Feldzug Rabenmark, Kapitel 12: Tälerort, Hort der Hoffnung

Tälerort

Ankunft in Trutzenhain

Nachdem der Heerzug das Lager vor Altzoll abgebrochen hatte, ging es auf der Reichsstraße weiter in Richtung Rahja. Früh war man aufgebrochen. Bereits zur Tsastunde hatte sich die Spitze des Zuges in Bewegung gesetzt und so erreichte man schon in der einsetzenden Abenddämmerung jenen Ort, der das Ziel des Heerzuges darstellte- Trutzenhain, die nach Talbruck bedeutendste Ansiedlung der Baronie und Sitz der Baronin Aldare von Fold- Galebfurten.
Der am besten als größeres Wehrdorf zu bezeichnende Ort, welcher mit einem Palisadenwall umgeben war, lag im Praios der Reichsstraße, die man zur Mittagszeit verlassen hatte, um auf einem Schotterweg weiterzuziehen.

Trutzenhain mochte gut und gerne einhundertfünfzig Seelen beherbergen, was man anhand der Anzahl der einfachen Bauernhäuser innerhalb der Umgrenzung ableiten konnte. Im Zentrum, nahe des kleinen Marktplatzes gab es einen aufgeschütteten Hügel, welcher von einem weiteren, inneren Palisadenwall und einem dahinterliegenden, tiefen Graben umgeben war.
Auf dem Hügel selbst stand ein altes, trutziges Herrenhaus mit aus Stein gefügten Erdgeschoss und Obergeschoss aus Fachwerk. Ebenfalls Teil des wehrhaften Baus war ein dreistöckiger Wehrturm mit hölzernem Aufbau, welcher eine weitläufige Sicht über die umliegenden Felder ermöglichen musste.

Ein Botenreiter, der vorangeprescht war, hatte ihre Ankunft zur Abendstunde angekündigt und so war Trutzenhain auf seine Gäste vorbereitet. Mehrere große Lagerfeuer brannten an einer Seite, unweit des Palisadenwalls, außerhalb der Ortschaft und luden dazu ein sich an ihnen niederzulassen.
Etwa zwei Dutzend Männer und Frauen in Trachten, wie sie vor allem noch zu Zeiten Darpatiens üblich gewesen waren und mit Blumenkränzen in den Haaren, empfingen die Nordmärker mit strahlenden Mienen am Tor. Die Einwohner Tälerorts waren ohne jeden Zweifel sehr froh über den tatkräftigen Besuch.
Rings um das Wehrdorf erstreckten sich weite Felder. Das Land ringsumher war anscheinend schon wieder so fruchtbar, dass Ernte eingeholt werden konnte, die eine Ortschaft dieser Größe zu versorgen vermochte. Der Dreischwesternorden, der hier ein kleines Ordenshaus betrieb, hatte mit dazu beigetragen das Land wieder gedeihen zu lassen.
Eine junge Frau in der Tracht einer Peraine- Novizin aber mit leicht fremdländischen Zügen trat ihnen entgegen. Sie trug einen Weidenkorb, indem neben Früchten des Feldes und irdene Tonflaschen auch Blumenkränze lagen. Mit einem Lächeln, dass durch Sommersprossen und ihre natürliche Ausstrahlung gekennzeichnet war, erhob sie das Wort.
“Im Namen der Baronin Aldare von Fold- Galebfurten begrüße ich die aufrechten Streiter der Nordmarken in unserer Heimat.”
Ohne Scheu trat sie zwischen die Rösser und reichte jedem der voranreitenden einen Blumenkranz und verteilte die Flaschen, welche Honigwein enthielten, mit der Bitte sie herumzureichen.
Danach trat sie wieder einige Schritte zurück und wies auf die anderen Dorfbewohner, die noch vor dem Tor standen. Meine Brüder und Schwestern werden dem Trossmeister helfen das Feldlager für heute Nacht einzuweisen und Essen und Trinken helfen zu verteilen. Wir können nicht viel geben dieser Tage, aber wir teilen das was wir haben, den drei göttlichen Schwestern zum wohlgefallen. Sie sind es, die diesem Land und seinen Einwohnern Hoffnung geben.
Falls euch an etwas mangeln sollte, zögert nicht nach mir- Saanda von Pfiffenstock zu fragen. Ich bin die Frau von Thorben Falgrim von Galebfurten und versuche ihrer Hochgeboren, der Baronin eine Stütze zu sein. Sie lädt heute Abend zum Bankett ins Herrenhaus.”

In jenem Moment der Begrüßung wurde über der Hochmotte innerhalb des Dorfes eben jenes Banner gehisst, welches der Baron von Hlûtharswacht dem Grafen zum Geschenk gemacht hatte. Der Herold seiner Erlaucht hatte es anscheinend mit dem Reiter nach Trutzenhain entsandt.
Bis auf die Höhe des Banners von Tälerort, welches auf blauem Schild zwei einander zugewandte springende, silberne, golden bewehrte Hirsche über einem Schildfuß aus Silberhermelin zeigte, wurde es gezogen, so dass der heilige Hlûthar und die beiden Hirsche im trauten Einklang über Trutzenhain im Wind wehten.

Ein Besuch in Rindermühle

Eines der Mitglieder des Orgilsbundes hingegen, hatte sich bereits früh morgens vom Tross abgesetzt und war zügig voran geritten. Sein Ziel war der beschauliche Weiler Rindermühle. Ein Ort der in den vergangenen Götterläufen zahlreiche Plünderungen erleben musste, seiner günstigen Lage auf halber Strecke von Altzoll nach Eckelstor verdankte er es jedoch, dass sich nie alle Einwohner hatten vertreiben lassen. Seitdem vor gut drei Götterläufen der kaiserliche Heerzug hier entlanggekommen war, hatte sich der Ort allerdings sehr verändert. Etwas über dem vierzig Seelen Ort, von einer Palisade umgeben, thronte der solide Sitz des Edlen, an dessen Turm noch immer einige Arbeiten vorgenommen wurden. Die damals heruntergekommen und teils niedergebrannten Häuser hatten ihre Bewohner mit viel Liebe wieder aufgebaut und eine große Herberge bot Reisenden den letzten sicheren Halt, auf ihrem Weg weiter gen Rahja.
Alrik wollte mit seinem Besuch hier, einem Wunsch seines Oheims, Jorgast-Jost, nachkommen, der ihm sogar extra noch einen Brief mitgegeben hatte. Zügig trieb er sein Pferd auf die Palisade des Edlensitzes zu. Langsam war er durch das Tor geritten und blickte sich nun suchend um. Direkt vor sich hatte Alrik nun den Pallas, massiv errichtet aus zahlreichen Feldsteinen, und den dazugehörigen Turm an dessen Seite. Zu seiner Linken und Rechten standen derweil Wirtschaftsgebäude, eine kleine Schmiede, Stallungen, sowie ein größeres Lager. Noch immer blickte sich der junge Schwarzen Queller um, als ein Knecht ihn frosch im darpatischen Zungenschlag ansprach. “Was kann ich für Euch tun, Hoher Herr?” Der Knecht war sichtlich älter als Alrik, gute vierzig oder mehr Lenze hatte er bestimmt schon gesehen, vielleicht hatten ihn die Schrecken der Schwarzen Lande jedoch auch nur vorzeitig altern lassen. “Ich habe einen Brief für Seine Wohlgeboren und würde, wenn möglich, auch gern etwas mit ihm Reden.” Gab der Schwarzen Quelle freimütig Auskunft und schwang sich dabei aus dem Sattel. Der Knecht hingegen zuckte nur mit den Schultern und verschwand in Richtung des Pallas. Als er einige Zeit später wiederkam, wurde er von drei Männern begleitet. Der mittlere von ihnen sah dem Herrn Dragowin erschreckend ähnlich, sodass Alrik keinerlei Zweifel hegte den Edlen vor sich stehen zu haben. Wer jedoch seine beiden Begleiter waren, wusste er nicht zu erahnen. “Boron zum Gruße.” wurde Alrik begrüßt und ohne umschweife gefragt. “Ihr habt einen Brief für mich?” Durch die Ähnlichkeit noch immer etwas verwundert, brauchte der junge Ritter einen Augenblick eh er sich entschuldigte und schnell das Schreiben seines Oheims herausholte und dem Edlen entgegen streckte. Der jüngere Begleiter, vermutlich in einem ähnlichen Alter wie Alrik selbst, nahm das Schreiben entgegen um übergab es seinem Herrn. Während der Brief noch gelesen wurde, hatte der Schwarzen Queller Zeit sich die Drei eingehender anzusehen. Kräftige Kämpfer, mit Sicherheit Kampferprobt trugen sie auch jetzt wattiertes Unterzeug unter einem schwarzen Wappenrock und waren mit Schwert und Rabenschnabel bewaffnet. ‘Mit denen ist bestimmt nicht gut Kirschen essen!’ ging es dem Besucher bei diesem Anblick durch den Kopf.
Als der Brief ausgelesen war, ließ der Edle den Arm sinken und sah seinen Gast eindringlich in die Augen. “Du bist also Alrik vom Schwarzen Quell!” Stellte er eher fest, als das er fragte - was nichts daran änderte das Alrik pflichtbewusst nickte. “Ich bin Boromar von Vairningen und das sind Ritter Borotin und mein Knappe Boronian. Hier steht, dass einige Nordmärker in Tälerort Beistand leisten wollen.” Das Wort Beistand hatte dabei einen gewissen Unterton, sodass sich Alrik nicht sicher war wie Boromar dazu stand. Allerdings war er auch ein von Vairningen, gehörte damit zur Familie von Baronin Vea und stammte, wie er selbst, aus Vairningen. “Dann komm mal mit rein, dann können wir dich eventuell noch ein wenig auf das, was dich erwarten wird vorbereiten.” Die düstere Vorahnung die sich in diesem Augenblick bei Alrik einstellte, ließ ihn schwer schlucken - was nach dem Hinterhalt durch einen Paktierer auf dem Weg nach Altzoll würde ihn und den Feldzug noch alles erwarten?

Bankett zu Ehren der nordmärkischen Gäste

Schon am Abend der Ankunft lud die alte Baronin zum Bankett auf die Hochmotte ein. Geladen waren die nordmärkischen Lehnsherren und Edlen, die Heermeisterin, sowie die Befehlshaber der einzelnen Truppenkontingente. Das Festmahl fand im Rittersaal des robusten Herrenhauses auf dem Hügel im Zentrum Trutzenhains statt.
Der Saal selbst lag einige Fuß unter dem Niveau der dicken Eichentür, die den Eingang darstellte. Man stieg also mehrere Treppenstufen hinab und fand sich auf groben Pflastersteinen wieder, die den Fußboden bildeten. Darauf waren zwei lange Tafeln aufgebaut, an denen nach und nach die Gäste platznahmen.
Aldara von Fold-Galebfurten, die Baronin von Tälerort, saß etwas erhöht auf einem Holzpodest. Es schien als würde die uralte Frau ihren kunstvoll geschnitzten Thron nicht mehr alleine verlassen können, so dürr und eingefallen wirkte ihr Äußeres, ihre Haut war voller Altersflecken, ihr Haar schlohweiß. Die Augen der eisernen Matriarchin des Hauses Galebfurten aber verrieten Wachsamkeit, ihre Haltung trotz ihres hohen Alters Stolz..
Neben sich, auf gleicher Höhe hatte die Herrin der Ländereien Tälerort, Talbruck, Waidbruch und Dornenmoor drei weitere, hohe Lehnstühle bereitstellen und mit Fellen belegen lassen.
Sie waren für Jost Verian von Sturmfels- Maurenbrecher, dessen Bruder Kunibald Gutbert Tsafelde-Sturmfels von Trappfenfurten und Rajodan von Keyserring bestimmt. Der Hlûtharswachter und der Eisensteiner saßen gemeinsam mit ihr an einer eigenen kleinen Tafel, während sich Madabirga von Galebfurten, die Tochter der Baronin und ihr Mann Thankmar von Nadoret ebenso an den Tisch der Gäste gesetzt hatten, wie Ilgar von Galebfurten und dessen Frau Matissa von Bregelsaum.
Prunk, edle, ausgefallene Speisen und erlesene Weine indes bot dieses Bankett nicht. Jeder der in Tälerort lebte war Entbehrung gewohnt. Man konnte es sich nicht leisten etwas von dem zu verprassen, dass man dem immer noch geschundenen Land abgetrotzt hatte und so gab es eher handfeste Kost und Met, das schloss den Tisch der hohen Herrschaften mit ein.
Bevor jedoch die Becher erhoben wurde, sprach die Geweihte des in Trutzenhain existierenden Traviatempels aus der Mitte der Gäste einen Speisesegen.
Als die Klerikerin geendet und sich wieder an die Tafel gesetzt hatte war es an Aldare das Wort zu ergreifen. Bange momente starrten die wenigen Mitglieder ihres Hofstaats auf die Baronin, als diese sich mit zitternden Gliedmaßen hochstemmte, aber offenbar nicht gestattete, dass man ihr half.
Eiserner Wille war es, der es ihr schließlich erlaubte sich aufzurichten, auch wenn sie sich mit den Händen auf dem Tisch vor ihr abstützen musste im Stehen.
“Die Götter sind mit den Standhaften und so wird die Zeit des Schmerzes, des Leids, der Entbehrungen- das Zeitalter der Angst vor dem Schrecken des Ostens enden”, ergriff Aldare von Fold-Galebfurten mit kratziger, dünner Stimme das Wort. “Sie haben uns aufrechte, tapfere Menschen geschickt, die aus dem Land kommen, indem meine Familie ihren Ursprung hat. Doch was mich besonders stolz macht und was sie in meinen Augen besonders ehrt ist, sie kommen nicht auf geheiß der hochgeschätzten Kaiserin, oder unseres geliebten Markgrafen. Nein, sie kommen, weil es notwendig ist und sie dies erkannt haben. Der Krieg mag Vergangenheit sein, doch der Frieden war dennoch stets fern. Wollen wir hoffen, beten, dass die Nordmärker es sind, die ihn bringen, auf dass dieses Land endlich aufatmen und erblühen kann.”
Mit dem Ende ihrer kleinen Ansprache nickte die Baronin und ihre Zofe eilte herbei, um ihr dabei behilflich zu sein, sich zu setzen. Entkräftet fiel Aldare mehr in ihren Thron, als dass es eine kontrollierte Bewegung war. Sie schloss einige Momente die Augen, um Luft zu holen. Und doch, trotz allem schien sie zu lächeln - Die Hoffnung, die nachhaltige Befriedung Tälerots noch zu erleben, ließ sie sich mit aller Kraft ans Leben klammern.

List und Tücke

Es war bereits dunkel, doch vier Nordmärker Ritter waren noch unterwegs. Wunnemar von Galebfurten, Alrik vom Schwarzen Tann, Brun von Kranikteich und Ira von Plötzbogen hatten ihren Bundbruder Aureus von Altenwein in den Tempel der Travia begleitet, um mit und für ihn selbst, aber auch für dessen Schwester Praiodara dort zu beten. Der Altenweiner wollte anschließend die Nacht im Tempel bleiben, darum traten sie ohne ihn den Rückweg ins Heerlager an. Neben den vier Orgilsbundlern war auch Wunnemars Knappe Quendan dabei.
Irgendetwas in Ira ließ sie aufhorchen, als sie das Gotteshaus verließen. Es war mehr so ein Gefühl. Ja, die irgendwie konnte Ira sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie beobachtet wurden, seitdem sie das Gotteshaus im Zentrum Trutzenhains verlassen hatten. Immer wieder stellten sich die Nackenhaare der Plötzbogen auf, doch wenn sie sich umdrehte war da nichts außer dem erwarteten: Trutzenhains verlassenes Kopfsteinpflaster, breite Gassen bei Nacht, geschlossene Türen und verrammelte Fensterläden.
Der Trossmeister neben ihr schien derweil von ihrem Unbehagen nichts zu bemerken. Er grübelte schweigend vor sich hin und war geistig abwesend aufgrund der Sorge um die gealterte Junkerin seines Hauses, die nun nicht mehr Teil des Zuges war, sondern mit einiger Bedeckung, gemeinsam mit Praiodara von Altenwein von Altzoll aus den Weg nach St. Boronia angetreten hatte. War es dies, oder beschäftigte den Baronet etwa noch etwas anderes?
"Wartet", rief plötzlich jemand von hinter ihnen die kleine Gruppe Gerüsteter an. Ein Laienpriester des Ordens der drei Heiligen Schwestern eilte ihnen hinterher.
"Dies ist eben für euch abgegeben worden", der Mann war sichtlich außer Atem. Er reichte Wunnemar ein gefaltete Blatt Pergament, welches dieser mit verwunderte Miene aufklappte, um zu lesen. Die Augen des Baronet verengten sich zu Schlitzen, um die Wörter in der Dunkelheit entziffern zu können. Quendan eilte sich mit der Fackel, die er schon die ganze Zeit dienstbeflissen trug, an die Seite seines Schwertvaters zu kommen.
Mit versteinerter Miene und erregt geöffneten Augen reichte der Trossmeister den Brief an die anderen weiter, als er fertig war. “Lest”, war alles was er hervorbrachte.
Dort stand ohne Unterschrift und mit krakeliger sowie zum Teil verschmierter Handschrift:

“Trefft mich an der alten, verlassenen Mühle im Firun des Dorfes.
Ich habe bedeutende Informationen über eure Feinde.
Alles was ich verlange ist Begnadigung und euren Schutz.
Eilt euch, sie sind hinter mir her.”

“Begnadigung?” Ira schüttelte irritiert den Kopf. Was für ein dreister Vorschlag. Der Brief aber passte zu ihrem Gefühl. Jemand hatte die Kontaktaufnahme begonnen und war da draußen. Sie wusste es!
Der Schwarzen Queller hatte auf das Rufen des herbei eilenden Laienpriesters misstrauisch ins Dunkel gespäht und nach einem Hinterhalt ausschau gehalten. “Ihr sagtet, es wurde abgegeben! Könnt Ihr uns sagen von wem oder die Person zumindest beschreiben?” Weiterhin blickte er dabei suchend ins Dunkel.
“Ein einfacher Mann”, der Laienpriester zuckte mit den Schultern. “Er war angezogen wie ein Bauer, einfache Sachen, braune Haare, braune Augen, schmutziges Gesicht.” Mehr gab es anscheinend nicht zu berichten.
Mit der Antwort sichtlich unzufrieden stellte er seine vergebene Suche im undurchdringlichen Dunkel ein und blickte die anderen an. “Es klingt verlockend, doch könnte es genauso einen Falle sein.” Stellte er fest.
Die Plötzbogen nickte.
Alrik war anzusehen, dass er jedoch durchaus gewillt war dieses Risiko einzugehen. “Wollen wir es wagen?” Stellte er deshalb seine Frage auch schon fast ein wenig herausfordernd.
“DÜRFEN wir es wagen?”, entgegnete Brun. “Hat einer von uns das Recht, den Mann überhaupt zu begnadigen?! Wie sollen wir ihm versprechen, was wir nicht halten können…?”, gab er zu bedenken.
Alrik zuckte nur mit den Schultern. “Das Recht für eine Begnadigung haben wir nicht, allerdings hat es Wunnemars Großmutter.” Und Schutz war eher ein weitläufiger Begriff. Er selbst hatte auch im Schutz des Lagers nicht das Gefühl, dass sie wirklich sicher waren. Gab es also keine konkrete Bedrohung, war in diesem Landstrich zur Zeit wohl niemand sicher. “Wir …” wobei er recht Wunnemar spitzbübisch anlächelte “... können lediglich unsere Fürsprache anbieten.”
“Ich meine, hören wir uns an was er zu sagen hat”, entgegnete der Baronet entschlossen und blickte dann fragend zu Ira, die ein missmutiges Gesicht machte..
Sie entließ angestrengt Luft. “Natürlich IST das eine Falle! Ich hab schon die ganze Zeit so ein seltsames Gefühl,” erklärte sie, bevor sie seufzte. “Nehmen wir aber an, es ist keine. Dann wäre es schön, wenn wir vorher wüssten, mit welchem Verbrecher wir es zu tun haben. Begnadigung! Den Begriff verwendet doch niemand einfach so, weil er Lust drauf hat. Was, wenn das genau einer der Kerle ist, die mordend und brandschatzend durchs Land gezogen sind?” Ira sah ihre Freunde mit besorgter Miene an.
Der Baronet nickte bedächtig, zeigte dann jedoch ein wölfisches Grinsen.
“Ich habe nicht vor ihm mein Wort zu irgendetwas zu geben Iradora. Lass uns versuchen ihn zu überwältigen, wenn wir die Gelegenheit dazu bekommen. Dann kann er sich meinetwegen mit unserem Feldkaplan über eine ‘Begnadigung’ unterhalten.”
Nochmals sah Wunnemar in die Runde und seine Gesichtsausdruck machte klar, er wollte dieser Sache nachgehen.
Die Plötzbogen zeigte sich verwundert: “Ja, bin ich denn die einzige, die kein gutes Gefühl bei der Sache hat?” Sie nahm an, dass vielleicht Alrik noch einmal Bedenken äußern würde. Dann fixierte sie den Weißhaarigen: “Nenn mich bitte nicht Iradora, du weißt, wie ich das hasse.”
Der anschließende Blick der Ritterin war skeptisch und sie sah sich lieber ein paar Mal zu viel um. Sie hoffte, an einer Ecke einen schnellen Schatten zurückweichen zu sehen, als Zeichen, dass der Bote sie vielleicht beobachtete. Nichts dergleichen. Als sie sich wieder umwandte entwich ihr erneut ein angestrengtes Seufzen, das mehr unwillig denn entzückt klang. “Na schön, wenn ihr da alle hingehen wollt, dann lass ich euch natürlich nicht alleine gehen. Und sei’s nur um euch hinterher eins reinzuwürgen, wenn das hier tatsächlich eine Falle ist. Ich wette mit euch die haben’s auf dich abgesehen, Weißer Witwer des Schwarzen Tobriens.” Ihre Befürchtung kaschierte Ira mit einem Auflachen und Komik, während sie Wunnemar das Kinn entgegenreckte.
Kurz nur hatten die Mundwinkel des Baronet gezuckt. Natürlich wusste Wunnemar, dass Ira es hasste bei vollem Namen genannt zu werden und selbstverständlich wusste sie, dass Wunnemar dies wusste.
Innerlich grinste der Galebfurtener. Das Ziel seiner Rede war erreicht, sie würde ihn begleiten. Ob nun das ‘Iradora’ den Biss der Plötzbogen geweckt hatte, konnte der Baronet nicht mit Bestimmtheit sagen, doch das war am Ende auch gleichgültig, das Ergebnis war das gewünschte.
Im Gegenzug war das Weißer Witwer mitnichten ein Spitze, die Wunnemar als eine solche empfand. Nein, das einfache Volk am Rande von Turnieren hatte ihm dieses Namen gegeben und die Art und Weise wie er genannt wurde war nicht abfällig.
Gespannt wartete er nun, ob sich ihre Brüder ihnen anschließen würden?
“Wenn es eine Falle ist, dann werden wir zumindest gemeinsam hineintappen.”, fügte Brun hinzu und zuckte mit den Achseln.
Ira brummte ein “Na, wie beruhigend.” Ihr dazugehöriges Augenrollen sollte heißen, dass sie die Idee dumm fand.
Von Anfang an hatte der Schwarzen Queller wenig nach zurückziehen geklungen, allerdings mahnte er dennoch zur Vorsicht. Sie alle hatten bereits ihre Erfahrungen in der Region gemacht. Der Schein trügte gerne einmal und Hinterhalte mochten allzu schnell tödliche Folgen haben.

Gemeinsam machten sich die Mitglieder des Orgilsbundes und der Knappe Quendan auf den Weg zum im Efferd liegenden Tor von Altzoll - dem Trollpforten-Tor, das zu dieser späten Stunde nur aufgrund des Feldlagers vor der Stadt noch geöffnet war. Das Warunker-Tor im Rahja war hingegen verrammelt.
Bei den Wachen angekommen machten sie kurz halt und Wunnemar fragte bei den mit Hellebarden bewaffneten Gardisten nach, ob eine oder mehrere Personen in einfacher Kleidung vor kurzem Altzoll verlassen hätten.
Die Wachen verneinten und fügten an, dass sie ohnehin dazu angehalten seien keine Gemeinen herein und heraus zu lassen, sobald das Praiosmal nicht am Himmelszelt stand.
Der Trossmeister warf seinen Kameraden einen vielsagenden Blick zu. Einjeder, der sich in Altzoll versteckt hielt musste um diese Verfahrensweise wissen. Entweder der Verräter kannte einen anderen Weg aus Altzoll heraus, oder es war tatsächlich nur eine Falle. An einen Boten glaubte Wunnemar angesichts der Bedeutung der Botschaft nicht. Für ihn kam diese Möglichkeit nur im Falle des Hinterhalts in betracht. Die Anspannung wuchs.
Sie umrundeten Altzoll. Die Orgilsbündler hielten sich so, dass sie rechterhand immer die Stadtmauer, zur Linken das Feldlager hatten, bis irgendwann im Schein der Fackel, die immer noch Quendan hielt, ein kleiner Trampelpfad zu erkennen war, der gen Firun führte. Die Lichter des Lagers der Nordmärker waren hier nur noch in der Ferne zu sehen.

Unschlüssig blickte Alrik in die vor ihnen liegende Dunkelheit und befand, dass diese perfekt für einen Hinterhalt geeignet war. “Mir wäre etwas wohler zumute, wenn wir uns etwas absichern würden.” Damit wandte er sich an seine Begleiter. “Kann sich jemand auf leisen Sohlen bewegen und im Dunkeln gut sehen?” Wobei er mit seiner Frage klar stellte, dass er sich für diese Rolle selbst nicht vorsah.
Ira sah den Pfad in der endlosen Schwärze verschwinden und im Geiste bereits Pfeile aus dem Gebüsch fliegen. Ihr gefiel das hier gar nicht. Und mit dem Feuerschein waren sie eine richtig gute Zielscheibe. “Zum Thema sehen…” Sie griff nach der Fackel in Quendans Hand, warf sie auf den Boden und trat sie zügig aus. “Wir reden gleich. Jetzt alle vier Schritt nach rechts. Los!” zischte sie leiser in die Runde.
“Auf leisen Sohlen bewegen?”, echote Brun mit halblauter Stimme, während er Iras Aufforderung Folge leistete. “Muss ich Euch wirklich daran erinnern, dass unser Bund sich der Herrin Rondra verschrieben hat?”
“Schon…” gab der Schwarzen Queller zu. “... allerdings, ist es auch nicht sonderlich rondragefällig sehenden Auges in eine mögliche Falle zu laufen und sein Leben zu lassen.”
Wunnemar nickte. “Dieser Meinung schließe ich mich an. Darüber hinaus ist jetzt nicht die Zeit für einen derartigen Disput. Der Kerl ist ein Mordbrenner und Verräter, wenn seine Geschichte stimmt. Wenn nicht ist er ein Lügner - alles Charakterzüge, die der Himmelsleuin nicht gefallen dürften.”
“Jungs. Wenn das eine Falle ist - ich lass mich lieber davon überraschen, dass es keine ist! - wird es denen wahrscheinlich herzlich egal sein, ob wir rondrianisch vorgehen, oder nicht, das denke ich auch. Die warten da draußen,” sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Pfades, der nun im Dunkeln noch schlechter zu sehen war, als vorher. “...auf uns, auf dich vor allem, Wunnemar. Und wahrscheinlich nicht nur mit Worten. Die erwarten, dass du kommst und natürlich noch jemanden mitbringst. Ob sie aber uns alle erwarten - fraglich. Ich will damit sagen, dass wir sehr wohl mit gesunder List agieren könnten und du vorausgeht, Wunnemar, während ein paar von uns heimlich folgen….Hesinde und Phex sind auch Götter!” das letzte war eindeutig an Brun gerichtet, obwohl sie niemanden ansprach. “Ich könnte aus dem Lager kurz ein paar Hunde holen. Zwei oder so.” schlug Ira dann noch vor. Sie meinte die Eisensteiner Kampfhunderotte, die ihr unterstanden.
“‘Hesinde und Phex sind auch Götter’?! Ihr seid mir vielleicht ein schöner Ritterorden! Behauptet Ihr allen Ernstes, man müsste sich nur dann rondragefällig verhalten, wenn der Gegner das auch tut? Vielleicht solltet Ihr diese Meinung mal Ihrer Gnaden Rondralei darlegen!” Brun schüttelte den Kopf, hatte die Stimme wieder erhoben. “Ganz ehrlich - Ihr habt sie doch nicht mehr alle!”, ereiferte er sich. Seit der Sache mit Aureus war er zunehmend eigenbrötlerischer und störrischer geworden.
Während Wunnemar angespannt nachsinnend das Gesicht verzog, ihre Möglichkeiten im Geiste abwägte, hörten die Orgilsbündler einen Schrei, eine sich vor Pein überschlagende männliche Stimme.
Der Kopf des Trossmeisters ruckte in Richtung Firun und nahezu zeitgleich glitt Langschwert und Panzerbrecher aus den Scheiden am Gürtel.
“Na, wunderbar…” schimpfte die Plötzbogen angesichts der Tatsache, dass es für die Hunde wohl jetzt nicht mehr reichen würde und zog ebenfalls ihr Schwert. “Gut. Dann gehen Rondra und Travia jetzt mal schön voraus. Hesinde und Phex kommen nach und decken euch den Rücken.” gab sie kurzerhand die Order aus, von der sie eben schon gesprochen hatte. Sie nahm an, dass jeder wisse, wer gemeint war. Dann aber dachte sie einen Moment lang nach, ob statt Brun nicht sie selbst an Wunnemars Seite gehen sollte, weil sie doch während ihrer gemeinsamen Zeit in Hlutharswacht den Kampf in fließender Rotation verinnerlicht hatten und auch, wenn es schon eine Weile her war, wäre es eine gute Möglichkeit im Kampfgeschehen im Vorteil zu bleiben. Sie sah allerdings nicht ein, warum sie ihre geliebte Defensive aufgeben sollte, nur, weil Brun den Sinn eines Anschleichmanövers verquerte.
Der Baronet, der sich zurecht angesprochen fühlte, nickte mit angespannter Miene und machte Anstalten sich an die Spitze zu setzen. Dabei wies er Quendan an immer dicht hinter ihm zu bleiben.
Da es offensichtlich an Brun war den Galebfurter zu begleiten, wandte sich Alrik, auch um die kurze Zeit des Wartens zu überbrücken, fragend an Ira. "Bist jetzt du oder bin ich Hesinde?"
Wunnemar, der sich schon abgewandt hatte, schnaubte leicht abfällig. “SIE würde sicher niemals so fluchen wie es Ira tut”, kommentierte er noch knapp die Frage Alriks, dann verschwand der Baronet leicht geduckt laufend im Gebüsch.
“Ach, sei doch, wer du willst,” brummte Ira auf Alriks Frage einfach nur, um deutlich zu machen, dass sie diese Frage und auch den darauffolgende Kommentar des Galebfurteners absolut unnötig fand.
Brun blickte Ira wütend an, verbiss sich jedoch einen Kommentar. Auch er zog seine Waffe und folgte Wunnemar nach.
Während sie warteten, bis sie folgen konnten, nahm Ira vom Boden Erde, verband sie mit Spucke und blendete ihre Schwertschneide damit. Wie ihr dabei auffiel, schien es ganz so als verzichte der Schwarzen Queller tatsächlich auf blitzende und blinkende Dinge oder hatte diese verdeckt - selbst als er sein Schwert aus der Scheide zog. Als Alrik den Blick Iras sah, zuckte er nur im Dunkeln mit den Schultern. “Wann immer ich an einem Feuer sitze, bringe ich etwas Asche auf die Klinge.”
“Ah, gute Idee. Ist mit den Eisensteinern im Nacken schwierig,” gab sie zurück, neidisch seufzend, “du weißt ja, dass ich unnötige Angriffspunkte vermeide.” erklärte sie, er wusste ja warum sie dies tat. “Gut, hör zu. Wir gehen den beiden nicht direkt hinterher, sondern sollten zusehen, dass wir uns seitlich von ihnen halten. Ich hoffe nur, das Gelände lässt das zu…”

Gemeinsam, und doch jede Kleingruppe für sich, schlichen sie abseits des Weges in Richtung der alten Mühle. Vorbei an Sträuchern, kleineren Büschen und einzelnen Bäumen, die allesamt keine gute Deckung boten. Auch um die Mühle selbst gab es im Umkreis von vierzig Schritt kaum etwas, was Deckung bieten könnte. Man musste hier schon über den Boden robben, um die Gräser, Sträucher und Büsche auszunutzen, stellten die jungen Ritter fest, als sich alsbald die Silhouette der Mühle im fahlen Mondlicht erahnen ließ. Ein schief hängender, löchriger Flügel knarrte im Wind. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis er krachend herabfallen würde. Nebengebäude gab es wohl mal, doch waren diese längst als Baustofflager ausgebeutet worden. Überreste wie etwa ein Stapel Bretter zeugten noch davon, lagen jedoch abseits in der Dunkelheit.
Wunnemar und Brun waren auf ungefähr jene vierzig Schritt an das heruntergekommene Gebäude heran, hinter ihnen in vorsichtigem Abstand der Schwarzenqueller und die Plötzbogen, als erneut ein Schrei die Stille der Nacht störte und in ein lautes Wehklagen überging.
Im Näherkommen registrierten die Jungritter Fackelschein, der von hinter der Mühle zu kommen schien, denn der Boden der Wiese, auf dem die Mühle stand war zu beiden Seiten leicht erhellt, doch nicht in der Richtung aus der sie kamen.
“Entweder ist das Teil der Falle, oder es ist Teil der Falle,” flüsterte Ira Alrik zu. Sie war sich ziemlich sicher, dass hier jemand gequält wurde, um ihren Beschützerinstinkt zu wecken und sie so in die Falle zu locken. Dass man sich ab hier so gut wie gar nicht anschleichen konnte, erschwerte die taktischen Überlegungen, die sie im Geiste bereits durchging. Das einzige Manöver, das ihr einfiel, war nach wie vor die offene Begegnung in Kombination mit einem Überraschungsangriff. Sie hoffte, dass Wunnemar ähnlich dachte.
Ob der Baronet in diesem Moment nun ähnliche Überlegungen anstellte, ließ sich kaum ergründen. Wunnemar jedenfalls haderte nicht, sondern rückte vor, verließ die schützende Deckung. Mit zu beiden Seiten hin ausgestreckten Klingen lief er in gebückter Haltung rasch in Richtung Mühle. Quendan folgte etwas zögerlich in einigen Mannslängen Abstand.
Der junge Schwarzen Queller ließ sich von den Schreien nicht aus der Ruhe bringen und so antwortete er Ira leise bevor er sich zur anderen Flanke aufmachte. "Also ich würde sagen, es ist eine lustige Trinkrunde." Kommentierte er mit einem deutlichen Hauch Sarkasmus und war dann auch schon weg.
Geduckt entfernte er sich von Ira um die rechte Flanke seiner beiden Bundesbrüder zu decken. Schnelle sichere Schritte, die davon zeugte, dass er im dicht bewaldeten Nordgratenfels aufgewachsen ist und etwas von der Jagd verstand. Nichts an ihm nahm dabei den Schein der Fackeln auf, nichts blinkte oder funkelte an ihm und so war er schnell eins mit den Schatten.
Brun fluchte im Stillen über Wunnemar, zwangen die beiden Klingen des anderen ihn selbst, Abstand zu halten und nicht zu nah an den anderen heranzukommen. Gleichwohl versuchte er, nicht den Anschluss zu verlieren. Dabei trat er in ein Erdloch und geriet ins Stolpern. Nun fluchte er nicht mehr still, sondern halblaut. Es reichte ihm jetzt. Doofe Mühle, doofe Nacht. Er dachte sich, dass ihm jetzt ein Gegner ganz recht wäre, den er ordentlich verdreschen könnte.
Warum hatten sie eigentlich keinen Magier dabei oder wenigstens einen der Hunde? Darüber zu ärgern brachte jedenfalls nichts, denn in diesem Moment war etwas anderes wichtiger. Sie übernahm die Sicherung der linken Seite und schlich zügig hinterher.
Wunnemar lief indes einen weiten Bogen um die Mühle, um nicht ins Messer etwaiger Gegner zu laufen, die sich im Schutz des Gebäudes verbergen mochten. Das er dabei selbst keine Deckung besaß, schien er bewusst und willentlich in Kauf zu nehmen.
Da er nicht in der Nähe der Klingen seines Ordensbruders weilen wollte, umrundete Brun die Mühle von der anderen Seite.
Das Wehklagen, Schreien und Wimmern wurde lauter, je näher sie kamen, doch mit dem Beinahesturz Bruns veränderte sich dennoch etwas. Es mischte sich ein bedrohliches Knurren und Bellen in die Geräusche der Szenerie.
Bald schon hatten Wunnemar und der Kranickteicher jeweils das vom Grundriss her runde Gebäude der Mühle soweit im Laufschritt umrundet, dass sie eine, von zwei in gußeiserne Wandhalter steckende Fackeln erhellte Treppe sahen, die nach unten führte. Es musste einen Keller unter der Mühle geben. Von dort drangen die Klagelaute herauf.
Zwei große, zähnefletschende Hunde standen dort in aggressiver Haltung, wo der Treppenabsatz begann. Doch lange verharrten die massigen Tiere nicht. Nach kurzem Zögern nur spannten sich ihre Leiber und sie gingen zum Angriff über.
Ein Zusammenstoß im vollen Lauf war Wunnemar zu riskant, also hielt er abrupt inne und erwartete den Hund, der zielstrebig auf ihn zugerannt kam im breitbeinigen Stand. Doch der Baronet hatte damit gerechnet, dass das Tier seine Beine angriff, um sich in ihm zu verbeißen, sein Gegner jedoch sprang, um an seine Kehle zu gelangen.
Instinktiv warf sich Wunnemar nach hinten und riss die Klingen hoch, versuchte sie zwischen sich und den Angreifer zu bringen, der wie eine wilde Bestie zuschnappte.
Schwert und Panzerstecher drangen tief in die Brust des Tieres. Die Wucht des Aufpralls durch seine hohe Geschwindigkeit aber warf den Baronet um, so dass er hart auf den Rücken aufschlug.
Das Gebiss des auf ihm zum liegen gekommenen Hundes schnappte zu- zwei, drei Mal, bevor die Bemühungen Wunnemars Kehle zu zerfetzen langsam zum erliege kamen. Bis dahin aber hatten die scharfen Zähne des Hundes zumindest blutige Striemen am Hals des Baronet hinterlassen. Ohne die Klingen in seinem Leib, mit denen Wunnemar den Hund mit aller Kraft von seinem Hals ferngehalten hatte, mit mehr Bewegungsfreiheit, hätte das Tier seine Kehle erreicht.
Dann war Quendan heran. Er riss den erschlafften Leib des Hundes von seinem Schwertvater und half ihm auf.
Der andere Hund war zuerst seinem Artgenossen gefolgt, kam diesem dann ins Gehege, stand eine Weile unschlüssig und bellend herum, um sich dann Brun zuzuwenden.
Noch beschäftigt mit seinem umgeknickten Fuß, hatte der junge Ritter keine Zeit, um sein Herz in die Hose rutschen zu lassen. So war er recht unbedarft in die Szenerie hinein- und auf den Hund zugestürmt. Das Tier konnte kaum Anlauf nehmen und sprang an Brun hoch, den hingehaltenen linken Unterarm dankbar zwischen seine Kiefer nehmend. Doch der Unterarmschützer des Kämpfers war stabil, verbog sich zwar unter dem Druck der Zähne, hielt aber stand. Der Kranickteicher trat dem Tier zuerst wuchtig in die Seite, was seinem umgeknickten Fuß überhaupt nicht gefiel, dann ließ er das Schwert auf den Kopf des Tieres niederfahren. Er erwischte es nahe des Hefts, mit der Fehlschärfe, und konnte mit der Klinge wenig ausrichten, da die Waffe nur gehemmt auf den Schädel traf. Erst dann fiel Brun auf, dass seine Parierstange dem Hund ins Auge gedrungen war. Das Tier ließ jaulend ab, drehte sich wie irre mehrfach im Kreis, um dann toll vor Schmerz und laut heulend in der Dunkelheit zu verschwinden.

Als Ira und Alrik auf Höhe ihrer Bundesbrüder waren, erblickte die Jungritterin einen Kopf zaghaft über das oberen Ende der Treppe schauen. Sie waren bemerkt worden, natürlich.
Nun drängte die Zeit noch mehr, wenn sie nicht auf eine organisierte Gegenwehr stoßen oder sich gar mit Fernwaffen auseinandersetzen wollten.
“Mann. Treppe!” machte Ira die anderen auf ihre Entdeckung aufmerksam. Rasch hatten sie sich untereinander verständigt und so führten jetzt Phex und Hesinde die Hut an. Es widerstrebte Ira zwar sehr, aus Rücksicht auf die körperlich in Mitleidenschaft gezogenen Brüder ihre geliebte Zurückhaltung aufzugeben, doch war Eile geboten. Also gab sie Alrik ein Zeichen und wandte sich mit ihm dem Kellereingang zu.
Schnellen Schrittes machte sich Alrik daran dem Unbekannten auf der Treppe zu begegnen. Als Ritter war er zum Schutz der Schwachen und Wehrlosen verpflichtet, in der Rabenmark jedoch war nicht jeder augenscheinlich wehrlose auch wehrlos, sondern wartete gern auch mit dem Messer hinter dem Rücken auf die herbei eilende Hilfe.
Ira hatte durch ihren Ruf bereits die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weshalb sich der Schwarzen Queller weiterhin versuchte leise zu bewegen um mit dem entsprechenden Überraschungseffekt für eine schnelle Entscheidung zu sorgen.
Der Mann, welcher sich Alrik entgegenstellte, als dieser den Treppenabgang erreichte, trug Langschwert und Schild. Letzteres vermochte seine taktisch schlechtere Position, er stand auf der Treppe unterhalb des Jungritters, auszugleichen. Zu seiner Bewaffnung nicht ganz passend war er in die einfache Kleidung eines Bauern gekleidet. Die Wehr in seiner Linken trug eine auffällige Blasonierung, war farblich gespalten in Schwarz und Silber, rechts ein silbernes Drachenhaupt und links eine schwarze Knochenhand.
Die Klingen kreuzten sich ein erstes Mal mit der Wucht des Ansturmes, da Ira hinter Alrik herannahend erkannte, wie eine gerüstete Frau in Kettenhemd und Wappenrock in identischen Farben wie das Schild des Mannes, am unteren Ende der Treppe erschien. Der Hakenspieß, den sie dabei in Händen hielt, würde Alrik selbst aus zweiter Reihe gefährlich werden können. Doch wie sollte sie an das weibliche Mitglied der Drachengarde herankommen?
Dieser Angriff war eine Scheißidee, wurde es Ira klar, als sie sah, dass die Treppe kein guter Kampfgrund war, trotz, dass von der Seite niemand in sie hinein fallen konnte - aber genau deswegen war dieser Vorteil auch gleichzeitig ein riesengroßer Nachteil für sie selbst und Alrik. Schnell ging sie die Optionen durch: Rückzug andeuten, damit der Feind auf breitere Flur folgte und sie ihn umzingeln konnten, oder Vordrängen und hoffen, dass der Feind den Spieß nicht umdrehte. Momentan konnte sie selbst sich nur seitlich gegen den Vairninger drücken und rollieren - aber der hatte keine Übung im Rollieren. Schnell entschied sie daher mehr einem Gefühl folgend Alrik zu greifen und die Stiege hinaufzuziehen. Feigheit vortäuschen war sicherlich eine Finte, die anderen Bauchschmerzen machte. Ihr nicht. “Rückzug” brüllte sie dabei.
Schild und Waffe sprachen eine gänzlich andere Sprache, als die Kleidung des Unbekannten. Auf welche Aussage jedoch sollte er sich verlassen, darauf dass es sich um Bauern handelte die Waffen erbeutet hatten oder darauf, dass es sich um Drachengardisten handelte, die sich als Bauern ausgaben. Seine Überlegungen waren jedoch hinfällig als Ira von hinten an ihr zog. Rückzug, was für eine dumme Idee. Sie standen weiter oben, hatten also beim führen ihrer Waffen den Vorteil auf ihrer Seite. Einen Schwerthieb konnte er in seiner Situation nicht ausführen, der Plötzbogen sei es gedankt, stattdessen tat er so, als würde er nach hinten kippen und trat mit aller Kraft gegen den Schild des Unbekannten. Ein Manöver, was zu diesem Zeitpunkt vollkommen unerwartet kam.
Die Wucht des Trittes, welcher gegen seine Wehr stieß, vermochte der niedriger stehende Streiter nicht mit dem Oberkörper auszupendeln, zu überraschend kam die Bewegung schon in der Rückwärtsbewegung des Aggressors. Mit einem erschrocken Aufschrei stürzte er zurück, die Treppe weiter hinunter und kam stöhnend am unteren Punkt, dort wo der Durchgang in den Keller der Mühle sein musste, zum liegen.
Die Gerüstete indes hatte das Quentchen mehr Zeit, um auf die Situation passend zu reagieren und drückte sich geistesgegenwärtig gegen die Wand des Aufgang, den Spieß weiterhin auf die Orgilsbündler gerichtet, die nun auf dem Rückzug schienen.
Ira hoffte, dass ihnen die Schlampe mit dem Spieß folgen würde und spielte weiterhin für die Jägerin das waidwunde Reh, das den Kameraden aus Angst mit sich zog. Dabei war alles berechnet. Die Schlampe musste nur mitspielen.
Sein Manöver war erstaunlich gut geglückt, ein zweites Mal würde es jedoch schwieriger werden. Sich von Ira zurück ziehen lassend, blickte auch Alrik bereits nach einer neuen Möglichkeit um. So ein Spieß war einfach ein sehr unangenehmes Spielzeug.
Die Drachengardistin machte Anstalten den beiden Orgilsbündlern nachzusetzen, hielt dann aber auf dem oberen Treppenabsatz an und schwenkte mit der Spitze ihrer Waffe hin und her, als wollte sie Ira und Alrik auf Distanz halten, um ihrem Kumpanen Zeit zu verschaffen.
Vom unteren Ende der Treppe hörte man derweil ein Fluchen, dass sogleich von einem Markerschütternden Schrei aus dem Keller übertönt wurde.
Für die Situation in der sie sich befanden, war die Stangenwaffe der Gegnerin denkbar ungünstig. Im Normalfall würde ein Kämpfer nun versuchen diese zu unterlaufen, in die direkte Nähe zu gelangen und zuzuschlagen. Durch die Treppe konnten sie genau dieses Vorgehen nicht umsetzten, während ihnen zugleich die Zeit davon lief.
Kurz entschlossen zog er seinen Dolch und schleuderte diesen nach der Frau. Gespannt verfolgte er die Flugbahn seiner Waffe, hoffte das sein Wurf eventuell sein Ziel tatsächlich traf und ein Angriff somit möglich war.
Die Drachengardistin war überrascht von dem eher phexischen Angriff des Jungritters. Zwar ruckte ihr Oberkörper noch im Versuch ihren Torso aus der Flugbahn des Dolches zu bringen, doch dies gelang nicht zur Gänze. Die zweckentfremdete Waffe prallte mit Wucht gegen ihre Schulter, jedoch ohne das Kettenhemd zu durchdringen, zwang sie aber einen Ausfallschritt nach hinten zu tun, was auf der Treppe nicht ganz einfach war und sie einen Moment aus dem Konzept brachte.
“Aaaaaahhhhh!” Mit einem Kampfschrei, den er für markant, kühn und männlich hielt, stürmte der noch immer leicht hinkende Brun zwischen seinen Gefährten hervor. Er hatte die Unkonzentriertheit der Spießkämpferin erkannt, auch wenn der vordringlichste Grund für sein Handeln die noch immer schwelende Wut war. Dem Blatt der ihm entgegengereckten Waffe ausweichend, brachte der Kranickteicher den Holm mit der Parierstange seines Schwertes unter Kontrolle und schob ihn nach links weg. Mit der freien Linken griff er an den Holm, mit der Rechten schlug er seine Klinge rückhändig, entlang des Spießes, nach Händen und Armen seiner Gegnerin.
Schnell rappelte sich Alrik auf und setzte Brun nach, um ihm mit der Gardistin zu helfen. Dabei wollte er vorerst die Waffe unter Kontrolle bringen, sodass sich der Kranickteicher möglichst schnell um die Gegnerin kümmern konnte.
Doch dies war nicht mehr notwendig. Die Drachengardistin ließ den Spieß fahren und machte einen Satz nach hinten, als Brun nach ihm griff. Sie hatte schnell begriffen, dass ihre Waffe unterlaufen worden war und dass sie auf kurze Distanz damit wenig Chancen besaß, sich der Angreifer zu erwehren. Es gab nur den Rückzug.
Die Waffe des Kranickteichers traf die Gardistin infolge nicht voll, doch Brun spürte dennoch das sein Schwert auf Widerstand stieß und abglitt. Im Eifer des Gefechts und dem Zwielicht war mehr kaum auszumachen.
Dann war die Frau außer Reichweite, die halbe Treppe hinunter und ihr Kumpane drängte wieder mit erhobenem Schild und drohend angelegtem Schwert an ihr vorbei.
Von hinten hörte Ira unterdessen schwere, scheppernde Schritte, die sich rasch näherten, auch Wunnemar schloss nun auf, doch selbst die Überzahl von vier gegen zwei half ihnen auf der Treppe nichts.
Brun hatte immer noch Momentum, weswegen er dem Schildträger mit dem Absatz seines Stiefels heftig gegen den Schild trat. Er beließ es nicht dabei, sondern stemmte sein Gewicht dagegen, welches er durch seine günstigere, erhöhte Position gut zur Geltung bringen konnte. Mit einem wilden Hieb seines Schwertes versuchte er, die Klinge seines Gegners wegzuschlagen.

Der Impuls einer Frage, was zum Henker sie hier eigentlich taten - denn dieser Angriff war dermaßen chaotisch - formte einen sarkastischen Spruch, den Ira Wunnemar zurief, als dieser neben ihr auftauchte: “Wolltet ihr nicht die Vorhut sein?” Gleichzeitig schwenkte ihr aufmerksamer Blick an der Mühle hoch aus Angst vor Armbrustschützen.
Sie Situation, der Kampf an und auf der Treppe spitzte sich zu, die Orgilsbündler wollten nun eine Entscheidung erzwingen. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig.
Brun, bedingt durch seine erhöhte Position, konnte den Schildträger zurückdrängen, weiter die Stufen hinab. Dabei glitt dieser jedoch aus. Ganz plötzlich war kein Gegendruck mehr da und der Drachengardist und Brun fielen.
Die gerüstete Frau, die kurz zuvor noch den Spieß in Händen gehalten hatte, drückte sich derweil an die Wand des Abgangs und war gerade dabei Schwert und Dolch zu ziehen, als Alrik den nun offenen Raum nutzte, der durch das Ausstechen des Schildträgers entstanden war. Alrik erkannte, dass schnell gehandelt werden musste, denn Brun bot der Gardistin den nahezu ungeschützten Rücken, als er auf dem Schildträger zum liegen kam.
Den Schaft des Spießes fahren lassend, nahm er die letzte Stufen und überbrückte den Raum zur Kämpferin. Er musste schnell handeln, nicht nur dass Brun gefahr lief einen Schlag in den Rücken zu bekommen, auch gemahnten die Schreie zur Eile. An die Wand gedrängt, konnte sie nur eingeschränkt ausweichen. Durch die Enge des Raums, wollte der Schwarzen Queller jedoch selbst seine Waffe nicht schwingen, sondern stach mit dem Schwert zu.
Die Gardistin war viel zu sehr mit sich selbst und dem Hantieren mit ihren eigenen Waffen zu tun, so dass sie es nicht mehr vermochte rechtzeitig zu reagieren. Ihr Blick suchte den des Schwarzenquellers. Ihre Augen waren weit aufgerissen, sie wusste, dass sie sterben würde. Tief war die Klinge Alriks in ihren Leib, knapp oberhalb der Gürtellinie eingedrungen, hatte den Wappenrock durchdrungen und Kettenglieder gesprengt. Kein Schmerzensschrei kam ihr über die Lippen, lediglich ein gurgelndes Röcheln.
Wunnemar tauchte indes am seitlich offenen Abgang auf, das Schwert in der Linken, das Wurfbeil drohend in der Rechten erhoben, als suchte er ein Ziel.
Brun war einen kurzen Moment benommen, denn er war mit dem Kopf gegen den Schild seines Gegners gekracht. Auch mit dem Rest seines Körpers war er auf dem Gegner gelandet, was eine deutliche Verbesserung gegenüber der Steintreppe war, die der Schildträger abbekommen hatte.
Der Kampflärm hinter ihm bestärkte den Kranickteicher darin, dass sich seine Bundkameraden um die Gardisten kümmerten - nicht dass er eine Möglichkeit gehabt hätte, sich selbst darum zu kümmern, denn sein Gegner war noch nicht überwunden. Also fasste er angesichts der beengten räumlichen Verhältnisse sein Schwert zusätzlich mit der Linken an der Klinge und versuchte, das Schwert im Halbschwertgriff zwischen Kinn und Schlüsselbeine des Schildträgers zu bringen, um ihm die Luft abzudrücken.
Währenddessen behielt Ira die Umgebung auf ihrer Seite der Mühle im Auge.
Die Bemühungen Bruns erfuhren zunächst keinerlei Gegenwehr. Der harte Aufprall hatte den vermeintlichen Gardisten kurzzeitig das Bewusstsein geraubt. Erst als eine der Schneiden der Klinge des Kranickteichers seine Haut eben an jener, anvisierten Stelle traf, kam plötzlich wieder Leben in den Mann. Er machte eine hastige unkontrollierte Bewegung. Er bäumte sich vergeblich auf. Blut floss, denn die Schneide grub sich ins Fleisch.
Instinktiv wusste Brun, es fehlten nur noch zwei Finger breit, dann würde sein Gegner nicht mehr dazu kommen, sich weiter gegen ihn zur Wehr zu setzen. Er verstärkte seine Anstrengungen - bis ihm einfiel, dass dieser Mann wohl der sein könnte, den sie suchten. Ruckartig nahm er das Schwert von der Kehle des Mannes. Die Klinge noch immer in Halbschwerthaltung führend, brachte er die Schwertspitze unter das Kinn seines Gegners. “Keine Bewegung, wenn Du Dein Leben nicht verwirken willst!”, sprach er mit ironisch hochgezogenem Mundwinkel und einer natürlichen Autorität - aber nur in seiner eigenen Vorstellung. In der Realität erklang sein Ausspruch mindestens eine Oktave höher, keuchend und hektisch: “Kei-Be-We-Gung-o-da-Dei-Le-ben!”
Doch alles was Brun in seiner Haltung im flackerndem Licht erkennen konnte, war blanker Hass, welche sich auf den Zügen seines Gegners zeigte. Fast panisch registrierte der Kranickteicher, dass der Mann unter ihm mit einer Hand an seinem Gürtel herumnestelte.
Der Ansatz eines Klagelautes erscholl derweil aus dem nun nicht mehr fernen Keller, ging aber rasch in ein Gurgeln nieder, das alsbald erstarb.
Die Zeit drängte. Es war unklar was genau sich in dieser alten Mühle zutrug, was hier passierte und sie erwartete. Würden sie hier tatsächlich auf einen Informanten treffen? War es ihre mögliche Quelle, deren Schreie zu ihnen vordrangen? Seine Klinge mit einem Ruck aus dem Leib der Gardistin ziehend, schenkte er dieser keine weitere Beachtung. Stattdessen sah er wie Brun am Boden mit ihrem zweiten Gegner rang und das dieser sich am Waffengurt seines Bundesbruders neu auszustatten versuchte. Während er den Weg zu den beiden Ringenden zurücklegte, überlegte er den Kampf zu beenden. Seine Ritterlichkeit hinderte ihn jedoch an diesem unehrenhaften Verhalten und so trat er dem Gardisten hart gegen die Hand.
Gleichzeitig drang Bruns Klinge zwischen Unterkiefer und Hals seines Gegners ein. Energisch schob er die Waffe so weit vor, bis er an einen knöchernen Widerstand stieß. Er stieß dabei einen Schrei aus, in dem Wut, Angst und ein halbes Dutzend weiterer niederer Gefühle widerhallten.
Bruns Schrei ließ Ira alarmiert die Treppe hinabhasten, nur um zu sehen, dass sich alle ihre Bundbrüder am Ende der Treppe befanden, und mit ihnen zwei überwältigte Gegner. “Was…” Zu mehr kam sie nicht, denn aus dem Kellerinneren erklang erneut das Winseln. Also gab sie Wunnemar ein stummes Zeichen, dass er mit ihr käme, sich das anzusehen.
Der Baronet nickte stumm. Weiterhin das Wurfbeil in der rechten haltend folgte er den anderen, wobei er auf die Treppe seitlich hinabschritt, mit dem Rücken zum Mauerwerk der Mühle, um zu verhindern, dass sie jemand von hinten angriff.
Die Türzarge am Fuße der Treppe war aus dicken Balken gefügt. Die Tür, die einst den Durchgang versperren konnte, hing schief im Rahmen, das Gusseisen des oberen Scharniers war gesprungen, anscheinend durch grobe Gewalteinwirkung.
Im Keller selbst war es dunkler als draussen. Eine einzelne Lichtquelle schien irgendwo gegenüber dem Durchgang zu existieren. Jedoch versperrten aufgemauerte Stützpfeiler die Sicht in das Gewölbe unter der Mühle. Zwielicht warf tanzende Schatten auf den gestampften Boden. Die Konstruktion aus Stützbalken, welche die Decke trug lag hingegen in vollkommener Finsternis.
“Sag, dass du hier bist,” flüsterte Ira Wunnemar mit Bezug auf die überbrachte Nachricht, die sie hergelotst hatte, ins Ohr, hoffend, dass sich die Gegenseite davon zu einer Reaktion provoziert fühlte.
“Ich bin gekommen, so wie ihr verlangt habt”, rief der Baronet aus, während er seiner Bundesschwester noch ernst in die Augen blickte. Erst danach wandte er sich am Ende seiner Bundesfreunde dem Keller zu.
Wunnemars Stimme antwortete ein hämisches Lachen. “Natürlich bist du das”, sprach eine amüsierte Stimme von der anderen Seite des Gewölbes. Dann setzte ein schleifendes Geräusch ein und ein untersetzter Mann im Wappenrock eines Drachengardisten trat hinter einem Stützpfeiler am anderen Ende des Kellers hervor ins spärliche Licht. Dabei zog er einen wimmernden, grausam zugerichteten Körper hinter sich her, der aus dem Mund blutete und der keinen Finger an den Händen mehr besaß.
Kurz kam ihr beim Anblick des grausam entstellten Tropfs der Magen hoch. Bei den Zwölfen, sie hatte es ja gewusst! Brauchten sie noch mehr Beweise, dass dies eine Falle gewesen war? Ira wankte allerdings nur kurz, denn für Rührseligkeiten war dies der falsche Ort. Abermals verärgert bedauernd, dass sie keinen der Bluthunde dabei hatten, trat sie rasch ein paar Schritte zurück, um im Dunkeln zu verschwinden. Aber nicht um Wunnemar allein zu lassen, sondern um ihn zum Fokus zu machen! Sie selbst würde versuchen die Gelegenheit der Ablenkung auszunutzen, um sich seitlich an der Kellerwand entlang zu schleichen mit dem Ziel, hinter den Drachengardisten zu gelangen. Dabei begleiteten sie der unheilvolle Gedanke, dass der Gardist wahrscheinlich nicht allein dort drüben war und sie versuchte Alrik - den sie für geeigneter hielt als Brun - ein Zeichen zu geben, ähnliches zu tun.
Brun hatte sich von seinem Gegner gelöst, die Klinge an dessen Wappenrock rudimentär abgewischt. Er schloss nun zu Wunnemar auf, sah Ira im Schatten verschwinden, verzog deswegen abfällig die Mundwinkel. Sie würde es nie lernen, bedauerte er in Gedanken.
Doch auch er vermutete, dass die selbstbewusste Art des Sprechers mit dem Drachengarde-Rock durch etliche Gefährten untermauert war, die im Dunkel auf sie lauerten. Grimmig sicherte er zur Seite hin ab, das Schwert abwehrbereit mal diesem, mal jenem Schatten zugewandt.
“Dafür wirst du mit deinem Leben bezahlen”, spieh der Baronet dem Peiniger drohend entgegen. Wut kochte in Wunnemar auf. Nie zuvor hatten seine Kameraden ihn derart in Rage erlebt. Alrik fürchtete gar, sein Freund würde blindlings losstürmen, gerade weil die Antwort des Drachengardisten nur wiederholtes Lachen war, doch der Galebfurtener schluckte seinen Zorn zitternd hinunter.
Der Mann, der den Gefolterten immer noch beim Schopfe hielt aber ergriff das Wort. “Ihr werdet nie herausfinden, wo unser Lager ist. Kommt nur. Ich werde mindestens einen von euch mitnehmen über das Nirgendmeer.”

Abseits des Wortgefechtes geschah derweil plötzlich das Unerwartete.
Ira hatte gehofft, Zeit zu gewinnen, während gesprochen wurde, und hatte sich vorgewagt. Allein, und doch um ihren Freunden einen Vorteil zu verschaffen. Dabei genau so, wie sie es bereits in der Mendener Vorstadt praktiziert hatten, sie, Jost, Sigiswolf. Nicht unbedingt der Weg Rondras und schon gar nicht der des Götterfürsten, aber eine huldvolle Anleihe des Herrn Phex. Dabei war sie am Rande des Gewölbes im Schutze der Stützpfeiler vorgerückt, so dass der Gardist sie nicht sehen konnte.
Die Gefahr aber kam von einem gänzlich anderen Ort - von oben. Ein dumpfer Schlag erfolgte hinter ihr. Die junge Rittersfrau wirbelte alarmiert herum, doch es war bereits zu spät. Den Dolchstich kapp über die Gürtellinie sah Ira nicht kommen, es blieb keine Zeit zur Wehr. Ihre Gegnerin war ganz in Schwarz gekleidet mit kurzem, ebenso schwarzem Haar und geschwärzter Haut - das perfekte Aussehen, um aus der Finsternis geboren zu werden.
Kein Aufschrei vor Pein, nur ein überraschtes Stöhnen drang aus Iras Mund. Passierte ihr das gerade wirklich?
Die Schwarzgekleidete griff im nächsten Moment nach dem Wappenrock Iras, um sie mit Ruck an sich zu ziehen und die Stoßwaffe mit den freudigen Worten “Stirb qualvoll, Götterhure.” noch tiefer in den Leib der Plötzbogen zu rammen, nur um die Waffe einen Herzschlag später wieder aus Iras Bauch zu ziehen, als sie zurückwich und mit der gezackter Schneide sowie einer leichten Drehung der bösartigen Klinge das Fleisch noch etwas mehr aufriss. Den blutigen Dolch in ihren Händen und mit dem breiten Grinsen von Genugtuung im Gesicht, nahm die Angreiferin wahr, wie der Ritterin das Schwert aus der Hand glitt.
Mit der Zunge leckte die Schwarzgekleidete gierig über ihre blutige Waffe und lachte spöttisch, als die Ritterin - die Händen hilflos gegen den blutenden Rumpf gedrückt - auf die Knie sank.
Im nächsten Augenblick traf Wunnemars Wurfbeil die Schwarzgekleidete seitlich am Kopf. Schmatzend drang das runde Blatt tief in den Schädel ein und fällte die Frau.
Ira nahm davon jedoch nur noch am Rande ihres Bewusstseins Notiz. Wie durch einen rötlichen Schleier, der alle Wahrnehmungen und Empfindungen bis auf eine einzelne dumpf werden ließ, fing die Welt an sich zu drehen. Schatten umwirbelten Iras Geist, als da nur noch der alles betäubende Schmerz war, der sich flüssigen Feuers gleich rasend schnell von der Dolchwunde aus in ihren Körper fraß, wie ein ausgehungerter Parasit, während zwischen den Fingern ihrer Handschuhe hindurch Bauch- und Lebenssäfte zu Boden flossen. Wild schlug dabei ihr Herz, pumpte wie wahnsinnig das Elixier des Lebens durch die Glieder Iras. Und doch raubte die Wunde ihr jegliche Kraft. So sank sie nur wenige Augenblicke nach der Attentäterin stöhnend zu Boden.
In den verzehrenden Schmerz hinein schaffte es nur noch die Angst - Angst vor dem, was der grauenhaften Vorahnung, so sehr verletzt worden zu sein, folgen würde…

Der Drachengardist aber ergriff nun, da Wunnemar seine Wurfwaffe nicht mehr besaß und sein Schwert in der Linken hielt, die Initiative, ließ den Gefolterten los und stürmte auf den Baronet ein.
“IRA!”, schrie Brun auf, der ihr schmerzverzerrtes Stöhnen ebenfalls vernommen hatte, und eilte zu der Gestürzten. Er beugte sich über sie. “Du Dumme!”, rief er außer sich vor Bestürzung. “Siehst Du? Das kommt davon. Wer kämpft wie ein Schleicher, der stirbt auch wie ein Schlei…” er hielt inne, erstarrte ob der Implikation seiner Worte. Dann fügte er hastig hinzu: “Du darfst nicht sterben, hörst Du?” Er berührte die Ritterin sanft an der Schulter.
Der Schwarzen Queller hatte sich von Anfang an im Schatten gehalten, schließlich war es besser wenn der Gegner ihre Zahl in dieser Falle unterschätzte. Aus den Schatten heraus hatte er gesehen wie der Drachengardist auf Wunnemar zuhielt, sich dann jedoch für die leichtere Beute, die der besorgte Brun in seiner Position darstellte, zuwandte.
Einen Herzschlag lang, überlegte Alrik, ob sich nicht noch weitere Meuchler in den Schatten verbargen. Er entschied sich dann jedoch, dass die Sicherheit von Ira und Brun Vorrang hatte. “Halt uns den Rücken frei!”, raunte er Wunnemar zu und bewegte sich dann durch den Schatten zu den beiden Anderen. Seine Absicht war es, einen gegen sie geführten Schlag abzuwenden und selbst den Kampf aufzunehmen. Rondra in Ehren, doch hier ging es um Familie und nicht um einen schönen Kampfstil, zumal sein Gegner vermutlich über weit mehr Praxis im Kampf verfügte und es mit einem gerechten, sprich rondragefälligen Kampf wohl auch nicht so genau nehmen würde. Dabei behielt er, anders als Ira, doch nun auch den Bereich über ihnen im Auge. Gerade noch rechtzeitig erreichte er die zwei und vermochte den Brun geltenden Schlag mit einem Schulterstoß abwenden.
Ein Angriff aus den Schatten konnte nicht als ehrenhaft gelten und auch wenn er diesen Kampf wohl eher für Travia als für Rondra focht, so war Alrik nicht bereit, sich auf die schändlichen Taktiken dieses Mannes einzulassen. “Entschuldigung…”, kommentierte er seine geglückte Aktion sarkastisch und ging anschließend zum tatsächlichen Angriff mit dem Schwert über.
Mehr oder weniger geschickt verstanden es beide Kämpfer das Terrain zu ihrem Nutzen einzusetzen und während Alrik die Balken als Deckung verwendete, nutzte sie der Drachengardist um seine Angriffe so lang wie möglich vor den Augen des Schwarzen Quellers zu verbergen. Mehrfach rettete ein Aufblitzen der Klinge Alrik das Leben, als er sich in letzte Sekunde noch leicht drehte und der tödliche Stahl stattdessen klirrend über sein Kettenhemd fuhr. Dennoch kosteten die nicht nur heimtückisch, sondern auch kräftig geführten Hiebe und Stiche Alrik Kraft.
Doch anstatt selbst zuzuschlagen zog es der junge Ritter vor, weiterhin auszuweichen. Energie, die nicht vergeudet war, schließlich bemerkte sein Gegner dabei nicht wie er sehr sorgsam in einer andere Position gebracht worden war. Weg von Brun und Ira. Erst, als er damit zufrieden war, wagte Alrik viel und schlug erstmals mit seinem Schwert zu.
Wunnemar, der dem Folterer nachgeeilt war, um ihn in seiner Wut einfach von hinten niederzustrecken, wurde indes von einem weiteren, im Hinterhalt verborgenen Schergen in seinem Tun aufgehalten. Der ebenfalls ganz in Schwarz gekleidete, drahtige Mann, der auf gleiche Weise wie Iras Angreiferin die Haut verdunkelt hatte,blockte den Hieb des Baronets, indem er hinter einem Stützpfeiler hervorsprang und sich in den Streich hineinwarf. Sein Schwert krachte klirrend in das Wunnemars und ein harter Schlagabtausch begann.
Der Baronet kämpfte mit Schwert und Klingenfänger, die er im Laufen in entsprechend die richtigen Hände genommen hatte, der Attentäter beidhändig mit einem Bastardschwert.
Harte Hiebe wurden gewechselt, wobei der Galebfurtener schnell in die Defensive geriet und zurückweichen musste. Schlag auf Schlag konnte Wunnemar die Streiche seines Gegners nur parieren. Zum Teil musste er sogar die von oben geführten Attacken mit einem Kreuzblock aufhalten, zu kraftvoll und in schneller Abfolge waren sie gesetzt, so dass er es nicht wagen konnte durch einen eigenen Angriff eine Lücke in seiner Verteidigung zu offenbaren.
Mehr aus der Verzweiflung und zudem mit dem Rücken fast an der Wand des Kellers angelangt, wählte er instinktiv den Klingenfäger für die wohlmöglich letzte Chance, das Gefecht zu entscheiden, wohl wissend, dass seine Kraft im linken Arm kaum ausreichen würde, um den wuchtigen Hieb der Bastardwaffe zu parieren.
Klirrend traf Stahl auf Stahl. Wunnemars Arm brach zitternd unter der Belastung ein, dennoch aber fuhr die lange Klinge seines Gegners in die gezackte Schneide des Klingenfägers, bevor der Hieb äußerst scherzhaft seine Schulter traf. Ein Kettenhemd hätte die verbleibende Wucht abgehalten, der Gambeson aber tat dies nicht. Die Schneide durchtrennte Gewebe und schnitt ins Fleisch. Wunnemar schrie.
Mit dem Gewicht seines kräftigen, gedrungen wirkenden Körpers, drehte sich der Baronet, riss seinen Arm dadurch mit und blockierte so das Schwert seines Gegners.
Sein eigenes Schwert aber rammte Wunnemar seinem Gegner, der seine blockierte Waffe nicht fahren ließ, sondern sie frei zu bekommen suchte, von unten in die Brust.
Der Attentäter sackte zusammen und glitt von Wunnemar und dessen Klinge ab. Dieser aber schritt benommen durch den Schmerz auf Alrik und dessen Kontrahenten zu.
Spät, zu spät, erkannte derweil der Gegner des Schwarzenquellers - der Verräter an den Zwölfen - den Bogen, den der nordmärker Stahl im Dunkel nahm, denn noch immer war dieser teilweise geschwärzt und nur fleckig blank vom Kampf im Treppenabgang. Tatsächlich hatte er seinen Schlag überhaupt nicht sonderlich gut ausgeführt und seinem Gegner nur eine unangenehme Schnittwunde im Gesicht verpasst, die Überraschung über die unvermittelt auftauchende Klinge jedoch, hatte seinen Gegner kalt erwischt und zurück stolpern lassen.
Alriks zweiter, diesmal wuchtiger und unmittelbar folgender Schlag ließ den Gardisten stürzen, wobei dieser sich unglücklich auf einem gesplitterten Balkenrest aufspießte.

Durch Bruns verzerrten Ruf ihres Namens erweckt schlug Ira die Augen auf und blickte direkt in einen Sturm, der um sie herum tobte. Wer hatte da geschrien? Sie konnte niemanden sehen. Stattdessen zogen in Schlieren Bilder einer sich in Eiltempo wandelnde Landschaft vorbei. Jahreszeiten, Göttermonde, bei jedem Wimpernschlag anders…Berge, die sich erhoben, Wälder die wuchsen und doch wieder wichen...ein blaues glitzerndes Band, welches sich durch die Lande schlängelte und immer wieder neuen Weg suchte… Gruppen von Zweibeinern, die Zelte bauten, dann Hütten, dann Häuser…. Zäune, die sich im nächsten Moment zu Mauern wandelten… ein Feld, eben noch von Schnee bedeckt, dann bestellt von einem Bauern mit Pflug, im nächsten Moment wuchs erst grünes, dann goldgelbes Getreide an dem Ort, um im nächsten Augenblick nur noch eine erdbraune, bald schon wieder schneeweiße Fläche zu sein, bevor das Spiel von Neuem begann…. Bäume, die durch den Schleier des Sturms Blätter und Früchte und im nächsten Moment doch wieder nur kahle Äste trugen…. Tannen und Eichen, die sich in den Himmel schraubten, bevor Männer kamen sie zu fällen und ihre Stämme einen dunklen Fluss hinabschwammen….

Es war vorüber, der Kampf war vorbei.
Schwer fiel Wunnemar neben Ira auf die Knie und ließ seine Waffen dabei achtlos fallen. Der Gambeson und der dünne, darüberliegende Wappenrock waren an der linken Schulter von Blut durchtränkt.
Sich mit dem rechten Arm abstützend, beugte sich der Jungritter über seine Bundesgenossin und hielt sein Ohr an ihren Mund. “Sie atmet noch”, stellte er wenige Augenblicke später mit dünner Stimme fest. Dann ließ er sich stöhnend neben ihr auf den Hintern fallen und blickte Alrik und Brun an.
“Brüder! Holt Rhys und jeden Geweihten, den ihr auf die Schnelle auftreiben könnt. Eilt euch! Wir müssen sie retten!”
Gerne hätte Alrik nach seinem Tänzchen mit den Gardisten etwas verschnauft, doch eine Pause war ihm ganz eindeutig nicht erlaubt. Seine Klinge ein letztes mal am Rock des Toten abwischend, verstaute er sie wieder in ihrer Scheide und machte sich eilig daran Hilfe zu holen. Vor dem Aufgang verharrte er einen Augenblick und drehte sich nochmals zu den anderen um. “Ihr solltet auch nach ihrer Geisel sehen.”, ermahnte er Wunnemar, aber auch Brun. Schließlich waren es seine Schmerzensschreie gewesen, die sie zur Eile gedrängt hatten. Dann war der Schwarzen Queller auch schon fort, eilte die Treppe hinauf und verfiel oben angekommen in einen Dauerlauf. In Anbetracht seiner Rüstung und des zurückzulegenden Weges, würde ihm bei einem Sprint zwischendurch vermutlich einfach die Puste ausgehen.
Noch immer kniete Brun neben Ira, hatte ihren Kopf auf seinen Wappenrock gebettet, den er zuvor hastig ausgezogen hatte. Er berührte Ira mit der einen Hand noch immer an der Schulter, die andere Hand drückte ein Tuch gegen die Wunde. Brun hatte versucht beruhigend auf sie einzureden, was vor allem seiner eigenen Aufregung gut getan hatte.
Als Wunnemar sich nun dazu gesellte und sich über “seine” Patientin beugte, fühlte Brun einen Stich von Eifersucht. Was mischt er sich jetzt ein?! Sie atmet noch? Ach nein, was Du nicht sagst! Als Wunnemar dann auch noch Befehle gab, ihn wegschickte wie einen Bediensteten, drohte Brun der Kragen zu platzen.
Er war schon am Luft holen, als ihm das Blut auf Wunnemars Gambeson auffiel. Er schloss den Mund wieder und dachte kurz nach. Es war tatsächlich besser, wenn der Galebqueller bei Ira blieb und er, der unverletzte unter ihnen, nach der Geisel schaute. Was er tat, in dem er den Kopf reckte, nur um festzustellen, dass der Mann am Boden lag. Der Kerl war ihm eigentlich egal. Ira hingegen nicht. Und wenn er wählen musste….
Der junge Ritter verengte die Augen zu Schlitzen, als er aufsprang und Wunnemar mit einem langen Blick bedachte. Beim aus-dem-Keller-rennen konnte er sich ein lautes drohendes “Pass ja gut auf sie auf!” nicht verkneifen. Dann war fort.
Merkwürdige Stille senkte sich sogleich über die Zurückbleibenden.
Der Baronet hatte die Spitze seines Bundbruders überhört. Sein Geist war erfüllt von tiefer Sorge und Schmerz. ‘Nicht auch noch Iradora.’
Vorsichtig nahm Wunnemar die Hand der Verletzten und drückte sie. Sie war kalt. Mit der anderen Hand presste er Iras Bauchwunde ab wie zuvor Brun, doch immer noch drang Blut und anderes aus der Bauchwunde seiner Freundin. ‘Eilt euch - ihr läuft die Zeit davon.’
Stille kehrte ein, drückende Stille. Herzschlag für Herzschlag steigerte sich Wunnemars Verzweiflung darüber, machtlos, hilflos zu sein im Angesicht von Iras baldigen Tode.
“Oh gütige Göttin”, begann der Baronet mit zittriger Stimme zu sprechen, dennoch laut und an den Himmel gerichtet, der in dem dunklen Gewölbe fern war. “Lass nicht zu, dass Ira stirbt. Ihr Sohn braucht sie. Er hat nur noch sie.
Hüterin des Lebens, bewahre das ihre, denn sie hat diesen Tod, diesen hinterhältigen Mord nicht verdient, denn sie war… sie ist eine stets aufrichtige Frau, frei heraus und ehrlich.
In DEINEM Tempel will ich dir von meinem Lebenssaft reichlich opfern, wenn du ihr ihren Lebensfunken erhältst. Schenke ihr die Kraft, die es braucht, durchzuhalten, bis Hilfe eingetroffen ist!”

In den verzerrten Bildern des Sturm, der ihr Haar zauste und ins Gesicht schnitt, meinte Ira eine alte Burg auf einem Felsensporn zu sehen, der Bergfried erhaben und mächtig, umkreist von einem mächtigen Schatten mit breiten Schwingen… Das Panorama einer felsigen Berglandschaft - irgendwie war es ihr bekannt... Reiter in glitzernder Rüstung, die mit wehenden Fahnen einen Weg hinunterritter... Ein goldener Heiliger auf Rot, der breitbeinig über einer Burg stand auf der einen, ein silberner, bewegter Drache auf Rot unter einer Barke auf der anderen Fahne… ein schnell größer werdendes Mädchen mit Schwert, kupferfarben leuchtete ihr Haar, in den Farben Rondras war ihr Wappenrock, es focht mit einem älteren Mann mit Bart, dann mit einem blonden Jüngling…. dann mit einem Wesen mit Fischschwanz. im Hintergrund ein berstendes Mauerwerk, haarige Männer, die auf allen Vieren umhersprangen… im nächsten Moment das blitzende Bunt von Fahnen und Gerüsteten, die wild ineinander stürzten… der Sturm formte Gesichter, die ihr vertraut vorkamen… eines davon hob grüßend eine Hand mit blutigem Daumen in die Höhe, eines trug weiße lange Haare, ein anderes einem dicken Verband um den geschorenen Kopf… dann tauchte das Gesicht eines Mannes vor ihr in den Schleiern auf… die Erinnerung an den Geruch von Pfefferminze... er lächelte sie sanft an, streckte aus dem Sturmgewitter heraus eine Hand nach ihr aus, wie zur Einladung,... geradezu liebevoll war sein Blick, bevor die leuchtenden Augen jäh brachen… und die Silhouette einer Frau mit dickem Bauch die Szenerie betrat… sich das Bild jedoch abermals wandelte zu einer Mutter mit einem kleinen blonden Kind… dann das Gesicht eines Mannes mit schwarzem Pferd und schwarzen Locken, der ebenfalls die Hand nach ihr ausstreckte… dazu Sternenhimmel und die Erinnerung an den süßen Duft von Rosen…. ein weiterer Mann, ein grimmigen Bärtigen in glänzender Uniform mit Fisch… Erneut Pfefferminzgeruch.... und Bänder, die im Sturm flatterten, ein orangefarbenes, ein grünes, ein rotes, ein gelbes... Blut auf einer Messerklinge, dazu ein kleines Pferd an einem Lederband… dann ein Rapier, welches zerfiel wie Staub… eine andere Klinge, die sich in den Leib eines großen Wolfs bohrte… ein Brief, dessen Siegel sie brach… Schwerter im Feuer… Schließlich ein einzelner gezackter Dolch aus dem schwarzen Dunkel des tosenden Sturms heraus… und dann noch Flecken im Sturmgetose, die hin und wieder wie schwarze Federn aussahen, Federn eines großen Vogels, dessen Bild die Schlieren zuletzt formten…..
All diese Bilder! Bei den Göttern!
Als Ira begriff, dass sie ihr Leben erblickte, ihre Kindheit, ihre Männer, ihre Freunde, ihren Sohn, und als sie begriff, dass keine weiteren Bilder mehr an ihr vorbeiziehen würden, sondern, dass das Bild des dunklen Vogels blieb, seine Gestalt stetig größer und größer wurde, sie sogar ein tröstendes Rauschen vernehmen konnte, welches nicht sturmgemacht schien, bekam sie es mit der Angst zu tun. Tonlos verklang Iras entsetzter Schrei im monotonen Heulen des Sturms, als sie verstand, was mit ihr geschah. War so Sterben? Würde sie wirklich sterben? Heute?
Nein. Nein. Neinneinnein! NEIN!
Sie war noch nicht bereit. Ihr Leben hatte doch eben erst begonnen, es konnte doch noch nicht schon zu Ende sein, bevor sie nicht gelebt hatte,.... richtig gelebt… Oder doch?
Nein, nein, neinneinneinneinNEINNEINNEIN N E I N N E E E E I N….
Trotzig stemmte sie sich gegen die zerrenden Winde.
Ihr Götter!!
Sie hatte doch noch so vieles vor! Sie konnte nicht aus dieser Welt gehen, ohne Lupius für seinen Brief gedankt, ohne Leuhart gesagt zu haben, wie sehr sie ihn lieb hatte, oder Lupius, wie sehr sie ihn eigentlich schätzte. Sie konnte nicht gehen, ohne beide in die Arme genommen zu haben während sie dabei derer erinnerte, die kein so wohlwollendes, reiches Leben leben konnten, wie es ihr und ihrer kleinen, wenn auch sonderlichen Familie beschieden war. Sie konnte hier im Osten nicht sterben. Denn genau das war es, vor dem sich Lupius fürchtete, nein, vor dem sie sich auch selbst fürchtete. Denn sie wollte Tobrien schließlich erretten, den Boden wieder frei und friedlich machen - aber das nicht mit ihrer eigenen Asche, sondern durch all die vielen Male, die sie zukünftig noch hierherkommen und göttergefälliges Gutes tun wollte.
Sie hatte dieser Welt noch so viel zu geben…
… Ihrer Familie, auch wenn sie allesamt nervige Sonderlinge waren, die sie mit Erwartungen erdrückten, aber sie doch liebten….
… Lupius, auch wenn es wohl noch Zeit brauchen würde, bis sie sich gegenseitig akzeptierten. ...
… Ihrem Sohn, denn er war ein Kind der Liebe und verdiente nichts weniger als diese, auch, wenn sie das in der Vergangenheit oft ignoriert, beiseite geschoben oder sogar ganz vergessen hatte. Er war ein Stück sie und ein Stück Hagrian und das einzige, was sie noch von diesem besaß…. das sollte Leuhart aus ihrem Mund erfahren, wenn die Zeit reif dazu war, und noch war sie das nicht, denn er war ja noch so klein….er brauchte sie doch noch so sehr, dieser kleine Wicht… ach, wie sehr sie ihn doch eigentlich liebte….
… Ihrer neuen Heimat Eisenstein, denn der Baron sollte erkennen, dass er ihr Unrecht tat und dass sie zweifellos mit den anderen Rittern mithalten konnte, ja, dass sie Rickenbach zu genau dem Lehen aufbauen würde, ohne welches der Baron nicht mehr auskommen würde.
… Ihren Freunden, nein, ihren Brüdern, mit denen sie dem Heiligen Orgil und den Toten des Haffaxfeldzugs ein würdiges Gedenken erschaffen wollten, auch zu Ehren ihrer Freundschaft, von der sie mehr als überzeugt war, dass diese so tief werden konnte, wie echte Geschwisterliebe, aber dafür brauchte es sie alle lebend….
Nein, nein, neinneinneinnein, der Tod sollte ihre schönen, guten Pläne nicht zerstören. Kein Gott konnte so grausam sein… Oder?

Wunnemar musste hilflos mit ansehen, wie Ira in allen Gliedern zuckte, als sie im Inneren einen ungleichen Kampf gegen das Sterben focht. Als tobe bereits das Fieber in ihr, rasten ihre Augen unter den geschlossenen Lidern hin und her, warf sie den Kopf umher, murmelte ihr Mund immer wieder mit dünner Stimme “Nein… neinneinnein…!”

In ihrer Verzweiflung überkam sie ein Anflug von Demut und Reue, wie sie beides noch nie gefühlt hatte, und nachfolgend bat sie alle Seelen, denen sie jemals Unrechtes getan hatte, auch Hagrian, und ja, auch die Herrinnen Travia und Rondra um Verzeihung, damit man ihr bitte das eigene Leben lasse, damit sie nach Hause zurückkehren und etliches zum Besseren wenden könne.
Immer noch umwirbelte der Sturm des Lebens die junge Plötzbogen, rissen die Winde wie zur Strafe unbarmherzig an ihrem Leib. Dabei trieb ihr nicht nur das schneidende Wüten äonenalter Lüfte Tränen in die Augen. Es war die Angst, endgültig den Halt im Hier und Jetzt zu verlieren, als der Schemen des dunklen Vogels ein krächzendes Kreischen von sich gab.
Golgari war gekommen. Er war da!
Und sein Rufen befahl ihr aufzusitzen.
Scheiße nein!
Alveran würde so leer sein, denn alle Menschen, die ihr etwas bedeuteten, waren nicht dort, sondern noch im Reich der Lebenden. Und Hagrian, den würde sie jetzt, da der Eid Travias sie an Lupius und an das göttliche Paradies der Gänseherrin band, auch nicht wiedersehen. Welch trostlose Aussicht.
Nein. Nein. Neinneinnein. Das war nicht richtig!
Auf einmal war da wieder die sturmverzerrte Gestalt jenes hochgewachsenen Mannes mit den liebevollen Augen. Nur diesmal erkannte sie ihn gleich, denn die sternglänzenden Waffe, auf die der Ritter gestützt stand, blitzte auf. Ein Zeichen der brüllende Sturmherrin? Er hatte sie allen nur geliebt wie keine andere - und doch entschieden, ob diese Liebe nicht zu überdenke sei, nachdem er ihr, Ira, einen Platz in seinem Herzen freigeräumt hatte...

“Ha…’rian…” hörten der Galebqueller Ira einen bekannten Namen stöhnen und ihre Hand griff die ihres Bundbruders fester, während ein würgender Husten den Leib der Ritterin schüttelte und Blut aus ihrem Mund troff.

Die Gestalt streckte ihr die Hand hin, einladend. Aber Ira wollte die Hand des Geweihten nicht ergreifen. Sie wollte bleiben. Am Leben!
War es gerecht, dass Alveran gerade ihn schickte, um sie zu ermutigen, loszulassen? Dabei gab es keinen Tag, da sie nicht an ihren großen Fehler dachte, keinen, schon gar nicht hier in Tobrien. Warum brauchte es da diesen schlechten Schmerz? Hatte sie nicht schon genug Kummer? Gleichzeitig konnte sie jedoch nicht anders, als ihrem einstigen Geliebten, ihrer ersten großen Liebe, die sie inmitten von Tod, Schmerz und Entbehrung gefunden hatte, anzusehen. Er lächelte ihr zu. Aufmunternd. Wohlwollend. Ihre Hand streckte sich wie von allein der seinen entgegen. Warm und vertraut fühlte sich seine Rechte an, mit der er sie aus dem Auge des Sturms herausführte. Tröstlich. Beruhigend. Haltgebend. Liebevoll. Und die Windgestalt des Schellenberg nahm sie zärtlich in seine Arme, drückte sie wortlos an seine Brust, seinen Leib, der Ira nun wie den eines Lebenden an sich spürte, der sogar nach Pfefferminze roch. Er musste es sein! Die Hand des Mannes strich über ihr Haar, sie spürte, wie seine Lippen ihren Schopf küssten, als verzeihe er ihr alles, selbst, dass sie der Grund für seinen Tod gewesen war, oder auch, dass sie an seiner Statt seinen Bruder Lupius zum Mann genommen hatte, um Leuhart das bestmögliche Leben zu ermöglichen. Er brauchte keine Worte dazu. Ira verstand ihn ohne. Sie wusste, dass er nur wegen ihr gekommen war. Aus der Geisterwelt. Und auf einmal fiel es ihr leichter zu gehen, denn wenn er, der in den Schwarzen Landen gestorben und nur notdürftig bestattet worden war, hier sein konnte, dann war Alveran mächtig und groß, aber vor allem gnädig und gerecht und liebend. Dann war alles möglich und gut... Und mit dem Gewissen, der Götter Güte zu spüren, jetzt, in diesem einem Moment der Zeit, hörte ihr müdes Herz, das bis hierhin verzweifelt versucht hatte, ihren geschundenen Körper am Leben zu halten, auf zu schlagen.

Der Zurückgebliebene spürte, wie Ira eine Ruhe überkam, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Ihr Kampf…. sie - oder ihr zerrissener Leib - gab sich geschlagen und mit einem leisen Seufzen, das von einem Lächeln auf ihrem Gesicht begleitet wurde, hörte Iras Leben auf.

~*~

Als Alrik und Brun mitsamt dem Hofmagus des Hlûtharswachter Barons, Rhys Gwenlian, der Hlutharswachter Traviageweihten Liebgardis von Albenholz und einigen Bewaffneten nur wenig später zurückkehrten, fanden sie Wunnemar über dem leblosen Körper Iras vor.

Der Gefolterte war ebenfalls bereits tot. Auch seine Wunden waren zu groß gewesen, hatte man ihm doch alle Finger und die Zunge abgeschnitten. Sein geplanter Verrat an den finsteren Schergen war ihm teuer zu stehen gekommen.

Der Galebfurtener hatte Tränen in den stark geröteten Augen, als er zu den Ankommenden aufblickte. Iras Herz hatte erst vor kurzer Zeit aufgehört zu schlagen. Für den jungen Ritter fühlte es sich jedoch an, als seien seither Tage vergangen. Und dennoch, sein Geist wollte nicht akzeptieren, was sein Verstand längst begriffen hatte: dass es zu spät sein musste. So aber drehte er sich zu Rhys Gwenlian, als dieser sich räusperte und schrie in Richtung des Magiers und der Traviageweihten: “Bei allen Göttern. Holt sie zurück und ich werde ewig in eurer Schuld stehen. Unternehmt etwas. Koste es, was es wolle!”
Die Mundwinkel des Hofmagus des Hlûtharswachters zuckten, als er in Folge näher trat, um sich eilig, aber dennoch ohne Hast neben die Leblose zu knien. Eine Erwiderung gegenüber dem Baronet brachte er dabei nicht hervor. Anstelle dessen schob er die Ärmel seiner schneeweißen Robe hoch und legte seine von Brandnarben gezeichnete Hände auf Iras Wunde. Die Worte in Bosperano, die er daraufhin sprach, waren nicht so ruhig und beherrscht, wie man es von den arroganten Gildenmagier kannte. Nein, sie waren energisch vorgebracht, voller Zorn, als wolle der Magus Golgari die junge Ritterin gewaltsam ventreißen.
Liebgardis war lange und gerne genug eine Sorgerin der Seelen, um zu erkennen, dass der junge Ritter um keine bloße Kampfgefährtin weinte, sondern um eine Freundin, nein, die Verstorbene war in jedem Falle mehr als das. Die in Hlutharswacht und Albenhus aufgewachsene Traviageweihte kannte Herkunft und Namen der jungen Frau, sie wusste auch, dass die Ritterin mit dem Ritter in Freundschaft verbunden war. Aber selbst wenn sie das nicht gewusst hätte: jene von Travia geschenkte Liebe, die beide verbunden hatte, ja, die ihn immer noch mit ihr verband, obwohl ihr Herz nicht mehr schlug, hätten ihr allein gereicht, um zu wissen, dass sie es wenigstens versuchen mussten. Nicht für den Baron von Hlutharswacht, dessen Schwertmaid die Ritterin gewesen war. Sondern für das Leben der jungen Frau, die so sehr geliebt wurde, selbst noch im Tod.
Während der Magus sich der Wunde annahm, schüttelte Liebgardis gesegnetes Mehl und die Asche eines Herdfeuers über ihre Hände, zog zuletzt eine weiße Gänsefeder aus ihrer Umhängetasche und steckte sie sich ins Haar, bevor sie je eine Hand auf das Herz, die andere auf die Stirn der Ritterin legte und zum einen ihre Herrin, aber auch Domara, die himmlische Mutter der Gänseschar um Beistand anrief - eine Alveraniarin Travias, der Liebgardis persönlich sehr nahestand und mit welcher sie ihre von der Mutter gegebenen Kräfte lenkte. Diesmal nicht ins Brotbacken, wie sonst. Heilung war nicht das, was Liebgardis oft tat. Doch fehlte es ihr nicht an Tatkraft, Mut und Hoffnung. Und Göttervertrauen.
“Es geschieht nichts”, schrie Wunnemar Rhys Gwenlian entgegen.
Dieser aber ignorierte all die Wut und Verzweiflung des Baronet und machte unbeirrt weiter.

Da war ein warmes Leuchten, das sie wie durch einen Schleier wahrnahm. Das Flackern eines Feuers. Der Geruch von Essen. Irgendwo lachte ein Kind. Es war ein heiteres Lachen. Ihr war wie ein Nachhausekommen nach langer Abwesenheit. Wie eine Willkommensfeier, nur leiser. Freude, die wartete. Geborgenheit, nach der sich die Sehnsucht verzehrte.
War das also Travias Paradies?
Oder die Erinnerung an einen Abend vor dem Kamin mit einer herrlich duftenden Schale Eintopf in der Hand und Leuhart, der zu ihren Füßen auf dem Fell vor dem Kamin mit seiner kleinen Holzlöwin spielte? Im Augenwinkel den Schemen eines Mannes, der etwas auf dem Arm trug? Ihn nahm sie nur am Rande war, denn ihr Blick verharrte auf der unscharfen Silhouette des spielenden Buben. Ja, er musste es sein, sie kannte dieses Lachen doch zu gut. Sein “Rarrr rarr,” wenn er die Löwin brüllen ließ...
Leuhart. Oh Leuhart! Mein süßer kleiner Liebling. Deine Mamam liebt dich so sehr...
Gerade, als ihr Herz aufschreien wollte, da ihr klar wurde, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde, um ihm dies persönlich zu sagen, verblasste das Bild, denn etwas zerrte sie rückwärts.
Das Kinderlachen wurde leiser und leiser, der Duft des Eintopfs schwand ebenso wie die Wärme des gemütlichen Feuers. Irgendwo da wartete immer noch die Geborgenheit, die Freude, das wohlige Heimkommen - doch sie entfernte sich mehr und mehr davon. Plötzlich spürte sie, wie eine unsichtbare Hand sie zusammendrückte, presste. Immer mehr schob sich ihr Geist in die geschundene Hülle aus Fleisch und Blut zurück. Bei diesem Schmerz hätte sie nur zu gerne aufgeschrien, aber sie wusste nicht einmal, ob sie noch einen Mund besaß, der schreien konnte. Diesen Schmerz…

Und tatsächlich, langsam, kaum merklich verlor die Haut um Iras Wunde die Blässe. Mehr noch, sie wuchs wieder zusammen.
Der Magus indes stöhnte, wankte und schloss schließlich die Augen. Allein die Selbstbeherrschung schien ihn noch bei Sinnen zu halten. Dann aber gingen seine Kräfte aus und er klappte ohne einen weiteren Laut von sich zu geben zur Seite. Als seine Hände von Iras Körper glitten wurde deutlich, dass sich die Wunde geschlossen hatte.

Eine Ewigkeit verging, oder waren es doch nur wenige Augenaufschläge, ohne das etwas geschah? Wunnemar senkte gerade resignierend den Kopf, weitere Tränen flossen aus seinen Augen, da sog Ira in einem Aufbäumen Luft ein, riss die Augen auf und ein Schrei aus großem Schmerz und Verzweiflung drang aus ihrer Kehle, bevor sie ohnmächtig in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus. Aber: sie lebte. Ihr Herz tat wieder Dienst. Noch nicht wieder gleichmäßig, dies brauchte seine Zeit, aber es schlug.

Dennoch sollte es noch eine volle Kerze dauern, bis die mit in das dunkle Gewölbte geeilte Dienerin der Herdfeuerherrin die geschwächte Ira zumindest soweit wieder aufgebaut hatte, dass sie transportfähig war und ins Feldlager gebracht werden konnte.
Rhys Gwenlian brauchte nur das Vierteil eines Stundenglases, um sich wieder zu sammeln. Von da an aber wich er der Jungritterin für keinen weiteren Wimpernschlag von der Seite. Er nahm seine Aufgabe offenbar äußerst ernst.

Einige Zeit später wurde bei der gründlichen Durchsuchung der alten Mühle durch Alrik und die Bewaffneten ein Versteck in einem Holzverschlag entdeckt, indem sich Waffen und Rüstzeug befanden, darunter auch ein Haufen Waffenröcke der Drachengardisten. Auf weitere Schergen traf man hingegen nicht.