Haffax Feldzug Gallys Altes Und Neues

Altes und Neues

Inhalt:

  • Die Junkerin von Reussenstein, Loriann Varaldyn zu Reussenstein, zieht es ins Heerlager der Greifenfurte, um dort einen unbekannten Bekannten zu treffen, mit dem sie bisher nur Briefkontakt hatte. Der junge Ritter Rodrik von Wildenhoffen lädt sie zum Mahl in sein Zelt ein.

Dies war also Gallys. Der Sammelort der Streiter dieses Reiches. Alle waren gekommen, als SIE rief: Windhager, Almadaner, Horasier, ehemalige Darpatier, Greifenfurter, Perricumer, Warunker, Beilunker, Aranier… Ja auch Nordmärker und Albernier, die beide in der Vergangenheit zweifelhaften Ruf erworben hatten, nicht unbedingt das zu machen, was man von ihnen erwartete. Ein furchtbar lautes Gesumm und Gebrumm lag über der Baernfarnebene, das Wiehern tausender Pferde, das Scheppern, Scharren, Surren von Kriegsgerät, unendlich viele Stimmen. Selbst in der Nacht kam ein so großer Pulk an Menschen und Tieren nicht gänzlich zur Ruhe. Unermüdlich hielten die Trossküchen ihre Feuer am brennen, so schien es ihr zumindest, denn irgendwo saßen immer irgendwelche Leute zusammen, aßen und pflegten Kameradschaft. Und ebenso unermüdlich wehte der Wind eine Komposition aus Unrat, Waffenöl, Eintopf und Pferd durch Lager. Die Heere der einzelnen Provinzen verschmolzen zu einem Heer, die einzelnen Zeltdörfer zu einer großen Zeltstadt, die zu durchqueren man ein gutes Stundenglas benötigte, wenn man sich eilte – was aber angesichts der Trampelpfade, die sich wie Laufwege von Mäusen im Schnee in einem angeblichem Chaos durch das Lager zogen, fast nicht möglich war. Es gab ja so viel zu sehen.
Und so war ihr Gehen auch eher ein Schlendern, bei dem sich die Firnholzer Junkerin inspirierend, neugierig, aber ja, auch etwas schwermütig umsah. So viele Leute auf einem Fleck vereint! Das letzte Mal, als sie dies gedacht hatte, lagerten sie, Roric und Ellerdan mit anderen Honingern im Seenland, wo es die Westlande gegen die eingefallenen Orks zu verteidigen gab. Seltsam war daher das Gefühl, am Lager der Albernier entlang zu streifen und so manches Banner zu erblicken, das ihr aus der Vergangenheit bekannt vorkam. Obwohl sich hier alle Mühe gaben, das gemeinsame, großartige, hehre Ziel in den Vordergrund zu schieben, ließen sich doch innere Gefühle und das, was man erlebt hatte, egal ob miteinander oder gegeneinander, nicht gänzlich ausblenden. Irgendwo hier würde sie auch das weiße Einhorn auf grünem Grund finden, das Wappen des Hauses Herlogan, an welches Loriann würde herantreten musste, würde sie alte Ansprüche auf das Familiengut ihres verstorbenen Mannes im Südosten Niederhoningens geltend machen wollen. Nein, nicht für sich selbst, denn Loriann fühlte sich der firnholzer Grenzburg ihrer Familie mittlerweile durch eine Hassliebe hindurch verbunden und es würde viel dazugehören, sie von diesem Zuhause erneut weg zu holen. Loriann interessierte es eher in Bezug zu ihrer Tochter. Die kleine Maire war nämlich das letzte erbberechtigte Mitglied des Hauses Varaldyn, und selbiges hatte westlich des Udenauer Sees auf albernischer Seite ein recht ertragreiches Rittergut besessen. Der Gedanke an das schöne Gehöft, von dem Loriann irgendwann einmal gedacht hatte, dass sie ein glückliches Leben dort führen würde, reute sie. Saß denn immer noch ein Günstling Isoras darauf? Oder war es schon verfallen, geschliffen?
Auf der anderen Seite gehört dieses Leben eindeutig der Vergangenheit an und da Maire ein magisch begabtes Kind war wohl die Ansprüche auf das alte Gut der Varaldyns auch. Loriann trug zwar noch den Familiennamen Ellerdans, geriet dieser aber in den Nordmarken zunehmends zu einem Beinamen, der ohne Bedeutung war. Doch anders als ihr Freund Roric, dessen Familie in Honingen ebenfalls ein ritterliches Lehen besessen hatten, war der Junkerin vom Reussenstein die Vergangenheit nicht gleichgültig. Und es ließ sie auch nicht kalt, all die Wimpel und Fahnen zu sehen, zu denen sie sich vor langer Zeit seltsam zugehörig gefühlt hatte.
Dem Albernier Roric ui Cormac hingegen war es schlichtweg egal, ob es die Orte seiner Kindheit noch gab oder ob der zurückliegende Krieg sie ebenfalls weggefegt hatte wie andererorts Leben. Ellerdans Leben beispielsweise. Oder andere aus den Häusern Varaldyn und Cormac. Loriann nahm Roric diese Kaltschnäuzigkeit zwar nicht ganz ab, aber nachdem sie oft erfolglos versucht hatte, ihn zu bewegen, doch wenigstens mit ihr einmal einen Spaziergang durch das albernische Heerlager zu machen, nur um zu schauen, ob noch jemand sie beide kannte, war sie letztlich am sturen Dickkopf des Alberniers abgeprallt und hatte sie es wehmütig eingestellt, überhaupt davon zu sprechen. Eigentlich schade, fand sie, die leider alleine den Mut nicht aufbrachte, sich als Schwiegertochter Ritter Aelbrons und Gemahlin dessen Sohnes Ellerdan zu offenbaren.
So machte sie, sentimental eingestimmt, unerkannt einen Schlenker durch die Zeltstadt der Westländer. Ihr Reussensteiner Wappen, den Bären auf Gold neben Rot würde hier niemand kennen. Sie selbst suchte das doppelte Axtblatt der Riunads leider vergebens. Offenbar hatte Faernwid seine Drohung wahr gemacht und war dem Heerbann tatsächlich nicht gefolgt. Bedauerlich. Loriann hätte sich wirklich gerne mit dem angeheirateten Anverwandten auf einen Plausch getroffen, denn seit ihrem letzten persönlichen Treffen an der Travienbundturney zu Elenvina waren viele Monate ins Land gezogen und außer ein paar Briefen waren sie und der junge Riunad-Ritter sich fremd geworden. Sie wusste nicht einmal, ob Faernwid nun schon geheiratet hatte, oder ob das Fest noch ausstand. Irgendwie waren ihr in den letzten Monaten die Dinge, die nicht mit dem Feldzug zu tun hatten, entglitten.
Ein weiterer Gedanke vernachlässigter Pflichten streifte sie: Von ihrer Schwiegermutter Ionait ni Riunad, einer Tante Faernwids, die ebenfalls in Tannwald lebte, hatte sie auch schon lange nichts mehr gehört. Loriann hatte das Vorhaben, der älteren Dame noch einmal vor der Abreise in den Osten zu schreiben, erst ein paar Mal auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, dann beim Warten auf eine Gelegenheit, die mit Zeit und Lust für diese Art der Kommunikation zusammenhing, schändlich vergessen. Vielleicht sollte sie beiden in den kommenden Tagen ein paar Zeilen widmen.
Loriann nahm diese Idee in sich auf. Sie würde ganz bestimmt Zeit finden, solange sie hier alle auf das Abrücken warteten.
Mit etwas Anderem wollte sie jedoch nicht warten! Denn sie wusste, dass zumindest ER da sein würde. Und so durchquerte sie das Lager der Albernier und schlug den Weg zum Lager der Greifenfurter ein, die oberhalb davon ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Geschrieben hatten sie und er sich ja, dass sie sich in Gallys treffen wollten. Nur nicht wann. Loriann mochte nun also gerne das Gesicht des Hexenhainers sehen, wenn sie jetzt einfach so vor ihm auftauchte, unangemeldet und unerwartet und vielleicht ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte - kannten sie sich doch nur durch Briefe. Die Reussensteinerin schmunzelte in sich hinein und musste sich eingestehen: sie war nervös wie nur selten zuvor. Und sie hoffte, dass man es ihr, als sie sich zu dem Wildenhoffener Ritter durchfragte, nicht unbedingt ansah….
Ein Albernier aus den Seenlanden hatte ihr den Weg zum Zelt des Greifenfurters gewiesen. Vor dem besagten Zelt gab es lautes Geklirr von Metall auf Metall, während zwei Männer mit Schwertern aufeinander einhieben. Der größere, dunkelhaarige Mann attackierte den etwas kleineren wieder und wieder. Dieser konnte sich kaum seiner Haut erwehren: "Schneller Praiwin, du musst schneller werden. Gegen die Orken hat das Glück dich beschützt, dieses Mal muss es dein Können sein."
Schon beim Näherkommen war so eine Ahnung in Loriann gewesen. Rodrik hatte sich als Mitte 20 beschrieben und irgendwie passte das Bild, das sie bislang von ihrem Briefkontakt besaß, recht gut auf den großen, dunkelhaarigen Mann. Das Alter mochte er haben. Die Statur für einen jungen Ritter auch.
In diesem Moment bemerkten die Greifenfurter die Besucherin. Auf einen Wink des Großen hin verzog sich der schwer lädierte Kleinere eilig.
Loriann ergriff, noch im Moment der völligen Überraschung, die Gelegenheit für einen rondrianischen Gruß, neigte höflich das Haupt und sprach: "Ich suche Seine Wohlgeboren Wildenhoffen zu Finsterwald."
Einen Moment stutze Rodrik und war tatsächlich mehr als überrascht, aber dann kam das einnehmende Lächeln hervor, als er IHR Wappen in dem gelb und rot zweigeteilten Wappenrock erkannte. Der Bär, ihr Wappentier, prangte auf der gelben Seite des Rocks und nahm den Platz zwischen Bauch und Knie ein. "Loriann?! Ich hoffe es geht euch und eurer Tochter gut? Mögt Ihr eintreten? Das Mahl wird karg ausfallen befürchte ich, aber für einen Gast reicht es immer."
"Nehme ich an, dass Ihr…," sie besann sich kurz,"…dass DU Rodrik bist?" verbesserte sie sich schnell, da auch er sie ohne große Förmlichkeiten angesprochen hatte. In den letzten Briefen war diese ja auf angenehme Weise verlustig gegangen und Loriann hatte nicht vor, wieder in steifes Gehabe zurück zu fallen. "Wenn dem so ist, nehme ich deine Einladung gerne an." Die Junkerin vom Reussenstein lachte freudig auf und schob sich eine Strähne ihres dunkelblonden langen Haars hinters Ohr, welches sie in ihrem Nacken zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden trug. Sie trat vor den Wildenhoffener und ergriff mit ihrer Hand seinen Unterarm. Das 'Händeschütteln' zweier Kämpen.
"Ich wusste doch, ich hätte die Pferde mitnehmen sollen, dann wäre ich jetzt bestimmt ein reicher Mann." Der getrimmte Bart hob sich, als Rodrik lachte.
Ihr Gesicht war hübsch, aber es war nicht mehr das einer zarten Jungfer, sondern das einer gestandenen Frau in den Dreißigern, die, wie Rodrik wusste, schon einige Schicksalsschläge hatte hinnehmen müssen, und von denen er sogar meinte, in den Fältchen um Lorianns Augen und Mund lesen zu können. Ihre Ausstrahlung war herzlich und offen und auch etwas bestimmt, genauso wie er sie in ihren Briefen erlebt hatte. Und genauso wie dort, gab sie nichts auf das, was andere Leute von ihr dachten, denn die Reussensteinerin griff, nachdem sie sich bekannt gemacht hatten, in das Lederband, das ihr Haar beisammenhielt und zog daran, dass im Folgenden ihr langes Haar offen über Schulter und Rücken fiel und sie ihm mit einem neckischen Kopfschütteln endgültig Freiheit gab, locker an ihr herab zu fallen. Das machte sie sehr weiblich.
Praiwin war einer dieser hoffnungslosen Fälle, die insbesondere dann auffällig wären, wenn sie das nicht wollten, und sein Bruder war keinen Deut besser. Auffällig unauffällig starten die beiden Begleiter die Junkerin an und tuschelten dabei viel zu laut.
"Entschuldige kurz", sagte Rodrik und streckte den Zeigefinger in die Luft. Mit einer schnellen Bewegung griff er nach einem Stein am Boden und warf ihn knapp an Kopf einem der Herumstehenden vorbei: "Was ist los mit euch, habt ihr noch nie eine Ritterin aus den Nordmarken gesehen. Besorgt gefälligst was zu essen!" Während die beiden stiften gingen, wanderte Rodriks Blick zurück zu Loriann.
Die hatte das Schauspiel mit einem Schmunzeln mitverfolgt und haderte gerade noch mit sich, ob sie auch an Rodrik Nervosität wahrnahm. Ihr war nämlich so. Das machte ihn noch sympathischer und ließ die Aufregung etwas erträglicher sein. Dieser junge Mann wusste durch einen fiesen Streich des Schicksals Dinge über sie, die ihr anfangs sehr unangenehm gewesen waren. Dann hatten sie sich geschrieben, hin und her, und darüber ausgetauscht, im Verlauf einiger Monate auch über viele andere Dinge, und sich schon ein wenig besser kennengelernt. Jetzt war ihr unangenehm, dass dieses Kennenlernen wahrhaftig stattfand. Und dass es irgendwie mehr in ihr auslöste, als ihr lieb war.
"Ich dachte, ich nutze die freie Zeit, die sich mir heut aufgetan hat, und gehe ich dich besuchen. Und ja…, hier bin ich. Überraschung!" ließ sie lächelnd verlauten, als sie das Zelt des Junkers betrat. Loriann sah sich drinnen neugierig um.
Nun, das ist wirklich eine freudige Überraschung. Das Zelt war für einen Greifenfurter fast schon prunkvoll eingerichtet. Das Zelt selber war zwar nicht groß, aber ziemlich neu und mit Teppichen ausgelegt. Neben der Liege, einem Waffenständer und zwei Kleiderkisten befanden sich dort zwei Sessel ohne Lehnen und ein kleiner Tisch.
Loriann spürte den Schweiß in ihren Händen. Sich über Briefe zu kennen war etwas völlig Anderes, als sich jetzt plötzlich von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Sie wollte wissen, wer Rodrik war.
"Magst du dich setzen, was trinken?"
"Beides gern." antwortete sie und nahm in einem der Sessel Platz. Im Folgenden wusste sie nicht recht, wie ihr Gespräch weitergehen sollte, welche Themen sie anschneiden und welche besser meiden sollte. Es war ja auch das erstes Mal, dass sie jemanden kennenlernte, der sie eigentlich schon kannte. Da brauchte sie nichts von sich erzählen, denn Rodrik wusste ja schon über so vieles Bescheid. Über ihr halbes, intimes Leben - fiel es ihr wieder ein. Und sie wischte sich verstohlen die schwitzenden Handflächen ab.
"Sag, wer, ähm, waren die beiden Gaffer, die du davongescheucht hast?" fasste sie fürs Erste ein recht neutrales und auch aktuelles Thema an. Und dann nahm sie sich vor, die Gesprächsführung ihm zu überlassen. Schließlich war er der Gastgeber. Des Weiteren blieben ihr immer noch einige Gesprächsthemen: Pferdezucht, Wetter, Krieg, Anreise. Das Übliche eben.
Der Ritter der Breitenau griff nach einem Krug mit Wasser, füllte ihn und gab ihn der Nordmärkerin. Dann füllte er einen zweiten Krug, stellte ihn auf den Tisch und setzte sich ebenfalls: "Nun, dass sind meine beiden Büttel. Im Kampf haben sie sich schon mehrmals ausgezeichnet, aber das hier ist alles neu für die Jungs. Ich will ihnen kein Unrecht tun, aber ich glaube, dass hier ist erst das zweite oder dritte Mal, dass sie unser Dorf verlassen haben. Praiwin hat einmal angedeutet, dass er gar nicht wusste, dass es so viele Ritter, wie hier im Lager sind, im Mittelreich überhaupt gibt. Dazu kommt, dass es in der Breitenau nur wenige Ritterinnen gibt und wir trotz unserer Lage unweit der Reichsstraße selten Besuch bekommen. Sie sind ein verlässliches Pack, aber halt ein wenig …unbedarft. Ich bin äußerst gespannt, was sie uns zu Essen finden werden." Ein ehrliches, offenherziges Lachen beendete seinen letzten Satz. Rodrik legte den rechten Arm auf die linke Schulter und lies sie dann kreisen. "Manchmal wird sie ein wenig taub.", sagte er genauso sehr zu sich selbst wie zu Loriann: "Wie ist es Dir ergangen, wie war die Reise bis hierher?"
Sie musterte sein Gesicht beim Sprechen. Er war ein hübscher Kerl. Längst nicht so schneidig wie Ellerdan, aber seltsamerweise doch ein ähnlicher Kerl von Mann. Nicht bullig, gerade genug Muskelmasse, um Stärke auszustrahlen, aber auch Verletzlichkeit, hinter den Augen ein ingerimmsches Feuer, tief, unergründlich, dass man sich darin verlieren und Feuer fangen mochte, der Blick unbewusst verwegen, fast schon sinnlich der schmale Mund, jungenhaft frisch sein Gesicht, aber durch den gepflegten Bartwuchs doch ausreichend männlich, die Bewegungen geschmeidig und alles andere als plump, die Finger lang und schön,… Ganz sicher konnte Rodrik immer ein gut gewärmtes Bett vorfinden. Zumindest traute sie ihm das durchaus zu.
"Abgesehen von den Strapazen eines Gewaltritts, der uns Pferde und Eisen und Nerven gekostet hat?" Damit war eigentlich schon alles gesagt. Zumindest zur Anreise. Loriann kam jetzt noch ins Schwitzen, wenn sie an die Eile dachte, die der Herzog an den Tag gelegt hatte. Nicht grundlos, wie sich herausstellte, kostete einigen Teilen des nordmärker Kontingents das eine oder andere kaputte Wagenrad oder lahme Tier beträchtlich Zeit, die dann wieder eingeholt werden musste, wollte man mit der Spitze des Heeres rechtzeitig im Lager der Kaiserlichen ankommen. Nur knapp drei Wochen Zeit war für alles gewesen. Die Ankunft der Nordmärker jedoch umso spektakulärer! Loriann erinnerte sich an das erhabene Gefühl, mit flatternden Fahnen und glanzpolierter Rüstung auf die Ebene zu reiten, von der Praiosscheibe ins rechte Licht gesetzt, als stolze Nordmärkerin, die sie im Grunde ja war, auch wenn in ihrer Brust auch das Herz für die Landsleute im Westen schlug und sie sich diesem nicht erwehren konnte, aber auch nicht wollte. Sie würde sich in gewisser Weise immer auch Albernia zugehörig fühlen.
Loriann nahm den Krug in die Hand und drehte ihn, während sie beobachtete, was der junge Ritter mit seiner Schulter tat. "Warum wird deine Schulter taub? Dein Schildarm, oder?" Ihr Blick war nicht kritisch, eher neugierig. Bevor er etwas erwidern konnte, wurde ihr Blick jedoch abgelenkt von etwas, was hinter Rodrik stattfand. "Du solltet deine Männer mit Frauen versorgen." Sie deutete mit dem Kinn in Richtung Zelteingang. Tatsächlich spähten ein paar vorwitzige Soldaten begierig durch den zurückgeschlagenen Stoff ins Innere, wo die beiden Junker zusammensaßen.
Fassungslos blickte Rodrik auf die gaffenden Büttel aus seiner Heimat. 'Das durfte doch nicht war sein, dieses verlauste Pack'. Er atmete tief durch, blickte Loriann an und dann suchend auf den Boden: "Mir scheint als wären mir die Steine ausgegangen. Wenn du kurz entschuldigst?" Als er aufstand, gaben die Gaffer Fersengeld, aber es war zu spät. Von der leichten Zeltplane unterdrückt waren dennoch klare Worte zu vernehmen. Es klang nach: kein Wunder, dass euch daheim niemand heiraten will. Wenn ihr keine Frau findet, wendet euren Sold für Marketenderinnen auf. Und 'Esel in der Familie' kamen auch vor. Schließlich wurde es ruhig und er kam zurück. "So. Hm. Ja. Verzeih. Immerhin haben sie Kaninchen mitgebracht, das fast noch warm ist. " Rodrik bot Loriann eine Schale und setze sich wieder, wobei er länger brauchte, eine angenehme Position zu finden, als es ihm bewusst war.
Loriann musste schmunzeln, mit welcher Art der junge Ritter die Dinge zu lösen betrachtete. Ja, er war definitiv auch nervös. Wie schön. Interessanterweise legte sich nach dieser Erkenntnis ihre eigene Nervosität ein wenig. Es war aber noch genug von ihr übrig, dass ihr Fuß rhythmisch zu zucken begann.
Über das Kaninchen freute sie sich.
"Die Schulter, sie ist seit dem Ritt der Greifin lädiert. Es war die Speerspitze eines Schwarzpelzes."
"Oh ja, die Orks. Ich hab '26 gegen den Schwarzen Marschall bei Altenfaer gekämpft. Verdammt zäh diese Dinger." Sie lachte auf, wurde dann aber ernst. Weil mit dieser Erinnerung auch andere einhergingen, und die ließen in ihr eher bedrückte Stimmung aufkommen. Loriann streifte sie ab, weil sie die Gesellschaft Rodriks als angenehm empfand und sie diese nicht durch Trübsinn kaputtmachen wollte. In einem anderen Moment fiel ihr ein, dass sie Worte benutzt hatte, die dem Greifenfurter vielleicht gar nichts sagten, daher setzte sie schnell hinterher: "Der Schwarze Marschall… Sadrak Whassoi… er hat den letzten Einfall der Orks in Albernia angeführt. Ich habe mit meinem Mann und meinem Schwiegervater dort gekämpft. – Entschuldige Rodrik, manchmal vergesse ich, dass andere nicht von meiner albernischen Vergangenheit wissen können. Selbst du weißt noch nicht alles über mich." Sie schenkte dem Junker ein entschuldigendes Lächeln, um ihre Anspielung zu untermauern, und wirkte dadurch aber sehr verletzlich.
"Hmh, aber das Kaninchen ist gut. Sind doch zu etwas nütze, deine Männer. … Sag mal, wurde eure Pferdetränke auch vergiftet? Uns starben viele Rösser. Was für eine Tragödie. Ich war nicht dort, aber was ich gehört habe reicht mir. Es soll ein Massaker gewesen sein. Die armen Viecher. Einen Knappen hat es auch fast erwischt, hörte ich." verfiel Loriann in einen Plauderton, von dem ihr auffiel, dass er dämlich war. Nein, das war doch nicht sie selbst! Daher legte sie die Schale mit dem schmackhaften kleinen Essen beiseite, seufzte, und sah ihren Gastgeber etwas gequält an. "Ich…gebe zu, es ist ein merkwürdiges Gefühl…ähm, das Hiersein mein ich." fing sie vorsichtig an, sich an etwas heranzutasten, von dem sie nicht ganz wusste, wie sie es beschreiben sollte.
Rodrik setzte einen Blick auf, von dem er meinte, dass er aufmunternd wirken würde, und nickte.
"Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll… Vielleicht beschreibt das Wort 'seltsam' es am besten. Manchen wir uns nichts vor, Rodrik, wir kennen uns nur aus unseren Briefen, und bis vor kurzem glaubte ich noch, dass ich den Mann, der mir geschrieben hat und der mir durch die Briefe eine Art Freund geworden ist, kenne. Aber jetzt sitze ich hier und stelle fest: es ist doch anders, als erwartet." Sie schmunzelte. Immerhin. "Nein, das ist der falsche Ausdruck..," fuhr sie rasch fort und wirkte, als würde sie sich etwas von der Seele reden wollen. Ihre Freundlichkeit war ohne Zweifel echt. Ihre Unsicherheit allerdings auch. "…ich sehe dich und ich weiß, dass du derjenige bist, der mir geschrieben hat, aber gleichzeitig bist du mir, hm… fremd… und mit dir zu sitzen und zu speisen ist so… so… unwirklich."
Sie stand völlig unerwartet auf. "Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen. Ich weiß nicht, was du von mir erwartest." Loriann musste an bestimmte Gefühle denke, die sie vor allem bei einigen seiner letzten Briefe gehabt hatte: u. a. das Gefühl, er könne Interesse an ihr haben. Mit der Erkenntnis, dass der jüngere Edelmann auch in ihr irgendetwas zum Klingen brachte, war das ein sehr, sehr verstörendes Gefühl. "Vielleicht ist es besser, wenn ich wieder gehe?"
"Du wirst ja wohl zumindest hierbleiben, bis Du den Hasen aufgegessen hast und meine Eselhüter wieder hier reingaffen, oder nicht? Der lange Weg durchs Lager soll nicht umsonst gewesen sein. Es gibt so viele banale Themen, über die wir uns unterhalten können. Ich habe da eine Menge lustiger Geschichten über meine Heimat zu bieten." Das Gesicht des Junkers bot eine urtümliche Mischung aus Enttäuschung, Hoffnung und Verwirrtheit.
Ach, du dumme Kuh! Loriann schalte sich selbst einen Narren. Warum hatte sie das nur gesagt? Kein Wunder schaute der Wildenhoffener jetzt so drein und es war ihr fast peinlich.
Artig setzte sie sich wieder. Es war selten, dass sie auf jemanden anderen hörte, als auf Roric oder Diethard, fiel es ihr dabei auf.
Für lustige Geschichten fehlten ihr im Moment die Nerven. Eine Entschuldigung brachte sie dennoch zustanden: "Tut mir leid. Ich wollte dich nicht kränken. Das war nicht meine Absicht." Sie nahm den Trinkbecher, den er ihr gegeben hatte und sah von oben in das Gefäß hinein. "Ich weiß, ich bin die Unhöflichkeit in Person, aber hättest du vielleicht jetzt etwas Hochprozentiges? Nur für den Fall, dass ich noch weitere Dummheiten von mir gebe. Aber dann weiß ich es vielleicht wenigstens nicht mehr." Sie versuchte, die Situation dann doch mit Humor zu betrachten und lächelte über den Rand hinweg, während sie tief seufzte. 'Götter, was muss er nur von dir denken, wie ein unbedarftes Reh trabst du durch die Gegend und schaust ihn dennoch an, als würdest du ihn gleich nach Wolfsmanier auffressen wollen...'
Ein kurzer Griff in eine Kiste brachte zwei Flaschen Ferdoker und einen verkorkten schäbigen alten Krug hervor. "Du hast die Wahl: den guten Ferdoker oder der Klare aus meiner Heimat. Wahlweise auch erst das Eine und dann das Andere. Nur nicht Beides auf einmal. Glaube mir, den Fehler habe ich gemacht. Aber nur einmal." 'Oh je wenn ich jetzt nicht mal wie ein Trinker wirke, aber Loriann hat ja nach hochprozentigen gefragt.'
Nachdem sie sich auf eines davon geeinigt hatten und die ersten Schlucke getrunken oder vielmehr die Kehle hinabgespült waren, entstand eine merkwürdige Stille, die Lorianns Räuspern durchschnitt. "Wie du weißt, neige ich ja dazu, die Dinge ...kompliziert… anzugehen." Wieder untermalte der Anflug von Humor ihre Worte.
"Das stimmt. Aber der schwierige Weg bietet neben den meisten Stolpersteinen auch das schönste Ziel. So sagte mein Alter Herr zumindest immer." Einem tiefen Schluck folgte ein Kopfrunzeln. "Ich glaube, grade ist die Sache sehr einfach. Egal wie es abläuft,… Hauptsache, möglichst viele von uns kehren heim."
Loriann stutzte für den Moment. Hatte er etwa bewusst mitten im Satz das Thema gewechselt? Unbewusst? Oder gar, um selbst von etwas abzulenken?
Sie wiederholte murmelnd seine letzten Worte und nickte unschlüssig. "Hast du Vorkehrungen getroffen, falls du nicht unter den Heimkehrern bist?"
"Tatsächlich kaum. Ich habe ja keine Familie, die erbberechtigt wäre. Ich habe allerdings eine Tochter, für die ich im Falle meines Ablebens vorgesorgt habe. Mein Lehen würde aber zurück an den Baron fallen."
"Ari, ich weiß. Du hast von ihr geschrieben." Loriann nahm einen Schluck und wirkte kurz nachdenklich. Weil sie an ihre eigene Tochter dachte und an das, dass sie das gleiche Problem hatte. "Bei mir ist es ähnlich," sagte sie schließlich, allerdings ohne aufzusehen, denn ihr Blick ruhte nach wie vor auf dem Becher in ihrer Hand, den sie beim Sprechen drehte und kippte. Wollte sie ihm sagen, dass Maire, ihre eigene Tochter, mit auf diesem Feldzug war? Und was brachte es ihm? Was brachte es ihr?
"Ich… habe meinen Nachlass zur Verwaltung an meinen Vogt gegeben. Er ist ein alter Freund meines Vaters und mir und ich weiß, er wird das Richtige tun." Sie dachte einen Augenblick lang an die beiden goldenen Insignien des Kriegerstands, über welche Maire verfügen würde, wenn sie, Loriann, es nicht schaffen würde. Daran, dass die Möglichkeit bestand, dass auch Maire es nicht schaffte, wollte sie nicht denken. Nein, diesen Gedanken erlaubte die Junkerin sich nicht! "Wir können nicht sicher sein, was die Zukunft für unsere Kinder bringt, Rodrik, aber höchstwahrscheinlich eine bessere Welt. Ich mag die romantischen Vorstellungen mancher jungblütiger Recken nicht, die nur die große Chance sehen, sich hervorzutun, sich zu beweisen. Sie verstehen das große Ganze, glaub ich, nicht. Und dennoch können wir schwer auf ihre Klingen im Osten verzichten, ist ja so, oder?" Etwas Frustration war ihren Worten zu entnehmen. "Da lobe ich mir doch die Einstellung der Veteranen alter Schlachten, zu denen einst unsere Väter gehörten: sie sehen alles sehr nüchtern und deutlich realistischer, denn sie haben gegen diesen Feind schon einmal gekämpft. Wir, Rodrik, die wir jung sind, ach, was wissen wir schon von diesem Feind? Wir müssen uns auf diese Erzählungen und auf die Befehle unserer Heerführer verlassen und können doch nur hoffen, dass sie Recht behalten. Aber unsere Kinder, Rodrik, die sollten eigentlich…." Loriann stockte. "…Eigentlich sollten Kinder in diesem Krieg keine Rolle spielen."
Sie stürzte den Becher Alkohol hinab, um zu verhindern, dass er sah, dass sie jetzt doch mit der Fassung kämpfte. Das Gefühl, seiner Attraktivität zu erliegen, war von etwas ganz anderem hinweggewischt. Und noch nie vorher war Loriann froh über diesen Abwechslung, auch wenn die Abwechslung an sich die schmerzhaftere Sache war.
"Aber ist es nicht immer so?" Rodrik lehnte sich zurück und blickte in die Ferne. "Die wirklichen jungen Ritter, die heißblütigen, wir brauchen sie. Genau wie wir wissen sie nicht, was sie erwartet, aber im Gegensatz zu uns interessiert es sie auch nicht. Schau, sie werden doch für diesen Zweck ausgebildet. Man bringt jungen Ritterinnen und Rittern bei, das es gilt, Ruhm und Ehre zu erlangen. Nur wenige Sagen berichten von weisen Rittern, die bedacht handeln. Die Frischlinge wollen wie die Helden der Vergangenheit handeln. Ich glaube, dass fast jeder Ritter erst durch die schwere Schule gehen muss, bis er die romantischen Vorstellungen aufgibt. Viele von Ihnen haben nichts zu verlieren da sie Zweit- oder Drittgeborene sind. Ich glaube, einige von Ihnen hoffen sogar darauf, für Ihre Dienste hier oder in Tobrien Lehen zu erhalten. "
Dann herrschte Stille, in der er schluckte.
"Für uns zählt nur, dass wir so viele von ihnen wie möglich heimbringen." Rodrik leerte den Becher ebenfalls und schüttete dann vom Klaren nach.
Sie nickte nur stumm und schob auch ihren Becher in die Richtung der Flaschenöffnung, legte ein fahles Schmunzeln auf, dem jedoch die Unbedarftheit fehlte, die sie vorhin noch an sich trug. Sie war eine ernste Frau, die, vielleicht wegen ihres Alters und dem Leben, das sie führte, sehr viele Facetten aufwies. Eine dieser Facetten war ganz klar eine tiefe Verletzbarkeit, die ihre raue, von Schicksalsschlägen und Wandeln geprägte erwachsene Außenhaut durchscheinend machte. Darunter mochte derjenige, der genau hinsah, ein Mädchen, eine jugendliche Frau entdecken, die um ein anderes, friedvolleres Leben betrogen war.
"Mir sind die anderen egal." Sagte die Junkerin und ihr glasiger Blick schweifte an seinem vorbei in die Ferne, aus dem Zelt. "Ich will auf diesem Feld keinen Ruhm erlangen. Ich will nur meine Tochter und meinen besten Freund zurück in die Nordmarken bringen. Mehr nicht. Ich bin eine schlechte Herrin, denn mir sind meine Untergebenen egal. Ich weiß, ich sollte so etwas nicht sagen, aber es ist wahr: ich stelle das Wohl genau dieser zwei Menschen über sie und über alles, auch über mein eigenes. Verrückt, nicht wahr?... Und bevor du fragst: Meine Tochter, Maire, sie ist hier, im Heerlager. Und sie wird unseren Zug begleiten. ..."
Loriann nahm einen kleinen Schluck, der fast nur ein Nippen war und sah den jungen Ritter danach direkt und lange an. "Kinder werden so schnell erwachsen, Rodrik. Und sie zerreißen dir das Herz! Früher oder später. Gewollt oder ungewollt .... Maire ist meine Blöße - meine Sorge um sie wird mich lähmen, wenn wir uns da draußen Haffax stellen, ich weiß das. Und meine Aufgabe wird die schwerste von allen: Ich muss versuchen, nicht an sie zu denken, wenn ich das Schwert ziehe! ... Hm. Kannst du verstehen, warum ich dir unter anderem daher keine gute Gesellschafterin sein kann?"
"Das sehe ich etwas anders. Jetzt mag die Angst Dich lähmen und Dir die Glieder schwermachen, Loriann, und doch setzt man Mütter mit Löwinnen gleich. Du wirst Dich immer wieder um sie sorgen. Wenn es drauf ankommt wird deine Angst Dir Kraft geben. Du wirst sie heimbringen. Beide."
"Dein Wort in der Götter Ohren, Wildenhoffener, mögen sie dich hören!" entgegnete sie ihm und ließ das mal alles so stehen, in dem sie im zuprostete. Es war schwere Kost. Das alles hier. Und er war die heiße Schüssel, in der sie lag.
Zeit für einen erneuten Themenwechsel. "So. Und jetzt glaube ich, ist Zeit für eine von deinen angepriesenen Geschichten. Erzähl mir etwas von DIR! Bevor ich dich noch mehr langweile - oder wir beide in Mitleid vergehen." Ihre Lippen formten bei diesen Worten tatsächlich zaghaft ein Lächeln.
Sie würde dem Albernier von allem hier erzählen. Wahrscheinlich würde Roric sich an den Kopf fassen und selbigen schütteln, wenn sie ihm von ihrer Tumbheit berichtete und dass sie sich aufgeführt hatte wie unerfahrenes kleines dummes, leicht verunsicherbares Mädchen. Aber sie wollte ihm die Begegnung mit dem Wildenhoffener nicht vorenthalten. Nur ein kleines Detail würde sie unerwähnt lassen: dass der Greifenfurter Ritter sie irgendwie an Ellerdan erinnerte und sie nicht einmal sagen konnte, dass es sie störte.

[Loriann (Tanja), Rodrik von Wildenhoffen (Sven)]

--- Kategorie: Briefspielgeschichte