Herz Des Waldes

Herz des Waldes

Nach sich grausam lang anfühlender Zeit, dem unwegsamen Trampelpfad folgend, gelangte die kleine Gruppe schließlich an einen kleinen Bachlauf. Rinnsale etlicher Quellen, die mitten im Wald entsprangen, fanden sich letztlich in dem flachen Bett zusammen, über das man leicht mit einem langen Schritt schreiten konnte. Allein der Magus hatte Probleme trockenen Fußes hinüber zu gelangen, was erneutes Kichern im Unterholz zur Folge hatte.

Basilissa war wenige hundert Schritt von der Wasserader entfernt unter lautem, entblähenden Zischen am Boden gelandet. Vor sich auf einem saftig grün bemoosten Baumstumpf blickte sie in die strahlend blauen Augen eines Kindes. Der Junge, der seine schmutzigen Zehen über den feuchten Waldboden baumeln ließ, mochte nur wenig älter sein als die junge Baroness und trug nichts am Leib als einen geflochtenen Lendenschurz.

Die Kleinste von Keyserring starrte das andere Kind mit offenem Mund an, während ihr der blonde Spitzbube mit schief gelegtem Kopf entgegen griente und ihr seine offene Hand entgegenstreckte. Aus der Ferne konnten die Verfolger nur vage erahnen, was zwischen den beiden Kindern vor sich ging, doch nach kurzer Zeit zog der Junge die Kleine mit sich und beide verschwanden zwischen den hohen Bäumen in die Schatten des Waldes.

Prianna hätte aufschreien können. Kaum war ihre Schwester endlich wieder auf dem Boden der aal Boscht gelandet, war sie losgerannt. Und nur wenige Schritt hatte sie von Lissa getrennt, da war sie erneut verschwunden. Wut stieg in der ältesten Tochter des Barons auf. Sie wollte den beiden Kindern hinterherlaufen, doch eine unsichtbare Macht hielt sie zurück. So sehr sie sich bemühte, es war ihr nicht möglich zwischen den Bäumen hindurchzutreten. Verzweifelte Hilflosigkeit paarte sich mit ihrer Wut. Hilfesuchend sah sie sich nach ihren Begleitern um. (Prianna)

Na endlich, da war das Kind, die Form passte auch wieder und der blöde Bengel daneben war wahrscheinlich für das ganze Durcheinander hier verantwortlich. Gut, dass der Magier so einen entschlossenen Eindruck machte, der konnte sicher auch was, im Gegensatz zu manch anderen seiner Zunft, mit denen sie zu tun gehabt hatte. Und schon waren die Bälger wieder weg. Wie nervig! Entschlossen sprang sie über das Wasser und rief ihren Begleitern zu "Na los! Sie dürfen uns nicht entwischen!" (Verema)

Mit anwachsender Wut und dem dickköpfigen, fast schon unbelehrbar erscheinendem Verhalten eines Zwerges versuchte auch Borax immer wieder an unterschiedlichen Stellen durch die Bäume zu gelangen, doch scheiterte er ebenso bei diesem Versuch wie die Baroness. (Borax)

Als er dieser misslichen Lage ansichtig wurde, schnaubte der Magus wütend und rammte das untere Ende seines Stabes in den Waldboden. Rhys nahm einen breiten Stand ein und begann damit einen Zauber zu weben. Längst hatte er begriffen, dass ihnen der Weg durch Magie versperrt worden war.

In bosparanischer Zunge rezitierte er jenen Kanti, welcher dazu in der Lage war, durch Madas Gaben hervorgerufene Veränderungen aufzuheben. Rhys hatte ihn in seinem bisherigen Leben nicht sonderlich häufig einsetzen müssen, doch er gehört zu einem seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte, der Antimagie.

Doch es half am Ende nichts. Gegen die scheinbar wilde, urtümliche Magie des vermuteten Kobolds hatte der rein logische, wissenschaftliche Ansatz der Gildenmagie an diesem Ort keine Chance.

Als Rhys merkte, dass der Fluss seiner arkanen Kraft wie in ein bodenloses Fass strömte, ohne es füllen, es greifen, angreifen, besiegen zu können, brach er den Zauber ab und fiel erschöpft auf die Knie. Sein astraler Leib hatte viel Energie eingebüßt. Auch wenn er nicht zur Gänze ausgelaugt war, so würde es Tage dauern, sich zu erholen. „Hier kann Schulmagie nichts ausrichten. Der Wald hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten.“ (Rhys)

Die zierliche Junkerin war gerade ein paar Schritte in den Wald gehuscht, blieb dann aber schnell stehen, als sie merkte, dass der Magier ihr nicht folgte. Auf ihn hatte sie gehofft, aber ganz ohne Waffe und Unterstützung wagte sie sich doch nicht weiter. Wie hieß der nette Geweihte gleich wieder? "Äh, Hochwürden Tassilo? Kommt Ihr mit?" (Verema)

Der so Gefragte war bereits ausgeschritten, um den beiden Mädchen zu folgen. Irgendwie hatte sich diese Feier, ein Freudenfest der Rahja, gänzlich anders entwickelt, als er es sich aus den Berichten vergangener Götterläufe erhofft hatte. Nichts hinderte ihn daran, zur Almadanerin aufzuschließen, nichts hinderte ihn seine Verfolgung fortzusetzen. (Tassilo)

Sein Begleiter hingegen folgte ihm aus reinem Pflichtbewusstsein. Für einen Moment zögerte er, als er sich auf gleicher Höhe mit dem Magier befand, atmete jedoch einmal tief und beruhigend durch und wollte anschließend dem Geweihten folgen. Doch gelang es ihm nicht. (Baldos)

"Na also, los, hinterher." Sie fuchtelte mit ihrer Hand in Richtung der beiden Männer. Ein Geweihter und ein Ritter, der Name war ihr gerade entfallen, aber die sollten schon was ausrichten können. Mehr zumindest, als eine unbewaffnete Fremde, die so naiv gewesen war und sich auf Musik und Essen gefreut hatte. (Verema)

Doch seltsamerweise schloss nur Tassilo zu ihr auf. Der Ritter harrte dort. Irritiert blickte er den beiden hinterher, die wie magisch angezogen ins Unterholz getreten waren und nur Augenblicke später vom Wald verschluckt wurden.

Unfähig einen weiteren Schritt in Richtung des Waldes zu tun, musste Ritter Baldos mit ansehen, wie sein Schutzbefohlener in eben diesem entschwand. Wie sollte er dem Diener der Rahja nur folgen? Was wenn Tassilo etwas zustieße, wie sollte er dies seinem neuen Herrn nur erklären? Seine Wohlgeboren hatte sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass der hochgeborenen Schwester des Geweihten an dessen Wohlergehen gelegen war, dass aus diesem Grund ihm daran gelegen war und Baldos ebenfalls tunlichst daran gelegen sein sollte! Otgar von Salmfang war ihm bisher als sehr umgänglicher Herr erschienen, jedoch war ihm nicht entgangen wie ernst er die Bitte der Baronin genommen hatte. Unruhe und Verzweiflung keimten in ihm auf, aus Sorge das Tassilo etwas zustoßen könnte, aus Verwirrung das es etwas an ihm – nicht aber am Geweihten und der Almadanerin – geben musste das verhinderte das er sich dem Wald weiter nähern konnte, was aber was konnte es nur sein? (Baldos)

Auch der Knappe versuchte, dem Geweihten und der Rittmeisterin zu folgen, doch auch er wurde von einer unergründlichen Kraft zurückgewiesen. Woher kam das? Der Knappe sah den beiden hinterher. Irgendwas musste sie von den beiden unterscheiden. Aber was? Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Keiner von ihnen trug eine Waffe! Sofort nestelte er an seinem Gürtel und öffnete die Schnalle. Mit einen lauten Ratschen zog er ihn aus dem Hosenbund und legte Gürtel und Waffenbund sorgfältig zusammen. Sorgsam platzierte er seine Waffe auf dem nächstbesten Baumstumpf und versuchte noch einmal, den anderen zu folgen. (Lares)

Und kurze Zeit später war auch der Junge von dem diffusen Dunkel des Waldes verschluckt worden. Prianna, Rhys, die beiden Zwerge blieben zurück. Ebenso Maeve, die ungläubig am Rand der Gruppe stand und Baldos, der fast verzweifelt in die Schatten blickte.

Borax glotzte Lares zunächst ungläubig hinterher und begriff erst spät, was dieser getan und vor allem welche Wirkung es gehabt hatte. „Ehrlicher Stahl ist in diesem verfluchten Zauberwald wohl ungern gesehen was? Pah!“ Dennoch legte er seinen Drachenzahn zu der Waffe des Knappen.

Dann jedoch stutze der Vogt plötzlich, sah an sich herab und rief laut: „Oh Angrosch, lass mich wenigstens mein Kettenhemd anbehalten können?“ Er würde, er musste es versuchen. Mit düsterer Miene trat er vor und trachtete von Neuen danach durch das Unterholz zu gelangen. (Borax)

Der Magus indes schloss die Augen und beruhigte seinen Herzschlag, auch er hatte begriffen. Sich diesen Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen missfiel ihm jedoch nicht nur sehr, sondern es kratzte auch an seinem Stolz als Gildenmagier. Wissenschaft sollte stets obsiegen!

Mit einem unwilligen Schnauben rammte er den Stecken in den Boden, mehr trug er ja schließlich nicht bei sich, das Bannrapier lag in seinem Zimmer auf der Burg und trat neben dem wild fluchendem Zwerg in die Büsche. (Rhys)

Bei den Worten des Zwerges platzte auch bei Baldos der Knoten, zu sehr war er bis zu diesem Zeitpunkt auf das Problem und nicht auf dessen Lösung fokussiert gewesen, um zu erkennen wie er dem Geweihten folgen konnte. Ein Kettenhemd hatte er während der Feierlichkeiten nicht getragen, wäre es beim Konzert doch sehr unbequem und das feine Klingen der Kettenglieder störend gewesen. Sein Schwert, die Klinge die ihm sein Vater zur Schwertleite geschenkt hatte, wollte er nur ungern hergeben. Nicht weil er sie unbedingt schwingen wollte, nein Ritter Baldos wollte seine Waffe einfach nicht inmitten des Waldes ablegen. Dennoch öffnete er, mit etwas widerstreben, sein Waffengehänge und hängte es über einen stabilen Ast – die Waffe in den Dreck legen, pah soweit kam es noch. (Baldos)

Währenddessen schaffte es Borax tatsächlich durch das Unterholz zu treten und dankte dem Allvater innigst für dessen Beistand. Er eilte sich den anderen, die inzwischen einen gewissen Vorsprung haben mussten, hinterher zu kommen. Trotz dieser Hast erschien ein zumindest schmales Lächeln auf den Lippen des Vogtes. Die Wunder die der verwunschene Wald für das Auge bereitete, erfreuten am Ende auch den Simia- gläubigen Angroschim. [Borax]

Was dem Zwergen gelang, misslang dem Magus erneut. Auch das Ablegen seiner ‚Waffe‘ hatte zu keinem Erfolg, Durchkommen geführt. So resignierte Rhys schließlich und erkannte seine Niederlage an. Auf seinem, rationalen Wege würde er hier nicht weiterkommen, nicht mit Logik oder seiner ihm gegebenen, wissenschaftlich geprägten Magie. Er musste sich auf diesen Wald, seinem intuitiven Zauber… einlassen.

Von diesen Gedanken geleitet trat er einen Schritt zurück und kniete nieder, kümmerte sich nicht um den Dreck, welcher seine schneeweiße Robe besudeln würde und blendete alles um sich aus, reinigte seinen Geist von allen Gedanken und Emotionen.

Dies war normal eine kleinere Übung für ihn und doch benötigte er in dieser Umgebung, geladen von solch starken, irritierenden Gefühlen länger als gewohnt. Als er bar an jeglichen, negativen Gefühlen war, stand er auf und trat ohne weiteres Hindernis durch die eng stehenden Büsche. (Rhys)

Auch die Baroness war so wütend gewesen, dass sie nicht ins Unterholz treten konnte. Ihre Wut allerdings war aus etwas anderem geboren worden als bei Rhys. Ihre Wut war eine Folge ihrer Hilflosigkeit, nicht die Folge ihrer enttäuschten Hybris. Sie wähnte ihre Schwester in Gefahr und ängstigte sich. Bis zum Innern ihrer Seele. Erst nachdem sie ihr Kleid gehoben und den Dolch, den sie um ihre Fessel zu tragen gewohnt war, neben den ihres Vaters in den Baumstumpf gerammt hatte, war ein Teil dieser Wut verrauscht und machte Platz für Hoffnung. Und nachdem selbst Rhys die unsichtbare Grenze durchschritten hatte, konnte womöglich auch sie hindurch treten?

Einen Moment stutzte sie noch. Die kleine Rahjani, das Mädchen, stand noch alleine dort. Ein verzücktes Grinsen zeichnete ihren hübschen Mund nach und sie schien in einer ihr eigenen Welt versunken. Prianna fühlte, während sie die Albernierin anblickte, dass der jungen Frau keine Gefahr drohte, denn ein Strahlen ging von Maeve aus, das sie vor allem Unbill dieser Welt schützen konnte. Der Glanz um die kleine Gestalt gab Prianna letztlich den Rest Zuversicht, der ihr noch fehlte, und sie durchschritt das Dickicht. (Prianna)

Maeve blieb zurück, barfuß inmitten des urwüchsigen Waldes. Sie hatte das Gefühl sehr genossen, mit bloßen Füßen durch Wasser zu schreiten und Moosteppiche zu begehen. Farnwedel hatten sie liebkost und mit jedem Atemzug erfüllte urwüchsige Lebendigkeit ihre Brust.

Und nun waren die anderen fort – nichts lenkte sie ab – während sie für einen kurzen Moment den Geist des Ortes alleine genoss.

Und klarer erinnerte sie wieder den Klang der sphärischen Stimme: „Scheue nicht das Neue, so du es ersehnst. Aber gräme dich nicht, am Bekannten festzuhalten, wenn du es in deinem Herzen fühlst.“

Vielleicht konnte beides sein, wenn sie Tassilo richtig verstanden hatte und blickte in die Richtung in der Prianna verschwunden war. Kaum war noch etwas zu vernehmen, dort, von jenseits des Dickichts. Obwohl sie den anderen durch den Wald gerne alleine gefolgt war, beschlich sie nun das erste Mal seit dem Abstieg in die dunklen Gänge wieder das Gefühl von Einsamkeit – und sie mochte nicht einsam sein. Nicht jetzt.

Gedankenverloren zog sie Priannas Dolche aus moosbedecktem, morschen Holz heraus. Da auch die anderen etwas zurückgelassen hatten, kam es ihr nur Recht vor, dass auch sie selbst etwas hierließ: Sie legte ihre Sandalen zusammen mit den beiden Dolchen auf einen Baumstumpf neben einen Waffengurt und ein kurzes zwergisches Schwert.

Ein letzter Blick zurück: Verstreut inmitten des Waldes lagen die verschiedenen Hinterlassenschaften, doch trotzig erhob sich der Zauberstab des Magus aus dem Waldboden, als wollte er einen Anspruch ausdrücken und den Wald selbst aufspießen - wenn er gekonnt hätte.

Demut vor diesem uralten Wesen war ein Anfang, als sie an das Bild des knienden Magiers dachte. Entschlossen legte sie ihre Hände um das geformte Holz, zog die eherne Hülse aus dem feuchten Boden und lehnte den Stab gegen eine Astgabel. Sorgsam schob sie das Moos über die Wunde im Leib des Waldes - deckte sie zu.

Dann folgte sie den anderen. [Maeve]

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020