Ges Praios

Der Praiosmond in Elenvina 1035 BF / Ein neues Jahr

Ein neues Jahr

Elenvina, 1. Praios 1035 BF
Vorbei waren die Namenlosen Tage, und mit ihnen war auch die drückende Schwüle vergangen, die sich wie ein Leichentuch über das Elenviner Land gelegt hatte. Hell strahlte Praios’ Schild in einem wolkenlosen, tiefblauen Himmel, und ein leichter Wind strich über die breite Wasserfläche des Großen Flusses. Ein herrlicher Tag und ein merklicher Gegensatz zu den gemischten Gefühlen der Gesellschaft stand, die sich auf dem Greifenplatz vor der Wehrhalle eingefunden hatte, um gemeinsam an diesem ersten Tag des neuen Jahres dem Götterfürsten zu danken.
In diesem Jahr hatte der Herzog – zum ersten Mal – darauf verzichtet, Gäste zum Jahreswechsel und zum Götterdienst zum neuen Jahr auf die Eilenwïd-über-den-Wassern zu laden, sondern die Zeit mit seinem Beichtvater, Seiner Exzellenz Jorgast von Bollharsch-Schleiffenröchte, in der Wehrhalle verbracht. Die Gerüchte, warum dem so sei, reichten von tiefer Bestürzung über den Streit mit seinem Ältesten, über eine beginnende Einkehr, die seinem Alter geschuldet sei, bis zu amüsiertem Beobachten der Bestrebungen der beiden Prinzen, ihre Gefolgsleute zu versammeln.
Letzteres war denn auch heute geschehen: Sowohl seiner allerprinzlichste Hoheit Hartuwal vom Großen Fluss als auch Seine prinzliche Hoheit Frankwart hatten sich mit all ihren Gästen versammelt und warteten darauf, dass sich die Tore des prachtvollen Praiostempels der Herzogenstadt zum Götterdienst öffneten.
«Der Herr Praios mit Euch, Prinz Frankwart.» Huldvoll klangen die Worte Prinz Hartuwals. «Es freut mich, Herr Bruder, dass Ihr dem Herrn Praios die Ehre erweist.» Nicht viel mehr Wärme verströmte die Begrüßung seines Bruders Frankwart, den Reichkanzler mit einem Nicken grüßend.
Damit schien der Bann gebrochen und auch die Gefolgschaften der beiden Prinzen begannen, ihre Grüße und Glückwünsche zum neuen Jahr auszutauschen.

[Volker]
Finmar Neidenstein von Wildenberg, der die meiste Zeit des Jahres als Hausverwalter und persönlicher Sekretär Frankwarts in dessen Puniner Stadthaus verbrachte, verleierte bei der frostigen Begrüßung der Prinzen insgeheim die Augen. Er stand im abseits auf Seiten der Gäste Frankwarts und beobachtete das Schauspiel eher mit Unwillen denn Belustigung. ‚Ein echter Kindergarten,‘ dachte er. ‚Warum gebe ich mir eigentlich immer so viel Mühe, in Anwesenheit des Rabensteiners entspannt zu wirken? Oder dürfen nur die Großkopferten aus ihren Abneigungen keinen Hehl machen.‘

[Tina] Immerhin eine kleine Gnade hatte das Schicksal verfügt: von besagtem Rabensteiner war nichts zu sehen. Er hatte sich dem Vernehmen nach im gesamten vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit rar gemacht, auch wenn die Gerüchte, er habe sich in ein Windhager Noionitenkloster zurückgezogen, während seine Frau das Wesen der Harpyien erforschte, selbst Finmar etwas übertrieben (oder zu gut, um wahr zu sein) vorkamen.

[Kenny]
Wohl aus schierer Gewohnheit stand Lioba von Bilgraten, ihres Zeichens Befehlshaberin von des Herzogs Leibwache und erste Adjutantin der Landhauptfrau, in der Nähe des Erbprinzen Hartuwal.
Die vergangenen Tage waren mühsam gewesen. Mühsam für jemanden, der den ständigen Drill gewohnt und während der unsäglichen Tage zur «inneren Einkehr» geradezu verdammt worden war. Und als Iseweine von Weiseprein ihr dann vorgeschlagen hatte, den Feiertag doch an der Seite des Kronprinzen zu verbringen, hatte Lioba dies erst als Grund zum Aufatmen aus der Untätigkeit verstanden. Weit gefehlt! Denn der Vorschlag war nichts anderes als ein solcher gewesen. Kein Befehl. Sie hatte diesen Feiertag «frei» im weitesten Sinne. So etwas hatte sie in ihrer nun zehnjährigen Karriere in der Flussgarde noch nicht erlebt.
So stand sie also an des Erbprinzen Seite: Die Hände locker hinter dem Rücken verschränkt, den Blick auf das schimmernde Wasser des großen Flusses und wünschte sich insgeheim zurück nach Burg Eilenwid. Es war ungewohnt, den Harnisch nicht zu tragen. Ungewohnt, nicht zu hören wie der Wind am blauen Umhang zerrte. Ungewohnt, nicht im Dienst zu sein und dennoch in diesem Hühnerhaufen lauter Adelsleute zu stehen. Und es fühlte sich falsch an. Falsch, hier zu stehen und nur ein einfaches Wams aus schwarzem Leinen zu tragen, darüber lediglich eine Schärpe in den Farben des Herzogtums. Der Rock der Garde hatte sie immer beschützt – hier und jetzt fühlte sie sich nackt.
Soldaten dürfen keine Freizeit haben. Nicht, wenn sie dann dazu gezwungen werden diese abseits der Kameraden zu verbringen, dachte sie bei sich und ließ zu, dass ihr ein leises Seufzen über die Lippen entfloh.
[Jan]
Etwas abseits auf seinen Stab gestützt stand Adeptus Minor Hesindagoras Hilberian von Aarberg, er verbrachte die letzten Wochen mit privaten Studien in der hiesigen Akademie und hätte sich wohl schon nach Gernebruch begeben, um seinen Bruder aufzusuchen, hätte die Hitze ihn nicht daran gehindert. Die Einladung bot ihm dann die Gelegenheit auch noch ein paar neue Bekanntschaften zu knüpfen.

[Jürgen]
Biora Tagan, Hohe Lehrmeisterin der Hesinde und Baronin von Rickenhausen, stand ganz in der Nähe von Frankwart, doch entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten trug sie heute nicht ihre Geweihtentracht, sondern ein elegantes, aber schlichtes und wenig ausladendes blaues Seidenkleid, hochgeschlossen bis zum Schlangenhalsreif und mit langen Ärmeln, aber dennoch leicht und luftig ob der Jahreszeit. Die roten Haare flossen ungebunden und ohne graue Strähnen über ihre Schultern. Wahrscheinlich nahm mit dem Alter doch die Eitelkeit zu, mochte ein unbedarfter Beobachter denken.
Die Geweihte war heute morgen in einer seltsamen Stimmung erwacht, in der sicheren Gewissheit, heute wäre ein Tag, der Hesindes Gaben nötiger denn je hätte, doch an dem sie gleichzeitig mit besonderer Missachtung gestraft würden. Sie entschloss sich daher spontan, diesen ersten Praios quasi von außen zu betrachten, indem sie sich offen vor aller Augen sozusagen "außer Dienst" präsentierte. Was sie nicht daran hinderte, die Gesellschaft, die sich vor der Wehrhalle versammelt hatte, mit scharfen Augen höchst aufmerksam zu betrachten.
[Volker]
Finmar nickte ihr bei ihrem ersten Augenkontakt kurz zu, verblieb aber im Hintergrund, das Gesicht verschlossen wie ein Zwergenschloss.
[Nils]
Unweit der Hesindegeweihten aus dem zentralen Gratenfels hatte sich in einfacher Tunika – grasgrün mit goldener Borte – der junge Baron von Galebquell eingefunden. Roklan von Leihenhof hatte die Tage ohne Namen jedoch nicht im Stadthaus seiner Familie in Elenvina verbracht, sondern auf den Gütern seiner Tante Ivetta von Leihenhof südlich der Stadt in der Herzoglichen Baronie Fuchsgau. Schlicht kam der junge Mann daher, beinahe schon demütig, mochte man meinen. Einzige Zier war ein schmaler silberner Stirnreif mit einem Widderkopf als Emblem auf seinem Haupte.
An seiner Seite vermisste man seine Gattin, Jileia. Doch trugen singende Vöglein den Interessierten zu, dass sich die Baronin von Galebquell in tsagefälligen Umständen befand und daher es vorgezogen hatte, im fernen Galebbogen zu verweilen. Statt ihrer war Roklans Vertrauter und Freund mit gen Elenvina gereist: Ynbaht von Lichtenberg, der halbelfische Nandusgeweihte, welcher es sich nicht nehmen lassen konnte und wollte, gerade diese Praiosfeierlichkeiten zu beobachten.
Der Priester in einfacher grauer Robe mit dem tradionellen grünen Skapulier mit der silbernen Borte hielt die Arme verschränkt, sodass das Licht der Praiosscheibe sich an seinem mondsilbernen Schlangenarmreif brach. Er betrachtete nach und nach die sich versammelnde Gesellschaft. Seine Intention, diese Feierlichkeiten zu besuchen, waren recht unklar – hatte er sich doch weitestgehend aus der Politik der Nordmarken zurückgezogen und frönte seinen Aufgaben als Priester und Mentor – allerdings hatte er viel Zeit vorher im Hesindetempel der Stadt verbracht.
Kurz wechselte er stumme Grüße mit der hochgeborenen Hesindegeweihten, indem er die Geste der Lehre vollzog und ihr würdevoll zunickte.

(MO)
Wer die Dame vom Quell des Rodasch ein wenig besser kannte - oder sich zumindest besser als andere darauf verstand, die Züge des Elfenvolkes zu lesen - , der konnte eine gewisse Kühle in dem feinen Antlitz der Baronin ausmachen. Eine Kühle, die von Besorgnis sprach und sich vor dem geübten Auge Biora Tagans auch nicht durch freundliche Blicke oder Worte verbergen ließ, die Liana Alyandéra Morgenrot da und dort teilte. Wahrlich schön war sie anzusehen in ihrem Kleid, das die Farbe des Sommerhimmels trug und von silberner Borte gekrönt war. Blaue Bänder waren um ihr seidenes, kastanienfarbenes Haar geschwungen, und auf ihrem Haupt saß das zierliche mondsilberne Diadem, das man sie so oft tragen sah. Blau und Silber - die Farben Rodaschquells.
Einen ebenfalls stattlichen Anblick bot jener Ritter aus dem Hause Sturmfels, der stets an ihrer Seite zu finden war, seit sein Oheim, der alte Odilon von Sturmfels, vor so vielen Jahren für das Reich fiel. Stolz prangte das Wappen Rodaschquells auf dem blankpolierten Brustharnisch Darians. Ein weiter Umhang fiel von seinen Schultern, blau die eine Hälfte des Stoffes, weiß und von Silber durchzogen die andere.
Auch er, der auf so manchem Turnier als temperamentvoller Streiter ins Auge stach und sich für die hiesige Politik nur wenig zu interessieren schien, war sich anscheinend bewusst, dass die heutige Zusammenkunft mehr sein würde ein ein jährliches Treffen zum Austausch geheuchelter Freundlichkeiten.


(Petra)
Baronin Odelinde Neidenstein von der Graufurt, gekleidet in die Farben Nablafurts, hatte die Wehrhalle in Begleitung ihres Nachbarn und langjährigen Freundes, dem Herzöglichen Kämmerer und Vogt von Herzöglich Arraned, Sieghold Praiomund vom Berg j.H. aufgesucht. Einem aufmerksamen Beobachter mochte nicht entgehen, dass die beiden Gratenfelser Adeligen sich keiner der Gruppen der Gefolgsleute der Prinzen anschlossen. Wiewohl die Baronin die hier versammelten Adeligen und Angehörigen aufmerksam grüßte, schien es um die Laune der alten Kämpin nicht allzu gut bestellt. Auch der göttergefällige Praiosschein, der die Wehrhalle in güldenem Glanze erstrahlen ließ vermochte die dunkle Stimmung, die ihr offensichtlich auf das Gemüt schlug, nicht zu vertreiben.
[Volker]
Und wer genau zu beobachten vermochte, dem entging nicht, dass sich der Neidensteiner, obgleich Junker in Odelindes Baronie, ob des Gemütszustandes seiner Lehnsherrin arg bedacht hielt, im Hintergrund zu bleiben und der alten Kämpin bloß nicht ins Auge zu fallen. ‚Wundervoll‘, dachte der junge Mann bei sich, ‚da tausche ich einen Rabensteiner gegen eine mies gelaunte Odelinde, scheint heute nicht mein Glückstag zu sein. Aber vielleicht habe ich ja wirklich Phex und sie bemerkt mich nicht.
(Kenny)
Als das Augenmerk auf die Baronin Neidenstein fiel, war es fast, als fahre eine drückende Last von den Schultern der Leuenantin. Immerhin ein bekanntes Gesicht, dass zu Aktion aufforderte.
So straffte Lioba ihre Haltung, atmete tief durch und ging gemäßigten Schrittes auf ihre Lehnsherrin zu, um doch im angemessenen Zwei-Schritt-Abstand vor Odelinde zu verharren. Kurz wartete sie, ehe die Fregatte den Blickkontakt hergestellt hatte um dann die rechte Hand zum Schwertgruß auf die Brust zu legen – eine gemäßigte und derart ausgeführt völlig unsoldatische Geste.
«Praios zum Gruße, Euer Hochgeboren!», sprach sie mit ebenfalls ruhiger Stimme. Die jüngste Tochter aus dem Edlengeschlecht zur Graufurt – die als blond, hochgewachsen und auch noch von rondrianischer Natur so gänzlich aus der Art ihrer Familie geschlagen war – erwies ihrer Baronin mehr als den notwendigen Respekt. Nicht in Worten, aber in Haltung, Mimik und Gestik. Dies mochte aus einer frühen Kindheitserinnerung an Odelinde herrühren oder schlichtweg anerzogene Höflichkeit sein.
«Lioba von Bilgraten zu Graufurt ist mein Name, falls Ihr Euch entsinnen mögt, Hochgeboren!»

(Jochen)
Vogt Barox Sohn des Burgamon von Brüllenbösen war mit seinem Leibritter Bryon von Fendor und seinem engen Vertrauten dem Edler Xorgolosch Sohn des Fulderam von Erzwacht erschienen. Der Vogt hatte sich bewusst etwas am Rande gehalten um das ganze Geschehen zu beobachten. Genüsslich stopfte Barox seine Pfeife, bevor er den Tabak Xorgolosch und Bryon anbot. Schnell war die edle Pfeife entzündet und der Duft des Tabaks erfüllte die Umgebung.
Mit wachsamen Augen beobachtete der Vogt die anwesenden Gäste.

(Martin)
Xorgolosch nahm den Tabak mit einem dankenden Nicken an und stopfte sich ebenfalls seine, aus dunklem Wurzelholz geschnitzte Pfeife. Nachdem der Tabak gestopft war, nahm er von seinem Vogt auch den glimmenden Anzünder entgegen und zog am Mundstück der Pfeife.
Das herrliche Gefühl des aromatischen Rauches breitete sich wohlig im Mundraum des Zwerges aus. Xorgolosch hielt den Rauch zurück und pustete dann einen kleinen Ring in die Luft, der sich langsam auflöste und gen Himmel zog. Neugierig schaute er die anwesenden Adeligen an und versuchte die einzelnen Gesichter zuzuordnen, was ihm größtenteils auch gelang.

(Gerd)
Bryon nahm den Tabak des Zwerges dankbar entgegen und stopfte sich auch seine Pfeife welche er genüsslich anzog. Es war eine willkommene Abwechslung bei der Warterei. Auf den ersten Blick wirkte er recht gelangweilt und entspannt, doch seinen wachen Augen entging nichts. Aufmerksam verfolgte er das Kommen der bekannten und weniger bekannten Adligen.

(Jochen)
Seine Hochwohlgeboren Gambir, Sohn des Gruin, erschien ebenfalls. Im Gefolge des Grafen befand sich sein treuer Sekretarius Helmbrecht Bösental und der Ingerimmgeweihte Torod, Sohn des Tamodosch. Nach kurzem Umschauen zog es den Grafen in die Ecke, in welcher die Baronin von Rodaschquell und Vogt Barox zu finden waren. «Helmbrecht, sorge er für guten Wein, ich habe Durst!»
Schnellen Schrittes begab sich der Sekretarius zu einem Diener ,um die Order des Grafen zu erfüllen.

(Tahir)
Gylonhardt fühlte sich in seiner schwarzen Junkerstracht sichtlich unwohl zwischen all den Nordmärker Adligen. Immer wieder ertappte er sich, wie er sich nervös über den Samtstoff wollte und blickte aufmerksam umher. Ich sehe wie ein Pfau aus, hatte er gerufen, als Yolande ihm die neue Kleidung vorlegte. Doch sowohl sein Vater, der in einem kerzengerade auf der anderen Seite des Raums stand, als auch seine Tante Yolande hatten ihm eingebläut, wie wichtig seine Anwesenheit hier war. Sein Bruder Merovahn, dem eigentlich diese offiziellen Anlässen zu vielen, war mit Onkel Welfert in der Traviamark, um am dortigen Turnier teilzunehmen und auch um herauszufinden, was der Cronverweser in nächster Zeit plante, war doch die Zukunft der darpatischen Marken noch immer ungewiss. Sein einziger Trost war der Umstand an der Weinprobe teilnehmen zu können.

Gisborn dagegen hatte seine Gefühle gut im Griff. Mit ausdrucksloser Mine, die Haare wie üblich streng zurückgekämmt, begrüßte er ihm bekannte Barone, schüttelte ein paar Hände und tauschte Willkommsworte aus. Als vormaliger Kanzleirat war ihm Hartuwal gut bekannt, doch wusste er, dass seine Schwester Yolande Frankwart bevorzugte. Zu viel Macht in einer Hand hatte sie gesagt. Daher hoffte er, dass sein jüngerer Sohn ihn nicht blamieren wollte. Zu leichtledig, zu unbekümmert war er. Wieder verdammte er die Turnierleidenschaft seines Ältesten, doch nun galt es das Beste aus dieser Situation zu machen..

Bewegung kam in die Versammlung auf dem Greifenplatz, als sich ein kleiner Reitertrupp aus Richtung der Eilenwïd-über-den-Wassern näherte. Seine Hoheit Jast Gorsam mit einem Gefolge aus Flussgardisten und einigen Höflingen war es, der gemächlich die Herzogenpromenade entlangritt und auf dem Greifenplatz halt machte. «Praios mit Euch, Ihr Edlen. Frankwart, Hartuwal.» Ein Nicken galt den beiden Söhnen, die sich mit einer Verbeugung bedankten.
Seine Knappin Swantje zu einer hübschen jungen Frau gereift, hielt das Zaumzeug seines Rosses, als sich der Herzog vom Pferd schwang.

[Heiko] Ein kräftiger Ellbogenstoß in seine Seite ließ Hagen von Salmingen-Sturmfels, Baron zu Dunkelforst und Baruns Pappel, fast vornüberfallen, aber zumindest war der junge Mann nun wieder bei Sinnen. Sein Waffenmeister, sein getreuer Ritter Korbrandt von Bösenbursch, fuhr ihn an: «Hochgeboren, aufwachen! Der Herzog ist da!»
Die letzten Tage des Rahjamondes und erst recht die Namenlosen Tage waren Hagen nicht gut bekommen. In Gareth geboren, im hohen Eisenwald die Knappschaft geleistet und danach im Kosch lebend, war Hagen ein geübter und ausdauernder Biertrinker – der Elenviner Wein bekam ihm aber alles andere als gut. Auch, dass zwischen den Weinkrügen zu Ehren Praios‘ immer mal wieder eine Runde Met getrunken worden war, war dem Koschbaron nicht unbedingt zuträglich gewesen. Die seit Tagen nicht weichenden Kopfschmerzen hatten ihn, angelehnt an die dicken Mauern der stolzen Wehrhalle, einnicken lassen.
Die nächsten drei Tage würden noch lang werden. An jedem der Feiertage waren neue Bankette angekündigt. Eine kleine Gruppe Praiosgeweihter und Novizen schob sich vor Hagen vorbei. Einer der Geweihten war Greifholm, den Hagen gestern kennengelernt hatte. Der bullige Priester hatte schweren Eindruck bei ihm hinterlassen. Nicht nur, dass Greifholm erzählt hatte, dass er einem Ork einmal eigenhändig den Kopf von den Schultern gerissen hatte, nein: Er hatte bei weitem mehr gesoffen als der junge Baron und auf Wein und Met sogar noch Gebranntes folgen lassen. Doch nun, im feinsten Ornat, sah man ihm nichts mehr an. Ein Wunder!

Laut klangder Gong der Wehrhalle auf – ein einziger Schlag, zur Mahnung und Erinnerung, wessen Mond nun angebrochen sei. Weit schwangen die Tore auf und gaben den Blick auf die von goldenem Licht erfüllte und von Weihrauchschwaden durchzogene Tempelhalle frei.
Die Gruppe Geweihter und Novizen schritt voran, zu beiden Seiten des Tores Aufstellung nehmend.
Praluciata von Luring-Zwillenforst, die Hochgeweihte, trat bis ans Portal, zu Ihrer Rechten den Illuminatus der Lichtei Elenvina, zu Ihrer Linken Ehrwürden Daradora.
«Auf geht’s!» Aufmunternd schritt seine Hoheit voraus, während seine beiden Söhne, nicht ohne einen argwöhnischen Blick, sich hinter ihm einreihten. Gemessenen Schrittes bestieg der Herzog die Tempeltreppen und folgte diesen ins lichtdurchflutete Innere der Wehrhalle. Demütig sank er vor dem Altar auf die Knie, dem Fürsten der Götter seine Referenz zu erweisen.
Laut erklang der erste der Gurvanianischen Choräle aus den Kehlen des Novizenchores, und die einzelnen Töne schraubten sich wie freigelassene Vögel in die Kuppel des Tempelbaues, während die Hochgeweihte die Hände über die Gläubigen hob und sie in des Herrn Praios Hause willkommen hieß.

[Jürgen]
Zwar ist das Portal der Wehrhalle nicht gerade ein Mannloch, doch waren die Teilnehmer am Gottesdienst dennoch gezwungen, enger zusammenzurücken, um den Tempel zu betreten. So vermischten sich die Parteien und Biora nutzte die Gelegenheit, einige ihr näher bekannte Adlige zu grüßen, so den Baron von Galebquell und Ynbaht von Lichtenberg, die Baronin von Nablafurt, die Elfe aus Rodaschquell und nicht zuletzt Finmar Neidenstein von Wildenberg, in dessen Miene sie mal wieder lesen konnte wie in einem Buch – aber diesmal war es ein Buch, mit dessen Inhalt sie durchaus bis zu einem gewissen Grad übereinstimmte.
[Volker]
Finmar fiel ein schwerer Stein vom Herzen. Augenscheinlich teilte zumindest Biora seine Zweifel über den Ausgang der Versammlung. Wenn beide Prinzen genug Adelsvolk an ihrer Seite wähnten, dann mochte es zur Eskalation, ja vielleicht sogar zum offenen Affront der Männer kommen und dies würde nicht nur die Luft verpesten, es bestand nach Ansicht des jungen Mannes mehr als nur die Möglichkeit, dass sich der Adel der Nordmarken spalten könnte, dass die Albernier dagegen als geschlossene Fraktion erscheinen würden. Nicht, dass man nicht jetzt bereits weit entfernt davon war, ein Herz und eine Seele zu sein. Aber zumindest obsiegten noch Anstand und Sitte und vor allem die gute Erziehung.
Lediglich der Gedanke, dass die gute Odelinde im Falle eines Falles wahrscheinlich wie ein Breitschwert durch die Versammlung fahren würde, wenn es zu öffentlichen Anfeindungen käme, beruhigte den Wildenberger ein wenig. Kurz suchte er Bestätigung im Blick Bioras.
[Nils]
Manch ein Auge mochte sich auf den Halbelfen richten, der da in seiner priesterlichen Tracht als Geweihter des Nandus sich mit seinem Baron unterhielt. Würde er oder würde er nicht die Hallen des Lichtes, den Praiostempel zu Elenvina betreten? Doch auch er setzte sich in Bewegung, schob die Hände in die jeweils gegenüber liegenden Ärmel und folgte seinem Lehnsherrn durch das Portal der Wehrhalle.
Der Zufall – oder vielleicht auch der göttliche Wille oder doch eher die Menschenmenge? – schob den Gelehrten in eine Lücke zwischen Biora von Rickenhausen und Liyana von Rodaschquell. Er registrierte den Gruß der Hochgeweihten und erwiderte ihn mit einem offenen Lächeln. «Hesinde und Nandus zum Gruße, Euer Hochwürden, und möge uns Praios das Licht der Wahrheit gewähren.» ergänzte er den zweiten Halbsatz mit einem Blick auf den gewaltigen Tempel des Götterfürsten, in den sich er als Zauberkundiger nun hineinbewegte. Das Lächeln in dem teilweise elfischen Gesicht wirkte frei und leicht. «So lasst uns gemeinsam nun auch das neue Jahr im Geiste Praios, Nandus und Hesindes begrüßen, auf dass es uns Erkenntnis und Weisheit schenke.»

Roklan wurde von seinem geweihten Begleiter getrennt, als er vorsichtig anderen Besuchern den Vortritt ließ. Er fand sich nun zwischen Hagen von Sturmfels auf der einen Seite und dem Edlen Xorgolosch auf der anderen Seite wieder. Sein Schwager wirkte irgendwie verknittert, unausgeschlafen. Er konnte sich auch denken warum, die Feiern waren doch schon sehr weingeistig gewesen. Roklan hatte sich schon vor Jahren (ja, auch bei seinem noch wenige Lenze zählenden Leben) angewöhnt, den Wein nur noch mit Wasser verdünnt zu trinken – und ansonsten in Maßen. Dies hielt zahlreiche «Wölfe» und «Werwölfe» von ihm fern. «Praios zum Gruße, mein werter Schwager.» sprach er daher nicht zu laut den Baron von Dunkelforst. «Wie schön dich wiederzusehen.»
Auch den wohlgeborenen Zwerg, den der junge Galebqueller um bestimmt anderthalb Spann überragte, grüßte er. «Fortombla hortomosch, garoschem.» Aus dem Munde eines Menschen klangen die Worte des Rogolan leicht und federnd – doch es war kein melodischer Dialekt der Hügelzwerge, sondern der geschliffene, harte der Erzzwerge, die da erklangen.

[Esther / Derya von Sturmfels, Baronin zu Tommelsbeuge]
Derya ertappte sich gerade noch im letzten Augenblick. Schnell faltete sie ihre Hände mit festem Griff hinter dem Rücken, um sie an weiteren gerade unangebrachten Reflexen zu hindern. Fast hätte sie sich direkt vor den Toren Praios‘ die Ohren zu gehalten! In Rahjas Namen, dieser Gong! Wenigstens schien es bei diesem einen, dröhnenden Schlag zu bleiben – vorerst. Sie hatte einige Zeit heute Morgen mit einem gründlichen Makeup verbracht. Doch sie fühlte sich noch immer so, wie ihr vermaledeiter Halbbruder Hagen aussah. Dieser Almadaner letzte Nacht war aber auch gut gewesen! Dunkel und süß, mit einem rätselhaften Nachgeschmack. Der Wein wie auch der Mann wohlgemerkt. Endlich gelang ihr das erste echte Lächeln an diesem Morgen. Wenn ihre nächste Reise ins feurige Almada auch noch warten musste, von diesem Wein würde sie sich jedenfalls ein paar Kisten kommen lassen...

[Jan] Auch Hesindagoras setzte sich mit den anderen in Bewegung, interessiert betrachtete er die Gesichter der anwesenden Personen, einige wenige erkannte er auch. Im Tempel selbst sah er sich zuerst nach einer Stelle um, welche nicht ganz so bedrängt war, sodass er sich auf den Gottesdienst konzentrieren könne. Nachdem er eine entsprechende Stelle gefunden hatte begab er sich auch zu dieser und lauschte von dort aus dem ersten der Gurvanianischen Choräle.

(Jochen)
Kurz blickte Barox zu Graf Gambir, welcher zu seiner Linken stand. Roklan hatte den Erzwachter Zwerg begrüßt und Graf wie Vogt unbeachtet gelassen. Der Graf nickte ihm nur kurz zu und so ließ auch Barox den Etikettenfehler ungeahndet. Barox sah aus den Augenwinkeln wie der Ingerimmgeweihte Torod Sohn des Tamodosch kurz nach Luft schnappte. Er schien über diesen Etikettenverstoß keineswegs hinweg zu gehen wie seine Hochwohlgeboren Gambir und der Vogt.
Barox musste sich ein Grinsen verkneifen.

(Martin)
Xorgolosch nickte Roklan zu und schielte kurz deutlich zu den «übergangenen» Adligen hinüber. Danach zwinkerte er Roklan zu. Gespannt wartete der Edle zu Erzwacht, wie Roklan die Situation umschiffen würde…

(Max)
Welch ein prächtiger Feiertag! Voltan von Sturmfels zu Wichtenfels liebte den ersten Praios - nicht, wegen der Möglichkeit, sich in prächtigen Gewändern der hochedlen Gesellschaft zu zeigen, oder um zu saufen und zu feiern als wäre es die erste Rahjawoche. Nein, die erhabene Botschaft von Friede, Treue und Gehorsam, die wiederhergestellte Ordnung, manifestiert in der weihrauchschwangeren, lichtdurchfluteten Herrlichkeit der Wehrhalle waren es, die ihn stärkten und die er so genoss. Daher galt Voltans Blick auch nicht den zahlreich anwesenden Adeligen. Jene waren ihm heute eher lästig in ihrer teils gespielten, teils unverhohlen abwesenden Frömmigkeit. Ähnlich lästig wie in den vergangenen fünf Tagen. Hätte er wenigstens Neues über das Haus vom Großen Fluss erfahren! Stattdessen musste er mit ansehen, wie gefeiert wurde. In diesen Tagen! Gefeiert! Während er sich in guter Sitte in Askese übte und am fünften Tage auch die Geißel nicht unangerührt ließ. Wer konnte das Licht feiern, wenn er die Dunkelheit nicht kannte?
Um wie viel angenehmer war nun der Einzug in diesen prächtigen Tempel! Lux triumphat!


Melodisch und klingend war die Stimme Ihrer Hochwürden Praluciata, mit der sie die Predigt zum 1. Praios verkündete, Recht und Ordnung und Treue anmahnte und dem Götterfürsten dankte, die namenlosen Tage wohl überstanden zu wissen.
Nach zwei weiteren Chorälen, Lied gewordenes Sonnenlicht, las der Illuminat Elenvinas höchstselbst aus der Vita der heiligen Lechmin, als Vorbild für einen dem Herrn Praios getreuen Lebenswandel, der jedem der Hohen, die sich heute hier versammelt hatten, wohl anstünde, ehe die Gäste den Choral ‚Es fährt ein Flammenwagen’ anstimmten.
Schwer hingen die Weihrauchschwaden in der Luft und ließen die Augen tränen, während die kostbaren Rauchopfer den Geist der Versammelten in die Nähe des Göttlichen rückten.
[Volker]
Finmar spürte, wie die verzweifelte Anstrengung, die Augen offen zu halten, eben jene zusätzlich tränen ließ. Das blasierte Geschwafel seitens der Priester wehte über ihn hinweg wie eine leichte Brise, ohne ihm auch nur das Haar zu zerzausen oder sich in seinen Gedanken festzusetzen. Diese verweilten bei den täglichen Sorgen und Pflichten, die es mit sich brachte, einen großen Haushalt zu führen, welcher immer von offiziellen Besuchen und geheimen Treffen heimgesucht wurde. Wieder und wieder ging er die Liste mit Besorgungen durch, die er heute und in den kommenden Tagen abzuarbeiten hatte. Hartnäckig unterdrückte er den Impuls, die Hand in die Gürteltasche zu stecken und seine Besorgungsliste herauszuziehen und noch einmal durchzugehen.

Hochwürden Praluciata hatte sich nach ihrer Ansprache zu einem stillen Gebet zurückgezogen, den Herrn Praios bittend, ihr auch in diesem Jahre die Gnade des Orakels zum neuen Jahr zu gewähren.
Dröhnend verkündete der Gong die Mittagsstunde, als schließlich seine Eminenz Pagol Greifax und seine Exzellenz Jorgast die Hochgeweihte aus dem Tempel auf den in gleißendes Sonnenlicht getauchten Greifenplatz führten. Ehrfürchtig hatte die vor dem Tempel wartende Menge sich an den Rand des Platzes zurückgezogen, der zudem von Bannstrahlern und Sonnenlegionären umringt war. Novizen trugen Weihrauchfässer vor den Geweihten her und stimmten den siebenten der Gurvanianischen Choräle, ‚Gelobet seiest Du, Urischar’ an.
Praluciata ließ sich auf einem weiß und gold durchwirkten Teppich in der Mitte des Greifenplatzes, exakt über dem Haupt des Greifen, der aus gold schimmerndem Gestein in das Pflaster eingearbeitet war, nieder, und stimmte in den Choral mit ein, das Gesicht anbetend zu Praios’ Gestirn erhoben. Nur wer ihr von den Gästen nahe stand vermochte zu hören, wie ihre Stimme bei den altbekannten Strophen schwankte.
Weiß und sengend stand die Sonne am Himmel und badete Ihre Hochwürden in ihrem Schein. Die letzten Takte des Chorals verklangen und eine tiefe Stille senkte sich über den Platz. Von weit entfernt, aus dem tiefen Blau des Sommerhimmels, klang der hohe, klagende Ruf eines jagenden Falken.
Tränen strömten aus den Augen Praluciatas, die ihr Gesicht noch immer unverwandt zum Schild des Götterfürsten gehoben hatte.
Mit leiser, rauer Stimme hub sie an zu sprechen.

"Wenn Praios Licht vor der Leuin sich verdunkelt
Gespalten der mächtige Baum
Wie Wasser zerrinnt Einigkeit unter des Fuchses Fährte
Zwei wird, was eins war
Zweimal, nicht einmal sich Krone und Schwert entzweit
Recht und Gesetz zwei Gesichter zeigen
Wird Dunkelheit fallen über der Sonne Halle
Bis der Zwölfkreis vollendet und die Dienste getan.»

[Volker]
Bei den Worten der Weissagung erblasste der Wildenberger. Allzuoft hatte er Prophezeiungen gelauscht, deren kryptische Floskeln späterhin einen nur zu deutlichen Sinn ergeben hatten. Er brauchte nicht einmal den Kopf zu wenden. Bei den Worten zu Spaltung und Uneinigkeit schoben sich wie von selbst die Profile der Prinzen vor sein inneres Auge und der junge Mann spürte, wie ihm die Kehle eng wurde. und wie in ihm ein massiver Widerstand aufschäumte: Nicht schon wieder. Schon im Alberniakonflikt hatte er sich wie ein winziger Ast inmitten reißender Ströme gefühlt, hin und her gerissen und zermahlen von den wütenden Wassern, die ihn in alle Richtungen zu zerren drohten. Dies in seinem angestammten Heimatland… das konnte, das durfte nicht sein. Doch noch während sich der Widerstand regte, wusste er, dass die Mienen der Prinzen ihre ganz eigene Sprache in den Wind geworfen hatten und ein Sturm würde die Antwort sein.

[Jürgen]
Biora lauschte dem Orakel mit zunehmend erschreckter Verwunderung. Sollte die Weissagung diesmal wirklich so eindeutig sein, wie es im ersten Augenblick klang? Das wäre höchst ungewöhnlich, wie sie nicht zuletzt aus eigener Erfahrung sagen konnte, meist und leider zeigte sich der eigentliche Sinn erst hinterher. Andererseits: von wem konnte man klare Worte erwarten, wenn nicht vom Götterfürsten höchstselbst? Sorgenvoll schweiften ihre Blicke über die Anwesenden und blieben an den Prinzen hängen, doch stand sie zu ungünstig, um deren Miene erkennen zu können.

Kraftlos brach Ihre Hochwürden zusammen, selbst die eilig herbeispringenden Priester zu spät, sie aufzufangen. Ein kalter Windstoß fuhr über den Platz, vertrieb den duftenden Weihrauch und warf Staub in der Gäste Antlitz.
Hastig, vermochte man fast zu meinen, spendete Seine Eminenz Pagol Greifax den Gästen den Abschlußsegen, während die umstehenden Priester Ihre Hochwürden zurück in den Tempel geleiteten.
«Nehmt Euch die Worte zur Mahnung, Ihr Edlen, und tragt sie wohl in Eurem Herzen. Nicht Zwietracht, nicht Streit sind in des Götterfürsten Sinne, nicht unter den Geringsten, nicht unter den Höchsten seiner Diener!»
Mit diesen Worten beendete seine Eminenz den Götterdienst, wohl wissend, dass sich viele der Gäste dieses Mittags auch zum Abendgötterdienst einfinden würden, nicht beruhigt durch das Orakel in diesem Jahre.

Die Einladung zum Mittagsmahl auf der Eilenwïd-über-den-Wassern, fester Programmpunkt der Feierlichkeiten am ersten Praios für die Adligen in der Stadt, versprach in diesem Jahre eine besonders in sich gekehrte Angelegenheit zu werden.

[Michael]
Adepta Larona Yasinai Gliemmerdom von der Akademie der Herrschaft trat nahezu lautlos hinter ihren Cousin zweiten Grades: «Ist es dies, wofür Du kamst?» flüsterte sie in Anbetracht der Stille auf dem Platz. Die sehr schmal gebaute junge Frau mit sah mit ihren hellen Haaren und der fast Porzellan-gleichen Haut dem Angesprochenen mehr als ähnlich – zu ähnlich, meinte mancher, auch wenn das lange Haar Laronas glatt war und einen Hauch von Rot enthalten mochte, während ihr Cousin aus dem Albernischen mit einem weißblonden Schopf gesegnet war, der immer so wirkte, als sei der junge Astronom gerade aus dem Bett gestiegen. Der jugendlich wirkende Ailill Feriad ui Seadh erschrak heftigst, hatte ihn die Offenbarung doch in ihren Bann geschlagen. Tief durchatmend antwortete er ihr: «Ich sagte Dir doch: Ich vermag nicht einmal zu ahnen, was Cethern von Dunklerglen sah.» «Warum kam euer Hofastronom dann nicht selbst, wenn es bedeutend ist?» Ailill unterdrückte einen Seufzer als sich ihre hellgrauen Augen fanden. Er fand sich am Nachthimmel so gut zurecht, wie viele gerade mal in ihrem Hause, doch Laronas Kenntnis vom Geiste des Menschen und ihrer immer währenden Suche nach der Wahrheit hatte er nichts entgegen zu setzen: «Befehl der Krone. Auf ihn in seiner Rolle als Chronist könne bei der Einführung einer neuen Gräfin nicht verzichtet werden.» Er erlaubte sich ein Lächeln. «Er kocht. Sagt, er habe da zu sein, wo die Schicksalsfäden verwoben werden.»
Laronas Lippen wurden zu einer schmalen Linie. Sie mochte keine Veränderungen. Und die Prophezeiung der Praiotin hatte sie wohl aufgewühlt – doch dies zu zeigen, Gefühle, gar Angst einzustehen, wäre unverzeihlich gewesen. Kontrolle über den Geist war alles.

...

Der 3. Praios

Trügerische Ruhe begleitete die ersten Tage des neuen Praiosmondes, während die Stadt sich für die traditionelle Truppenparade rüstete. Unter dem Nordmarkentor war eine Ehrentribüne entrichtet worden, auf der Seine Hoheit mitsamt seinen Söhnen und all seinen Gästen Platz nahm.
Zur Rechten des Herzogs fand sein Sohn Frankwart mit seinen Begleitern Platz, zu seiner Linken wußte Jast Gorsam Hartuwal Gorwin vom Großen Fluss. Hinter dem Herzog saßen die Landthauptfrau Iseweine von Weiseprein, Illuminatus Jorgas von Bollharsch-Schleifenröchte, sein Neffe Gorfang Reto vom Großen Fluss und von Brüllenfels, des Herzogtums Allwasservogt, sowie einige Offiziere der Flussgarde. Ebenfalls waren alle Hochgeweihten Elenvinas, viele Patrizier (und damit so mancher Angehörige des Albenhuser Bundes) und die Spektabilität der Halle der Herrschaft, Ruane von Elenvina, anwesend.
Auch die Barone und Edlen Nordmarkens hatten eine Ladung auf die Ehrentribüne erhalten – die Angehörigen der Koradiner in der Nähe Seiner allerprinzlichsten Hoheit Hartuwal, viele der anderen Gäste von Seiner prinzlichen Hoheit Frankwart.
Die Stadt summte und brummte vor Tätigkeit, und war durch die versammelten Truppen, die sich jenseits der Kaiserallee zur Parade rüsteten, auf eine Vielfaches ihrer Einwohnerschaft angewachsen. Entlang der Kaiserallee und der Herzogenpromenade schien sich jeder Einwohner der Stadt versammelt zu haben, und viele der Glücklichen, welche ein Haus an einer dieser eleganten Straßen ihr eigen nennen durften, hatten die Plätze an den Fenstern an zahlungskräftige Fremde vermietet – oder Freunde zu diesem Spektakel eingeladen.

Während noch jeder auf der Tribüne versuchte, seinen Platz zu finden, erklang Trommelwirbel von jenseits des Nordmarkentores, und der Herold der Nordmarken, Rondrian von Berg-Berg, ließ die Fanfaren zum Einzug der Flussgarde ertönen.

[Heiko] Welch ein Spektakel! Baron Hagen hatte sich auf der Ehrentribüne ganz nach vorne gedrängelt, um gut sehen zu können. Militärparaden faszinierten den jungen Mann seit seiner Kindheit in Gareth. Wo sonst konnte man so viel rondra- und ingerimmgefälligen Glanz erblicken, vor allem aber: Wo sonst als beim Paraderitt der Kavallerie waren so viele prächtige, rahjagefällige Streitrösser zu sehen? Hagen liebte den Anblick geschlossener Reiterformationen. Das Herz schlug ihm jedes Mal höher, wenn er gut ausgebildete Rösser in Reih und Glied bewundern dürfte. War damals in Gareth das ehemalige Regiment seines Vaters, das Elitegardereiterregiment Raul von Gareth, immer der größte Blickfang gewesen, waren es hier nun die Reiterschwadronen der Flussgarde, vor allem aber die Ritter der Donnerer. Die rondragefälligen Ordensritter hatten bei Hagen in Albernia schweren Eindruck hinterlassen. Wie sie dort die feindlichen Linien durchbrochen hatten!
Dass hingegen selbst diese bürgerlichen Armbrustschützen, und inbesondere an der Parade in Elenvina teilnehmen dürften, und erst diese Spießbürger, die vor allem übten, guten Pferden die Leiber aufzuschlitzen, dafür hatte Hagen wenig Verständnis. Die reichen Städte mochten wehrhaft sein, keine Frage. Aber war nicht auch ein stinkender Schafbock wehrhaft, von einem störrischen Esel ganz zu schweigen? So ein alter Esel im Gewand der Elenviner Spießbürger, den müsste man mal über die Kaiserallee paradieren lassen. Oder die Räte der Stadt Elenvina auf Eseln reitend, das wäre ein Bild!

Der Baron zu Dunkelforst und Baruns Pappel saß als Gast Prinz Frankwarts auf der Tribüne. Nicht wenig Koradiner waren als Gäste Erbprinz Hartuwals anwesend, er selbst hatte jedoch – wohl, weil er kein Baron mehr in den Nordmarken war oder den Juristen Hartuwal einfach nicht leiden konnte – keine entsprechende Einladung erhalten.
Ein wenig musste sich Hagen über den Zwist zwischen Hartuwal und Frankwart amüsieren: Er selbst und sein Bruder Angrond hatten den Streit um Dohlenfelde gelöst, wie es Adligen angemessen und Rondra gefällig war. Doch was der Erbprinz und sein Bruder vor sich hin intrigierten, das war weder Rondra noch Praios würdig! Es war ein recht erbärmliches Schauspiel, weit unter den Möglichkeiten des Hauses vom Großen Fluss. Phex mochte sich vielleicht darüber freuen, womöglich auch Peraine und Tsa, da so weniger Menschen in diesem Zwist ihre Leben ließen, als dies in einer Fehde der Fall wäre. Aber war das wirklich erstrebenswert? Es gab doch wahrhaft Ehrenhafteres, als im hohen Alter im eigenen Bett dahinzusiechen und schließlich im Schlaf zu Boron zu gehen. Eine ordentliche Schlacht ab und zu, das wünschte sich Hagen. Auf Schlachtfeldern wurden schließlich Helden gemacht. Gerne würde er, sollte es zum Kampf zwischen Frankwart und Hartuwal kommen, auf Seiten Frankwarts streiten – alleine schon deshalb, da er von seinem Bruder Angrond schon öfters Sympathiebekundungen für Erbprinz Hartuwal vernommen hatte. Eine Revanchemöglichkeit für die Schlacht auf dem Schönbunder Grün, in der er im Rondramond 1033 BF seine Baronie Dohlenfelde verloren hatte, womit der letzte Wille seines Vaters mit Füßen getreten worden war, käme Hagen sehr zupass.

Einen in seiner Nähe sitzenden Adligen sprach Hagen an: «Meint Ihr nicht auch, dass die Zeit mal wieder reif für eine große Schlacht in den Nordmarken wäre? Die Schlacht auf dem Schönbunder Grün ist ja auch schon wieder fast zwei Jahre her...»

(Jochen)
Vogt Barox Sohn des Burgamon von Brüllenbösen nahm seine Pfeife aus dem Mund und blickte Hagen an. «Nun Euer Hochgeboren, ich für meinen Teil habe nichts gegen Schlachten. Allerdings ist es mir auch zuwider meine Untergebenen unnütz in den Tod zu schicken. Jede Schlacht fordert Opfer! Somit sehne ich mir keine große Schlachten herbei!»
Barox nahm das Bier welches man ihm reichte und orderte einen weiteren Krug für Baron Hagen.

[Volker]
Finmar brauchte einen kleinen Moment, um aus seiner Starre zu fallen und zu realisieren, was soeben neben ihm gesprochen worden war.
Bei dem Anblick der waffenstarrenden Regimenter war ihm flau geworden, zu gut erinnerte er sich an die Schlacht auf Crumolds Au, wo eben jene Regimenter, die hier im eitlen Sonnenschein ihre Waffen präsidierten, während die Pfeffersäcke und Adligen sich die Luft zufächelten, wie der Schnitter durchs Korn durch die Reihen der Soldaten gefahren waren.
Finmar, damals für die Versorgung der Truppen mitverantwortlich, hatte noch die Schreie der Menschen und das Brechen von Knochen im Ohr und wenn er nicht aufpasste, würden ihn auch wieder die Bilder und die Gerüche einholen, die er in den letzten Monden vehement verdrängt hatte.
Vor allem die der Schlacht folgenden Stunden, in denen er verzweifelt versucht hatte, möglichst vielen Verletzten gleich welcher Partei zu helfen, hatten sich in ihm eingeprägt wie Karrenspuren im Straßenpflaster. Sein Wettlauf mit dem Herzog der Nordmarken, welcher die Lazarettzelte besuchen wollte, in denen man – bewusst oder unbewusst - auch Albernier versorgte, stand ihm noch lebhaft vor Augen. Gerade eben so war es ihm gelungen, die Kunde des herannahenden Heerführers unter die Verletzten zu tragen, eingedenk der Information, dass hinter dem Zelt ein Planwagen stünde, der gleich völlig unbeladen abfahren und vom Schlachtfeld weg ins nächstgelegene Dorf zuckeln würde.
Finmar war sich immer noch nicht sicher, was ihn damals geritten hatte. Barmherzigkeit, die Erkenntnis, dass die Schlacht alle gleich macht oder die zutiefst empfundene Abscheu gegen dieses Hinschlachten von Menschen, deren einziger Unterschied darin bestand, auf ‚unterschiedlichen Seiten des großen Flusses geboren worden zu sein‘.
Seines Wissens hatte er damals einer Reihe von Edlen Albernias das Leben gerettet, ohne dass diese wohl auch nur seinen Namen kannten. Aber das war nicht wichtig. Wenn es etwas in seinem Leben gab, das er als den Punkt benennen würde, an dem er vermeinte, alles richtig gemacht zu haben, dann war es dieser.
Die Selbstverständlichkeit, wie die neben ihm stehenden Edlen darüber debattierten, Schlachten zu schlagen, so lange sich diese ‚rentierten‘ oder sogar Spaß machten, widerte ihn an. Unwillkürlich versteifte sich der junge Mann und rückte ein wenig von den Parlierenden ab.

[Jürgen]
Biora hörte die Worte des nur wenige Schritt entfernten Hagen. Die ganze Zeit schon war ihr das überaus wohlwollende, fast schon versonnene Lächeln des Barons aufgefallen, mit welchem er die vorbeiziehenden Regimenter betrachtet hatte, solange es sich nicht um Bürgerliche handelte. Wie Hagen wohl ausgerechnet in Frankwarts Lager gelandet war? Andererseits würde er auch nicht zu Hartuwal passen … wie auch immer, manchmal musste sie sich fragen, ob es wirklich immer und überall von Vorteil wäre, Hesindes Gaben und Weisheit jedermann kundzutun. Wenn sie nun Hagen die Augen öffnete, was es wirklich war, das er sich da herbeisehnte, und ihn damit des festen Bodens seines Glaubens und seiner Überzeugungen beraubte, sofern dies überhaupt möglich war, würde sie ihn dann nicht als gebrochene Persönlichkeit zurücklassen, unfähig, am Leben noch Freude zu empfinden? Wäre es wirklich in Hesindes Sinne, ein solches zu tun? Es war dringend an der Zeit, intensive Zwiesprache mit der Allwissenden zu halten …
Immerhin schien Finmar ähnlichen Gedanken nachzuhängen, wenn sie seine Reaktion richtig deutete.
[Volker]
Der junge Mann, der just in diesem Augenblick aufgesehen und auf diese Weise ungesprochene Worte mit der Geweihten ausgetauscht hatte, lächelte scheu herüber. Es beruhigte ihn zu wissen, dass er mit seiner für diese Lande vielleicht etwas unkonventionellen Einstellung nicht alleine dastand.

[Heiko] Zum Vogt Barox gewandt antwortete Hagen, eine kräftigen Zug aus dem ihm gereichten Krug nehmend: «Unnütz ist es wohl kaum, wenn man zu Ehren Rondras auf der Walstatt sein Leben lässt! Aber natürlich habt Ihr vollkommen recht, dass es den meisten Freibauern nur eine lästige Pflichte ist, in den Krieg zu ziehen, und entsprechend sind die auf dem Schlachtfeld auch für nichts zu gebrauchen. Dem Adel hingegen ist es Ehre und Vorrecht zugleich, mit dem Schwert in der Hand Menschen und Göttern zu dienen!»
Hagens Blick wanderte flüchtig zu dieser Hesindegeweihten aus Gratenfels. Hagen mochte nicht, wie deren Blick auf ihm ruhte – nein, um eine dieser neunmalklugen Schlangenanbeterinnen zu treffen, da hätte er auch gleich in Dunkelforst bleiben können, seine Mutter hatte ja ständig diese Besserwisser auf Burg Salmingen zu Gast. Gut, dass bis zu den nächsten Salminger Hesindefestsspielen noch drei Jahre zu vergehen hatten...
Hagen prostete dem zwergischen Vogt Barox zu – er mochte die Angroschim, denn sie hatten das Herz am rechten Fleck, verstanden zu kämpfen, schätzten gute Waffen und hatten ein gesundes Misstrauen gegenüber allem Geschuppten und Magischem. Unter diesen Voraussetzungen konnte man sogar darüber hinwegsehen, dass Angroschim von Streitrössern ungefähr so viel verstanden wie der Baron zu Rabenstein von einem Bier in fröhlicher Runde.

[Max] Die Suche nach einem Platz mit gutem Blick auf die Parade hatte Voltan in Hörweite Hagens gebracht - dass er dabei ein wenig zu weit in die Sitzreihen Frankwarts gelangte, war ihm gleich. "Praios zum Gruße, Vetter!" mischte er sich gut gelaunt in das Gespräch ein und prostete Hagen mit seinem Metkelch zu. "Lasst doch die Bauern und das Sterben beiseite und erfreut Euch an Rössern, Taktik und blitzendem Stahl! Ich meine, Euch steht der Sinn nach einem kräftigen Buhurt - vielleicht gar in Dunkelforst?"

Unter Trommelwirbel marschierten die ersten Einheiten der Flussgarde, in schwerer Plattenrüstung und hoch zu Roß, vor der Tribüne auf. Mehrere Banner in perfekter Formation zeigten, wie eine gut gedrillte Einheit mit perfekter Ausrüstung auszusehen habe. Hochrufe der Umstehenden Bürger begleiteten das farbenfrohe Bild. Niemand schien daran zu denken, dass diese Einheiten noch vor kurzem im Albernia gekämpft und geblutet hatten, niemand, dass die hier zur Schau getragene Ruhe und Zuversicht die eines Raubtieres war, das von Kampf und Blut lebte. Es sind unsere Raubtiere, schien der Jubel der Menge zu sagen. Hütet euch, euch mit uns anzulegen.
Der Herzog wandte sich an Frankwart und die neben ihm sitzenden Gäste. «Prächtige Truppen. Wenn jemand einem guten Ritter beinahe gleichkommt, dann diese.» Es blitzte in seinen Augen. «Wichtenfels, plant Ihr einen Buhurt?»

[Heiko] Als er das Wort Buhurt hörte, blitzten Hagens Augen auf, er setzte seinen Krug ab, und wollte sich gerade seinem Vetter zuwenden, als ihm der Herzog gefallen war. Nach einem kurzen Blickwechsel mit seinem Vetter Voltan wartete Hagen einen Moment ab, dann ergriff der zweifache Baron das Wort. Der Herzog war trotz seines Alters immer noch als Tjoster gefürchtet – Hagen wäre überaus stolz, Jast Gorsam zu einem Turnier in Dunkelforst empfangen zu dürfen: «Euer Hoheit, mein geschätzter Vetter Voltan fragte mich soeben, ob ich nicht in Dunkelforst einen Buhurt zu veranstalten gedenke. In der Tat, dies wäre mir eine großes Vergnügen! Euer Hoheit, gestattet Ihr mir, Euch als allerersten Gast zu diesem Buhurt auf meine Burg Salmingen einzuladen? Eure Teilnahme wäre mir größte Ehre und Freude zugleich!»
Erwartungsvoll blickte der junge Baron den alten Herzog an. Dann musste er schlucken. Der letzte Besuch Jast Gorsams vom Großen Fluss in der Koschbaronie Dunkelforst lag fast sechs Jahre zurück, er fand im Ingerimm 1029 BF statt, auf Einladung von Hagens Vater, des Barons und Reichskammerrichters Bernhelm von Sturmfels zu Dohlenfelde. Damals war Bernhelm vor den Augen des nordmärkischen Herzogs und seines Sohnes Frankwart feige aus dem Hinterhalt ermordet worden. Kurz zuvor hatten Jast Gorsam und Frankwart noch das geänderte Testament Bernhelms bezeugt – das Testament, das Hagen zum Alleinerben Dohlenfeldes bestimmte und damit den Streit um die Isenhager Baronie auslöste. Unglaublich fern schienen Hagen diese Erinnerungen, wie aus einer anderen Welt.

[Jan] Von alldem bekam Hesindagoras nichts mit, entschied er sich doch, dem Gerangel um die Sitze möglichst zu entgehen, was dazu führte das er sich mit einem der weiter entfernten Sitze begnügte. Als er sich dann der Parade zuwandte, musste er unweigerlich an die Prophezeiung vom 1. Praios zurückdenken, nicht auszudenken wie viele unter den prophezeiten Zwistigkeiten leiden werden, nach einem weiteren Blick auf die Parade, vermutete er es würden viele sein. Unmut ob dessen was noch kommen mag überfiel ihn.

Der Herzog lachte dröhnend. «Wacker gesprochen, Sturmfels! Eine Buhurt ist genau das, was uns dieser Tage fehlt.» Er wandte sich mit blitzenden Augen zu seinen Söhnne. «Hartuwal, Frankwart – laßt uns den Koschern Ehre erweisen und die Einladung nach Salmingen annehmen.» Längst war es an der Zeit, dass seine Söhne begännen, ihr Mütchen auf die klassische Weise zu kühlen.
Bester Laune ließ sich Jast Gorsam eine Krug Bier reichen und nahm einen tiefen Schluck.
Weniger helle Freude indes spiegelte sich auf den Mienen seiner beiden Söhne, wenig auf der des Reichskanzlers, den man schon lange Zeit nicht mehr in Ritterrüstung hoch zu Roß gesehen hatte, noch auf der Frankwarts, der immerhin, mit einem leichten Grinsen im Gesicht, anmerkte, es sei wohl in der Tat an der Zeit, die Kräfte im Gestampfe zu messen.
«Und ich bin sicher, wir werden Euch und eurer Gruppe ein würdiger Gegner sein, Bruder.» Je länger der Prinz über die Implikationen nachdachte, desto vergnügter wurde das Funkeln in seinen Augen. Auch wenn vermutlich die Koradiner eine nur schwer zu knackende Nuß darstellen würden, die Freude, seinen Bruder im Gestampfe zu treffen, wöge das auf.

Die Flussgarde zog vorüber, gefolgt vom Elenviner Garderegiment. Das ehemalige 1. Kaiserlich-Nordmärker Garderegiment wurde von Jorgast Hal vom Großen Fluss, einem Vetter Jast Gorsams, befehligt. Sauber ausgerichtet marschierten die schweren Fußkämpfer, Hellebardiere in den ersten sechs Bannern, dann Zweihand- und Axtkämpfer und zwei Banner Plänkler mit Schwertern.

«Na, Hartuwal, wie stehst Du zu einem Buhurt?» Der alte Herzog hob grüßend seinen Humpen in Richtung seines ältesten Sohnes. Der lächelte zurück. «Wenn der Dienst am Reich mir die Zeit läßt, bin ich immer gern bereit, eine Herausforderung anzunehmen – aber das wißt Ihr, Herr Vater.» Sein Blick streifte die umsitzenden Koradiner. «Ich gehe davon aus, dass Ihr mir die Ehre antut, unter meinen Farben zu streichen, Edle Herrschaften?» Zum ersten Mal seit dem Schlagabtausch zeichnete sich etwas wie Wärme in seinen Zügen ab.

Die Elenviner Garde passierte die Ehrentribüne und der Staub hatte kaum Zeit, sich auf dem Kopfsteinpflaster zu setzen, ehe das Gratenfelser Garderegiment unter Obristin Isegunde von Brüllenfels-Schleiffenröchte die Kaiserallee für sich beanspruchte.
Zufrieden beugte sich Jast Gorsam zu seinem Sohn. «Sag, Hartuwal, weißt Du eine andere Provinz im Reiche, die ähnlich starke Truppen ihr Eigen nennt?»
Sechs Banner schwer gerüsteter Pikeniere, zwei Banner Schützen, ein Banner Zweihand- und Axtkämpfer und ein Banner Plänkler folgten der weiß-roten Fahne der Gratenfelser.
Landtgraf Alrik, zwischen dem Grafen des Isenhag und seiner Nemesis, der alten Gräfin Calderine, lächelte zufrieden, als die Truppen, die den Namen seiner Grafschaft trugen, in Sichtweite der Ehrentribüne schritten. [Dennis:] Alrik hatte in Gratenfels einen Graftenag abgehalten und war erst vor kurzem eingetroffen, die Zeit hatte gerade gereicht, sich zu erfrischen, von Erholung von der Reise keine Spur. Dennoch hätte er es sich um nicht in Dere nehmen lassen, der Parade beizuwohnen. Es reichte schon der Ärger, dass etliche Teilnehmer des Grafentages die Strapaze einer schnellen Reise nicht auf sich genommen hatte und so ein Teil des gratenfelser Adeles nicht zugegen war. Gerade hier und heute wäre eine breite Präsenz von Gefolgsleuten nicht unbedeutend gewesen. Natürlich war auch die ganze Terminlegung mehr als unglücklich geraten, aber so wenig wie der Herzog und seine Söhne auf einen solchen Anlass verzichtet hatten, so wenig hatte er seinen Hoftag anders legen wollen. Doch er hatte es rechtzeitig zur Parade geschafft und grüßte von der Tribüne aus die vorbeiziehenden Mannen.
Hoch erhoben trug der Fähnrich das Regimentsbanner vor Seiner Hoheit vorbei, den Blick stolz auf den Grafen gerichtet, den er grüßend auf der Tribüne sah und dabei seiner Hoheit dem Herzog den Gruß verweigernd. «Was zum Donner?!» Wütend sprang der Herzog auf, alle Freude aus seinem Gesicht gewischt. «Alrik, was soll das heißen?» brüllte er dem Gratenfelser Grafen entgegen, der soeben noch mit einem sinnierenden Lächeln auf den Lippen das Regiment betrachtet hatte.

[Heiko] Eben hatte sich Hagen noch auf den Buhurt in Dunkelforst gefreut, doch jetzt starrte er wie gebannt auf den Fähnrich des Gratenfelser Koschwacht-Regiments. Was dachten sich die Gratenfelser Waffenträger, dem Herzog, ihrem Oberbefehlshaber, den Gruß zu verweigern? Eine größere Beleidigung Jast Gorsams war kaum denkbar!
Aber vor allem: Steckte Landgraf Alrik etwa dahinter? Hagen konnte den Greifaxer nicht ausstehen: Der Gratenfelser schmückte sich mit allerlei rondragefälligen Insignien, zuvörderst dem prächtigen Harnisch des Heiligen Hlûthar. Auch war er ein Förderer des Schwertbundes, nicht nur in seinem Lehen. Tapfer geschlagen hatte er sich in Turnieren und in Schlachten. Doch dann hatte Reichskammerrichter Hagen die zweifelhafte Ehre, den stolzen Landgrafen im Elenviner Reichsgericht näher kennenzulernen, war Alrik doch kurz nach Hagens Ernennung zum Richter zum Reichskronanwalt gewählt worden – Hagen hatte selbstverständlich für des Herzogs Kandidat, den Praioten Godefroy, gestimmt. Sehr schnell hatte Hagen erkannt, dass Alrik ein falsches und äußert ehrloses Spiel spielte: Denn seine Treue galt offensichtlich nicht dem Herzog der Nordmarken, seinem Lehensherrn, sondern dem Kaiserreich. Und Alrik war bereit, seine Provinz zu verraten, um dem Reich zu dienen.
Hagen selbst hatte durchaus Probleme mit seinem eigenen Koscher Lehnsherrn, diesem Zwergengrafen Growin. Doch dieser Vergleich war gänzlich unangemessen: Denn Growin unterstützte offen die ewigen Widersacher des Hauses Salmingen, das Haus Nadoret – und zudem hatte Growin den Ferdoker Grafenthron usurpiert, der eigentlich dem großen Hause Salmingen zustand. Eigentlich wäre Hagen der Graf zu Ferdok, und nicht dieser Zwerg. Desgleichen konnte Alrik wohl kaum von sich behaupten: Einen legitimen Anspruch auf den nordmärkischen Herzogenthron zu Elenvina hatten die Greifaxer nicht, das wusste schließlich jedes Kind...
Hagen sprang auf und beobachtete den alten nordmärkischen Herzog und den treulosen Gratenfelser Landgrafen: Würde Jast Gorsam sein Schwert Guldebrandt ziehen und Alrik niederstrecken, so wie er des dereinst mit dem Reichsgroßinquistor getan hatte? Davon hatte ihm sein Vater Bernhelm immer wieder gerne erzählt, hatte er doch zu den Nordmärkern gehört, die Jast Gorsams Rückzug aus dem feindseligen Gareth sicherten. Das hätte Bernhelm fast sein Reichskammerrichteramt gekostet. Würde Seine Hoheit sein Schwert ziehen, Hagen würde es begrüßen. Dem Greifaxer gehörte eine Lektion erteilt, am besten hier und jetzt Kopf ab. Der nächste Reichskronanwalt könnte nur besser werden. Hagen war schon fast so weit, sein Richteramt niederzulegen, nur um sich nicht das Geschwätz Alriks anhören zu müssen, der ständig forderte, dass die Richter sich mehr um ihr Amt kümmern sollten, und dafür durchaus auch mal auf ein Turnier verzichten müssten. Hagen fühlte sich dabei jedesmal persönlich angegriffen. Dass sich Alrik zudem mit seinem Bruder Angrond recht gut verstand, machte die Angelegenheit nicht besser...
Hagens Rechte wanderte vorsichtig zum Knauf seines Schwertes Hlûtharhilf, das schon sein Vater geführt hatte. Würde Landgraf Alrik irgendeine Dummheit machen, er hatte keine Angst vor dem Mistkertl!

Der gescholtene Graf hatte die Situation mit einem schnellen Blick erkannt und wandte sich, zu einer Antwort ansetzend, zu Jast Gorsam um, der hochrot angelaufen war und in dessen Schläfe eine Ader zu pochen begonnen hatte. Der Fähnrich würde eine Tracht Prügel bekommen, natürlich, aber nicht so heftig, denn die Aufmerksamkeit die er dadurch hatte, gefiel dem Gratenfelser Grafen nicht schlecht. Dennoch galt es jetzt, den Herzog zu beruhigen, denn böses Blut mit dem Herzogenhaus würde seinem Ansehen schaden, nicht zuletzt die herzogtreuen Barone seiner Grafschaft noch weiter gegen ihn aufbringen. Doch nicht nur der Baron von Salmingen war aufgesprungen – Bärhardt von Kranick, der zwischen den Koradinern neben Reichskanzler Hartuwal Platz genommen hatte, bahnte sich energisch seinen Weg zu dem Herzog, zog mit einer fließenden Bewegung seinen Dolch und stach mehrmals zu. Blutend stürzte der Herzog zu Boden.

(Jochen)
Die Stimme des Brüllenbösener Vogtes hallte über den Tumult!
«ATTENTÄTER! SCHÜTZT SEINE HOHEIT!» Mit diesen Worten rannte er Adlige beiseitestoßend seinem Herzog entgegen.
In seinen Augenwinkeln bemerkte Barox wie die Flußgarde bereits reagierte und den Herzog schützte. Der Attentäter wurde zurückgezogen. Barox keuchte….. Bärhardt von Kranick …. Ein Koradiner… warum bei allen Göttern….
Der Vogt war fast bei seinem Herrn angelangt.

(Jochen)
Seine Hochwohlgeboren Gambir, Sohn des Gruin, zuckte zusammen als der Vogt neben Ihm aufschrie. Hatte seine Hochwohlgeboren doch ebenso verwundert auf die vorbeiziehenden Truppen des Grafen Alrik geschaut, welche nicht grüßten.
Schnell fasst sich der Graf, sah den Koradiner Bärhardt von Kranick welchem das blutige Messer von der Flußgarde aus der Hand gedreht wurde und fuhr zu Alrik herum.
«IHR ALRIK WAGT ES HAND AN DEN HERZOG ZU LEGEN? ERST DIE VERWEIGERTE EHRE EURER TRUPPEN UND NUN EIN ATTENTAT EINES EURER KORADINER! BEI DEN GÖTTERN DAS WERDET IHR BÜSSEN!» Des Isenhager Grafen Kopf war hochrot angelaufen und Adern blähten sich an seinen Schläfen.
[Dennis] In der Mine des Gratenfelsers kämpften sichtbar das Temperament des alten Abenteurers mit der kühlen Berechnung des Diplomaten, letztlich war es eine Mischung aus beidem, die ihn mit kalter, aber vor unterdrücktem Zorn zitternden Stimme antworten ließen: «Ihr Graf Gambir, wagt es, mich öffentlich eines Angriffs auf unseren Lehnsherrn zu bezichtigen, dem ich Gefolgschaft gelobt habe und mir darüber hinaus offen zu drohen? Wenn wir nicht gleichgestellt wären…» er ließ den Rest des Satzes unbeendet und es damit der Fantasie der Zuhörer überlassen, sich auszumalen was ansonsten geschehen würde. «Ich gewähre Euch eine Frist von einem Mond, Euch öffentlich und in aller gebotenen Form für diesen Fehltritt bei mir zu entschuldigen!» Damit wandte er sich dem Gedränge um den Herzog zu. Das er nichts tun konnte oder besser das man ihn auch nichts tun lassen würde, war ihm klar auch wenn er schon etliche Wunden gesehen, zum Teil verbunden oder auch selbst erlitten hatte.

[Tahir] Gloynhardt verschluckte fast sein Bier, als der Tumult losbrach. Es dauerte einige Momente, ehe er erfasste, was hier vor sich ging. Er ließ den Humpen fallen und drängte ohne Rücksicht auf Verluste voraus. Im Gegensatz zu den vielen Adligen und Wachen führte sein Weg ihn aber an die Seite Alriks, der bereits von Graf Gambir bedrängt wurde.
Hinter dem Landgrafen schob sich bereits sein Vater Gisborn in Stellung, seinen Verwandten notfalls mit der Waffe vor dem aufgebrachtem Nordmärker Adel zu schützen. In Anbetracht der vielen Bewaffneten, die sie umringten Gloynhardt keine leichte Aufgabe. Es blieb nur zu hoffen, dass Alrik nichts mit dem Mordanschlag zu tun hatte. Denn wenn er auch keine große Sympathie für den polternden Herzog empfand, so ein Schicksaal hatte er nicht verdient.
Nüchtern stellte er fest, dass er sich wünschte das sein Onkel Welfert hier wäre. Nicht weil er um sein Leben fürchtete, darüber machte er sich nie Sorgen, sondern weil es schließlich auch Welferts Onkel war, dem sie den Allerwertesten retten sollten. Nur Wimpernschläge nach seinem Vater erreichte Gloynhardt mit einem gewaltigen Satz über eine der Sitzreihen den Landgrafen und mühte sich seinen Körper zwischen diesen und den tobenden Zwergen zu schieben.

(Petra)
Die Baronin von Nablafurt und der Kämmerer von Berg waren wieder gemeinsam der Einladung zur Truppenparade auf die Ehrentribüne gefolgt. Man mochte nicht so recht nachvollziehen, wie es den beiden erfahrenen Kämpen gelungen war, doch hatten sie Plätze in der Nähe des Herzogs gefunden ohne sich eindeutig einer der Gruppierungen der Prinzen zuordnen zu müssen. Aufmerksam betrachteten sie die Anwesenden, erfuhr man zu solchen Anlässen doch das ein oder andere, das in formellerer Stimmung nicht so schnell die Runde machte. Die Nablafurterin musterte für einen kurzen Augenblick ihren Neffen, den Edlen von Wildenberg, dem offensichtlich wieder tausend Dinge gleichzeitig durch den Kopf gingen 'Wenn der Junge nur endlich lernen würde, seine Gedanken nicht durch seine Mimik preiszugeben', sinnierte sie, als sie jäh aus ihren Gedanken gerissen wurde. Die Gratenfelser Truppen, die sie selbst im Alberniakrieg in die Schlacht geführt hatte, marschierten an der Tribüne vorbei. Mit völliger Fassungslosigkeit beobachtete sie den Affront des Bannerträgers. Ihr Blick schoss zum Landtgrafen, justament als der Herzog seiner Empörung lauthals Luft machte.
Dann ging alles sehr schnell. Noch während die Flußgarde den Attentäter überwältigte, wechselten die beiden alten Vertrauten des Herzogs einen kurzen Blick, dann drängten rücksichtslos, die Waffen in Händen, durch die Umstehenden und schirmten den zu Boden gegangenen Herzog ab. Ihren langjährigen Waffenbruder Sieghold vom Berg im Rücken, ging die Nablafurterin neben dem Herzog in die Knie.

Kraftlos versuchte sich der Herzog aufzurichten, doch versagten ihm seine Arme den Dienst. Blutsprenkel benetzten seine Lippen, als er die beiden alten Adelsleute fixierte.

(Liana) Das erste, was die Baronin von Rodaschquell wahrnahm, war der spitze Schrei ihrer Zofe und der Ausdruck des Entsetzens in Eduinas Gesicht. Dann die wütenden Anschuldigungen des Isenhagers, und schließlich das Raunen und Rumoren, das sich in der Menge ausbreitete. Es dauerte einen Moment, bis die Dame Morgenrot begriff, was da geschehen war.
Von einem Moment zum nächsten war die Tribüne wie verwandelt. Wo gerade noch über Turniere gescherzt worden war und übermütige Adlige mit vergangenen oder künftigen Taten geprahlt hatten, wurde die Szenerie nun vom Zorn aufgebrachter Menschen und Zwerge beherrscht. Und von den Schreien und Rufen des einfachen Volkes, die immer mehr zunahmen, je weiter sich die Nachrichten verbreiteten: «Der Herzog ist angegriffen worden», «ein Attentat auf den Herzog», «der Herzog ist gestürzt, Praois steh' uns bei». Seit etlichen Jahren nun schon war der mächtige Herzog der Herr dieser Lande. Es schien, als wankten die Nordmarken selbst, als Jast, von den vielen Stichen schwer verwundet, zusammenbrach. Jast Gorsam WAR das Herzogtum Nordmarken. Schnell hatten sich Flussgardisten um die schwer verletzte Hoheit geschart, angetrieben von den Befehlen der Landhauptfrau, deren Stimme sich fast überschlug.

«Darian, ich muss zum Herzog», sagte die Rodaschquellerin zu ihrem Ritter gewandt. Dieser ließ seinen Blick kurz über die Tribüne und das Durcheinander schweifen, das dem Treiben eines aufgescheuchten Bienenschwarms glich. Darian wandte sich um. Angespannt. Besorgt. Er straffte seine Schultern. «Herrin, es ist nicht sicher. Ihr solltet lieber …»
Die Elfe sah ihren Ritter an. Ein durchdringender, vorwurfsvoller, ja fast zorniger Blick, der keinen Widerspruch duldete. Darian presste die Luft aus seinen Lungen, nickte kurz und schwieg. Dann begann der kräftige Mann aus dem Hause Sturmfels, sich und seiner Herrin einen Weg durch die aufgebrachten Edelleute zu bahnen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie zwei Gardisten den Attentäter fortschafften, und wie der Isenhager mit hochrotem Kopf den Gratenfelser Grafen anschrie. Er stieß einen Junker zur Seite, der den Ritter mit einem wütenden Fluch bedachte, und drängte weiter nach vorn. Zwei gekreuzte Hellebarden der Flussgarde schließlich brachten Darian zum Stehen – wenige Schritte von dem Herzog entfernt. Die Anspannung stand den beiden Soldaten ins Gesicht geschrieben.
Noch bevor er etwas sagen konnte, schritt Liana an dem Sturmfelser vorbei auf die beiden zu, wandte sich dann aber an die Landhauptfrau, die in unmittelbarer Nähe zum Herzog stand: «Lasst mich durch! Vielleicht vermag ich es noch, seiner Hoheit zu helfen.»

In all dem Durcheinander schien Iseweine von Weiseprein die Baronin zunächst nicht zu bemerken. Halb an Liana, mehr jedoch an die Wachen gerichtet, antwortete die Landhauptfrau schließlich: «Nein! Niemand darf in die Nähe seiner Hoheit. Bringt seine Hoheit schnellstens auf die Burg, auf dass man sich des Herzogs annehme! Möge Praios uns beistehen!»
Jast Gorsam atmete schwer. Aus vielen Wunden sickerte Blut. Sein weißer Pelzkragen war von hellem Rot gefärbt. Er schien kaum wahrzunehmen, was um ihn herum geschah.
Bestürzt blickte Liana abwechselnd zum Herzog, dann auf die angespannte Landhauptfrau. In die zarte Stimme der Dame Morgenrot mischten sich Flehen und Verzweiflung: «Iseweine, ich beschwöre Euch! Mit jedem verstreichenden Augenblick verrinnt sein Leben. Lasst mich zu seiner Hoheit, dann liegt es vielleicht noch in meiner Macht, den Herzog zu retten. »

[Biora]
Als der Herzog aufsprang, um Alrik anzubrüllen, schien die Zeit plötzlich langsamer zu vergehen. Wie in Trance sah die Geweihte die Hand Hagens langsam zum Schwertgriff wandern, hörte den einen Zwerg seltsam langgezogen "Attentat!" rufen, während der andere mit wütend verzerrtem Gesicht den Landtgrafen anzugreifen drohte, sah plötzlich den Dolch in der Hand des Kranickers unendlich langsam in die Luft steigen, um sich dann in majestätischer Präzision in die Brust des Herzogs zu senken und wieder zu steigen ... die Stimmen der Menge vermischten sich zu einem hohlen, zornigen Dröhnen, das keine einzelnen Worte mehr erkennen ließ, Tumult brach aus in der Umgebung Jasts, jedes Bein, jeder Arm folgte dabei einer überderischen Choreographie ...
Plötzlich normalisierte sich der Zeitablauf wieder, Chaos und Geschrei brachen wie eine Welle über Biora herein und brachten sie zum Schwanken, doch nur für einen Moment. "Hesinde hilf!" war ihr einziger Gedanke, aller Groll dem Herzog gegenüber, der sie schon öfters in unangenehme Situationen gebracht hatte, vergessen. Ihr analytischer Blick versuchte die Lage zu entwirren, um ihr einen schnellen Weg zu Jast aufzuzeigen, denn möglicherweise mochte ihn nun nur noch der Beistand der Götter zu retten. Jetzt bereute sie es, ihrem treuen Leibwächter Tar'anam freigegeben zu haben in der Annahme, ihn bei einer langweiligen Truppenparade in der Hauptstadt des Herzogtums umgeben von den höchsten Adligen des Reiches und der Flussgarde nicht zu brauchen ...

Erbittert rangen die Flussgardisten, die hinter Seiner Hoheit gestanden hatten, den Kranicker nieder, der ihnen die Münze in erbitterter Gegenwehr heimzahlte. Zusammen mit den aufgesprungenen Adligen, die versuchten, sich zum Herzog vorzuarbeiten, und der Landthauptfrau samt zweier Gardisten, die genau dies zu verhindern suchten, wurde die Ehrentribüne zum Tollhaus.
«Macht Platz! Weg von Seiner Hoheit!» Die Kasernenhof-Stimme der Landthauptfrau war eine Oktave höher als üblich. Zusammen mit Gorfang vom Großen Fluss und von Brüllenfels, dem Allwasservogt, mühte sie sich, Platz um die zusammengesunkene Gestalt des Herzogs zu schaffen. «Das gilt auch Euch!» fügte sie, an die Baroninnen von Rodaschquell und Rickenhausen gewandt, hinzu.

Liana fühlte eine Hand auf ihrer Schulter, deren Besitzer sich mit einer haarsträubenden Selbstverständlichkeit an ihr vorbeidrängelte. «Ihr werdet hier kein Zauberwerk wirken, Hochgeboren!» Jorgast von Bollharsch-Schleiffenröchte bedachte einen Flussgardisten mit einem brennenden Blick, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen, und sank neben dem Herzog auf die Knie.
«Bringt ihn auf die Burg!» Iseweine fluchte herzhaft auf das Getümmel, in das sich die gerade noch so geordnete Welt verwandelt hatte.


(Liana) Ein Schauder überkam die Baronin von Rodaschquell, als der Praiosgeweihte sie an der Schulter berührte. Die Borniertheit und Dummheit dieser Praioten, gepaart mit einer auf nichts begründeten Arroganz, war ihr schon immer ein Greuel gewesen. Und es wurde gewiss nicht besser, wenn dieser ihrem Empfinden nach fanatische Tölpel in seinem religiösen Wahn sich anschickte, ihr untersagen zu wollen, dem Herzog zu helfen. Seine Berührung rief ein Gefühl des Ekels in ihr hervor, dessen sie sich nicht erwehren konnte. Angewidert wich sie zurück und bedachte den Beichtvater des Herzogs mit einem glühenden Blick. «Ihr werdet es unterlassen, mich anzurühren und Euch anzumaßen, mir Befehle zu erteilen.» Sie sprach mit kühler und schneidender Stimme, voll des unverhohlenen Abscheus, dessen jeder der Umstehenden gewahr wurde. Dann wandte sich von ihm ab, nicht Willens, eine Antwort ertragen zu müssen. Darian zog hinter ihr die Luft schwer ein und hielt den Atem an.

Den Herzog mit diesen Verletzungen von hier zur Burg schleppen? Welch eine Dummheit! Er wird auf halbem Weg verblutet sein , dachte Liana und überlegte, was sie tun konnte.
Hilfe suchend wandte sie sich an die Baronin von Rickenhausen, die in ihrer Nähe stand. Sie kannte die Geweihte der Hesinde. Eine kluge und vernünftige Frau und obendrein eine Tempelvorsteherin. Ihr würden diese keifende Hauptfrau und der bornierte Beichtvater vielleicht Gehör schenken.
«Er braucht sofort Hilfe. Sonst wird er den Weg zur Burg womöglich nicht überstehen», sagte die Rodaschquellerin und gab ihrer zarten Stimme alle Kraft, die sie konnte.

[Max] Völlig von den Geschehnissen hinter ihm überrumpelt, blieb Voltan zunächst nichts anderes übrig als sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Der Tumult, die sich gegenseitig abschirmenden Bewaffneten und das Geschrei ließen ihn seltsam kalt - die Szenerie erinnerte ihn sehr an Schlachtgetümmel. Wie dort, so war auch hier sein Geist klar - Schreck und Wut erreichten ihn nicht. Seine Augen suchten nach weiteren Gefahren. Der Attentäter war nicht mehr zu erkennen, den Grafen traute er nicht zu, sich hier und jetzt ein Scharmützel zu liefern. Da erblickte er die Rodaschquellerin, wie sie in Streit mit dem Illuminatus geriet. Offensichtlich wollte sie zum Herzog vordringen, um ihn zu magisch zu heilen. Welch fürchterliches Ansinnen - noch dazu an diesen ersten Praiostagen in Elenvina in Anwesenheit des Illuminatus! Voltan beschloss, dass die einzige wirkliche Gefahr im Moment von der unbelehrbaren Elfe ausging und behielt sie fest im Blick.

[Biora]
Biora glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können, als sie Jorgasts Befehl an Liana vernahm. Nach allem, was sie gesehen hatte, war es ein Wunder, dass der Herzog noch lebte! Für lange Diskussionen war demnach überhaupt keine Zeit, dennoch führte offenbar kein Weg an einer Konfrontation mit Seiner Excellenz und der Landthauptfrau vorbei, also wandte sie sich in Richtung Jorgast und Iseweine, so dass sich beide angesprochen fühlen mussten, aber keiner in bevorzugter Weise. «Ihr seid zu klug und welterfahren, als dass Ihr nicht genau wüsstet, dass gerade Magie in verantwortungsvoller Hand in einer Situation wie dieser, wo es möglicherweise auf Augenblicke ankommt, den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen kann, zumal ich Liana mit Hesindes Hilfe und all meiner Kraft unterstützen werde. Ihr wollt doch wohl nicht der Baronin von Rodaschquell Verantwortungslosigkeit und götterungefälliges Handeln vorwerfen – oder gar mir?»

Die Elfe und die Gesindegeweihten erhielten einen funkensprühenden Blick der Landhauptfrau. «Euer Hochgeboren, es gibt bestimmt Zeiten für einen hesindegefälligen Disput. Das hier ist keine.» Die beiden Söhne des Herzogs hatten sich zu ihrem Vater durchgekämpft und hoben die reglose Gestalt Jast Gorsams zusammen mit zwei Flussgardisten an. Die Nablafurterin und der Arraneder hingen, zum Grimm Iseweines, noch immer wie zwei Zecken an der Seite des Herzogs. Ein Platz, der nur dem Illuminatus gebührte, der gleichfalls nicht von der Seite Jast Gorsams wich. Die Truppe mühte sich, einen Weg von der Tribüne zu finden.

[Heiko]
Emmeranus Eborëus Elgor Wladjeff, Patriarch des Patrizierhauses Wladjeff, Rats- und Gerichtsherr Twergenhausens, hatte nicht weit von Illuminatus Jorgast entfernt gesessen, als das das Attentat geschah. Sein Blick wanderte nun abwechselnd zum Erleuchteten, zum Landedlen Voltan, zur Hesindegeweihten Biora und zur Elfe Liana.
Emmeranus war als offizieller Vertreter der Herzogenstadt Twergenhausen – und zudem als Mitglied des Albenhuser Bundes – Gast bei den Elenviner Praiosfeierlichkeiten und der Parade. Emmeranus war 1014 BF, als Hilberian sich zum Lumerian erhob hatte, aus geschäftlichen Gründen in Elenvina gewesen. Der bis dahin phexgläubige Mann war durch das große Praioswunder und den Greifenflug vom Glauben an den Händlergott abgefallen und seither von tiefster Praiosfrömmigkeit erfüllt. Emmeranus förderte nun mit seinem Vermögen die Gemeinschaft des Lichtes im Isenhag, wo sie bei weitem nicht die Stellung hatte, die sie verdiente. Von Illuminatus Jorgast und auch dem Herzog hatte er dafür einige Anerkennung erfahren.
Doch nun war die Zeit, nicht mit Gold, sondern notfalls mit seinem Leben für den Glauben einzutreten! Emmeranus, nicht mehr der Jüngste, drängte, über die Bänke der Ehrentribüne fast stürzend, an die Seite Jorgasts. Er stellte sich, unbewaffnet aber mit umso grimmigeren Blick, an die Seite des Illuminaten und fuhr Biora Tagan von Rickenhausen und Liana von Rodaschquell an: «Bei Praios! Welch‘ geringer Preis ist der Tod, wenn es darum geht, auch nur eine einzige Seele zu erretten!»
Die Kraft seines Glaubens hatte Emmeranus seine tiefsitzende Angst vor der Magie der direkt neben der Hesindegeweihten stehenden Elfe genommen. Praios‘ Mut durchströmte seinen Geist, erfüllte sein Herz ebenso, wie die gleißende Sommersonne seine Haut erwärmte. Nein, er würde nicht als Feigling sterben, wenn ihn die Elfe gleich mit ihrer finsteren Magie niederstrecken würde, um anschließend ihr schändliches Werk am Herzog zu verrichten!

[Max] Was sollte denn das? Hatte dieser Pfeffersack etwa dieselben Befürchtungen? Zumindest hatte er weniger Skrupel, sich einer Baronin in den Weg zu stellen - typisch Patrizier! Voltan wühlte sich die Sitzreihen zum Illuminatus hinauf. Hier war es viel zu eng, um eine Waffe zu ziehen, also baute er sich vor der Elfe auf und suchte sicheren Stand. "Euer Hochgeboren! Ihr werdet den Herzog NICHT verzaubern!" Voltan fixierte das Kinn seiner Gegenüber, um den beunruhigend amethystenen Augen auszuweichen.


(Liana) Noch bevor Liana reagieren konnte, hatte sich eine massige Gestalt zwischen sie und Voltan geschoben. In den breitschultrigen Ritter der Baronin war in dem Augenblick Bewegung gekommen, als Voltan sich bedrohlich nah vor der Elfe aufgebaut hatte. "IHR WAGT ES? WEG VON DER DAME MORGENROT", schrie Darian von Sturmfels Voltan ins Gesicht und schien drauf und dran, seiner Forderung mit einem kräftigen Fausthieb Nachdruck zu verleihen oder sich Platz zu verschaffen, um sein Schwert ziehen zu können. Mit dem Rodaschqueller Ritter war nicht zu spaßen. Er war für sein hitziges Temperament bekannt, und seine schnelle und kraftvoll geführte Klinge war geachtet.

Lianas legte ihre Hand auf den Arm Darians und sagte nur: "nein, nicht."

So viele Priester hatte sie schon kennengelernt. Die meisten waren freundlich, Liana mochte sie. Die sinnlichen der Rahja und die lebensbejahenden der Tsa waren ihr die liebsten. Doch auch die der Peraine und der Travia schätzte sie. Das Geschick derjenigen Ingerimms bewunderte sie, den Witz derjenigen des Phex. Jene der Hesinde - auch wenn sie bisweilen etwas trocken waren - zeigten sich immer offen. Aber die Priester des Praios mit ihren Botschaften des Hasses, mit denen sie ihre Anhänger vergifteten und verblendeten? Schon kleine Kinder wussten, dass man nicht in die Sonne schauen darf, denn sonst blendet sie einen.

Sei es! Es oblag nicht ihr, zu entscheiden, es oblag nicht diesem Priester, und ganz gewiss nicht diesen beiden verwirrten, zeternden Gestalten. Es oblag der Landhauptfrau. Und wenn diese es ihr verweigern sollte, dann sollte es eben so sein. Vielleicht würde der Herzog es schaffen, vielleicht nicht. Und wenn nicht, dann..., ja dann....

"Soviel Furcht habt Ihr vor mir? Ich bin doch nicht Euer Feind", sagte die Baronin mit einer entwaffnenden Aufrichtigkeit und ehrlicher Verblüffung, ohne jemanden direkt anzusprechen. "Ihr dauert mich, dass Ihr den Tod so sehr verteidigt, nicht jedoch das Leben", sagte sie dann schlicht.

[Biora]
Wie lautete ein Sprichwort, welches einem gewissen Teil des Volksmunds nach der Hesindekirche zugeschrieben wurde? "Der Klügere gibt nach - wenn ihm nichts besseres einfällt." Nun, wie es aussah, würde die Landthauptfrau mit Gewalt jede Hilfe für den Herzog unterbinden, was wohl auch Liana von Rodaschquell so sah. Insofern fiel ihr wirklich nichts besseres ein, als den Blick Iseweines mit gleicher Münze zu erwidern und innerlich Jast Gorsam Praios' Beistand zu wünschen, denn in dessen Händen befand er sich ab nun hauptsächlich. Sie trat zurück und strebte danach, nun dem ärgsten Trubel aus dem Weg zu gehen.

[Heiko]
Wieso nur der Herzog? So dachte Hagen von Salmingen-Sturmfels als er die Klinge des Kranickers sah. Niemand hatte einen Dolch in der Brust verdient, und schon gar nicht der Herzog der Nordmarken. Wenn schon, dann hätte er dem Landtgrafen Alrik gebührt. Hagen sah den schwerverwundeten Herzog niedersinken keine zwei Schritt vor ihm niedersinken. Nur noch die Götter oder, daran mochte Hagen gar nicht denken, Magie würden Seine Hoheit nun noch retten können, davon war er überzeugt. Um ihn herum wurden Waffen gezogen, Wut- und Angstschreie waren zu hören, Befehle wurden gebellt. Der Baron zu Kranick wäre in seiner Waffenreichweite gewesen, aber Hagen zögerte einen Augenblick. Da drängte auch schon die Hesindegeweihte Biora an ihm vorbei, und einen Wimpernschlag später versperrten die Leibgardisten des Herzogs ihm den Weg zu dem feigen Attentäter und dem Verwundeten. Direkt beim Herzog befanden sich dessen beiden Söhne Frankwart und Hartuwal, einträchtig wie seit Jahren nicht mehr. Hagen machte ein paar Schritte zurück, sofern dies in dem Gedränge überhaupt möglich war.
Warum der Herzog? Und warum der Kranicker? Bärhardt war ein Koradiner und ein enger Vertrauter Hartuwals. Beides sprach gegen den Kranicker als Attentäter, es machte einfach keinen Sinn. Koradiner - Hagen war schließlich selbst einer, wenn er auch seit Beginn des Streits um Dohlenfelde die Koradinertreffen mied - begingen keine feigen Morde, und Hartuwal würde so oder so in absehbarer Zeit Herzog werden.
Andererseits, der Kranicker war ein Vasall Alriks - steckte etwa dieser hinter dem Attentat? Hagen traute es dem Gratenfelser Landgrafen Alrik zu. Und auch dem Reichskronanwalt Alrik. Denn der war ein erbärmlicher Lakai der Kaiserin und ihres Speichelleckers Rondrigan Paligan. Und dass der Reichsgroßgeheimrat nichts auf den nordmärkischen Herzog hielt, das war kein Geheimnis.
Hagen hasste Verschwörungen! Der Baron zu Dunkelforst und Baruns Pappel schätze es zu wissen, wer Freund und wer Feind war. Ein klagendes "Frau Rondra, steh uns bei!", entfuhr Hagen, als er sein Schwert Hlûtharhilf wieder in die Scheide steckte.

(Jochen)
Barox der bei seiner Hoheit neben der Nablafurterin kniete blickte die Landhauptfrau an, dann nickte er verstehend und erhob sich.
Iseweine würde für alles sorgen, da war sich des Herzogs Vogt sicher.
«Gebt mir Nachricht werte Landhauptfrau sobald es Eure Zeit zulässt!»
Er wische sich die blutverschmierten Hände an seinem Wams ab und trat zurück.
Barox erfasste die Lage, sah den Kranicker auf dem Boden liegen, Flussgardisten auf Ihm. Dann wanderte sein Blick zu seinem Graf wissend um dessen Worte. Barox sah wie sich hinter dem Gratenfelser Grafen Alrik einige seiner Gratenfelser Adligen sammelten.
«Folgt mir!» gab Barox seinen Mannen Anweisung und trat an die Seite Gambirs.

[Jan] Die Verweigerung des Grußes und der darauf folgende Tumult überraschten auch Hesindagoras. Nun erwies sich seine Wahl des Sitzplatzes doch als eher ungünstig, mühsam begab er sich durch die Reihen auf das Zentrum des Tumultes zu und nahm so Kenntnis von dem Disput zwischen dem Praiosgeweihten auf der einen und der Baronin von Rodaschquell auf der anderen Seite. «Obwohl Magie hier nicht gerne gesehen sein mag, so kann ich auch nicht nachvollziehen warum das Angebot ausgeschlagen wird, es geht darum den Herzog zu retten und einer der sichersten und schnellsten Wege, ist nun einmal der Einsatz von Zauberei.»



[Michael]
Ab von der Tribüne der hohen Herrschaften, doch nah unter den wohlgelittenen Gästen wechselte der Albernier Ailill Feriad ui Seadh die Farbe und seine eh schon blassen Gesichtszüge wurden weiß. «Das also», flüsterte er fassungslos. «Das also stand in den Sternen.» Sein Lehrer und Vorgesetzter am Albernischen Hofe, Cethern von Dunklerglen, hatte die Bedeutung dieser Stunden gesehen – doch wer hätte diesen Vorgang vorhersagen können? Seine Cousine neben ihm, die Adepta Larona Yasinai, machte einen Schritt nach vorn, bestrebt die Menge zu verlassen, näher heran zu kommen, doch ihr Ziel schien nicht der Pulk um den Herzog zu sein, sondern der Attentäter. Er hielt sie zurück. «Nicht! Misch Dich nicht ein.» Echte Sorge lag in den hastig gesprochenen Worten – die Macht und der Wahn der Praioten in diesen Landen waren ihm wohl bekannt und wenn er sich nicht täuschte griffen diese auf der Tribüne bereits in das Handeln ein. «Du verstehst nicht!» Laronas Stimme zitterte trotz ihrer immensen Selbstkontrolle. Licht brach sich in der Kristallkugel die in ihrem Stab eingelassen war, verriet Magie. «Ich muss wissen! Das ist unsere Aufgabe.» Sie riss sich von ihrem Cousin los. «Jetzt! Jetzt liegen die Gefühle offen da, unverfälscht, wahr. Jetzt kann ich sehen was ist, ahnen, warum. Nicht erst, wenn das leidige Spiel vorbei ist, die Politik alle Wahrheit vergiftet hat.» Schnellen Schrittes entfernte sie sich, ihr hoch wacher Geist Personen, Bahnen, Absichten kalkulierend, wohl wissend wie nah sie kommen musste.
Aillil blieb zurück. Sein Augenmerk wanderte von ihrem langen wehenden Haar in den Himmel zum Praiosmal, dessen Azimut und Höhe er schätze, die Stunde festhielt. Dann suchte sein Blick den einen Anderen im Dienste der Albernischen Krone vor Ort. Dort auf der Tribüne, in der Gruppe Hartuwals, jetzt in den Hintergrund tretend. Ihre Augen trafen sich. Ein kaum merkliches Kopfschütteln, ein gemeinsames Verständnis zwischen zwei ungleichen Männern: Dies mag uns wohl betreffen – doch kein Schritt näher heran, keine Geste die missverstanden werden mochte, keine Handreichung, bei der, in diesen Stunden, ein Nordmärker einen weiteren Stoß vermuten mochte. Aillil ui Seadh nahm sein Schreibzeug aus seiner Tasche. Er würde die Geheimräte Albernias zu unterrichten haben.
Der albernische Gesandte an der Reichskanzlei indes sperrte Augen und Ohren auf. Vor Minuten noch hatte sich in die Gedanken des jovialen Mannes Amüsement eingeschlichen, als während der Truppenparade – die ihm aus naheliegenden Gründen mehr als unangenehm gewesen war, schließlich hatten nicht wenige der Truppen hier ihren letzten Kampfeinsatz in Albernia gehabt – die Einheit des Gratenfelser Grafen ihren Gruß verweigert hatte. Als der Herzog, wenig überraschen, cholerisch reagiert hatte, da hatte es nahe gelegen sich zu fragen, wie Jast die eigene Medizin wohl schmeckte: Teile – zerteile – und herrsche. Erprobtes Mittel der Machtpolitiker. Welche, weniger als noch jeder sonst, es ertragen konnten, wenn es ihnen selbst wiederfuhr. Ja, selbst aus der Sicht eines reichstreuen Alberniers mochte es Jast Gorsam verdient haben, dass er sein Lebenswerk zerbrechen sah ehe er abtrat. Doch dies bedeutete nicht, dass er diesen Abgang verdient hätte. Niemand verdiente Ziel eines feigen Attentats zu sein. In diesen Momenten jedoch, war der Herzog für Albernia nicht mehr wichtig. Verborgen zwischen Söhnen, Höflingen und Soldaten war er nicht mehr Teil des Bildes und ob er in dieses zurückkehrte, war in der Hand der Zwölfe. Die Fraktionen, welche sich nun jedoch bildeten, die Konflikte die aufbrachen, die Allianzen die sich zeigten... sie galt es zu erfassen.

«Macht Platz für den Herzog!» Iseweine versuchte, in dem Gewühl auf der Ehrentribüne der Gruppe um Jast Gorsam genug Raum zum Abzug zu verschaffen. Ein fast aussichtsloses Unterfangen.
Der Gratenfelser und der Isenhager waren, hochrot im Gesicht, dazu übergegangen, Anschuldigungen zu tauschen, während sich ihre Parteigänger um sie sammelten, die Gefolgsleute des Erbprinzen jene Frankwarts mißtrauisch beäugten und der Kreis um den niedergerungenen Kranicker beständig dichter wurde.
Unter der Tribüne war die Truppenparade ins Stocken geraten, die Gratenfelser Garde sammelte sich vor dem Nordmarkentor und die Schaulustigen drängten sich gleichfalls zusammen. Ein deftiger Fluch entrang sich den Lippen der Landthauptfrau.

Quälend langsam bewegte sich die Gruppe um den Herzog, die beiden Prinzen, Exzellenz Jorgast und einige Flussgardisten von der Tribüne und hin zur Veste Eilenwïd-über-den-Wassern.
Auf der Ehrentribüne fiel die undankbare Aufgabe, Ordnung ins Durcheinander zu bringen, an den Allwasservogt und die Landthauptfrau, die mit gerunzelter Stirn das Getümmel der Gratenfelser Truppen, den Streit zwischen den Grafen und das Durcheinander der geladenen Gäste betrachtete – sowie der stetig wachsende Auflauf der Bürger vor der Tribüne, die in erste Wortgefechte mit dem Gratenfelser Garderegiment gerieten.
«Verd...!» Gorfang Reto vom Großen Fluss und von Brüllenfels, Allwasservogt des Herzogtums und im Gegensatz zu Iseweine trefflich ungehindert von der generllen Ansicht der Praioskirche, herzhafte Flüche betreffend, führte die von der Landthauptfrau nur angerissene Rede genüßlich und mit einem ehrfurchtgebietenden Vokabular fort.
Sein suchender Blick traf den Vogt von Arraned und drei weitere Gratenfelser Würdenträger. «Hochgeboren, Wohlgeboren – versucht, etwas Distanz zwischen Seiner Hochwohlgeboren und seinem Gegenüber zu schaffen. Und Ihr» was den restlichen der umstehenden Gratenfelsern galt – «helft mir, die Gratenfelser Truppen hier fortzuschaffen, bevor noch mehr Blut fließt.»
Die Landthauptfrau bedachte die unvorsichtigerweise in der Nähe stehende Lioba mit einem knappen Blick. «Bilgraten, Euer Urlaub ist gestrichen. Kümmert euch darum, dass der Attentäter lebend das Verließ der Burg erreicht – und in diesem Zustand dort bleibt. Sucht euch noch ein paar Leute dazu. Wildenberg, Aarberg, helft ihr dabei.»
Mittlerweile hatte der Streit zwischen den beiden Grafen noch an Wut zugelegt, und unter den Anhängern flogen die ersten Fäuste – kommentiert von wütenden Rufen des Gratenfelser Regiments unter der Ehrentribüne. «Brüllenbösen, Wichtenfels - seht zu, dass Ihr Graf Ghambir beruhigen könnt. Rodaschquell, bitte teilt den Patriziern und Gästen mit, dass das Schauspiel zuende ist – sie dürfen sich zurückziehen.»
Wo war die Flussgarde, wenn man sie einmal brauchte? An der Seite des Herzogs und über dem unglückseligen Attentäter – aber wie immer: es waren zu wenige. Viel zu wenige. Iseweine schlug das Praiosrad und stürzte sich in die Arbeit.

[Max] Den Grafen beruhigen? Voltan kannte Ghambir nicht! Er war schon froh, ihn auf der Tribüne überhaupt erkannt zu haben, auch wenn er sich seit dem Streit nicht mehr ganz sicher war, ob das wirklich der für seine fast schon an Ignoranz grenzende Besonnenheit bekannte Zwerg war - ganz im Gegenteil zum Grafen Alrik, den er bei einer gemeinsamen Jagd vor einigen Monden kennen und schätzen lernte. Und überhaupt: Wie beruhigte man einen Erzzwerg? Er hatte weder ein Fässchen Bier noch ein Bündel Steuerpapiere oder die Lex Zwergia dabei, um den Angroscho abzulenken. Und ihn einfach packen und wegzuziehen kam ob seines Standes nicht in Frage. Ratlos schaute er den Vogt zu Brüllenbösen an: "Nach Euch, Euer Hochgeboren."

[Heiko]
Hatte die Landthauptfrau eben tatsächlich seinen Vetter Voltan und den Brüllenbösener Vogt angewiesen, Graf Ghambir zu beruhigen? Hagen war über das gänzlich untypische stürmische Verhalten des für seine Besonnenheit und Zurückhaltung bekannten Erzzwergs ohnehin zutiefst erstaunt. Wäre Ghambir ein Ambosszwerg, es hätte Hagen nicht verwundert, ihn so tobend zu erleben. War das wirklich der Graf Ghambir, der nicht selten Jahre brauchte, um wohlüberlegt, nach allen Seiten hin abgesichert und vor allem juristisch einwandfrei auf eine neue Situation zu reagieren? Wer sollte zudem einen wütenden Zwerg aufhalten? Ein durchgehendes Pferd war nichts dagegen!
Trotzdem, klug war die Anweisung Iseweines sicherlich gewesen, war doch ein tobender Graf auf der Tribüne nicht zu gebrauchen, und waren sowohl Voltan als auch Barox dem Isenhager Grafen wohlbekannt, während weder der Landedle noch der herzogliche Vogt in einem Lehensverhältnis zu ihm standen. Auch konnten die beiden Landherren von herzoglichen Gnaden eine Anordnung der Landthauptfrau kaum ignorieren.
Der Baron von Dunkelforst und Baruns Pappel war gespannt, wie es nun weiterging – und war froh, als auswärtiger Gast in DIESER Schlacht nicht mitstreiten zu müssen...

[Biora]
Die Baronin von Rickenhausen hatte es geschafft, den Rand des Tumultes zu erreichen, konnte aber nicht umhin zu bemerken, wen Iseweine schickte, um die aufgebrachten Grafen zu beruhigen. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Hesinde war heute fern an diesem Orte. Hier wäre Jorgast der Richtige gewesen, um einzuschreiten, denn wenn die Grafen es darauf anlegten, würden sie sich von einem Edlen und einem Vogt nicht davon abhalten lassen ...

(MO)
Die Fürsprache der Baronin von Rickenhausen war ohne Antwort und ohne Ergebnis geblieben. Es war unfassbar, wie sehr Dummheit und Furcht die Oberhand an diesem schlimmen Tag behielten, dachte die Baronin von Rodaschquell. Liana blickte Biora Tagan kurz an, und letztere hatte keine Mühe zu erkennen, was in ihr vorging.
Die zierliche Elfe warf einen Blick auf die gaffende, teils lärmende, teils tuschelnde und drängelnde Menge. Sah den feindseligen, herausfordenden Blick in den Augen ihres Ritters, der drauf und dran war, den ersten, der ihr zunahe kommen sollte, zu attackieren. Sah den zornigen Grafen Ghambir, der als so besonnen bekannt war und den sie eigentlich sehr schätze. So hatte sie ihn noch nie erlebt. Sah die kräftigen Flussgardisten, die in höchstem Maße angespannt waren, roch den Geruch von Schweiß und Angst ...
Nein, sie würde sich ganz gewiss nicht vor all diese Adligen und die Kaufleute stellen um ihnen wie Kindern zu sagen, dass sie gehen sollten. Selbst wenn man sie hören sollte: Welch eine Anmaßung wäre das! Nein. Sie würde selbst gehen.
"Ich fürchte, meine Stimme ist nicht so gewichtig wie die Eurige", sagte die Baronin von Rodaschquell mit ausdrucksloser Stimme in Richtung der Baronin von Schwertleihe und wandte sich dann zum Gehen. Es gab hier nichts mehr. Ob die Landhauptfrau sie in dem Tumult und all dem Lärm gehört hatte? Was spielte das schon für eine Rolle ...

Darian warf Voltan einen letzten feindseligen Blick zu, ehe er dafür sorgte, dass seine Herrin die Tribüne verlassen konnte.

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Er hatte gut daran getan, sich abseits zu halten. Ein wenig ärgerlich war es zwar schon, dass er von den hinteren Rängen der Tribüne nicht so recht mitbekam, was da vor sich ging. Aber es war genug, um sich ein Bild machen zu können. Nein, Ernbrecht Travialieb von Mersingen, Junker von Rosenhain, würde bleiben, wo er war. Aufmerksam, aber unauffällig. Er würde früh genug alles erfahren, was dort vor sich ging. Es reichte, zuzuhören, die unterschiedlichen Geschichten zu hören und dann mit dem zusammenzusetzen, was er selbst sah und hörte. Nun schien es, dass die Wahl zwischen Frankwart und Hartuwal womöglich schneller getroffen werden musste, als es zuvor den Anschein gehabt hatte. Wenn der alte Herzog es nicht schaffen sollte.
Sei es. Er, der Junker von Rosenhain, würde ihm nicht nachtrauern. Viel interessanter würde sein, wenn die Karten neu gemischt würden.
Sein vormals dunkles Haar war schon an vielen Stellen ergraut, während die Baronin von Rodaschquell noch immer ihre makellose Schönheit behalten hatte. Wie ungerecht! Seine Gemahlin, Eleonora, vormals eine schöne Frau, war zunehmend gealtert. Ernbrecht hatte sich daher eine Mätresse nehmen müssen. Und auch Eleonora hielt sich einen Gespielen. Warum auch nicht. Das Leben des Junkers und seiner Familie war in geordneten Bahnen, aber sie waren eben nach wie vor nur Junker und Junkerin. Wohlgeboren zwar, aber nicht Hochgeboren. Eine Elfe hielt den Baronsthron in Rodaschquell, und nicht ein Mersinger.

In gewisser Weise hatten die beiden sich mit der Baronin von Rodaschquell abgefunden. Ja, es war sogar eine gewisse Freundlichkeit aufgekommen. Aber jetzt, da sich womöglich einiges änderte in den Nordmarken, würde man sehen, ob sich nicht etwas daraus machen ließ.
Wäre es nicht großartig, wenn die Elfe in Ungnade fallen würde? Sicher, sie hatte Rodaschquell noch vom alten Kaiser erhalten und war somit in gewisser Weise unantastbar. Nur Rohaja konnte es ihr wieder nehmen. Aber wenn man einige Trümpfe geschickt ausspielte, gepaart mit dem Druck der Praioskirche, dann würde Ernbrecht vielleicht Erfolg haben. Nach all den Jahren.
Schon damals hatte er gehofft, Rodaschquell ginge an Mersingen, nachdem das alte Geschlecht Rodaschquells ausgestorben war. Aber Haus Gareth hatte keinem der großen und alten Häuser mehr Macht geben wollen, und so erhob es seinerzeit lieber etliche Abenteurer, die Haus Gareth vielleicht den ein oder anderen Dienst erwiesen hatten, in den Adelsstand. Ein Jammer.

Doch nun winkte wieder eine Chance. Eine Möglichkeit. Mit etwas Glück würde Jast Gorsam zu Boron fahren. Der sture alte Herzog hatte schon so vieles verhindert. Seine Söhne waren klüger. Offener.
Haus Mersingen besaß viele Geheimnisse. Wenn man einige davon preis gab, dann ließe es sich vielleicht machen, dafür zu sorgen, dass noch etwas mehr an dem Stuhl der Rodaschquellerin gesägt würde. Eine Gefälligkeit für eine andere.
Ernbrecht würde sich mit Base Yolande besprechen müssen, um mit ihr gemeinsam zu erörtern, wie sich aus der ganzen Sache etwas für die Familie herausschlagen ließ. Und das würde es ganz sicher.
Ein zufriedenes, aber kaum merkliches Lächeln umspielte Ernbrechts Züge, als er und Eleonora sich zum Gehen wandten. Mit dem Tumult wollten sie schließlich nichts zu schaffen haben.

(Jochen)
Seine Hochwohlgeboren Gambir, Sohn des Gruin, war rot vor Zorn.
«DAS WERDET IHR BEREUEN ALRIK. NIEMANLS WERTDE ICH EUCH DEN FREVEL AN SEINER HOHEIT DURCHGEHEN LASSEN. EUER ADEL MIT DEN HÄNDEN AN DEN WAFFEN..» Gambir deutete auf Gisborn, Gloynhardt und die anderen Adligen welche sich an die Seite Alriks gestellt hatten «… WIRD EUCH NICHT VOR DER GERECHTEN HAND PRAIOS SCHÜTZEN! IHR…..»
[Dennis]
Graf Alrik Custodias Greifx war bisher, so schwer es ihm auch gefallen war, einigermassen ruhig geblieben und hatte es nur auf ein Wortgefecht mit dem Grafen Gambir ankommen lassen. Alleine um die Stimmung seiner und dessen Anhängern nicht weiter anzuheizen. Doch als der Zwerg die Stimme erhob und die Anklage gegen ihn, trotz des Tumults überall auf dem Platz vernommen werden konnte, schlug er mit gleicher Waffe zurück.
«ICH GAB EUCH DIE GELEGENHEIT, EUCH BEI MIR FÜR DIESE UNGEHEUERLICHKEIT ZU ENTSCHULDIGEN, GRAF GAMBIR.
STATT DESSEN FAHRT IHR FORT MIT EUREN VERLEUMDUNGEN, DROHUNGEN
UND LEEREN ANSCHULDIGUNGEN.
BITTET MICH AUF DER STELLE UM VERZEIHUNG ODER ICH WERDE MIT EUCH VERFAHREN WIE ES UNTER DEN ANGROSCHIM ÜBLICH IST, WENN MAN ES MIT EHRLOSEN LÜGNERN ZU TUN HAT!»
Er machte eine kurze Pause und holte tief Luft.
«EIN WEITERES WORT, EINE WEITERE BELEIDIGUNUNG UND BEI DEN GÖTTERN, ICH WERDE EUCH HÖCHSTPERSÖNLICH EINE SCHANDFRISUR IN DEN BART SCHEREN. AUF DAS IHR DIE NÄCHSTEN FÜNFZIG GÖTTERLÄUFE DARAN DENKEN WERDET, WIE MAN SICH GLEICHGESTELLTEN GEGENÜBER ZU BENEHMEN HAT!»

(Jochen)
Auf die Worte Alriks hin spuckte Gambir aus.
In diesem Moment erreichten der Vogt von Brüllenbösen und der Wichtenfelser den aufgebrachten Grafen. Barox stellte sich vor Gambir, welcher immer weiter nach vorne drängte und sah ihm, sofern das möglich war denn der Graf war leicht größer als seine Hochgeboren, direkt in die Augen. Worte auf Rogolan erreichten den Grafen dessen Gesichtsfarbe dadurch nicht heller wurde, aber seine Rede stoppte.

(Jochen)
«Ka Angrosch garaschmox! Xorloscho-romdra Jast! Beruhigt Euch Hochwohlgeboren! Nicht hier und jetzt!» Barox war vor den Grafen getreten und versuchte Gambir zu beruhigen. Im Augenwinkel nahm er die Brüllenbösener Edlen wahr welche sich hinter Gambir aufgebaut hatten. Sein Blick traf den Bryons und er schüttelte leicht den Kopf. Bryon nickte wissend.
«Ein Kampf hier würde unnötige Opfer fordern Hochwohlgeboren bedenkt das!»

(Jochen)
Der Isenhager Graf zischte den Vogt an. «Ich werde diesen Beldarakin richten Hochgeboren! Ka baskan draxin! Und jetzt geht mir aus dem Weg! DRODDA!» Der Graf schnaubte auf als der Vogt stehen blieb und ihn nicht vorbei ließ.
Barox wusste, dass er nun auf einem schmalen Grad wandelte. Gambirs Augen schienen den Vogt zu durchbohren.
«DRODDA Vogt!»

{Dennis] Alrik war des Rogolan in Teilen mächtig, aber auch jemand der die Sprache der Zwerge nicht verstand wusste, was die Worte des Grafen sinngemäß bedeuten mussten. Der Graf von Gratenfels trat auf den Angroscho zu, mit blitzenden Augen und scheinbar bereit seine eben geäußerte Ankündigung in die Tat umzusetzen. Noch hatte er keine Hand erhoben oder gar eine Klinge blank gezogen, aber er wirkte wild entschlossen den Grafen Gambir, wenn es sein musste mit einem Dolch oder einer Axt zu rasieren.

(Martin)
Xorgolosch stellte sich neben seinen Vogt. An den beiden Zwergen war gewaltlos kein Vorbeikommen.

(Jochen)
«VERRÄTER!» wetterte der Graf. Nur noch seine Hochgeboren von Brüllenbösen und er Edle zu Erzwacht standen zwischen den Grafen, welche bereits die Hände an den Waffen hatten.


[Heiko]
Warum mussten nur überall Zwerge Grafen sein? Im Isenhag, in Ferdok, und bestimmt noch andernorts, dachte sich Hagen. Der junge Baron beobachtete das Schauspiel, das sich vor seinen Augen abspielte, geradezu gefesselt. Was würde als nächstes geschehen?
Nicht, dass Hagen von Salmingen-Sturmfels sich für das Immanspiel sonderlich interessierte, dazu war es offensichtlich zu sehr die Unterhaltung des einfach Volkes, und bei weitem nichts, das einem Hochadligen geziemte – aber dennoch musste er gerade an die zum Zwergenvolk gehörenden Verteidiger von Vorwärts Angbar denken. Es fehlten eigentlich nur noch die Schläger aus Eschenholz, um das Bild komplett zu machen. Immer feste druff!
Eigentlich schade, dass Landgraf Alrik nicht den Zorn des Grafen Ghambir zu spüren bekommen hatte, sinnierte Hagen. Dieser Speichellecker des Reichsgroßgeheimrats hätte es wahrhaft verdient. Hoffentlich würde sich der Herzog schnell von dem feigen Attentat erholen, um dem aufsässigen Gratenfelser endlich mal zu zeigen, wer der Herr in den Nordmarken war!

[Jan] Hesindagoras begab sich so gut es ging zu dem Attentäter, «welchen Weg sollen wir zur Burg nehmen?» wandte sich Hesindagoras an Lioba von Bilgraten. Sowenig sinnvoll er es auch fand, dem Herzog nicht auf der Stelle mittels Magie zu heilen, so musste er sich doch eingestehen, dass er froh war anderweitig zu helfen. Er hoffte nur der Herzog möge die Feste lebend erreichen und das noch genügend Zeit für eine Versorgung der Verletzung bliebe, sowie das der Attentäter ebenfalls lebend die Burg erreichen werde, damit näheres zu den Gründen des Attentats offenbar werde.

[Michael] Die Gründe des Attentäters waren just in diesen Momenten das Ziel der Eleniver Adepta Larona Yasinai – doch ob sie offenbar werden sollten, das mochte Hesinde entscheiden, auch und nicht zuletzt durch ihrer Tochter Mada Geschenk. Die junge Frau fokussierte ihren Geist; das Glitzern des in ihren Stab eingelassenen Kristalls verstärkte sich; ihre Gedanken wurden mit jedem Schritt den sie tat schneller, schärfer, durchdringender. Endlich tat sich die Lücke auf, die sie brauchte. Endlich schmolz der Abstand auf die rechte Anzahl Schritte. ‚Sieh her!‘ Eine Aufforderung, die Stimme geworfen, halblaut nur, doch tragend, zu jenem einen der sie galt. Eine Aufforderung, kaum abzuwehren, bediente sie sich doch jener Wesenszüge, die den Menschen ausmachten, wissen zu müssen, sehen zu müssen was ist, was droht – Eigenschaften, welche die Magi der Academia dominationis besser verstanden als jeder sonst. Eine Aufforderung, die trotz der widrigen Umstände befolgt wurde, für einen Augenblick nur, eingeschränkt durch das Zerren und Stoßen brutaler Hände.
Doch ein Augenblick war alles was die Adepta brauchte. Ein Augenblick – und der Zauber griff. Längst bereit in ihrem Geist sprang er über, zerbrach die Abwehr, lockte damit doch mitzuteilen, was verborgen war, sei es aus Stolz auf das Erreichte, sei es aus Angst unter ein falsches Zeugnis zu kommen, sei es aus der Not heraus, dem Bedürfnis nicht alleine zu sein in einer Welt die nun mehr als feindselig war. Griff nach dem Inneren, den Gefühlen, jenen die wahrlich zählten ... nicht der Schmerz des verdrehten Arms ... nicht der Widerstand ... nicht die Wut über die ertragende Grobheit ... nicht die Angst vor dem Morgen, den Konsequenzen ... nein, all das schob sie zur Seite, erfasste, durchdachte, und machte den nächsten Schritt ... Was trägst Du in Dir? Was hat Deine Hand geführt? Welches Gefühl war Dir Motiv? ... War es persönlich? Politisch? Geltungssucht? Opfer für Größeres? Rache? Sorge, Angst gar um andere? Um das Land? Hass?
Im Strudel der Gefühle des Kranikers griff Larona zu. Erfühlte was sie brauchte, sah es wie das funkelnde Licht der weißen Magie vor sich, schloss ihre Hand und riss es mit sich, zu ihr, als der Attentäter weiter getrieben wurde. Für einen kurzen Moment spiegelten sich die ungewohnten, fremden, nicht eigenen Gefühle auf ihren Zügen – ein seltener und kaum zu verzeihender Lapsus in der Disziplin des Geistes. Dann griff ihre Kontrolle. Das schöne Gesicht wurde erneut zur Maske, nur die hellen Augen funkelten voller Ausdruck. Sie schlug die Kapuze ihres Gewandes hoch und drehte sich weg. Die Akademie hatte was sie brauchte. Ihr Dienst war getan.

Während sich der Ring um den Kraniker immer dichter schloss und der Lärmpegel um die beiden Grafen anschwoll, ertönte über allem die Stimme der Neidensteiner Baronin. «Was erdreistet Ihr Euch?» Nicht weniger laut gab die Landthauptfrau zurück «Niemand bedeutet niemand, auch nicht Ihr, Hochgeboren!» Zwischen den beiden Frauen schien die Luft Funken zu schlagen und übelst nahm es die Neidensteinerin auf, so mir nichts, dir nichts von der Seite des Herzogs gepflückt worden zu sein. Wenigstens waren die Prinzen samt Begleitung mit Seiner Hoheit inzwischen zu ihren Rössern durchgedrungen und wohl schon längstens auf der Eilenwid angekommen.

Vor der Tribüne rottete sich eine beträchtliche Menschenmenge zusammen, und die ehemals geschlossenen Reihen der Gratenfelser Garde waren mit Zivilisten durchmischt und an einigen Stellen im Getümmel blitzte blanker Stahl.

Es dauerte lange, bis Landthauptfrau, Allwasservogt, Flussgarde und die loyalsten der Vasallen des Herzogs wieder einigermaßen Ordnung hergestellt hatten.


(Nils) Das Zentrum des Getümmels verlagerte sich Schritt für Schritt von der Herzogentribüne fort. Unruhig wuselten verschiedene Adlige unterschiedlichen Ranges umher, hier schubste ein Edler einen Ritter beiseite, dort fuhr ein Baron einen Junker an. Dass sich da zwei der ohnehin nur drei Grafen des Herzogtums, dessen Herrscher gerade niedergestreckt worden war und um sein Leben bangen musste, schien da nicht weiter erwähnenswert.
Ruhig stand jedoch eine Gestalt in diesem Getümmel und beobachtete aus der Entfernung das ganze Geschehen. Als Niederadliger hatte er abseits des Geschehens gesessen und erst aufgesehen, als die ersten Schreie ertönten.
«Der Herzog!» keifte eine Edle im vornehmen Gewand direkt an seinem Ohr, dass es nur so klingelte. Ein Ritter langte an seinen Schwertgurt, an dem jedoch keine Waffe hing, und brüllte: «Seine Hoheit ist tot! Tod für den Verräter, bei Praios, ich fordere Gerechtigkeit!» Ob der Herrscher der Nordmarken wirklich bereits tot war, das konnte der Halbelf, welcher ruhig in diesem Getümmel stand nicht sehen. Zumindest nicht mit seinen Augen. Er hatte sich dann erhoben und einen Überblick über das Chaos verschafft. Ruhig stand er da, nur ein Lüftchen bewegte seine Robe aus nebelgrauem Brokat und den grünen Skapulier mit den silbernen Einhornborten. Es war Ynbaht Sanyarin von Lichtenberg, Priester des Nandus und Junker von Grasbühl, welcher das Szenario beobachtete und versuchte seine eigenen Schlüsse zu ziehen. ‚Erhabener Meister Nandus, jetzt verstehe ich deine Zeichen!‘ dachte der Geweihte und verzog sorgenvoll das Gesicht. ‚Ich höre schon Golgaris Schwingen rauschen.‘
Er sah wie die festlich gewandete Baronin von Rickenhausen gemeinsam mit der elfischen Baronin Liyala von Rodaschquell mit dem Illuminatus Jorgast von Schleiffenröchte debattierte, bis der Praiosgeweihte barsch abwunk und die beiden Hochadligen stehen ließ.
Während nun also der Herzog von seinen engsten Räten und Vertrauten in Richtung Herzogenveste getragen wurde, blieben die Hesindegeweihte und die Elfe zurück. Liyana Alyandéra Morgenrot wandte sich dann begleitet von ihrem Ritter ab, um die Tribüne augenscheinlich zu verlassen.
Ynbaht fasste einen Entschluss. Langsam bahnte er sich mit erstaunlicher Sicherheit einen Weg durch die Menge, die sich langsam zerstreute. Einige Schritt abseits von den brüllenden Grafen hielt er sich und schwebte mit beinahe elfischer Eleganz an dem dunkelforster Baron Hagen von Sturmfels vorbei. In das Gemenge des zwergischen Grafen und der zwergischen Edlen wollte der Halbelf nicht unbedingt geraten und eine Völkerschlacht auf der Herzogentribüne entfachen.
Liyana entfernte sich immer mehr, ihr Ziel war der Ausgang des Feldes.
Darian von Rodaschquell, ihr Leibritter, war stets bei ihr und bahnte ihr den Weg durch die Menschenmenge. Würdevoll schritt Liyana hinter ihrem Ritter hinterher, während dieser hier und dort einen Gemeinen beiseiteschieben musste.
Plötzlich stockte der junge Mann in seinem Weg. Vor ihm stand ein Mann, schlank und recht hochgewachsen. Er trug eine einfache, schwer herabfallende Robe aus feinem grauen Stoff und darüber einen grünen Skapulier, der mit silbernen Borten besetzt war, die galoppierende Einhörner darstellen. Das schlanke scharf geschnittene Gesicht war umrahmt von einer offenen Pracht langer weißer Haare, die im Schein der hier und da durch die Wolkendecke hervorbrechenden Sonne einen silbernen Glanz aufwiesen. Die hohe Stirn wurde verziert durch einen silbernen Stirnreif, der einen fein gegossenen Einhornkopf aufwies. Um den Hals trug der Mann einen silbernen Halsreif in Gestalt einer sich selbst in den Schwanz beißenden Schlange. Ein Windhauch bewegte seine Haare und brachte ein paar deutlicher Ohrenspitzen zum Vorschein, die doch nicht so lang waren wie die der Herrin Darians. Ein Elf! Der Elf hielt die Arme in einer halb begrüßenden Geste an seinem Körper herab, die schlanken Handflächen leicht nach außen gedreht.
«Sanyasala fey í feyiama.» sprach der Elf in der Robe. Obwohl sein Isdira melodisch war, getragen vom Hauch eines Flötenspiels, so hörte doch Liyana den härteren Akzent heraus. «Dhaofeytaladha Sanyarin Vala-Tâí.» Der Halbelf begleitete diesen Gruß mit einem Lächeln und einem kurzen Nicken. Er schien ungerührt von diesem ganzen Trubel zu sein, so wie er sich nun Darian und Liyana in den Weg stellte und sie mit elfischen Worten freundlich grüßte. Er blieb weiterhin in der melodischen Sprache der Elfen, während er mit seiner angenehmen Altstimme weitersprach. «Liyana Ao’sha’áha, ich grüße dich. Der wilde Wind ringsumher weht auch ohne uns. Möchtest du mir in den Park-zwischen-den-Häusern folgen und der Unruhe entfliehen?»

(MO)
Innehaltend musterte die Dame Morgenrot den Junker kurz. Sein Gewand und die feine Ausdrucksweise verrieten ihr, dass es sich um einen Jünger des Nandus handelte. Vor allem natürlich sein Kopfschmuck: Ihr Blick fiel auf den Stirnreif des Halbelfen. Dasselbe Symbol, das auch Darian auf seinem silbernen Brustharnisch trug: ein Einhornkopf, wie er auch das Wappen Rodaschquells zierte. Nur wenig wusste die Baronin von Rodaschquell über die Anhänger Nandus', von dem es hieß, er sei das Kind der Hesinde und des Phex. Er verbinde die Klugheit seiner Mutter mit der List des Vaters. Gott oder Halbgott der Weisheit.
Doch was war schon weise? «Höre nie auf, diese Frage zu stellen», sagen die, die als weise gelten – so sagt man. Die Hesindegeweihte auf Rodaschquell, die den Schrein der Burg betreute, hatte oft mit der Baronin darüber gesprochen, die – obwohl nicht zu bekehren – doch immer wieder ein erstaunliches Interesse an den Geschichten des Zwölfgötterglaubens zeigte. Das alte Geschlecht derer zu Rodaschquell war Hesinde zugetan gewesen, und Liana hatte gestattet, dass nur wenige Monde nach dem Tod des alten Priesters vor gut zehn Jahren eine neue Geweihte seinen Platz auf der Burg einnahm, Melisande. Die Priesterin hatte darum gebeten, sich um die kleine Kapelle und den Schrein kümmern zu dürfen und der Baronin zudem angeboten, sie zu beraten, wenn sie diesen Rat wünsche. Liana unterhielt sich gern mit der klugen Frau. Zudem hatte es viele Frömmler beruhigt, zu wissen, dass auch weiterhin priesterlicher Beistand auf Burg Rodaschblick weilte.
Doch ebenso hörte Liana auch Fremden zu, wenn diese über andere der Gestalten sprachen, die sich den Himmel teilten – und den Glauben der Menschen. Sie fand es interessant und erbaulich, Streitgesprächen zwischen Melisande und anderen Geweihten zuzuhören, auch wenn ihr der Zwölfgötterglaube sehr widersprüchlich schien. Aber Nanduspriester hatte sie nur selten gesehen, geschweige denn gesprochen. Es gab nur wenige von ihnen.
«Sei mein Gast und begleite mich, wenn du es willst», antwortete sie schließlich auf Isdira in ihrer leisen, einladenden Stimme. Wenn jemand sie in diesen Landen in der Sprache ihres Volkes anredete, dann erwartete er meistens auch eine Antwort in gleicher Stimme. Liana war neugierig, was er zu sagen haben würde. Doch was es auch sei: Es tat gut, nach all dem Gekeife, Geschrei und diesen furchtbaren zwergischen Beschimpfungen endlich etwas Angenehmes zu hören.
(Nils) Der in Grau und Grün gewandete Halbelf folgte der Auelfe und gesellte sich nun an ihre Seite. Sein weißblondes Haar mit dem silbernen Schimmer wehte in einer aufkommenden Windbö. Gefolgt von Darian von Rodaschquell schickten die beiden so seltsamen Gestalten sich an, den Turnierplatz zu verlassen. Ein Flussgardist mit Hellebarde stellte sich den dreien in den Weg. «Wohin des Weges im Namen des Herzogs!» bellte er pflichtbewusst.
Liyana schaute mit elfischer Gelassenheit in das Gesicht des jungen Mannes, doch machte sie keine Anstalten, zu antworten. Dies überließ sie ihrem priesterlichen Gefährten. Der Geweihte wechselte mit einem harten Bruch vom melodiösen Isdira in das barsche Garethi des Herzogtums Nordmarken: «In Nandus, der Weisheit, Namen, Ihre Hochgeboren Liyana Alyandera von Rodaschquell und ich, Seine Hochwürden Ynbaht Sanyarin von Grasbühl, verlassen das Turniergelände und lassen die Flussgardisten ihre Arbeit erledigen.»
«Ich habe Order…» setzte der Gardist an, doch Ynbaht unterbrach ihn mit einer Handbewegung. «Sei versichert, mein Sohn, dass weder Ihre Hochgeboren noch ich oder ihr Begleiter etwas Arges im Schilde führen. Der Attentäter wurde bereits noch am Tatort gefasst und die Ermittlungen werden durchgeführt.» Der Halbelf lächelte dem jungen Gardisten zu. «Bitte, bei Nandus Weisheit, verrichte deinen Dienst und lass uns hindurch.»
Offenbar überzeugten den jungen Gardisten diese Worte und er senkte seine Hellebarde, um die drei Spaziergänger passieren zu lassen.
Sie schritten durch die Straßen Elenvinas. Liyana schwebte beinahe dahin, in ihren leichten Stiefeln verursachte sie selbst auf gen gepflasterten Wegen der Herzogencapitale kein Geräusch, während ihr Ritter kräftig ausholte und auch Ynbaht zwar würdevoll wie ein Priester promenierte, aber nicht so weich und elegant wie die Elfe.
Dumpf nur schien das Auge des Götterfürsten durch die helle Wolkendecke und hüllte die Stadt in ein schwaches Licht, als würde es den Menschen die Hoffnung nehmen. Bis vor wenigen Stunden noch war die Herzogenpromenade direkt am Großen Fluss voller Menschen gewesen, die erhofft hatten, doch etwas vom Glanz der Parade erhaschen zu können – und sei es nur, die strammen Soldaten auf dem Weg zum Turnierplatz. Jetzt aber, nachdem sich wie ein aufpeitschendes Feuer die Nachricht vom Attentat auf den oder gar bereits vom Tod des Herzogs verbreitet hatte, waren die Menschen aus den verschiedensten Gründen in ihre Häuser geflüchtet. Die Herzogenpromenade war gähnend leer, nur hier und da stromerten einige sensationslustige Wissenssuche herum. Unbehelligt gingen daher Liyana und Ynbaht ihres Weges.
Noch war der Park weit, sie hatten geraden Herzogenplatz erreicht und erblickten die Wehrhalle des Praios am Ende der Promenade, den strahlenden Praiostempel mit seiner herausragenden Kuppel. Ein einzelner Sonnenstrahl fiel auf den höchsten Turm, auf dessen Kuppeldach, und brachte es für einen kurzen Moment zum Strahlen. Für den einen mochte es ein Zeichen auf Hoffnung darstellen, für den anderen als Mahnmal oder Hindernis erscheinen – dieser kurze Moment des aufflackernden Lichtes. Ynbaht, Priester eines Gottes oder Halbgottes, dem man ordnungsstörende Tendenzen nachsagte, hatte im Laufe der Jahre seinen Frieden mit dem Götterfürsten gemacht – auch wenn dies viele derische Priester des Praios nicht wussten oder wissen wollten. Der Tempel hier sagte dem Halbelfen nun eines: zum Ziel seines jetzigen Reise, dem meditativen Stadtpark, war es nicht mehr weit. Insofern mochte der Tempel mit seiner im Sonnenstrahl funkelnden Kuppel hier für ihn kein Hindernis sein, sondern ein Zeichen auf baldige Ruhe.
Ynbaht lächelte in sich hinein, als er merkte, dass er wieder in Gedanken versunken war. Er hatte die Hände in den jeweils anderen Ärmel geschoben und hielt sie so vor seiner Brust. «Die Rosenohren haben die Pfade gesetzt aus Steinen verlassen.» sang er in seinem eigentümlich akzentuierten, aber fließenden Isdira. «Der Wind bläht sich auf und fegt durch die Häuser. Unruhe wird die Stadt heimsuchen, denn nicht vergessen werden das Schwert und die Hand, die es führte, welches den Sprecher der nördlichen Marken traf. Im Wald, welcher zwischen den Häusern ruht, können wir noch Ruhe finden. Dort gibt es eine Lichtung, auf der ein Strauch gerade Blüten trägt. Die telora nennen sie Rose der erneuten Geburt. Würden du und dein Schwerttänzer mich dorthin begleiten?» Ein Isdira-Wort für Ritter existierte nicht und so stolperte der Halbelf erst über eine zutreffende Bezeichnung für den jungen Darian von Rodaschquell, bis er sich für den ‚Schwerttänzer‘ entschied. Freundlich nickte er diesem zu – und ging davon aus, dass Darian des Isdira bei einer elfischen Herrin mächtig war.



*****

Der Abend brach herein und in allen Tempeln der Stadt wurde um das Wohlergehen des Herzogs gebetet.
Wenig Verkehr war auf den Straßen, wer konnte, hatte sich in die eigenen vier Wände oder den Tempel seiner bevorzugten Gottheit zurückgezogen und hing seinen Gedanken nach.
Langsam nur verstrichen die Stunden der Nacht, ausgerufen vom Nachtwächter – und doch bang gezählt von vielen, die wachten.


Der 4. Praios

Mit gleißendem Licht übergoss Praios’ Gestirn die Stadt am folgenden Morgen. Ein scharfer Kontrast dazu waren die dumpfen Schläge des Gonges der Wehrhalle, die eines verkündeten: Der Herzog ist tot.

Eingeholt wurden die Fahnen von den Zinnen der Eilenwïd, und aus der Halle der Burg klang das laute Klagen der Vielen, die des Herzogs Haushalt angehört hatten.

[Heiko]
Hagen schlief in seinem Hotelzimmer. Nur ein kurzes und wenig inbrünstiges Gebet hatte er für den Herzog der Nordmarken gesprochen. Ihm fehlten einfach die Worte: Was sollte er den Göttern sagen, was nicht dutzende Geweihte in viel vollendeter Form ohnehin seit dem Attentat taten? Außerdem hatte der Baron zu Rabenstein, bei dem Hagen seine Knappschaft verbracht hatte, beigebracht, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren – als Unausweichlichkeit und nicht als Ende, sondern als Anfang der Ewigkeit. Es stand Sterblichen nicht zu, die Entscheidungen der Götter in Frage zu stellen.
Aber bis spät in die Nacht hatte er noch mit einigen weiteren auswärtigen Gästen bei viel Bier und Wein und sogar einem örtlichen Branntwein über das ebenso feige wie öffentliche Attentat diskutiert, ja fast gestritten. Man spürte an dem Tisch, den sich Koscher, Garetier, Albernier, Almadaner und Horasier teilten, wie wichtig der Herzogenthron zu Elenvina für das Raulsche Reich in seiner Gesamtheit, ja ganz Aventurien war. Konnte man so ein Attentat überleben? Würde der Herzog diese Nacht überleben? Falls nein, was würde sich unter einem Herzog Hartuwal ändern? Würde es die Position des Hauses am Großen Fluss stärken oder schwächen, dass bald der Reichserzkanzler und der Herrscher der mächtigsten nicht Rohaja direkt unterstehenden Provinz ein und dieselbe Person sein würde? Was war an den Gerüchten dran, dass sich Hartuwal und sein Vater in den vergangenen Monden bitter zerstritten hatten? Würde womöglich doch Frankwart der nächste Herzog werden? Hagen, üblicherweise eher ein Mann des Schwertes als des Wortes, hatte zu seiner eigenen Überraschung großen Spaß, in dieser illustren Runde mitzustreiten – und für «seinen Kandidaten» Frankwart Partei zu ergreifen. Wie auch immer, es war sehr spät geworden. Außerdem wurden Hagen geradezu Löcher über den Ablauf des Attentats in den Bauch gefragt, hatte Hagen doch Herzog Jast Gorsam persönlich recht gut gekannt. Vor allem aber hatte Hagen so nahe beim blutigen Geschehen gestanden wie kein anderer der am Tisch Versammelten.
Der dumpfe Gongschlag weckte den zweifachen Baron unsanft. Der Tod Jast Gorsams wurde verkündet, das wusste Hagen sofort. Er ließ sich von seinem Knappen aus dem Bett helfen und ankleiden, zum Aufwachen tauchte er seinen Kopf vor dem Hotel in einen Brunnen. Dann machte er sich auf den Weg zur Wehrhalle. Herzog Jast Gorsam, Boron habe ihn selig, hatte ihn beim Streit um Dohlenfelde wider seinen schändlichen Halbbruder nicht so unterstützt, wie er dies erhofft hatte, die Herzogenstadt Twergenhausen und einige herzogliche Vögte hatten ihn sogar verraten. Doch darum ging es nun nicht mehr. Der Herzog war tot. Hagen legte sich die Worte zurecht, die er beim großen Gottesdienst, der zum Geleit der Seele des Verstorbenen über das Nirgendmeer in Kürze gefeiert werden würde, im stillen Gebet an den finsteren Herrn Boron richten würde. Ja, stille Gebete an Boron zu sprechen, das hatte er in seiner Knappenzeit ausgiebig gelernt. Das war etwas, was er wirklich gut konnte. Anfangs hatte er sich noch Scherze erlaubt und im stillen Gebet Herrn Boron alle möglichen belanglosen oder gar lustigen Geschichten erzählt. Aber Baron Lucrann hatte Hagen jedesmal durchschaut und ihm diese Freveleien gehörig ausgetrieben. Nein, der Tod war eine ernste Angelegenheit. Todernst, könnte man fast sagen, dachte Hagen – mit einem feinen Grinsen an Lucrann denkend.
Er setzte seinen Weg zur Wehrhalle fort.

Sonnenaufgang.
Seine Exzellenz Jorgast blickte von der Kanzel der mächtigen Wehrhalle aus auf die zur Morgenandacht Versammelten. Neben der herzoglichen Familie, der Landthauptfrau und den Grafen war auch eine große Menge der Adligen des Herzogtums, Patrizier und Handelsherren anwesend.
Vollständige Stille, unerwartet bei einer solch großen Menschenmenge, grüßte ihn.
«Von uns gegangen ist Seine Hoheit Jast Gorsam.» Unheilvoll hallten seine Worte aus der Tempelkuppel wider.
«Lasset uns in Schweigen Seiner gedenken.»
Uncharakteristische Stille legte sich über den Tempelraum und einige Minuten vernahmen die zahlreichen Gäste nur das Geräusch ihres eigenen Atems.
Jorgasts Stimme hallte wider von Wänden und Kuppel des Tempels und zerschnitt die Stille.
«Ohne Herzog sind die Nordmarken von diesem Zeitpunkt an, bis dass ein Nachfolger Lehnseid leistet und Krone und Zepter trägt. Zur Behebung dieses Mangels hat Seine Hoheit Jast Gorsam, Boron habe ihn selig, ein Testament verfügt, um seine Nachfolge zu regeln.»
Mit einer geschickten Bewegung entrollte Seine Exzellenz eine ehedem mit güldenem Band verschlossene Pergamentrolle und verlas Testament und letzten Willen des alten Herzogs. Kurz waren dessen Anweisungen. « ... Hartuwal mag sich nach Brabak scheren, sofern er nicht schon längst in Gareth sitzt. So nicht, Herr Sohn! Darum verfüge ich, Jast Gorsam, willens und fähig, meine Entscheidung kundzutun, dass mein Sohn Frankwart Krone und Szepter des Herzogs der Nordmarken trage, mit allen Bürden und in voller Würde seines Amtes. Gegeben am 1. Praios des Götterlaufs 1035 nach Bosparans Fall zu Elenvina ... . «

(Nils) In dieser Menge standen auch der Baron von Galebquell und sein Gefolge. Roklan Boromar von Leihenhof hielt den Atem an bei dieser Verkündung. Noch in der Art hatte er gebetet, erst für Hoffnung für den Herzog, dann für Frieden im Herzogtum und für die Seele des Verstorbenen. Erst zu Peraine, dann zu Boron. Jetzt aber waren sämtliche Gebete wie weggefegt, sein Kopf für einen Moment leer. Das klang nach Jast Gorsam vom Großen Fluss, Herzog der Nordmarken, Reichsregent des Raul’schen Reiches und Reichsseneschall mit dem Schwert Guldebrandt.
Der junge Baron erinnerte sich – damals in der Baronie Dunkelforst im Kosch – als ein anderes Testament verlesen wurde. Ein Testament, welches den anderen und nicht den erwarteten Bruder zum Erben erkor. Er erinnerte sich an den starken Mann und Herrscher, der dieses Testament als Zeuge bekräftigte und durch seine Unterschrift einen schmerzhaften Bruderkrieg auslöste. Und auch hier war das Testament, das den anderen und nicht den erwarteten Bruder begünstigte, frisch, die Tinte noch nicht einmal getrocknet. Blass sah der junge Baron von Galebquell auf und blickte auf die Empore. Würde dieses Testament, in dem der andere und nicht der erwartete Bruder zum Erben erkoren wurde, einen erneuten Bruderkrieg auslösen? Noch einen Krieg konnten sich die Nordmarken, konnte sich Galebquell nicht erlauben. Es war schon genug Blut vergossen worden. Roklan schluckte.
«Frankward…» entfuhr es ihm leise. Frankward vom Großen Fluss, Vogt von Kaiserlich Molay im Fürstentum Almada. Auch er war damals in Dunkelforst anwesend gewesen – und er war es, der ihn, Roklan, damals zum Ritter geschlagen hatte. Die ganzen Jahre über hatte sich Roklan und damit das Haus Leihenhof loyal zum Prinzen gehalten, auch ohne davon auszugehen, dass er dereinst Herzog werden könnte. Für das Haus Leihenhof, in welchem die Primogenitur ungeachtet des Geschlechtes, seit ungezählten Generationen für Ordnung in der Erbfolge sorgte, war es bislang immer gut und recht gewesen, dass nach Herzog Jast Gorsam ein Herzog Hartuwal Gorwin auf den Thron des Herzogtums steigen würde. Aus diesem Grund war Roklan nach seinem Vater als Baron von Galebquell inthronisiert wurden und nicht Ansoalda Irmegund von Leihenhof. Dies war seiner Schwester auch bewusst gewesen – und dies hatte seit etlichen Generationen Geschwisterzwiste in Galebquell vermieden.
Roklan sah vor seinem inneren Auge seinen Schwertvater mit der Krone des Herzogtums sich als Herrscher präsentieren. Der junge Mann berührte das schlichte Halsband in Gestalt einer sich selbst in den Schwanz beißenden Schlange aus Messing um seinen Hals und betete stumm. Seine Lippen formten Worte, die aber nicht zu hören waren.
Nach einigen kurzen Augenblicken der inneren Einkehr sah er sich um – was dachte und taten die umstehenden Adligen? Dies war ihm sehr wichtig einzuschätzen.

Es schien, als habe die Ankündigung die Adligen vollkommen überrascht. Vollkommen ungläubiges Schweigen legte sich wie eine bleierne Decke über den Raum und wäre eines Borontempels würdig gewesen. Keiner mochte sich regen – und mit einem Wort, einem Schritt sich womöglich auf die politisch falsche Seite stellen.
Roklan war verdutzt – vieles hätte er seinen Standeskollegen zugetraut, doch eine solche Passivität war in sich verdächtig.
Es schien, als wäre mit dem Tod Jast Gorsams auch sämtliches Leben aus seinen Gefolgsleuten gewichen.
Mit zwei Ausnahmen: die Blicke, die sich die beiden Grafen Ghambir und Alrik zuwarfen, die, umgeben von ihren Vasallen, an auseinanderliegenden Stellen der Wehrhalle aufstellung genommen hatten, hätten Stahl zum Brennen bringen könnten. Es schien, als habe sich deren Groll in den vergangenen Stunden nur noch verfestigt, auch wenn es bislang nicht zu Tätlichkeiten zwischen ihnen gekommen war.
Doch erst die Zukunft sollte zeigen, wie sich der Zorn des Reichskronanwaltes und der Grimm eines Erzzwergen über die Zeit bewährten.

*Ende des ersten Teils* --- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.IseWeine - 22 Jul 2012