob es ihm genauso ging?
Wer mochte und den Sinn dafür hatte, verlor sich ganz im Anblick des Gebirgswaldes, vermochte gar vereinzelt Rehe, von den nahenden Reitern verschrocken, mit weiß blinkenden Spiegeln abspringen und flüchten sehen. Weit waren die Jagdgründe und reich – die Gäste der Edlen mochten sich schier vorkommen wie unerlaubte Eindringlinge, welche die Ruhe und Sittsamkeit der hier geltenden Gesetze und Waidgerechtigkeiten störten und selbst das Wilde wohl in Aufruhr brachten. Denn von diesen drohte beständig die Gefahr, nicht nach gutem alten Brauch den Tod zu finden, sondern ehrlos dahingemeuchelt zu werden oder, schlimmer noch, elendig zu Holze zu kommen ! So mochte es manchem der Gäste zumindest erscheinen, ob berechtigt oder nicht. Und allen Reitern, so verschieden sie ihren Geist auch zu beschäftigen wussten, so verschieden ihre Absichten und Ehrvorstellungen für die kommende Jagd auch waren, dieses eine war allen, Gästen, Jagdherrin und Jagdgeselle, doch gemein: Keiner erahnte bei diesem Ritt, dass der Rückweg in wenigen Tagen deutlich schwerer und betrübter ausfallen würde, wenn die anstehende Jagd nicht nur Blessuren und Kratzer, Gliederbrüche und neue Narben als Tribut gefordert hatte sondern weit, weit mehr...
Zufrieden spürte der junge Baron von Galebquell die warmen Muskeln seiner Stute unter sich. Er lauschte ihrem Atmen und als er seine Hand an ihren Hals legte, konnte er ihre erstaunliches Gefühlsleben in sich aufnahmen. Ruhe und Vertrauen strahlte die Stute, die ihn seit vielen Jahren schon begleitete aus, aber auch eine gewisse Aufregung, die dann auch von ihrem Reiter Besitz ergriff.
Roklan lächelte versonnen.
Auf seinem linken Arm saß ein graumelierter Falke, der den Kopf unter der ledernen Haube hin- und her bewegte. Roklan strich ihm mit der freien Hand über den flaumigen Rücken und genoss das leicht vibrierende Gefühl der Federn unter seiner Haut.
Neben dem metallisch-schwarz glänzenden Pferd trottete ein ebenfalls nachtschwarzer Hund, dessen buschige Rute hoch erhoben war. Beinahe fröhlich hielt er mit dem Pferd Schritt und sah dann und wann zu seinem Herrn hoch. In einem Moment sah Roklan herunter, als Ystävä – so der Name des nivesischen Steppenhundes – zu ihm hochblickte. Ein Schwanzwedeln war die Antwort auf die nicht ausgesprochene Aufmunterung des Barons an seinen eher ungewöhnlichen Jagdhund.
Wieder sah Roklan nach vorn. Würzig dufteten die Nadeln der Bäume. Erdig das Moos an den Rinden und Steinen. Durchsetzt von der Frische noch wachsender Minze. Eine sanfte Brise wehte einige Blätter der Haselbüsche auf und Roklan ins Gesicht. Der Reiter schloss kurz die Augen und ließ sich vertrauensvoll von seiner Stute blind tragen. Plötzlich schoss eine Amsel aus dem Dickicht – diese schwarzen Vögel mieden oft die menschlichen Siedlungen und lebten in den dichten Wäldern. Gerüchteweise lebte die Tierkönigin der Amseln, eine mythische Gestalt der Legenden, in den dichten Wäldern des inneren Galebquells. Bhandradhao, sein Falke, schlug zuckend mit seinen Flügeln, hastig bewegte sich sein Kopf von links nach rechts, versuchte die vermeintliche Beute auszumachen. Roklan strich ihm über das Gefieder und beruhigte sein treues Jagdtier stumm.
Über den Wipfeln erklang laut und klar das charakteristische „hiääh!“ langgezogen. Roklan sah nach oben, doch durch die Baumwipfel konnte er den Urheber, einen Mäusebussard, nicht ausmachen. Doch angesichts der möglichen Konkurrenz ließ Bhandradhao ein kurzes Keifen ertönen. Roklan lächelte.
Roklan lauschte. Er hörte nicht nur den Bussard über den Wipfeln. Auch das Knacken im Unterholz wies auf weitere Bewohner des Waldes hin. Womöglich Kaninchen, zumindest in Galebquell gab es sie in den Wäldern mit ihrem abwechslungsreichen Dickicht und den auflockernden Lichtungen zuhauf. Warum also nicht auch hier? Oder es waren möglicherweise Waldhasen, im Wald lebende Feldhasen, die hier auf Nahrungssuche waren?
Wer wusste es schon, wenn sich die Verursacher der Geräusche nicht zeigten? Möglicherweise die vor ihm reitende Edle von Graufurten – oder ihr Waidgeselle. Roklans Lächeln wurde eine Spur breiter und versonnen schloss er die Augen, überließ sich wieder ganz im Vertrauen Sternenfeuer, die ihn sicher über den Waldweg trug.
Der junge Baron, der hier in diesen Wäldern kein Baron, kein Herrscher und kein Regent, sondern einfach nur Roklan sein konnte, lauschte nun nicht nur auf die Geräusche des Waldes. Er hörte, wie sich hinter ihm zwei Personen unterhielten, womöglich der Pfalzgraf und der Baronet von Orgils Heim. Vor ihm schnaubten die edlen Rosse des Barons von Rabenstein, aus dessen Zucht er selbst zwei Hengste erhalten hatte, während ihr Besitzer und sein Gefolge borongefällig schwiegen. In dem Moment, da er diesen Gedanken fasste, dröhnte das tiefe „kraaaa“ eines Boronsraben irgendwo aus der nicht allzu weiten Ferne. Ein meckerndes „Ki-äh!“ war die Antwort. Offenbar hatte sich ein Boronsrabe durch den Mäusebussard belästigt gefühlt und war von diesem mit gänzlich unboronischen Lautäußerungen vertrieben worden.
Roklan unterdrückte ein Lachen.
Seine waldfriedvolle Neugier blieb nicht ohne Auswirkungen. Verschiedene Empfindungen drangen auf ihn ein, Gefühlsfetzen der Teilnahmer der Jagd, welche ihm am nächsten waren. Die Gelassenheit des Rabensteiners wurde durch die beinahe kindliche Aufregung seines Knappen Wunnemars abgelöst, um dann von der Ehrfurcht und Bewunderung Travins verdrängt zu werden.
Roklan schüttelte den Kopf, verdrängte die ungewollten fremden Gefühle. ‚Heilige Herrin Hesinde…‘ betete er stumm. ‚… in deiner Weisheit, lass mich diese deine Gabe beherrschen können, bevor…‘ Er beendete das Gespräch nicht, sondern fokussierte seine durcheinander gewirbelte Gefühlswelt auf seine ruhige Stute, die ihm stets wie ein Fels in der Brandung erschien.
Sofort überkam ihm diese Ruhe und er wurde sich wieder des Waldes um ihn herum gewahr.
Das Lachen seiner Knappen, die sich über etwas amüsierten, riss ihn wieder in die Wirklichkeit zurück und sorgte für Klarheit. Roklan öffnete wieder die Augen und blinzelte, schien doch just in diesem Moment das Licht des Götterfürsten durch das Blätterdach direkt in sein Gesicht, blendete den Baron, aber erhellte und klarte auch seinen Geist.
Roklan atmete tief bis in beide Lungenflügel durch und nahm die frische reine Waldluft in sich auf. ‚Herrin Ifirn, Gnadenvolle Jägerin, segne diese Jagd. Ich begebe mich in Deine Hand und die Hand Deiner Dienerin Leuina von Graufurten…‘ sandte der junge Mann erneut ein Gebet gen Alveran, diesmal einen Segen erbittend.
Wieder ganz im Wald angekommen, ritt er nunmehr konzentriert und gesammelt hinter den anderen her.
Nachdem Anselm einige Zeit schweigend und in die Landschaft blickend vor sich hingeritten war, schloss er zu Garobald auf. Nickend suchte er dessen Blick. „Ihr habt den meisten, die Ihr gestern bei Tisch zurückgelassen habt, einigen Grund zur Sorge beschert. Ein Ehrenhändel im Madaschein ist keine leichtfertige Sache, und selbst mit einer weniger tödlichen Waffe als dem Speer ist schnell ein Hieb oder Stich getan, der nicht mehr dem ersten Blute gerecht wird.“
Der Angesprochene erwiderte den Blick Anselms, antwortete aber nicht sofort. Es dauerte ein wenig bis er sich räusperte: "Ich bitte Euch mein Verhalten bei Tische zu entschuldigen, es war unbeherrscht und impulsiv.“ Garobald musterte Anselm und versuchte ein Lächeln. „Aber Ihr werdet mich nicht nur wegen einer Entschuldigung angesprochen haben.“
Ernst hielt Anselm dem Blick seines Gegenübers stand. War das tatsächlich so offensichtlich? Insgeheim ärgerte er sich, dass er durch sein plumpes Reden die allgemeine Besorgnis vom gestrigen Abend zu einem Gesprächsvorwand degradiert zu haben. Doch in der Tat hatte er dies getan. Anselm lächelte.
„Mich beschäftigt noch immer der bevorstehende Ringkampf zu Ehren des Wintergottes heute Nacht. Die Lehren des Herrn Firun sind mir durchaus vertraut, wenngleich ich nicht behaupten kann, dass ich sonderlich geübt in der Waidkunst wäre oder mich je in diesem speziellen Ritual bewährt hätte. Mit welchen Erfahrungen diesbezüglich könnt Ihr aufwarten?“

Bedauernd blickte Garobald auf: „Meine letzte Jagd liegt schon länger zurück und an einem solchen Ritual habe ich bisher noch nie teilgenommen.“ Der Fischwachttaler fixierte sein Gegenüber kurz, bevor er ruhig und enstpannt zu sprechen begann: „Sagt, was beschäftigt Euch genau? Ist es das Ritual selbst oder fürchtet Ihr ich könnte eine Dummheit anstellen?“
Ein amüsiertes Schmunzeln zeichnete sich aus Anselms Gesicht. „Nicht doch, Euer Wohlgeboren. Keinesfalls würde ich Euch etwas Derartiges unterstellen. Ich versuche nur herauszufinden, wie ich mich auf den Firundienst vorzubereiten habe. Und ganz offensichtlich geht es ja auch darum, einen ebenbürtigen Gegner für diesen Kampf zu finden.“
Belustigt hob der Edle von Bösalbentrutz die Augenbrauen. "Natürlich nicht." Etwas ernster fuhr er fort: "Um Eure Frage zu beantworten, ich habe zwar schon an der ein oder anderen Jagd teilgenommen aber einen rituellen Ringkampf zu Ehren des Grimmen Jägers durfte ich bisher noch nicht bestreiten."
Garobald ritt ein wenig näher an Anselm heran, beugte sich zu ihm herüber und raunte ihm leise zu: "Die korrekte Anrede für einen Baronssohn lautet Hochgeboren." Der Baronet von Tommelsbeuge zwinkerte fröhlich dem Edlen von Bollenstieg zu und fuhr in normaler Lautstärke fort: „Aber ich würde mich auch mit einem einfachen Hauptmann oder Garobald begnügen.“
Anselm biss sich auf die Lippen. Geboren als Bürgerlicher waren ihm die korrekten Anreden nicht immer auf Anhieb geläufig, und dass etwa die Nachkommen von Grafen und Baronen gleichermaßen angeredet werden, verwirrte ihn seit jeher. Gezwungen lächelnd erwiderte er: „Verzeiht. Selbstverständlich steht es auch Euch an, mich beim Vornamen oder mit Hauptmann zu benennen.“ Anselm holte tief Luft. „Ich dachte mir jedenfalls, sofern ich Euch damit nicht zu nahe trete, dass wir beide als Kriegsleute im Ringkampf über vergleichbare Fertigkeiten verfügen und möchte Euch, sofern dies die angemessene Vorgehensweise ist und bei allem Respekt, zu eben jenem Wettstreite fordern.“ Kurz hielt Anselm inne, bevor er ernst ergänzte: „Hauptmann.“
Ein wenig verwirrt bemerkte der Edle die Veränderung bei seinem Nebenreiter. Eigentlich hatte er eine Mauer einreißen und keine neue aufschichten wollen. „Anselm, sollte ich Euch in Verlegenheit gebracht oder beleidigt haben, so seid Euch gewiss, dass das nicht in meiner Absicht lag. Seht mein Angebot mich mit Vornamen anzusprechen als das was es ist, ein freundlich gemeintes Angebot.“ Er zeigte ein ehrlich gemeintes Lächeln. „Und warum solltet Ihr mir zu nahe treten, wenn Ihr mich als würdigen Gegner für den Ringkampf anseht? Im Gegenteil, ich fühle mich geehrt, dass Ihr mich als Gegner in Betracht zieht und gerne nehme ich an.“ Garobald warf Anselm einen hoffnungsvollen Blick zu.
Der Flussgardist bemühte sich um ein Lächeln. So klar ihm die Befehlshierarchie in Kriegsdingen war, so schwer tat er sich in den Strukturen des Adels. Und oftmals sind es nur Nuancen, die den Unterschied zwischen Unterwürfigkeit, Achtung oder Freundlichkeit ausmachten. Er atmete tief ein.
„Es ist mir eine Ehre... Garobald. Dann lasst uns doch nach unserer Ankunft auf der Koschwacht einen der hiesigen Waidleute befragen, welche Griffe und Manöver bei dem hier gepflegten firungefälligen Ringkampf als statthaft gelten und welche nicht. Wir wollen ja nicht unbeabsichtigt den Herrn der Jagd erzürnen, bevor wir des ersten Wildes angesichtig wurden.“
„Das machen wir.“ stimmte der Baronet zu.

Jägergruß und Jägerehr'

Ein Hörnerschall durchdrang das Konzert des Waldes und ließ manchen der Reiter, versunken im Gespräche oder im Anblick der sich ihnen bietenden Schätze der Natur, aufschrecken: Es war der junge Barnabas, der die Lippen am Hifthorne hatte und mit einem kurzen, doch sehr lauten Signal von der nahenden Ankunft kündete. Lange dauerte es nicht, da hörte man aus der Weite des Waldes einen ähnlichen Klange: Dies musste die Antwort von Koschwacht gewesen sein!

Zum Duft von Nadeln, feuchtem Laub und warmem Humusbette gesellte sich schon bald ein neuer: Feuer! Und die ganz feinen Nasen mochten bereits die Beeren von Wacholder, die kohlenden Nadeln von Kiefer und Tanne und heißem Fett wahrnehmen. Dies war der erste Gruß der Jägerschar, welcher die Vorfreude der Besitzer von knurrenden Mägen, und das waren fast alle, nur erhöhte.
Nun in etwas schnellerem Schritte, denn einige der Pferde kannten das Hornsignal und den Weg bereits und verspürten akuten Stalldrang, ging es weiter bis nach etwa einem halben Wassermaß das Ziel erreicht war:
Recht unvermittelt tat sich vor der Jagdgesellschaft eine große Lichtung auf, umgeben von rauschendem Wald. Die Eichen trugen noch stolz ihr grünes Laub zur Schau, die Bergahorne hatten schon zum Prachtkleid aus herrlichstem Rot, Orange und Gelb gewechselt. Dicke Bäume waren das alle miteinander, von denen ein einzelner Stamm nicht von einem Mann umspannt werden konnte. Nun, da der Blick nicht mehr durch das Blätterdach gehindert wurde, konnte ein jeder die bereits von Schnee bedeckten Gipfel des allzu nahen Koschgebirges in ganzer Pracht genießen. Eine wahrlich fürstliche Kulisse, welche sich den Betrachtern da bot!
Innerhalb der Lichtung, die sich flach wie ein Teller präsentierte, standen vier aus Rundholz erbaute, mächtig große Hütten, eine davon war gar eine Stallung in der nicht weniger als ein gutes Dutzend Pferde standen.
Über den Eingangstüren der dunkel gebeizten Hütten waren Schädel von Hirschen angebracht, eines größer und prächtiger denn das andere. Und herrlich geschmückt hatte man die Hütten: Die größte von ihnen mit Wimpeln und Bannern der Edlenfamilie in Blau und Gold, der Baronie Nablafurt und dem Wappen der Grafschaft Gratenfels. Die nächstkleinere Hütte besaß nur Wimpel in den Jägersfarben Schwarz, Grün und Weiß. Keine Standesfarben zierten die anderen beiden Hütten, doch auch ihnen hatte man ein Kleide aus Tannreisig und Eichenlaub angetan!
In der Mitte des Platzes loderte bereits ein großes Feuer über dem eine halbgroße Sau am Spieße hing. Gedreht wurde diese gerade nicht, denn alle anwesenden Bewohner hatten sich zur Begrüßung brav in Reih’ und Glied aufgestellt:
Fünf Gesellen standen da und Barnabas beeilte sich, zu ihnen zu kommen. Der größte und älteste von ihnen mochte gut zwei Schritt messen und nah an den vierzig Lenzen sein. Der kleinste und jüngste war noch halb ein Kinde, keine vierzehn Sommer gesehen und doch stand er da mit stolzer Brust, wie die anderen ein Horne, das größte von allen, in der Hand und ließ sich von den achso hohen Herren nicht nervös machen.
Allesamt hatten sie die Festtagskleider ihres Standes angelegt: strahlend weiße Hemden mit stehendem Kragen, der von schwarzem Tuche mit kunstvollem Knoten verschlossen war. Ihre Westen von der Farbe des Tannengrünes, schwarze Hosen und blank polierte, schwarze Stiefel.
Neben Barnabas und dem größten von ihnen, dieser musste wohl der Jagdmeister sein, trugen nur zwei weitere Gesellen bereits den Hirschfänger an der Seite, alle anderen mussten sich mit dem Horne begnügen.
Nachdem die Gesellschaft vollständig zum Platze aufgeritten war, erschallte zum ersten Male die tiefe Stimme des Jagdmeisters, der mit einem „Hossa!“ das Zeichen zum Aufspielen gab. Und so, wie es nur jene vermochten die ein Leben lang damit geübt hatten, spielten die Waidgesellen zur Begrüßung der hohen Gesellschaft mit ihren Hörnern auf. Und während sie dies taten, erklang der Hunde Geläut aus dem Walde als wollten sie zum Gruße mitsingen.

Leuina wartete mit einem seligen Lächeln auf das Verklingen des letzten Tones. Der Hörnerschall war ihr durch Mark und Bein direkt ins Herz gegangen, ihre blauen Augen leuchteten schier und jedem, der sie beobachtete, ward klar und deutlich: Feste Furtwacht mochte der Stammsitz sein, der Ort, wo Amtsgeschäfte erledigt wurden – doch diese Wälder hier, dies Jägerlager, das war ihre wahre Heimat.
Der Jagdmeister trat vor, vollzog den Schützengruß und neigte sich dabei tief nach vorn als Ehrerbietung für seine Herrin und ihre Gäste.
„Wohlgeboren! Mit Freude darf ich Euch verkünden, alles ist bereitet! Ich und die meinigen freuen uns darauf, mit Euch und Eurer Gesellschaft die Jagd vollziehen zu dürfen, Wohlgeboren!“, es klang etwas falsche Förmlichkeit in seiner Stimme mit. Dies mochte jedoch auch an der Vielzahl der hohen Gäste liegen.
„Nun denn, Aureus, lasst mich die Gesellen und Pagen prüfen!“, Leuina lächelte und wandte sich über die Schulter zu ihren Gästen:
„Schauen wir mal, was die jüngsten von ihnen schon können!“ Sie sprang schwungvoll aus dem Sattel, trat vor und schritt die Reihe ab, musterte die drei Gesellen, einer von ihnen war der Barnabas, mit kritischem, doch mildem Auge. Gleich neben Barnabas stand ein junger Mann mit schier unverschämtem breitem Kreuz und starkem Arm, dem sein dunkles Haupthaar bis auf die Schultern fiel. Bei diesem verharrte die Edle kurz, betastete seinen rechten Arm und sprach mit einem Lächeln zu ihm, und laut genug, dass alle es hörten:
„Wie stark willst du noch werden, Bernbrecht?“
„Wohlgeboren, so stark, wie es der Leithund eben verlangt!“, antwortete er mit erstaunlich melodischer Stimme.
„Aber Bernbrecht, du weisst doch: Der Hund soll sich nicht in den Riemen legen!“, ihre Stimme hatte lediglich sanften Tadel inne. Erklärend wandte sich Leuina ihren Gästen zu:
„Das ist Bernbrecht Lartes, unser Rüdemann. Auf sein Geschick wird es morgen am allermeisten ankommen – auf seines und das der Hündin!“ Unverhohlener Stolz lag in ihrer Stimme und es war keine Frage, dass sich dieser Bernbrecht bisher wohl gut bewährt haben musste.
Ihr Lächeln währte fort, als sie an eine junge Maid herantrat, die wohl auch in Bernbrechts Alter war. Ihre Weste war eng um die drallen Kurven geschnürt, ihr Kreuz war zwar mindestens so breit wie das von Barnabas, doch weil sie neben dem Stiere Bernbrecht stand wirkte sie eher zerbrechlich. Ihren Blondschopf hatte sie sich zu einem Dutt gedreht und festgesteckt, nur einzelne Strähnen fielen ihr ins Gesicht.
Die Edle nickte zufrieden und schritt weiter zur nächsten Maid. Diese, wohl etwas jünger, hatte noch keinen Hirschfänger an der Seite. Sie hatte einen dunklen Lockenkopf und Zahori-Schalk in den Augen.
„Dies ist unsere älteste Jagdpagin, Isotta Saurer“, stellte sie die junge Maid der Gesellschaft vor.
„Wenn der Jagdmeister von Mauser es will, wird sie noch diesen Winter zum Gesellen gegürtet. Nun schauen wir mal, ob es dafür reichen wird...“, sie wurde etwas ernster und hoffte sehr, dass das Mädchen sie nicht blamieren würde:
„Mein lieber Waidgesell unveracht, sage mir an, was hast du weit gut vor sieben Haupt-Zeichen betracht?“
Die Angesprochene überlegte nicht lange und antwortete:
„Mein lieber Waidgesell rund,
den Zwang und Ballen tu ich Euch kund,
woraus der Burgstall sich klar findet,
der Abtritt sich damit verbindet,
der Schank und Schritt und die Ober-Rücken
mit hierdurch bei schnellem Fliehn als auch bei sachtem Ziehn:
Kann ich den edlen Hirsch erkennen
und ihn nach seiner Güte nennen!“
Leuina nickte zufrieden als die angehende Waidgesellin ihr die Merkmale eines Trittsiegels vom Hirsche aufzählte. Stolz blickte sie zu ihren Gästen, dann wieder zurück:
„Sehr gut!“, fiel das Urteil der Edlen aus und sie trat an den letzten und jüngsten ihrer Jägerschaft heran, einem Bub mit krausem Lockenkopf und dunklen Augen, der unverkennbar der jüngere Bruder der soeben Angehörten sein musste. Vor diesem ging die Edle in die Hocke und der Knabe hielt ihrem Blick stand, mit stolzgeschwollener Brust.
„Nun frag’ ich dich und antworte laut und stolz, sodass ein jeder hier es höre.
Waidgesell, lieber Waidgesell hübsch und fein,
sage mir, wann mag der edle Hirsch am besten gesund sein?“
Der Knabe antwortete laut und kein bisschen verlegen:
„Das kann ich Euch wohl sagen frei: Wenn die Jäger sitzen und trinken Bier und Wein, pfleget der Hirsch am allergesündesten zu sein!“
Leuina lachte auf und erhob sich, tätschelte dem Jagdpagen zur Belohnung das Haar, welches dieser sogleich wieder zu richten versuchte als die Edle ihm den Rücken zuwandte, doch ohne Erfolg. Diese lachte ihrer Jagdgesellschaft entgegen:
„Meine Gäste, da ist kein Fehl an meinen Jägern. Alle von ihnen wissen und vermögen ihres Alters gemäß was sie müssen, wenn nicht gar mehr! Es stehe Euch allen frei, sie zu prüfen! Zeit ist genug.“ Sie klatschte in die Hände, woraufhin Bewegung in die Jägerschar kam und sie sich beeilten, den Herren mit Gepäck und Pferden zu helfen...

Die große, in Standesfarben geschmückte Hütte war das Quartier der Jagdgesellschaft. Über dem Türsturz waren eigentümliche Zeichen eingeschnitzt, die ihrem Verwitterungsgrade nach schon so alt sein mussten wie die Hütte selbst. Nach einem kleinen Vorraum, der wohl dem Wechseln der Stiefel diente, kam man in einen einzigen, großen Raum. Durch auf Seile gespannte Vorhänge hatte man diesen in einzelne Lagerstätten separiert und da die Fensterläden weit offen standen und ein leichter, warmer Wind ging, wehten die Vorhänge sachte, blähten sich auf und erweckten den Eindruck, die Vorhänge wären lieber Segel geworden. Ein Kachelofen in der Mitte des Raumes würde auch in den kalten Nächten Wärme spenden und nasse Kleider trocknen.
Die einzelnen Lagerstätten indes waren kaum mit den Zimmern auf Feste Furtwacht zu vergleichen. Hatte man diese schon ob des eher rustikalen Komforts belächelt – im Vergleich zum Jagdquartier hier waren sie nun der schiere Luxus! Einfache Bettgestelle, Felle dienten als Matratze, schlichte Wolldecken. Immerhin hatte man kleine Truhen für die Kleider bereitgestellt und auch gab es Tonkrüge und Becher für den Durst in der Nacht. Gewichteige Größenunterschiede gab es zwischen den Lagerstätten nicht und auch eine „Zimmerbelegung“ war wohl nicht vorgesehen, sodass jeder frei wählen konnte. Dabei gab es recht überschaubare Überlegungen, welche dafür bedacht werden konnten: Fern oder nah der Tür? Fern oder nah dem Kachelofen? Mit Fenster gen Osten, um von Praios Schilde wachgekitzelt zu werden? so heimelig und gemütlich dies Quartier auch sein mochte, es war zum Schlafen gedacht und nicht für mehr.
Die Hütte der Jäger, in der auch die Knappen der Gäste Quartier finden würden, mochte zwar kleiner sein, verfügte aber über echte Wände und Türen was den Verdacht nahelegte, dass die große Hütte allein für die großen Jagden in Gebrauch genommen wurde.

Biora hatte mit hesindegefälligem Wohlwollen die Prüfung der Pagen und Gesellen beobachtet und sich am sichtbaren Eifer der Kinder, denn auch die Ältesten unter ihnen waren kaum mehr als das, erfreut. Danach hatte sie mit Tar'anam die Unterkünfte besichtigt und sich eine Bettstatt nahe an einem Fenster und nicht zu weit entfernt vom Herd gesichert. Da hier alles sehr zwanglos vonstatten ging, würde Tar'anam als Edler ebenfalls hier unterkommen. Nicht, dass Biora der Meinung war, hier der Dienste eines Leibwächters zu bedürfen, aber er war ja nicht zuletzt ein guter Freund. Als das Gepäck verstaut war, schlenderte sie hinaus zum Feuer.
Der Edle von Wildenberg blickte auf, als die nicht sonderlich großgewachsene Priesterin auf ihn zutrat. Auch er hatte sein Gepäck in die Hütte gebracht, im Gegensatz zur Hesindegeweihten aber einen der Fensterplätze fern des Ofens belegt. Seine Reisen hatten ihn belehrt, dass über Hitze oder Kälte einzig und alleine Ausrüstung und Kleidung entschieden und so hatte er in weiser Voraussicht beste Gewandung eingepackt, was dazu führte, dass ihm stets mollig warm war, ein Umstand, den der Kachelofen zu Schwitzhüttenqualität umformen wollte. Beständig aber die Kleidung wechseln war seine Sache nicht.
Insgesamt fühlte er sich sehr wohl, zu wohl, wenn es nach ihm ging. Seine bisherigen Erfahrungen hatten ihn gelehrt, dass ein Hochgefühl im Kreise einer großen Gruppe Edler zumeist in die Katastrophe führte. Aber alles zu seiner Zeit. Erst einmal bedankte er sich innerlich für die Jahre, die er nun schon in Almada zubrachte und die ihn das Zechen und den Punkt gelehrt hatten, an dem es dringend geboten war, aufzuhören, wollte man am nächsten Tag auch nur den kleinsten klaren Gedanken fassen.
Finmar horchte in sich hinein und musste bekennen, dass sich in sein eigenes Hochgefühl immer stärker eine Beunruhigung schob, die er nicht fassen konnte. Alles hatte angefangen, als er des jüngsten Jagdpagen ansichtig geworden war. So jung und doch gleichsam so vertraut. Der Eifer, mit dem der Knabe die Jagdverse aufgesagt hatte, wie sehr glich dieser doch seinem eigenen Eifer damals, bei seiner letzten Jagd. Unbewusst lockerte er seines Vaters Langschwert im Schwertgurt und zog unter der dicken, schwarzen Lodenjacke das leinene Hemd glatt, um den Lederbeutel auf der Brust zu spüren. Er würde den Knaben im Auge behalten und wenn es ihm gelänge, allen Schaden zumindest von dem Kind abwenden. Kurz zog er die Jacke fröstelnd enger an den Körper, dann, als sei kurz ein Schatten über seine Seele gehuscht und wieder verschwunden, entspannte er sich wieder.
„Wollt Ihr darüber reden?“ richtete Biora das Wort mit leiser Stimme an Finmar. Ihr war nicht entgangen, dass ihn etwas beschäftigte.
Finmar zuckte zusammen, von der Hesindegeweihten aus den Gedanken gerissen, dann nickte er. „Heute Abend am Feuer, wenn die Jagd gut ausgegangen ist. Ich mag keine Geschichten erzählen, die ein schlechtes Omen sein könnten. Aber alles erinnert mich so sehr an die Vergangenheit…“ Die Gefährtin so vieler vergangener Abenteuer hatte die Geschichte verdient. Gleichwohl gab es für alles die richtige und die falsche Zeit. „Ihr würdet mir schon einen Gefallen tun, wenn ihr mir einfach die Freude Eurer Gesellschaft bei der Jagd gönnen würdet.“ Und damit auch den Beistand einer Geweihten in der Nähe des Jagdburschen, der ihn mehr als alles an die eigene verlorene Jugend erinnerte.
Die Geweihte nickte ernst. „Selbstverständlich erfülle ich dir diesen Wunsch. Es mag allerdings sein, dass du damit auch die Nähe des Vogts des Landtgrafen genießen dürft.“ Ihre Stimme klang ausnahmsweise trotz der Wortwahl in keinster Weise ironisch, zudem duzte sie den Edlen ob ihrer langjährigen Vertrautheit wie selbstverständlich, wenn es keine weiteren Zuhörer gab. „Dagegen ließe sich aber sicherlich etwas tun, wenn das zu viel für dich wäre.“
Der junge Mann ließ ein gut gelauntes und - aufgrund der Gewissheit ihrer Jagdgesellschaft - entspanntes Lachen hören: „Glaub mir, Biora. Ich habe mittlerweile mit so vielen Hofschranzen und Wichtigleuten parliert, da kann ich auch einen Landvogt aushalten. Und nach gestern Abend ist es vielleicht nicht schlecht, wenn er von diplomatisch geschulteren Zuhörern umgeben ist, die in solchen Dingen versiert sind und weniger tief in die Flasche gucken.

Melcher Sigismund war inzwischen von seinem Pferd gestiegen und hatte den Aufmarsch der Jägergesellen gespannt, ja gar mit einem leichten, belustigten Schmunzeln verfolgt. Noch bevor Leuina zu ende Gesprochen hatte begann er ebenfalls die Reihe der Gesellen abzuschreiten, die linke Hand locker auf dem Griffkorb seines Säbels liegend, die Rechte mit dem schweren Siegelring der Mark, einem jeden einzelnen Gesellen zum Gruße reichend. Langsam schien Melcher seine etwas geckenhafte Art abzulegen und schien im Walde angekommen.
Nachdem ein Jagdpage die Sachen des Vogtes in der Truhe seiner Bettstatt, die nicht ganz zufällig neben der Baronin von Rickenhausen lag, verstaut hatte, begab er sich ebenfalls zum Feuer.

Mit undeutbarer Miene hatte Lucrann das wortreiche Willkommen begutachtet. Wortlos hatte er seinen elenviner Rapphengst versorgt und erst dann das Tier seinem Pagen übergeben, der mit dem kräftigen, temperamentvollen Tier erstaunlich gut auskam – auch wenn es oft genug der fünjährige Konya war, der dem zehnjährigen Sean zeigte, wo es langging. Lucrann beobachtete das ungleiche Paar, ehe er seine Knappen sein Gepäck auf sein Lager, das zweite rechts neben der Tür, tragen ließ und sich wieder den Jägern zugesellte.

Die Kopfschmerzen hatten sich gnädigerweise in ein sanftes Pochen gewandelt und die Blässe war ebenfalls fast zur Gänze aus Garobalds Gesicht verschwunden. Entsprechend gut gelaunt kümmerte er sich um sein Pferd bevor er seine Schritte mitsamt Gepäck gen der Unterkunft lenkte. Dort angekommen sah Garobald sich nach einem freien Platz um und entschied sich für den Schlafplatz rechts neben der Tür. Sorgfältig verstaute er seine Kleidung in die Truhe vor der Lagerstatt. Den Rest legte er neben das Bett. Zufrieden schlenderte zum Feuer, den Duft des gebratenen Schweins in der Nase.

Nachdem die Pferde versorgt waren und die Quartiere bezogen, mochte man sich am Feuer auf Bänken einfinden wo zumindest die Jäger nebst der Edlen selbst bereits Platz gefunden hatten und in entspanntes Geplauder verfallen waren. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung in Angesicht der freudigen Jagd am nächsten Tage und auch die Jagdpagin Isotta, die älteste ohne Hirschfänger, scherzte fröhlich mit, obwohl sie die undankbare Aufgabe hatte, die Sau am Spieße zu drehen. Der Duft des gebratenen Fleisches und des gewürzten Rauches, man hatte Wacholder und Tannreisig ins Feuer geworfen, ließ einen nahezu das Wasser im Munde zusammenlaufen
Nachdem sich alle ihre Gäste im Kreise am Feuer eingefunden hatten, erhob die Edle die Stimme an alle gewandt:
„Nun, wir haben ja noch viel Zeit bis zum Sonnenuntergang. Bis dahin wollen wir uns je nach Gelüste die Zeit vertreiben. Wer noch Zeug für die Jagd benötigt wendet sich bitte an Jagdmeister Aureus von Mauser“, ihr Blick fiel auf den Hünen neben ihr und reflexartig schenkte sie ihm ein sehr spezielles Lächeln.
„Wer die Hunde in Augenschein nehmen möchte, ist bei Bernbrecht recht wohl aufgehoben.“, der Waidgeselle lächelte stolz und verlegen zugleich in die Runde. Es schien dabei fast, dass er dem Baron von Galebquell schelmisch zuzwinkerte und etwas länger mit seinem Blick auf dem ansehnlichen Manne verblieb als es angemessen gewesen wäre. Doch wusste Bernbrecht ja auch noch nicht, dass Roklan ein waschechter Baron war...
„Auch die Umgebung mögt Ihr erkunden und ich gebe einem jeden von Euch dabei frei, ein Kitz oder Rehbock zu schießen falls es Gelegenheit dazu gibt. Doch dazu würd ich bitten, nicht ohne einen meiner Gesellen oder Pagen mit Jagdzeug in die Wälder zu ziehen.“ Sie atmete tief durch. „So, und ich weiß nicht wie’s Euch geht aber mein Magen lechzt nach dem Schweine....“

Hundedinge

Dem unerkannten Baron war der Blick des athletischen Waidgesellen nicht entgangen. Er hatte mit einem Lächeln über einen Mundwinkel und einer hochgezogenen Augenbraue reagiert – ob dies eine Antwort war?
Er tätschelte Ystävä den Kopf, der schwarze Hund saß neben seinem Herrchen und hechelte zufrieden und schwanzwedelnd. Roklan erhob sich von seinem Platz auf der schweren, hölzernen Bank. Ystävä tat es ihm gleich, als sei keine Aufforderung nötig, und tänzelte leichtfüßig auf ihren vier Pfoten. „Ich werde mich den Hunden widmen. Immerhin muss sich Ystävä auch mit ihnen bekannt machen. Ein Fremder im Rudel sorgt immer für Verwirrung.“ Gekleidet in ein wildledernes, bequemes Jagdhemd, wandte sich Roklan an den Hundeführer. „Herr Bernbrecht, wenn Ihr nichts dagegen habt, dass ich die Hunde in Augenschein nehme?“ Roklan lächelte auffordernd und machte eine ebenso einladende Armbewegung.

„Aber nein, gewiss nicht!“, antwortete der Rüdemann dem Baron. Er warf seinem Gegenüber noch einen raschen, musternden Blick zu und schenkte ihm erneut dieses lausbübische Lächeln, wenngleich es nun etwas an Sicherheit gewonnen hatte. Er wagte es gar, dem Mann seine starke Hand auf die Schulter zu legen, als er sich zum Gehen wandte. Diese Kühnheit wurde allerdings jäh von einem Räuspern getrübt, dessen Verursacher, wie hätte es anders sein können, wieder einmal der Spielverderber Bartolos war.
„Bernbrecht, hast du nicht etwas vergessen..?“, fragte dieser recht kühl. Der Praiot hatte unweit der Edlen am Feuer Platz genommen und ihm war das ganz und gar unangemessene Interesse des Waidgesellen an dem Baron von Galebquell keineswegs entgangen.
Bernbrecht nun wieder verharrte im Wenden noch, schien kurz zu überlegen und wandte sich nun doch wieder den Gästen zu, verkniff sich sehr erfolgreich, dabei allzu enttäuscht auszusehen:
„Falls uns noch jemand Gesellschaft leisten möchte, seid uns willkommen!“

Nachdem sich niemand anschließen wollte, zuckte Bernbrecht mit den Schultern und schritt mit Roklan voran auf einen ausgetretenen Pfad, der in die umliegenden Wälder führte.
„Ihr müsst wissen, dass wir unsere Hunde in der Meute mit den Gästen führen werden. Bei Bedarf wird der Schweisshund vorn ausgetauscht, wenn er müde ist. Oder sie werden auf verwundetes Wild geschickt. Welchen Zwecke wolltet Ihr Ystäva zuführen?“, mit überraschender Leichtigkeit sprach der Waidgeselle das nivesische Wort aus und konnte auch im Gehen nicht anders, als stets den Augenkontakt zum Baron zu suchen.
Roklan schien keinerlei Einwände gegen die an sich unstandesgemäße Berührung durch einen niederrangigen zu haben. Ob dies auf darauf zurückzuführen war, dass er sich hier in diesem Kreise zu diesem Anlass in dieser Umgebung einfach nicht als Baron fühlen musste, oder ob es doch eher an dem aufgeweckten, anziehenden jungen Mann lag – das mochte allein der Baron wissen. Und Rahja. Während also Bernbrecht dem Pfad voran schritt, beäugte Roklan das breite Kreuz des Mannes und die wohlgeformten Schultern. Und sein Blick glitt auch tiefer und besah sich die untere, ebenfalls sehr muskulöse Anatomie des Mannes – die passend dazu noch in eng anliegenden Lederhosen steckte. Dass der Baron, der auch gleichzeitig Consortis der Hesindekirche war, sich übermäßig für Anatomie interessierte, konnte man nicht behaupten. Nun ja, zumindest wurde sein Interesse für Anatomie dann und wann durchaus geweckt.
„Ystävä…“ konzentrierte er nun wieder seine Gedanken auf ein Thema jenseits muskulärer Bereiche. „… ist eine wunderbare Spürnase. Sie spürt verwundetes Wild auf, sodass der gefällige Jäger sein Werk zur Gnade des Tieres vollenden kann.“
Bernbrecht überwand gerade eine kräftige Baumwurzel an einer Stelle, die steil bergan führte, mit Leichtigkeit. Roklan geriet ins Straucheln, knickte ein. „Hossa!“ rief er überrascht aus, was Bernbrecht innehalten ließ. „Herr Bernbrecht, könntet Ihr mir helfen?“ sprach er und streckte mit einem Lächeln seinen linken Arm aus.
Auf den Ruf des Barons hin hatte sich der Jäger rasch umgedreht und sah nun den gestürzten Roklan zu seinen Füßen liegen. Lächelnd tat er einen Schritt hinab:
„Aber gewiss!“ er streckte seinen Arm aus und umgriff das schlanke Handgelenk. Mit Leichtigkeit und in einer fließenden Bewegung zog er Roklan empor. Trotz seiner Stärke war Bernbrecht jedoch kein Aufschneider und wusste seine Kraft gut einzuschätzen, sodass er nicht zuviel Schwung in die Bewegung brachte – am Ende wäre ihm der noch unerkannte Baron gar an die Brust geflogen. Momentan standen sich die beiden so nah, dass Roklan den salzigen Duft auf des Jägers warmer Brust riechen konnte. Und so aus der Nähe betrachtet wirkte der Oberkörper des jungen Mannes gleich mehr aus Granit gemeißelt: In den Künsten gab es drei Ideale, welche dem Bildhauer als besonders hesindegefällig galten. Den schlanken, hochgewachsenen Elben, den rondrianischen Hünen und den muskulösen, doch eher kleinen Waldmenschen. Letzterer war meist als Symbiose des Elfen mit hohen Wangenknochen und großen Augen mit dem athletischen Körperbau des Rondrianers dargestellt. Nun, da der Diener Hesindes dem Rüdemann gegenüber stand, in dessen bärtiges, maskulines Gesicht blickte, die stramme Brust vor Augen, konnte er kaum anders als zu überlegen, ob man diesen drei Idealen nicht noch ein viertes hinzufügen sollte: Das des firungefälligen Jägers. Oder war dies vierte gar über die Jahrhunderte, in denen auch die jagdlichen Traditionen bis zur Unkenntlichkeit verschliffen worden waren, verloren gegangen?
„Ihr habt Euch nichts getan?“, fragte Bernbrecht mit melodischer Stimme. Welchen Klang sie wohl beim Singen haben würde?
Roklan schüttelte den Kopf, ein klares Wort brachte er gerade nicht hervor – zumindest solange nicht, bis er die Koschkröte in seinem Hals heruntergewürgt hatte. Er stand nun wieder gerade auf seinen beiden Beinen und festem Boden, hielt immer noch die Hand des Rüdemanns. Elb, Waldmensch, Rondrianer – Jäger. Diese Bilder schossen durch seinen Kopf.
Es dauerte einige Augenblicke, da die Koschkröte verschwunden war. „Nein, nein.“ Er sah an sich herunter. „Es ist noch alles ganz.“ Bernbrecht lachte – ein klares ehrliches Lachen, in das Roklan einfiel. Immer noch hielt der Rüdemann die Hand des Barons. Roklan räusperte sich und sah Bernbrecht an. Dieser entließ den Gestürzten mit einem kecken Grinsen aus seinem Griff. Kalt umwehte nun der frische Wind des Waldes, welcher durch die Blätter zu ihnen drang, das nun freie Handgelenk des Barons.
Ohne ein weiteres, weil auch überflüssiges Wort, drehte sich Bernbrecht um und setzte seinen Weg durch den Wald fort. Roklan folgte ihm auf dem Fuße und erwischte sich mehr als einmal dabei, wie er die Kehrseite des Hundeführers bewundernd anblickte. Ystävä neben ihm hielt Schritt, sprang gelenk über Wurzeln und Steine. Zügig kamen die beiden Waldläufer nun voran. Als der Weg wieder breiter wurde, gingen die beiden Herren nebeneinander.
„Hoher HErr…“ richtete der Jäger das Wort an seinen neu gewonnenen Gefährten.
„Roklan…“
Bernbrecht stutzte, blinzelte.
Roklan lächelte. „Hier, in diesen Wäldern fern jeder Hauptstadt und Politik möchte ich nicht der Baron von Galebquell sein, sondern einfach nur Roklan…“
Bernbrecht blinzelte. „Ihr seid ein Baron, oh, verzeiht, ich wollte nicht ungebührlich erscheinen, ich, meine Manieren, verzeiht, Euer Hochgeboren.“
Jetzt war es an Roklan, zu schauen wie ein Rehbock, der sich auf eine abrupte Konfrontation mit einer 6er Ferrara – in seinem Wald! – vorbereiten muss. Dann lachte er. „Es ist doch alles in Ordnung. Ihr wart nicht unhöflich – und wie ich sagte, ich bin einfach nur Roklan.“
Der Jäger grinste erleichtert und fuhr sich mit seiner Hand durch das Haar. Er seufzte und sah wie ein gerade noch einmal der Strafe entronnener Lausbub aus. „In Ordnung, aber es soll nicht heißen, ich würde die Gäste der Edlen nicht standesgemäß behandeln.“ Er lachte.
Der Baron grinste. „Niemals!“ Dann hielt er inne. Genauso wie die neben ihm stehende Ystävä. Ihre Rute stellte sich auf, ebenso wie ihre Ohren. Roklan tätschelte ihren schwarzen Schädel, dann blieb seine Hand darauf ruhen. Er lauschte – und hörte dann das leise Fiepen von Hunden. Vielen Hunden.
Das Gehege der Jagdhunde war nicht weit entfernt von der Jagdhütte, der Weg dorthin war kürzer als Roklan angenommen hatte – doch wer trödelt, braucht halt länger. Und schon hinter dem nächsten Baum tauchte das große Gehege auf.
Roklan staunte. Besaß er auch eine kleine Jagdmeute, so übertraf diese Ansammlung aus Beinen und Schwänzen seine Vorstellung – auch vom Besitz der Edlen! Überall sah er ein Maul, eine lange Schnauze, einen wedelnden Schwanz, hörte Fiepen, Jaulen, leises Knurren. Als der Rüdemann die Lichtung betrat, klüngelte alles, was vier Beine hatte, plötzlich am Zaun des gewaltigen Zwingers. Bernbrecht lachte. „Firuns Gruß, meine Freunde!“ rief er den Hunden entgegen und das Wedeln von bestimmt zwanzig, dreißig Ruten war die Antwort.
Roklan grinste breite – ruckartig blieb er stehen, schloss unter einem unsichtbaren Ansturm die Augen. Aufregung, Neugier, Anspannung, alles drang auf ihn ein, von ungezählten tierischen Seelen. Es gelang ihm nicht, die Tür gegen diesen mentalen Wind zu schließen, obwohl er sich dagegen stemmte. „Ystävä…“ Er bemühte sich, konzentriert zu sprechen, spürte dann seine treue Hündin an seiner linken Seite. Seine Hand fand ihren Kopf, tätschelte sie und dann ließ er sich auf sie ein, auf ihre gradlinigen Bedürfnisse, allein auf sie, auf ihr Bewusstsein. Sein Geist klärte sich, nur noch die Neugier der nivesischen Steppenhündin fand Einlass. Wohltuend. Klar. Strikt. Ystävä war ihm eine Stütze. Roklan atmete aus und öffnete wieder die Augen.
Bernbrecht stand immer noch am Gatter und streichelte durch den Zaun eine vorwitzige weißbraune Schnauze. Braune Augen blickten ihn mit einer tierischen Verbundenheit an, braune Schlappohren hoben sich.
Roklan trat nun näher. Ystävä hielt sich halb hinter ihm. Die Hündin hielt die Rute halb aufrecht, die Ohren gespitzt. Bernbrecht stand wieder auf und drehte sich um. „Euer Hoch…“ Er räusperte sich. „Roklan… Das ist die Graufurtener Jagdmeute, sozusagen mein Heer.“ Er lachte breit. Roklan fuhr sich durch das kurze hellbraune Haar und betrachtete sich das Gewusel genauer. Er zählte bestimmt zehn Andergastische Gebirgsschweißhunde, in verschiedenen Rotbrauntönungen, mal heller, mal dunkler. Einige besaßen dunkelbraune oder schwarze Masken und Ohren. Er kannte diese Rasse, auch wenn er selbst keine Schweißhunde besaß. Kleiner als die Schweißhunde waren die etwa zehn Nostrischen Stöberhunde, wendig, flink, von weißer Farbe mit braunem und schwarzem Rücken.
„Beeindruckend…“
„Als dem Firun gefällige Jägerin legt die Edle Leuina Wert auf eine große und gut ausgebildete Jagdmeute.“ erklärte Bernbrecht nicht ohne Stolz.
Eine große Hündin, eine Schweißhündin, drängte sich durch die Menge. Andere Hunde machten ihr Platz, bis sie schließlich am Zaun angelangt war. Ihre Lefzen hoben sich zu einem Grinsen, ihre Rute schlug aufgeregt von links nach rechts. Sie stand genau vor Ystävä und hob die Ohren, die Rute stand nun starr nach hinten.
„Dies ist die Leithündin?“ erkundigte sich Roklan und sah von dieser zu Ystävä.
Bernbrecht nickte und verschränkte die Arme vor der starken Brust. „Das ist Nida, eine wirklich erfahrene Schweißhündin.“
„Nida…“ Roklan grübelte. „Benannt nach Nidari, der Ifirnstochter?“
Wieder nickte Bernbrecht. „Der Hüterin der Jagdgesetze. Ihr seid klug.“
Roklan lachte. „Belesen, würde ich eher sagen.“ Er funkelte Bernbrecht fröhlich an. „In Galebquell gibt es einen Hain, der Ifirn und Nidari geweiht ist. Meine Base Reineldis von und zu Hornisberg ist auch eine Geweihte der Ifirn.“
„Belesen?“ Bernbrechts Blick glitt vom Gesicht des Barons hinab über seine Brust, seine Beine bis zu den Füßen. „Wie ein Stubenhocker seht Ihr nicht aus.“
Roklan lachte – und errötete. „Ähm… wollen wir Nida und Ystävä miteinander vertraut machen?“
Bernbrecht ging ohne Antwort zum Gatter und rief mit einem kurzen „Nida!“ die Hündin herbei. Die restliche Meute machte Platz, Bernbrecht konnte das Gatter öffnen und die sehnige, muskulöse Hündin kam heraus. Ystävä hielt sich an Roklan, sah von dieser zu Roklan. Ihre Ohren waren gespitzt, ihre buschige Rute auf halber Höhe. Der Baron merkte, dass Ystävä sich wohl dazu entschlossen hatte, sich einzuordnen. Er widerstand dem Impuls, ihr den Kopf zu tätscheln, trat dafür einen Schritt zurück.
Nida und Ystävä begannen, sich zu beschnüffeln, Nida streckte ihre Rute und hob ihre Ohren. Die schwarze Nivesenhündin Roklans hockte sich halb auf den Boden und hob, ihren Bauch darbietend, die rechte Pfote. Ein Gerangel zwischen den beiden Hündinnen brach aus, halb spielerisch, halb ernst und nach wenigen Augenblicken war die Hierarchie zwischen der Leithündin und dem Neuankömmling geklärt: Nida führte.
„Wenn es doch auch bei Menschen so schnell gehen würde…“ murmelte Roklan. Bernbrecht lachte, Roklan zuckte zusammen und sah den Rüdemann schuldbewusst an. „Habe ich das etwa laut gesagt?“
Ha-ha-habt Ihr…“ lachte Bernbrecht weiter und hielt sich den Bauch. Er konnte gar nicht mehr aufhören.
Der Galebqueller runzelte die Stirn und hob die rechte Augenbraue. „Was, bei Phexens Humor, ist denn so lustig daran?“
Der Hundeführer ging in die Knie und sah sich nun der vollen Aufmerksamkeit der beiden Hündinnen ausgesetzt, die aber anscheinend nicht minder verwirrt waren als der Gast aus dem Süden der Grafschaft.
„Die…“ Er lachte. „…Das…“ Er rang nach Luft. „…nein, das kann ich…“ Er hustete. „…nicht sagen.“ Bernbrecht zwang sich wieder unter Kontrolle und japste nach Atem. Er stand wieder auf und wischte sich glucksend Tränen aus dem Gesicht.
„Ich verspreche Euch hoch und heilig, dass nichts, was auf dieser Lichtung gesagt wurde, diese verlässt!“ Roklan hob mit ernstem Gesicht die Schwurhand.
„Nein, ich kann…“ Bernbrecht gluckste wieder. „…nicht.“
„Sprecht!“ Roklan grinste. „Ihr könnt mich nicht heiß machen und dann hängen lassen.“
„Heiß?“
„Heiliger Strohsack…“ Roklans Grinsen wurde breiter.
„Versprecht es!“ Bernbrecht atmete schwer, wie nach einem heftigen Ringkampf.
„Ja, ich verspreche ja schon: Ich werde es nicht weitersagen.“ Roklan nahm die Schwurhand herunter. „Aber nun lasst mich auch lachen!“
Bernbrecht hatte sich erstaunlich gut unter Kontrolle, er bebte nur vor unterdrücktem Lachen. „Naja…die Vorstellung, Seine Hochgeboren Melcher von Ibenburg oder der Baron von Rabenstein würden es klären wie die beiden hier…“ er deutete mit seiner starken Hand auf Nida und Ystävä.
Roklan blinzelte, sein Gesicht zuckte, blieb aber ernst. Noch. „Ihr sprecht von meinem Schwager!“ warf er betont ruhig ein. Bernbrecht verzog entschuldigend das Gesicht, doch dann brach es auch Roklan heraus. Er lachte. Bernbrecht sah ihn an, blinzelte. Dann fiel er in das Lachen an. Roklan schlug dem Rüdemann auf die Schulter und lachte, bis ihm die Tränen liefen.
Die Hündinnen saßen einträchtig nebeneinander und schauten einfach nur den scheinbar verrückt gewordenen Herren bei ihrer humorvollen Tätigkeit zu.

Kurz darauf saßen Roklan und Bernbrecht auf einem Baumstamm und aßen Brot, Käse und Fleisch, welches Bernbrecht mitgenommen hatte. Ystävä und Nida lagen nebeneinander vor dem Baumstamm und genossen die Ruhe. Mittlerweile hatte sich die Nivesenhündin auch mit dem restlichen Rudel vertraut gemacht. Ob die Jagd gemeinsam erfolgreich sein würde, würde sich noch zeigen. Aber Roklan war zuversichtlich, dass Ystävä und Bhandradhao, sein Jagdfalke, sich durchaus als gewitzte Jäger präsentieren würden.
„Was ist das?“ Bernbrechts Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah dem Rüdemann ins Gesicht, dann folgte sein Blick dem ausgestreckten Arm auf seinen geöffneten Rucksack, aus dem ein kleiner schmaler Lederkoffer herausragte.
„Ach das…“ erklärte der hochgeborene Jägersmann. „… ist meine Flöte.
„Ihr spielt Flöte?“
„Ja.“ Roklan lächelte. „Ist das so ungewöhnlich?“
„Bei Euch verwundert mich nichts mehr.“ lachte Bernbrecht. „Spielt Ihr mir etwas vor?“
Roklan nahm den Koffer, öffnete ihn und entnahm ihm eine dreiteilige Flöte aus dunklem Holz. Er setzte den Kopf, das längere, gelochte Mittelteil und das kurze kompakte Fußstück mit beinahe meditativer Konzentration zusammen. Dann spielte er mit flinken Fingern zuerst ein paar Tonleitern und Notensprünge, um dann in eine spielerische, sehnsuchtsvolle Melodie überzugehen .
Bernbrecht schloss die Augen und lauschte dem Lied. Er lehnte sich zurück, stützte die Hände auf den Baumstamm und was er träumte, wusste nur er.
Nachdem Roklan geendet hatte, herrschte einige Momente die Stille des Waldes. Der Wind tanzte durch die Krone der Bäume, Vögel zwitscherten, irgendwo keckerte ein Häher. Langsam öffnete Bernbrecht die Augen.
„Schön…“
Roklan lächelte scheu. „Es ist nicht so schön wie es mir eine Freundin spielte. Es ist eine elfische Melodie, aber das Zauberhafte will mir nicht gelingen. Vielleicht, weil ich ein Mensch bin.“
„Ich kenne die elfische Variante nicht… ich fand es schön…“ erklärte Bernbrecht.
„Danke…“

Bald schon kehrten die beiden Jäger zurück. Es war beinahe, als verließen sie eine Feenwelt, um dann in die Welt der Menschen, zur Burg Koschwacht, zurückzukehren.

Aufrüsten

Unterdessen im Zeughaus...

Aufrüsten
Die Baronin von Rickenhausen nutzte sogleich die Gelegenheit, um sich an den Jagdmeister zu wenden. Nach einer kurzen, formlosen Begrüßung („Mein Name ist Biora von Rickenhausen, Hesinde zum Gruße!“) kam sie gleich zur Sache: „Sagt, Jagdmeister, ich bin recht unerfahren in der Jagd und deshalb nicht gut ausgerüstet. Eine Armbrust führe ich mit mir, auch ein normales Langschwert und einen Dolch, sowie wetterfeste Lederkleidung, doch gehe ich davon aus, dass sowohl meine Ausrüstung als auch mein Wissen noch einiger Vervollständigung bedarf, und begebe mich deshalb in Eure Hände.“ Sie lächelte den Hünen freundlich an, sie hatte extra einen Schritt Abstand gehalten, damit sie ihn nicht gar so sehr von unten herauf ansehen musste.

Der Meister der Jagd stand seinem Bruder Aetius, der auf Feste Furtwacht geblieben war, im Pflichtbewusstsein wohl in nichts nach. Zumindest hatte auch er sich die Namen der Gäste sowie deren Stand und Anrede gut eingeprägt, was er Biora gegenüber gleich unter Beweis stellte. Vor die übliche Begrüßung, die aus seinem Munde von tiefer Stimme gesprochen war, setzte er noch eine demütige Verbeugung mit der rechten Hand flach auf dem Herzen:
„Hesinde zum Gruße, hochgeborene Hochwürden von Rickenhausen!“
Während sie ihre Bitte vortrug, war der Blick des Mannes schier unnahbar und schwer zu deuten – blickte er ihr etwa gradweg ins Herz hinein oder nur durch sie hindurch? Als sie geendet hatte, wurde sein Gesicht von einem leichten Lächeln aufgehellt. Und zumindest schien er ihrem Charme nicht sofort verfallen zu sein wie manch anderer, denn seine Miene blieb diesselbe auch bei der vertrauensvollen Überantwortung in seine Hände...:
„Gewiss, hochgeborene Hochwürden. Dafür sind wir alle da und diesem Zwecke dient auch der Tag heute – auf dass auch jene, welche dem Firunwerken nicht ganz so oder zumindest auf andre Art und Weise nahestehen als wir, gut und gerüstet zur morgigen Jagd aufreiten können!“ Im Gegensatz zu Bernbrecht brauchte er keine Erinnerung vom Praiosgeweihten daran, nicht aus Versehen andere Gäste außen vor zu lassen. Er blickte in die Runde am Feuer und wiederholte das Angebot der Edlen:
„Falls noch jemand Bedarf an rechtem Zeug für die Jagd morgen oder heut am Nachmittag hat, so möge er uns bitte folgen...“, dann wandte er sich, der Baronin zunickend, zum Gehen und seine Schritte lenkten ihn zu einer der lediglich mit Tannreisig und Eichenlaub geschmückten, kleineren Hütten.
Biora nahm die korrekte Anrede mit einem freundlichen Nicken zur Kenntnis, ebenso die Distanz, welche der Jagdmeister wahrte, und folgte demselben zu den Hütten, sich dabei umsehend, wer wohl sonst noch außer ihr das Angebot annahm.
Anselm hatte zunächst der Aufforderung Leuinas Folge geleistet und sich eine Portion des Schweinefleisches auftun lassen. Da auch er sich noch nicht angemessen für die Jagd ausstaffiert fühlte, obgleich er nicht vollzählig benennen konnte, was ihm dafür abgehen könnte, stellte er den Holzteller nach dem ersten Bissen beiseite und folgte ebenfalls hinüber zu der Zeughütte.

Melcher hatte sich ebenfalls mit knurrendem Magen auf den saftigen Braten gefreut, als er jedoch den Aufruf des Jagdmeisters hörte eilte er sich zur kleinen Gruppe aufzuschließen. „Ich bin ja schon sehr gespannt was mit auf meiner ersten großen Jagd erwartet, müsst ihr wissen werter Aureus“, kommentierte der junge Vogt sein hastiges aufschließen zur Gruppe. „Sagt, werden wir zu Pferde jagen? Ihr müsst wissen ich habe mir aus der Waffenkammer eine gut gepflegte, schwere Windenarmbrust geben lassen, und das spannend dieser zu Pferde gehört wohl eher zu den Höhenpunkten eines Gauklertreffens als auf eine Jagd, so glaube ich“. Nun zur Gruppe aufgeschlossen zog Melcher eine Papiertüte aus der Tasche seines Mantels, öffnete diese und nahm ein Stück eines kandierten und in Benbukkel (Zimt) gewendeten Apfels heraus, „Auch was gegen den Hunger?“, mit diesen Worten reichte er die Tüte in der Gruppe umher.
„Selbstverständlich werden wir zu Pferde jagen. Ich rate jedoch dringend davon ab, eine gespannte und geladene Windenarmbrust dabei zu führen, hochgeborener Herr Vogt. Schließlich wird das kein Spazierritt und die Sicherungsvorkehrungen, wenn Euer Modell denn über eine solche verfügt, haben sich in der Praxis als äußerst unzuverlässig erwiesen.“, die Stimme des Jagdmeisters vermochte es schier, die gefühlte Umgebungstemperatur um einige Grad zu senken und Melcher durfte froh sein, dass der Herr von Mauser ihn dabei nicht noch angesehen, sondern weiter voran zur Hütte geschritten war und dorthin auch den Blick gerichtet hielt.
Biora schüttelte den Kopf, als der Vogt ihr die Süßigkeit anbot, warf diesem einen mahnenden Blick zu, und wandte sich dann ihrerseits mit betont ruhiger Stimme an Aureus: „Herr Jagdmeister, da Armbrüste ja ausdrücklich zugelassen sind und auch ich ein spezielles Modell dieser Waffe mit mir führe: könnt Ihr uns ins Bilde setzen, wie denn der richtige Umgang mit dieser Waffe auszusehen hat?“

Es war dem Jagdmeister anzusehen, dass er die Verwendung von Armbrüsten auf der Jagd nicht allzu gerne sah und sich nur der Anweisung seiner Herrin unterwarf und beugte, ohne diese selbst gutzuheißen.
„Lasst die Armbrust gespannt und legt den Bolzen erst ein, wenn Wild in Anblick kommt. Auch auf die Gefahr hin, die Sehne mit einem versehentlich gelösten, ungeladenen Schuss zu beschädigen oder zu zerstören.“
Die Baronin, die Aureus sein Unbehagen durchaus ansah, nickte nur kurz und ließ es dabei bewenden.

Zusammen mit jenen Gästen, die noch Rüstzeug benötigten oder sich einfach nur das vorhandene Werkzeug zum Waidwerken ansehen wollten, schritt der Jagdmeister zur Zeughütte. Mit einem bedächtigen Knarzen und Ächzen ließ sich die schwere Tür öffnen. Der Duft von Waffenöl, Leder und Holz schwang ihnen entgegen als sie den gut zehn Schritt im Quadrat messenden Raum betraten. Staub wirbelte und tanzte im hellen Sonnenschein, welcher durch die wenigen Fenster hinein fiel. Allerlei Waffenständer, Regale und Sattelbäume waren dort aufgebaut. Die vorhandenen Speere und Pfeile, Harnische und Sättel gaben gutes Zeugnis ab für die jahrhundertealte gut gepflegte Jagdtradition des Hauses. Alles war noch im tadellosen Zustand, die kostbareren und empfindlicheren Dinge gar zum Schutze in geölte Leinentücher gehüllt und nur das kundige Auge wusste unter manchen dieser Tücher Armbrüste und Bögen eingeschlagen, ebenso wie wohl Schwerter und Messer.
„Nun denn: Ihr seht, es ist alles da was es braucht. Sagt mir, was genau Ihr benötigt und ich werde mit Euch gemeinsam gewiss etwas Passendes finden.“, die Stimme des Jagdmeisters klang pflichtbewusst und nüchtern. Im Gegensatz zu seiner Herrin, welche dem Pfade der milden Ifirn folgte, schien er es eher mit den Geboten ihres Vaters zu haben...
[Anselm] Keinesfalls wollte Anselm die Aufmerksamkeit des Jagdmeisters an sich reißen, solange die Baronin noch seiner Dienste bedurfte. Daher beschränkte er sich zunächst darauf, die vorhandene Ausrüstung in Augenschein zu nehmen. Insbesondere Harnische und Rüstzeug beschäftigte ihn, da er mit der Ausgewogenheit zwischen angemessenem Körperschutz und der möglichst lautlosen Fortbewegung bei der Jagd noch seine Probleme hatte.
„Schön noch jemanden unerfahrenen dabei zu wissen“, grinste Melcher Biora an. Es war kein schelmisches, sondern eher ein wirklich erfreutes Grinsen. „Wir können uns ja einen der erfahrenen Jagdpagen zur Brust nehmen, oder eher eine Pagin, was meint ihr Hochgeboren?“ des Vogtes Grinsen ging in ein herzhaftes Lachen über.
Mit versteinerter Miene betrachtete der Jagdmeister den Vogt des Landgrafen und ließ anhand seines Blickes keinen Zweifel daran, was er von dessen Scherzereien in Angesicht einer hochheiligen und ernsthaften Jagd hielt.
„Meine Jagdpagen werden sich wohl eher Euch zur Brust nehmen denn umgekehrt, hochgeborener Herr Vogt!“, er fiel bewusst der Hesindedienerin ins Wort und zeigte Melcher die Grenze auf, die er besser nicht überschreiten sollte. Derlei Spötteleien und Abfälligkeiten musste dann Einhalt geboten werden, wenn es akut wurde – und das war es soeben geworden. Im Zweifel würde er selbst für die Ehre seiner Pagen einstehen, so war es Brauch und Sitte.
Sein Blick fiel kurz auf Biora. Dabei lockerten sich seine Züge etwas, sie wurden milder und freundlicher, ja beinahe entschuldigend. Er konnte nur davon ausgehen, dass sie als Dienerin der Schlange wusste oder wenigstens erahnte, weshalb er eben jede Höflichkeit ignoriert hatte. Und falls nicht, so wäre ihm das wohl auch sehr egal – denn er, Aureus von Mauser, war hier der Meister der Jagd, der Gebieter über die Einhaltung Firun’s Gesetze, der Ehrenschild eines jeden aufrechten Jägers und jeder Kreatur. Was kümmerte ihn da höfisches Gewäsch von Höflichkeit, welches doch nur der eigenen Eitelkeit diente?
“Seht mir doch meinen kleinen Spaß nach, Aureus. Wir sind doch hier zu einem freudigen Anlass zusammen gekommen, oder nicht? Ich werde auch über Euren harschen Tonfall hinweg sehen und wir trinken nachher ein Bier am Feuer zusammen?“, ruhig steckte sich der Vogt eines der letzten Apfelstücke in den Mund.
Die Geweihte verdrehte neben dem Vogt mal wieder die Augen, absichtlich so, dass er es nicht sehen konnte, der Jagdmeister aber wohl. „Hochgeboren,“ wandte sie sich mit ernster Stimme dann halb Melcher zu, halb schenkte sie ihre Aufmerksamkeit Aureus, als ahnte sie Übles, „der Anlass ist durchaus ein freudiger, aber nicht im Sinne einer billigen Belustigung, würden wir ihn doch sonst kaum mit einem Dienst zu Ehren Firuns beginnen. Zudem ist eine Jagd mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden, da steht sie einer kriegerischen Auseinandersetzung im Ernstfall wenig nach, weshalb eine gewisse Disziplin unabdingbar ist. Und für die Einhaltung dieser Disziplin sind natürlich die Leute Ihrer Wohlgeboren von Bilgraten und diese selbst verantwortlich, wollen sie doch sicher nicht Schuld auf sich laden, wenn durch Verletzung ihrer Pflichten einer der Gäste zu schaden kommt. Das solltet Ihr Euch vor Augen halten bei allen Worten und Taten, welche Ihr mit den Jagdleuten austauscht. Im Sinne Hesindes auf den Punkt gebracht: Erst denken, dann sprechen! - Wenn Ihr diesen Rat von mir ab jetzt beherzigt, werden wir gut miteinander auskommen.“ Nun lächelte die Baronin wieder, mittlerweile dem Vogt direkt zugewandt, durchaus offen und freundlich, gar verheißungsvoll, aber tief in ihren Augen vermeinte er einen warnenden Funken glimmen zu sehen.
Bei diesen Worten konnte selbst der eisige Jagdmeister nicht anders als Biora ein dankbares Lächeln zu schenken. Erneut legte er sich die Hand auf’s Herz und verneigte sich leicht während er sprach:
„Hochgeborene Hochwürden, Eure Weisheit und Wortgewandtheit versetzt einen einfachen Diener des Grimmen und Unerbitterlichen wie ich einer bin in Erstaunen. Nichts anderes bleibt mir, als mich vor Euch in Demut zu verbeugen und Euch zu danken.“
Der Vogt schluckte kurz, der Wirkung seines beinahe unbeabsichtigten Spaßes nun etwas mehr bewusst. „Biora, verzeiht meine Unwissenheit ob der Gefahren, wie ich bereits sagte ist dies meine erste große Jagd auch ging ich nicht von einer billigen Belustigung aus, zu hochgradig sind die Gäste, zu gut organisiert und zu götterfürchtig, scheint mir dies alles zu sein, um mich beabsichtigt darüber lustig zu machen, Euch zum schmunzeln zu bringen war mein Ziel. Anscheinend gelingt mir dies aber nicht und somit werde ich es lassen“, ein leicht trauriger Unterton war in Melchers Stimme zu vernehmen.
Biora nickte dem Jagdmeister zu, beugte sich dann leicht zu Melcher hinüber und raunte: „Ihr müsst nicht auf Biegen und Brechen versuchen, mich zu unterhalten, schon gar nicht auf Kosten anderer. Seid ein wenig dezenter und zurückhaltender, vielleicht findet Ihr dann etwas, was mir wirklich Freude bereit.“
Melcher Sigismund fühlte sich wie ein gescholtener Praiostagsschüler und langsam schien er etwas die Fassung zu verlieren. Sein Spaß war als solcher gedacht und sicher nicht als Spaß auf irgendeines Kosten. Solch häufige Bloßstellung wie in den letzten beiden Tagen war ihm noch nie untergekommen, auch wenn er die Baronin von Rickenhausen durchaus sympathisch fand war nun der Zeitpunkt gekommen einige Dinge zu klären, "Mit Verlaub Baronin von Rickenhausen, verzeiht falls ich Euch erneut zu nahe getreten oder ihr Euch an meinem Spaß, der als solcher gedacht war, gestoßen habt, aber vergesst nicht unser beider Stand, dies könnte man nach Eurem harschen Tadel vermuten! Ihr sprecht nicht mit einem Knappen, anscheinend gibt es im Hause Ibenburg und im Haus Rickenhausen verschiedene Ansichten was sich wie, wo und wann gebührt. Eine weit gereiste Dienerin der Allweisen Herrin, wie ihr es seid, sollte doch etwas Nachsicht kennen, zumal ich nun mehrfach sagte es sei meine erste Jagd und meine Unwissenheit nicht versteckte. Ich werde Euch während dieser Jagd nicht weiter behelligen, darauf mein Wort.“
Die Baronin blinzelte einmal ob dieses Ausbruchs, dann zog sie eine Augenbraue in die Höhe und antwortete mit leichter Schärfe in der Stimme, aber immer noch grundsätzlich freundlich: „'Harsch' habt Ihr mich zu Eurem Glück noch nicht erlebt, werter Melcher Sigismund von Ibenburg. Aber nachsichtig schon.“ Damit wandte sie sich wieder dem Jagdmeister zu.
Der Hüne betrachtete Melcher und Biora mit hochgezogener Augenbraue. Er hatte weder gehört, was die Hesindegeweihte dem Vogt zugeraunt hatte, noch wusste er etwas vom ausgeprägten Balzverhalten, welches letzterer am gestrigen Tage gezeigt hatte. Innerlich mit den Schultern zuckend beließ er es dabei: Derlei Kinderkram interessierte ihn nicht im Mindesten.
„Nun denn: Primär sollten wir wohl etwas zu Eurem Schutze suchen“, sprach Aureus als wäre sein Gemüt niemals in Zorn geraten – was es vermutlich auch garnie wirklich war. Er schritt die Reihen ab und blieb vor einem Regal stehen, in dem einige Harnische, die meisten aus Leder, manche mit Kettengeflecht verstärkt, standen. Aufgereiht und hintereinander wie Bücher standen sie darin. Zielsicher griff der Jagdmeister einen heraus, wie die anderen auch eine einfache Brustplatte welche den Bauch ungeschützt ließ und lediglich den Brustkorb schützte. Das Leder war durch Wachs gehärtet worden, hart wie Stein und gut geölt, wenngleich manche langen, doch nicht allzu tiefen Kratzer daran erinnern wollten, dass der Harnisch schon mehrfach wohl Schlimmeres und Schlimmstes verhindert hatte.
„Hochgeborene Hochwürden, versucht diesen einmal.“, Aureus reichte Biora die Brustplatte und griff sogleich nach einer zweiten, welche in ebenso tadellosem Zustand war die jene zuvor und reichte sie Melcher.
Der Vogt schien außer sich, "Und Ihr da, Jägermeister, behaltet Euren Lederschurz ich nenne einen Wappenrock der Ibenburg mein Eigen, gebt mir ein Jagdschwert und ich werde mich entfernen".
Der Vogt konnte von Glück sagen, dass Aureus im Gegensatz zu seinem ältesten Waidgesellen über eine äußerst firungefällige Selbstbeherrschung verfügte. Und, dies zuvor, mitnichten der Meinung war, dass ein dahergelaufener Blaublüter irgendwie in der Lage wäre, seine Ehre zu verletzen. Ansonsten hätte er Melcher nach dessen ungerechtfertigten, herablassenden sowie beleidigenden Worten wohl zum Duell gefordert. Nachdem dieser von einem wohlverdienten Kinnhaken das Bewusstsein wieder erlangt hätte.
Also legte er ruhig den Harnisch zurück und wandte sich den Schwertern zu. Allein seine Ruhe, der Umstand dass sein Gemüt nicht im Mindesten aufkochen wollte, mochte man schon als Provokation verstehen.
„Hochgeborener Herr Vogt, ich bin Meister der Jagd, nicht nur der Jäger.“, korrigierte er diesen lediglich, während er eines der Schwerter auspackte.
„Nehmt Gortann“, er präsentierte, wie es sich gehörte, die Waffe mit dem Griff zu Melcher gerichtet. Dieser besaß ein Parier, doch kein Stichblatt und war aus geradem Hirschhorn gefertigt. Die genähte Lederscheide ließ bereits vermuten, dass dieses Jagdschwert eine breitere Klinge aufwies als die anderen Waffen.
„Habt dank“, Melcher nahm die Klinge an sich, behielt sie aber in der Hand und befestigte sie nicht an sein Schwertgurt. „So! da wir nun ausgerüstet sind, begibt sich der Werte Herr Vogt ans Feuer, nur falls ihn jemand sucht um sich eventuell für harsche Worte zu entschuldigen“, sprach er mit deutlich schnippischen Unterton.
Aureus fühlte sich nicht im Mindesten angesprochen, wunderte sich lediglich über die Entschuldigungsmentalität, welche der Vogt an den Tag legte. Harsche Worte waren in seinen Augen nichts, was eine Entschuldigung nötig machte. Allerdings war er selbst auch in den Genuss einer Erziehung gekommen, die gegenseitigen Respekt über einfache Worte hinaus definierte – für ihn zählten Taten. Zur weiteren Verwunderung trug der Hinweis zum Aufenthaltsort bei – eine Rotte Wildschweine, die vom Auftreten und Gebahren sehr an das des Vogtes erinnerte, musste ja auch nicht extra darauf hinweisen, wo sie zu finden war.... Ausnahmsweise war die Natur seiner Gedanken seinem Gesichte durchaus anzusehen, als er Biora ansah.

Am Feuer

Währenddessen am Lagerfeuer...

Die Herren von Bregelsaum hatten es der Edlen gleich getan und sich am Schwein bedient. Nachdem sich die Gesellschaft etwas zu den unterschiedlichsten Anlässen zerlaufen hatte und der erste Hunger bedient war, ergriff die Edle das Wort:
„Meine Herren, wollt Ihr nicht Euer Glück und Geschick unter Beweis stellen und uns einen braven Bock für heute Abend erlegen?“, zwar hatte sie beide Männer angesprochen, doch nur Wilmibert sah sich erneut mit einem undurchschaubaren Blick konfrontiert. Dieser räusperte sich:
„Gerne nehmen wir dieses Angebot an, Wohlgeboren!“, mittlerweile wusste der Burggraf nicht mehr so recht, was er von der Gastgeberin und Jagdherrin zu halten hatte. Im einen Moment erschien sie ihm als eine elendige Kratzbürste, die nur der Freude halber jedes seiner Worte im Munde herumdrehte und ihm seine Zunge verknoten wollte, der er selbst lediglich ein Dorn im Auge und ein Riss in der Sehne war. Im nächsten Augenblick wieder betrachtete sie ihn mit huldvoller Gnade und jenem erhabenen Sanftmut, welcher den Dienern der holden Ifirn stets zugesprochen wurde. Doch da er kein jugendlicher Heißsporn mehr war sondern über ausreichend Lebenserfahrung und Selbstsicherheit verfügte, hatte er beschlossen dieses eigentümliche Verhalten der Edlen einfach zu ignorieren – wenn sie in ihrem Zorne nicht wieder die Grenzen der Standesunterschiede überschritt.
„Nun denn! Dann stell’ ich Euch für die Pirsch Marisya zur Seite“, sie wandte sich an die blonde Waidgesellin, die ebenfalls im Kreise am Feuer saß:
„Marisya, du hast’s gehört. Führe die Herren von Bregelsaum, nimm einen der Hunde mit zum Voranpirschen. Und bring mir die beiden nicht zurück, ehe nicht des Schweißes roter Glanz Hände und Haupte ziert! Unbefleckt will ich sie und dich nicht wiedersehen!“
Die Angesprochene lachte herzlich und fröhlich auf, erhob sich dann und antwortete brav:
„Jawoll, Wohlgeboren! Aber leben sollen sie schon noch, oder?“, sie warf den beiden Herrschaften ein schelmisches Lächeln zu und wagte es, wie noch zuvor der Bernbrecht zum Baron, auch, den beiden achso Adligen zuzuwinkern. Offenbar hielten die Jäger nicht so viel auf Herkunft, Namen und blaues Blut – zumindest nicht, wenn es zur Jagd ging.
Ihre etwas freche Antwort vermochte es aber auch, der Edlen selbst noch ein Lachen zu entlocken welches deutlich entspannter und herzlicher wirkte als alles, was sie am Tage zuvor auf Furtwacht an den Tag gelegt hatte.
„Wenn du es einrichten kannst wäre ich dir dafür sehr dankbar! In diesem Sinne: Möge Phex mit Euch sein!“

Wohlwollend war ihr Blick, als sie Marisya mit den Bregelsaumern losziehen sah. Die Stimme Isotta’s, die älteste Jagdpagin mit dem Lockenhaar, riss die Edle dann aus ihren Gedanken:
„Herrin, darf man fragen welcher Eurer Gäste die Ehre des ersten Wurfes auf den Hirsch haben wird?“
Leuina blickte in der mittlerweile überschaubaren Runde umher und fand den Herrn von Rabenstein noch im Kreise sitzen, zusammen mit seiner Knappin.
„Seine Hochgeboren von Rabenstein wird diese Ehre haben, Isotta.“, antwortete sie, woraufhin sich Lucrann gleich mit der Aufmerksamkeit aller anwesenden Jäger konfrontiert sah. Deren Blicke waren zwar neugierig, doch schien keiner von ihnen dem hinkenden Baron die Fähigkeit absprechen zu wollen, den Hirsch auch zu strecken.
Bis eben war der Knabe Madawin noch sehr fröhlich gewesen und hatte gar ob des frechen, scherzhaften Dialoges mit den Bregelsaumern aufgelacht. Beim Anblick des Rabensteiners gefror ihm allerdings dies Lachen im Gesichte als hätte man ihm erzählt, der alte Lucrann würde Kinder fressen. Als Barnabas, der neben dem Knaben saß, dessen Gesichtsausdruck saß konnte sich nun seinerseits ein Lachen nicht verkneifen:
„Ach, Madawin, nun schau’ doch nicht so! Du kennst deine Aufgabe für morgen, hast es oft genug gemacht und ich bin sicher, seine Hochgeboren wird deinen Fleiß und deinen Eifer zu würdigen wissen!“, der Versuch des ältesten Waidgesellen den jüngsten Jagdpagen aufzumuntern wollte nur zur Hälfte gelingen. Immerhin erinnerte sich Madawin nun wieder, wo er war und, vor allem, wer er eigentlich war und drückte stolz die Brust hinaus, legte es gar darauf an, dem Blick des Barons Stand zu halten.
Dessen Bart zuckte kurz, doch er unterließ einen verbalen Kommentar zu des Kindes Schutz und Schild aus Stolz, Tradition und Wissen um seine Jagdgenossen an seiner Seite.
„Und was wird deine Aufgabe morgen sein, Jagdpage Madawin?“
Die dunkle Stimme des alten Barons war gelassen und ruhig, gleich dem Flüstern des Nachtwindes im winterkahlen Geäst eines Waldes.
Der Knabe räusperte sich kurz und gab sich weiterhin alle Mühe, seinen Blick nicht abzuwenden als er antwortete:
„Ich bin morgen der Bote, Hochgeboren!“, antwortete er und blickte nun doch etwas unsicher zu Barnabas, der ihm jedoch aufmunternd zunickte. Ganz offensichtlich war sowohl die Anwesenheit eines fremden Barons, der noch dazu so kalt, düster und unheimlich wirkte, zuviel für die sonst wohl eher freche und selbstbewusste Art des Pagen. Doch nach der Aufmunterung durch Barnabas fuhr er dann fort:
„Der Bernbrecht ist morgen der Rüdemann und führt die Laika am Riemen auf der Fährte vom gesunden Hirsch. Die Wehr der Jagdgesellschaft und braven Jägersleut folgt in Abstand. Ich bin vorne beim Bernbrecht und wenn der Hund etwas verweist wie Trittsiegel oder Losung, bring ich’s im Hifthorn zur Jagdherrin, Jagdmeister und Euch, Hochgeboren, damit Ihr entscheidet wie’s weitergeht. Ob der Hirsch gejagt werden soll oder nicht. Ob der Hirsch in der Dickung steht und wir sie umstellen sollen oder nicht. Und wenn das dann entschieden ist, sagt Ihr’s mir und ich lauf dann vor zum Bernbrecht und sag das ihm“, im Laufe seiner kleinen Rede hatte er deutlich an Selbstsicherheit gewonnen und bis auf ein einziges Mal, ganz zu Anfang, auch nicht mehr den Blick vom Rabensteiner abgewandt. Nun war er sogar tapfer genug, noch hinzuzufügen:
„Und wenn die Laika müde ist, dann führ’ ich sie zurück zur Wehr und komm mit einem frischen Hund wieder!“, als er das sagte, platzte er schier vor stolz. Offenbar handelte es sich bei dem Führen der Hunde um ein Privileg, welches er noch nicht zu lange ausüben durfte...
„Eine gewichtige Aufgabe. Übe sie wohl aus..“, erwiderte Lucrann.
Der Knabe lächelte und blickte stolz – offenbar nahm er die Worte des Barons als Kompliment auf:„Das habe ich und werde ich, Herr!“
Der alte Freiherr musterte den Burschen mit einem Blick, der hinter die Fassade aus Mut und Jungend drang, nickte und erhob sich, wandte sich dann aber nochmals an den Jungen. „Wie lange bist Du schon Jagdpage, Madawin?“
Der Lockenkopf erhob sich gleichermaßen wie sein Gesprächspartner. Offenbar hatte man es nicht versäumt, neben dem Waidwerk auch grundlegende Höflichkeiten zu vermitteln:
„Am ersten Firun werden es drei Jahre sein, Hochgeboren!“ Madawin hatte nun all seine Furcht vor dem Baron von Rabenstein besiegt und blickte nun stolz und selbstbewusst, als hätte er soeben einen Keiler eigenhändig erwürgt.
Bei dem Wortwechsel zwischen dem Pagen und dem eisigen Baron konnte die Edle nicht anders, als stolz in Finmars Richtung zu blicken. Offenbar war Madawin bis jetzt grad so geraten, wie sie sich selbst wohl ihre eigenen Kinder wünschen würde: Stolz aber mit Demut, Tapfer aber nicht unbekümmert, jederzeit bereit, mit Worten und Taten den Ehrenschild der Waidleute zu verteidigen und rein zu halten.
Finmar hatte den Disput schweigend beobachtet. Wie oft hatte er sich in den Reaktionen des Jungen wiedergefunden. Dieselbe Angst vor dem Alten, den er zwar schätzen, nie aber anders als fürchten gelernt hatte. Der Rabensteiner war wie ein knorriges Holz. Er gab selbst als Feuer nicht genug Hitze, dass man sich auch nur die Finger wärmen konnte. Dabei war er hart wie Stein und in seiner Sturheit ein verlässlicher Fels. Vor Finmars Augen erschienen die Kinder, denen er ein guter Vater zu sein geschworen hatte. Alles, was er an Liebe und Wärme in sich hatte finden können, hatte er investiert in diese ungeliebten Früchte von Flamme und Stein. Und obwohl die Familienverhältnisse kein Geheimnis waren, hatte ihn selbst der Älteste nie anders als als Vater bezeichnet. Und Finmar hatte schon vor langer Zeit erkannt, dass manchmal der Apfel auch neben Birnbäumen gut zu liegen kommen konnte. Ein warmes Lächeln lag auf den Zügen des jungen Mannes, während seine Gedanken auf Gut Wildenberg in der guten Stube weilten, in der das Lachen manchmal so laut schallte, dass selbst der alte Carten es vernehmen konnte. Und der war nunmehr seit knapp fünf Jahren taub wie eine Nuss.
„Wacker.“ Der Einäugige ließ offen, ob ihn die Leistung des Jagdpagen ebenso beeindruckte wie das Kind selbst. Interessanter war diesbezüglich die Reaktion der Edlen – und jene des Wildenbergers ob der Kinder, die sein eigenes Gut bevölkerten.
„Ihr habt emsige Gefolgsleute, Wohlgeboren. Wie lange schon hat diese Art der Jagd Tradition in Eurer Familie?“
Während er der Edlen Zeit lies für ihre Antwort, schweifte sein Blick über den lächelnden Wildenberger. Gut schien es dem jungen Mann zu ergehen, trotz der Vorbereitungen zur Jagd. Trotz alter Geschichten, unter die Finmar nun, nach langer Zeit, einen Schlußstrich hatte ziehen können. Einer unter den Vielen hier, der es im Gegensatz zu diesen geschafft hatte, seine persönlichen Daimonen zu bannen. Nicht unzufrieden strich sich der Einäugige über seien schmalen Bart, den Geschehnissen um ihm herum auf aufmerksames Auge und offene Ohren schenkend.

Leuina nickte dem Baron dankend zu und antwortete:
„Länger schon als wir dies Lehen durch der Barone von Nablafurt Gnade verwalten dürfen, Hochgeboren. Und diese erhielten ihr Lehen durch Kaiser Rohal.“ Sie hoffte, dass diese Antwort den Rabensteiner zufrieden stellen würde. Vor dem Kampf am Wolfsgrat, einem Gebirgskamm nicht unweit von hier wo sich ihr Urahn wacker geschlagen und um das Wohl des Landes so verdient gemacht hatte, dass er anschließend mit dem Graufurter Lehen belohnt worden war, gab es fast keine Aufzeichnungen über ihre Familie. Aber das wollte sie dem Baron nun nicht unbedingt unter die Nase reiben.
„Eine lange Zeit fürwahr.“ Lucrann strich sich nachdenklich über seinen schmalen Oberlippenbart. „Ist in Eurer Familie noch bekannt, für welche Taten Euer Geschlecht sein Lehen erhielt?“ Eine jede Familie hatte ihre Geschichte – manche ruhmreich, andere weniger, doch jede interessant zum Verständnis der Menschen, die aus ihr hervorgegangen waren und mit ihr lebten.
„Gewiss: Mein Urahn Frunus Lupius, der selbst ein Recke der Firunkirche war, stellte sich droben am Wolfsgrat mit einigen Getreuen zum Kampfe wider eine Schar abscheulicher Bestien: unheilige Wolfsartige sollen das gewesen sein, Schwarz- und Rotpelze. Mit rondrianischem Geschick und firunischer Kälte stellte er selbst die widerwärtigen Kreaturen zum Bile, sodass der Vorfahr der Barone von Neidenstein ihnen den Todesstoß versetzen konnte. Tapfer gekämpft, im Kampfe einen engen Freund gewonnen, der daraufhin zum Barone wurd. Zum Dank ernannte ihn dieser zum Edlen von Graufurten, seither führen wir den Namen von Bilgraten, in Gedenken an jene Heldentat“
„Eine tapfere Tat, eine angemessene Entlohnung.“ Den einen oder anderen Atemzug lang betrachtete er sein Gegenüber, und fürwahr, wohlgefällig war die junge Frau dem Auge, mehr so, als sie keinerlei Mühen und Pläne darauf legte. „Sind Eure Vorfahren hernach noch derlei Ungeheuern begegnet?“ Mancherlei Wesenheiten beschritten dieses Land, denen Einhalt zu gebieten die zufürderste Pflicht der Landherren war, auf dass sie nicht das Bauersvolk rissen. Erst im Nachsatz und etwas aus dem Zusammenhang fügt er hinzu. „Ihr seid mir seit gestern noch eine Antwort schuldig, .Wohlgeboren.“
Finmar nickte bei den Worten Leuinas gedankenverloren. Er dachte an die alten Felszeichnungen in der Wolfsklamm oberhalb Wildenbergs, uralte Bildwerke, die in den tiefen und fast unzugänglichen Höhlen über den Wasserfällen der Bitterflut nur den Eingeweihten bekannt waren. Eine leichte Gänsehaut zog sich über seine Arme, als er daran dachte, wie dort droben die Familie die uralten Rituale durchgeführt hatte. Nun, wohl eher durchführte, auch wenn bereits sein Vater den Zeremonien viel von ihrer archaischen Grausamkeit genommen hatte. Er selbst hatte seinen ältesten Sohn dorthin begleitet, als der erste Flaum seine Oberlippe geziert hatte, und mit ihm die alten Lieder gesungen und die alten Riten vollzogen. Seitdem zierte den Arm des Jungen jene uralte Zeichnung als langsam immer bleicher werdende Narbe, die auch Finmar trug und die auch schon sein Vater getragen hatte. Jenes Symbol, welches das Blut der Wildenberger mit der Krume des Landes verband und welches mehr als alles andere aussagte, dass Finmar sich um die Seinen kümmern würde, egal was auf dem Spiel stünde.
Tief aus seinen Gedanken auffahrend blickte er zu seiner Nachbarin hinüber. Die Schlacht am Wolfsgrat. Wie oft hatte er dieser Geschichte gelauscht, als er noch klein war.
„In der Tat, dass sind sie. Seit jeher ist mein Geschlecht dem Grimmen und seiner sanften Tochter tief verbunden. Vielleicht zürnt uns Firun weniger als anderen, vielleicht ist Ifirns Fürsprache für uns größer denn für andere, ich maße mir nicht an dies zu wissen.“, bewusst ließ sie offen, wie genau sich dies auswirkte. Zum einen weil Prahlerei nicht zu ihren Eigenschaften zählte, zum anderen weil sie fürchten musste, sich vor dem Baron lächerlich zu machen wenn sie versuchte etwas in Worte zu fassen, was nicht zu fassen war.
„Der Tribut, der von Firun dafür eingefordert wird, ist wohl, dass wir nicht anders können als den Handlangern seines Widersachers entgegen zu treten. Meine Mutter berichtete mir, dass es sie vor vielen Jahren im Winter hinausritt zur Wolfsklamm und, ohne zu wissen woher, genau wusste, wo sie die Beutereisser und Hetzer finden würde. Es soll wohl wenigstens einmal in jeder Generation einfordern, dass der Alte vom Berg diesen Frondienst von uns fordert“
Sie erhob sich nun ebenfalls und straffte ihre Haltung, ihr Blick verriet jedoch bereits, dass sie dem Rabensteiner nicht das sagen würde, was dieser gerne hören wollte.
„Ich bitte um Entschuldigung, werter Baron. Ich schulde Euch noch eine Antwort und Ihr werdet sie bekommen – nur bitte ich Euch um etwas Geduld. Die Frage ist für mich schwieriger denn ich angenommen hatte. Wenn die Herren Bregelsaum von der Jagd zurückkehren werde ich Euch Antwort geben. Ist dies ausreichend für Euch?“ Blick und Stimme verrieten deutlich, wie unangenehm ihr sowohl das Vertrösten des Barons als auch der Grund dafür selbst war.
Finmar sah abwesend ins Feuer und hob dabei innerlich eine Augenbraue. Was mochte der Rabensteiner die Edle gefragt haben?
Einen Atemzug lang musterte der alte Baron die Edle. „So soll es sein.“ Die Bilgratenerin war die Gastgeberin – und sie würde alle Höflichkeit erhalten, die ihr zustände.
„Bedenkt eines, Wohlgeboren: wen die Götter schätzen, den prüfen sie. Vielleicht ist es nicht Tribut, den ihr zahlt – sondern ein Opfer, das ihr gebt.“ Zu viele Worte, so schien selbst die Edle zu ahnen, minderten den Wert.
Lucrann nickte der jungen Frau zu und trat aus dem Lichtkreis und der Wärme des Feuers, um nun – endlich – die Zeughütte aufzusuchen. Zwar mißtraute er seiner eigenen Ausrüstung nicht – doch es gab eine Frage der Höflichkeit, die erfüllt werden mußte.

Der Blick der Edlen fiel auf Finmar. Sie bräuchte einen guten Rat in der Sache und nun, da alle Gäste irgendwo irgendwie beschäftigt waren und sie einen Moment Zeit mit ihrem Nachbarn allein hatte, wäre wohl die perfekte Gelegenheit. Lediglich ihre Jäger musste sie noch fortschicken, aber auch das wäre leicht getan. Lächelnd wollte sie sich diesen schon zuwenden, als sie das laute Stapfen wütender Schritte hörte. Ihr Blick fiel hinauf zur Zeughütte und sah Melcher von Ibenburg, welcher wohl wenig amüsiert, dafür umso garstiger gelaunt auf’s Feuer zustapfte. Sie seufzte und setzte sich, machte sich innerlich auf alles gefasst, was nun kommen mochte.

„Finmar, rasch: Bin ich gestern zu grob zum Vogt des Grafen gewesen?“, raunte sie ihrem Vertrauten zu, wohl wissend dass Melcher sie noch nicht hören würde.
Finmar sah seine Nachbarin kurz an und zuckte dann die Schultern: „Grobheit liegt immer in der Intention des Gegenübers. Wenn der gute Vogt meint, du wärest grob zu ihm gewesen, dann werden ihn von dieser Sichtweise keine fünf Pflugochsen abbringen. Dass er selbst alles andere als eine diplomatische Natur ist, haben wohl mittlerweile alle nachvollzogen, und wenn er auch nur den Hauch von Sensibilität besitzt, dann müsste er gemerkt haben, dass er im Verlaufe des Tages einiges dazu getan hat, den ein oder anderen Edlen gegen sich aufzubringen, wenn nicht gar die ein oder andere Forderung vorbereitet wird. Ich frage mich, was für Leichen der Graf im Keller hat, dass es dieser Hauklotz zu solchen diplomatischen Ehren geschafft hat. Der Graf hätte es besser wissen müssen, dass er mit einer Person mit diesem Verhalten keineswegs in Elenvina landen wird, es sei denn, er legt es auf eine Konfrontation mit dem versammelten Adel an. Zumindest sollte ihm klar sein, dass ein solcher Sprecher immer auf ihn zurückfällt.“ Ein weiteres Achselzucken, dann blickte Finmar der noch außer Hörweite entfernten Gestalt entgegen. „Er wird dir bei Ankunft sicherlich selbst sagen, ob du zu grob warst. Und wenn du willst, bleibe ich in der Nähe.“
Ein erleichtertes Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht der Edlen. „Danke, Finmar. Es tut wahrlich gut, dies zu hören. Bitte bleib’. Vielleicht hat er es auch geschafft, Aureus gegen sich aufzubringen“, ein halb belustigtes, halb besorgtes Lachen entrann ihrer Kehle bei dem Gedanken an ein Duell zwischen ihrem Jagdmeister und des Grafen Vogt.
Dies war der Moment, in dem Bartolos sich einmischte. Bisher hatte er schweigend im Kreise gesessen und ebenso wie Finmar in Erinnerung an die alten Geschichten verbracht. Auch wusste er, welchen ‚Segen’ Firuns seine Schwester im Gespräch mit dem Rabensteiner gemeint hatte und wurde dadurch wieder fast schmerzlich daran erinnert, dass er selbst wohl von diesem ausgeschlossen war. Nun aber räusperte er sich, denn zu den Sachen der Politik vermochte er einiges zu sagen:
„Schwester, der hochgeborene Herr Vogt macht bis jetzt seinem Stande nicht viel Ehre, dies sei einmal gewiss. Doch es steht Euch nicht an, über ihn zu urteilen. Ebenso wie es ihm nicht ansteht über Euch und die Eurigen zu urteilen. Versucht doch, ihn abzuholen anstatt darauf zu warten, dass er zu Euch kommt – auf dem Wege zu Euch hat er sich bereits verlaufen.“
Die tiefe, angenehme Stimme ihres Bruders verfehlte ihre Wirkung bei der Edlen nicht. Obwohl ihr Bruder so ganz anders geraten war als sie selbst und sie ihn manches Mal einfach gebunden und verkehrt herum auf’s Pferd setzen wollte, schaffte er es manchmal eben doch, mit seiner Sichtweise ihre eigene zu ergänzen. So auch hier. Ein dankbares Lächeln war der Lohn, den sie ihm entgegen brachte. Den Impuls, ihren geliebten Bruder zu umarmen, unterdrückte sie gekonnt. Gleich nach seiner Weihe hatte er angefangen, ihr und allen anderen Familienmitgliedern die Unart des übermäßigen Körperkontaktes abzugewöhnen...

Der aufgebrachte Vogt stößt zum Feuer

Einige Worte wie "Was denkt sie sich wen sie vor sich hat" und "Erst denken, dann sprechen, pah sie wird sich noch wünschen das ich überhaupt mit ihr spreche", wütend vor sich hin murmelnd kam Melcher mit großen Schritten am Rund das den Feuerplatz umgab an. Im ersten Moment schien er von Leuina und Finmar überhaupt keine Notiz zu nehmen, stieg über die Bank auf die er das Jagdschwert soeben gelegt hatte und setzte sich. Erst als er Platz genommen und eine kurze Zeit ins Feuer gestarrt hatte, bemerkte er die Beiden, "Ah, verzeiht Wohlgeborene Leuina und Wohlgeborener Finmar, ich war in Gedanken und bin etwas erregt, hoffe ich störe wenigstens hier nicht? Eine gelungene Jagd bisher werte Leuina, dass muss ich Euch anerkennen. Mit einigen Gegebenheiten muss ich mich wohl noch zurechtfinden, es ist nicht der gräfliche Hof zu Gratenfels und manche Dinge unterscheiden sich, was nun nicht abwertend gemeint ist, ich bitte nur ab und zu daran zu denken, bevor Ihr Euch über den Vogt aufregt." Melcher schien, nun nachdem er bemerkt hatte das sein Verhalten aneckte etwas die Flucht nach vorne anzutreten und seinen Ärger mit einem Schluck aus dem großen Humpen Bieres, den er sich soeben gegriffen hatte, hinter zu spülen. Seine Art schien nicht jedem zu gefallen, aber so war er nun mal und bisher hatte es ihm wenig geschadet. "Am 27ten Tage des Ingerimm feiert seine Hochwohlgeboren Graf Custodias-Greifax den 64. Tsatag, ich lade Euch ein mein Gast in Gratenfels zu sein, Edle Leuina von Bilgraten. Kommt eine Woche vor diesem freudigen Ereignis auf Burg Bergheim und ich werde Euch die Unterschiede zeigen". Unterstrich Melcher sein ernst gemeintes Angebot nochmal.
Melcher fand die Edle nach seinen Worten sichtlich überrascht. Sie hatte mit vielem gerechnet, doch niemals mit einem Lob zur Jagd und einer Gegeneinladung. Deshalb brauchte sie einen Moment, ehe sie angemessen reagieren konnte: Sie nickte ihrem Gegenüber dankend zu und sprach:
„Habt Dank, hochgeborener Herr Vogt! Dieser Einladung werde ich nur zu gerne folgen.“ Sie musterte ihn kurz und beschloss dann, dass es ihre Pflicht war sich um sein Wohlbefinden zu sorgen welches, ihrer Meinung nach, der Hauptantrieb der folgenden Frage war und gewiss keine schnöde Neugier:
„Darf man fragen, was Euch derart in Aufregung versetzte? Falls Ihr Euch mit Aureus duellieren wollt, so bitte ich schon jetzt, damit bis nach der Jagd zu warten. Ich werde ihn morgen noch brauchen“, ein schelmisches Lächeln zeichnete ihre Lippen. Im Scherze sprach sie ein Duell mit dem Jagdmeister auch nur deshalb an, weil sie ihren Aureus kannte und wusste, dass er sich niemals mit dem Vogt schlagen würde. Allein, es wäre kein gerechter Kampf...
Während sie sprach und auf Antwort wartete, knöpfte sie sich unbewusst ihr Wams weiter auf. Heiß war es hier, mitten in der Sonne und noch dazu am Feuer. Und entweder fiel es ihr nicht auf oder es war ihr egal, dass sie außer einem einfachen Bustier kein Unterzeug anhatte.
„Treibt Ihr Spott mit mir, Wohlgeborene Leunia?“, missgelaunt über das Lächeln der Edlen über das vermeintliche Duell stand Melcher von der Bank auf. „Ich habe Aureus bereits meine Nachsicht ob seiner Worte zugesagt und werde mich daran halten. Das Wort eines von Ibenburg zählt etwas, dies soll sich auch heute nicht ändern. Es scheint ein besonderer Menschenschlag hier droben im Norden der Grafschaft zu sein, götterfürchtig insbesondere zum Heiligen Herrn Firun, genügsam, naturverbunden aber auch stur, unwandelbar bockbeinig und wenig empfänglich für allerlei Kurzweil und Frohsinn, zumindest weniger als es mir aus der Mark bekannt ist. Ihr müht Euch sehr, dies etwas zu, ja zu überspielen und ich möchte Euch eure Mühe hoch anrechnen. Aber auch Ihr habt in den letzten Tagen nicht mit Tadel an meiner Person gespart, deshalb meine Einladung auf Burg Bergheim, um Euch zu zeigen, wie ein anderes, mein Leben vonstatten geht, damit Ihr mich vielleicht ein wenig mehr versteht. Ich werde nicht in Abrede stellen, dass mir einige Dinge herausgerutscht sind, die für Euch eventuell anstößig klangen, die aber meiner Art und vielleicht ein klitzekleines bisschen meiner Unwissenheit geschuldet sind. So, das waren direkte und ehrliche Worte und ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir nun nicht eine aus Eurer Sicht vielleicht überfällige Duellforderung entgegnet, sondern mir die Gelegenheit gebt, um zu zeigen, dass nicht alle meine Worte Hohn und Spott tragen.“ Melcher schien erleichtert, als er mit seiner kurzen Rede geendet hatte, von ihm unbemerkt war er näher an Leuina herangetreten.
Hörte der Mann sich gelegentlich auch mal zu, wenn er redete? Falls ja, so gewiss nicht jetzt. Ihr Blick fiel kurz auf Barnabas, Isotta und Madawin, welche ja ebenfalls noch am Feuer saßen und der Rede des Vogtes mit großen Augen gelauscht hatten:
„Geht und tut Dinge“, sprach sie knapp, woraufhin Isotta das Schwein, welches sie bis eben noch brav gedreht hatte, höher hing und Barnabas mit einem merklich unterdrückten Grinsen antwortete:
„Jawoll, Wohlgeboren, Dinge tun!“ Er schnappte sich Madawin an der Hand und beeilte sich, aber nicht zu sehr, zu den Stallungen zu kommen. Isotta folgte ihnen. Unterwegs konnte man Madawin, der wohl die Zusammenhänge nicht ganz erfasst hatte, fragen hören:
„Was für Dinge müssen wir denn tun?“, worauf ihm Barnabas antwortete:
„Na, Dinge eben!“ und Isotta, lachend, ergänzte:
„Oh ja, Dinge habe ich schon lange nicht mehr getan!“

Nun, da sie bis auf Finmar und Bartolos gänzlich unter sich waren, erhob sich auch die Edle, innerlich seufzend, und stand diesem nun näher gegenüber als jemals zuvor. Aus dieser Nähe vermochte Melcher sie gut mit der Nase wahrzunehmen: Frischer Schweiß auf warmer, weicher Haut. Dieser salzige Duft verbunden mit einem Hauch Leder vom Schwertgehänge und dem Eisenkraut, mit welchem das Wams wohl gewaschen worden war. Über all diesen äußeren Düften lag freilich, kaum verborgen, ihr eigener. Der einer starken, unbeugsamen Frau.
Während sie die folgenden Worte an Melcher richtete, klang ihre Stimme leise und ruhig, erhaben und nachsichtig:
„Ihr fragt, ob ich Spott mit Euch treibe. Die Antwortet lautet: Nein. Es war ein Scherz, einer von jenen, welche Ihr auch zu Genüge getrieben habt, harmloser noch dazu. Empfindlich reagiert Ihr, wenn Ihr auf Eurem eigenen Spott Tadel als Antwort erfahrt und verlangt mehr Nachsicht, mehr Frohsinn und weniger Ernsthaftigkeit ob Eurer Sticheleien, welche den Ehrenschild Eures Gegenübers zu verwunden trachten.“ Sie atmete tief durch und trat ihrerseits noch etwas näher an Melcher heran. Ihre Augen, in diesem Lichte kobaltblau und kaum mehr als ein Spann von denen des Vogtes entfernt, blickten sanft und gütig in die seinen.
„Und nun, da Ihr selbst einem Scherze ausgeliefert seid, reagiert Ihr mitnichten anders. Ich frage mich, woher dieser Zorn kommt, den Ihr in Euch tragt“, ihre Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern und lediglich Finmar, der ja recht nahe bei beiden saß, vermochte sie wohl noch zu verstehen.
Auge in Auge standen sich Leuina und Melcher nun gegenüber, viel zu nah, um einen baldigen Kampf vermuten zu lassen, ja nicht einmal eine Waffe hätte einer der Beiden ziehen können. Dem Vogt schien die Nähe zu Leuina nicht unangenehm, er ging zumindest nicht in eine verschlossene oder gar Abwehrhaltung. "Ich mache Scherze?", fragte der Vogt die Edle leise. "Als ich Euch mein Gastgeschenk überreichte, machte ich keinen Scherz, als ich Euch anbot, sich mit mir lose zu verbünden, machte ich keinen Scherz, als ich vorschlug, meinen guten Leumund beim Grafen aufs Spiel zu setzen, um auf Eurer Feste ein Duell Eurer Gäste zu verhindern, machte ich keinen Scherz und als ich als einziger Eurer Hoch- und Wohlgeborenen Gäste einem jeden Eurer Jäger ohne Standesdünkel zur Anerkennung meine Hand reichte, machte ich ebenfalls keinen Scherz. Daran seht Ihr doch, dass ich bemüht bin, mich Euren Gepflogenheiten anzupassen? Ein Entgegenkommen, das ich bei weitem nicht tun müsste, wenn es mir nicht wichtig erschiene, dass der alte Adel in der Grafschaft wieder mehr zusammenstünde als sich, wie es im Moment zu sein scheint, in zwei Lager zu spalten.
Mein Haus ist seit Generationen dem Grafen von Gratenfels treu ergeben und wir Ibenburg würden seiner Hochwohlgeboren wahrscheinlich überallhin folgen, sei es ins Verderben. Man sollte, bevor es soweit kommt, die Dinge in die richtige Richtung lenken, das ist meine persönliche Meinung, die Ihr hoffentlich für Euch behaltet!" Melcher Sigismund legte den Kopf in den Nacken und blickte von oben herab auf Leuina; gleichzeitig blitzte bei den letzten Worten ein bedrohliches Funkeln durch die Augen des Vogtes, das Glauben machte, er würde für diese Sache selbst über Leichen gehen.
"Falls Ihr denkt, ich sei hier als Possenreißer und Spaßvogel angereist, irrt Ihr euch, edelste Leuina". Das eben noch Bedrohliche in den Augen des Vogtes war nun wieder einer Freundlichkeit gewichen, "und was mein Seelenheil und den Zorn in mir, den Ihr glaubtet zu sehen, angeht, bin ich bei Lichthüter Bodar in guten Händen und bringe dem Götterfürsten regelmäßig Brandopfer dar. Ich habe mich Euch nun offenbart und eingeräumt, Fehler gemacht zu haben, verzeiht jedoch, wenn ich lieber im Gebet versuche mein Heil zu finden als mein Innerstes mit irgendeinem Sterblichen zu teilen. Nun reicht mir die Hand Leuina von Bilgraten und wir werden die Sache vergessen“. Der Vogt streckte Leuina die rechte Hand entgegen. Kein Spott oder Arroganz schien in seinen Worten, sondern diesmal aufrichtige Ehrlichkeit.
Finmar, der den Ausführungen Beider mit Interesse gefolgt war, nur um ob der trefflichen Missverständnisse auf beiden Seiten ab und an resigniert die Augen zu senken, verhielt sich still, wollte die Situation nicht dadurch verkomplizieren, dass man auf seine Anwesenheit aufmerksam werden musste.
Es dauerte einen Moment, bis die Edle die Antwort auf des Vogtes Worte fand. Und zumindest Finmar und Bartolos konnten bereits erahnen, dass nun ein Grat überschritten worden war. Leuina war nicht nachtragend und sie verzeihte gerne. Jedem und oft genug. Doch irgendwann hatte auch dies ein Ende. So ignorierte sie geflissentlich die entgegen gestreckte Hand, Sanftmut und Gnade waren längst aus ihrem Blick gewichen als sie antwortete:
„Dass Ihr meine Waidleute Ihres Standes gemäß begrüßt habt ist mir nicht entgangen. Und auch über Euer Geschenk habe ich mich gefreut. Doch alles weitere, was Ihr aufführtet, hochgeborener Herr Vogt, spottet in diesem Zusammenhang jeglicher Beschreibung. Als Ihr mir Euer Angebot unterbreitet habt, mich mit Euch zu verbünden und Euch um Hilfe ob des Grafen gehör bitten möge, wähltet Ihr Eure Worte so, als sprächet Ihr mit einer einfältigen Knappin. Ja Ihr habt es sogar gewagt, mich auf eine Weise anzufassen die Euch nicht zustand, als wolltet Ihr mich wie die Jungfer zum Bette führen!“, sie konnte nicht anders als jede Verachtung und Abscheu, die sie bei der Erinnerung an diese Begebenheit verspürt hatte, nun mit ihrer Stimme zum Ausdruck zu bringen. Sie hätte ihm gleich dafür einen Zahn ausschlagen sollen und bereute es nun, es nicht getan zu haben.
„Ein Eindruck, den Ihr weiterhin bestätigte als Ihr mich, die Traditionen und die von Praios und Firun gegebenen Gesetze beim Bankette vor allen Gästen auslachtet! Und was Euer ach so großzügiges Angebot am gestrigen Abend anbelangt: Wie mir von mehreren Zeugen berichtet wurde, ward Ihr sturzhagelvoll als Ihr den Vorschlag zum Ehrengericht machtet und habt noch dazu so ziemlich jeden Anwesenden dadurch in Verlegenheit gebracht, dass sie Zeuge werden mussten wie der Ruf des Landgrafen durch einen lallenden, lauten und torkelnden Vogte besudelt wurde! Und dies führt Ihr nun ausgerechnet jetzt an um es Euch zu Gute zu halten und erwartet allen Ernstes, dass ich Euch auf Eure Forderung hin meine Hand reiche, als wäret Ihr hier derjenige, der in seiner Großzügigkeit Absolution erteilen darf?!“ Verächtlich schnaubte sie aus. Dass sie ihm nicht vor die Füße spuckte war auch schon alles. Ihr Körper war gespannt und auf alles gefasst – tatsächlich unterdrückte sie gerade das starke Verlangen, Melcher einfach das Knie in die Weichteile zu rammen.
Während seine Schwester sich gerade ihrem Zorne hingab, erhob sich Bartolos mit einem Blick zu Finmar. Zwar wusste der Praiot nicht, wo dies alles hinführen würde, doch im Zweifel wäre er allein kaum in der Lage, die beiden zu trennen falls es erforderlich werden würde.
Der Vogt trat noch einen Schritt näher an die Edle heran, so nah das der Adler der Ibenburg auf seinem Wappenrock das Wams der Edlen berührt. „Ihr, Ihr Edle von Bilgraten raubt mir noch den letzten Nerv und fast könnte man meinen Ihr wollt mich in die Arme der Noioniten treiben mit Eurer Sturheit. Ihr unterstellt mir mit Euren Worten dass ich Euch im Beisein eines Mannes des Glaubens, eines Lichtbringers des Götterfürsten zu täuschen versuche mit meiner aufrichtigen und ehrlichen Offenbarung und dazu gar die Unwahrheit spreche? Wie sollte ich Euch jemals von meinen, im Grunde guten Absichten überzeugen, wenn Ihr mir diese bei jeder Gelegenheit zum Nachteil auslegt, frage ich Euch?“. Der Kopf des Vogtes bewegte sich zur rechten Schulter der Edlen und er begann erneut zu flüstern, „Ja, der gute Ruf des Landgrafen, was diesen angeht wisst Ihr so gut wie ich das dieser hier droben keinen Silberling wert ist, also verkauft mich nicht für dumm. Falls der gestrige Abend jemand geschadet hat, dann mir und Eurem Weinkeller. Übrigens ein sehr guter Tropfen den Ihr da habt.“
„Nach Euren Worten muss ich annehmen, dass Ihr Euch lediglich nicht im Klaren seid, dass Eure vermeintlichen Heldentaten mitnichten als solche wahrgenommen werden, hochgeborener Herr Vogt!“, antwortete Leuina ihm in normaler Lautstärke. Den geflüsterten Kommentar zum Grafen ließ sie unkommentiert
Finmar hatte den Blick Bartolos bemerkt und sich ebenfalls bereit gemacht, schnell einzugreifen, dabei aber seine Sitzposition noch nicht aufgegeben. Ja, der Vogt hatte Recht. Diplomatie war die Sache der Gratenfelser mitnichten, wobei er durchaus in Frage stellte, ob der Vogt selbst mit dem Begriff etwas anfangen konnte. Sein Lavieren auf dem Parkett glich eher dem einer Jolle auf stürmischer See und war in seinem Hin und Her derartig unberechenbar, dass dahinter gar kein System stecken konnte. Aber er war ja auch der Vogt des Grafen. Wie sollte er da gelernt haben, etwas zu erreichen, was nicht dazu angetan war, die Untergebenen vor den Kopf zu stoßen.
Und ja, auch Leuina hatte, auch wenn er ihre Beobachtungen bezüglich der Scherzverträglichkeit des Gegenübers teilte, noch viel zu lernen, wenn es darum ging, Umgang mit schwierigeren Charakteren zu pflegen. Kurz huschte ein breites Grinsen über das Gesicht des jungen Mannes bei der Vorstellung, die Familie vom großen Fluss würde sich auf Koschwacht zur Jagd treffen und mehr denn eine Woche verbleiben, wie sie dies bisweilen zur Traubenlese in Almada in dem von ihm verwalteten Stadthaus in Punin tat. Nach drei Tagen lagen die Nerven aller im Hause blank und ab da war es an Finmar, zumindest die größten Skandale zu verhindern, vom Trösten der gebrochenen Dienstboten, dem stillen Bezahlen der Handwerker und dem Erkaufen allgemeinen Stillschweigens abgesehen.
In die knisternde Stimmung hinein erhob Finmar die Stimme, wobei er leichthin sprach, wie um zu sich selbst zu sprechen: „!Vielleicht würde es ja allgemein helfen, wenn wir drei, die wir hier in diesen unwirtlichen Landen aufgewachsen sind, Euch, wertester Vogt, bei einem guten Schluck Wein ein wenig über die Geschichte diesen Landes und den hier lebenden Menschenschlag erzählen, denn wie Ihr richtig bemerkt habt, hat der feste Glaube an Firun und Praios uns einige Charakterzüge eingeprägt, welche für Außenstehende vielleicht ein wenig schwieriger zu begreifen sind. Und ja, Sturheit zählt sicherlich ebenso dazu wie der Verzicht auf Taktiererei. Und da der Landvogt sicherlich immer noch eher der städtischen Etikette denn der ländlichen Direktheit zugeneigt ist – zumindest war dem so, als ich das letzte Mal im Auftrag meines Herzogs bei ihm weilte – muss es zwangsläufig zu Verstimmungen kommen, was aber einen Mann in Eurer Position sicherlich nicht daran hindern wird, die eigene Verstimmtheit hinter Amt und Würde zu stellen. Vielleicht ist es uns allen in gegenseitigem Begreifen möglich zu sehen, auf welche Floskeln und Lavierungen wir zukünftig verzichten sollten, um Streitigkeiten aus dem Wege zu gehen.“
Der Vogt trat wieder einen Schritt von Leuina zurück und legte mit seinem anmutigsten Lächeln die rechte Hand auf seine Brust, um nun ebenfalls etwas lauter zu sprechen, „Verzeiht Edle Leuina, falls ich mit meinem Verhalten Euch als Gastgeberin oder Eure Gäste versehentlich beleidigt haben sollte, dies war nicht meine Absicht!“. Er klang freundlich, doch den Worten hallte etwas Tiefes und Kraftvolles nach.
Des Zornes Funke war noch nicht gänzlich aus den Augen seiner Gegenüber entschwunden, doch nickte sie. Wenn auch knapp. „Ich verzeihe Euch“, sprach sie. In ihrem Ton schwang deutlich der Zusatz ‚ein letztes Mal’ mit.
„Ich bin sicher, dem Herrn Vogt genügen zwei Vertreter Nablafurts als Gesellschaft.“, die Stimme des Praiosgeweihten durchschnitt die Stille, welche sich kurz zwischen den beiden Kontrahenten aufbauen wollte und verhinderte, dass sie zur Last heranwuchs.
„Wohlgeboren, ich ziehe mich zur Mediation zurück. Herr von Neidenstein, Herr von Ibenburg“, er nickte den beiden Männern zu und verließ erhobenen Hauptes das Feuer. Auch wenn er lang schon nicht mehr auf der Koschwacht gewesen war, auch er war hier aufgewachsen und kannte die Wälder noch aus früheren Tagen. In der Zwischenzeit war er zum Manne gereift, doch die Zeit hatte kaum ihre Spuren an Bäumen und Sträuchern hinterlassen. Eigentlich hatte er einen seiner Lieblingsplätze aus Kindertagen aufsuchen wollen, doch als er den Platz überquerte schlug er einen Bogen, um bei der Zeughütte nach dem Rechten zu sehen und einige Worte mit dem Jagdmeister zu wechseln.
„Der Edle von Wildenberg hat da ein wahres Wort gesprochen“, begann Leuina, nachdem ihr Bruder den Kreis verlassen hatte. Sie setzte sich, griff nach ihrem Zinnbecher. „Nun denn, lernen wir uns besser kennen.“, sie schaute kurz zu Finmar, welcher bei diesem Blick nur Übles ahnen konnte.
„Vor über 500 Jahren beschützten unsere Urahnen diese Länder und Wälder vor namenlosen, unheiligen Kreaturen. Sie vergossen ihr eigenes Blut auf dieser kargen, kiesigen Erde auf der außer Gras und Bäumen kaum etwas wachsen will. Und weil sie zum Schutze der Harmonie, des Gleichgewichtes zwischen Leben und Tod und dem heiligen Schoße der Urmutter ihr Leben und ihr Seelenheil in die Waagschale warfen, nicht zögerten, nicht lamentierten und nicht rechneten, ob es die Sache wert wäre, wurden sie von Kaiser Rohal dauerhaft mit dieser Aufgabe betraut. Zu schützen und zu bewahren, was ihnen anvertraut wurde.“, sie vergewisserte sich mit einem Seitenblick zu Finmar, dass dieser auch keine Einwände hatte.
Finmar nickte knapp und zustimmend mit dem Kopf. Seine Aufgabe war es, still zu sein und zuzuhören. Das Reden wurde ihm andernorts viel zu oft aufgebürdet, als dass er es auch noch in seiner knapp bemessenen freien Zeit hätte übernehmen wollen.
„So ist’s bei uns. Seit jeher. Wir werden mit dem Land vermählt. Wie ist das in Eurer Familie, Herr von Ibenburg?“, mit ernstem Interesse sprach sie die Frage aus und man konnte durchaus annehmen, dass sie selbst wiederum davon ausging, dass irgendjemand in der Familie des Vogtes doch einen Krumen Land weiter vererben würde.
[Melcher] Etwas überrascht ob der letzten Worte blickte Melcher Leuina nun an und für einen kurzen Moment lag beinahe Stille über der Szenerie, nur das Knistern des Feuers und ein gelegentliches Zischen, wenn ein Tropfen Fett des Schweines in die Flamme fiel, war zu hören. War es nun die Edle, die kleine Seitenhiebe zwischen den Zeilen austeilte? War, tänzeln wie ein Schmetterling - aber stechen wie eine Biene nicht einer Melchers Leitsprüche? Oder hatte er ihre Worte einfach falsch gedeutet? Melcher nahm zwei Zinnbecher und füllte sie mit dem guten roten Tropfen, der auch auf der Koschwacht gereicht wurde.
"Ein guter Einfall, Edler von Wildenberg", mit diesen Worten reichte er Finmar einen der Becher. Seufzend, sein geliehenes Jagdschwert Gortann neben sich, nahm er erneut auf der Bank Platz.
"Das klingt nach einer langen und ehrenvollen Familiengeschichte, Edle Leuina. Solch eine selbstlose Aufopferung verdient Respekt, das will ich meinen. Was waren das für Kreaturen von denen Ihr spracht? Haben Eure Vorfahren einen Ruhmreichen Sieg über diese Bestien davongetragen? Meint ihr etwa Kreaturen…" der Vogt blickte sich kurz nach allen Seiten um "...etwa Kreaturen des Dreizehnten!? Geht gar in heutigen Zeiten noch Gefahr von ihnen aus?. Verzeiht meinen Wissbegier, aber solches verfluchte Rattengezücht muss man dem Lichte des Götterfürsten zuführen und ihnen den Weg dorthin mit Feuer und Schwert bereiten, wo immer man ihrer habhaft wird.
Der Vogt schien kurz in Gedanken, begann aber dann mit einem breiten, freundlichen Grinsen erneut zu sprechen "Wir werden eher mit dem Landherren vermählt, Wohlgeborene Leuina, Ihr versteht meinen Spaß?“ Tatsächlich entwich der Edlen ein erstaunlich schönes Lächeln bei diesem Scherz. Vielleicht auch deshalb, weil es der Erste war, den der Vogt auf eigene Kosten machte. „Nun gut, lassen wir die schelmischen Andeutungen für heute, so möchte ich Euch kurz über die von Ibenburg berichten.
Die von Ibenburg sind weit verbreitet in den Nordmarken und so manche edle Familie kann sich glücklich schätzen, einen derer von Ibenburg in Ihren Reihen zu wissen. Auch wenn es uns bisher verwehrt bliebt, in den Barons Stand erhoben zu werden, sind wir hoch angesehen und waren immer loyal und treu gerade zum Landgrafen von Gratenfels. Aber auch dem Götterfürsten sind wir sehr zugetan und dürfen diesem seit Generationen dienen". Der Vogt trank einen Schluck des Weines, um seine Stimme zu ölen. "Ich führe seit einigen Monden den Titel des Edlen von Buchenweiher, als der letzte Edle ohne Erben verstarb, bat ich den Grafen, dort nach dem Rechten sehen zu dürfen, und gelobte, mich um das kleinste Lehen in der Grafenmark zu kümmern. Ihr wisst ja, dass Titel und die damit verbundene Güter von Edlen eigentlich nicht erblich sind, in der Mark sind wir jedoch stets darauf bedacht, sofern die jeweiligen Vertreter würdig sind, diese Ehre in der Familie zu belassen und so verfügen wir über einen seit Generationen gewachsenen Edlenstand. Die Entscheidung über die Belehnung liegt natürlich letzten Endes beim Landgrafen selbst, man kann aber durchaus verdiente Kandidaten empfehlen oder dies auch unterlassen. Ein Waldstück in der Nähe des Ortes Erzenschöffer am Rande der Koschberge obliegt ebenfalls unserer Verantwortung, jedoch kann man dort nicht einmal ansatzweise von einem gewinnbringenden Stück Land sprechen, mein Vater Odumir hat einem der seltsamen Waldbewohner einst versprochen, dass dieser dunkle Wald für immer unangetastet bleibt und verfügt, dass dieser fortan unter den Schutz des Landvogtes gestellt werde. So hat er es an mich weiter gegeben, ihr wisst, ein Wort eines von Ibenburg. Bis heute wurde dort kein einziger Baum gefällt, kein Reh geschossen, keine Sau erlegt, ja selbst das Betreten des Waldes wurde unter strenge Strafe gestellt. Als man für den letzten Census im Jahre 36 unseres Kaisers Hal einen Gesandten dorthin schickte - auch dieser Flecken unterliegt der göttergewollten Ordnung, das will ich wohl meinen - kam dieser verstört zurück, faselte wirr und behauptet gar, dort würde niemand leben. Ihr seht, Leuina", die richtige Anrede schien Melcher vertieft in seine Erzählung vergessen zu haben und kam nun wieder auf den Anfang seiner Geschichte zurück, "wir kämpfen mehr mit dem Worte und suchen uns die richtigen Freunde, als mit dem Schwerte in der Hand unser Blut zu vergießen, nicht dass wir es nicht könnten, bei weitem nicht, auch der Leuin Tugenden sind uns nicht fremd. Nur scheinen, wie soll man da sagen, die "Ressourcen" scheinen in unserer beider Heimat gar unterschiedlich zu sein". Melcher schmunzelte beinahe lausbübisch über den Vergleich. "Ich mag wohl meinen, Edle Leuina, Edler Finmar, auch mein Haus kann sich mit Tradition rühmen, wenn auch weniger martialisch und naturverbunden als vielleicht Eure beiden Familien." Als er geendet hatte, lehnte Melcher sich, gespannte auf die Antwort der beiden Edlen, zurück.
Leuina hatte den Ausführungen des Vogtes aufmerksam gelauscht. Immerhin schien er zu wissen, wo sein Platz war, zumindest in seiner Heimat. Dass dieser ein anderer war als hierzulande, musste ihm wohl noch beigebracht werden. Gut Lust hätte sie, ihn aufzuklären über den Wertunterschied zwischen jenen, welche Blut vergossen und ihr Leben riskierten zum Schutze der Schutzbedürftigen, und den anderen, die ohne je ein Risiko einzugehen nur flüsterten und vermeintlich weise Ratschläge gaben zu Dingen, welche sie selbst niemals erlebt hatten. Doch würde Melcher dies wohl niemals einsehen. Das, worauf er so stolz zu sein schien, war ihr keinen Pfifferling wert. So lehnte sie sich zurück und überließ Finmar vorerst das Wort.
Dieser hatte aufmerksam zugehört und ein ums andere Mal genickt. Nun trank er einen kleinen Schluck und fasste dann den Vogt ins Auge, ein Lächeln im Gesicht: „Ach, Freund Vogt, martialisch und naturverbunden ist Vieles, was uns umgibt. Und viele Traditionen leben um uns herum, ohne dass wir sie bemerken. Verzeiht mir, wenn Ihr meine Rede als Angriff auf euer Haus und eure Herkunft verstanden habt, nichts stand mir ferner. Ich habe vom Hause Ibenburg gehört und das, was ich gehört habe, war durchaus schmeichelhaft. Mitnichten ging es mir darum, irgendetwas in Frage zu stellen. Ich gewann nur den Eindruck, dass Euch viele unserer Traditionen fremd sein könnten, die uns wiederum so vertraut sind, dass es uns schwerfällt, sie überhaupt noch zu bemerken. Und da ich den Eindruck hatte, ihr wäret irritiert ob so mancher Reaktion von unserer Seite, wollte ich Euch um Nachsicht bitten und auf eben jene alten Traditionen verweisen, die zu verstehen schon so manchem Schwierigkeiten bereitete. Gleichwohl freut es mich zu hören, dass es auch in Eurer Familie eine enge Verbundenheit mit dem Land gibt. Mich würde der von euch benannte Ort sehr interessieren, erinnert er mich doch an so manchen Flecken meines Lehens, den man besser ohne ein einziges Stück Metall am Leibe betritt…“
“Nun ja, Wohlgeborener Finmar, einige Dinge sind mir tatsächlich fremd, da ich selbst meine Ausbildung in einer fernen Stadt genoss, war bisher nicht viel Zeit, mich neben den Aufgaben eines Vogtes, der Krankheit meines Vaters und meinem Glauben an den Herrn, für andere Dinge“. Melchers Blick ging zu Leuina, sie hatte sich bisher nicht zu den Ibenburg geäußert. Wollte dieses sture Ding etwa die Ehrenhaftigkeit seines Hauses nicht anerkennen? Nicht in jeder Situation half es im Walde irgendwelches Getier zu erschlagen um seinen Stand zu sichern und um sein Haus weiterzuführen, dass hatte die Edle aus des Vogtes Sicht noch nicht recht verstanden. Auch schien Melcher die beiden wollten der Geschichte mit diesen Kreaturen aus dem Wege gehen und sie möglichst nicht erwähnen, hatte er nicht gerade den Dreizehnten erwähnt? Müsste nicht jeder von zwölfgöttlichem Glauben und so mancher andersgläubige Götzenanbeter vor Schreck zusammenfahren? Merkwürdig, dachte er, alle Gliedmaßen schienen beide noch zu haben, zumindest was man sehen konnte. Er würde sehr vorsichtig sein. „Erzählt mir mehr von Eurer Familie Edle Leuina, sind diese Kreaturen in den vergangenen Jahrhunderten nochmals aufgetaucht?“ Versuchte Melcher das Gespräch in die richtige Richtung zu führen.
„Unsere Vorfahren vermochten es, den starken Schild des Glaubens und das Licht von Wahrheit und Ordnung in diese Lande zu tragen. Doch wie Ihr wisst ist man jenseits dieser Grenzen alles andere als fest und treu im Glauben“, sie sprach die Worte aus und ließ offen, welche Grenzen damit nun genau gemeint waren. „Immer wieder strecken düstere Schatten ihre Klauen aus, zum Ziele das Herz des Herzogtums. Doch scheitern sie damit jedes Mal, auch hier.“, sie atmete tief durch, warf einen kurzen Seitenblick auf Finmar und schob noch dazu:
„Insbesondere die Kreaturen, welche dem Widersacher Firuns dienen, scheinen unsere Lande als lohnenswerte Beute erkoren zu haben. Der feste Glaube und das feste Befolgen der Gebote des Grimmen der Herrscher und Bewohner dieses Landes ermöglichen es uns, diese Verderbtheit im Keime zu ersticken. Jäger, deren Herzen weich und anfällig sind, verfallen oft den Einflüsterungen. Wird dies sodann zu spät erkannt, sind die Folgen fatal. Meiner Familie obliegt seit Generationen das Sorgetragen um die Jagd. Und sorgen wir auch dafür, dass kein Jäger ohne Ehre sich am Wilde vergeht. Dies verstehen wir als unsere heilige Pflicht. Wir trennen die Spreu vom Weizen – bei uns selbst und unseren Jägersleuten“, fest blickte sie Melcher in die Augen. Dieser, so war sie sich sicher, würde mit ihren Worten nichts, aber auch rein garnichts anzufangen wissen. Was wusste der schon vom Leben, vom Kampfe? Er lebte im Luxus der Sicherheit, den Menschen wie unter anderem sie selbst ihm verschafften. Und dankte es ihnen mit Hohn und Spott. Sollte er. Der Tag würde kommen, an dem die Götter über ihn richteten.
Bei den Worten von Leuina sprang Melcher mit einem Satz von seiner Bank auf und zog mit der Rechten seinen Kusliker Säbel, dessen Klinge er vor Tatendrang gen Himmel streckte. „Dann lasst uns diese Kreaturen ein für alle Mal suchen und vernichten! Auf das sie Euer Land nie wieder heimsuchen“. Selbst etwas überrascht über seine Worte sang nun die Klinge wieder etwas. „Oder noch besser“, setzte der Vogt nach, „sobald in nach Gratenfels zurückkehrt bin, schicke ich Euch die tapfersten Männer die sich dann, unter Eurer Aufsicht versteht sich, der Sache annehmen werden. Ich selbst bin dann sicherlich wieder mit dringenden Amtsgeschäften betraut die keinen Aufschub dulden. Solange Ihr euch aber an die 12 Meilen Grenze, beschlossen im Nordmärkisch-Andergastischen Frieden haltet, dürftet Ihr von den Steineichenköpfen unbehelligt bleiben. Ich werde aus Gratenfels einen Boten zu meinem andergastischen Amtskollegen, dem Vogt der Mark Seewiesen, senden und Euch ankündigen, Jawohl das werde ich“. Erneut strecke, von seinen eigenen Worten beeindruckt, der Vogt seinen Säbel zum Himmel.
Mit der Gemütsruhe eines Berges hatte die Edle von Bilgraten den kleinen Enthusiasmus-Ausbruch des Vogtes beobachtet. Allein ihrer Selbstbeherrschung war es zu verdanken, dass sie diesen nicht mit einem spöttischen Lächeln oder auch nur einer hochgezogenen Augenbraue bedachte. Sie verdrehte nicht einmal die Augen angesichts der Naivität, welche Melcher demonstrierte: Ja, genau, eine ausreichend hohe Zahl an Truppen würden dies jahrhundertealte Problem gewiss lösen und niemand, wirklich niemand hatte vor dem Vogt jemals diese Idee gehabt und versucht, sie in die Tat umzusetzen. Seit Generationen hatte man hier in Nablafurt einzig auf diesen Geniestreich des gräflichen Vogtes gewartet, der wahrlich von Rondra und Hesinde gleichermaßen gesegnet sein musste um zu solchen kriegstaktischen Auswüchsen fähig zu sein....einzig Finmar mochte in ihrer regungslosen Miene hinter dem kühlen Blick diese Gedanken erahnen.
Finmar sah den Vogt lind irritiert an, dann räusperte er sich: „Verzeihung, Freund Vogt, ich möchte Euch da jetzt nicht zu nahe treten und goutiere Euer Angebot wirklich. Aber wie oft hattet Ihr es bisher in Eurem Lehen mit widernatürlicher Kreatürlichkeit zu tun? Nicht, dass ein gutes Schwert und eine tapfere Hand nicht jederzeit und überall freudig willkommen geheißen würden. Aber Ihr seid Euch schon darüber im Klaren, dass es sich bei solcherart von Wesen mitnichten um dauerhafte Erscheinungsformen handelt? Abgesehen davon, dass zu befürchten stünde, dass – so man einer solchen Kreatur tatsächlich ansichtig werden würde – diese im Regelfalle nicht so wirklich einfach mit einem normalen Schwert niedergerungen werden kann, gleichwie stark die Hand auch sei, die die Waffe hält.“
Der Vogt erwiderte den Blick von Finmar, die Worte des Edlen hatten ihn zum nachdenken gebracht, was man deutlich an sich bildeten Stirnfalten unter dem vollen, schwarzen Haaransatz des Vogtes sehen konnte. „Nun gut, Freund Finmar,“ sprach der Gratenfelser den Neidensteiner an und schob gleichzeitig seine Waffe wieder in die Schwertscheide zurück, „So viele Kreaturen werden es nicht gewesen sein, denen ich selbst gegenüber stand. Das möchte ich nicht abstreiten. Ich habe jedoch schon von einigen gelesen, Werke wie Praios´ Licht im finstren Thann und Die Nachteile der Demut gehörten zu meinen Abendlektüren. So vertraue ich darauf, das es mit festem Glauben im Herzen möglich ist den Hort dieser Bestien ausfindig zu machen und derer zu obsiegen!“ Wieder machte der Vogt eine kurze Pause um seine Worte wirken zu lassen. „Was ist mit Euch Edle Leuina? Ihr schaut so griesgrämig, hat Euch etwas verärgert? Bevor ich es vergesse, mich plagt ein Bärenhunger und falls es die anwesenden Edlen Damen und Herren nicht stört, mögt Ihr Leuina dieses hübsche Ding, Isotta mit Namen glaube ich, zurückrufen auf das sie uns ein Stück vom Schwein schneidet? Ich wäre Euch sehr verbunden, Stolze Leuina Praiolind von Bilgraten“, Melcher senkte kurz sein Haupt.
„Ich schaue nicht griesgrämig, Herr Vogt. Ihr habt mich nur noch nie böse erlebt, das ist alles“, entgegnete die Edle auf die Worte Melchers und erhob sich, zog in einer fließenden Bewegung ihren Hirschfänger und trat an die Sau heran. „Es ist nicht immer so wie es in den Büchern steht. Allein wenn ein fester Glaube ausreichte, um derartige Kreaturen zurück in die Niederhöllen zu schicken, weshalb kämpfen wir dann seit Jahren wider die schwarzen Lande?“, mittlerweile war ihr ob ihres weltfremden Gastes nicht einmal mehr zum Lächeln zumute. Das war einfach nur traurig. Sie griff nach einem der unbenutzten Spieße und schnitt dem Vogt selbst etwas vom Schwein ab. Mit geschickten Fingern und einer Klinge, die sich als überraschend scharf entpuppte, trennte sie ein gutes Stück Keule von der Sau und reichte es Melcher am Spieß.
„Ich bin selbst gewiss keine Veteranin im Kampfe gegen derlei Gezücht. Doch die ein oder andere dieser Wesenheiten wurde von mir und Kristallwächter schon gebannt. Wenn Ihr also Fragen habt, die Euch Eure Bücher nicht beantworten oder Ihr deren Inhalt auf Wahrheit überprüfen wollt, so bitte: stellt sie. Ich weiß gewiss nicht alles, aber so einiges.“ Fragend blickte sie zu Finmar:
„Wollt Ihr auch ein Stück?“
"Habt dank Leuina", Melcher Sigismund ergriff die Sau am Spieß aus der Hand der Edlen und nahm erneut auf der Bank Platz. Sein geliehenes Jagdschwert neben sich, begann er von der Keule runter zu beißen. Nachdenklich aß er die ersten Stücke der Sau, für einen kurzen Moment kehrte nun die Stille an die Feuerstelle zurück. Nachdem Melcher seinen ersten Hunger gestillt zu haben schien begann er erneut das Gespräch mit der Edlen. "Es muss doch, es muss ein Portal oder zumindest Anhänger dieser Kreaturen auf Dere geben, die diese herbeirufen, so lehrten es mich meine Bücher und meine bisherige Erfahrung in diesen Dingen", versuchte er nicht ganz unwissend zu erscheinen. "Wo seid ihr diesen verfluchten Wesen zuletzt begegnet oder tauchen diese regelmäßig in bestimmten Gebieten auf? Ich weiß es übrigens zu achten, dass Ihr, Edle von Bilgraten, solche Dinge mit mir teilt und ich respektiere Eure Taten für Land und Herzogtum. Ich kann Euch versichern diese Sache in meinem Bericht nicht zu erwähnen und auch sonst stillschweigen zu bewahren solange ich mir sicher sein kann, dass Ihr der Lage gewachsen seid. Was ich aber bis zu dieser Stunde in keinster Weise in Abrede stellen möchte und es auch nicht werde! Ich hoffe Ihr wisst das zu schätzen!
Sollte jedoch der Norden der Grafschaft in Gefahr sein, werde ich rechtzeitig seiner Hochwohlgeboren Alrik berichten. Dies soll Euch nicht bedrücken und es sollen auch keine Drohworte aus meinem Munde sein. Meine Unterstützung habt Ihr bereits mehrfach vehement abgelehnt und bedrängen werde ich Euch damit nicht.
Falls Ihr mir jedoch von zunehmenden Übergriffen der Schwarzpelze, hier an der Grenze zu Andergast berichtet, werde ich dem Landgrafen raten Euch einige Donnerer zu Unterstützung zu entsenden. Dies würde den Kreis der Wissenden klein halten, Ihr bräuchtet keine all zu große Einmischung in die Belange Eurer Familie fürchten und würde Euch trotzdem einige gute Schwerter zur Seite stellen". Ein großer Biss in die Keule beendet das diesmal sehr diplomatische Angebot des Vogtes.
Leuina hatte wieder Platz genommen, nachdem sie Finmar ebenfalls ein Stück am Spieß gereicht hatte, und war dem Redefluss des Vogtes halb aufmerksam gefolgt. Er hatte diese lästige Angewohnheit, seinem Gegenüber etliche Fragen zu stellen und diesem dann doch keine Möglichkeit zur Antwort zu lassen. Immerhin hatte er schon zugegeben, von diesen Kreaturen keine Ahnung zu haben, also wollte sie seine vorangegangene Rede nicht weiter kommentieren und lieber auf die Sache mit den Orks eingehen.
„Derzeit verhalten sich die Schwarzpelze ruhig – zumindest auf meinen Ländereien kam dieses Jahr kein einziger zur Strecke und es kam auch keine Klage, die von Grenzüberschreitungen dieser Biestinger berichtete. Ich werde auch kaum zulassen, dass schmierige Söldner die zwischen Rondra und ihrem Sohn nicht zu unterscheiden vermögen, in meinen Wäldern nach Orks oder Daimoniden suchen“ Voller Verachtung für dieses Söldnerpack spie sie auf den Boden. Hielt der Herr Vogt etwa Söldner für vertrauenswürdiger und diskreter als herzögliche Soldaten? „Halten wir es doch so wie schon all die Jahrzehnte vor Eurer und meiner Amtsausübung: Wenn wir mit Problemen konfrontiert werden, die unsere bescheidene Streitmacht übersteigt, schicken wir Nachricht an unseren Lehnsherren und dieser entsendet die herzögliche Flussgarde. Mit denen haben wir immer ganz hervorragend zusammengearbeitet, egal wider welches Gezücht es ging. Zuletzt sicherten ein Banner unsere Grenze gen Norden während Graf Alrik den Heerbann ausrief“
Nun gut, dachte der Vogt und aß ruhig weiter. Die Edle hatte wohl nicht ganz verstanden, was er meinte, die Orks sollten nur als Vorwand für das Entsenden der Truppen dienen. Wahrscheinlich wäre es sowieso besser, sich nicht in fremde Angelegenheiten zu mischen, sollte sie doch sehen, wie sie und diese sturen Nordgratenfelser alleine mit den Kreaturen fertig würden. Das würde bestimmt ihr Mütchen kühlen. „Ich verstehe“, antwortete der Vogt nachdenklich über seine erneute Zurückweisung. „was ist nicht verstehe, ist, warum, wenn es doch nur wenige Übergriffe der Orks gab, hat die Baronin die Gefolgschaft zum Heerbann sagen wir mal ausgesetzt?“ Melcher war gespannt auf die Antwort der Edlen zu diesem heiklen Thema, indessen wanderte sein Blick hinüber zum Vorplatz des Zeughauses, wo inzwischen eine Art Übungskampf zwischen dem Rabensteiner und der Baronin von Rickenhausen stattfand. Überrascht sah er, wie gut sich die Dienerin der Allweisen Herrin zur Wehr setzen konnte. Ihr Kampfstil schien recht unkonventionell, sie machte einige Fehler bei der Beinarbeit und hatte wohl auch nicht das richtige Gespür für die verschieden Kampfdistanzen, aber eine Waffe verstand sie zu führen.
Etwas länger als vielleicht notwendig gewesen betrachtete sie den Vogt, ehe sie antwortete: „Nun, das fragt Ihr dann wohl am besten Ihre Hochgeboren selbst. Ich bin eine einfache Edle und beanspruche keineswegs, in alle taktischen und strategischen Überlegungen meiner Lehnsherrin eingeweiht zu werden. Auch hinterfrage ich derlei Entscheidungen nicht, wenn sie nicht direkt mein Lehen und meine Aufgaben tangieren.“, jedes Ihrer Worte war wahr, wenngleich der Inhalt kaum die Luft wert war, mit der sie gesprochen waren. Dem Blick Melchers folgend entschloss sie sich zu einem Themenwechsel:
„Ihre hochgeborene Hochwürden tut gut daran, sich mit der ungewohnten Waffe vertraut zu machen. Wie steht’s mit Euch?“, beinahe verlockend hob sie eine Augenbraue: „Ich werde Euch gerne als Partner zur Verfügung stehen, wenn Ihr Euch mit Gortann üben wollt“ Sie gab sich keine Mühe zu verbergen, wie sehr sie an einem Waffengang mit dem Vogt interessiert war. Darüber hinaus war da noch mehr in ihrem Blick; ein Ausdruck, den Finmar schon wenige Male bei seiner Nachbarin gesehen hatte und ihm jedes Mal auf’s Neue Sorge bereitete. Eine Mischung aus Ehrgeiz und Jagdfieber. Für letzteres war die Familie von Bilgraten bekannt, ja beinahe schon berüchtigt: Nicht wenige ihrer Ahnen hatte das Unvermögen, eine Jagd zum gegebenen Zeitpunkt abbrechen zu können, schon manchen getreuen Waidgesellen gekostet, wenn nicht gar ihr eigenes Leben selbst. Es schien fast, als würde die außerordentliche Nähe und Verbundenheit zum Grimmen auch die Aufmerksamkeit des elenden Hetzers nach sich ziehen...Doch von diesen Dingen konnte der Vogt schwer wissen und mochte so im Blick der Edlen lediglich den Wunsch sehen, ihn vorzuführen. Zumindest schien sich Leuina einer Überlegenheit mit diesen Waffen sehr sicher.
Der Gratenfelsener blickte auf sein Jagdschwert, das er bis jetzt nicht mal aus der Lederscheide gezogen hatte, um es sich anzusehen. „Ihr seht vor Euch einen durchaus geübten Schwertkämpfer, Edle Leuina. Und wenn ich auch zugeben muss, dass mir Eure Nähe nicht unangenehm ist, so möchte ich Euch doch nicht verletzen!“. Mit diesen Worten griff der Vogt nach dem Jagdschwert, um es zu betrachten.
„Wenn Ihr ein geübter Schwertkämpfer seid, so kann ich mir ja doppelt sicher sein, dass Ihr mich nicht verletzen werdet.“, entgegnete die Edle mit gelassener Stimme, der ein kleines bisschen Herablassung mitschwang. Wer solch großspurige, arrogante Worte von sich gab, musste zumindest hierzulande damit rechnen, sie umgehend unter Beweis stellen zu müssen.
Finmar hatte dem Wortwechsel schweigend gelauscht und verdrehte nun inwendig die Augen. Das hörte sich ein wenig wie das Balzen streitlustiger Auerhähne an. Aber wer war er, in dieses Geplänkel einzugreifen. Beide waren erwachsene Edle und mussten wissen, was sie sich zutrauen konnten. Im schlimmsten Falle würde einer von beider eine harmlose Verletzung davontragen, welche dann vielleicht sogar das morgige Mütchen scharf genug kühlte, dass es nicht während der Jagd zu Ausfällen kam.
Melcher zog Gortann aus der Scheide und drehte sich zu Leuina, „Lasst uns Schweiß vergießen und kein Blut, Edle Leuina. Ich überlasse Euch den ersten Angriff.“
Die Edle erhob sich und tat einige Schritte vom Feuer und den Bänken zurück. Mit einem Blick zur Sonne – mittlerweile war es längst nach Mittag, doch die Hitze, die herunterbrannte, hatte nicht abgenommen – entledigte sie sich ihres guten Wamses und ließ es auf der Bank zurück. Das Bustier, welches sie darunter trug, verdeckte alles was zu ungehörig war und offenbarte den strammen Körper einer starken Frau. Lediglich am Bauch zeigte sich, dass der Sommer gut zu ihr und dem Land gewesen, sie selbst gut gerüstet war gegen die kargeren Zeiten des nahen Winters. Ihr Gehänge hatte sie abgeschnallt, auch dieses würde sie beim Waffengang mehr behindern als notwendig.
Mit einem Lächeln zog sie ihr Jagdschwert mit der rechten und den Hirschfänger mit der linken Hand. Die Klinge des Schwertes offenbarte nun einen bläulichen Schimmer, der unmöglich nur vom Licht stammen konnte. Hatte man sich nicht erzählt, ihre Waffe wäre Elfenwerk? Einen Moment stand sie da, das linke Bein vorn, den Hirschfänger locker auf halber Höhe hängend und das Jagdschwert, das viel mehr einem Rapiere glich als einem echten Langschwert, waagerecht mit der Spitze voran haltend. So wie sie dastand hätte sie gewiss einem horasischen Lehrbuch zur Fechtkunst entsprungen sein können.
Der Griff des Jagdschwertes fühlte sich trotz der Wärme des Tages kalt in Melchers Hand an, dies bereitet im aber weniger Sorgen, als der Umstand, dass seine Gegnerin in diesem Übungskampf gleich mit zwei Waffen gegen ihn antrat.
„Nun denn...wenn es meines Gastes Wunsch ist zu schwitzen, so wäre ich wohl eine schlechte Gastgeberin, diesem Wunsch nicht nachzukommen“, erwiderte sie. Keinen Atemzug später sah sich Melcher einem Ausfall gegenüber: Beginnend mit einem weit ausgeholten Hieb auf seinen Kopf sprang Leuina auf ihn zu, anschließend folgten zwei weniger weit, dafür umso schneller ausgeführte Hiebe auf seine rechte und linke Flanke. Zwangsläufig musste er zurückweichen, wollte er nicht in die Reichweite des Hirschfängers geraten, den sie deckungsbereit entweder auf halber Höhe vor sich hielt wenn das linke Bein vorne war oder enger am Körper hielt, wenn das rechte Beine vorne stand. Flink waren ihre Beine, entschlossen der Blick und Melcher war sich sicher, dass sie sowohl Kraft und Geschwindigkeit ihrer Angriffe noch erhöhen könnte wenn sie dies wollte. Melcher parierte die ersten Schläge der Edlen und hielt sich mit seinem Angriff zurück, der Hirschfänger konnte ihm durchaus gefährlich werden. Er war sich auch nicht ganz sicher ob die Edle ihm die Waffe nicht mit einem Grinsen zwischen die Rippen schieben würde. Mit einem gezielten Stich auf sein gerade vorne stehendes Knie schloss sie ihren Ausfall ab. Der Vogt wich mit einem kleinen Schritt auf Leuinas rechte Seite und somit der Klinge aus. Mit seiner freien linken Hand griff der das Handgelenk der Edlen und verlängerte, mit einem heftigen Ruck daran ziehend, ihren Stoß in die Richtung, in der er eigentlich gedacht war. Nun den Arm mit der Hauptwaffe der Edlen unter seinem Eigenen gesichert, überbrückte er flink die Distanz zum Körper und wollte einen Schlag mit dem Schwertknauf auf Leuinas Kopf andeuten. Doch ehe er sein Schwert erhoben hatte, hatte die Edle sich bereits gedreht, der Richtung ihres Armes folgend und stand nun, denkbar ungünstig für Melcher, hinter ihm und hielt ihm die Spitze des Hirschfängers an die Kehle. „Ihr seid eine respektable Kämpferin Leuina von Bilgraten und führt eine scharfe Klinge“, gestand Melcher ein. „So wir uns einig waren Schweiß zu vergießen und kein Blut, was sich in dieser Lage sicherlich anbieten würde, gratuliere ich Euch zu eurem Sieg“. Mit diesen Worten warf Melcher sein Schwert vor sich auf den Boden.
„Und Ihr scheint mich notorisch zu unterschätzen, Herr Vogt.“, entgegnete die Edle kühl mit deutlich herablassendem Blick. „Ihr entschuldigt mich nun, ich habe das dringende Bedürfnis mich vom Schmutz zu befreien“, sie warf sich ihr Wams über und schnallte sich im Fortgehen das Gehänge um. Ihr Weg führte in die Richtung der Stallungen.
Als die Edle davongezogen war, bückte sich Melcher um das Jagdschwert wieder vom Boden aufzuheben. Mit einem Tuch wischte er die Klinge mehrmals ab und schob sie zurück in die Lederscheide. Etwas mürrisch über die schnelle Niederlage und die letzten Worte der Edlen, setzte er sich erneut auf die Bank am Feuer. Mit einem großen Schluck aus dem Becher, der bis eben noch auf der Bank gestanden hatte, benetzte er seine trockene Kehle. Der warme Wein rann seine Kehle hinunter.

Die Schwertersammlung derer von Bilgraten - zurück im Zeughaus

„Herr von Bollenstieg, sucht Ihr ebenfalls noch nach einem Harnisch?“
Der Angesprochene nickte. „Ich verfüge nur über ein leichtes Gewand und einen Plattenharnisch, den ich aber wohlweislich in Furtwacht zurückgelassen habe. Ein der Jagd nicht abträgliches Rüstzeug, das etwas Schutz gegen Gestrüpp und das hiesige Getier bietet, wäre mir sehr recht. Wenn es denn auch in passender Größe verfügbar ist …“
Unbeachtet von den anderen war Garobald der Gruppe gefolgt und hatte sich am Eingang der Hütte an den Türbalken gelehnt. Von dort aus hatte er auch das Gespräch zwischen Baronin, Jagdmeister und Vogt beobachtet. Aber als der Jagdmeister daran ging Harnische an die Anwesenden zu verteilen, räusperte er sich: „Verzeiht Jagdmeister Aureus, wäre ein solcher Harnisch einem langem Kettenhemd bei der Jagd vorzuziehen?“
Der Jagdmeister überlegte kurz um nach einer Antwort zu suchen, die dem Edlen nicht allzu sehr gegen den Kopf stieß:
„Wir werden nicht pirschen, somit ist der verursachte Krach von Metall keine Sache, die es dabei zu überlegen gilt. Auch werdet Ihr wohl die meiste Zeit im Sattel verbringen, wodurch auch die Beweglichkeit keine zu große Rolle spielt. Allerdings werden wir zu Ehren des Heiligen Jarlak zur Jagd ausziehen. Wie Ihr wisst, ist dies der Schutzpatron wider die Verweichlichung der Jäger. Von meinen Pagen wird lediglich der junge Madawin eine Weste aus Kettengeflecht tragen, die anderen verlassen sich auf den geringeren Schutz des Herzens zu Gunsten der Beweglichkeit. Ich selbst werde ganz ohne Schutz ausziehen“ Er musterte Garobald, der ja immerhin eine rondrianische Statur aufwies, von Kopf bis Fuß:
„Beantwortet dies Eure Frage, Hochgeboren?“
„Das tut es, habt Dank dafür.“ Der Edle nickte Aureus dankbar zu und deutete auf die aufgereihten Harnische „Habt Ihr in diesem Fall vielleicht einen Harnisch und ein Jagdschwert für mich übrig?“
„Aber gewiss! Seht ruhig die Harnische durch, sie alle stehen für Gäste zur Verfügung. Ich werde derweil die Schwerter herrichten...“, dabei blickte er sowohl zu Garobald als auch zu Anselm – den Herren konnte er guten Gewissens unterstellen, sich mit Rüstzeug auszukennen sodass sie seine Hilfe bei der weiteren Auswahl kaum benötigen würden.
Die nicht eben leichte Brustplatte passte tatsächlich einigermaßen, wenn Biora sich darin auch reichlich eingezwängt vorkam, trug sie doch sonst nie Rüstung. Hoffentlich scheuerte das gute Stück nicht zu sehr, wenn man es länger trug. Sie ließ den Sitz noch einmal von Aureus kontrollieren und fragte dann weiter: „Brauche ich sonst noch etwas? Schießen werde ich wie bereits angedeutet mit der Armbrust,“ sie lächelte entschuldigend, „und mit dem Schwert kann ich gut umgehen, insofern wäre ein Jagdschwert sicher auch eine gute Wahl, oder was meint Ihr?“
„Ein Jagdschwert ist immer eine gute Wahl“, antwortete Aureus mit einem Lächeln während er an einem der Tische die Schwerter von ihren geölten Schutzhüllen befreite. Seine Stimme wirkte deutlich entspannter, offenbar hatten Biora und Garobald mit ihrer demütigen, ehrlich um Hilfe suchenden Art eine Mauer bei ihm eingerissen.
„Damit werdet Ihr den Gnadenstoß geben können ohne Euch zu sehr in Gefahr zu begeben, ist es doch lang genug um im Sattel zu bleiben. Meistens. Bitte, probiert Euch an den Waffen aus. Ich habe sie alle erst vor einem Mond selbst überprüft.“, er griff nach einem der schlanken, spitzen Schwerter, die soviel mehr an ein horasisches Rapier erinnerten als an ein Schwert.
„Die meisten dieser Klingen sind sehr alt“, Aureus’ Stimme wurde beinahe andächtig, während er die Klinge senkrecht vor sich hielt und noch ein letztes Mal eingehend prüfte. Trotz des goldenen Lichtes, das durch die Fenster hinein fiel, schimmerte die Klinge eher silbern. Oder täuschte das? Der Griff war aus Rehhorn gefertigt und zwang die Hand in eine ungewöhnliche, leicht abgebogene Haltung – perfekt zum Zustechen. „Sie wurden in des Wildes Kammer getaucht, schmeckten vom Schweiße und dürsten noch immer danach.“, er legte den Kopf schief, legte die Klinge noch ein letztes Mal zur Schwerpunktprüfung auf seinem Finger ab und balancierte es darauf. „Diese hier ist Yidariwin. Einst wurde sie von Nurinai von Blutbuchen geführt, einer Meisterin der Jagd zu Kaiser Retos Zeiten. Es heisst, ihre Namenspatin, der Silberschwan Yidari, habe der Klinge auf die Spitze gehaucht sodass diese immer einen leichten Drang zum Herzen des leidenden Wildes verspüre um dessen Leid zu beenden“
Er verzichtete auf angeberisches Getue, auf schnelle Bewegungen und Luftkunststückchen. Er war kein Gaukler. Und er hielt etwas in Händen, was ebenso Respekt und Ehrerbietung verlangte wie das das Wild oder die Gesellen. So lächelte er die Gäste lediglich über die Klinge hinweg vielsagend an und legte Yidariwin ruhig und bedächtig zurück auf den Tisch zu seinen Geschwistern.
„Ich erzähle gerne mehr, wenn Euch danach verlangt. Keine dieser Waffen ist ohne Namen und die meisten haben eine Geschichte. Wenngleich, das liegt uns Jägersvolk wohl im Blute, manche davon ihren Ursprung eher in langen, durchwachten Nächten mit übermüdeten Sinnen liegen mag. Da kann man sich leicht einbilden, ein Schwert würde einem etwas vorsingen...“
Biora nahm die Waffe in die Hand und wog sie prüfend, dann, da sie die Waffe ja nicht so kannte wie der Jagdmeister, machte sie einen Schritt zur Seite und führte einige fachmännische Streiche gegen die Luft. Gleichzeitig sprach sie ein stummes Gebet zu Hesinde und Ifirn und horchte in sich hinein. Man konnte ja nie wissen bei so einer alten Waffe mit eigener Geschichte …
„Nur zu gern würde mich die Geschichte dieser Waffe interessieren, Aureus. Und die aller anderen auch …“ Man hörte ihrer Stimme das Bedauern an, das sie wohl verspürte, weil zumindest jetzt gleich keine Zeit war für ausgiebige Erzählungen.
Ein passender Harnisch war schnell gefunden und so lauschte Garobald aufmerksam den Worten des Jagdmeisters. Langsam, fast schon ehrfürchtig, schritt er die Reihe der Klingen entlang und lies seine Finger sanft über die Griffe gleiten, bis sich seine Finger eher unbewusst um einen Griff schlossen. Der Edle blieb stehen und hob die Klinge hoch um sie genauer zu betrachten. „Welchen Namen trägt diese Klinge?“

Die Waffe, welche der Edle in Händen hielt, war eine von denen mit schlanker Klinge. Ungewöhnlich leicht lag sie in der Hand, Parier und Stichblatt bildeten kunstvoll, ja beinahe verspielt gefertigte Eichenblätter die von einem wahren Meister seiner Kunst geschmiedet worden sein mussten: Auf den ersten Blick wirkten sie beinahe echt. Feine, kunstvolle Ranken glänzten in hellem Silber zwischen den zwei Blutrinnen auf der Klinge. Bei genauem Hinsehen mochte das Auge des Betrachters erahnen, dass sich da in Wirklichkeit wohl Schriftzeichen als Pflanzenwerk getarnt hatten. Weshalb diese Klinge hier als Leihwaffe für Gäste hergegeben wurde mochte sich Garobald nun wirklich nicht erschließen, jeder Jagdmeister, ja jeder Baron wäre geehrt, diese Waffe an der Seite zu tragen!
„Dies ist bhá’ raieor’ din, Sturmes Auge.“, antwortete Aureus leise, als schlafe die Waffe noch und er wolle sie nicht vor der Zeit wecken. „Eine unserer ältesten Waffen. Viele Geschichten gibt es darüber. Die wichtigste aber wird wohl für’s erste die ihrer Herkunft sein: Sie stammt aus den Auen-wo-Donner-ins-Wasser-fällt und wurde von elbischer Hand gefertigt. Eine der Vorfahren der Edlen brachte sie von ihren Reisen mit“
Die elfische Waffe weckte sofort die Neugier der Geweihten, fast mehr noch als Yidariwin. „Darf ich?“ wandte sie sich an Garobald.
Der Angesprochene reagierte nicht auf die Frage Bioras. Sein Blick war starr auf die Waffe in seinen Händen gerichtet und er murmelte leise Worte vor sich hin, fast so als unterhalte er sich mit ihr. Dabei fuhr er mit den Fingern der Linken zärtlich die Rankenmuster nach. Schließlich blickte Garobald dann doch auf und blinzelte mehrmals, als würde er aus einem Traum erwachen. Er wandte sich mit einem fragenden Blick Biora zu. „Verzeiht, ich war... abgelenkt. Wie kann ich Euch helfen?“
„Ich fragte Euch, ob ich die Waffe aus der Nähe betrachten darf, Hochgeboren,“ wiederholte Biora und fuhr dann mit spürbarer Neugier in der Stimme fort: „Seid Ihr des Isdira ebenfalls mächtig? Was sagt Euch die Inschrift auf der Klinge?“
Der Edle schüttelte bedauernd den Kopf: „Ich muss Euch enttäuschen, das Isdira ist mir fremd, aber euren Worten entnehme ich, dass Ihr des Elbischen sehr wohl mächtig seid? Würdet Ihr mir die Inschrift vielleicht übersetzen?“ Garobald lächelte Biora an und reichte Ihr die Klinge, den Griff voran. „Seid aber vorsichtig Hochgeboren, Sturmes Auge erwacht gerade erst und könnte noch ein wenig widerspenstig sein.“ Seiner Miene war nicht zu entnehmen ob dies ein ernstgemeinter Rat oder ein Spass war.
Die Geweihte neigte lächelnd den Kopf, ebenfalls ohne erkennen zu lassen, ob sie Garobalds Rat ernst nahm oder nicht, und nahm die Waffe aus seiner Hand entgegen. Gleichermaßen bewundernd wie akribisch begutachtete sie das schlanke Schwert und insbesondere die Inschrift von allen Seiten, bevor sie dem Edlen antwortete. „Ich habe einige Kenntnisse der elfischen Sprache und Schrift, doch wie Ihr vielleicht wisst, sind beide nicht für Menschen gemacht und deshalb von solchen wie mir leider immer nur unvollständig erlernbar. Dennoch vermag ich der Inschrift einen Sinn zu entlocken, wenn es auch vielleicht nicht der ist, den der Schmied dieser Waffe einem elfischen Träger mitgeben wollte. - Die einfachste Bedeutung, die ich herauslese ist 'Im Auge des Sturmes findet der Schwan eine Zuflucht'. Allerdings sind auch andere Deutungen möglich, bis zu 'Im friedlichen Auge des brausenden Sturmes fallen weiße Blätter der Eiche in das Wasser'. Ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass dies nur die oberflächliche Bedeutung dieser Gravur darstellt, es mag auch sein, dass man die Klinge im vom Wasser eines Sees reflektierten Sonnenlicht zu einer bestimmten Jahreszeit oder im Lichte des Madamals an einem bestimmten Ort ansehen muss, um hinter die wahre Bedeutung zu kommen.“ Sie seufzte leise. „Wir jedenfalls werden diese wohl kaum jemals ergründen können. Zumindest nicht, ohne die Hilfe eines Elfen zu rate zu ziehen.“ Sie reichte Garobald die Waffe etwas wehmütig zurück.
Garobald, der den Ausführungen der Hesinde-Geweihten aufmerksam verfolgt hatte, nahm die Klinge vorsichtig entgegen und betrachtete sie nochmal kurz bevor er sie in die zugehörige Scheide steckte. „Ich danke Euch für eure Ausführungen. Mir war nicht bewusst, dass das Isdira so vieldeutig sein kann.“

Während Biora die Waffe untersuchte wandte Garobald sich an Aureus. „Würdet Ihr mir die Geschichten über Sturmes Auge erzählen, wenn sich die Gelegenheit dazu ergeben sollte? Ich würde meinen Jagdgefährten gerne besser kennenlernen bevor wir gemeinsam auf die Jagd gehen.“ Er warf der schlanken Klinge in den Händen der Baronin von Rickenhausen einen ehrfürchtigen Blick zu.
„Bei Gelegenheit, sicher!“, antwortete der Jagdmeister und wandte sich dann Anselm zu, der wohl einen Harnisch gefunden hatte und nun noch ein Schwert benötigte.
Während sich Garobald und Biora unterhielten, wandte sich Anselm an Aureus: „Da Ihr Eure Jagdschwerter alle beim Namen nennt, mögt Ihr mir vielleicht auch die eine oder andere Klinge vorstellen? Ich denke, ich benötige ebenfalls eine solche Waffe, da das Langschwert, das ich führe, dem Zwecke der Jagd wohl kaum entspricht.“
Der Blick des Hünen glitt über die verbliebenen Schwerter – es mussten noch gut zehn an der Zahl zur Auswahl stehen. Er musterte den Hauptmann und schien zu prüfen, welche Waffe am ehesten seiner Statur entsprach. Dann griff er nach einem sehr schlichten, unauffälligen Schwert:
„Dies ist Kaikajuk, der starke Luchs.“, er reichte Anselm das Schwert – es wies kein Stichblatt, die gewundenen Parierstangen glichen langen Fangzähnen in ihrer Form. Ohne Blutrinne war die im Vergleich zu ihren Geschwistern breite Klinge, dennoch lag die Waffe gut in der Hand. Während Anselm die Waffe in Augenschein nahm, suchte Aureus nach einer zweiten und fand sie sogleich:
„Hier hätten wir noch Bärenfang, ein Geschenk aus dem Hause Neidenstein“, die zweite Klinge die er dem Hauptmann präsentierte war verspielter in seiner Machart: Das Stichblatt war einem Eichenblatt nachempfunden, die Spitzen der Parierstangen mit Eicheln aus Messing und das Haupt eines brüllenden Löwen bildete den Knauf.
Der Hauptmann musterte die zweite Waffe lächelnd, ohne danach zu greifen. Statt dessen prüfte er noch einmal das Gewicht des Jagdschwertes, das er bereits in Händen hielt. „Habt Dank, ich schätze die Schlichtheit von...“, kurz musste er überlegen, „Kaikajuk. Es scheint mir sehr seinem Zweck gerecht geschaffen. Nichts gegen die Waffe von Eurer Baronin, aber mich deucht, dass sie einem Edleren als mir anstünde.
Aber um nochmals auf das Rüstzeug zurück zu kommen, auf das ich Euch ansprach, bevor Hochgeboren von Tommelsbeuge Eurer Aufmerksamkeit bedurfte... Es ist mir bewusst, dass der Heilige Jarlak keine Verweichlichung schätzt. Doch glaube ich auch nicht, dass er die Dummheit einer unangebrachten Bekleidung zur Jagd gutheißen würde, und meines Wissens soll auch er nicht barnackend auf die Pirsch gezogen sein. So lasst doch mal sehen, ob Ihr ledernes Zeug hier im Verschlag habt, das dem Anlass gerecht ist und mir passen könnte.“
Aureus nickte dem Edlen zu und legte Bärenfang zurück zu den anderen Klingen. Die Überlegungen bezüglich des Heiligen und dessen Kleidung bei der Jagd ließ er wohlüberlegt unkommentiert. Ihm selbst war ja schon die lederne Brustplatte zuviel und seit er das Amt des Jagdmeisters ausübte lag er darüber im Streit mit der Edlen.
„Bitte, seht Euch die Harnische in Ruhe durch. Sagt es einfach, wenn Ihr dabei meine Hilfe benötigt“
Der Rabensteiner trat vor die Tür der Hütte, die Biora, dem Fischwachttaler und dem Flußgardisten nebst Jagdmeister bereits gerammelt voll war. Die Edlen beugten sich über verschiedene Jagdschwerter, bewunderten sie und diskutierten ihre Eigenheiten, wie er es vielleicht bei guten Pferden ebenso gehalten hätte.
Mochten sie. Er wartete, bis Aureus die Klinge, die er gerade in der Hand gehalten hatte, dem Bollstieger übergab und wandte sich dann an ersteren.
„Jagdmeister, auf ein Wort. Eure Jagdgepflogenheiten unterscheiden sich von unseren. Akzeptiert das Bilgratener Recht ein Rapier zum Abfangen von Hirsch und Sau?“
Wie stets trug der einäugige Baron sein Rapier, eine schlanke, etwa zwei Finger breite Klinge ohne Hohlkehle, mit einen geschwärzten, elegant geschwungenen, aber ohne jeglichen Zierrat auskommenden Korb, einen einzelnen Onyx im Knauf und einen schlichten Parierdolch.
Mit jenem undurchdringlichen Blick, welche dem Jagdmeister nun einmal zu eigen war und in dem er wohl gleich eine Gemeinsamkeit mit dem Baron von Rabenstein hatte, trat er auf diesen zu und warf einen Blick auf das Schwertgehänge seines Gegenübers.
„Auf den Hirsche durchaus und ich kann Euch auch nur empfehlen, Eure gewohnte Klinge zu führen – auch wenn der Korb etwas hinderlich sein mag. Für den Kälberstoß ist sie durchweg geeignet. Für das Abfangen der Sau jedoch sieht die Direktive eine breitere, sich in der Mitte verjüngende Klinge vor – allerdings ist das Verwenden vom falschen Zeug nur dann ein Vergehen, wenn daraus ein Frevel entsteht. Zum Beispiel der Schuss mit dem kurzen Bogen auf einen Hirsch, der hundert Schritt entfernt steht sodass von vornherein das zu Holze kommen des Tieres feststeht. Das Abfangen eines verletzten Tieres mit einer Waffe, die dem Zwecke dienlich, aber nicht hirschgerecht ist, fällt meines Erachtens jedoch nicht darunter“ Mit ruhiger Stimme erklärte er dem Baron die Tücken und Fallstricke der Jagd hier droben. Die Empfehlung an den versehrten Baron, das Abfangen der Sau besser den Gesellen zu überlassen, sparte er sich aus guten Gründen. Es war die Entscheidung des Rabensteiners, welche Risiken er einzugehen bereit war und da maßte er sich gewiss nicht an, ihm irgendetwas zu empfehlen.
Nichts verriet die Miene des Rabensteiners, als der Jagdmeister seine Erklärungen tätigte. „Gut.“ Tiefe Ruhe und Gelassenheit, geboren aus absoluter Selbstsicherheit, strahlte der alte Baron aus. „Sorgt Euch nicht um den Griffkorb.“ Lange schon trug der alte Freiherr diese Waffe, und ein gewisses Maß an Übung im Umgang mit ihr hatte er inzwischen erlangt. Seltener zwar gegen Tiere, doch ausreichend. Bedauerlicherweise auch zu manch unerquicklicher Begebenheit, wie weiland, vor über fünfzehn Götterläufen, als diese Klinge an der Trollpforte das Blut seines damaligen Streitrosses trank, eines der besten, die das Rabensteiner Gestüt jemals hervorgebracht hatte.
Nichts unter den Lebenden war für die Ewigkeit.
Er nickte dem Jagdmeister zu. „Habt Dank für Eure Ausführungen.“ Zu eng und voll war die Hütte, als dass er sich länger ans notwendig dem Gedränge ausgesetzt hätte. Er trat vor die Türe und machte dem Galebqueller Knappen Platz.

Nein, nicht der Baron von Galebquell maßte sich an, an zwei Orten gleichzeitig sein zu wollen – aber da auch er noch Ausrüstung benötigte, hatte er seinen Knappen und Beinahe-Ritter Travin von Tannwirk die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die Ausrüstung seines Herren aus dem Fundus der Edlen von Graufurten aufzustocken. Wie die Knappen des Barons am gestrigen Abend festgestellt hatten, führten sie nur Hirschfänger, jeder einen Speer sowie einen Kurzbogen. Nebst der nötigen Beharnischung für den Körper.
Aus diesem Grund begab sich der behände Travin zum Jagdmeister und hoffte darauf, die Ausstattung nun aufzustocken.
Als Travin die Hütte betrat, fand er nur noch den Jagdmeister und den Edlen von Bollstieg vor – alle anderen waren vor dem Haus in ein Gespräch mit Seiner Gnaden Bartolos von Bilgraten vertieft. Da Anselm gerade die Harnische durchsah, konnte sich Aureus dem Knappen zuwenden:
„Was kann ich für dich tun, Knappe?“, der Hüne sprach den adligen Knappen ganz bewusst auf diese Weise an – so war es hier Brauch und Sitte, so sollten auch die edelgeborenen Herrschaften erfahren was es hieße, ganz unten zu dienen. Seine Stimme war dabei ruhig und tief, die persönliche Anrede kam ganz selbstverständlich und Travin hatte wenig Grund davon auszugehen, der Jagdmeister wolle ihn auf diese Weise persönlich beleidigen.
Inzwischen hatte der Hauptmann seine Auswahl auf zwei Rüststücke eingegrenzt. Das eine war ein ledernes Wams, das in der Innenseite mit feinem, schwarzem Stoff ausgefüttert war. Es hatte eine einigermaßen seinem Brustumfang angemessene Größe. Daneben hatte er sich ein paar Armschienen aus verstärktem Leder gelegt. Nach längerem Betrachten legte er die Armschienen wieder beiseite. Zum einen würde ihn das Zeug beim Zielen mit der Armbrust behindern, zum anderen wollte er dem Jarlakstag weitgehend gerecht werden und sich nur so weit rüsten, dass er zumindest vor einem allzu leichtfertigen Tode geschützt wäre. Da Verweichlichung ein wirklich weitläufig interpretierbarer Begriff war, schien es auch keine allzu einhelligen Vorgaben über die wahre Auslegung dieser besonderen Jagdauflagen zu geben.

Vorm Zeughaus - Befragung des Praioten

Nachdem der junge Travin von Tannwirk auch noch zu der Menschentraube in der Hütte hinzustieß, wurde es Garobald zu voll. Er wandte sich an Biora und Anselm: „Wollen wir hier nicht ein wenig Platz für jene machen, die noch Rüstzeug benötigen?“
Biora nickte dem Edlen zu und warf einen etwas wehmütigen Blick auf den Jagdmeister. Die Geschichten der Waffen würden ob des Andrangs warten müssen. Dann folgte sie Garobald nach draußen.
Kurz nach Lucrann traten auch die Rickenhausenerin und der Tommelsbeuger Ritter ins Freie. Sie machten einen nicht unzufriedenen Eindruck, und in den Augen der Hesindegeweihten glomm ein Feuer, das dem alten Rabensteiner von mancher gemeinsamen Reise wohl vertraut war.
„Ihr seid zufrieden mit Eurer Ausrüstung, Hochgeboren, Wohlgeboren?“ wandte er sich an die beiden.
„Was mich angeht, vertraue ich der Expertise des Jagdmeisters, Euer Hochgeboren.“ Sie nickte dem Rabensteiner zu, mit dem sie bisher trotz ihrer langjährigen Bekanntschaft kaum ein Wort hatte wechseln können. „Ich werde aber gegen später ein wenig mit der Waffe und dem Harnisch üben, um mich daran zu gewöhnen. Vielleicht mag mir einer der Herren oder auch beide dabei zur Seite stehen?“
Das war heute schon das dritte Mal, dass man ihn mit Wohlgeboren titulierte. Aber alles zu seiner Zeit. Er wandte sich Biora zu und lächelte: „Es wäre mir ein Vergnügen, Hochgeboren.“ Dann wandte er scih wieder dem Rabensteiner zu., wobei sein Lächeln ein wenig verblasste. „Um Eure Frage zu beantworten, ich bin mehr als zufrieden.“ Er überlegte kurz, wie sollte er das nächste sagen ohne den Rabensteiner zu beleidigen. „Euer Hochgeboren“ wandte er sich an seine beiden Gesprächstpartner: „Ich weiss, mein Verhalten am gestrigen Abend war nicht einem Baronet angemessen und ich möchte mich dafür entschuldigen.“ Garobald atmete tief durch und fuhr mit bewusst ruhigem Tonfall an den Rabensteiner gewandt fort: „Aber darf ich trotzdem darum bitten, mich ebenfalls mit Hochgeboren zu titulieren, wie es dem Sohn des Barons von Tommelsbeuge zusteht?“
„Mit Freuden, Hochgeboren.“ Kurz fing und hielt der alte Isenhager den Blick der rothaarigen Priesterin, ehe er sich dem Baronssohn zuwandte, der sich merklich – und erfolgreich – Mühe gab, seine gesträubten Federn zu glätten.
„Einer Entschuldigung Eurerseits für den Vortag bedarf es nicht, Baronet. Doch was die Anrede anbelangt, so weilt Euer Vater nach meinem Wissen noch unter den Lebenden und trägt den Titel des Barons von Tommelsbeuge. So gebührt ihm die Anrede Hochgeboren, die diesem Titel zusteht – und die auch Ihr eines Tages erhalten werdet, wenn Golgari Euren Vater geleitet hat.“ Er betrachtete ruhig den jungen Adelsmann, dessen Gefieder sich indes noch nicht merklich geglättet hatte. „In den Nordmarken ist es seit jeher Brauch, dass den legitimen Kindern eines Adelshauses als Anrede jene einen Rang unter denen des Amtsträgers gebührt. Selbst den Erben. Es ist mir durchaus bewußt, dass es im Garetischen neue Moden gibt, dies zu ändern. Seht es meinem Alter nach, wenn ich weiter dem Nordmärker Brauch und Recht folge.“
Der Baronet dachte über das soeben Gehörte nach. Er hatte es aber so beigebracht bekommen und in Tommelsbeuge war es auch gute Sitte, das Kind eines Barons mit Hochgeboren anzusprechen. Garobald konnte sich nicht vorstellen warum der Rabensteiner in dieser Hinsicht die Unwahrheit sprechen sollte. Auch wenn sich ihre Häuser nicht gerade nahestanden so hielt er den Baron von Rabenstein doch für einen Mann von Ehre. Zudem war der Rabensteiner nicht der einzige, der ihn seit seiner Ankunft mit Wohlgeboren angesprochen hatte. Natürlich konnte er auch weiterhin auf die „garethische“ Anrede pochen, allerdings war er auch ein Freund althergebrachter nordmärkischer Traditionen und hatte er nicht erst gestern den Versammelten vorgeworfen die alten Traditionen zu vernachlässigen? Also zwang sich der Edle zu entspannen und neigte entschuldigend den Kopf. „So die Götter es wollen wird mein Vater noch lange Baron auf Tommelsbeuge sein. Aber nicht ich werde sein Nachfolger sein, diese Ehre wird meinem Bruder Geribold zuteil werden.“ Ein wehmütiges Lächeln umspielte seine Lippen als er fortfuhr: „Mir scheint auf dieser Jagd kann ich noch einiges über altes nordmärkisches Brauchtum und Traditionen lernen. Tatsächlich wurde mir von klein auf die garethische Art der Anrede beigebracht. Ich bin allerdings ein großer Freund und Befürworter unserer althergebrachten Traditionen. So bitte ich Euch, sprecht mich an wie es in den Nordmarken gute Sitte war und ist, als Wohlgeboren.“ Die letzten Worte waren vielleicht etwas übertrieben, aber er wollte sich nicht anmaßen dem Baron eine Erlaubnis zu erteilen.
„Und so habe ich etwas über die Tommelsbeuger Thronfolge gelernt.“ Der Baron musterte den jungen Edlensohn mit ruhigem Blick. „Möge Boron Eurem Vater noch einige Jahre schenken, Wohlgeboren.“ Er strich sich überlegend über die Augenklappe, die die Stelle seines linken Auges bedeckte. „Was sind Eure weiteren Pläne für diesen Nachmittag – abgesehen von der Waffenübung mit ihrer Hochgeboren.“ Er nickte der geweihten Baronin zu, um die Frage auf sie auszuweiten.
„Habt Dank, Hochgeboren.“ Nachdenklich fuhr sich Garobald durch den Bart. „Ich wollte noch Erkundigungen einziehen wie die Regeln für den firungefälligen Ringkampf aussehen.“ Mit einer gewissen Neugier sah er die Baronin von Rickenhausen und den Baron von Rabenstein an. „Werdet Ihr ebenfalls daran teilnehmen?“
Die Geweihte, die dem Wortwechsel zwischen Baronet und Baron aufmerksam, aber zurückhaltend gefolgt war, nickte bestätigend. „Zwar ist solch eine Art von Götterdienst durchaus eine neue Erfahrung für mich, doch wer sagt, nur die Anhänger der Jungen Göttin sind Neuem gegenüber aufgeschlossen?“ Biora lächelte schon wieder etwas schelmisch. „Zumal es nicht oft Gelegenheit gibt, einem Dienst zu Ehren des Herrn Firun beizuwohnen. Ich bin gespannt.“
„Die meisten der Gäste Ihrer Wohlgeboren dürften daran teilnehmen.“ Stimmte Lucrann der Rickenhausenerin zu. „Einem Dienst am Grimmen wohnte ich bislang noch nicht bei – das gedenke ich zu ändern.“ Auf seiner Miene stand kein Zeichen, wie er über die Aussicht, Teil dieses sehr urtümlichen Götterdienstes zu sein, dachte. Vielleicht waren ihm die Rahmenbedinungen auch nur schlichtweg gleichgültig. Er wandte den Kopf in Richtung Bioras. „Habt Ihr schon einen Gegner ausgesucht?“
„Finmar.“
Der Einäugige nickte knapp. Interessant würde das Zusammentreffen der beiden werden – und er war sich nicht zur Gänze sicher, wer der beiden ob dieser Übereinkunft mehr zu bedauern war – die gereifte Baronin oder der junge Edle.
Gerade vom Feuer und einem mehr als hitzigen Wortwechsel kommend gesellte sich der jüngere Bruder der Edlen zum erlauchten Kreise. Er wartete einen Moment, nicht dass er jemandem ins Wort fiele, und stellte dann, mit einem Blick auf die neuen Waffen von Garobald und Biora fest:
„Ihr seid fündig geworden. Und zufrieden, nehme ich an?“, etwas in seinem Blick und seiner Stimme verriet eine tiefere Bedeutung seiner Frage. Der Höflichkeit halber erkundigte er sich gewiss nicht nach dem Befinden der Gäste.
Nicht wirklich angesprochen, hatte er als einziger der Gruppe doch darauf verzichtet, sich mit Waffen aus dem Zeughaus auszustatten, bedachte der alte Baron den Priester mit einem durchdringenden Blick. Als schwatzhaft war ihm Seine Gnaden Bartolos bislang nicht aufgefallen, und auch den Eindruck, sich inmitten einer Menschenmenge wohlzufühlen, hatte der Geweihte bislang nicht hinterlassen.

Auch dem Edlen war der Unterton in der Stimme des Geweihten nicht entgangen. Instinktiv warf er der Baronin von Rickenhausen einen kurzen Blick zu. Ging es um den Vogt? Vielleicht sollte er doch nochmal in aller Ruhe mit Melcher sprechen. Dann ging ihm auf, dass er die Frage des Praiosdieners noch nicht beantwortet hatte. Garobald nickte zustimmend: „Mehr als zufrieden, Euer Gnaden.“
Der Geweihte nickte knapp und versuchte sich an einem Lächeln „Das freut mich zu hören. Und wie steht es bei Euch, hochgeborene Hochwürden?“, ihm war der Seitenblick des Edlen mitnichten entgangen und ahnte bereits, in welche Richtung des Vogtes Fehlverhalten gegangen sein mochte. Falls sich seine Vermutung als richtig herausstellte, warf dies jedoch die Frage auf weshalb Melcher Frust und Zorn darüber an seiner Schwester hatte auslassen müssen.
Biora hob ein wenig die Augenbrauen ob der hin- und hergeworfenen Blicke, ging aber nicht direkt darauf ein. „Euer Jagdmeister hat eine gute Waffe für mich herausgesucht, mit welcher ich nach einem Imbiss noch ein wenig üben möchte. Insofern bin ich durchaus zufrieden. Oder zielte Eure Frage in eine andere Richtung, Euer Gnaden?“ Sie sah den Diener Praios' freundlich, aber etwas forschend an.
Man mochte den Dienern des Götterfürsten ja vieles vorwerfen können: Arroganz und Selbstgefälligkeit gehörten gewiss zu den häufigeren Lastern, welche sich bei dieser Dienerschaft häufiger einschlich. Doch auf eines mochte man sich meist verlassen können, gerade bei den jüngeren Geweihten: Ihre Ehrlichkeit. Wäre Bartolos einem mehr städtischen Geschlecht entsprungen, hätte er vermutlich versucht, die Frage diplomatisch abzuwenden. Das war er jedoch nicht und in seiner Antwort zeigte sich dann doch, dass auch er in diesen rauen Ländern aufgewachsen war und ebenso wie seine Schwester den direkten Weg des menschlichen Miteinanders anerzogen bekommen hatte:
„In der Tat. Der hochgeborene Herr Vogt hat sich soeben zu uns ans Feuer gesellt. Seiner Laune nach und allem was folgte mag ihn eine Gegebenheit zuvor in Wut versetzt haben.“, er hätte seine Haltung nun gestrafft, doch da diese es, wie sonst auch, bereits war, strich er sich lediglich die weiße Robe glatt. „Nachdem sowohl unser Haushofmeister unpässlich ist und sein kurzfristig einberufener Stellvertreter Ritter Aetius auf Furtwacht geblieben ist, möchte ich nun gerne einen Teil dieser Pflichten übernehmen und sicher gehen, dass nicht noch mehr geistige Unordnung entstanden ist.“ Mit hochgezogener Augenbraue blickte er in die Runde, nur um am Ende doch wieder bei Biora zu verweilen. Wenn er es von den Gästen nicht erfahren würde, dann ohnehin vom Jagdmeister.
Biora dachte nicht daran, der indirekten Frage auszuweichen. „Hier ist alles in bester Ordnung, soweit ich das beurteilen kann. Der Herr Vogt allerdings fühlte sich ob meiner sanften Ermahnung, er möge mit Euren Leuten angemessener umgehen, ungerechtfertigt bloßgestellt, zumal es nicht die erste sanfte Ermahnung von meiner Seite war. Doch lag es sicher nicht in meiner Absicht, ihn vorzuführen, ich habe versucht, so dezent wie möglich zu sein, doch der gute Mann macht es einem nicht wirklich einfach.“ Sie seufzte ein wenig. „Er hat sichtlich Schwierigkeiten, sich den hiesigen Gepflogenheiten anzupassen. - Näheres über den Vorfall, welcher wohl das Fass zum Überlaufen brachte, kann Euch der Jagdmeister berichten.“ Biora hielt kurz inne und wirkte etwas nachdenklich, als sie dann fortfuhr. „Doch sagt, was hat denn Euren Haushofmeister getroffen, so dass er unpässlich ist?“
Unpässlich genug, dass an seiner statt der Praiot gen Koschwacht gereist war, was dieser nach seiner Aussage eigentlich nicht hatte tun wollen. Neugierig geworden, strich sich der alte Freiherr über seinen Bart und wartete auf die Antwort Bartolos.
Der Geweihte nickte verständig während er den Worten Bioras lauschte und schien dabei wenig überrascht – er hatte sich soetwas in der Art schon gedacht. Immerhin war wohl kein Graufurter die Ursache für diesen Ausbruch gewesen, aber dazu würde er noch Aureus sprechen. Bei der abschließenden Frage an ihn bezüglich des Haushofmeisters musste er sich tatsächlich ein Lächeln verkneifen – besser hätte Biora die Frage nicht stellen können.
„Die Faust der Edlen“, antwortete er wahrheitsgemäß und beeilte sich, dies weiter zu erklären nachdem alles andere die Sache an sich nur verschlimmern konnte. Die Wahrheit war eben doch immer das beste Mittel wider aufkommende Gerüchte und Vorurteile:
„Unser Onkel Lidowin übte das Amt des Haushofmeisters bereits unter unserer verstorbenen Frau Mutter, seiner Schwester, aus. Da ich bei dem Vorfall anwesend war, bezeuge ich hier vor Praios sowohl die Verhältnismäßigkeit als auch die Notwendigkeit der Strafe durch meine Schwester sowie die Beherrschtheit, unter welcher diese ausgeführt wurde. Er weilt derzeit in Gratenfels und lässt sich einen neuen Zahn gießen.“
Der Edle von Bösalbentrutz musst seine ganze Selbstbeherrschung aufwenden um den ruhigen Gesichtsausdruck aufrecht zu erhalten, den er während dem Gespräch zwischen den Geweihten beibehalten hatte. Er hatte befürchtet, dass der Vogt seine Wut an jemanden auslassen würde. Das es die Edle von Bilgraten traf machte ihn wütend, mühsam unterdrückte er den Drang zum Feuer zu marschieren und dem Vogt …
Aber dann kam man auf die Unpässlichkeit des Haushofmeisters zu sprechen und Garobalds Wut wich Verblüffung. Bisher hatte er den Eindruck gehabt, dass die gute Leuina sich sehr gut unter Kontrolle hatte. Was hatte der Onkel getan um sie so aus der Fassung zu bringen? Wenn selbst seine Gnaden Bartolos beim Götterfürsten schwor, dass das Ausschlagen eines Zahnes angemessen und notwendig gewesen sei...
Gerade wollte er den Mund aufmachen als die Baronin nebem ihm zu sprechen begann.
„Oh?“ Die Geweihte hob etwas überrascht eine Augenbraue. „Wollt Ihr mir jenen 'Vorfall' näher erläutern, oder trete ich Euch oder der Edlen damit zu nahe?“ Biora passte sich ohne zu Zögern der direkten Art des Praiosgeweihten an, in ihrer Stimme lag echtes Interesse. Zudem warf sie nun ihrerseits Garobald einen Blick zu, der aussah, als hätte er ebenfalls etwas zu diesem Thema zu sagen.
Tatsächlich war Garobald der Baronin zutiefst dankbar, dass sie die Bitte vorgebracht hatte. So nickte er ihr dankbar zu.
Interessiert lauschte der Baron den Ausführungen des Geweihten, ohne diesen aus dem Auge zu lassen. Die Gesichte, die erzählt wurde, war höchstens ebenso interessant, wie der Priester sie berichtete. Die Vorgabe, die Wahrheit zu sprechen, machte die Priester des Götterfürsten höchst angenehm im Umgang.
Der gestrenge Blick des Praiosdieners verhärtete sich als er der Baronin von Rickenhausen antwortete:
„Der Haushofmeister ist sowohl in seiner Wortwahl als auch im Thema, um welches es ging, deutlich zu weit gegangen. Dies wird Euch in der Sache genügen müssen“, kaum hatte er die Worte ausgesprochen, runzelte er die Stirn als ob bei dem Rückbesinnen auf jenen Vorfall etwas neues ins Lichte der Erinnerung rücken würde:
„Wobei es schon seltsam ist: Nur einige Herzschläge später bat mich Ihre Wohlgeboren, die Jagdgesellschaft zu begleiten....“, den letzten Satz sprach er fast mehr zu sich selbst denn zu den Gästen und ein Schatten der Sorge legte sich über das noch junge, bartlose Antlitz Bartolos’.
Es vergingen ein paar Augenblicke, in welchen Biora den Blick Bartolos' zu halten versuchte, wohl in der Hoffnung, er möge seinen Ausführungen doch noch etwas hinzuzufügen, doch dem schien zumindest im Moment nicht so zu sein. So nickte sie also nur und antwortete: „Dem entnehme ich, dass eine Jagd hierzulande nicht grundsätzlich des direkten Beistands Praios' bedarf ...“ Die Geweihte ließ den Satz ausklingen und sah kurz zu Garobald und Lucrann, ob diese noch etwas hinzuzufügen hatten. Ganz offensichtlich war ihre Neugierde noch nicht gestillt, und ob der sorgenvollen Miene des Praiosgeweihten war ihr im Augenblick auch nicht mehr nach Lächeln zumute.
Die offene Miene des jungen Priesters sprach Bände – und eine schöne Geschichte erzählte sie nicht. „Was sorgt Euch dabei, Euer Gnaden?“ wollte der alte Baron wissen.
„Als ich Ihre Wohlgeboren fragte, weshalb ich sie zur Koschwacht begleiten solle, verwies sie auf ihren Instinkt.“, er blickte in die Runde und verstand, dass diese Aussage noch mehr Fragen aufwarf als sie beantwortete. Die offenen Fragen vorwegnehmend fuhr er fort:
„Diese Gabe taucht in meiner Familie recht häufig auf – auch unsere Schwester Lioba verfügt wohl darüber, ebenso wie unser Bruder Basilis, möge er in Frieden ruhen, einen bemerkenswerten Sinn für Dinge hatte, die allen anderen verborgen blieben. Ich selbst kann dies nicht zur Gänze fassen.“ Sein Blick fiel wieder auf den Baron von Rabenstein, um seiner Frage nun erneut zu antworten:
„Mich sorgt, dass Ihre Wohlgeboren ahnt mich zu benötigen“
Mit einem Räuspern machte der Edle auf sich aufmerksam.„Wenn ich Euch recht verstehe, dann ist das Thema, welches euer Onkel angeschnitten und deswegen einen Zahn verloren hat, der Grund dafür, dass ihre Wohlgeboren Euch gebeten hat mitzukommen. Besteht eine Gefahr für einen der Teilnehmer dieser Jagd? Gibt es eine Möglichkeit Euch behilflich zu sein?“
Die Frage des Fischwachttalers ließ den Geweihten die Stirn runzeln. „Über diesen Zusammenhang kann ich bestenfalls spekulieren. Und eine Jagd, insbesondere jene des Heiligen Jarlak, birgt immer eine Gefahr für die Jäger. Die beste Hilfe wird wohl sein, wenn jeder, der zur Jagd ausreitet, sich dieser Gefahren bewusst ist und im Zweifel ein Auge auf jene hält, welche den gebotenen Ernst der Lage verkennen“ Er nickte Garobald zu und betrachtete seine Frage damit als beantwortet. So langsam schliff der Edle die Scharte aus, welche er seinem Ehrenschild am gestrigen Abend selbst zugefügt hatte.
Lucrann strich sich über den Bart und ließ dem Priester Zeit, zu Antworten, ehe er hinzusetzte: „Verfügt ihr ebenfalls dieses Bauchgefühl, Euer Gnaden? Hegt ihr eine bestimmte Erwartung?“ Wenn der arme Junge das Feingefühl seiner Schwester nicht besaß, dann mochte diese Runde ihn befragen, bis der Geweihte nicht mehr antworten konnte oder wollte – und hätte doch nur ihren Atem verschwendet.
„Nein, Euer Hochgeboren. Wie ich bereits sagte, vermag ich selbst dieses Bauchgefühl meiner Geschwister kaum einzuordnen. Allerdings hat das letzte Mal, als Ihre Wohlgeboren diesen Instinkt zu Gute von Höflichkeit und Etikette ignorierte, das Leben der Fürstin Mutter gefordert. Somit erwarte ich tatsächlich, dass dies keine gewöhnliche Jagd werden wird. Wenngleich keine Jagd zu Ehren des Heiligen als gewöhnlich tituliert werden sollte, unabhängig von irgendwelchen prophetischen Gesichten zuvor.“
Nachdenklich nickte der Rabensteiner. Es war immer eine weise Idee, solchen Vorahnungen Folge zu leisten – und hoch der Preis, es nicht zu tun.
„Wie kam es zum Tode Eures Bruders, Euer Gnaden?“
Die Frage des Rabensteiners entlockte seinem Gegenüber ein Seufzen. Sein Gesicht, sonst wundervolles Beispiel praiosgefälliger Selbstbeherrschung, wurde traurig. Während er leise sprach, mochte man kurzzeitig vergessen, dass dieser junge Mann das Ornat der Praiosdienerschaft trug und wurde daran erinnert, dass hinter jeder noch so kühlen Fassade irgendwo ein Mensch steckte. Und dieser hier empfand offenkundige Trauer um seinen jüngeren Bruder.
„Basilis....er war ein von Rondra gesegneter Junge, ein begabter Schwertkämpfer, ein kühner Recke. Doch vor allem war er ein sehr wütender, verstörter Junge. Er trug viel Gram und Zorn in sich und leider war es ihm nicht vergönnt gewesen, einen Mentor zu finden der dieses Temperament in die rechten Bahnen lenken konnte. Er überwarf sich mit unseren Eltern, mit meinen Geschwistern. Aus wütendem, jugendlichem Trotz schloss er sich im Kriege den Alberniern an. Ich vermochte ihn nicht davon abzuhalten, allerdings wollte er ein letztes Mal vor mir die Beichte ablegen.“, während er die Erinnerung an seinen Bruder wiedergab, war sein Blick in die Ferne geglitten. Nach einer kurzen Pause blickte er dem Baron von Rabenstein fest ins Auge und sprach:
„Er starb als Verräter durch die Hand der herzöglichen Flussgarde. Allen Gerüchten zum Trotze war unsere Schwester Lioba darin jedoch nicht involviert. Die Götter haben über ihn gerichtet – und wir Menschen sollten gut daran tun, nicht noch nach seinem Tode weiter über ihn Gericht zu halten“ Bartolos hatte seinen Bruder geliebt und tat es immernoch, obwohl dieser wohl gänzlich anders geraten gewesen war als er selbst. Die vielen ‚hätte’s und ‚wenn’s in der Geschichte um Basilis schwangen deutlich in der Stimme Bartolos mit als er von ihm erzählte. All die vielen Momente, in denen sich Menschen nur etwas anders hätten verhalten müssen und am Ende ... würde Basilis noch leben und sein Schwert in höherem Dienste schwingen.
Bedächtig musterte Lucrann den trauernden Priester. „Möge Boron seiner Seele Ruhe schenken.“ Bot er schließlich als Kondolenz an. Glück, und vermutlich ausreichende Beziehungen, hatte die Familie gehabt, dass sie nicht als Ganzes für einen solchen Verräter in den eigenen Reihen zur Verantwortung gezogen worden war. Doch als Geweihter des Praios war Bartolos dieses Detail der nordmärker Rechtslage unzweifelhaft bekannt – kein Grund, um es ihm auf dem Serviertablett darzubieten. Sichtlich genug kämpften zwei Seelen in des Bilgrateners Brust – und auch die Weihe zu einem Priester des Götterfürsten nahm diesem Menschen nicht den Sinn für Familie und Freundschaft. Vermutlich hätte deutlich strengere Zucht in jungen Jahren dem wilden Basilis Gutes getan – so war es die Bilgratener Familie, die mit den Folgen dieser Nachlässigkeit zu leben hatte.
Der Verlust eines geliebten Menschen konnte einen arg mitnehmen und dem Praiosdiener war anzusehen, dass er den Tod des Bruders noch immer nicht verwunden hatte. Garobald wusste nicht so recht was er sagen sollte. Ihm gingen so viele Kondolenzsprüche durch den Kopf und keiner wollte so recht passen, klangen sie doch alle nur nach hohlen Worten auch wenn sie ernst gemeint waren. So nickte er nur zustimmend als der Rabensteiner kondolierte und schenkte Bartolos einen mitfühlenden Blick.
„Ihr entschuldigt mich nun, ich muss noch einige Worte mit Aureus wechseln.“, Bartolos nickte jedem der Gäste zu und entschwand in die Zeughütte.
Garobald warf Bartolos noch einen nachdenklichen Blick hinterher, dann sah er sich nochmal suchend um und blieb bei den Stallungen hängen. Er drehte sich wieder zu den beiden Baronen um. „Würdet Ihr mich kurz entschuldigen, Hochgeboren? Ich muss noch etwas klären.“
Er nickte den Beiden nochmal zu und machte sich dann auf den Weg zu den Stallungen. Auf der Bank vor den Stallungen saßen Isotta, Barnabas und Madawin, welche gerade bei der Pflege des Sattelzeugs waren.

Vor den Stallungen

Der Waidgeselle und die beiden Pagen waren in guter, ausgelassener Stimmung als der Edle von Fischwachttal sich näherte. Sie hatten die Anweisung bekommen, „Dinge“ zutun und offenbar hatten sich spontan keine anderen „Dinge“ finden lassen. Also saßen sie da in der Sonne, die Halstücher gelockert, die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt, und wichsten das Sattelzeug. Zwar hatte dieses kaum noch mehr Fett benötigt, doch zuviel davon schadete dem Leder ja nicht. Einzig der junge Madawin hatte keinen Lappen in den Händen: Er saß auf dem Boden, hatte eine kleine Decke vor sich ausgebreitet auf der, für Garobald leicht zu erkennen, eine in Einzelteile zerlegte Kandare lag. An dieser versuchte sich der Knabe nun, um sie wieder zusammen zu bauen was, wie der Edle wusste, für Knappen und Pagen eine knifflige Aufgabe war. Allein die richtige Zuordnung der zwei Zügelpaare konnte schnell zu Knoten führen.
Als Garobald sich der frohen Runde näherte, unterbrachen Barnabas und Isotta ihr Gespräch. Der Waidgeselle blickte lachend zu Madawin:
„Siehst du, Madawin, seine Hochgeboren konnte dein Dilemma nicht mit ansehen! Jetzt hast du ihn soweit gebracht, dir helfen zu wollen..!“
Der Knabe, der mit flinken Fingern einen falsch verbundenen Riemen wieder löste, entgegnete stolz und mit einer Spur Sturheit:
„Ach was, das geht schon!“, woraufhin die beiden älteren wieder lachten und sich nun ganz dem Edlen zuwandten:
„Hochgeboren, was können wir für Euch tun?“, fragte Isotta, die Garobald mit halb zusammengekniffenen Augen ob der blendenden Sonne im Rücken des Edlen ansah.
„Nun, nachdem meine Hilfe scheinbar nicht gebraucht wird...“ Grinsend machte Garobald ein paar Schritte zur Seite, damit die Praiosscheibe nicht mehr in seinem Rücken war.
„Ich will euch kurz Barnabas entführen. Ihr bekommt ihn aber gleich wieder zurück.“ Er zwinkerte Isotta zu.
Der Angesprochene sprang mit weiten Augen auf: „Hilfe, ich werde entführt!“ scherzte er Isotta zu die daraufhin nur die Schultern zuckte:
„Krieg ich dann deine Kammer?“
„Davon träumst du!“, lachte Barnabas und gesellte sich zu dem Edlen.
Dieser grinste und machte ein paar Schritt weg von Isotta und Madawin bevor er sich direkt zu Barnabas wandte und ihn leise ansprach: „Barnabas, du hast mir gestern die Frage gestellt ob ich gekommen sei um die Edle zu freien. Wie bist du auf diese Frage gekommen, gab es dafür einen Grund?“ Der eindringliche Tonfall und die angespannte Miene die er jetzt trug, zeigten deutlich wie ernst ihm diese Frage war.
„Der Grund ist ganz einfach: Du bist unverheiratet und die Edle auch – und ihr beide werdet das wohl ändern wollen.“, er betrachtete Garobald neugierig.
sich Anselm das lederne Rüstwams aus dem Zeughaus angezogen hatte, marschierte er zunächst wieder in Richtung der Feuerstelle. In der Nähe der Stallungen konnte er Garobald und Barnabas sehen, die gerade miteinander sprachen. Er erinnerte sich an den Plan, den der Baronet und er auf dem Weg ins Jagdlager beschlossen hatten und vermutete, dass Garobald den Jagdgesellen bereits auf den bevorstehenden Ringkampf angesprochen hat. So wechselte Anselm sein Ziel und ging munter auf die beiden zu.
Die Anspannung wich ein wenig aus seinen Zügen: „Wenn das der einzige Grund war....“ Garobald stockte als er Anselm auf sie zuschreiten sah. „Ach lassen wir das Thema. Wir bekommen eh Besuch.“ Er nickte in Richtung Anselm, dem er sich jetzt zuwandte. „Ihr habt einen passenden Harnisch gefunden, wie ich sehe.“
Anselm nickte. „Es wird gehen. Habt Ihr bei dem werten Jagdgesellen bereits Erkundigung eingeholt?“ Barnabas bedachte er dabei mit dem Jägergruß, soweit er ihn verinnerlicht hatte, und tippte sich mit zwei ausgestreckten Fingern an die Schläfe.
Der Geselle erwiderte den Gruß und musste den Anflug eines Lächelns unterdrücken. Ja, der Edle hatte Erkundigungen eingezogen, allerdings waren die etwas anderer Art gewesen. Die Antwort überließ er dabei gerne Garobald.
„Wir haben gerade etwas… anderes besprochen.“ Er lächelte etwas verlegen. „Aber Ihr sprecht da was an. Barnabas, würdest du uns die Regeln für den Ringkampf heute Abend erklären?“
Der Jäger war von dieser Frage im ersten Moment überrascht bis ihm einfiel, dass die Edlen vermutlich noch nie zuvor an einem echten Firunsdienst teilgenommen hatten und wohl fürchteten, sich mit unpassendem Verhalten zu blamieren.
„Nun, die einzige Regel ist, dass nur die Waffen Verwendung finden dürfen, die Euch die Götter mitgaben. Also Hände, Füße, Zähne. Wir Jäger ringen meistens, weil uns das am besten liegt und wir so auch die Tiere stellen können. Aber Ihr könnt auch garethisch Boxen wenn Ihr das wollt. Wichtig ist einzig, dass kompromisslos bis zum Blute gekämpft wird. Egal wie.“ Sein Blick schwankte zwischen Garobald und Anselm, fragend. Ob er den Edlen irgendwie weitergeholfen hatte?
„Danke Barnabas, genau das wollten wir wissen.“ Er wollte noch was sagen, wurde aber vom Klang aufeinandertreffenden Stahls unterbrochen, der aus Richtung des Zeughauses kam. Garobald blickte hinüber zu Biora und Lucrann, die gerade die Klingen kreuzten. Er seufzte, hatten sie nicht warten können? Naja, sei’s drum.
Ein wenig enttäuscht wandte er sich wieder seinen Gesprächspartnern zu. „Sollen wir wieder zurück zu den anderen?“ Garobald deutete in Richtung von Isotta und Madawin. „Nicht das sie glauben, ich wolle dich wirklich entführen Barnabas.“ Fügte er hinzu und zwinkerte Barnabas zu.

Der Waidgeselle erwiderte mit einem Lächeln: „Ach und wenn schon: Dann würden sie dir höchstens eine Belohnung geben“ Etwas Sorge trübte seinen Blick, als er Leuina vom Feuer herkommen sah. Der kurze Waffengang zwischen ihr und Melcher war ihm nicht entgangen. Mehr zu sich selbst denn zu den anderen knurrte er:
„Wusst ich’s doch, der macht nur Ärger....“
Der Edle folgte dem besorgten Blick von Barnabas. Überrascht stellte er fest, dass Leuina in ihre Richtung kam, dann wanderte sein Blick weiter zum Feuer und er verstand was Barnabas meinte. Der Vogt wieder mal. Den Zweikampf zwischen der Edlen und dem Vogt hatte er verpasst, war seine Aufmerksamkeit doch von dem fazinierenden Klingenspiel der beiden Barone gefesselt gewesen. Auch wenn er wusste, dass er mit dem Jagdschwert den beiden nicht gewachsen war, so wollte ein anderer Teil in ihm sich immer noch mit ihnen messen. Aber da die Herrschaften sich gerade in Richtung Feuer aufmachten zügelte Garobald den Drang nach einem Kampf. Außerdem war er nicht allein und wollte Anselm und Barnabas nicht einfach stehen lassen.
Sein Blick wanderte wieder zurück zur Edlen. Er musste an letzte Nacht denken, als er mit Barnabas draußen an der Pferdetränke saß und den Himbeergeist genoßen hatte, an das Gespräch. Er wollte seine Worte Leuina betreffend gerne auf den Himbeergeist und der Euphorie des Überlebens schieben, aber er konnte es nicht zur Gänze. Er mochte sie, das konnte und mochte er nicht bestreiten, aber lieben? Nein, soweit war es noch nicht gediehen, dafür kannte Garobald sie noch nicht lange genug. Der Edle nahm sich vor diesen Misstand zu ändern.
Viel zu spät antwortete er den Worten Barnabas': „Lass mal, um den Vogt kümmer ich mich später noch.“ Zu Anselm gewandt fügte Garobald noch hinzu: „Ich werde mit ihm reden, keine Sorge.“
Der Weg der Edlen führte an den Stallungen und somit auch an dem kleinen Grüppchen vorbei. Diese Konstellation – der Edle von Fischwachttal, der Hauptmann sowie ihr ältester Waidgeselle – war wohl interessant genug, dass sie einen kurzen Schlenker einbaute und sich dazu gesellte, den Schwertgurt gerade festzurrend.
„Störe ich hier etwa euren konspirativen Kreis?“, fragte sie mit einem Lächeln was Barnabas und Garobald sogleich ein Lachen entlockte:
„Wohl kaum! Wir wunderten uns nur über den kurzen Waffengang zwischen Euch und dem Herrn von Ibenburg“, sprach der Jäger auf seine unverwechselbare ehrliche Art und Weise die ihm ein Überleben an größeren Höfen gewiss unmöglich gemacht hätte.
Leuina winkte ab: „Ach, eine kurze Übung, nichts weiter. Anstatt sich ordentlich besiegen zu lassen warf er lieber sein Schwert davon, wohl enttäuscht darüber dass ich keine so leichte Beute bin wie er gedacht hatte“
Erneut entlockte sie damit ihrem Jäger ein Lachen:
„Das ist doch schon vielen passiert, Euer Wohlgeboren! Wo führt Euer Weg Euch nun hin, wenn ich fragen darf?“
„Zur Quelle. Einmal abkühlen und vom Schmutz befreien.“ Bei diesen Worten blickte sie nun zu ihren beiden Gästen:
„Wenn die Herren mich begleiten möchten, seid mir willkommen! Nicht weit von hier entspringt unter alten Eichen ein Rinnsal aus den Felsen. Ein wundervoller, ruhiger Ort und wie gemacht, um seine Seele zu erholen.“
„Ich komme sehr gerne mit, Euer Wohlgeboren.“ Antworte Garobald gut gelaunt. Vielleicht ergab sich die Möglichkeit Leuina besser kennenzulernen früher als gedacht. Außerdem kam er auf diese Weise hoffentlich endlich raus aus dem Schein der Praiosscheibe, verhieß die Beschreibung der Quelle doch kühlen Schatten. Er warf noch einen unauffälligen Seitenblick in Richtung Barnabas, neugierig ob dieser eine Reaktion auf seine Worte zeigen würde.
Die Edle lächelte: „Sehr schön! Was ist mit Euch, Wohlgeboren von Bollstieg? Barnabas?“
Der Waidgeselle straffte bei dieser Einladung kurz seine Haltung und antwortete:
„Vor der Messe, wie es sich gehört! Jetzt sollte ich wohl langsam mit den anderen die Darbietungen für heute Abend durchgehen."
Etwas wehmütig blickte der Hauptmann in Richtung des Feuerplatzes. Eigentlich hatte er wegen des allgemeinen Aufrüstungsaufruf dort noch einen Braten stehen und auch Hunger. Allerdings war die Mahlzeit schon kalt und vielleicht gar von Bediensteten weggeräumt worden. Da er sich also ohnehin nach etwas neuem Essbarem umsehen musste, konnte das auch noch etwas warten, denn die Verlockung eines kühlen Ortes war ein näherliegendes Ziel.
So nickte Anselm Leuina zu: „Mir wäre ein erfrischendes Bad auch recht. Wenn Ihr erlaubt, würde ich mich anschließen.“
Die Edle lächelte erfreut „Ja wunderbar!“, ihre Freude darüber, ihre Gäste an einen lieb gewonnenen Ort führen zu können, ließ ihr Gesicht nahezu strahlen. „Dann kommt einmal mit...!“, sprach sie und ging beschwingten Schrittes voran.

Rabenstein vs. Rickenhausen

Unterdessen vorm Zeughaus...

Nachdem nun alle bis auf den Rabensteiner woanders ihr Glück suchten, sah die Geweihte jenen mit hochgezogener Augenbraue an, entschlossen, jetzt nicht in Grübeleien zu verfallen, und hob die Jagdwaffe. „Wollen wir?“
„Gerne.“ Mit einer Geste gab der alte Baron der Dame den Vortritt, einige Schritte vom Zeughauseingang zu tum, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er seine Waffen und grüßte die Baronin mit seinem Rapier.“
Nachdem sie ihren Mantel beseitegelegt hatte, erwiderte Biora den Gruß des Rabensteiners mit ihrer neuen Waffe. Kurz meldete sich ihr Magen, wollte sie doch eigentlich schon längst beim Feuer eine kleine Mahlzeit zu sich nehmen, aber sie ignorierte dieses Bedürfnis für den Moment.
Sich dessen bewusst, dass es sich nicht um eine speziell für den Kampf gegen bewehrte Menschen gedachte Waffe handelte, ließ sie es langsam angehen, damit sie ein Gefühl für die Stärken und Schwächen des geschmiedeten Metalls bekam, und überließ Lucrann die Initiative. Wer ihr zuschaute, konnte aber durchaus erkennen, dass ihr der Umgang mit dem Schwert keineswegs fremd war, was für eine Geweihte der Hesinde einen eher ungewöhnlichen Tatbestand darstellte.
Ein Übungskampf mit der Rickenhausenerin war ein seltenes Vergnügen – die Male, dass er mit ihr die Klingen gekreuzt hatte, ließen sich an den Fingern zweier Hände abzählen. Er eröffnete mit einem geraden Stich nach vorn, den die Baronin sicher ohne Mühe parieren können würde.
Mit ein wenig mehr Mühe als gedacht parierte die Geweihte den Angriff und tänzelte dann zur Seite. Dann startete sie ihrerseits einen Ausfall und meinte dabei fast zu spüren, dass die Klinge ihren Arm lenkte. Yidariwin war zwar eine ungewohnte Waffe, aber offensichtlich nicht nur auf das Erstechen waidwunder Tiere ausgelegt, sondern durchaus auch für den Kampf an sich.
Elegant parierte der alte Baron den Angriff Bioras und setzte dann mit einem erneuten Angriff nach, das Tempo dabei erhöhend. Es würde sich dabei recht schnell weisen, wie gut die neue Waffe zu der Rickenhausenerin paßte. Zudem war es nett, die kluge Dame springen zu sehen.
Wenn der Herr von Rabenstein nicht soviel Wert darauf legte, den Ausdruck seines Gesichts von jedweder Emotion frei zu halten, hätte Biora schwören können, dass er lächelte. Doch sollte sie sich vielleicht mehr auf die Waffe als das Befinden des Barons konzentrieren, denn um ein Haar hätte sie dessen Rapier nicht mehr zur Seite lenken können. Fürwahr, eine Waffe für den kompromisslosen Angriff schien Yidariwin zu sein, einen defensiven Kampfstil schien das Schwert nicht zu unterstützen. Mit diesem Gedanken führte die Geweihte einen verwegenen Angriff aus der Drehung heraus gegen Lucranns linke Seite.
Ein eleganter Angriff Bioras – auf seine blinde Seite. Lucrann hieb seinen Parierdolch nach unten und fing die Klinge der Jagdwaffe ab, im gleichen Schwung einen Stich auf Bioras nun ungedeckte linke Seite setzend. Dies zu parieren würde der Dame sehr viel mehr abverlangen als das fröhliche Geplänkel zuvor – das er durchaus genossen hatte.
Biora war sich zwar ihres Könnens bewusst, aber auch der Tatsache, dass es schon sehr viel Glück bedürfte, einen erfahrenen beidhändigen Kämpfer wie den Baron von Rabenstein mit einer leichten Jagdwaffe in Bedrängnis zu bringen, aber das war ja auch nicht Ziel dieses Kampfes. Langsam fand sie sich in die Eigenheiten des Schwertes ein und schaffte es so, den unterbrochenen Schwung ihres vorangegangenen Angriffs weiterzuführen und in eine Abwehrbewegung von Lucranns geradem Stoß umzuwandeln, der seine Waffe nach von ihr aus gesehen links ablenkte. Dann machte sie einen kurzen Sprung zurück, um sich aus der Reichweite der Linkhand zu bringen, der sie sonst den Rücken dargeboten hätte, und begann, ihre leicht bessere Position ausnutzend, aus der Grundstellung heraus einen Ausfall mit einem Hieb von oben.
Die Waffe lag der Priesterin gut in der Hand – Lucrann parierte, schaffte es aber nicht, die Angriffserie der Rothaarigen zu unterbrechen. Er brachte Rapier und Linkhand in Abwehrpostion und wartete auf den nächsten Vorstoß der energischen Dame.
Lucrann hatte sich kaum von dem eben erfolgten Schlag halbwegs erholt, als auch schon der nächste Angriff Bioras erfolgte. Eine Drehung des Handgelenks gab ihrer Waffe eine neue und offenbar für den Rabensteiner unerwartete Richtung, denn sie schaffte es, die Abwehr beider gegnerischer Waffen zu unterlaufen, riss das Schwert dabei hoch und stoppte es eine Handbreit vor der ungeschützten Wange Lucranns. In einem echten Gefecht wäre nun das erste Blut geflossen, so aber beendete die Geweihte ihren Ausfall, grüßte mit dem Schwert und fragte etwas atemlos und mit einem leichten, aber durchaus respektvollen Lächeln: „Lassen wir es gut sein? Oder meint Ihr, ich brauche noch ein wenig mehr Übung mit dieser Waffe?“
Das verbliebene Auge des Rabensteiners weitete sich, als die Rickenhausenerin ihre Klinge knapp vor seiner Wange stoppte. „Sehr gut!“ zollte er ihr den gebührenden Respekt.
„Selbstverständlich benötigt Ihr diese.“ Setzte er hinzu, und wieder hätte Biora schwören können, dass ein Lächeln unter der ansonsten unbeweglichen Maske seiner Mimik lag. Allerdings eines mit sehr vielen – scharfen – Zähnen.
Beide traten einen Schritt auseinander und wieder hob der alte Freiherr sein Rapier zum Gruß.
Kaum hatte Biora diesen erwidert, als ihr Gegenüber sie mit einer raschen, präzise geführten Attacke in Bedrängnis zu bringen suchte.
Offensichtlich war es ihrem Kontrahenten nun deutlich ernster als beim ersten Durchgang, und so konnte er Biora gleich mit dem ersten Streich in Bedrängnis bringen. Ein wenig zu spät riss sie die noch immer ungewohnte Waffe nach oben und konnte den Stich des Rabensteiners zwar ablenken, aber nicht gänzlich abwehren, was ihr mit ihrem gewohnten Schwert ziemlich sicher gelungen wäre. Oder war es Melchers Blick, den sie aus dem Augenwinkel bemerkt hatte, welcher sie über Gebühr abgelenkt hatte?
Biora bemerkte sehr wohl, dass Lucrann den Stich vor ihrem linken Oberschenkel abbremste und gleich darauf den nächsten Schlag setzte, doch diesmal war sie auf der Hut und konnte ohne Schwierigkeit parieren, doch ihr Gegner, von dem sie innerlich irgendwie das Gefühl hatte, als machte es ihm nicht wenig Freude, sie ein wenig vor sich herzutreiben, setzte ein weiteres Mal nach.
Offensichtlich benötigte die Priesterin die Übung mit ihrer neuen Waffe. Lucrann täuschte einen Hieb an, nur um ihn dann auf die ungeschützte linke Seite Bioras umzulenken. Ein Schritt nach vorn für ihn, einer zurück für die Geweihte, ein flinker, eleganter Tanz, bei dem die Partner ihre Positionen kannten – zumindest, was es den Rabensteiner anbelangte.
Leider tanzte Lucrann einen anderen Tanz als Biora, was dazu führte, dass sein Hieb eine nahezu unmögliche Richtung einschlug, so dass die Geweihte mit ihrer mit äußerster Schnelligkeit ausgeführten Parade lediglich die Luft zerschnitt und um Haaresbreite ihren Bauch auf des Rabensteiners Rapier spießte. [L7][Lucrann] Ein Stirnrunzeln des Rabensteiners, der von Biora offensichtlich eine andere Reaktion erwartet hatte, war die Folge, als er seinen Stich abfing. Und zurückhielt Sie streckte das Jagdschwert zur Seite und machte zwei schnelle Schritte zurück. „Ein vorzüglicher Angriff,“ musste Biora etwas außer Atem zugeben. „Ausgleich, Herr von Rabenstein. Ein letzter Waffengang zur Entscheidungsfindung?“
„Unbedingt, Hochgeboren.“ Erneut hoben die Kombattanten ihre Waffen und wieder war es der Rabensteiner, der den ersten Schlag führte, einen Stich auf den Waffenarm Schulter Bioras antäuschte und mit einer schnellen Bewegung dies in einen Hieb auf ihren vorgestellten Fuß veränderte.
Schon wieder erwischte der Rabensteiner Biora buchstäblich auf dem falschen Fuss. Zwar erkannte sie die Finte als solche, doch etwas zu spät, als dass sie Yidariwin noch rechtzeitig heruntergebracht hätte. Innerlich begann sie den seltsam geformten Griff der Waffe ein klitzekleines Bisschen zu verfluchen. Lucrann indessen stoppte seinen Schlag eine Fingerbreite vor ihrem Knie, machte aber keine Anstalten, den Kampf abzubrechen, also ging Biora nun selbst zum Angriff über mit einem geraden Stich von unten in die Herzgegend ihres Gegners, nur um im letzten Moment die Richtung mit einer peitschenartigen Bewegung nach unten zu verändern ...
... und von der Paradewaffe des alten Barons gehalten zu werden. Mit einer raschen Bewegung lenkte er die gegnerische Klinge nach oben und außen, ihr dabei einen Drall verpassend, der das Jagdschwert aus Bioras Hand zu reißen drohte.
Der Schwung war zu stark, Biora konnte Yidariwin nicht halten, und die Waffe flog in hohem Bogen ins Gebüsch. Sich das schmerzende Handgelenk haltend, verbeugte sich die Geweihte vor dem Rabensteiner. „Ihr habt gewonnen,“ erkannte sie die Tatsachen mit einem etwas wehmütigen Lächeln an. „Doch wollte ich eigentlich üben, mit dem Schwert zu kämpfen, nicht ausprobieren, wie schnell ich es verliere. Wie auch immer, habt Dank.“
Sie sah sich nach dem Fischwachttaler um, wollte dieser doch auch noch mit seiner neuen Waffe üben. Doch dieser hatte sich offenbar anderweitigen Beschäftigungen zugewandt.
„Dann, Euer Hochgeboren, solltet ihr das Schwert festhalten.“ Wieder war kaum zu erkennen, ob Amüsement über den Kampf oder vielmehr etwas anderes in der Stimme des alten Barons mitschwang. „Habt Dank für den Kampf.“
Er musterte das verbliebene Grüppchen am Feuer. „Was haltet ihr von einem Imbiß?“
„Ja, wir waren doch eigentlich vor dem Abstecher zum Zeughaus auf dem Weg zum Feuer, wenn sich mein Magen recht erinnert,“ meinte Biora darauf leichthin und sah sich suchend um. „Dort müsste Yidariwin irgendwo liegen ...“ Sie bog einige Äste des Gebüschs beiseite, in welches das Schwert gefallen war, und fand es dort auch sogleich senkrecht im Boden steckend. Sie nahm es an sich, wischte es mit einigen Blättern sauber und verstaute es wieder in der Scheide. „Jetzt können wir. Habt Ihr von dort vorne nicht auch das Klirren von Waffen vernommen?“ So genau hatte Biora darauf während des eigenen Kampfes nicht geachtet, doch war ihr, als hätte den Geräuschen nach auch beim Feuer ein Kampf stattgefunden, wenn auch ein sehr kurzer.
„Lange währte er nicht.“ stimmte Lucrann ihr zu, während er wartete, bis sie das Jagdschwert wieder an sich genommen hatte. Gemeinsam mit der Priesterin schritt er, dezent hinkend, in Richtung des Feuers, über dem die Sau am Spieß schmorte.
Auf halben Weg kam den beiden eine noch merklich aufgebrachte Leuina entgegen, gerade dabei, ihr Wams wieder zu verschließen. Der alte Baron hob seine Augenbraue um den Bruchteil eines Fingerbreits, musterte die derangierte Edle, wandte seinen Blick zum Feuer, an dem sich Melcher und Finmar befanden, und verkniff sich ein Schmunzeln.
Biora warf dem Rabensteiner von der Seite einen Blick zu, den Leuina, sollte er ihr auffallen, möglicherweise als „Soso, jetzt hinkt er wieder“ interpretieren könnte. Dann wandte die Geweihte ihre Aufmerksamkeit ebenfalls ihrer Gastgeberin zu, allerdings sah diese gerade nicht so aus, als wäre es ratsam, sie nach dem Grund ihrer schlechten Laune zu fragen. Statt dessen blickte sie zum Feuer, denn dort mochte sich eben jener Grund aufhalten, wenn sie nicht alles täuschte.

Zum Baden - Analyse der Intrigen

Frohgemutes führte Leuina ihre Gäste über einen schmalen, doch ausgetretenen Pfad in die umliegenden Wälder. Kaum hatten sie den Waldsaum passiert, empfing sie alle die angenehmene, etwas feuchte Kühle des Bergwaldes. Der Pfad schlängelte sich seicht bergauf, während um sie herum der Wald schnell dichter wurde. Unter uralten Tannen vermochte man manches Mal garnicht mehr Praios Antlitz zu erblicken und zu sagen, ob es Tag wäre oder Nacht. Nur einige hundert Schritte weiter hatte das Toben eines Sturmes vor vielen Jahren zu reicher Ernte unter den mächtigen Bäumen geführt: Ausgerissene Baumwurzeln gaben noch Zeugnis darüber ab, obwohl die Stämme legst von emsigen Bergbauern einem sinnvolleren Zwecke zugeführt worden waren. Auf dieser Lichtung wieder brannte es schier unerträglich von der Sonne herab. Kleine Tannen hatten nun flächig die Chance des Sturmes ergriffen und gediehen prächtig außerhalb des Schattens. Keine zehn Schritt vermochte man durch das Dickicht aus jungen Tannlein zu blicken und auch der Pfad würde wohl bald von ihnen eingenommen werden. Leuina setzte ein strammes, wenn auch nicht zu eiliges Tempo an und bald hatten sie diese Fläche verlassen um weitere Hügel zu erklimmen. Kein halbes Wassermaß waren sie unterwegs, da tat sich im dunklen, kühlen Tannenwald erneut kleine Lichtung auf: Aus der steilen, blanken Felswand sprudelte ein lustiger Strom hervor, fiel einige Schritte hinab und füllte dann ein steinernes Becken von der Größe einer kleinen Scheune. Der Rand des Beckens war an manchen Stellen zu Stufen gehauen, sodass es ungefährlich wäre hinein zu steigen. Am anderen Ende strömte das Wasser sachte hinaus talwärts, um dort den größeren Strömen Verstärkung zu bieten.
„Da wären wir!“, verkündete die Edle und tat einige Schritte auf das Wasserbecken zu, ihr Wams dabei aufknöpfend. „Das Wasser dürfte zwar momentan nur bis zur Hüfte gehen, dennoch rate ich beim Hineinsteigen zur Vorsicht. Der Boden des Beckens ist sehr rutschig.“
Der Edle von Fischwachttal blieb einen kurzen Moment am Rande der Lichtung stehen und sah sich um. Wie die Edle versprochen hatte, war dies ein Ort an dem man entspannen konnte. Das Plätschern des Wassers in Verbindung mit dem Rauschen der Bäume und dem Vogelgesang tat ein übriges um diesen Eindruck zu bestätigen. „Wahrlich, ein wundervoller Ort zum entspannen. Wie wollt Ihr es mit dem Baden halten? Sollen wir uns nacheinander in dem Becken abkühlen oder sollen wir gemeinsam hineinsteigen?“ Dabei warf Garobald auch einen Blick in Richtung Anselm um diesen mit einzuschließen.
Der Flussgardist bemühte sich, die Überraschung über die Frage des Baronets schnell wieder aus seinem Antlitz zu tilgen. Aufgrund der Größe des Beckens war er gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass das Grüppchen nicht gemeinsam badet, aber es fiel ihm schnell wieder ein, dass man auf dem Lande häufig eine größere Zurückhaltung als in der Stadt pflegte. So nickte er Garobald beipflichtend zu. „Ein guter Einwand. Wir werden uns selbstredend auch hier verhalten, wie es die Sitten unserer Gastgeberin verlangen. Gerade in Fragen der Intimität gibt es äußerst unterschiedliche Gepflogenheiten, je nachdem, ob man es mehr mit der Herrin Travia oder der Herrin Rahja hält.“
Die verhaltene Zurückhaltung ihrer beiden Gäste ließ die Edle lächeln. „Ich halte es damit so fromm wie in den urtümlichen Auslegungen des Glaubens: Die Götter gaben uns diese Körper, sie sind ein Geschenk. Wer wären wir, uns derenthalben zu schämen?“, erklärte sie mit ruhiger Stimme und legte ihr Wams ab. „Und Nacktheit allein ist, zumindest in meinen Augen, weder automatisch der Herrin Rahja hold noch der Herrin Travia ungebührig.“ Nun streifte sie ihre Beinkleider ab, unter denen zwei wohlgeformte, starke Beine zum Vorschein kamen. An der Wade ihres linken Beines war noch eine recht junge, lange Narbe zu sehen, die sich von der Innenseite hinaufwand bis zum Knie. „Es kommt nur drauf an, was man bar jeder Kleider anstellt“, dabei zwinkerte sie den beiden Männern zu „Ich bringe Euch doch hoffentlich nicht in Verlegenheit?"
Anselm blickte Garobald schulterzuckend an und entledigte sich ebenfalls seiner Kleider. Dann gesellte er sich zu Leuina ins frischkühle Wasser.
Garobald hatte bei den Worten Leuinas zustimmend genickt, sah er es doch recht ähnlich. Auch er entledigte sich seiner Kleider und legte sie auf seinen ausgebreiteten Umhang. Vorsichtig stieg er die Stufen ins Becken hinab. Wer hinsah, konnte auf seinem Oberkörper mehrere kleinere Narben erkennen, die wohl von Klingen herrührten. Von seiner Brust bist hoch zur linken Schulter zogen sich drei parallel verlaufende Narben, die aber schon sehr alt sein mussten. Es dauerte einen kleinen Augenblick bis Garobald sich an das kühle Nass gewöhnt hatte. „Um nochmal auf Eure letzten Worte zurückzukommen.“ Wandte er sich an die Edle“ Ich glaube nicht, dass sich hier irgendjemand seines Körpers schämen muss.“
„Nein, nun wirklich nicht!“, entgegnete die Edle lächelnd, die zwischenzeitlich ebenfalls in das Becken gestiegen war. Das Wasser war nahezu eisig kalt, doch tat es ihr sichtlich gut. Wohlig seufzend schloss sie die Augen und lehnte ihren Kopf zurück an den Rand des Beckens. „Ich weiß schon, weshalb Mutter niemals irgendwelche Städter eingeladen hat. Mag auch sein, dass dieser Schnösel den Auftrag des Grafen hat, uns hier bewusst zu ärgern“, sie sprach mehr zu sich selbst denn zu ihren Gästen.
Der Fischwachttaler betrachtete die Edle einen Moment lang, bevor er sich zurücklehnte und im Rücken den steinernen Beckenrand fühlte. Über des Grafen Vogt wollte Garobald gerade nun wirklich nicht reden. Er würde sich nur wieder aufregen anstatt sich zu entspannen und nochmal Kraft für den Abend zu sammeln. Deswegen erwiderte er nichts auf die Worte Leuinas und schloss stattdessen die Augen.
Der Bollstieger, der sich als letzter in das kühle Wasser begeben hatte, runzelte die Stirn nach Leuinas Worten. Es war ihm klar, dass sie nicht von ihm im Speziellen sprach, als sie sich abfällig über Städter äußerte. Und der, von dem sie sprach, kam ja wohl aus dem Provinznest Gratenfels.
„Nun, Wohlgeboren, wie kam es denn eigentlich zu dem Geplänkel mit dem Herrn von Ibenburg? Dem scheint ja etwas vorangegangen zu sein, was wir nicht mitbekommen konnten.“
„Ich bot ihm an, sich ebenso wie es Ihre hochgeborene Hochwürden zuvor tat mit seiner neuen Waffe vertraut zu machen. Dies lehnte er erstmal ab mit dem Hinweis darauf, dass er ein achso vorzüglicher Fechter sei und er mich nicht verletzen wolle“, freimütig schilderte sie die Begebenheit und hielt die Augen dabei geschlossen. „Derartige Äußerungen werden hierzulande jedoch nicht getätigt ohne sie unter Beweis stellen zu müssen. Zumal ich selbst nicht ganz unerfahren an der Waffe bin, wie Ihr Euch sicher denken könnt. Dies hat der Herr von Ibenburg dann nach dem ersten Klingenspiel auch einsehen müssen – anstatt mir seine überragenden Künste demonstrieren zu können hatte er die Klinge meines Hirschfängers am Hals. Ich bin nicht sicher, welche Beweggründe er dafür genau haben mochte, doch daraufhin warf er mir sein Schwert vor die Füße und gab auf“ Sie öffnete die Augen und setzte sich nun etwas aufrechter hin, den Blick auf den Hauptmann gerichtet mit dem sich bisher kein größerer Wortwechsel ergeben hatte.
Anselm presste die Lippen zusammen und blickte Leuina nachdenklich an. „Eher das Verhalten eines almadanischen Stutzers als das eines nordmärkischen Soldaten... Ich frage mich, welche Taktik der Graf verfolgt, dass er seinen Vogt so auftreten lässt. Seit längerem hege ich den Verdacht, der Herr von Gratenfels arbeitet intensiv darauf hin, dass ihn alle Welt unterschätzt.“
Die Edle musste bei den Worten des Hauptmannes schmunzeln „Das mag durchaus sein. Zumindest verscherzt er es sich so recht leicht beim alten Adel – was ihm aber ohnehin egal sein kann, da dies schon längst geschehen ist.“ Nachdenklich legte sie den Kopf beiseite. Als Marionette hatte sie den Vogt bisher noch nicht gesehen, doch zumindest war dies eine überlegenswerte Idee: „Meint Ihr wirklich, der Vogt verhält sich ganz bewusst so...deplaziert?"
Auch wenn er nicht angesprochen war, nahm Garobald diese Frage auf und versuchte sie für sich selbst zu beantworten. Sich bewusst und in voller Absicht gegenüber anderen Adligen so zu benehmen wie die Axt im Walde, dazu gehörte eine große Portion Kaltschnäuzigkeit. Als Ergebnis würden andere ihn dann unterschätzen und seine Handlungen nicht mehr ernstnehmen. Damit ergab sich für Garobald die Frage ob der Vogt die Edle nicht einfach hatte gewinnen lassen. Neugierig wartete er auf die Antwort von Anselm.
Der Flussgardist nickte. „Jeder folgt irgendeiner Taktik, es muss nur nicht zwingend eine kluge sein. Im Falle des Vogtes ist es ganz offensichtlich so, dass er sich vor seinem Grafen beweisen möchte. Allenthalben hebt er hervor, dass er lediglich der verlängerte Arm seines Herrn sei, und das glaube ich ihm auch. Und ich denke, dass er es auch selbst glaubt. Aber handelt er bewusst im Sinne des Grafen? Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass der Graf seinen Vertreter bewusst ausgewählt hat.“ Anselm unterbrach kurz und blickte zum Himmel, als würde er dem Flug eines unsichtbaren Vogels folgen.
„Natürlich gibt es keinen Grund, die Sache überzubewerten. Wäre die Politik ein Krieg, dann wäre dies hier kein bedeutendes Schlachtfeld, wahrscheinlicher sogar nur ein Manöverplatz... sozusagen ein Testlauf. Wäre der Vogt also die Waffe des Grafen, ergibt sich die Frage, für welche Schlacht er sie prüft – und natürlich, ob sich die Waffe in diesem Manöver überhaupt bewährt.“

„Ihr zeichnet da ein recht düsteres Bild von unserem neuen Vogt. Sollte es stimmen und er ist wirklich so verschlagen, so haben wir es mit einem sehr gefährlichen Mann zu tun. Allerdings sollten wir auch eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen. Vielleicht ist sein Verhalten nur seine Art mit Nervosität und Unsicherheit umzugehen. Bedenkt mein eigenes Verhalten am gestrigen Abend. Auch da hat sicherlich meine Nervosität mit reingespielt. Zum Glück wurde mir noch rechtzeitig der Kopf zurechtgerückt.“ Garobald unterbrach kurz seinen Redeschwall und nickte Leuina dankbar zu. „Ich muss Euch noch einmal dafür danken. Ihr habt mir einen Gegner genommen und mir dafür einen Freund geschenkt.“
„Kommen wir zurück zum Vogt. Wenn Ihr es wünscht, kann ich hin und wieder ein Auge auf ihn werfen sobald wir wieder in Gratenfels sind um zu sehen wie er sich dort verhält. Als Onkel Odumir sich zurückzog hatte ich wirklich gehofft, sein Nachfolger möge etwas mehr auf den alten Adel zugehen.“
Nachdenklich hatte die Edle den Worten ihrer Gäste gelauscht. „Diese Jagd ist keine Bühne für politische Manöver, sie ist dem Grimmen heilig. Meine Familie achtet dessen Gebote hoch und hierzulande ist es auch kein schnöder Zeitvertreib.“, sie atmete tief durch
„Ich danke Euch beiden für Eure Einschätzung.“, sprach sie und erhob sich aus dem Becken. „Ich möchte ungern zum Aufbruch drängen, doch ich fürchte, je mehr Zeit wir hier verbringen desto mehr laufen wir alle Gefahr, dass Gerüchte ihre Runde machen“ Sie zeigte ein verschmitztes Lächeln und kleidete sich an.
Obwohl er den Plausch gerne noch länger genossen hätte, folgte Anselm dem Beispiel der Gastgeberin und kleidete sich wieder an. Er hielt es für gleichsam bewundernswert, wie ernst und inbrünstig Leuina ihren Bräuchen folgte, wie auch für überraschend leichtgläubig von ihr, die Absichten ihrer Gäste nicht in Frage stellen zu wollen.
Der Edle kam nicht umhin der Edlen bewundernd nachzuschauen als sie aus dem Becken stieg. Er würde diese Frau wahrlich gerne näher kennenlernen. Schließlich stieg auch Garobald aus dem Becken und begann damit sich anzukleiden. Nachdenklich blickte er nochmal hinüber zu Leuina, die sich gerade aufbruchbereit machte.

Zurück am Feuer - Das nächste Duell

Biora und Lucrann traten an das Feuer. Der alte Freiherr nickte Finmar und Melcher zu, nahm zwei unbenutzte Spieße und schnitt mit seinem Dolch zwei großzügige Portionen des Bratens ab. Er reichte einen davon an die Rickenhausenerin weiter und kostete einen Bissen des gut gegarten Wildprets. Zu gut gegart für seinen Geschmack.
Ein aufmerksamer Blick streifte die beiden Männer am Feuer, nahm Finmars ‚ich bin nicht da, kümmert Euch nicht um mich’-Ausdruck auf, den dieser in den vergangenen Jahren nahezu zur Perfektion gebracht hatte, und verharrte einen Lidschlag länger auf der Miene des Vogtes.
Die Geweihte nahm das Fleisch dankend entgegen und begann endlich ihren Hunger zu stillen. Dabei betrachtete sie den vor sich hin brütenden Melcher, bis sie ihre Neugier nicht mehr im Zaum halten konnte: „Sagt, Herr von Ibenburg, hattet Ihr Streit mit unserer Gastgeberin?“
Melcher blickte zu den beiden Herrschaften auf, erwiderte kurz den Blick des Rabensteiners und wandte sich dann der Baronin von Rickenhausen zu. „Ach wo, Euer Hochwürden, Streit kann man das nicht nennen. Sie führt eine sehr schnelle Klinge und ich gewährte Ihr wohl nicht den Sieg, den Sie sich erhofft hatte. Aber Streit möchte ich das nicht nennen. Nehmt einen Schluck Wein Baronin, und auch Ihr Baron von Rabenstein. Es ist der gleiche gute Tropfen wie am gestrigen Abend“. Schmunzelte der Vogt und hob seinen Becher um mit den beiden Neulingen am Feuer anzustoßen. Von den mürrischen Gesichtszügen des Vogtes war nichts mehr zu sehen.
Kurz war der Blickkontakt des Wildenbergers mit dem Rabensteiner und der Priesterin der Wissenden, doch die langen Jahre gemeinsamer Unternehmungen und die durchlittenen Gefahren hatten alle drei fester zusammengeschmiedet, als dies ein Anhänger des Angrosch hätte tun können, und so bedurfte es nur eben dieses kleinen Blickwechsels, den beiden Gefährten Finmars eigene Wahrnehmung der Geschehnisse mitzuteilen. Sollten sie mit dieser freilich intimen Sicht der Dinge machen, was sie wollten.
Nachdem ihre Herrin nun das Feuer verlassen hatte, schien die „Vertraulichkeitszone“ um das Feuer herum aufgehoben. So sah das zumindest Isotta, die sich, kaum hatte Leuina sich auf den Weg gemacht, nun wieder zurück zu ihrem Schwein begeben wollte. Dass sie dabei die Chance sah, ihre brennende Neugier zu stillen, war ein netter Nebeneffekt.
Biora folgte der Aufforderung Melchers, füllte sich den Becher aber nur halb voll, war der Tag doch noch lang und wer wusste, welche Überraschungen er noch bereithalten mochte. „Nun, ich musste mich eben dem Herrn von Rabenstein geschlagen geben, also teilen wir sozusagen dasselbe Schicksal.“ Sie hob ihren Becher und lächelte spitzbübisch. „Auf die Verlierer!“ Ihr Blick wanderte dabei von Melcher über die herankommende Isotta zu dem wie unbeteiligt dasitzenden Finmar und schließlich wieder zu ihrem Fleisch, von dem sie einen weiteren Bissen nahm.
Der alte Baron griff ebenfalls zum Weinkrug, schenkte sich aber nur wenige Schlucke ein. Er prostete Biora und den beiden Herren zu, enthielt sich aber wohlweislich eines Kommentars zu Siegern oder Verlierern. „Auf dass uns die Jagd nicht mehr Blut koste.“ Er nahm einen weiteren Bissen Fleisch, musterte Isotta, die auf den Weg zur bratenden Sau diese inzwischen erreicht hatte, strich sich überlegend über den Bart und wandte sich dann an Vogt. „Habt Ihr schon einem Firunsdienst beigewohnt?“
„Ja, auf die Verlierer“ nur mit einem Grinsen gingen ihm diese Worte über die Lippen. Der Gratenfelser prostet den anwesenden ebenfalls zu und trank einen Schluck aus seinem Becher. „Nein, Euer Hochgeboren von Rabenstein, die Ehre einem Firunsdienst beizuwohnen hatte ich bisher nicht und ich bin schon gespannt was mich wohl erwarten wird um es nach meiner Rückkehr in Gratenfels zu berichten. Wie schaut es mit Euch aus, hattet Ihr schon die Gelegenheit dem eisigen Jäger Eure Ehre zu erweisen?
Der schwieg einen Moment und schien nachzusinnen. „Vor vielen Jahren bei einer Gesellschaftsjagd im Liebfeldischen. Ich bin mir gewiß, dass die Ähnlichkeiten zu diesem Götterdienst gravierend sein werden.“ Er füllte seinen leeren Weinkelch erneut, doch diesesmal mit klarem Wasser. „Ein klarer Kopf wird uns heute Nacht von Nutzen sein.“ Zumindest dann, wenn ‚archaische Riten’ bei dem Gott, den man auch den Alten nannte, dem ähnlich waren, was dieser Begriff in der Kirche des Raben bedeutete. Vermutlich standen allen Beteiligten hier noch einige Überraschungen bevor.
Nun da wir hier in kleinerem Kreis versammelt sind, möchte ich noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, so die Herrschaften erlauben. Ich denke wir werden hier im Norden der Grafschaft an einem ganz besonderen Erlebnis teilhaben und so möchte ich Euch allen von meiner Seiten anbieten auf jeglichen Standesdünkel zu verzichten, solange wir hier droben sind. Nennt mich also bis zu Ende der Jagd bei meinem ersten Namen“. Sprach Melcher und wartet gespannt die Reaktionen der Herrschaften ab.
Finmar blickte den Vogt mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Misstrauen an. Gut Biora und er dutzten sich, so es Etikette und fortgeschrittene Stunde zuließen. Aber er selbst hatte an der Seite seiner beiden Gefährten mehr als nur einmal sein Leben riskiert und doch noch niemals den Rabensteiner anders benamt als vielleicht als ‚Herr‘ Lucrann. Unwillkürlich blickte der junge Mann zu Boden, um sich ein leichtes Grinsen zu verkneifen. Die Etikette gebot, dass der Höchststehende Adlige das Ansinnen beantwortete und Finmar war auf die Antwort des Rabensteiners wirklich gespannt.
Der alte Baron musterte den jungen Vogt, dem das Wohlmeinen ins Gesicht geschrieben stand. Doch wohl gemeint und wohl getan waren zwei sehr verschiedene Dinge. „Ein amüsantes Angebot, Hochgeboren. Doch nein.“
Ein kurzer, vielleicht etwas kritischer Blick traf den Baron von Rabenstein, aber schon wandte die Geweihte sich dezent lächelnd dem Vogt zu. „Lasst uns den ersten Tag der Jagd hinter uns bringen, dann komme ich möglicherweise auf Euer Angebot zurück.“ Nur wer Biora sehr gut kannte, konnte dem Ton ihrer vorübergehenden Ablehnung entnehmen, dass hierbei nicht Standesbewusstsein ihre eigentliche Triebfeder war.
Zusätzlich zur Pagin hatte sich auch der Jagdmeister auf den Weg zum Feuer gemacht. Beide nickten den Anwesenden zu.
„Isottta, filetier doch eben den Rest der Sau und bring sie ins Kühle bis heut Abend“, sprach der hochgewachsene Mann und setzte sich zur illustren Runde. Ihm fiel wohl auf, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag und hielt sich dezent zurück. Lediglich die Weinbecher und Bierkrüge der Gäste bedachte er mit strengem Blick.
Melcher Sigismund schien die Ablehnung seines wohlgemeinten Angebotes durch den Baron von Rabenstein etwas in Verlegenheit zu bringen, „Verzeiht meine Respektlosigkeit, Baron von Rabenstein. Mir ist bestimmt der Wein schon zu Kopfe gestiegen. Umso mehr bedanke ich mich bei Euch, Hochgeborene Biora für euren Sanftmut ob der Situation und harre der Tage, bis uns solch ein Vertrautheit verbindet“.
Mehr als ein knappes Nicken gab der Rabensteiner nicht zu Melchers Antwort. Er ließ seinen Blick über den Jagdmeister schweifen, der sich zu der Runde gesellt hatte, entschied offenbar, dass da wenig wäre, was von diesem zur Zeit zu wollen wäre und vertiefte sich in seinen Kelch, der dem unbedarften Blicke nicht verriet, ob sein Inhalt von Wein oder Wasser sei. Kurzweiliger war da doch das Mienenspiel des jungen Wildenbergers, der seine ‚ich bin nicht hier, also seht nicht her’-Haltung zugunsten ehrlichen Amüsements, zu dem Lucrann und Melcher das jeweils ihre beigetragen hatten, verlassen hatte. Noch sinnend, ob derlei seichte Plauderei am Feuer wirklich die Zeit wert sei, leerte der Einäugige den Becher und stellte ihn demonstrativ neben die anderen Steine des Anstoßes, die des Jagdmeisters Blick gebrandtmarkt hatte.
Der Wildenberger, der den Blick des Barons auf sich gespürt zu haben schien, leerte ebenfalls seinen Kelch und seufzte dann einmal leise auf, bevor er sich anschickte, sich zu erheben: „Verzeiht, Werte Biora, die Herren, ich möchte mich noch ein wenig frisch machen und mich entsprechend zurückziehen. Wir werden uns nachher wiedersehen, so dass ich mich bereits auf das Abendessen freue.“
Dies schien dem Rabensteiner seine Entscheidung gleichfalls aufzudrängen. „Ihr entschuldigt mich. Wir sehen uns spätestens beim Götterdienst wieder.“
Er trat aus dem Kreis um das Feuer und verließ die Runde in Richtung der Pferde, um dort noch einmal nach seinem Tier zu sehen, ehe er unter die Bäume des dichten Bergwaldes trat, die Ruhe dort, die schon wenige Schritte nach dem Waldsaum begann, eine mehr als willkommene Abwechslung zu dem mit belanglosen Freundlichkeiten und hohlen Worthülsen verschwendetem Atem in den Gruppen der Jäger.
Unweit des alten Barons erklang das Hämmern eines Spechtes, hallend im hohen Holz. Ein Findling, halb mit Moos überwachsen, in seinem Rücken den dicken Stamm einer alten Lärche, bot einen bequemen und leidlich sicheren Platz mit gutem Überblick. Etwas ungeschickt ließ Lucrann sich darauf nieder und lehnte sich an das gefurchte Holz. Irgendwo weit über ihm, im grünen Blätterdach des dichten Waldes, klang heiser der Ruf eines Raben.
Etwas verwunderte darüber, dass sich nun ein Teil der Runde zurück zog blickte Melcher zu Biora. Irgendetwas faszinierte den Gratenfelser Vogt an der Geweihten von Stande. Da fiel ihm die Geschichte um Peraidan von Diebelsfink-Ibenburg, der ehemals Baron von Rickenhausen war, ein und sein Blick zu Biora wurde etwas skeptischer. Aber sei es drum, dachte er, an diesem Tag waren genug hitzige Worte gefallen und nun war es an der Zeit einen ruhigeren Ton anzuschlagen. „Würdet Ihr mir die Ehre erweisen mich mit Euch im Garadan-Spiel zu messen, Hochgeborene Biora?“
Leicht hob sich die Augenbraue der Geweihten bei Melchers Blick und Anrede, doch mit leichtem Lächeln antwortete sie: „Da ich letzten Abend zusagte, kann ich Euch diese Bitte kaum abschlagen.“ Ihr Lächeln vertiefte sich ein wenig. „Wenn Ihr ein Garadan-Spiel herbeizaubern könnt, Euer Hochgeboren. Ich habe nämlich keines dabei.“
„Oh, mit dem Wirken von Magie hatte ich mich noch nicht versucht“, bemerkte der Ibenburger mit einem freundlichen lächeln. „Ich führe jedoch ein Spiel mit mir, falls Ihr mich für einen Moment entschuldigt, werde ich es aus meinem Reisegepäck holen“. Mit diesen Worten verschwand Melcher in Richtung seines Nachtlagers.
Nachdenklich und kritisch sogleich blickte der Jagdmeister dem Vogt hinterher. „Wenn Seiner Gnaden Bartolos davon hört, wird er den Sieger gewiss herausfordern“, seine Stimme ließ offen, ob diese Warnung ernst gemeint war.
Auch Biora sah dem Vogt ein wenig nachdenklich nach, dann wandte sie sich Aureus zu. „Ich hörte gestern Abend bereits davon, dass Seine Gnaden Bartolos ebenfalls ein begeisterter Garadan-Spieler ist. Insofern bin ich mir der Gefahr wohl bewusst.“ Sie lächelte hintergründig.
„Dass er diesem hesindegefälligen Spiel fröhnt ist wohl seine Art, der mitunter rebellischen Natur seiner Familie zu entsprechen.“, nun ließ sich der Jagdmeister tatsächlich zu einem Lächeln hinreissen, welches sofort erklärte, weshalb man ihm unterstellte, ein Verhältnis mit der Edlen zu haben: Es verlieh der strengen Kühle seines Blickes etwas herzerweichendes und lud geradezu ein, sich an seine stramme Brust zu schmiegen, gehalten von starken Armen die vor jeder Gefahr zu schützen vermochten.
„Ihr scheint leicht Einfluss auf den Vogt nehmen zu können, hochgeborene Hochwürden. Deshalb möcht’ ich Euch bitten auf ihn einzuwirken, falls er zu sehr dem Weine oder Biere zuspricht. Ich fürchte wenn ich dies versuchen würde, könnte er auf eine Art und Weise reagieren welche ich nicht hinzunehmen bereit wäre“
Ein kaum sichtbarer Hauch von Wohlwollen erfüllte die Miene der Geweihten, als jenes Lächeln das Gesicht des bisher so ernsten Mannes erhellte, dann antwortete sie: „Zwar macht der Herr Vogt es mir leicht, einen gewissen Einfluss auf ihn zu nehmen, doch scheint nicht jeder hesindegefällige Rat als solcher bis zu ihm durchzudringen – zumindest, wenn er schon den einen oder anderen Becher intus hat. Ich werde also sehen, was ich tun kann.“
Mit großen Schritten kam der Ibenburger zurück an die Feuerstelle. In seiner rechten Hand trug er einen mittelgroßen Lederbeutel. „Verzeiht, das ich Euch warten lies, Hochgeboren“. Er nickte dem Jagdmeister höflich zu, der bis eben wohl noch einige Worte mit der Geweihten ausgetauscht hatte. Den Beutel legte er auf die Bank am Feuer, machte mit einem Bein einen Schritt über dieselbe und nahm Platz. Nun begann er den Lederbändel, der den Beutel zusammenhielt zu lösen und den Beutel auf der Bank auszubreiten. Auf der Innenseite war ein Muster ins Leder gezeichnet, das einem Garadan-Spielbrett entsprach. Die schwarzen Spielsteine aus Obsidian und die Weißen aus Mondstein waren zum Oval geschliffen, die der Vogt nun sortierte. „Mögt Ihr mir zur Hand gehen, Biora, Euer Hochgeboren?“
Wortlos half Biora dem Vogt, die Spielsteine in der Anfangsaufstellung auf den Spielplan zu setzen, dann hob sie den Blick. „Weiß oder Schwarz?“
„Ich werde die weißen Steine nehmen, so Ihr mir die Wahl lasst, Hochwürden Biora“, beantwortete Melcher die Frage der Hesinde-Geweihten
„Nun denn, Ihr seid gewarnt“, Aureus erhob sich und nickte den beiden Spielern zu. Der Anflug eines Lächelns lag auf seinem Gesicht. „Hochgeborener Herr Vogt, werdet Ihr ebenfalls an der Mitternachtsmesse teilnehmen?“
„Mögt Ihr den ersten Zug machen, Hochgeborene Biora?“, der Blick des Vogtes wanderte zu dem ritterlichen Jagdmeister. „Wovor habt ihr die Baronin von Rickenhausen während meiner Abwesenheit gewarnt? Ihr wisst, es ist meine erste große Jagd und es gibt sicher viele Dinge des Waldes die mir noch nicht bekannt sind. An dem Götterdienst werde ich teilnehmen, ihr doch bestimmt auch?“
Statt des Jagdmeisters übernahm Biora die Antwort auf des Vogts Frage: „Der Jagdmeister wies mich darauf hin, dass wir heute um Mitternacht zur Messe einen klaren Kopf brauchen werden. Wir sollten uns also ein wenig zurückhalten, was den Alkoholkonsum bis dahin angeht.“ Dann widmete sie sich dem Spielbrett und begann die ersten Züge zu planen, während sie gespannt darauf wartete, ob Melcher die Frage des Jagdmeisters noch zu beantworten gedachte.

Schöner hätte ein Missverständnis nicht sein können – und so musste der Jagdmeister zumindest blinzeln ehe er erklärte: „Nun, eigentlich meinte ich, dass dem Sieger eine Partie gegen Seine Gnaden Bartolos bevorstünde“, er schenkte der Hesindegeweihten erneut sein charmantes Lächeln, ehe er an den Vogt gerichtet fortfuhr:
„Gewiss werde ich an der Messe teilnehmen und es freut mich, dass auch Ihr die Jarlaksjagd gebührend beginnen wollt.“, sein Blick wanderte kurz zwischen Melcher und Biora hin und her während er die Frage stellte, auf die er es eigentlich abgesehen hatte:
„Ich bin vermutlich nicht auf dem neuesten Stand: Wisst Ihr, ob bereits alle Gäste einen Kontrahenten für die assertio haben? Wie steht es bei Euch?“
„Ich bin gespannt was mich bei dem Dienst für den Herrn Firun erwartet, wenig ist mir bisher über die Kirche des eisigen Jägers bekannt. Nein, ich habe noch keinen Gegner für das nächtliche Ringen, aber sagt Jagdmeister von Mauser, mir scheint ihr seid des Altaventurisch mächtig? Ich bin geradezu beeindruckt von Eurer Sprezzatura .“
Aureus blickte den Vogt mit Stirnrunzeln an und hatte sichtlich Mühe, die soeben gehörten Sätze zu entschlüsseln. Dann antwortete er, mit der für ihn typischen Kühle:
„Ich vermute es gibt nur sehr wenige Kinder aus Adelshause, welche nicht die Grundlagen des Bosparano erlernen. Weit über diese bringe ich es aber auch nicht hinweg, für die Diener des Herrn Firun gibt es andere Sprachen, die zu erlernen wichtiger sind.“, er neigte den Kopf ganz leicht zur Seite und betrachtete Melcher nun auf eine undeutbare Weise; es mochte gut sein, dass der Jagdmeister dem Vogt gleich an die Gurgel sprang oder ihm den Weinkelch nachfüllte. Für das Ziel seines Blickes verursachte er so ein zumindest unangenehmes Gefühl von Ungewissheit.
„Das Wort Sprezzatura ist mir nicht geläufig. Was meint Ihr damit?“
Die Geweihte gab sich weiter den Anschein, über dem Spielbrett zu brüten, aus den Augenwinkeln beobachtete sie die beiden Männer aber sehr genau und machte sich insgeheim bereit einzugreifen, sollte es denn in irgend einer Form notwendig werden.
„Eure guten Sprachkenntnisse, die meinte ich Wohlgeboren von Mauser. Ich bin beeindruckt“, er bewegte sich auf dünnem Eis, darüber war sich der Vogt bewusst und es wäre ratsam, hier droben zumindest, so ein leicht aufbrausendes Temperament wie das des Jagdmeisters nicht noch zu befeuern. Er mochte diesen Jagdmeister nicht sonderlich und Melcher wäre eigentlich froh gewesen einige Zeit mit der Baronin von Rickenhausen verbringen zu können ohne darauf achten zu müssen einem Jäger fernab seines Kranzes verbal Ausweichen zu müssen. Fernerhin schwand die Zahl der Freunde des Vogtes bei dieser Jagd und was mochte wohl im Kopf dieses Jagdmeisters vorgehen wenn es wirklich auf die Jagd ging und die Anspielungen Melchers noch frisch in seinem Kopf umhergingen.
Bei der Antwort des Vogtes verengten sich die Augen des Jagdmeisters zu schlitzen, wohl ahnend, dass dieser seine Frage nicht ganz wahrheitsgemäß beantwortet hatte. Doch beließ er es dabei, vorerst.
Melcher zog einen seiner Spielsteine um ein Feld nach vorne, „Ha, eine klassische al'Nabab-Eröffnung, was sagt Ihr nun Biora von Rickenhausen?“ Mit einem Grinsen verschränkte der Vogt beide Arme vor der Brust. Dies war eher scherzhaft gemeint, da dieser Spielzug unter Garadan-Spielern als weithin bekannt galt. Für einen kurzen Moment hatte er sich in den Augen der Baronin gefangen bis ihm der Jagdmeister wieder einfiel. Einen Gegner für das Ringen hatte Melcher bis jetzt keinen gefunden. Der waffenlose Kampf lag ihm auch nicht sonderlich und so würde ihn bestimmt gar einer der Jagdpagen in diesem martialischen Kräftemessen besiegen. Dieses ziehen und greifen, gezogen und gehalten werden, was oft auf dem Boden und somit im Staub endetet. Der Geruch von verschwitzen Körper die ob ihrer Ausdünstungen kaum zu halten waren und dem eigentlich sicheren Griff entglitten. Schon der Gedanke daran war ihm zuwider. Aber dieses Mal kam Melcher wohl nicht Drumherum. Was blieb ihm also übrig? sich mit geringer Chance auf einen Sieg mit einem Pagen zu messen oder mit wehenden Fahnen gegen einen der stärksten Gegner unterzugehen?
„Sagt Eurer Wohlgeboren von Mauser, würdet mir die Ehre erweisen mich mit Euch im Ringen bei dem nächtlichen Firunsdienst zu messen?“
Wieder war der Blick des Jagdmeisters nicht zu deuten während er sein Gegenüber betrachtete. Und auch war seine Stimme von derselben Nüchternheit als er Melcher antwortete:
„Gern. Nur wisset, dass dieser Kampf kein Kräftemessen ist. Der Kampf dient dazu, dem Grimmen unsere körperliche Stärke zu demonstrieren und unseren absoluten Willen, im Kampfe zu bestehen.“ Auch wenn nicht klar war, ob sich Aureus auf diesen Kampf freute oder nicht, ob er die Bitte des Vogtes für angemessen erachtete oder nicht, so blieb doch kein Zweifel daran, dass er ihn nicht schonen würde. Dies verboten allein schon die Gesetze Firuns.
„Es wird mir eine Ehre sein dem Herrn Firun unsere gemeinsame Stärke zu beweisen und ich werde nach meiner Rückkehr in die Grafenmark sicher noch lange daran zurück denken, Wohlgeborener Jagdmeister von Mauser.“ Der Anfang des Satzes ging Melcher etwas holprig über die Lippen, dies war kaum zu überhören gegen Ende blitzte ein kurzes Grinsen in des Vogtes Gesicht auf.
Aureus nickte: „Hoffen wir, dass der Grimme keine zu hohen Opfer fordern wird. Ich wünsche Euch viel Vergnügen bei Eurem Spiel“, der letzte Satz war wohl ebenso an die hochgeborene Hochwürden gerichtet. Er tippte sich zum Abschied an die Schläfe und wandte sich zum Gehen.
Biora versuchte sich weiter auf das Spielbrett zu konzentrieren, aber die beiden Gockel machten es ihr nicht leicht. Ein wenig abwesend machte sie deshalb ihren ersten Zug in der ersten Pause des verbalen Schlagabtauschs. Aber da man beim zweiten Zug kaum etwas falsch machen konnte, zumindest nicht bei einer bekannten Standarderöffnung. „Ich sage: Krieger nach g5.“ Sie lächelte unverbindlich, aber sah dabei absichtlich weiterhin nur das Spielfeld an. Das war die klassische Fortführung der al'Nabab-Eröffnung.
„Und ebenfalls einen Krieger voran“, kommentierte der Vogt seinen nächsten Zug. Er versuchte den Weg für seinen Streitwagen frei zu bekommen, der sicherlich die Frontlinie der Baronin niedermachen würde. „Wo habt Ihr eure Weihe empfangen, wenn Ihr mir die Frage gestattetet Baronin? --- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.KennyS - 31 Mar 2014