Haffax Feldzug Gallys Innere Daemonen

Innere Dämonen

Inhalt:

  • Nach einer Unterredung mit ihrem jungen Freund Basin Ucuriad von und zu Richtwald, der sie nochmal auf den 'Erziehungsvertrag' zwischen der Magistra Turi und ihr anspricht, stellt die Junkerin Loriann_von_Reussenstein die Magistra erneut zur Rede (siehe bereits in Kapitel Gratenfels: Stolz und Mutterlieb) Diese hatte sich Lorianns Tochter Maire angenommen, ist deren magische Lehrmeisterin und möchte das Mädchen immer noch mit nach Tobrien nehmen. Der Streit zwischen den beiden Frauen eskaliert, als sich Maire für Turi und Tobrien und gegen ihre Mutter entscheidet. Lorianns Herz bricht endgültig entzwei.
  • Gefrustet verbringt die Junkerin danach die Nacht mit einigen Landsmännern außerhalb des Heerlagers und wacht am nächsten Morgen völlig verkatert im Stall der Schenke auf. Prekär: An ihrer Seite der Landtvogt von Gratenfels,der jedoch verheiratet ist. Die beiden kommen überein, dass niemand von ihrer gemeinsamen Nacht wissen darf.
  • Einer hat es doch gesehen: der junge Windhager Ritter Arnbrecht Wellenstein, der Melchers Gemahlin zugetan ist.

Er war nicht grüblerisch, haderte nicht mit gefällten Entscheidungen und nahm die Gelegenheiten wie sie sich ihm boten. Dennoch hatte Basin von Richtwald bis zu ihrer Ankunft in Gallys gebraucht um sich seiner neuen Verantwortung zur Gänze stellen können. Durch seine Ausbildung zum Ritter und auch durch die Traditionen seiner Familie bestand nie ein Zweifel daran, dass er dem herzoglichen Aufruf zu den Waffen folgen würde. Doch unterschied sich die Realität sehr von den ruhmreichen Geschichten und Heldentaten. Dreck, Gestank und Lärm waren ihre steten Begleiter. Wie er die Ruhe seiner Heimat misste. Bisher waren Richtwald, Schnakensee und Vairningen für ihn Orte fern des Geschehens, Orte die er nach dieser Erfahrung viel mehr zu schätzen wusste.

Erst jetzt führte ihn seine Neugier weiter im Lager herum, auch vorbei an dem eigenartigen Zelt von Ehrwürden Hane. Da er dabei jedoch auch die kleine Maire gesehen hatte, führte ihn sein Weg letztlich auch bei den Firnholzern vorbei.

Ihm kam die Ritterin Binsböckel entgegen. Diese grüßte reserviert und einer gewissen Hochnäsigkeit geschuldet nur kurz, marschierte dann mit raschen Schritten ihres Weges. Basin hatte mit ihr bislang nicht viel zu tun gehabt, aber dass ihr der Dienst unter Nordmark zu Kopf gestiegen war, konnte jeder ihr ansehen. Sie bekleidete ihren Posten als Persevantin genauso lange wie seine Freundin, die Reussensteinerin, doch anders als Linara von Binsböckel war die hingegen erfreulich auf dem Boden der – momentan recht dreckigen – Tatsachen geblieben.

Er fand die Mittdreißigerin im Schatten ihres Zelts auf dem mittlerweile niedergetretenen Grasboden im Schneidersitz sitzend, barfußig, nur mit einer einfachen Hose und einem schmucklosen Hemd bekleidet, das blonde Haar wie gewöhnlich im Nacken gebunden. Vor ihr lag im Gras eine Rolle, auf der Wappen aufgemalt waren. Daneben stand ein Krug mit zwei Bechern, nach einem davon griff Loriann wie in Gedanken. Auf ihrem Schoß hielt sie außerdem ein Notizbuch, in dem ein Kohlestift verhinderte, dass es zufiel. Alles sah danach aus, dass sie lernte.

Ihr Gesicht lächelte erfreut, als sie den jungen Richtwalder Ritter auf sich zukommen sah. „Schau an, der Baronet von Vairningen!“ witzelte sie. Noch bevor Basin bei ihr angekommen war, war sie aufgestanden, um den jüngeren sogleich mit offenen Armen zu begrüßen. „Komm her, lass dich drücken und dir gratulieren! Na los, hier dürfen wir das.“

Etwas von der Herzlichkeit überrascht brauchte Basin einen Moment, erst dann erwiderte er die Umarmung und bedankte sich. Das alles war noch irgendwie ungewohnt und fremd, doch er freute sich darüber mit jemanden zu reden mit dem er weder Verwandt war noch durch die Lehensfolge in unmittelbarer Beziehung stand. „Störe ich dich bei deinen Studien oder ist der gemeinsame Exkurs mit der Hohen Dame von Binsböckel bereits beendet?“ Unschwer war dabei heraus zu hören, dass er die zweite Möglichkeit selbst eher aus Belustigung erwähnte. Dieses eitle Getue lag ihm weder noch konnte er es ernstlich nachvollziehen. Wobei er bereitwillig zugeben würde froh über sein eigenes Amt zu sein, immerhin hatte er das Vergnügen die herzoglichen Jagdreviere regelmäßig zu be- und auf ihre Eignung zu untersuchen.

"Linara? Ja, wir haben gerade mal wieder ein wenig zusammen gelernt. Aber ich bin ehrlich, du bist mir eine willkommene Abwechslung! Mir raucht nämlich der Kopf. Weißt du, was das für eine Arbeit ist? Ich sollte ja, hm, nein muss die alle im Kopf haben!" Sie deutete seufzend auf die Rolle im Gras. "Hast du ne Ahnung, wie viele das sind? Trägt ja - tschuldigung, Basin, nicht persönlich nehmen! - jeder frischgebackene Deppenritter sein eigenes! Da kommst du dann nur noch mit Merksätzen weiter, sonst hast du keine Chance. Hab mich wirklich schon oft gefragt, ob denn niemand mehr das Wappen seines Dienstherrn trägt." Trotz ihrer Beschwerde wirkte Loriann dennoch nicht verbittert. Im Gegenteil. Sie schien ihre Aufgabe ernst zu nehmen und Spaß daran zu haben. Zumindest soweit es sichtbar war.

Loriann lud Basin ein, sich zu ihr ins Gras zu setzen, hielt dann kurz inne, als ihr auffiel, dass der junge Mann ja jetzt so etwas wie ein Baronet war. "Hm, oder möchtest du...? Soll ich einen Stuhl für dich...? Herrje, ich geb zu, das ist wirklich noch ungewohnt. Baronessengemahl bist du jetzt - Oh Mann!" lachte sie, während sie sich doch etwas beschämt am Kopf kratzte und seine Antwort abwartete.

Dadurch dass sich Basin einfach in den Schneidersitz auf das Gras sinken ließ beendete er die Frage der Etikette recht schnell und einfach. Doch konnte er sich ein schelmisches Lächeln nicht verkneifen als er im verschwörerischen Ton antwortete: „Verrat es keinem, aber das sind alles auch nur Menschen – von denen sich zugegeben manche für zu wichtig halten.“

Loriann verschwand kurz in ihrem Zelt, um mit einem frischen Becher wieder zukommen.

Nach einem kurzen Blick auf die Aufzeichnungen lehnte er sich jedoch ein wenig zurück und ließ seinen Blick einigen kleinen Wolken folgen. „Weißt du, ich mag die Heraldik. Nicht wegen ihren verborgenen Botschaften, verschachtelt in den Tiefen der Wappendeutung. Nein, einfach der Anblick eines Rittersaals mit all den Stolzen Wappen und der mit ihnen verbunden Verheißung von Ruhm und Heldentaten. Würdest du deine eigenen Heldentaten auf das Schild anderer schreiben wollen? Ich trage das Wappen das mein Haus seit Anbeginn getragen hat und dennoch verbinden es vermutlich die meisten Leute mit unseren Beizvögeln.“ Unbeschwert lachte er dabei auf. Der Ruf seines Hauses war ihm wichtig und außerdem verfügten ihre Jagdvögel über eine ausgezeichnete Gesundheit und Ausbildung.

"Hm, vielleicht mag es zwischen jetzt und früher einen Unterschied geben. Zum Beispiel war für mich damals klar, dass ich unter dem Wappen der Varaldyns reite, als ich mit meinem Schwiegervater auszog gegen die Orks, denn ich hatte mich ja in seinen Dienst gestellt.“ Eine schöne Erinnerung an Aelbron ui Varaldyn, den Ritter zu Waldersbach, streifte sie. Ihren Schwiegervater hatte sie sehr gemocht und der Gedanke an Gut Waldersbach, wo sie sich sehr wohlgefühlt hatte damals, ließ sie gedankenverloren lächeln, ehe sie wieder aufsah. "Aber naja, ich habe eingeheiratet, den Hausnamen meines Mannes angenimmen. Außerdem bin ich ja nicht von ritterlichem Stand." Das brachte sie dann auch zurück zu einer anderen Sache. Vorher schenkte sie etwas in die Becher und reichte Basin seinen.

"Hier, euer...ähm, nur aus Neugier: wie willst du eigentlich angesprochen werden, so als Baronessengemahl und Mann einer zukünftige Landesherrin?" Ein Schmunzeln.

"Ich glaube ich berufe mich doch lieber auf meine eigenen Pflichten und nenne mich nicht Baronessengemahl, falls es einen derartigen Titel überhaupt gibt. Um ehrlich zu sein, es klingt als hätte man nichts Eigenes.“

"Ja, du hast wirklich recht." lachte sie und strich sich ein verirrtes Haar hinters Ohr. "Wo werdet ihr beiden Hübschen denn eigentlich bis dahin leben? Auf Gut Richtwald oder in Vairningen?"

Bevor Basin antwortete nahm er erst einmal einen kleinen Schluck. „Vea ist bereits jetzt weit über ihre eigentlichen Pflichten in die Geschicke Vairningens eingespannt und zusätzlich bringt sie sich leidenschaftlich gern ins Geschäft des baronlichen Handelskontors ein. Zusammen mit meinen Verpflichtungen am Herzogenhof wird es darauf hinauslaufen, dass ich selten auf dem Richtwald anzutreffen sein werde. Für meinen geschätzten Herrn Vater bedeutet dies vermutlich doch wieder das Gut zu verwalten.“ Nachdem er seinen Becher auf dem Gras sicher abgestellt hatte, lehnte er sich erneut zurück. Seine moosgrünen Augen wanderten kurz über die Leute in ihrer Umgebung, wie sie mit Karten und Würfeln um ihre Dienste spielten, Waffen und Rüstungen reinigten oder anderen Tätigkeiten nachgingen. „Nur weniges können wir mit Sicherheit sagen, doch zu diesen gehört das Wissen darum, vor Travia und Praios vereint zu sein und dass wir etwas mehr als einen halben Mond hatten, in denen wir dies – fast – unbeschwert genießen konnten. Alles Weitere muss wohl jeder für sich selbst und mit den Göttern ausmachen.“

Loriann machte es sich nun ebenfalls bequem und lehnte den Hinterkopf gehen die Zeltplane, schloss einen Moment die Augen und versuchte, Basins Gottvertrauen nachzuempfinden, und seine erfrischende Naivität. Sie fand es schön, wie viel Zuversicht der junge Ritter besaß. Auf der einen Seite verstand sie Basins Wunsch, so kurz vor dem Feldzug zu heiraten, um mit der Ehe etwas Bleibendes zu schaffen, für das es sich wahrlich zu kämpfen - zu überleben! - lohnte. Auf der anderen Seite konnte sie den Egoismus nicht verstehen, der einem voreiligen Traviabund zugrunde lag, wie ihn bestimmt viele von den Streitern hier noch geschlossen haben musste - Liebe hin, Gottvertrauen her. Hatte Basin sich denn auch Gedanken gemacht, was aus Vea werden würde, wenn er fiel? Hatte er daran gedacht, dass sie ihr Leben weiterleben musste und selbiges dann als junge Frau, die jedoch nicht mehr wirklich 'frei' war, gedanklich wie auch physisch, und die selbst bei einer neuen Heirat doch immer eine junge glücklose Witwe bleiben würde, der der Makel anhaftete, den Mann früh verloren zu haben - vielleicht sogar kinderlos. Das Schicksal der kinderlosen Witwe war Loriann selbst zwar erspart geblieben, aber das erdrückende, ohnmächtige Gefühl, jung den Mann zu verlieren, kannte sie selbst sehr gut. Und es überwältigte sie just in diesen Augenblicken, als der Gedanke an Basins frisch Angetraute alles wieder hervorholte, was sie mühsam in sich eingesperrt hatte. Ihr Herz wurde klamm, ihr Atem schneller, und so schloss sie für den Moment die Augen. Sie musste sich wieder in den Griff bekommen. Auch wenn es wehtat, weil der Gedanke an Ellerdan und Maire und an das, was nicht mehr sein konnte, eine neue Präsenz bekam. Pferdewiehern brachte sie zurück ins Zeltlager und zurück zu Basin, der derweil ebenfalls ein wenig seinen Gedanken nachhang.

Doch anders als Loriann annahm, vertraute er nicht auf Wohl und Wehe den Göttern. Natürlich vertraute er auf deren Wohlwollen, doch unterlag er nicht der irrigen Annahme, dass sie einem Schild gleich alles Übel von den Menschen abwandten. Wie sollte er dies auch unter dem ganzen hier versammelten Kriegsvolk tun? Keiner von ihnen wäre wer er ist, und hätte sich hier sammeln müssen. Er nahm sein Leben in die eigenen Hände und legte es zugleich in die der Männer und Frauen die links und rechts von ihm im Kampf fochten, ebenso wie sie es taten. Vielmehr ging er davon aus das die Götter sie formten, ihnen Prüfungen auferlegten an denen sie stärken, aber auch zerbrechen konnten.

"Oh, Basin, tut mir leid. Ich war ganz in Gedanken," erklärte Loriann die Pause und versuchte ein Schmunzeln, welches ihr aber nicht so ganz gelang, wie er ihr ansehen konnte. Er erkannte den Ausdruck von Qual in ihrem Gesicht. "Ich wäre sehr gerne Gast auf eurer Bundfeier gewesen, wenn die Dinge anders gestanden hätten. Hm. Schlecht zu sagen 'Beim nächsten Mal dann', nicht wahr?" Auch ihrem Witz fehlte es etwas an Heiterkeit. Trotzdem ließ sie von dem Thema nicht ab. Wie um sich selbst zu kasteien, wollte sie wissen, wie die Feierlichkeiten waren und was sie verpasst hatte, während die Schneeschmelze das Reussensteiner Lehen unter Gerölllawinen begrub und Loriann wahrlich neben der bevorstehenden Abreise in den Osten andere Sorgen hatte, als zu einer Hochzeit zu reisen, wenn zur selben Zeit um sie herum die Ihrigen mit Schutt und Abraum kämpften.

Beflissentlich überging er den gequälten Ausdruck auf ihrem Gesicht, er wollte ihr keinen Kummer bereiten und würde es dennoch tun müssen, wenn er sie fragen würde wieso die kleine Maire hier im Heerlager weilte. „Nun nachdem die Braut auf den Termin derart vehement bestand, wer bin ich schon um ihr dies auszuschlagen?“ Fragte er lachend, wobei er selbst einen späteren Zeitpunkt vorgezogen hätte.

Ausführlich berichtete er was sich alles an diesem besonderen Praioslauf zugetragen hatte. Von der Trauung durch den Praios-Geweihten der Burg und den beiden Vorstehern des städtischen Travia-Tempels. Erzählte vom anschließenden Fest und einigen der Gäste die sich trotz des gewählten Zeitpunkts auf der Vairnburg versammelt hatten. Vom Festmahl das sowohl auf der Burg, als auch in der Stadt Vairningen veranstaltet wurde und zeigte, wenn auch unbewusst, das es sich eindeutig um keinen politisch forcierten Traviabund handelte. Er erzählte und beantwortete Fragen bis er schließlich, nach einer Pause, sich endlich überwand und die Frage stellte, wegen der er überhaupt ins Lager gekommen war. „Doch genug von mir, wie erging es dir und Maire. Hast du selbst wieder Pläne für eine Heirat, und wie schreitet Maires magische Ausbildung voran?“

„Ich, heiraten?“ Ein entsprechender Ausdruck in ihrem Gesicht sagte ihm, dass sie diese Frage weder erwartet hatte, noch, dass sie gefasst war auf das eigene Entsetzen, welches diese in ihr Gesicht warf. Sie war schlagartig bleich geworden. Als würde ihre Antwort eine Rechtfertigung sein, schüttelte Loriann erschrocken den Kopf. „Nein. Nein, bei allen Zwölfen! Ich habe nicht vor, noch einmal zu heiraten! Aber ich freue mich für jeden, den ich kenne, der es tut. Das reicht mir."

Beim besten Willen konnte Basin sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, zugleich wusste er nicht, ob diese Reaktion für den armen Roric gut oder schlecht war.

"Herrje Basin, ehrlich, ich weiß, Ellerdan hätte nichts dagegen, wenn ich mich wieder binde – Aber nein, ich möchte es nicht. Ich hab das schon einmal durchgemacht, das Freuen, das Lieben, das Bangen… und das mit dem Sterben. …. Aber in einem Punkt hast du recht, mein Freund:“ An dieser Stelle lächelte sie milde und beugte sich vor, um ihn mit ihrer Hand zu berühren. „Wenn man sich liebt, dann spielt Zeit keine Rolle. Dann ist immer der richtige Zeitpunkt! Wenn Vea die Gewissheit wollte, dass ihr in Travias Paradies einst als Ehepaar vereint seid und sie deswegen darauf bestand, dich in dieser ungewissen Zeit zu ehelichen, dann mag es richtig gewesen sein, weil es ihr innerster Wunsch war.“ Ein bisschen kam sie sich mit ihren Worten wie ein Priester vor, aber sie fühlte sich wesentlich wohler damit, Lebensweisheiten weiterzugeben, als von Basin auf eigene Gedanken an Hochzeit angesprochen zu werden.

Die Junkerin vom Reussenstein nahm ihre Hand zurück und trank einen Schluck. „Ihr habt zum Glück Eltern, die hinter eurer Entscheidung stehen. Das ist viel Wert. Glaub mir, ich weiß von was ich spreche.“

Kurz nickte er zustimmend bei diesen Worten. Wohl wissend das sich seine Eltern über seine Pläne kaum beschweren konnten und Vea ihre Mutter mit viel List und Wortgewalt förmlich niedergeritten hatte.

Dann sah sie einen Augenblick in die Ferne. „Maire wird uns in den Osten begleiten,“ kam es eilig über ihre Lippen, aber Basin, der sich zuschreiben konnte, Loriann nun doch schon ein wenig zu kennen und der darüber hinaus eine gute Menschenkenntnis besaß, merkte, wie sich bei diesem Thema ein noch viel größerer Schatten über die Kriegerin legte, als bei der Frage nach erneuten Heiratsbekundungen. Sie verweilte einen Moment lang mit geschlossenen Augen und atmete tief ein und aus, ehe sie wieder das Wort ergriff, beherrscht, aber immer noch von einem inneren Schmerz gebeutelt, den man ihr wahrlich ansah. „Die Magistra hat entschieden, dass es für ihre ‚Schülerin‘ keine bessere Gelegenheit gibt, Magica combattiva – oder wie das heißt – zu studieren, als auf einem.… Schlachtfeld.“ spie sie die Wahrheit aus. Loriann wandte den Blick Basin zu und sah ihn mit einer Mischung aus Wut und Trauer an. Ihre Mundwinkel zuckten, als würde ihr das zynische Lächeln nicht gelingen wollen. „Was soll ich da sagen, Basin? Ich bin in dem Falle ja ‚nur‘ die Mutter. Außerdem ist es schon entschieden. Und meine Wünsche sind in dieser Sache irrelevant. – Das zu deiner Frage, wie Maires Ausbildung voranschreitet. Noch Fragen?“

Ein wenig tat es ihm leid Loriann auf dieses offensichtlich sehr sensible Thema angesprochen zu haben, doch schien es ihm auch wichtig das sie sich darüber aussprechen konnte. „Nicht wirklich, diese Form der Ausbildung ist auch für mich ein Buch mit sieben Siegeln, doch Angesicht meiner eigenen Ausbildung - ich nehme an es wird bei dir kaum anders gewesen sein - kann ich dem wenig entgegensetzten. Natürlich vermögen wir es, die Grundlagen innerhalb schützender Mauern zu erlernen, was es wert ist, erfahren wir jedoch erst, wenn wir gezwungen sind unser Können unter Beweis zu stellen. Ich weiß, dass meine Worte wenig als Trost geeignet sind …“ Mitfühlend sah er sie dabei an. „… doch wenn es dir hilft, kann ich dir einzig anbieten auf Maire aufzupassen wo es in meiner Macht liegt.“ Fügte er seinen Versuch, ihr etwas Halt zu bieten, an.

"Das ist unglaublich lieb von dir, mein Freund. Aber fühl dich bitte zu nichts verpflichtet.“ Dass sie sein Angebot zu schätzen wusste, machte ihr Nicken deutlich. "Es gibt schon jemanden, der mir versprochen hat, genau das zu tun. Und ich nehme ihn bei seinem götterverdammten praiosgefälligen Scheißwort!" Wütend waren ihre Worte und ihre Hände krallten sich ins Gras, als sie so über Ehrwürden Hane sprach. Eigentlich war sie ja auf dessen Frau wütend, aber den Geweihten traf ihr Urteil ebenfalls, da er es gewesen war, der auf eben jenen 'Vertrag' gepocht hatte, der Loriann jetzt entmündigte. Ohne zu erklären, wen sie eigentlich meinte, fuhr sie fort: "Ich bin ihm eigentlich nur am Rande gram, denn ER hatte wenigstens die Größe, mir zu sagen, dass seine Frau beabsichtigt, Maire in den Osten mitzunehmen.“

Es war ihm durchaus möglich zu erahnen auf wen Loriann so herzhaft schimpfte. Immerhin hatte er Maire gesehen, als er das eigenartige Zelt des Hane von Ibenburg-Luring betrachtete, zumal er aus seiner Zeit in der Herzogenstadt auch das eine oder andere über eben jenen gehört hatte.

„SIE hat das wohl nicht für nötig gehalten und hätte mich, wie's aussieht, weiterhin in dem Glauben gelassen, Maire würde in Elenvina verbleiben. Und weißt du, was sie MIR diesbezüglich gesagt hat, diese…Person..?" Loriann spuckte förmlich Gift und Galle. Allein Turis Namen auszusprechen kostete sie Kraft, die sie nicht hatte. "Dass ich mich nicht so anstellen soll! - ICH, mich anstellen?? Ich scherze nicht, sie hat wirklich von mir verlangt, dass ich mich beruhigen und nachdenken und dass ich das doch eher als große Chance sehen soll… Ach, scheiß auf die Chance, Basin!" In ihrer Wut stand sie mit einem Mal auf und ließ ihren Ärger an einem der Stützpfeiler, der eine Ecke des Zelts markierte, freien Lauf, in dem sie fluchend dagegentrat.

Als die befreundete Kriegerin aufstand, um sich wütend an ihrem Zelt auszulassen, erhob auch er sich. Ohne sich mit den Händen abzustützen drückte er sich in den Stand und legte Loriann anschließend beruhigend die Hand auf die Schulter. Mitfühlend und freundlich versuchte er sich zu beruhigen: „Dein Zelt kann nichts dafür, egal wie sehr du es malträtierst. Du kannst als Nordmärkerin nicht nachträglich um den Wortlaut eines Vertrages feilschen, ist uns doch dieser, einem Gesetz gleich, absolut verbindlich.“ Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Loriann hörte auf, Gewalt an der Holzlatte zu üben, sah Basin stattdessen etwas irritiert an und er fuhr fort. „Allerdings lässt uns jedes Gesetz, wie auch jeder Vertrag einen gewissen – nennen wir es – praiosgefälligen Interpretationsspielraum. Suche und nutze ihn! Ich für meinen Teil verbleibe bei meinem Angebot.“

Was die sich bietenden Chancen anging, beließ er es lieber dabei nichts zu sagen. Auch er hatte als Knappe an der Seite seines Schwertvaters seine Pflicht erfüllt, hatte ihm im Kampf beigestanden und Erfahrungen gesammelt. Man könnte also sagen, dass ihm, wie auch jedem anderen angehenden Ritter, Chancen gewährt wurden sich zu beweisen und daran zu reifen.

"Du schlägst mir also vor, das Vertragswerk zu… was? ... zu dehnen? … zu überlisten?" Loriann sah äußerst ungläubig drein. In ihrer Verwirrtheit fuhr sie sich mit beiden Händen über den Kopf. "Bist du nicht mehr ganz richtig im Hirn, Basin?" Ihre Beleidigung meinte sie wohl nicht so. "Das Schreiben hat Ehrwürden Hane aufgesetzt. Und kein kleiner Amtsschreiber! Ich wüsste nicht, was man darin anders 'interpretieren' kann: Ich hab eingewilligt, die Erziehung meiner Tochter in die Hände der Magistra zu legen, Maire bei den Ibenburg-Lurings aufwachsen zu lassen, beides mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten, weil ich so scheiß-gutgläubig war, zu denken, dass es das einzig Richtige ist. Das Ganze ist mit meiner Unterschrift rechtsgültig und von Seiner Ehrwürden kirchlich gesiegelt. Da gibt es nichts dran zu rütteln, Basin. Und mit Sicherheit auch keine Lücken oder ähnliches. Das ist ein götterverdammter Eid in Papierform!"

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Der junge Mann hatte vielleicht Ideen! Basin fühlte, wie sich ihr Ärgernis, dem er eigentlich entgegenwirken wollte, vertiefte und wie es sich in diesem Moment in seine Richtung ausbreitete. Loriann fixierte die Augen des jungen Ritters mit einem verbissenen Ausdruck. "Die Einzige, die diesen 'Eid' brechen kann, ist Turi," presste sie angewidert zwischen ihren Lippen hervor und ihre Augen nahmen den Ausdruck des Wahnsinns an, der in ihr gärte und schwelte und der sie so langsam aber sicher verrückt machte. "Ich hingegen war die einzige, die kein gutes Gefühl bei dieser Sache mit dem Schriftstück hatte. Die Einzige! Ausgerechnet ICH bin jetzt zum Nichtstun verdammt! Das frisst mich auf. Jeden Tag ein Stück mehr, Basin. Und irgendwann… ja, irgendwann… da geb ich der Magistra eins auf ihr magisches Maul."

Eine Idee blitzte in ihren Augen auf. "Vielleicht sollte ich das einfach tun. Am besten heut noch. Nein, jetzt gleich. Damit sie sieht, dass ich auch zaubern kann. Ich werd ihr ganz einfach ein neues Gesicht verpassen!" Sie untermalte ihr Vorhaben mit einem zynischen Lächeln und schob Basin voller Tatendrang und mit neuer Energie zur Seite.

Nun offensichtlich hatte Loriann seine Aussage gründlich missverstanden, doch ließ sie ihn in ihrer Rage ja auch nicht zu Wort kommen um. „Loriann, beruhige dich. Gewalt ist, zumindest in diesem Fall, keine Lösung…“ Wobei sie in ihrer aktuellen Verfassung sich vermutlich sowieso eine blutige Nase holen würde. „…und ich sagte auch nicht, dass du den geschlossenen Vertrag überlisten oder dehnen solltest! Du solltest dir nur überlegen ob die sicherlich gut gewählten Worte seiner Ehrwürden nicht Möglichkeiten für dich eröffnen. Mit allen zugehörigen Rechten und Pflichten ist so unglaublich unbestimmt, hast du dir nie überlegt welchen Pflichten sie damit nachzukommen haben? Sie tragen Verantwortung für Maires leibliches und seelisches Wohl! Du kannst sie vielleicht nicht daran hindern deine Tochter mitzunehmen, aber du kannst versuchen Grenzen zu ziehen!“ Trotz seiner Bemühung war sich Basin nicht sicher ob Loriann ihm überhaupt noch Gehör schenkte, dennoch fühlte er sich verpflichtet den Versuch zu unternehmen

Wahrscheinlich war doch irgendetwas von Basins Worten durch ihre Wand aus Zorn gedrungen, denn sie hielt inne, kniff einen Moment die Augen zu und im anderen nach dem jungen Ritter. „Dann wirst du mich jetzt begleiten, Herr Neunmalklug. Sonst kann ich für nichts garantieren.“ Trotz ihrer offensichtlichen Beleidigung war er sich sicher, dass es gut täte, wenn wirklich jemand dabei war, der hier ein wenig lenkend eingriff. Um alle Beteiligten zu schützen. Vor allem aber Loriann vor sich selbst.

Schicksalsergeben folgte Basin. Zugegeben fühlte er sich auch etwas mitverantwortlich, immerhin war es seine Nachfrage gewesen, die das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Wobei er sich auch recht sicher war, dass das gar durch scheinbar themenfremde Dinge hätte geschehen können. Auf diese Weise jedoch konnte er Loriann beistehen, wobei er bereits jetzt wusste das sein stiller Vorsatz – sich nach Möglichkeit im Hintergrund zu halten – fast garantiert zum Scheitern verurteilt war.

Zusammen schlugen sie wenig später beim Zelt des Feldkaplans auf. Loriann hatte sich schon aufgemacht, dann aber besonnen und zumindest Schuhwerk angezogen.

Turi hasste es, diese Briefe zu schreiben, konnte es aber dennoch nicht bleiben lassen. Sie berichtete nun schon zum dritten Mal von dem Heerlager hier in Gallys, erzählte von den Geschehnissen, den Pferden und dem Fass, nur um sich anschließend erneut vom Wohlergehen ihres Sohnes zu überzeugen. Sie betete, ja, betete darum, dass Reo beim Bruder ihres Mannes gut aufgehoben war. Erneut stellte sie fest, dass sie ihn nicht mochte, diesen affektierten hochnäsigen Erleuchteten. Wie ihr dieser Titel auf die Nerven ging! Und bisher hatte er auch auf keinen ihrer vorherigen Briefe geantwortet. Kurz blickte sie auf, um nach ihrer Schülerin und ihrem Mann zu sehen. Das hatte sie sich in den letzten Tagen angewöhnt, immer wissen zu wollen, wo beide waren. Sie erblickte Maire konzentriert über einem fast leeren Pergament sitzen, worauf sie schreiben üben sollte. Sie hatte der kleinen Schülerin, in Ermangelung einer umfangreichen Bibliothek, das Brevier der zwölfgöttlichen Unterweisung als Vorlage gegeben. Die Kleine mühte sich beim Schreiben und schob, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt konzentriert war, die Zungenspitze von einem Mundwinkel in den anderen.

Hane werkelte an seinem Schrein. Vor kurzem noch hatte er sich mit einigen Soldaten unterhalten und diese gesegnet. Angst vor dunkler Magier griff um sich, und er hatte viel zu tun.

Wenigstens konnten sie draußen arbeiten, das Wetter war freundlich in dieser Jahreszeit. Schon wollte sie wieder zur Feder greifen, um den Brief nach Elenvina zu beenden, da sah sie Maires Mutter, gemeinsam mit einem ihr dunkel bekannt vorkommenden Ritter, auf sie zukommen. Sie beendete den Griff nach der Feder nicht, sondern lehnte sich in ihrem Stuhl zurück um abzuwarten. Schnell vergewisserte sie sich, dass ihr Magierstab an ihrer Seite stand, griffbereit. [Chris(Turi)02.06.2016]

Der Weg durchs Heerlager und die Bewegung hatte Loriann ruhig werden lassen. Und still. Stumm waren sie und der Richtwalder zu dem merkwürdigen Zelt der Magistra spaziert. Doch war die Junkerin nur äußerlich ruhig. In ihr drinnen brodelte es gewaltig. Gedankenfetzen und Ideen flogen nur so durch ihren Kopf. Basin hatte ihr mit seiner Anregung, den Vertrag aus einem anderen Licht zu betrachten, ganz neue Perspektiven aufgezeigt. Das Machwerk schreckte sie nun umso weniger, je länger sie darüber nachsann, dass ihr junger Freund im Grunde Recht besaß: das mit den darin festgelegten Rechten und Pflichten war vielfältig interpretierbar und ohne konkrete Aussagen längst nicht so eine enge Kette, wie sie bislang geglaubt hatte, unterschrieben zu haben. Trotzdem ließ Loriann die Euphorie außer Acht. Zu sehr war sie, was das Ganze anging, ein gebranntes Kind.

Als Loriann Turi vor der Behausung an einem Tisch sitzen sah, schlug ihr Herz schneller und fingen ihre Hände an zu schwitzen. Ihre Anspannung stieg stetig an und erreichte einen vorläufigen Höhepunkt, als sie in Begleitung Basins naher trat. Ihr Gruß fiel militärisch kurz aus und zeugte davon, dass sie nicht hergekommen war, um der Magierin beim Briefeschreiben zu helfen.

„Magistra… ich hoffe, wir stören nicht?“ sprach sie anschließend mit erzwungener Höflichkeit. Sie warf auch einen lächelnden Blick hinüber zu ihrer Tochter, riss ihn dann jedoch wieder von dort fort, denn sie wollte sich konzentrieren. Maires Anwesenheit war Loriann schon Ablenkung genug, denn es hemmte ihren verwegenen Plan, der Magistra ohne Vorankündigung die Anklage um die Ohren zu pfeffern.

Dezent hielt sich Basin zurück, dennoch kam er den Verpflichtungen der Etikette vollumfänglich nach. Sich ein Stück hinter Loriann haltend grüßte er mit einer höflichen Verbeugung Turi. Dabei zeigten seine schmalen Lippen das gewohnte, leicht schelmische Lächeln, wobei seine Augen gleichermaßen schuldbewusst und entschuldigend dreinblickten. Bei seiner Verbeugung in Richtung der kleinen Maire war davon keine Spur mehr, voll und ganz strahlte er die ihm typische vertrauenserweckende Aura aus.

Maire hatte aufgesehen und erst ein erfreutes „Mama!“ von sich gegeben, gefolgt von einem im Vergleich dazu geradezu begeisterten „BASIN!!“

Kühl blickte die Magistra der Mutter ihrer Schülerin entgegen. Wenn sie es sich eingestand, war sie immer noch erbost über die Undankbarkeit, welche ihr von dieser Person entgegengebracht wurde. Hatte sie nicht mit Hilfe ihres Mannes das Kind vor einer Stigmatisierung durch die ach so intoleranten Nordmärker bewahrt? Und dann musste sie sich noch Vorwürfe und einen unmöglichen Ton gefallen lassen. Nein, über diesen Besuch freute sie sich überhaupt nicht.

„Können wir allein sprechen?“ Eigentlich war es nicht nötig, aber dennoch folgte ein Seitenblick auf Maire.

„Wir können uns gerne hier vor meiner Jurte unterhalten, oder habt ihr Geheimnisse vor Eurer Tochter?“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue reagierte Turi auf die Geheimniskrämerei der Junkerin.

Die Erwiderung passte ihr ganz und gar nicht. Sie wollte eigentlich nicht vor Maire über dieses heikle Thema sprechen, aber nun ging das wohl nicht anders, wie es schien. Ihren Widerwillen konnte die Magistra Loriann ansehen, als sie erneut das Wort ergriff. „Nein, ich habe keine Geheimnisse vor meiner Tochter. Ich wollte nur – ach, lassen wir das.“ Loriann musste sich schwer zügeln. Sie hatte Gegenwind erwartet, aber nicht so früh. „Gut. Reden wir nicht lang drum herum. Eure Zeit ist bemessen. Und meine ist es auch. Ich bin hier, weil ich euch drauf hinweisen will, dass ihr laut unserem Vertrag verpflichtet seid, Maire,“ an dieser Stelle sah Loriann ganz bewusst zu ihrer Tochter hin. Sie wollte eigentlich vermeiden, dass die Kleine all das hörte, aber vielleicht bewirkte ja die harte Wahrheit etwas. Und wenn es nur das war, dass Maire erfuhr, welche Angst Loriann um sie hatte. „vor Schaden zu bewahren! Und zwar so, wie ich es als Mutter täte, wenn ich sie nicht an euch ‚überschrieben‘ hätte. Das heißt: Nicht nur ICH habe mich verpflichtet, euch zu… vertrauen,… sondern auch IHR habt euch verpflichtet: zum einen, Maire in eure Familie aufzunehmen, zum anderen, sich ihrer anzunehmen, mit allem was dazu gehört! Ihr geistiges Wohl kann euch doch nicht über ihr körperliches hinwegsehen lassen!“ Die Junkerin lehnte sich mit den Händen auf dem Tisch auf, deutlich bemüht, die Beherrschung nicht zu verlieren. Aber sie hatte ihre liebe Not damit, das konnte man ihr wahrlich ansehen.

„Turi! Ich spreche heut nicht als Mutter zu euch, denn wir scheinen beide sehr unterschiedliche Ansichten von Mutterschaft zu haben, sondern als diejenige, die diesen Vertrag unterschrieben hat. Genauso wie ihr und euer Mann. Also wenn ihr von MIR verlangt, dass ich danach handle, dann kann ich im Gegenzug genauso von euch verlangen, dass auch IHR danach handelt! Ihr habt das Recht, über Maire zu bestimmen? Dann seht auch ein, dass ihr die Pflicht habt, euch um Maires Leib und Leben zu kümmern!!“

Sie rollte mit den Augen und stöhnte in Agonie: „Bei den Zwölfen, der junge Wohlgeboren von Richtwald soll mein Zeuge sein, dass ich mich persönlich darum kümmere, dass Maire wohlbehalten nach Elenvina zurückreisen kann. Nehmt ihr sie jedoch immer noch weiter mit auf diese Höllenreise, soll er mein Zeuge sein, dass ich euch mit allen mir möglichen Mitteln belangen werden, wenn dem Kind etwas zu Schaden kommt!“ Ein kurzer Blick zu Basin, dann trafen sich die Blicke Turis und Lorianns und sie vereisten.

Maire war während dieser Worte ganz klein und still geworden und hatte angefangen, auf dem Stil ihrer Feder herum zu kauen. Bei Lorianns letzter Drohung hatte sie ihn schließlich ganz zerbissen, traute sich aber jetzt nicht die Splitter des Federkiels aus ihrem Mund zu fischen, so gefangen war sie ihn dem Gespräch zwischen ihrer Mutter und ihrer Lehrmeisterin. Sie erinnerte sich an den letzten Streit. Der hatte in Gratenfels stattgefunden, kurz vor der Abreise nach Gallys. Nun würden sie in ein paar Tagen wieder aufbrechen, und nun musste die beiden also erneut zanken? Warum? Längst hatte sich Maire mit der Möglichkeit angefreundet, im Osten Neues entdecken zu können, und auf dem Weg dorthin würde ihr die Magistra viele Dinge beibringen, auf die andere Scolaren im gleichen Alter noch warten mussten – hatte die Magistra gesagt. Darüberhinaus WOLLTE sie doch all diese Dinge sehen: das vielbesagte Mendena und die gefährlichen Schwarzen Lande, wo es allerlei furchtbare Dinge gab, die man sich nicht ausmalen wollte, aber die Maire gleichermaßen schockierten wie faszinierten. Niederhöllische Kreaturen, Paktierer, dürstende Gewässer, hungrige Wälder, brennende Erde und Kreaturen, geboren von der pervertierten Natur, wie etwa Rehe mit zwei Köpfen. Die Magistra erzählte ihr immer wieder davon und auch, dass man sich am besten mit Zaubern gegen Dämonenwesen zur Wehr setzen konnte, wie eben die, welche die Magistra sie lehrte. Maire fühlte sich gut informiert, ebenso gewappnet. Immerhin hatten die Magistra und Ehrwürden Hane schon einmal gegen diese Lande gekämpft. Ihre Mutter nicht, die hatte ja nur gegen die Orks gestanden…

Der Zwölfjährigen ging das Gezänk der beiden Frauen nahe. Aufhören sollten sie. Beide. Und wenn es nach Maire ging, dann sollten die beiden sich einfach die Hand geben und wieder Freunde sein, denn sie hatte beide furchtbar lieb und wollte sich nicht entscheiden müssen, wem sie letztlich Recht in dieser überflüssigen Streiterei gab.

Aber man fragte sie ja nicht. Man redete nur immer über sie, als sei sie gar nicht da. Doch war sie sehr wohl da und hörte außerdem jedes böse Wort. Und jedes tat ihr weh.

Immer finsterer wurde der Blick der Magistra, als sie den Drohungen und Vorwürfen der Junkerin lauschte. Auch Ihr Gemahl, der Praiosgeweihte Hane von Ibenburg-Luring hatte aufgehört, an seinem Schrein die Kerzen für die nächste Andacht vorzubereiten, und hörte bisher einfach nur zu. Aber auch in seinem Gesicht zeigte sich Unmut, vor allem aber Enttäuschung darüber, dass diese leidige Angelegenheit erneut hochkochte. Er seufzte.

„Loriann,“ begann die Magistra „wieso kommst Du jetzt erneut damit zu mir? Ich dachte, wir hätten das in Gratenfels geklärt? Ich bin Dir nichts schuldig, keine Erklärung oder Rechtfertigung. Es ist meine Entscheidung, wie ich Deine Tochter ausbilde, und nur meine alleine. Punkt. Ich werde auf sie achtgeben, wie ich auf jeden anderen Scolaren achtgeben würde.“ Sie sprach langsam, deutlich und mit einem erkennbaren Aufwand, sich selbst zu beherrschen. In solchen Momenten dankte sie still ihrem Mann, dass er ihr mit so viel Geduld und Güte Wege zeigte, nicht sofort die Beherrschung zu verlieren.

„Aber ich bin es mir schuldig, und ja, verdammt noch mal, auch Maire!!“ entgegnete Loriann ihr und schlug zuletzt mit der Faust vor der Magistra auf den Tisch.

Nebenan zuckte Maire bei diesem Schlag zusammen.

„Außerdem wüsste ich nicht, dass wir uns duzen!“ Ihr Blick aus zusammengekniffenen Augen galt allein der Magistra und schnitt sich in diese wie heißer glühender Stahl.

Leise, fast im Flüsterton sprach Turi weiter, so dass nur Loriann ihre folgenden Worte hörte: „Du darfst es mir anrechnen, dass ich auf Deine lächerlichen Drohungen und Forderungen nicht eingehen werde, um Dich nicht vor Deiner Tochter bloßzustellen.“

„Und IHR,“ – wies die Junkerin die Magistra noch einmal darauf hin, dass sie lieber die förmliche Anrede bevorzugte, wobei sie hingegen nicht in den Flüsterton verfallen wollte, das sah sie gar nicht ein – „dürft es mir anrechnen, dass ich euch die Faust nur auf den Tisch schlage.“

Dann richtete sich Loriann wieder auf, ohne dabei den Blick mit der Magierin zu brechen. Sie wollte ja eine ganz bestimmte Sache nicht ansprechen, nie ansprechen, nur im allerhöchsten Notfall hatte sie sich geschworen, so dermaßen einzugreifen, doch nun sah sie diesen Notfall durchaus gekommen. Als sie ohne Umschweife die Stimme erhob, war klar, auf was sie hinauswollte:

„Maire, pack deine Sachen! Jetzt sofort! Die Ausbildung ist beendet!! Wir werden dich nach Hause bringen.“ Noch immer hielten sich Loriann und Turi mit stierem Blick gefangen. Betrachtern der Szene schien es, als lieferten sie sich ein Blickduell und derjenige, der den Augenkontakt zuerst brach, verlor mehr als dieses Spiel.

Maire hustete vor Schreck und popelte sich schnell ein paar Federkielsplitter von der Zunge, bevor sie zu einer überraschten Erwiderung fand. „Aber Mama… ich möchte nicht… nach Hause.“

Es war von beiden Frauen Loriann, die das Spiel verlor, denn sie sah jetzt entsetzt zu ihrer Tochter hinüber: „WAS? – Das entscheidest aber nicht du!“ Loriann glaubte, nicht richtig zu hören.

„Aber ich will… ich bin doch… ich muss doch…“ stotterte Maire, um Worte bemüht.

Die Entwicklung war leider abzusehen gewesen, dennoch wollten Basin beim besten Willen einfach nicht die richtigen Worte in den Sinn kommen. Zu Maire blickend schüttelte er sanft den Kopf. Das kleine Mädchen war zum Spielball von mütterlichen Instinkten und magischer Verbohrtheit geworden, eventuell vermochte diese kleine Geste ihr ein wenig Sicherheit zurückzugeben.

Anschließend legte er beschwichtigend die Hand auf die Schulter der aufgebrachten Reussensteinerin: „So leid es mir tut, doch wirst du Maire nicht mitnehmen können. Nicht ohne das Einverständnis der Magistra! Nicht ohne wortbrüchig zu werden! Nicht ohne Maires restliches Leben ruinieren!“

Ihr lag eben noch etwas auf der Zunge, etwas wie 'Dann werde ich eben eidbrüchig' - doch der letzte Satz Basins ließ Loriann augenblicklich verstummen. Seine letzten Wörter schnitten ihr tief ins Fleisch, vor allem die beiden Worte 'Leben ruinieren'. In ihrer Resignation vergaß sie ganz, sich aus Basins kräftigem, festen Griff zu winden, mit der er seine Freundin von handgreiflichen Dummheiten abhalten wollte, während seine moosgrünen Augen den Blickkontakt zu Turi suchten: „Magistra, Ihr beharrt auf die Einhaltung des Kontrakts - Vollkommen zu Recht und zum Wohle Eurer Schülerin. Es steht mir nicht zu, Euch in Eure Lehrmethoden hereinzureden, doch bitte bedenkt, dass Vieles, was wir in der kommenden Zeit sehen werden, unsere Verstellungskraft übersteigen wird. Gewährt Maire die Möglichkeit zum Reifen, dennoch solltet Ihr versuchen Maire einen Teil ihrer kindlichen Unschuld zu bewahren. Ansonsten denke ich, sollten wir nun gehen, Loriann!“

Die so angesprochenen brummte missmutig, trat dann aber tatsächlich einen Schritt von dem Tisch, an dem die Magistra saß, zurück und warf dabei Basins Hand von ihrer Schulter.

Turi hingegen giftete Basin förmlich entgegen: „Kindliche Unschuld! Was ist das? Wo gibt es die denn? Entweder sie schuften auf den Äckern bis die Rücken krumm und die Sinne stumpf sind, oder sie verkommen zu verzogenen Adelsgören, deren hesindianischen Künste und Einsichten in diese ‚unschuldige Welt, nicht weiterreichen, als sie einen Weinkrug werfen können. Ich zeige ihr“ dabei deutete sie auf Maire „diese Welt, so, wie sie ist. Brutal und grausam, und nur wer sich selbst zu schützen vermag, kann darin bestehen. Mit ihren magischen Fähigkeiten, die sie auf so beeindruckende Weise vor dem versammelten Nordmärker Adel und der Praiosgeweihtenschaft präsentiert hat, wäre sie Freiwild geworden. Man hätte sie in einen Tempel geschleift, um ihr Madas Erbe auszubrennen oder sie ihr Leben lang beobachtet, immer mit Misstrauen und Furcht in den Augen, ihr stets das Schlechteste zugetraut. Hättet IHR, Edle Varaldyn, ein solches Leben für Maire gewollt? Nein? Das weiß ich und das glaube ich auch nicht. Und ich will es für sie auch nicht. Und wie dankt ihr mir ihren Schutz?"

Schutz? - Loriann glaubte wirklich nicht richtig zu hören. Hörte die Magistra sich denn überhaupt selbst zu beim Sprechen?? Sie hatte Zweifel daran. Und das trotz aller Wahrheiten, die die Magierin aussprach und von denen Loriann wahrlich froh war, dass keine eingetroffen war.

"Ich bin für eure Tochter aufgestanden und habe sie als meine Schülerin angenommen, just, als der Bruder meines Mannes schon nach der Inquisition rief. Habt ihr seinen Blick vergessen? Den Hass und die Abscheu in seinen Augen? Die galten eurer Tochter! IHR seid nur dagesessen wie ein Schaf und habt geglotzt, habt euch geschämt für Maire."

"Was?!?" An dieser Stelle trat Loriann erneut bis an die Tischkante heran. Allein das Holz des Tisches verhinderte, dass die Junkerin auf Schlagweite heranreichte. "Das ist nicht wahr. Und ihr wisst das!"

"Ich habe sie gerettet, verdammt noch mal. Sie wäre nie an die Akademie in Elenvina gekommen, sie war schon zu alt und zu gefährlich in ihren Augen.“ Turi atmete tief durch und blickte mittlerweile eher traurig denn zornig auf die beiden Besucher. Sie schloss kurz die Augen, hörte hinter ihren Lidern Loriann und Basin rangeln, und schüttelte mit dem Kopf. Als sie die Augen wieder öffnete, war ihr Blick klar und kühl, distanziert und enttäuscht. „So wie ihr mir gegenüber nun aufgetreten seid, Edle Varaldyn, weiß ich nun euren Grad an Dankbarkeit einzuschätzen und werde ihn künftig berücksichtigen. Ich hoffe, ich muss mich nie auf euch verlassen in diesem Krieg, in den wir ziehen. Und jetzt halte ich es tatsächlich für das Beste, wenn ihr geht.“ Sie war mittlerweile aufgestanden und wies Loriann mit der ausgestreckten linken Hand den Weg.

Diese kämpfte noch immer mit dem Junker von Richtwald, der sie festhielt und der nun verstärkt dazu überging, die wütende Freundin mit ganzem Körpereinsatz abzudrängen, auch wenn ihr Protest es ihm denkbar schwer machte, denn mit Überzeugung war es hier längst nicht mehr getan. Und mit sprechen auch nicht. Nur noch die Faust im Gesicht der Magistra konnte Loriann all die furchtbaren Worte vergessen lassen, die sie sich gerade anhören musste. Noch hielt zumindest ihre unbändige Wut die Tränen über ihre Niederlage zurück.

Das änderte sich aber, als Maire plötzlich unverhofft aufstand und ein flehendes, zaghaftes "Mama, bitte geh!" von sich gab, welches für den Bruchteil eines Augenblicks die Zeit anhielt, bevor es wie das Echo in den Bergen immer und immer wieder in Lorianns Geist eindrang, ehe diese begriff, was die Worte ihrer Tochter bedeuteten.

"Aber Schatz, … nein." Lorianns Widerstand starb. Wie niedergeschmettert konnte sie nicht einmal einen einfachen Satz mehr zu ende formulieren, geschweigedenn sich Basins Griffen erwehren. Ihre Gedanken hörten einfach mittendrin auf und gingen auf Wanderschaft. Ein Zauber? Loriann spürte einen unbekannten Schmerz, der sich ihrer bemächtigt hatte und der feucht ihre Wangen hinab rann, während Maire aufstand und sich entschlossen neben die Magistra stellte.

Die legte sogleich eine Hand auf die Schulter des Mädchens.

"Mama, ich WILL das hier!" erklärte Maire mit kraftvoller Stimme und einer Reife, die selbst Basin überraschte. "Ich will hier bleiben! Bei der Magistra. Und lernen! Von der Magistra. Ich will zaubern! Und ich will die Schwarzen Lande sehen und mithelfen, sie endgültig zu befreien! Ich weiß, dass ich das kann, Mama. Die Magistra und Ehrwürden von Ibenburg-Luring sagen, ich soll nur an mich glauben. Und das tue ich und sie tun es auch! - Aber warum glaubst DU nicht an mich, Mama?"

Loriann wollte eigentlich noch irgendetwas sagen, aber alle Worte blieben ihr im Mund stecken. Sie konnte nicht anders, als Maire fassungslos anzustarren. Denn zum ersten Mal in ihrem Leben konnte Loriann verstehen, welche verstörenden Gefühle ihr Vater gehabt haben musste, als sie sich gegen ihn aufgelehnt hatte, damals, bei der Heirat mit Ellerdan. Ja, es war verhöhnend wie sich Geschichte wiederholte. Als hätte irgendwer damals schon entschieden, dass Maire einst die selben Worten verwenden würde, die auch Loriann zu ihrem Vater gesprochen hatte… nur mit dem Unterschied, dass sie nun Loriann umso mehr in Stücke schnitten, als sie es bei alten Bernholm je gekonnt hätten. Unwillig nahm sie diese schmerzvolle Erinnerung hin, stille Tränen flossen ihr dabei das Gesicht hinab, das wie gemeißelt wirkte, bevor sie sich umdrehte und es Basin einfach machte, sie fortzuführen.

[…]

Sie musste hier fort. Sie konnte es nicht länger ertragen, diesen Schmerz zu fühlen. Hatte sich dieser das letzte Mal, als sie versucht hatte, Maire vor der Reise in den Osten zu bewahren, noch mit ein paar Bier hinunterspülen lassen, würde sie dieses Mal damit nicht weit kommen. Ihr war das seltsam bewusst. Vielleicht würde Abstand zu den Dingen bewirken, dass sie wieder zu sich finden konnte, oder zumindest zu einer Form zurück, in der sie funktionieren konnte, ohne, dass die Grausamkeit sie auffraß? Sie wusste es nicht besser, wenn sie es nicht wenigstens versuchte.

So wischte sie sich die feuchte Erkenntnis ihres verlorenen Krieges um Maires Kindheit von den Wangen und trat beherzt auf eine Gruppe Ritter zu, unter ihnen der Landvogt von Gratenfels, Melcher von Ibenburg, die just mit Gelächter und Vorfreude auf eine gute Zeit außerhalb des Heerlagers auf ihre Pferde stiegen, um freie Dienstzeit dazu zu nutzen, die Köpfe freizubekommen. Das erschien Loriann eine guten Gelegenheit zur Flucht.

"Basin, kannst du Roric bitte sagen, dass ich … mal raus muss?" bat sie den Junker von Richtwald, als sie sich hinter den Landvogt auf dessen Pferd schwang. "Er soll nicht kindisch sein und sich keine Sorgen machen, sag ihm das. Ich werde ganz sicher zurückkommen. Du hast mein Wort."

Eben noch hatte er Loriann noch zugesagt, dass er Roric informieren würde, da war diese auch schon mit der Gruppe auf und davon.

Langsam und sinnierend machte er sich wieder auf den Weg ins Lager der Firnholzer, während er zugleich über das eben erlebte nachdachte. Selten hatte er zwei derart verbohrte Gemüter aufeinandertreffen sehen, zumal ihm die Magistra mit ihrer barschen Art ein wenig undankbar vorkam. Natürlich war ihm klar, dass sie sich nicht auf einem Eiland der Glückseeligen befanden. Das Leben war hart und als Junker im wilden und spärlich besiedelten Schnakensee war man sich dessen mehr als bewusst. Dennoch gestand man auch dort den Kindern ihm Rahmen des Möglichen eine Kindheit zu und versuchte sie vor den Schrecken des Lebens – Tod, Verstümmlung und Dämonen – zu bewahren. So befand er, dass Maire die Wahrheit dieser Welt zu zeigen, ein wohlformuliertes Ziel war, aber Dämonen und ihre Schrecken sollten selbst gestandenen Männern und Frauen erspart bleiben.

*

Mit ausgeprägter Unlust lauschte Melcher dem wilden Stakkato des wolkenbruchartigen Regens, der auf die bemoosten Holzschindeln des Stalldachs fiel. Sein Schädel brummte. Er hatte sich am Abend zuvor einer Gruppe von nordmärkischen Adligen angeschlossen, als diese zu einem Ausritt ins nahe Umland des Heerlagers aufbrachen, wie sie es lachend nannten. Als sie dann nach kurzem Ritt diese alte Schenke entdeckten, beschlossen einige den Alkohol gleich für ihre Kriegskassen zu konfiszieren. Und wie das nun mal so ist mit Kriegskassen auf Reisen durch fremde Lande: am besten war es, erst überhaupt keine mitführen.

‚Herrje mein Kopf!‘, dachte Melcher, dieses Hämmern und dieser vermaledeite Wolkenbruch. Die letzten Tage über war es so schön gewesen. Heiß zwar und in der Sonne zur Mittagszeit direkt unerträglich, aber zumindest trocken. Aber wie jeder wusste, folgte auf Sonnenglut zumeist Wolkenflut. Nun, diese Regel schien sich mal wieder bewahrheitet zu haben.

Allmählich dämmerte der Tag, und durch ein kleines Fenster floss fahle Helligkeit in den staubigen Raum. Tiefes ruhiges Atmen, fast wie ein Schnauben, abwechselnd gepaart mit dem Rascheln von trockenem Gras und rhythmischen Malmen großer Kiefer begleitet Melchers Erwachen. Seine Nase vernahm den Duft von Schweiß, Fell, Stroh und tierischen Hinterlassenschaften, den noch der süßlich-herbe Geschmack jenes Starkbieres untermalte, dass der Ibenburger am gestrigen Tag für sich konfisziert hatte. Ganz in der Nähe brüllte eine Kuh. Und irgendwo gackerten Hühner. Melcher rümpfte die Nase. Er hatte sich zäh gegen das Erwachen gesträubt und die entgleitenden Traumbilder festzuhalten versucht, doch nun, sich widerwillig der Wirklichkeit öffnend, ertasteten seine Linke etwas warmes weiches Großes, das ihm den Bauch und die Brust wärmte. Dass es sich um einen fast nackten weiblichen Körper handelte, ließ ihn augenblicklich die Augen aufschlagen. Er hielt eine blonde Maid im Arm, deren Haupt er auf seinem rechten Arm gebettet sah, ihr langes, zerzaustes Haar kitzelte seine Brust. Ihrer beider Hüften lagen aneinander geschmiegt, er spürte die weichen Rundungen ihres Hinterns an seinem besten Stück. Als er sich nun regte, seufze die Maid leise im Halbschlaf.

Er sog ihren Duft ein, spürte ihren Körper, der seinem so nahe war. Er war in diesem Traum dieser Nacht wie ein ertrinkender Mann gewesen.

Etwas kitzelte sie. Sie war jedoch weder willens, die Augen zu öffnen, weil sie noch so müde war, noch den Arm auszustrecken, um sich zu kratzen, weil ...sie noch so müde war. Das Prasseln des Regens ließ sie allerdings nicht mehr wirklich in borongefällige Ruhe sinken. Eigentlich war es ein höchst einschläferndes Geräusch, doch war es im Moment jedoch alles andere als beruhigend, weil sehr laut und dröhnend und Loriann fühlte sich, als würden hunderte Eimer mit Steinen direkt und gleichzeitig neben ihrem Ohr ausgeleert. Dazu kam helles Rascheln und zunehmendes Jucken und Pieken am ganzen Körper. Das war es auch, was sie schließlich doch aufweckte. Unter Protest gab sie sich dem Morgen und der Erkenntnis hin, dass sie auf Stroh lag, halbnackt, nur noch mit ihrem Hemd bekleidet, das allerdings aufgeknöpft war. Ihr Kissen war ein männlicher Arm! 'Was zum--' sie fuhr mit einem Male auf und erschrak beim Anblick des braunen großen Pferdekörpers, zu dessen Füßen sie lag, nein, halt, in dessen Futter! So wachgerüttelt vernebelte ihr Schwindel kurzzeitig den Geist, damit einhergehend ein ganz bestimmtes ungutes Gefühl. Gegen die sich aufdringlichen Fragen, was sie hier machte und wo sie war, bewahrte sie vorerst noch die Übelkeit, und so presste sie sich die Hand gegen den Mund, während sie mit ihrer Selbstbeherrschung ein gefährliches Tänzchen vollführte. Ihr Kopf fühlte sich derweil übergroß, ja, wie matschiges Gemüse an, in das noch dazu ständig jemand mit schweren Stiefeln genüsslich hineintrat. Ihre Zunge war dick, ihr Hals schmerzte, der beißende Stallgeruch bohrte sich wie eine Klinge in ihr Hirn und Lorianns Glieder waren kalt und schwer. Bei Peraine! Wenn doch nur der hämmernde Lärm aufhören würde! Er und dass sie sich zu schnell aufgesetzt hatte, steigerten den schlagartig einsetzenden Kopfschmerz ins Unermessliche.

Vor lauter Schreck blieb ihr dann das Zuerbrechende glatt im rauen Hals stecken: Weil sie schlagartig eine Ahnung überfiel, wo sie sein musste und wer der Kerl sein musste, an dessen Seite sie in diesem Strohlager aufgewacht war, und was sie beide getan haben mussten, damit sie diesen besch…eidenen Morgen jetzt miteinander begrüßen durften, nackt und speiübel.

Nun erwachten langsam die Sinne des Ibenburgers. Er griff sogleich Loriann an beiden Schultern und hielt sie ein Stück von sich. „Aber Euer… Euer Wohlgeboren!“, stammelte er während seine Blicke immer wieder über Lorianns Körper, nun eher über ihren Rücken flogen. In ihrem blonden Haar hingen Grashalme aus dem Heu. „Was… was haben wir getan? War das echt?“ fragte er irritiert. Erst jetzt wurde ihm langsam klar, dass dies kein Traum gewesen sein kann.

Ach. Du. Liebe. Güte. Loriann schob die erdrückende Gewissheit noch einen trotzigen Augenblick beiseite und kämpfte gegen Drang an, aufzustehen und wortlos fort zu laufen. Er sprach witzigerweise aus, was sie sich auch fragte, aber anders als er kannte sie die Antwort. Und diese lautete leider, und da führte kein Weg dran vorbei: ja.

Selbige Antwort hatte Loriann durch den Nebel aus Erinnerungsfetzen, die sich aus Bier, sehr viel Bier, und Schnaps, sehr viel Schnaps, und ihrem Wunsch, Vergessen zu finden, zusammensetzten, angesprungen wie ein Floh. Und nun wurde sie dem Ärger über sich selbst nicht Herr, welcher über sie hereinbrach, wie die Übelkeit. Reiß dich gefälligst zusammen. Du wirst jetzt nicht vor ihm das Kotzen anfangen! rief sie sich selbst zur Ordnung und merkte sogleich, wie unsinnig das ganze eigentlich war, denn der Landvogt hatte ja bereits mehr von ihr gesehen, als irgendwer sonst auf dieser Welt. Es gab genau zwei Menschen auf diesem Dererund, die Vergleichbares kannten: einer war tot, der andere ihr bester Freund. Und jetzt gab es also auch noch ihn. Noch einmal: Reiß dich zusammen! Viel Achtung hast du nicht mehr, bewahre dir also den Rest!

"So förmlich, Melcher?" Es war mehr eine düstere Feststellung als eine ehrliche Frage, als sie über die Schulter sah und sich noch einmal entsetzt aller Erkenntnisse beugen musste, die ihr schmerzender Kopf zustande brachte. Ihm in die Augen zu schauen schaffte sie allerdings trotz größter Selbstbeherrschung nicht.

„Ihr habt… achje, DU, wollte ich sagen, du hast Recht Loriann. Beim Liebreiz Sanct Sulvas´ und bei der Wollust Sanct Tharvuns, den Standesdünkel haben wir ja letzte Nacht abgelegt, als wir der Versuchung erlagen.“ Er löste sich von Loriann, schälte aus ihrer beider Strohlager seine Kleidungsstücken heraus, die neben, unter und teilweise über ihnen lagen und hob sich schwankend auf die Beine. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Bienenstock. Er legte seine Hand an die Schläfe. „Versteh mich nicht falsch, aber was letzte Nacht geschah, muss ein Geheimnis, unser gemeinsames Geheimnis bleiben.“

Loriann griff nach einem Moment des Zögerns dann doch nach der Hand, die er ihr entgegenstreckte, um ihr hoch zu helfen. Dann standen sie beide das erste Mal bewusst voreinander, sie besaßen nur noch vereinzelt Stoff am Leib: ihr fehlte das Beinkleid, ihm dafür das Wams. Sie trug nur noch ihr Hemd, selbiges reichte zum Glück bis zu den Oberschenkeln hinab und verdeckte an ihrem Körper Dinge, die bei einer Edeldame besser nicht gesehen werden sollten. So entstand ein seltsamer Moment, als ihr Blick über seinen Körper huschte, und ihre Augen die Muskeln auf seiner von einem Flaum feiner brauner Haare bedeckten Brust nachzeichneten. Nicht vor Verzückung. Eher vor… Ungläubigkeit.

"Ein Geheimnis. Ja. Unbedingt!" murmelte sie leise dabei. Sie sah ihm noch immer nicht in die Augen, wirkte für den Moment sogar entrückt. Diese Männerbrust. Sie hatte sich an ihr ausgeheult, angelehnt, festgehalten – und selbige in einer großen Dummheit heraus mit Küssen bedeckt, in einer wirklich dämlichen, dummen Dummheit! Es war ihr also ebenso ein Bedürfnis, dass von diesem verhängnisvollen Rahjawerk nichts nach außen drang. Ein kurzer Gedanke an Roric, der nichts davon je verstehen würde. Dann daran, dass der Landvogt eine junge Frau besaß… Das war dann auch der Moment, bei der Loriann ein glühendes Messer ins Herz fuhr und sie erschrocken aus ihrem Tagtraum aufwachte. Bei der gütigen Herrin Travia, was für ein Frevel!

"Was geschah eigentlich letzte Nacht genau? Wie viel weißt du noch?" Ihr Blick, der nun doch in seine Augen ging, war mehr als gequält. "Ich fürchte, ich habe Lücken. Ich weiß nur, dass wir verdammt noch mal eine ganze Menge getrunken haben."

Dass sie sich darüber hinaus noch an eine ganze Menge mehr erinnerte, behielt sie lieber für sich. Sie wusste beispielsweise noch von dem anderen, diesem Ritter aus der Hauptstadt, von dem sie sich in die Besinnungslosigkeit vögeln lassen wollte, um zu vergessen, dass sie die schmerzende Ohnmacht über ihren Verlust auffraß. Hatte er ihr gegenüber nicht erwähnt, unter einem der letzten Herzöge Knappe gewesen und jetzt Hauptmann in der Flussgarde zu sein? Sein Name – keine Ahnung. Irgendetwas mit Bogen. Der Rest war ihr egal gewesen. Aber seine Avancen hatten ihr geschmeichelt, das wusste sie noch. Sie wusste auch noch, dass Melcher plötzlich dazwischen gegangen war. Diese Dreistigkeit hatte sie sehr aufgeregt. Aber wie es letztlich dazu gekommen war, dass sie ausgerechnet mit dem Gratenfelser Landvogt mehr als persönlich geworden war, noch dazu an einem Ort, der unter aller Würde für beide war, schien das letzte unbekannte Teilchen zu bleiben.

Um die unangenehme Nacktheit zu beenden, zog sie das Hemd mit der Hand vor ihren Brüsten zusammen und bückte sie sich nach ihrer Hose, die unachtsam mit ihren Stiefeln zwischen Heu und Erde lag, genauso ihr Wappenrock. Dabei musste sie feststellen, dass sich Übelkeit, Kopfschmerz und Hinunterbeugen nicht miteinander vertrugen.

Melcher erwiderte den Blick von Loriann. Blickte in ihr Gesicht. Stand vor ihr und hielt noch kurz ihre Hand, ehe sie ihm diese entzog. Sie war eine sehr gutaussehende Frau. Sie hatte einen athletischen, biegsamen Körper. Die letzte Nacht hatte er noch gut im Gedächtnis. Seine Gedanken kreisten noch immer. Diese wunderschönen vollen Brüste. Eine helle, leicht blasse Haut. Ihr Po rund, ihr Bauch flach. Kein Anzeichen war an ihr, dass verriet, dass sie bereits Mitte 30 und schon Mutter war. Oder zumindest waren sie ihm nicht aufgefallen.

Melcher fuhr sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar und fischte ein paar getrocknete Gräser heraus. Selbst jetzt brachte ihn die Erinnerung an diese Nacht ins Schwitzen. Er verdrängte die Scham, die ihn erfasste. Es war kein Liebesakt im eigentlichen Sinne gewesen. Sie hatten sich absolut kopflos einander hingegeben. Lorianns Hände hatten sich in sinnlicher Verzückung in sein Haar gekrallt, als er seiner Begierde freien Lauf gelassen und sich in einem Rausch aus Hitze, Lust und Schweiß verloren hatte. Er war in einen Abgrund gestürzt. Weißglühende Blitze waren in seinem Kopf explodiert, während er erschaudert und erschöpft neben der Varaldyn in einem Lager aus Futterheu eingeschlafen war. An Ort und Stelle ihrer beider 'Tat'.

Sein Blick wandte sich von Loriann ab und suchte kurz nach seinem Hemd, das er sich rasch über den Kopf zog. „Ich kann mich auch nicht erinnern, Loriann“, schwindelte Melcher.

"Dann ist es vielleicht besser so!" erwiderte sie erleichtert, kaum dass er es ausgesprochen hatte. "Ich meine, nicht, dass wir das Ganze, na du weißt schon, das mit uns, ungeschehen machen könnten. Aber ich bin irgendwie froh, dass ich nicht mehr weiß, was heute Nacht alles passiert ist. Um ehrlich zu sein, muss ich es auch gar nicht wissen." Die selbst dargebrachte Rechtfertigung ließ sie tatsächlich ein wenig schmunzeln und mädchenhaft erröten.

„Ich muss jedoch zugeben, dass ich schon lange nicht mehr so angenehm erschöpft gewesen bin.“ Seine Gesichtszüge hellten sich etwas auf, als er erneut der Reussensteinerin ins hübsche Gesicht blickte. Hoffentlich nahm die Junkerin ihm den kleinen Spaß nun jetzt nicht übel. Aber was geschehen ist, ist geschehen, dachte Melcher. Eigentlich wollte er ihr gestern Abend nur helfen keine Dummheit zu begehen. Sie hatte ihn nicht mal um Hilfe gebeten. Vielleicht war es zuerst die Verbundenheit zu den Firnholzern, die ihn hatte einschreiten lassen, als sich die Junkerin – die sich mit der Amtsverweserin des Baronstuhls, der Baroness Fedora ganz gut verstand, wie man sich erzählte – völlig bar jeglicher Vernunft einem Wildfremden opfern wollte. Eine Verbundenheit, die einst sein Vater schon pflegte.

„Ziehen wir unsere Sachen an und lass uns schauen, was es hier im 'Hotel Zum Fischkönig zu Elenvina', für ein Morgenessen gibt.“ lachte Melcher mit Anspielung darauf, in welcher Spelunke sie hier gesessen und getrunken… und am Ende auch genächtigt… hatten.

"Melcher, hältst du das wirklich für eine gute Idee?" Sie schlüpfte mit dem Ausdruck von Unwohlsein in ihre Hose und wankte einen Moment, bevor sie sich wieder fing. "Dann weiß doch jeder, dass wir--" Sie sprach es nicht aus.

„Ach was, mach dir keine Gedanken“, winkte Melcher die Bedenken Lorianns ab. „Der Adel ist sowieso tüchtig im Ratschen und Handklappern. Was denkst du wie geschickt einer im Schatten des Landgrafen mit der Zeit wird, solches Geschwätz hinterrücks zu entkräften.“ Melcher machte eine kurze Pause, wartet aber nicht wirklich auf eine Antwort der Junkerin. „Lasst uns etwas essen. Und vielleicht ein Bier gegen den Kater trinken“, sprach er lächelnd und schnallte sein Schwert an den Gürtel. „Ich verspüre Hunger." Die prächtige Klinge zog des Vogtes Beinkleider beinahe wieder herunter. Greiftreu wog schwer an der Hüfte an diesem Morgen, schwerer als an jedem Morgen zuvor. Aber er ließ es sich kaum anmerken.

Sie knöpfte rasch ihr Hemd zu und stopfte es in den Hosenbund, um gleich anschließend den Gürtel wieder einzuflechten. Eine Waffe hatte sie gestern nicht mit sich getragen. Beim Zusammenfügen der Einzelteile ihrer Garderobe suchte sie allerdings vergebens nach einer Erinnerung, mit wem sie diese so zerstückelt hatte. Aber wenn sie ehrlich zu sich war, es macht eigentlich keinen Unterschied: sie hatte in diesem Stall mit einem Mann die Nacht verbracht und sie hatte mit ihm Rahja gedient, daran gab es nichts zu rütteln.

Genauer gesagt hatte sie diese Nacht mit Melcher von Ibenburg verbracht. Dem Landvogt von Gratenfels, einem verheirateten Mann! Sie mochte es gerne glauben, aber letztlich war ihr bewusst, dass sie nicht alles auf den Alkohol schieben konnte. Natürlich hatte der überhaupt erst dafür gesorgt, dass es so weit mit ihr kommen konnte, und sie hatte sich ja auch äußerst dankbar in dieses weiche Bett aus Ablenkung und Vergessen fallen lassen - dennoch plagte sie jetzt das schlechte Gewissen. Ganz zu schweigen davon, dass der betäubende Rausch zu Ende war und das, was sie letzten Abend so verzweifelt versucht hatte zu vergessen, ja auch wirklich für ein paar Stunden vergessen HATTE, wieder in ihr Bewusstsein drängte. Maire. Und Turi. Und die Ohnmacht, mit ansehen zu müssen, wie es geschah, dass sie sich entfremdet hatten. Alle drei.

Loriann erinnerte sich dunkel an das Gespräch, das sie am Tag zuvor mit Basins geführt hatte. Sie war längst nicht so bewandert in Rechtskunde wir der jungen Schnakenseer Ritter, dem sie blind glauben wollte, dass es etwas bringen würde, noch einmal über den Vertrag, den sie über Maires Erziehung abgeschlossen hatten, zu streiten. Viel gebracht hatte es wahrlich nicht. Eigentlich hatte es überhaupt nichts gebracht. Im Gegenteil. Sie hatte nur noch mehr Würde verloren, den Respekt vor Turi als Mutter, Turi als Freundin, aber vor allem, und was am schlimmsten wog: sie hatte in den Augen ihrer Tochter an Achtung verloren!

Würde dies vergessen sein, wenn alles gut ausging und Maire das bittere Sterben bei der Befreiung der Schwarzen Lande überlebte, für das sich die Zwölfjährige selbst entschieden hatte? - und das auch noch mit einer Vehemenz, bei der Lorianns Töchterchen gar nicht wiederzuerkennen gewesen war.

Mama, warum glaubst du nicht an mich?

Maires Worte rissen Loriann auch einen Tag später noch in tausend Stücke.

So verwundet, gewann letztlich doch die Übelkeit. Und sie drehte sich eilig weg, hastete in eine nahe Ecke des Stalls und übergab sich, während ihr ein paar verstörte Schweine zusahen.

„Loriann? Geht es dir nicht gut?“, fragte Melcher mit sorgenvoller Stimme. Schneller als er es sich selbst an diesem Morgen zugetraut hätte, stand er neben ihr, stützte sie und hielt sie fest. Dabei musste er sich selbst irgendwo mit der Hand abstützen, denn auch er spürte deutlich die Auswirkungen ihres Zechgelages. „Lass mich nach einem Knecht rufen und ihn zu einem Medicus schicken.“

Sie winkte energisch ab, während sie immer noch den Kopf gen Erde hielt. "Nein… untersteh… dich!" Dann war alles draußen war, was raus wollte.

"Ich trinke normal nicht so viel." erklärte sie, als es ihr deutlich besserging. Doch war es ihr mehr als peinlich, dass Melcher sich so um sie sorgte. Er brauchte das nicht. Es sollte das nicht!

Jetzt, da ihr Magen leer war und auch die Übelkeit sich deutlich besserte, erhielt der Gedanke an eine kleine Mahlzeit doch etwas Lohnenswertes. Wenn auch ein anderer Schmerz in ihr bleiben würde, aber vielleicht würde mit etwas im Magen wenigstens der Kopfschmerz besser werden?

*

Er sah ihnen nach wie sie den matschigen Hof zur Schenke überquerten und duckte sich in das nasse Laub eines blühenden Hollerbuschs hinter dem verwitterten Stall. Langsam atmete Arnbrecht ein – wohl das erste Mal seit dem Lachen des Mannes, dessen Stimme er zu erkennen geglaubt hatte: Melcher von Ibenburg. Seine Begleiterin bändigte gerade eilig mit geübten Griffen ihr auffälliges, hüftlanges Haar zu einem Pferdeschwanz, bevor beide im Inneren verschwanden. ‚Loriann, also‘, überlegte der junge Ritter, fröstelte in seiner vollständig durchnässten Jagdkleidung und war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Kaum gelang es ihm, die Wut auf den unwürdigen Landvogt niederzukämpfen, der den traviaheiligen Eid zu Orina schmählich gebrochen hatte und auch noch frohgemut lachte! Schmerzhaft krampften sich seine Finger am den Ledersack mit dem Kaninchen und den Waldwachteln. Wenn er doch stattdessen nur Hand an den Ibenburger legen könnte, er würde… ‚Nichts wirst du!‘, schollt er sich selbst und mahnte sich zur Vernunft. Fast schmerzhaft löste sich Arnbrecht aus der Erstarrung und zog sich langsam zurück. Die Hoffnung auf ein Frühmahl ließ er nur zu gerne fahren, da er sich nicht nochmals seiner flammenden, unwägbaren Wut über den Ibenburger aussetzen wollte.

Leise durchquerte der Waidmann die Hecke, lief rasch am Gatter der Koppel entlang hinaus in offene Grasland der Baernfarnebene und hielt sich abseits der Wege. Verbissen schritt er voran und spürte wie die Anstrengung langsam Leib und Seele wieder näher zusammenbrachte. Übermächtig kehrte der Sturm von Arnbrechts Gefühlen für die von ihm geminnte Orina zurück und ließ die Wut auf ihren Gemahl zur Glut abebben. [Arnbrecht von Wellenstein /Maik]

*

Das Brot füllte den leeren Bauch. Zumindest machte es satt und auch ein wenig zufrieden, wenn doch ihr schweres Gemüt und die anhaltenden Kopfschmerzen für eher spärliche Unterhaltung am Tisch sorgte. Loriann mochte nicht an ihre Rückkehr denken. So viel gab es zu erklären, zu rechtfertigen – zu verdrängen! – nicht nur diese unrühmliche Nacht, für die sie sich schämte, für die sei sich ärgerte und für die sie sich hasste. Das Messer, das in ihrer Brust ausharrte, seit es Hanes Nachricht in Gratenfels dort hineingestoßen hatte, schnitt bei jedem Gedanken an das Vergangene tiefer, denn zu dem Unwohlsein Maire betreffend hatte sich deutlich ein anderes gesellt, nämlich die Frage, ob sie Melchers junger Frau jemals vor die Augen würde treten können., ohne daran denken zu müssen, wie sie es mit deren Gemahl getrieben hatte. Wie Tiere. So frühstückten sie fast still.

Melcher langte kräftig zu an diesem Morgen und der fremdartige Tee schien sogar seinem Kopf gut zu tun. Nur Gelegentlich trafen sich seine Blicke mit denen der Junkerin.

„Eigentlich seid ihr…. bist du, Loriann, im Rang über mir.“ Melcher schien um jeden Preis die Stimmung der Junkerin aufhellen zu wollen. „Manchmal scheint es bestimmt so, als wäre ich dem Schnupftuch näher als dem Schwert“.

"Hm, was?" Loriann sah von ihrem Teller auf, als er sie ansprach. Sie hatte nicht zugehört, sondern sich ihren Gedanken hingegeben. Gerade der Frage, welchem Geweihten sie ihre Seelennot offenbaren sollte.

Melcher fuchtelte mit einer Hand in der Luft herum als fielen ihm die Worte so schneller ein. „Manchmal glaub ich's gar selbst. Aber dem ist nicht so. Auch wenn ich nicht ständig in einer Rüstung stecke, bin ich ein Edelmann und weiß was Tugend und Anstand bedeuten und ich möchte, dass wir diese Nacht in guter Erinnerung halten und wir uns trotzdem in die Augen sehen können“. Melcher nahm einen großen Schluck Tee, während Loriann sich in ihrem Stuhl zurücklehnte und eher Abstand nahm. Vielleicht würde sie zu Hochwürden Yvetta gehen, die hatte ihr schließlich schon einmal geholfen. Und ganz sicher würde die Hochwürden auch ein Mittelchen haben, um einen solchen Ausrutscher, wie er Loriann unterlaufen war, keiner weiteren Bedeutung zukommen zu lassen.

"Was willst du in guter Erinnerung halten, Melcher? Dass wir's im Suff wie Tiere getan haben?"

Er ging nicht darauf ein, zumindest nicht so, wie sie es sich vielleicht gewünscht hatte. Und sie fand: er war ein seltsamer Kerl. „Beim Thema Tier: Wusstest du, dass man erst unlängst unten in Vinsalt das wohl erste Schnupftuch aus Bosparans Zeiten ausgegraben hat?“. Nach einer kurzen Pause löste der Vogt auf „Es war ein Schaf“, und lachte.

Ihr Blick ließ keine Schlüsse ziehen, ob sie den Witz nicht verstand und daher nicht lachte, ob sie nicht lachte, weil sie ihn dämlich fand, oder ob ihr sonst aus irgendwelchen Gründen schlichtweg nicht zum Lachen zumute war. Jedenfalls verzog Loriann keine Miene und schob stattdessen sogar ihren Teller mit gut der Hälfte ihres deftigen Frühstücks von sich. "Ganz ehrlich, Melcher, wir sollten diese Nacht überhaupt nicht in Erinnerung behalten! Sie hat stattgefunden, leider, und daran können wir nichts mehr ändern, das ist der Sache genug. Reden wir also jetzt bitte nie mehr drüber! Einverstanden!?"

Just in diesem Moment kam der Ritter vom gestrigen Abend in die Stube und Loriann sah schnell weg, als sie ihn erkannte. Der Kerl war eine ähnliche Erscheinung wie Melcher und sie: das Haar erfolglos in Form gebracht, dicke Ringe unter den Augen, blasse Hautfarbe, schlurfender Gang, er sah auch nicht wirklich ausgeruht aus. Der mögliche Grund dafür kam knapp hinter ihm in Gestalt eines jungen Mädchens die Treppe hinab. Die Maid verschwand sogleich in die Küche, nachdem sie dem Recken noch einen sehnsüchtigen Blick zugeworfen hatte, der Anbetung und Stolz enthielt. Zwei Dinge, die Loriann selbst kein bisschen empfand, wenn sie sich ihren eigenen Rahjagefährten ansah.

Der Flussgardist blickte natürlich zu der Junkerin und dem Vogt hinüber, hatten sie alle doch am Vorabend ganz nett zusammen gebechert und sich zumindest bis zu einem bestimmten Moment auch noch ganz gut verstanden. "Morgen!" rief er provokant durch die Stube und er gab Loriann mit einem süffisanten Grinsen zu verstehen, dass er auch ohne sie Spaß gehabt hatte.

Als weder Loriann noch Melcher Anstalten machten, den Gruß zu erwiderten, zuckte der Kerl nur mit den Schultern und zahlte beim Wirt, was er ihm noch schuldig war. Dann warf er der Maid, die aus der Küche lugte, eine Münze zu.

Loriann drehte angeekelt den Kopf beiseite. An dieser Stelle war sie dann doch irgendwie seltsam froh, dass sie hier mit Melcher saß. Der legte nämlich nicht jede kleine Schankmaid flach und bezahlte sie dann auch noch wie eine Hure…

*

Ihr beider 'Abschied', so man diesen so bezeichnen konnte, fiel nüchtern aus. Es war eher ein kurzes Nicken, ein letzter Blick, ein ermunterndes Lächeln seinerseits, das Loriann allerdings nicht erwiderte. Sie kamen zusammen auf Melchers Pferd sitzend zurück ins Heerlager geritten, just, da die Morgenandachten vorbei waren. Sie hatten heftig darüber diskutiert, dass er sie als Edelmann gerne direkt zu ihrem Zelt bringen wollte und dass sie hingegen genau dies unbedingt zu vermeiden gedachte. So rutschte Loriann vom Rücken von Melchers Pferd, kaum, dass sie das Nordmärker Lager erreichten, und klopfte zum Dank dem Gaul die Flanke.

[Melcher von Ibenburg (Mathias) + Loriann von Reussenstein (Tanja)]