Ges Auf Der Flucht

Auf der Flucht

Eine Kurzgeschichte von Von Firnholz

Auf der Flucht…
(Wolfenhag, Baronie Wolfsstein, 1035 n. Bf.)

‚Die Götter haben keinen Humor!‘, dachte Vater Hilbert, als er sich eilig durch ein dichte und leider dornige Hecke schlug. ‚Oder sie haben einen sehr eigenen und oft bösartigen Witz‘, verfolgte er den Gedanken weiter, während er Dornen und kleine Zweige aus seiner guten, inzwischen aber stark mitgenommenen Robe zog. Auf der anderen Seite der Büsche, auf der Straße gen Wolfenhag marschierten zwei Büttel in Richtung des Hauptortes und hatten den Geweihten, den Zwölfen sei Dank, nicht bemerkt.

Vater Hilbert, schüttelte den Kopf und versuchte, wie so oft in den letzten Praiosläufen die Geschehnisse zu erfassen, die dazu geführt hatte, dass er nun mit schmutziger und zerrissener Kutte im Brombeerstrauch saß. Alles hatte mit dem Tod des Barons von Wolfsstein begonnen, seinen Förderer, Beschützer und Freund, der ihn, als unbestritten begnadeten Heiler, als Hofgeweihten nach Wolfsstein geholt und ihn, was genau so schwer wog, trotz seiner Marotten behalten hatte. Zum Leidwesen der Baronin natürlich und, wie Hilbert manchmal dachte, zum Teil wohl auch um sie bewusst zu ärgern. So war es kein Wunder gewesen, dass er sich, unmittelbar nach dem Bekanntwerden des großen Verlustes und noch bevor der Schrecken überwunden war, seines Amtes enthoben sah.

So war es denn die längste Zeit der Hofgeweihte gewesen und was ihm noch blühte, dass wollte er sich gar nicht ausmalen. In Erfahrung bringen wollte er es allerdings auch nicht, jedenfalls nicht sofort und so hatte er sich unter einem Vorwand nach draußen geschlichen und eine überhastete Flucht in die Wälder angetreten. Wie gut, wenn man kein Geweihter des Götterfürsten war, manchmal war eben eine Lüge doch von Nöten, auch wenn natürlich jeder Zwölfgötterfürchtige nach Aufrichtigkeit streben sollte.

Als Freund der Bauern war es im leicht gefallen, Unterschlupf zu finden und sich des Nachts von einem Hof zum anderen zu schleichen. Ob er tatsächlich gesucht wurde, konnte er nicht einmal sagen, aber sein Instinkt für Gefahren, sein Bauchgefühl hatte ihm dieses Vorgehen nahe gelegt und
so hatte er sich auf den Weg zum Junkergut Nadelfels gemacht, dem einzigen Ort in der Baronie von dem er erwarten durfte, dass er eine Zeit lang sicher sein würde. Was zu gleichen Teilen an der Abgeschiedenheit des Lehens und an der Loyalität des alten Junkers lag. Auf seiner Suche nach Kräutern, Wurzel und Beeren hatte Hilbert viel Zeit in den Wäldern Wolfssteins verbracht und so strengte ihn die Wanderung nicht weiter an. Was viele Leute übersahen war, dass unter seiner beträchtlichen Körperfülle auch eine Menge starker Muskeln verborgen waren.

Nach ein paar Praiosläufen überfiel Vater Hilbert jedoch ein schlechtes Gefühl. Sein Weib saß noch immer in Wolfenhag fest oder bewohnte, besser gesagt, ihr gemeinsames Haus. Zwar hatte er sich in den letzten Götterläufen immer weiter von ihr entfernt, doch fühlte er ihr gegenüber immer noch eine gewisse Verpflichtung. Schon in den Anfängen war es eine Beziehung mit Höhen und Tiefen gewesen und nicht lange nach Schließung des Traviabundes hatte es der Geweihte nicht mehr mit seiner Gattin ausgehalten. Eine Queste seiner Kirche, selbst auferlegt freilich, hatte ihn für drei Monde von zu Hause fortgeführt. Als er, erfolgreich natürlich, heimgekehrt war, hatten sie sich in den Armen gelegen und Alles schien in Ordnung zu sein. Doch es dauerte nicht lange und beide erinnerten sich wieder daran, warum sie sich so oft in den Haaren gelegen hatten und die Streiterei ging von Vorne los. Was Hilbert erneut dazu bewogen hatte, auf eine Perainegefällige Fahrt zu gehen. Womit sich Alles, von der Heimkehr, der Versöhnung und dem Zank wiederholte, bis hin zu wieder einer Queste. So war es etliche Götterläufe gegangen, wobei Hilbert erst jetzt auffiel, dass die Phasen seiner Abwesenheit immer länger und die Zeit daheim entsprechend kürzer geworden war. Trotz alledem lag er nun im Busch und überlegte fieberhaft, wie er es anstellen konnte, mit seinem Weib zu sprechen und ihr weiteres Vorgehen abzustimmen, ohne aber groß in Erscheinung zu treten. Sein Problem hierbei war, dass ihn natürlich jeder, vom Greis bis hin zum Kind kannte.

Hilbert wurde aus seinen Gedanken geschreckt als neben ihm ein Ochsenkarren vorbeirumpelte. Der Bauer saß mit tief in die Stirn geschobenem Strohhut auf dem Bock und überließ Alles weitere den Tieren, die gemächlich und recht dumm glotzend, einfach der Straße folgten. Natürlich hätte Hilbert den Mann ansprechen können, schließlich gab es keinen Bauern im Umfeld den er nicht kannte, dennoch erschien es ihm klüger, sich der Ladung, einem großen Berg Heu, zu verstecken. Der Bauer, Bärnwardt pflegte, wenn er denn einmal in die Stadt kam, in einem Gasthaus unweit der Behausung des Geweihten einzukehren und mehrere Stunden zu zechen. Ein Leichtes dann vom Karren runter und ins Haus zu huschen. Doch zunächst musste Hochwürden Hilbert Grünblatt, Praetor der Perainekirche, den Wagen erklimmen, der zwar langsam aber stetig über das Pflaster holperte. Letztlich gelang es ihm tatsächlich den oberen Rand der Ladewand zu ergreifen und sich mit einem tiefen Seufzen hinauf zu ziehen. Erschöpft ließ sich der Geweihte ins Heu fallen, dankte seiner Herrin, dass es bis hierhin gut verlaufen war und schloss die Augen.

Er erwachte tatsächlich, unter einem Berg von Heu, auf dem Karren, in einer Seitenstraße unweit seines Hauses. Schnell hatte er sich Zugang durch die kleine Seitentüre verschafft die in seine Werkstatt führte, wo er Kräuter trocknete zu Pulvern zerrieb und wo er seine starken Kräuterauszüge herstellte. Von hier führte eine weitere Türe ins Haus und dort wartete eine böse Überraschung auf ihn. Das sein Haus nicht geplündert worden war, dass sah er sofort, denn alle Möbel waren an ihrem Platz und alle Schranktüren und Schubladen geschlossen, außerdem würde es kaum jemanden wagen, einen Geweihten der Zwölfe auszurauben. Allerdings fehlte nahezu Alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen war. Es gab also doch jemanden, der einen Geweihten berauben würde und das war seine werte Gattin gewesen. Durch die Tatsache, dass die Hälfte der Sachen ihr gehört hatten, war es sogar nur ein halber Raub, was für Hilbert die Sache nicht besser machte. Er besaß also nur noch das, was er am Leibe trug, also eine zerrissene und völlig verdreckte Kutte, einen Vorrat an Magentropfen, die er aus wirksamen Kräutern, Wurzeln und einer gehörigen Menge an Hochprozentigem herzustellen pflegt und dazu seine Geldkatze, die immerhin eine Handvoll Dukaten und etwas Kleingeld enthielt.

Als die Nacht bis zur Boronsstund vorgerückt war und sich niemand mehr auf den Wegen und Plätzen blicken ließ, schlich er durch die Schatten bis zu einer kleinen Türe, von der er wusste das man ihm auftun, ihm helfen und nicht verraten würde. Ein in ein Nachtgewand gekleideter Mann öffnete die Pforte und riss bei Hilberts Anblick die Augen auf. Was bei Phexens… Hilbert drückte ihm eine Hand auf den Mund und schob ihn in die Kammer zurück, die einem der geringeren Knechte des Baronshofes gehörte. Einem Knecht der vor langer Zeit nach einem Huftritt an den Kopf für lange Zeit mehr tot als lebendig gewesen war und bei dem man befürchtet hatte, dass er im besten Fall und mit dem Segen der Götter als Schwachsinniger sein Dasein fristen musste. Doch Hilberts Heilkunde und unzählige Gebete zur Herrin Peraine hatten den Mann gerettet und daher hoffte der Geweihte hier auf Hilfe. Hör zu, Travian, ich muss mich ein wenig ausruhen, essen und meine Kleidung in Ordnung bringen. Dann will ich wissen was hier am Hofe vorgeht. Ich werde dir keine Schwierigkeiten machen, brauche aber jetzt deine Hilfe. Der Knecht schaute ihn traurig an. Essen will ich dir geben, Vater. Mein Vetter hat in etwas deine Statur, so kann ich dir Kleider geben, aber dann rate ich dir zu fliehen.
Hilbert, der halb eingenickt war, zuckte zusammen. Fliehen, Travian? Ist es so schlimm?
Der Knecht schaute traurig. Die Herrin lässt dich suchen, Vater. Sie wird keine Hand an dich legen, denn du bist ein Geweihter der Zwölfe, aber sie hat dich bereits deiner Ämter enthoben. Außerdem sucht sie überall nach dir. Es heißt du sollst ihr geschätzter Gast sein. Hilbert ächzte schwer. Der geschätzte Gast der Baronin zu sein bedeutete nichts anderes als das er unter Hausarrest gehalten werden sollte. Kein Gefangener, sondern tatsächlich ein Gast, dem es an nichts mangeln würde, bis auf die Tatsache das er die Burg nicht mehr verlassen durfte.

Nachdem Travian der Knecht ihn mit Essen und Trinken versorgt und sich dann auf den Weg zu seinem Vetter gemacht hatte um frische Kleidung zu besorgen, saß Hilbert Grünblatt in der kleinen Kochnische und brütete darüber, was er als nächstes tun sollte. Die Idee, freiwillig in die Gefangenschaft zu gehen und der Baronin so sehr zu schaden wie es ihm möglich war, verwarf er gleich wieder. Zwar konnte er Unmengen Fleisch verspeisen und Bier vertilgen, doch wären das allerhöchstens Nadelstiche und kein Ausgleich dafür, frei durch die Wälder zu ziehen und mit den Bauern in ihren Gasthäusern und Höfen zu sitzen und über Peraines Gaben zu erzählen. Er überlegte noch einmal, den Weg gen Nadelfels einzuschlagen und dort vielleicht eine Zeit zu verbringen, bis sich die Angelegenheit beruhigt hatte. Doch Nadelfels lag so weit in der Isolation, dass es keinen Unterschied gemacht hätte, ob er in Wolfenhag unter Hausarrest gestanden oder dort gewesen wäre.
Bis auf Menge und Qualität der Speisen vielleicht, korrigierte er sich selber in Gedanken.

Dann fiel ihm Elarion von Wolfsstein ein, die als Junkerin im Winhall ein Lehen erhalten haben sollte. Sie residierte in einem Gut Falbh Tann, oder so ähnlich. Dort, so hatte Hilbert aus Erzählungen gehört, wäre der rechte Platz für einen Perainegeweihten, vor Allem für einen, dem der Gratenfelser Boden derzeit zu heiß unter den Füßen wurde. Er verzehrte den Rest seines Mahls, zog die einfache Kleidung an, die Travian ihm mittlerweile gebracht hatte und zog los. Einen kleinen Rucksack mit Proviant auf dem Rücken und begleitet von den Segenswünschen des Wolfssteiner Knechts.

Auf gen Albernia – auf nach Winhall – auf in eine ungewisse Zukunft

--- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.IseWeine - 17 Oct 2012