Feldzug Rabenmark, Kapitel 10: In der Mark des Rabene

In der Mark des Raben

Nagrachs eisiger Hauch

Das Land, das den Zug hinter dem Todeswall erwartete, war grau und düster an jenem 4. Boron. Der Regen kam und blieb ihnen fast den ganzen Tag lang erhalten. Das Praiosmal vermochte es kaum einmal, durch die dichte Wolkendecke hindurchzubrechen.
Doch mehr als das sich dadurch ergebende triste Bild verstörte der Anblick des geschändeten Landes rechts und links der Reichsstraße. Kreisrunde, rechteckige oder rautenartige Flächen entlang des Weges waren wie ausgedörrt, tot, wohingehend außerhalb dieser Bereiche das Land eine normale Vegetation aufzuweisen schien. Zwei Mal hatten sie auch verkrüppelte, missgestaltete Tiere gesehen, einen Rehbock mit fünf Beinen, der sie vom Rand eines Waldstückes aus beobachtet und eine Krähe, die offensichtlich drei Augen besessen hatte und sich an einem Kadaver gütlich tat, der am Rande der Straße lag und wohl ein kleinen Nager gewesen sein musste.
All dies drückte die Laune innerhalb des Zuges, so dass deutlich weniger gesprochen wurde und wenn, dann eher zurückhaltend und in gedämpften Ton.

Plötzlich, wie aus heiterem Himmel gellte ein Warnruf von abseits der Straße. Einer der Späher, die den Zug in Sichtweite flankierten, hatte offenbar eine Entdeckung gemacht. Der Alarmschrei erstarb abrupt. Hastig, fast panisch ruckte die Köpfe hin und her.
Jolenta von Galebfurten schrie nahezu zeitgleich auf, ließ die Zügel ihres Rosses fahren und griff sich mit beiden Händen an die Brust. Ein Pfeil steckte in ihrem Harnisch, ihr Gesicht glich mehr einer Fratze des Entsetzens und des Schmerzes, als dem der fast schon altersmilden Ritterin, als welche die Mitreisenden das Oberhaupt des nordmärkischen Zweiges des Hauses Galebfurten aus dem gratenfelser Becken kennengelernt hatten.
Zwei weitere Pfeile schlugen in der unmittelbaren Nähe Jolentas ein. Der Hinterlauf des Pferdes von Valeria von Galebfurten wurde getroffen. Sie ritt in unmittelbarer Nähe der Oberhauptes ihres Hauses. Das Roß bäumte sich heftigst protestierend auf und war für dessen Reiter kaum unter Kontrolle zu halten. Währenddessen war der dritte Pfeil an der Rüstung des Großes Schröters abgeprallt, hatte dessen massiven Kürass lediglich in einem für den Träger glücklichen Winkel getroffen und war davon abgelenkt, ohne weiteren Schaden anzurichten zwischen anderen Leibern von Mensch und Tier hindurch geflogen.

Aufruhr entstand. Thankmar- der Große Schröter, riss sein eigenes Pferd herum, drängte andere Reiter beiseite und setzte sich neben Jolenta. Hektisch brüllte er auf sie ein, fragte nach ihrem Befinden und trachtete danach die Nordmärkerin zu decken. Jolenta jedoch sackte augenblicklich kraftlos auf dem Rücken ihres Pferdes zusammen. Raureif breitete sich um die Pfeilwunde aus, dort wo er ihr in den Rücken gefahren war.

Die Richtung, aus der das gefiederte Geschoss gekommen war, war indes schnell ausgemacht: Ein kleines Waldstück rechterhand der Straße, knappe einhundert Schritt entfernt, war die einzige Deckung für den oder die vermeintlichen Schützen. Drei dunkel gekleidete Personen standen dort und waren bereits wieder dabei ihre Langbögen zu spannen.
Der Trossmeister und Dienstritter Josts riss sein Schwert aus der Scheide und deutete in die Richtung. “Dort sind sie!”

Schon beim Einschlag des ersten Pfeiles reagierte Rhys Gwenlian, der, seit sie wussten, dass sie beobachtet wurden, stets an der Seite des Barons von Hlutharswacht ritt. Als Abgänger der Akademie der magischen Rüstung zu Gareth war er auch auf den Schutz von Personen trainiert. Es waren gut einstudierte Reflexe, die in dieser so bedrohlichen Situation die Oberhand gewannen und ihn fast schon mechanisch handeln ließen.
Der Magus riss dem Arm mit dem langen Stecken darin zur Seite und ließ den Stab aus Blutulme darin vorschnellen, erst als dessen Ende durch seine Finger glitt griff er zu. Das Ende, die in der Wurzel des Steckens eingefasste Kristallkugel schlug sachte in die Seite Josts. Gleichzeitig griff Rhys in den Speicher des Stabes und entließ einen Teil der in ihm gespeicherten Magie. ARMATRUTZ.
Keinen Moment zu früh, denn schon im nächsten Moment ging ein weiterer Pfeilhagel nieder. Und wie Rhys es vermutet hatte, galten die gefiederten Todesboten nun dem Initiator des Zuges - dem Hlutharswachter Baron.
Ein Pfeil schlug in den Hals seines Rappen, der einen kreischenden Schmerzensschrei entließ und sich ohnmächtig seiner Empfindungen wand. Der zweite flog über dessen Kruppe und traf das Pferd von Rajodan von Keyserring in die Flanke, auch dieses Ross kreischte auf. Der dritte aber traf. Die Wucht ließ Jost fast zur Seite kippen. Der Pfeil hatte seine rechten Oberarm erwischt, Rüstzeug und magischer Schutz verhinderten zwar das Schlimmste. Dennoch bohrte sich die metallische Spitze zwei Finger breit in Josts Fleisch, immerhin tief genug um ihm schmerzerfüllt aufstöhnen zu lassen.
Eisige Kälte biss in seinen Arm und breitete sich mit rasender Geschwindigkeit um die Wunde aus, drang tiefer in die Gliedmaße, als es der Pfeil hatte tun können und erklomm, sich von Muskel zu Muskel hangelnd, den Weg zu Herz und Kopf des Barons. Das zappelnde Pferd unter sich, welches verzweifelt den Hals beugte, um sich selbst den Pfeil aus dem Leib zu reißen, und dem Einfluss des eisigen Gifts ausgesetzt, glitt Jost vom Pferderücken und zu Boden. “For...ma..tion!” Jost konnte nur mehr röcheln. Dann überwand der eisige Schmerz seine Sinne und riss den Ritter in die Ohnmacht.

Seit dem Passieren des Todeswalles war die Stimmung in der Gruppe der Liepensteiner deutlich gedrückter. Zwischen all die Geschichten über Liebeleien und Freudenhäuser mischte Thobalt, Waffenknecht Eobans, nun auch die, bei denen man sich fragte, ob er stets bei gesundem Verstand war. Jeden Stich, jeden Schnitt, das tropfende Blut, das Brechen der Knochen, untermalte er indem er genüsslich einen roten Apfel in seiner Hand filetierte, die Schnitze aufspießte und schmatzend zwischen den Kiemen zermalte. Wichard, der Knappe Eobans, wiederrum hatte große Mühe seinen Mageninhalt zu bewahren. Aus seinem kreidebleichen Gesicht war jeder Blutstropfen entwichen, selbst die Sommersprossen wirkten heller. Riganna und Rondraléi gaben sich insgeheim Handzeichen und wetteten darauf, wann Wichard seine letzte Mahlzeit auf der Straße verteilen würde. In diesem Augenblick schien Riganna der Sieg so gut wie sicher.

Ein unheilverkündender Ruf fuhr in die Knochen Eobans. Augenblicklich stoppte er sein Pferd. Er reckte den Hals und sah sich um. Seine Mitstreiter aus Liepenstein taten ihm gleich. An der Stelle im Zug, wo er den Baron und weitere Mitglieder der Familie erwartete, war ein Tumult ausgebrochen. Nur wenige Schritt
entfernt deutete der junge Schwarzen Queller auf ein Waldstück, keine hundert Schritt abseits der Straße. Eoban sah seine Mitstreiter an. Nervosität war in ihren Gesichtern. Nur Thobalt krümmte sich vornübergebeugt auf seinem Sattel und versuchte sich laut hustend und den Finger in den Hals steckend von dem Apfelstück zu erlösen, dass er vor Schreck eingeatmet hatte.
„Riganna, Rondraléi, zieht Eure Waffen. Wichard, Du bleibst hier.“ Noch beim Wenden griff Eoban nach seinem Lederhelm und gehieß seinen Mitstreitern das Gleiche zu tun. Die Pferde nahmen Tempo auf und sie zogen ihre Schwerter.
Thobalt währenddessen hatte sich vom tödlichen Apfelbissen befreit. Er sah den drei Gefährten hinterher und wendete sich dann Wichard zu. „Behalte die andere Straßenseite im Auge.“ Der Knappe wusste nicht, ob das nur eine Ablenkung für ihn war, doch er tat wie ihm geheißen.

Alrik war eben auf dem Weg nach vorn an die Spitze des Zuges gewesen, als der Angriff erfolgt war. Auch er hatte die drei Schützen am Waldesrand erblickt und die Umstehenden auf sie Aufmerksam gemacht. Nun gab er seinem Ross die Sporen und preschte den Liepensteinern hinterher. Seinen Schild und die Zügel fest mit der Linken packend, zog er sein Schwert. Ruhm und Ehre, egal. Dieser Hinterhalt, nicht schnell zunichte gemacht, bedeutete für ihren Tross eine ernstzunehmende Gefahr.

Eine einzelne, junge Ritterin in einem blauen Waffenrock, die im Verlauf des Morgens zur Heeresspitze aufgeschlossen und ihre Position während des Tages dort beibehalten hatte, gehörte auch zu den Ersten, die reagierten, als die Pfeile zu fliegen begannen. Sie war plötzlich von einer Ruhe erfüllt, die sie sich später selbst nicht erklären konnte, und ebenso unerklärlicherweise glaubte sie zu erkennen, dass es jetzt in ihren Händen lag, sich dieses Vorfalls anzunehmen und ihrem Pferd die Sporen zu geben. Etwas zeitversetzt, aber aus günstigerer Position als die Liepensteiner, löste sich die junge Frau aus der Marschformation des Zuges, die Reiter aus der benachbarten Albenhuser Baronie seitlich flankierend. Sie beugte sich tief zum Pferdehals vor, um den Schützen ein schlechtes Ziel zu bieten. Mit ihrer Rechten tastete sie nach dem Korbschwert an der Sattelscheide, mit der Linken versuchte sie währenddessen in ihren Holzschild zu schlüpfen, der ebenfalls am Sattel hing. Dies misslang, und der Schild rutschte ihr aus der Hand, kurz an die Flanke des Pferdes klatschend, und fiel anschließend in das Gras am Wegesrand. Das Pferd geriet dabei etwas außer Takt, fing sich wieder. Der jungen Ritterin war klar, dass dies ein herber Verlust war, doch in ihrem jugendlichen Leichtsinn schätzte sie die Schmach, vor den Augen der versammelten Heer- und Anführern zurückzureiten und ihren Schild wieder aufzusammeln, als die größere Blöße ein. Also beließ sie es dabei, dem Schild erst verdutzt und dann bedauernd hinterherzublicken. Anschließend wendete sie sich und ihre Aufmerksamkeit mit einem Achselzucken wieder den Bogenschützen am Waldrand zu.

Madalbirga versicherte sich mit einem kurzen Blick, dass ihr Mann sich um Jolenta kümmern würde, dann gab sie ihrem Pferd auch die Sporen, wenn auch etwas später als die Liepensteiner. Sie sah die jungen Leute vorpreschen und ihr wurde Angst und Bange, da fehlte die Taktik. Fieberhaft dachte sie nach, dann holte sie tief Luft: “Hakenschlagen im Anritt!” Gellte ihre Stimme über das Donnern der Hufe hinweg. Sie besah sich das Wäldchen. Mit Pferden würden sie darin nicht gut vorankommen. Sie mussten den Schützen den Fluchtweg abschneiden, sie wollte einen von ihnen haben. “Zangenangriff, Auffächern!” Schallte es hinterher. Madalbirga selbst wandte sich zur Seite der Ritterin im blauen Wappenrock, die anderen waren schon zu mehreren. Sie sah, wie diese ihren Schild verlor und zog eine Augenbraue hoch, dann lenkte sie ihr Pferd wieder in eine Kurve. So dauerte es länger die Schützen zu erreichen, aber die Wahrscheinlichkeit lebend anzukommen war größer...

Riganna war schon immer eine ausgezeichnete Reiterin. Sie war an der Spitze der Liepensteiner Gruppe und näherte sich mit rasantem Tempo den Bogenschützen am Waldrand. Die Pferdehufe schleuderten Dreck und Staub. Sie hielt den Kopf unten und umklammerte fest den Griff ihres Schwertes.
Die anderen Liepensteiner jagten leicht versetzt hinter ihr über den verfluchten Boden und taten ihr gleich. Eoban hörte noch weitere Hufschläge hinter sich. Aus dem Augenwinkel erahnte er noch mindestens einen weiteren Reiter. In Gedanken schickte er ein Stoßgebet nach Alveran, auf dass sie alle gesund zu ihren Familien zurückkehren mögen.
Da drang ein Ruf an sein Ohr. Er konnte es nicht verstehen. Es war eine Frauenstimme, vielleicht einer der anderen Reiter. Er drehte sich zur Seite und sah eine Ritterin in blauen Wappenrock, gefolgt von – war das etwa die Erbbaroness von Galebfurten? Sie hatte Mühe, mit dem Tempo der anderen Schritt zu halten. Sie schien nicht einmal den direkten Weg zu den Schützen zu wählen. Gerade eben schlug ihr Pferd wieder einen Haken. Da dämmerte es Eoban. Berittener Angriff auf Bogenschützen, Lektion 1: „Haken schlagen!“, rief er den anderen zu und hoffte inständig, dass sie dem ersten Pfeilhagel noch ausweichen konnten.

Die junge Ritterin in Blau verstand nicht, was sich die anderen Heranstürmenden zuriefen, noch achtete sie auf deren Reitmanöver. Sie stellte lediglich fest, dass sie zügiger voranzukommen schien als die anderen Reiter.

Madalbirga sah, dass zumindest das Hakenschlagen von einigen aufgenommen wurde, wenn auch nicht von allen. Sie nahm sich vor, mit ihrem Sohn über eine grundsätzliche Absprache der Strategie für einen solchen Fall zu sprechen. Leider schien ihr Ruf nach einem Zangenangriff nicht gehört worden zu sein. Mit einem mulmigen Gefühl begann sie nicht mehr direkt auf die Schützen zuzureiten sondern etwas weiter nach hinten zu zielen, um im Zweifel Flüchtigen den Weg abschneiden zu können. Im direkten Gefecht waren ihr die jüngeren vermutlich ohnehin an Kraft und Ausdauer überlegen...

~*~

Rajodan von Keyserring konnte derweil sein Pferd gerade noch davon abhalten durchzugehen und rettete sich gerade noch vom Rücken des Tieres, bevor es unter ihm seitlich zusammenbrach. Mit einem Fluch auf den Lippen suchte er den Horizont ab. Wo waren die Geschosse hergekommen?
Er sah Jost auf dem Boden liegen, dessen Magus kümmerte sich hoffentlich um ihn.
“Eisensteiner an die Waffen.” schrie er dem Eschengrunder zu. Mehr zunächst nicht.
Jetzt mussten Befehle kommen - taktische. Er würde dem weißhaarigen Hosenscheißer zumindest kurz Zeit geben, dann würde er seine eigenen Leute anweisen, wie er es meinte.
Josts Knappe war ebenfalls vom Pferd gesprungen und stellte im Folgenden seinen Wallach so, dass er den am Boden liegenden Baron gegen weitere Pfeile abschirmte.
Der Leibmagier Josts ging unterdessen vor seinem Herrn in die Knie und brüllte nach einem Medikus. Schon währenddessen drehte er den Baron mühsam stöhnend auf den Rücken und tat sein Bestes, um die Wunde freizulegen.
“Junge, hast du ein Messer?”, fragte Rhys in erregtem Ton den Knappen. “Ich muss den Pfeil so schnell wie möglich herausschneiden. Ansonsten”, er legte den Kopf leicht schief, “sieht nicht tief aus.”
Ohne eine Reaktion abzuwarten, riss der Magus den Pfeil mit einem Ruck heraus, was ein unschönes Schmatzen verursachte. Achtlos warf er ihn weg, nur um dann die Spitze seines Steckens, die Kristallkugel, auf die Wunde zu pressen.
Ado sah ihn mit großen Augen an, in einer Hand sein Gürtelmesser. “Und wozu das Messer, Meister Rhys?”
“Zu spät Ado”, flüsterte Rhys, doch es lag kein Tadel darin. Ohne den Knappen anzusehen sprach er weiter, diesmal energischer. “Hol mir meine Satteltaschen und dann lauf zu den Arconitern. Sie sollen einen fähigen Mann schicken, sag ihnen es sei dringend.”
Rhys selbst würde Jost Kräuter anrühren, die die Genesung, die Blutbildung fördern würden. In diesem Moment jedoch begann er mit seinem ihm von Mada geschenktem Handwerk und ließ die Kraft fließen.
Der Junge nickte und rannte los.

Unterdessen konnte am Kopf des Zuges beobachtet werden, wie große, struppige Wölfe aus dem Unterholz des Waldstückes brachen und auf das hintere Ende des Zuges zuhielten, den Tross.
Der Trossmeister, der insgeheim froh war, dass vornehmlich die Liepensteiner bereits die Initiative ergriffen hatten und Richtung Waldrand lospreschten, gab sofort den Befehl aus Ritter zu sammeln, um die Wolfsbrut abzufangen und niederzureiten. Die Anweisung galt insbesondere den Bannern des Eisensteiner Barons, dessen Leute noch zögerten.
Wunnemar selbst tauschte einen ernsten Blick mit Rhys Gwenlian und ritt sodann, als er sicher war, dass Jost Verian nicht tödlich getroffen war, zu seinem Vater, der bereits abgestiegen war und Jolenta von Galebfurten leblos vom Pferd zog.
Wutschnaubend blickte sich der Trossmeister daraufhin um und gab seinem Pferd die Sporen. Er wäre nur zu gerne mit zum Waldrand geritten, doch sein Platz war beim Großteil des Heeres.
“Ritterschaft, Kampflinie bilden”, brüllte er lauthals und alle Gerüsteten, die keinen anderen Befehlen folgten, kamen diesem Befehl schnellstmöglich nach.
Man nahm Aufstellung zwischen der Straße und dem Waldrand, um gegebenenfalls schnell anreiten zu können, sollten sich noch mehr Feinde zeigen. Das Feld zur anderen Seite war soweit einsehbar, dass es zunächst keine Gefahr bergen konnte.
Die beiden Eisensteiner Ritter Anselm von Eschengrund und Vitold von Baldurstolz nahmen Aufstellung. Hinter ihnen ihre Soldaten.
Der Baron selbst hinkte fluchend in die Mitte des Trosses. Pferdelos konnte er wohl kaum mitmischen.
“Yendan, gib mir dein Pferd”, bellte Vitold, während er von seinem sprang und es dem Baron zuführte, “dann werden Du und Wulfrun einen guten Standort suchen und mir die verdammten Schützen ausschalten!” Die beiden Bogner waren zwar noch gerädert vom Nachtdienst, gehorchten aber sofort. “Der Rest macht sich kampfbereit.” Er schwang sich auf Yendans Pferd, das daraufhin nervös tänzelte. Mit gekonntem Druck der Oberschenkel und einem Ruck am Zügel brachte Vitold es unter Kontrolle, dann schützte er mit seinem Schild seinen Herrn, damit dieser ebenfalls aufsitzen konnte.
Rajodan lächelte schief. Er hatte die leichte Reiterei nur mitgenommen, weil er seinem Schwiegersohn seine Verbundenheit zeigen wollte. Zähneknirschend. Denn Pferde waren teuer. Sie dem schwachsinnigen Heerzug eines gerade so mündigen Jungritters anzuvertrauen zog ihm wie so oft die Gedärme zusammen.
Er schwang sich wie selbstverständlich auf Vitolds Pferd. Und ritt mit dem schwarzen Hengst zu Anselm. Er befehligte die Fußtruppen, da er der bessere Nahkämpfer war und Vitold nützlicher bei den Berittenen, die man taktischer führen musste und er das wiederum Anselm nicht zutraute. Nun würde er warten - nicht, dass er ERwartete, dass dieses weißhaarige Kind irgendwelche vernünftigen Befehle geben würde, aber solange die ihn nicht seine Pferde kosten würde, war es ihm relativ egal, wie erfolgreich dieses ganze Unternehmen wäre. Er gab Anselm und Vitold den Befehl mit der Aufstellung der übrigen Truppen zu warten, bis die “Heeresleitung” sich zu präziseren taktischen Befehlen herabzulassen gedenke, als die simple Anfängerorder “Kampfreihe bilden”.

„Kampflinie bilden“ schallte es durch die Reihen. Thobalt nahm sein Schild auf und bezog Stellung neben den anderen Berittenen. Die verbliebenen zwei Liepensteiner Waffenknechte kamen dazu. Angespannt beobachtete er, was vor Ihnen passierte.
Wichard hingegen starrte auf die andere Straßenseite. Ein-, zweimal drehte er sich herum, reckte den Hals und versuchte zwischen den Schultern der Reiter hindurchzusehen.

Mit versteinerter Miene gab der Trossmeister seinem Apfelschimmel die Sporen und trabte an der versammelten Ritterschaft vorbei. Er verlor dabei kein weiteres Wort, sondern setzte darauf, dass die anderen seinem Beispiel folgen würde. Zeit gab es ohnehin keine zu verlieren.
Die ersten Wölfe hatten das Feld bis zum Tross bereits zur Hälfte überquert. Diese Biester würden sie selbst im gestreckten Galopp nicht mehr erreichen. Wunnemar setzte darauf, dass die Zwerge sie aufhalten würden.
Das Rudel jedoch war groß, immer mehr Wölfe gingen in den Laufschritt über und rannten auf den Tross zu. Inzwischen mussten es zwei Dutzend sein, wenn nicht mehr.
Die Zügel mit einer Hand haltend, zog Wunnemar eines seiner beiden Wurfbeile aus seinem Futteral über dem Gesäß, dann suchte er sich einen der Wölfe aus und steuerte sein Ross in direkter Linie auf ihn zu.
Thobalt beobachtete seine Gefährten. Eben noch hatte er gemeint, die drei Liepensteiner würden schnurstracks in Richtung der Bogenschützen und damit in ihren Tod reiten. Aber da schlugen Eobans Pferd und die der anderen die ersten Haken. Gewagt, dachte er, so lange damit zu warten, aber immerhin konnten sie so die erste Distanz zügig nehmen.
Dann wendete er den Kopf zu seiner Rechten in der Erwartung weiterer Ansagen. Stattdessen sah er aber, wie sich Pferde aus der Spitze des Zuges lösten und in Richtung des Trosses preschten. Größere Gruppen wiederum standen nach wie vor reglos da.
In der Ferne sah er etwas, dass sich schnell auf den Tross zubewegte. Vielleicht ein großes Rudel Wölfe oder Hunde. Als eine Reiterin nahe Thobalt ihrem Pferd die Sporen gab und offenbar versuchte, ebenfalls in Richtung Tross zu eilen, tat Thobalt es ihr gleich. Er war sich noch nicht sicher, ob es eine Dummheit oder Heldentat war, doch wenigstens hätte er beim nächsten Bockbier etwas zu erzählen.
Die verbliebenen Liepensteiner Waffenknechte, Bran und Finwaen, schauten ihm irritiert hinterher.

~*~

Als Rajodan sah, dass der Kleine tonlos vorüberritt und dann auch noch selbst zu den Wurfbeilen griff, schüttelte er mit einem zischenden Laut den Kopf. Er hatte Jost gewarnt. Diesem jugendlichen Ungestüm war dieser Baronet noch nicht entwachsen. “Sieh dir das an Vitold. Sieh gut hin. Wie man es NICHT macht. Die Aufgabe eines Anführers ist es zu führen, zu befehlen. Nicht der erste an der Waffe zu sein. Und stillzuschweigen.” Jedem der Umstehenden war klar, wen der Baron meinte: “Wenn du eine wichtige Position während einer Operation einnimmst, Vitold, sei nicht der, der vorprischt. Sonst wirkst du wie ein dummer Bock, der mit dem Kopf voran gegen eine Mauer rennt. Arme und Beine kann man verlieren und trotzdem siegen, aber ohne Kopf … ist alles verloren.” Immer noch rührte er sich nicht von der Stelle. Jost war nicht da und dieser Trossmeister war wohl kaum derjenige, der hier eingreifen konnte, oder wollte.
“Da habt Ihr völlig Recht, Hochgeboren. Blindlings ins Verderben zu reiten mag rondragefällig erscheinen, doch, wer schützt die Jungen, wenn die Löwin den Kampf verliert, ohne den Feind zu besiegen? Sie würden zerfleischt werden, wie ihre Mutter und alles war umsonst. Der Unterschied zwischen Mut und Torheit ist so gering, dass viele nicht sehen, was was ist.”
Der Baron nickte still. “Und wenn das Löwenjunge meint, bereits bereit zu sein, dann kostet das eine bittere Lektion. Wenn er Glück hat.” Er blickte kopfschüttelnd dem jungen Baronet hinterher. Zurückhaltung lernten diese Jungspunde wohl nicht mehr während ihrer Ausbildung. Weder das, noch Demut, wie er an der Plötzbogen gut sehen konnte.
Radulf hatte sich angewöhnt jeweils zwei seiner mit Bögen bewaffneten Waffenknechte als Späher neben der Nachhut reiten zu lassen. Von vorne hörte man dumpfe Rufe, etwas war los und es schien als habe der ganze Zug angehalten. Schon wollte er Palinor losschicken um nachzufragen was denn da los sei, als seine Späher auf ihn zuhielten. “Ein Angriff, Herr! Da kommen Wölfe von rechts und halten auf den Tross zu!”
Fluchend begann Radulf Befehle zu brüllen. “Felijian, Ihr und eure Leute haltet hier die Stellung. Falls sich Feinde nähern, schickt Palinor los. Folcrad, du reitest nach vorne und gibst Bescheid, dass ich meine Lanze dem Feind in die Flanke fallen lasse. Palinor du bleibst hier, bis dich Felijian mit einer Botschaft losschickt.” Er drehte sich zu seiner Lanze um. “Sammelt Euch, Lanzenreiter neben mich. Bogenschützen, dünnt den Feind schön aus.”
“Jawohl, Herr,” bestätigte der Knappe und machte sich sofort auf den Weg. Er ritt auf die andere Seite des Zuges, da er den eigenen Leuten nicht die Sicht nehmen wollte und schmiegte sich dicht an den Hals seines Pferdes, um noch etwas schneller zu sein. Er preschte nach vorne und erreichte bald die Spitze des Zuges, wo er, vom dort herrschenden Tumult, überrascht wurde.
Unterwegs sah Folcrad, wie der gesuchte Wunnemar gefolgt von anderen Rittern ins Feld ritt, um die Wölfe aufzuhalten. Ihm Meldung machen konnte Folcrad nun nicht mehr. Er ritt trotzdem weiter zur Heeresspitze und sah dort Wunnemars Knappen Quendan, von dem er wusste, dass dieser häufig Informationen an seinen Schwertvater zusammentrug.
Dort angekommen bemerkte er Pfeile, die im Boden steckten, unter anderem lag Baron Jost leblos am Boden. Folcrad wurde flau im Magen, er sprang für die letzten Schritt vom Pferd. “Quendan!”
Der Knappe des Baronets kam ihm eilig entgegen gelaufen. “Folcrad! Was gibt es?”
“Ich habe eine Meldung zu machen. Wer bekommt sie!” mit Blick auf den leblos Baron.
“Sag sie Seiner Hochgeboren von Keyserring!” sagte der Knappe nüchtern und zeigte, wo er diesen finden würde. “Dort”
Nur einen Augenblick später stand Folcrad seinem zukünftigen Lehnsherr gegenüber. Und auch seinem Schwertvater Vitold.
Die beiden Eisensteiner standen dort, wo es der Befehl des Heerführers gewünscht hatte. In der Kampfreihe, seitlich des Feldes, mit Blick auf den Wald.
Folcrad konnte nicht verhindern, dass er kurz seinem Schwertvater einen Blick zuwarf. Doch sprach er nicht ihn, sondern den Baron als erstes an:”Hochgeboren Keyserring, Ritter Radulf von Wasserthal lässt ausrichten, dass der Tross von Wölfen angegriffen wird und er mit seiner Lanze dem Feind in die Flanke zu fallen gedenkt.”
“Und warum sollst du mir das sagen, Junge?” fragte Rajodan mit heraufgezogener Braue. Dann wandte er sich an Vitold: “Setzt ihr euren Knappen als Laufburschen für den Wasserthaler ein?”
“Mitnichten. Er hat vom Orgilsbund gehört und ist dort vorstellig geworden. Dieser ist´s, der Meldereiter benötigt. Also, soll er reiten. Neben den anderen Verpflichtungen natürlich, die er mir gegenüber hat. Der Wasserthaler ist wohl für den Schutz des Trosses zuständig und arbeitet mit dem Bund zusammen. Nun, Folcrad, seine Hochgeboren hat Dir eine Frage gestellt.” Der Knappe hatte inzwischen Vitolds Pferd entdeckt und starrte verwundert darauf, als ihn die flache Hand seines Schwertvaters am Hinterkopf traf. “Verzeiht Hochgeboren, ich war abgelenkt. Ich soll die Meldung eigentlich an den Trossmeister überbringen, aber der ist ja mitten im Kampfgetümmel. Sein Knappe hat mich zu Euch geschickt, obwohl ich auch ohne dessen Rat hierher gekommen wäre. Schließlich seid Ihr mein Baron und… ich kann ja nichts dafür, dass der Heerführer keinen Stab hat, den man an seiner statt unterrichten kann.”
Unmutig schüttelte der Eisensteiner seinen Kopf. Dieser Heerzug! “Da kannst du direkt etwas lernen.” brummte er Folcrad an: “Die Strategie wird vom Oberbefehlshaber festgelegt. Da der nun aber ausgefallen ist, wird die Taktik von jemand anderem festgelegt. Dieser muss dafür sorgen alle Informationen zu erhalten und in Befehle umzusetzen. Selber vorzupreschen, mit der Waffe in der Hand, ziemt sich beispielsweise nicht für jemanden in dieser Position. Diese Information, die du bringst, ist z.B. taktisch relevant.”
Danach wandte er sich an Vitold und Anselm. “Nun denn. ANSELM.” Brüllte er schließlich. “Reite dem Trossmeister hinterher. Vitold bleibe hier und kümmere dich um die Deckung.” Dann wandte er sich um, zu den anderen in der Kampfreihe: “Alle, die sich dem Angriff anschließen, können, mögen Anselm von Eschengrund folgen. Alle anderen, können Vitold von Baldurstolz hier beistehen, für den Fall, dass uns weitere Angreifer aufs Korn nehmen.”
“IHR HABT DEN BARON GEHÖRT”, bellte er den Verbliebenen Rittern entgegen. Diejenigen, die er kannte teilte er als erstes, entsprechend ihrer Fähigkeiten ein, den Rest verteilte er entsprechend der Waffen, die sie trugen. Schildträger in die erste Reihe, Bogenschützen in die Zweite. Er selbst und drei weitere Kämpfer suchten den Waldrand, aber auch den Himmel, mit ihren Augen ab, um einen Angriff frühzeitig zu erspähen.
Rajodan stieg von Vitolds Pferd und übergab diesem die Zügel. “Ich werde nun nach meinem Schwiegersohn sehen.”
“Wie Ihr wünscht, Hochgeboren. FOLCRAD, begleite ihn und schütze Deinen Herrn mit dem Schild.” Er wollte sich zwar nicht von seinem Knappen trennen, doch brauchte dieser eine Aufgabe und als Meldereiter wäre er in des Barons Nähe ohnehin besser aufgehoben. Vielleicht brauchte dieser ihn, um Befehle zu übermitteln.

Jost lag am Boden und fror. Ihm war kalt, dass ihn nicht mal die Decken wärmten, die man über ihn gelegt hatte. Seine Lippen waren blau, der Teint bleich und sein Unterkiefer zitterte, wie auch sein Körper, denn das dämonische Gift war längst in jeder seiner Gliedmaßen angelangt. Der Praiosgeweihte Hane und der Aconiterprimus Durandus taten irgendetwas, während Rhys alle mit wachsamem Blick schützte und dafür sorgte, dass sich ihnen niemand näherte. In diesem Moment war Jost verletzlich.
Nebendran hatten sich durch den Tumult und fehlender Befehle einige der Mitreisenden versammelt, u.a. Josts Bruder Kunibald, der Baronet von Trappenfurten, der sich in Abwesenheit ihrer Mutter zum Baron aufgeschwungen hatte. Dieser hatte von einem Beschuss auf die Zugspitze gehört und kniete nun neben dem am Boden liegenden Oberbefehlshaber. “Bruder, bleib hier, du wirst noch gebraucht”, herrschte er den fünf Jahre Jüngeren an - Ausdruck seiner Sorge um das Leben des Verwandten, wollte es den Umstehenden erscheinen.

Die Ankunft des Keyserringers wurde begrüßt von der Frage, ob ihn der Heerführer zum Kommando berechtigt habe, denn er sei ja mit dem Galebfurtener zuletzt beim Baron geritten.
Seine missmutige Miene zeugte von massiver Unfreude. “Scheinbar, ist sonst niemand da, oder bereit, diese Position einzunehmen.” Er erteilte einige kurze Anweisungen an die Anwesenden und organisierte, dass Jost ins Innere des Trosses gebracht wurde, und ließ Hane von Ibenburg-Luring sowie seine Frau bitten, kurz mit ihm zu sprechen, ehe sie Jost folgen würden..
Josts Bruder Kunibald stellte sich mit den Seinen für die Bedeckung der beide Schwertverletzten zur Verfügung. Ein ungewöhnlicher Zug für den schweigsamen, grimmigen Kerl, der sonst doch darauf achtete, dass er von der unmittelbaren Kampfgefahr immer mindestens einen Ritt weit entfernt war.
“Habt ihr an dieser Stelle auch etwas beizutragen?” wandte Rajodan sich an den anwesenden Zauberer. “Was ist mit meinem Schwiegersohn? Könnt ihr bereits etwas zu seinem Zustand sagen?”
“Es ist ein dämonischer Pfeil gewesen, der ihn traf”, gab Rhys Gwenlian nüchtern seine Analyse zur Antwort. “Ich vermochte lediglich das Schlimmste zu verhindern, indem ich seine Wucht minderte. Die Lage ist dennoch ernst, wenn meiner Meinung nach nicht kritisch. Ich habe die Auswirkungen der Verletzung, die Wunde heilen können. Der Feldkaplan kümmert sich nun darum die Essenz des Siebtsphärischen aus dem Körper zu extrahieren. Ich würde meinen, dass sich seine Hochgeboren in ein paar Tagen vollständig erholt hat. Anders sieht es bei der Junkerin aus.”
“Hm.” erwiderte der Baron nur: “Gut, dass er sich wieder erholen wird.”

Kurz darauf trat der Feldkaplan zu Rhys und dem Baron von Eisenstein. Seine Miene war sorgenvoll. “Wir haben Seine Hochgeboren und Ihre Wohlgeboren von Galebfurten wie veranlasst im Tross untergebracht. Bruder Durandus kümmert sich mit seinen Anconiter um die beiden und im Übrigen auch über die noch rettbaren Pferde. Eures ist wohl bedauerlicher Weise nicht mehr zu retten, Hochgeboren,” sprach Hane zu dem Baron, bevor er das interessantere Thema ansprach: “Um euren Schwiegersohn muss sich niemand Sorgen machen, er wird wieder, auch dank eures Einsatzes Rhys, aber um Frau Jolenta werden wir kämpfen müssen. Das heimtückische Dämonengift drängt dazu, ihr Herz immer wieder aus Neue in seinen eisigen Griff zu nehmen, selbst wenn ich seine Präsenz banne. Ich habe nicht viel Zeit, da ich bald wieder gebraucht werde. Was wolltet ihr mit mir besprechen, Hochgeboren?”
Rajodan sah den anderen an: “Ich wollte lediglich wissen, wie es um meinen Schwiegersohn steht. Aber ihr habt mich nun ja bereits umfassend informiert. Sobald es Neuigkeiten gibt, benachrichtigt mich doch. Fühlt euch also nun frei euren Pflichten nachzukommen.” antwortete der Eisensteiner. “Ich werde mich um mein Pferd kümmern.” Er hielt kurz inne: “Ich werde es doch problemlos erlösen können, auch wenn dieser Pfeil dämonisch war. Oder muss ich etwas beachten?” fragte er die beiden Männer.
“Wir werden es ebenfalls verbrennen. Das sollte die Gefahr bannen.” antwortete der Praiosgeweihte. (OT: Tanja hat keine Ahnung, ich spiele hier Fremdgenre^^)
Der Magus indes hatte noch eine Bitte. “Hochgeboren, bitte lasst mir den Pfeil, oder zumindest dessen -spitze bringen. Ich werde sie in meine Obhut nehmen und zur gegebenen Zeit der Ingerimmkirche übergeben.”
Rajodan nickte: “Macht, was immer ihr wollt damit. Aber haltet sie fern von uns anderen.” und wandte sich in Richtung seines Pferdes.

Eiskalte Jäger

Stolz schritt Andragrimm aus. An der Seite des Hauptmanns des Halbbanners vom ‘Ingerimms Hammer’ ging der Primus des Oberst an der Spitze der Schar Angroschim und hielt dabei das Banner der Einheit perfekt senkrecht, so dass der schwarze Kriegshammer auf silbernem Grund möglichst gut zu erkennen war. Dies lag jedoch letztlich weniger am Wind, denn vielmehr an der dünnen, waagerecht- liegenden Querstange, die das Banner sauber ausgebreitet hielt.
Der Sohn des Arborax war ausgebildeter Krieger und darüber hinaus Veteran des Haffax- Feldzuges. Er hatte vor den Toren Mendenas wie ein Berserker gekämpft, was ihm zu einigem gewissen Ruf verholfen hatte. Darüber hinaus war sein Kampfstil berühmt unter seinen Waffenbrüdern und -schwestern.
Dwarosch hatte Andragrimm als rechte Hand des Hauptmanns bestellt und mit ihm in die Fremde entsandt. Der Sohn des Arborax gehörte dem Leibbanner des Oberst an und gehörte zu dessen Vertrauten.
Die beiden Zwerge, Hauptmann Borix und Andragrimm waren gerade in einem Gespräch vertieft, dass sich um den Stand des Proviants und dessen Nachschub drehte, als plötzlich Tumult entstand. Der Ursprung lag wohl irgendwo weiter vorne, genau konnten die beiden es zunächst nicht ausmachen.
Einige der Angehörigen des Halbbanners deuteten mit ausgestrecktem Arm zu einem Waldstück entlang des Weges, dort standen Menschen, soviel war zu erkennen. Mehr war aufgrund der Entfernung nicht auszumachen. Oder doch, spannten sie etwa Bögen?
Hufe donnerten von der Spitze des Zuges, ein Signalhorn wurde geblasen. Sie wurden angegriffen!
Hände wurden gehoben, gemahnten zum stehen, Befehle wurden gebellt. Die Angroschim, die sich kurz vor dem Tross befanden, hatten klaren Befehl diesen im Ernstfall zu schützen.
Sofort unterbrach Borix das Gespräch mit Andragrimm - jetzt waren die Vorräte erst einmal egal. Denn wer weiß schon ob sie nach dem Angriff noch Vorräte brauchen würden.
Er schaute kurz in die Richtung aus der die Rufe und die Hornstöße kamen, da er habe nichts sicher erkennen konnte und ihm seit seiner Rekrutenzeit immer wieder die Vorsicht als wichtigstes gelehrt wurde, bellte er schnell ein paar Befehle, worauf sich das Halbbanner wie schon häufiger während des Zuges und in den Nachtlagern geübt, auffächerte, die Waffen zog und sich sichernd zwischen die Angreifer und den Tross stellte.
Borix selbst zog den Riemen seines Helms fester, der während des Marschs nur auf dem Rücken baumelte, um dann mit einer fließenden Bewegung den schweren Hammer zu ziehen und sich vor sein Halbbanner zu stellen.
“Für Angrosch! Für den Rogmarog! Für den Herzog! Gortoscha mortomosch!”

Sicher zwei Dutzend Wölfe mit schmutzig weißem Fell rannten aus dem nahen Wald direkt auf den Tross zu. Nein, das waren keine gewöhnlichen Tiere, weder vom Aussehen noch vom Verhalten. Kein Wolf würde eine so riesige Gruppe angreifen und das löchrige Fell, welches er im näherkommen erkannte, die riesigen, entstellten Mäuler, einer hatte sogar zwei Köpfe- dies waren zweifellos Bestien der wilden Hatz.

Die Hunde unter der Eisensteiner Hundeführerin jaulten auf, instinktiv das Dämonische in ihren Artgenossen erkennend. Es fiel Linje und den fünf Soldaten schwer, die gut trainierten Tiere zu halten.
Der Pferdewagen des Gelehrten, der seit Tagen neben den Hunden herfuhr, hatte angehalten und junge Hände zogen Planken hoch, um die offene Hinterseite abzusichern. Kurz danach erschien die Spitze eines Bolzens darüber.
Die Ritterin dieser ungewöhnlichen Lanze, fluchte laut und wie immer dreckig, als sie die Gefahr sah. Die Kampflanze aus der Vorrichtung am Sattel reißend und sich den Visierhelm zuklappend, ließ sie ihr Pferd eine Wende machen, um zu prüfen, ob ihnen der Rücken noch frei geblieben war.
“Darek, unser Befehl lautet den Tross schützen. Keine Einmischung in Angriffe.” warf sie zu ihrem Waffenknecht hinüber, der nickte. “Linje, haltet die Hunde fest!!” Sie hatten klare Befehle. Dennoch fühlte es sich seltsam und nicht ganz richtig an, zu warten und zuzusehen, wie die Wölfe näher und näher kamen. Ira hoffte nur, dass sich keiner der Eisensteiner Köter losriss, denn tat dies nur ein einziger, würden alle anderen folgen, das hatte sie von Linje mittlerweile gelernt. Passierte dies bekäme Ira mit Sicherheit einen Mörder Anschiss vom Baron, der diese Sache mit großer Wahrscheinlichkeit nach wieder ihrer angeblichen Inkompetenz zuschreiben würde. “Gut fest!” Wiederholte sie daher eindrücklich.

Norsold, ein Schmied, der sich bei Rommilys dem Zug anschloss, setzte einen Fuß vor den anderen. Ihm fehlte das rhythmische Hämmern in der Schmiede. Stattdessen hörte er das ohrenbetäubende Quietschen und Rattern der Wägen, klopfende Pferdehufe, das stumpfe Schlagen und Klimpern von Rüstungen und knirschende Steine unter den Sohlen. Wenigstens hatten sie aufgehört zu reden. Irgendwann nahe dem Todeswall muss ihnen wohl die Freude daran vergangen sein.
Da hörte er laute Rufe aus dem Zug. Es dauerte einen Moment, doch dann brach Unruhe um ihn herum aus. Zunächst waren es nur einzelne Personen. Dann immer mehr. Als wäre ein Damm gebrochen stürzten die Gespräche wieder über ihn herein. Um ihn herum hektische Kopfbewegungen. Viel zu hektisch. Norsold hatte das Gefühl, er könne die Angst beinahe riechen. Er blieb stehen und schaute sich um.
Einige Schritt entfernt begannen Hunde zu jaulen. Eigentlich konnte er dieser Tiergattung nicht viel abgewinnen. Zu verweichlicht. Rudeltiere. Diese aber waren anders. Sie liefen bei ihren Herren. Ruhig. Unauffällig. Aber es bedurfte nur einer falschen Bewegung und sie wurden Bestien. Aggressiv. Gefährlich. Sie verlangten Respekt ab. Das fand er zumindest interessant.

Von der Seite trabten nun schwere Reiter mit gesenkten Lanzen heran, die versuchten, die Wölfe abzufangen auf ihrem Weg zum Tross. Ihre Absicht war offenkundig, sie wollten die Untiere aufspießen, oder schlicht niederreiten. Die Reiter kamen von vorne, der Spitze des Zuges. Der Boden erbebte unter den schweren, zum Teil gerüsteten Schlachtrössern.
Die Reihen prallten aufeinander. Einer der großen, struppigen Raubtiere sprang eines der Pferde an, verbiss sich in dessen Vorderlauf und brachte es zum straucheln. Der gerüstete Reiter krachte scheppernd zu Boden, das Pferd rollte über ihn, so dass kaum eine Chance bestehen konnte, dass er überlebt haben konnte. Die Reiter, die nach ihm folgten, hatten ihre liebe Not auszuweichen, schaffen es aber.
Lanzen und Pferde trafen auf die wilde Jagd und den physischen Gegebenheiten folgend hatten letztere das Nachsehen, wurden durch Metallspitze und Holzschäfte in den Boden genagelt oder durch Pferdehufe getroffen, so dass Knochen und im günstigsten Falle Rückgrat brach. Tot oder besser vernichtet war kaum einer von ihnen durch diesen ersten Aufeinanderprall. Blutiges Handwerk sollte, musste noch verrichtet werden.

Doch durch die Lücke, die der gefallene Reiter in die Phalanx der Reiterei zugefügt hatte, schlüpfte eine gute Handvoll der mehr als zwei Dutzend der vierbeinigen Angreifer und hielten weiterhin auf den Tross zu.
“Los, Brüder, zeigen wir diesen verderbten Drakorabrodrom wie wir Angroschim zu kämpfen wissen!” feuerte Borix seine Soldaten mit einem lauten Rufen an. Diese Kreaturen waren etwas was nicht in Angroschs Schöpfung gehörte und daher musste es vom Antlitz Deres verschwinden. Sobald die Monster nahe genug an ihn heran gekommen waren, begann er sie mit weiten Schlägen seines schweren Kriegshammers zu bearbeiten. Die Geräusche von brechenden Knochen bewiesen ihm, dass sein Halbbanner ihm gleich tat und er für diesen Kriegszug die richtigen Leute ausgewählt hatte.
Vier Viecher waren schnell am Boden. Die schweren Hämmer der Zwerge zertrümmerten die Läufe und machten sie nahezu bewegungsunfähig. Darüber hinaus waren einige von Bolzen gespickt worden.
Tot waren die Untiere damit jedoch noch lange nicht. Wild um sich beißend und knurrend hielten sie noch mehreren, weiteren Wuchtschlägen stand, bis sie verreckten.

Drei jedoch schafften es durch die Reihen der Verteidiger und rasten weiterhin auf den Tross zu. Ihr Ziel waren nach wie vor die Unbewaffneten, in denen sie leichte Beute sahen.

Nun zogen die Hunde der kleinen Eisensteiner Einheit so fest an ihren Geschirren, dass die Hundeführer wahrhaft Mühe hatten, die Tiere zu bändigen. Auch Hundeausbidlerin Linje, das Alphatier des Rudels, musste sich anstrengen, dass ihre Schützlinge auf sie hörten.

Das wölfische Trio raste indes weiter auf den vor Panik kreischenden Tross zu. Fast als wohne dem Manöver eine Angriffstaktik inne, tauschten sie noch einmal untereinander die Plätze, um an drei Stellen in den Pulk aus Menschen und Wagen einzufallen.

Radulf fluchte als er die Bescherung sah, anstatt wie erhofft, dem Feind in die Flanke zu fallen, waren sie zu spät gekommen. ‘Verflucht!’ Dabei hatten sie beinahe sofort reagiert. Die Schlachtreihe der Nordmärker war gerade dabei abzubremsen und ihre Pferde zu wenden, also stürzte sich Radulf mit seinen Mannen auf die verwundeten Wölfe, die den ersten Ansturm überlebt hatten. Die Wasserthaler waren gnadenlos. Sie trieben ihre Lanzen tief in die Leiber der Wölfe und nagelten sie am Boden fest. Danach zogen sie Klingen und Äxte um auf die bewegungsunfähigen Untiere einzuhacken. Die Bogenschützen umkreisten das Schlachtfeld, auf etwaige Gefahren achtend. Nicht, dass ein Wolf plötzlich aufsprang. Es war eine blutige, schmutzige Arbeit, aber sie musste erledigt werden. Angewidert durchtrennte Radulf einem verwundeten Wolf das Rückgrat, so dass dieser zusammenbrach um ihm dann mit einem sauberen Hieb den Schädel zu spalten. Der Gestank, den diese … Wesen… verströmten war widerlich und einer seiner Männer, Bernhelm, übergab sich gerade ob dieses Gestanks.

Auch Andragrimm spieh angewidert aus. Er war besudelt von dem fast schwarzen Blut dieser Bestien. Einen hatte er mit einem wuchtigen Hieb seines Schlägels den Schädel zertrümmert, der andere hatte ihn angesprungen, hatte versucht seine Kehle zu erreichen, doch der Veteran war schnell genug gewesen dies zu verhindern.
Die Fänge des Wolfes hatten sich stattdessen um seinen Oberarm geschlossen. Die Senaloscher Kette hatte das schlimmste verhindert, Blutergüsse und einige Schrammen würde er aber wohl davontragen. Seinen Kriegshammer hatte Andragrimm so nicht mehr schwingen können, also hatte er diesen fahren lassen und mit dem Drachenzahn solange auf das Vieh eingestochen, bis es leblos von ihm abließ.
Er sah sich um und hob grüßend die Hand in Richtung der Menschen, die das Wasserthaler Wappen trugen. Die Mitglieder des Heerzuges hatten schnell reagiert. Wäre die Reiterei nicht ins Felde gezogen, um die Wölfe aufzuhalten, sie hätten vermutlich großen Schaden angerichtet.
Als aus Richtung der Wagen plötzlich Schreie zu hören waren, fluchte Andragrimm, denn das verhieß nichts gutes. Einige der Bestien waren offenbar durchgekommen. Er rannte los.

Radulf hatte gerade seinen Blick über die blutverschmierten Kadaver wandern lassen, als er den Gruß des Angroscho bemerkte und diesen erwiderte. Seine Leute hatten begonnen nach Verletzten ihrer Streitmacht zu suchen und auch der Ritter wollte sich ihnen gerade anschließen, da hallten Schreie aus Höhe des Trosses herüber. Fluchend packte der Wasserthaler sein Schwert fester und beschleunigte seine Schritte in die Richtung, die auch der Angroschim eingeschlagen hatte.

Als Borix sah wie sich Andragrimm - ohne seinen ausdrücklichen Befehl - von der eingenommen Stellung Richtung Tross absetzte, befahl er zehn Angroschim, die sich in seiner Nähe aufhielten ihm zu folgen und den Tross von den Kreaturen zu befreien. Mit den anderen zog er weiter gegen die letzten der unnatürlichen Kreaturen ins Gefecht.

Einer der Wölfe visierte die geifernde Horde Artgenossen an.
Noch bevor die Ritterin von Plötzbogen, welche die Einheit befehligte, das Kommando ‘Hunde los’ geben konnte, entriss sich der Leithund der Hände seines Führers, da er sein Rudel in Gefahr sah, und stürzte dem Wolf entgegen. Die anderen Vierbeiner stemmten sich mit unerwarteter Energie gegen ihre menschlichen Führer und brachen nun ebenfalls aus, um ihrem tierischen Anführer nachzusetzen. Nur Augenblicke später trafen ihre Leiber auf den des Wolfes. Sogleich verbissen sich die massiven Kiefer der Kampfhunde im Fell und in den Glieder des Angreifers, der von dem Gegenangriff abgebremst und zu Boden geschleudert wurde. Sein Kopf schnellte herum. Ein grässliches Jaulen ertönte, als der Wolf einen der Hunde erwischte und dessen Lebenslicht ausging. Das machte die anderen nur noch rasender. Von Blutdurst und Eifer getrieben, wälzten sie sich mit dem Wolf über den Boden.
Linje sah mit Entsetzen, wie erst einer, dann ein weiterer ihrer Schützlinge den Tod fand. Sie wusste, keiner der Hunde würde jetzt mehr auf ihre Worte hören, konnte sie die noch so laut brüllen. Ihre Lieblinge waren gezüchtet und abgerichtet für den Kampf. Linje hatte oft genug gegenüber ihrer Herrin, der Ritterin von Plötzbogen, betont, dass ein sich im Blutrausch befindlicher Kampfhund nur dann wieder locker ließ, wenn sein Ziel eliminiert war.
“Kornrad, bring Linje hier weg, alle anderen schirmen Meister Hesindiard.” brüllte Ira den fünf Eisensteiner Soldaten zu, die wie die Hundeführerin schockiert zusahen, wie ein Knäuel aus Fell und Blut über das Gras tobte. “Und eins der Drecksviecher für uns,” warf Ira ihrem Waffenknecht zu, bevor sie ihrem Streitross - das sie seit der Sache mit Aureus ritt, wie alle anderen Orgilsbunder - die Sporen gab und in einen Anritt zwang, den Gise wohl nur so herbeigesehnt hatte, denn die massige Stute stob regelrecht davon und auf das nahe Untier zu.
Darek konnte dem Auftrag keine große Freude abringen, stürzte aber mit der Wurfaxt in der Hand auf seinem eigenen Pferd hinterher.
Groß war die Distanz nicht, das war Ira klar. Hier aber ging es nicht darum, den Gegner wie beim Tjost aus dem Sattel zu stoßen, um eine Runde weiter zu kommen, sondern um einen der Wölfe aufzuhalten, zu binden, zu beschäftigen und so davon abzuhalten, in den größtenteils wehrlosen Tross einzufallen.
Ihre Lanze stieß dem Untier allerdings nur in den Rücken, was Ira fluchend ärgerte, und machte einen Satz auf den Waffenknecht zu. Die Wolfsklauen der Hinterläufe krallten sich in den Pferdekopf, den es benutzte, um sich mit dem gierigen Maul und mit den Vorderläufen nach Darek zu strecken, der anders als die Ritterin nur eine Lederrüstung mit Kettenteilen trug. Dabei riss es das schreiende Ross mitsamt Reiter um. Der nächste, der aufschrie war Darek, den das Gewicht des Wolfs unsanft aus dem Sattel und auf die Erde schleuderte. Der Wolf wiederum heulte auf, weil sich die Schneide der Axt Dareks dabei in seinen Hals drückte. Im Schmerz fuhr das Untier auf und wischte als Antwort einen Klauenhieb über das Gesicht des Waffenknechts, dessen Ausruf von Pein Ira durch Mark und Bein fuhr. Augenblicklich wandte Ira das Ross, riss ihr Schwert aus der Scheide und ritt erneut scharf an. Nein, dieses Vieh würde ihrem Freund nicht noch mehr Leid zufügen! Ihrem Waffenknecht, Kampfgefährten...und ja, Freund. Die Erkenntnis war neu. Aber sie gefiel ihr und motivierte sie zu einem gewagten Manöver.
Die Stiefel aus den Steigbügeln gelöst, das Langschwert fest in beiden Händen, die Ballance auf Gises Rücken nur mit ihren Schenkeln haltend, ließ sie sich von der Stute so nah an beide heranbringen, dass es ihr möglich war, abzuspringen. Ira ahnte, dass sich dieses Wesen nicht von einem Passierschlag ablenken lassen würde, darum stürzte sie sich mit einem gedanklichen Stoßgebet an die Zwölfe, einem lauten “NEIIIIIIN!” rufend und mit der Klinge voraus vom Pferderücken direkt auf den Wolf, um ihm die Klinge wuchtvoll in den Leib zu stoßen. Ihr war es dabei ganz gleich, ob sie selbst Verletzungen davontragen würde, wenn sie sich jetzt auf die Kreatur stürzte. Hier ging es nicht um sie, sondern um Darek.
Ira spürte nur einen halben Herzschlag den harten Aufprall und wie ihr Travia geweihtes Schwert in das Fleisch des Dämonen-Wolfes glitt. Sie hörte dessen grässliches Brüllen, roch den niederhöllischen Gestank, der von dem Tier ausging. Es würgte sie. Schnell rollte Ira sich daher ab, um aufzustehen. Sie brauchte Wissen darüber, ob ihre Mühe es wert und ob sie Darek eine Hilfe gewesen war.
Tatsächlich lag der Wolf mit gebrochenem Blick über seinem stöhnenden Opfer und rührte sich nicht mehr. Aber auch Darek schien es nicht gut zu gehen. Er war am Leben, aber atmete unregelmäßig.
Sofort versuchte Ira den Wolf von Darek herunter zu drücken, doch es gelang ihr allein nicht, das große schwere Tier zu bewegen. Also rief sie nach Hilfe, woraufhin auch gleich zwei ihrer Soldaten herbeieilten.
“Herrin..” Dareks Stimme klang gefährlich müde.
“Darek, nicht aufgeben, hörst du. Wir helfen dir.” Zu dritt schafften sie es, das tote Tier von dem Waffenknecht zu ziehen, dessen Gesicht durch die Wolfskrallen fürchterlich entstellt war. Allerdings hatte Iras Schwert nicht nur den Wolf durchschnitten - die Schwertspitze hatte auch Darek erwischt. Blut quoll nicht nur aus den Schnittwunden an Wange, Stirn und Nase, sondern auch aus einer Wunde an seinem Unterbauch.
“Oh mann, scheiße Darek, das…das tut mir leid.” Ira wurde schlecht. Das hatte sie nicht gewollt. Aber sie wusste Rat. Ein Pfiff und Gise kam getrottet. “Ich hab einen Heiltrank in der Satteltasche. Den nimmst du. Keine Widerrede!” sagte sie zu dem Mann, der schon protestieren wollte, aber ihre erhobene Hand hatte es nicht zugelassen. “Ich weiß nur nicht, ob er beides heilt…” murmelte sie als sie die kleine Phiole heranbrachte, während einer der Soldaten seinen Wappenrock auf die Bauchwunde presste.
“Spart ihn euch,...Herrin.” erwiderte Darek und schob den Arm der Ritterin mit dem heilenden Serum von sich. “Ihr werdet ihn… noch selbst...brauchen.”
“Aber was ist mit dem da?” Überrascht durch seinen Widerwillen deutete sie auf sein Gesicht, das schon anschwoll.
“Wird auch wieder.”
“In Ordnung. Ich bringe dich trotzdem zu den Anconiten.”
“Wenn’s sein muss…”
“Ja, es muss.” Ira wusste schließlich aus eigener Erfahrung, wie es war, mit einem entstellten Gesicht zu leben.

Zwerge und Menschen droschen derweil wild auf etwas ein. Norsold hörte Knochen brechen und das seltsam schmatzende Geräusch, wenn Fleisch zu Brei geschlagen wird. Er fühlte sich an etwas erinnert. Doch bevor er diesem Gedanken weiter nachgehen konnte, tauchte etwas vor seinen Augen auf, dass er noch nie sah. Ein Raubtier. Vielleicht ein Wolf. Mit zwei sabbernden, zähnefletschenden Köpfen. Es rannte zwischen den Reihen der Pferde hindurch, sprang mit einem gewaltigen Satz auf den Wagen vor Norsold und stürzte sich dahinter in offene, ungeschützte Kehlen. Eines der Mäuler hatte sich verbissen. Speichel und Blut mischten sich zu einem roten Schaum. Norsold sah entsetzte, weit aufgerissene Augen. Das andere Maul schnappte weiter wie wild. Gierige Augen starrten in seine Richtung. Er löste den Hammer von seinem Gürtel.
Die Bestie schüttelte noch einmal ihr Opfer. Als sie sich ihm zuwendete, zertrümmerte er einen der Schädelknochen mit einem Schlag. Die Wucht des Aufpralls ließ die Bestie seitlich taumeln.
Es dauerte nur kurz, bis das Untier sicheren Stand gefunden hatte. Augenblicklich drehte es sich zu Norsold um. Der unversehrte Kopf kläffte laut und Speichelfäden spritzten aus seinem Maul. Der andere Kopf hing schlaff daneben. Es spannte sich und sprang ihm entgegen. Norsold ließ seinen Hammer fallen. Der Satz riss ihn von den Füßen. Schmerzhaft prallte er mit dem Rücken auf der Straße auf, die Bestie genau über ihm. Ihr Maul suchte nach seiner Kehle, und Norsolds Hände nach der ihren. „Du oder ich“, dachte er. Mit aller Muskelkraft versuchte er die Zähne von sich fern zu halten und drückte zu. Die Bestie wehrte sich heftig und kratzte mit allen vier Läufen. Er spürte das Feuer tiefer Schnitte in seiner Brust. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen. Ein Ruck und ein Knacken und das Untier erschlaffte. Norsold umklammerte noch immer die Kehle mit seinen Händen und blickte in die reglosen Augen. Dann legte er den Körper des Untiers neben sich ab. Auch er lag nun reglos da. Jeder Atemzug stach in seiner Lunge. Er starrte in den Himmel und fühlte sich an etwas erinnert. Die Geräusche um ihn herum verschwammen.
Ein breit gebauter, zwergischer Krieger in glänzender Kettenrüstung schob sich vor den Himmel und riss Norsold aus seinen Gedanken. Der Schmied erkannte, wie der Angroscho seinen großen Kriegshammer auf den Boden abstellte und ihm eine Hand entgegenstreckte.
“Mit bloßen Händen”, sagte er anerkennend und Norsold war überrascht, wie wenig Akzent in der Stimme des Zwergen lag. “Los, ich helf dir hoch. Du musst die Wunden rasch auswaschen und reinigen. Die Viecher übertragen sicher Krankheiten.”

Norsold starrte in das Gesicht des Zwerges. Er blinzelte. Dann ergriff er die ihm entgegengestreckte Hand und zog sich nach oben. Er musterte einen Augenblick das haarige Ding vor ihm, dann das Biest am Boden, und wieder den Zwerg. „Schöne Arbeit“, sagte er und deutete auf die Kettenrüstung. Er blickte auf seine blutende Brust herab. „Ihr habt Recht.“ Er hob seinen Hammer auf und stapfte los. Irgendwo hier musste doch das Mütterchen sein mit ihrem Wagen Bier. Sicherlich hatte sie einen Schluck für ihn übrig, und auch ausreichend Wasser um diesen Kratzer auswaschen zu können.

Eiskalte Jäger
Stolz schritt Andragrimm aus. An der Seite des Hauptmanns des Halbbanners vom ‘Ingerimms Hammer’ ging der Primus des Oberst an der Spitze der Schar Angroschim und hielt dabei das Banner der Einheit perfekt senkrecht, so dass der schwarze Kriegshammer auf silbernem Grund möglichst gut zu erkennen war. Dies lag jedoch letztlich weniger am Wind, denn vielmehr an der dünnen, waagerecht- liegenden Querstange, die das Banner sauber ausgebreitet hielt.
Der Sohn des Arborax war ausgebildeter Krieger und darüber hinaus Veteran des Haffax- Feldzuges. Er hatte vor den Toren Mendenas wie ein Berserker gekämpft, was ihm zu einigem gewissen Ruf verholfen hatte. Darüber hinaus war sein Kampfstil berühmt unter seinen Waffenbrüdern und -schwestern.
Dwarosch hatte Andragrimm als rechte Hand des Hauptmanns bestellt und mit ihm in die Fremde entsandt. Der Sohn des Arborax gehörte dem Leibbanner des Oberst an und gehörte zu dessen Vertrauten.
Die beiden Zwerge, Hauptmann Borix und Andragrimm waren gerade in einem Gespräch vertieft, dass sich um den Stand des Proviants und dessen Nachschub drehte, als plötzlich Tumult entstand. Der Ursprung lag wohl irgendwo weiter vorne, genau konnten die beiden es zunächst nicht ausmachen.
Einige der Angehörigen des Halbbanners deuteten mit ausgestrecktem Arm zu einem Waldstück entlang des Weges, dort standen Menschen, soviel war zu erkennen. Mehr war aufgrund der Entfernung nicht auszumachen. Oder doch, spannten sie etwa Bögen?
Hufe donnerten von der Spitze des Zuges, ein Signalhorn wurde geblasen. Sie wurden angegriffen!
Hände wurden gehoben, gemahnten zum stehen, Befehle wurden gebellt. Die Angroschim, die sich kurz vor dem Tross befanden, hatten klaren Befehl diesen im Ernstfall zu schützen.
Sofort unterbrach Borix das Gespräch mit Andragrimm - jetzt waren die Vorräte erst einmal egal. Denn wer weiß schon ob sie nach dem Angriff noch Vorräte brauchen würden.
Er schaute kurz in die Richtung aus der die Rufe und die Hornstöße kamen, da er habe nichts sicher erkennen konnte und ihm seit seiner Rekrutenzeit immer wieder die Vorsicht als wichtigstes gelehrt wurde, bellte er schnell ein paar Befehle, worauf sich das Halbbanner wie schon häufiger während des Zuges und in den Nachtlagern geübt, auffächerte, die Waffen zog und sich sichernd zwischen die Angreifer und den Tross stellte.
Borix selbst zog den Riemen seines Helms fester, der während des Marschs nur auf dem Rücken baumelte, um dann mit einer fließenden Bewegung den schweren Hammer zu ziehen und sich vor sein Halbbanner zu stellen.
“Für Angrosch! Für den Rogmarog! Für den Herzog! Gortoscha mortomosch!”

Sicher zwei Dutzend Wölfe mit schmutzig weißem Fell rannten aus dem nahen Wald direkt auf den Tross zu. Nein, das waren keine gewöhnlichen Tiere, weder vom Aussehen noch vom Verhalten. Kein Wolf würde eine so riesige Gruppe angreifen und das löchrige Fell, welches er im näherkommen erkannte, die riesigen, entstellten Mäuler, einer hatte sogar zwei Köpfe- dies waren zweifellos Bestien der wilden Hatz.

Die Hunde unter der Eisensteiner Hundeführerin jaulten auf, instinktiv das Dämonische in ihren Artgenossen erkennend. Es fiel Linje und den fünf Soldaten schwer, die gut trainierten Tiere zu halten.
Der Pferdewagen des Gelehrten, der seit Tagen neben den Hunden herfuhr, hatte angehalten und junge Hände zogen Planken hoch, um die offene Hinterseite abzusichern. Kurz danach erschien die Spitze eines Bolzens darüber.
Die Ritterin dieser ungewöhnlichen Lanze, fluchte laut und wie immer dreckig, als sie die Gefahr sah. Die Kampflanze aus der Vorrichtung am Sattel reißend und sich den Visierhelm zuklappend, ließ sie ihr Pferd eine Wende machen, um zu prüfen, ob ihnen der Rücken noch frei geblieben war.
“Darek, unser Befehl lautet den Tross schützen. Keine Einmischung in Angriffe.” warf sie zu ihrem Waffenknecht hinüber, der nickte. “Linje, haltet die Hunde fest!!” Sie hatten klare Befehle. Dennoch fühlte es sich seltsam und nicht ganz richtig an, zu warten und zuzusehen, wie die Wölfe näher und näher kamen. Ira hoffte nur, dass sich keiner der Eisensteiner Köter losriss, denn tat dies nur ein einziger, würden alle anderen folgen, das hatte sie von Linje mittlerweile gelernt. Passierte dies bekäme Ira mit Sicherheit einen Mörder Anschiss vom Baron, der diese Sache mit großer Wahrscheinlichkeit nach wieder ihrer angeblichen Inkompetenz zuschreiben würde. “Gut fest!” Wiederholte sie daher eindrücklich.

Norsold, ein Schmied, der sich bei Rommilys dem Zug anschloss, setzte einen Fuß vor den anderen. Ihm fehlte das rhythmische Hämmern in der Schmiede. Stattdessen hörte er das ohrenbetäubende Quietschen und Rattern der Wägen, klopfende Pferdehufe, das stumpfe Schlagen und Klimpern von Rüstungen und knirschende Steine unter den Sohlen. Wenigstens hatten sie aufgehört zu reden. Irgendwann nahe dem Todeswall muss ihnen wohl die Freude daran vergangen sein.
Da hörte er laute Rufe aus dem Zug. Es dauerte einen Moment, doch dann brach Unruhe um ihn herum aus. Zunächst waren es nur einzelne Personen. Dann immer mehr. Als wäre ein Damm gebrochen stürzten die Gespräche wieder über ihn herein. Um ihn herum hektische Kopfbewegungen. Viel zu hektisch. Norsold hatte das Gefühl, er könne die Angst beinahe riechen. Er blieb stehen und schaute sich um.
Einige Schritt entfernt begannen Hunde zu jaulen. Eigentlich konnte er dieser Tiergattung nicht viel abgewinnen. Zu verweichlicht. Rudeltiere. Diese aber waren anders. Sie liefen bei ihren Herren. Ruhig. Unauffällig. Aber es bedurfte nur einer falschen Bewegung und sie wurden Bestien. Aggressiv. Gefährlich. Sie verlangten Respekt ab. Das fand er zumindest interessant.

Von der Seite trabten nun schwere Reiter mit gesenkten Lanzen heran, die versuchten, die Wölfe abzufangen auf ihrem Weg zum Tross. Ihre Absicht war offenkundig, sie wollten die Untiere aufspießen, oder schlicht niederreiten. Die Reiter kamen von vorne, der Spitze des Zuges. Der Boden erbebte unter den schweren, zum Teil gerüsteten Schlachtrössern.
Die Reihen prallten aufeinander. Einer der großen, struppigen Raubtiere sprang eines der Pferde an, verbiss sich in dessen Vorderlauf und brachte es zum straucheln. Der gerüstete Reiter krachte scheppernd zu Boden, das Pferd rollte über ihn, so dass kaum eine Chance bestehen konnte, dass er überlebt haben konnte. Die Reiter, die nach ihm folgten, hatten ihre liebe Not auszuweichen, schaffen es aber.
Lanzen und Pferde trafen auf die wilde Jagd und den physischen Gegebenheiten folgend hatten letztere das Nachsehen, wurden durch Metallspitze und Holzschäfte in den Boden genagelt oder durch Pferdehufe getroffen, so dass Knochen und im günstigsten Falle Rückgrat brach. Tot oder besser vernichtet war kaum einer von ihnen durch diesen ersten Aufeinanderprall. Blutiges Handwerk sollte, musste noch verrichtet werden.

Doch durch die Lücke, die der gefallene Reiter in die Phalanx der Reiterei zugefügt hatte, schlüpfte eine gute Handvoll der mehr als zwei Dutzend der vierbeinigen Angreifer und hielten weiterhin auf den Tross zu.
“Los, Brüder, zeigen wir diesen verderbten Drakorabrodrom wie wir Angroschim zu kämpfen wissen!” feuerte Borix seine Soldaten mit einem lauten Rufen an. Diese Kreaturen waren etwas was nicht in Angroschs Schöpfung gehörte und daher musste es vom Antlitz Deres verschwinden. Sobald die Monster nahe genug an ihn heran gekommen waren, begann er sie mit weiten Schlägen seines schweren Kriegshammers zu bearbeiten. Die Geräusche von brechenden Knochen bewiesen ihm, dass sein Halbbanner ihm gleich tat und er für diesen Kriegszug die richtigen Leute ausgewählt hatte.
Vier Viecher waren schnell am Boden. Die schweren Hämmer der Zwerge zertrümmerten die Läufe und machten sie nahezu bewegungsunfähig. Darüber hinaus waren einige von Bolzen gespickt worden.
Tot waren die Untiere damit jedoch noch lange nicht. Wild um sich beißend und knurrend hielten sie noch mehreren, weiteren Wuchtschlägen stand, bis sie verreckten.

Drei jedoch schafften es durch die Reihen der Verteidiger und rasten weiterhin auf den Tross zu. Ihr Ziel waren nach wie vor die Unbewaffneten, in denen sie leichte Beute sahen.

Nun zogen die Hunde der kleinen Eisensteiner Einheit so fest an ihren Geschirren, dass die Hundeführer wahrhaft Mühe hatten, die Tiere zu bändigen. Auch Hundeausbidlerin Linje, das Alphatier des Rudels, musste sich anstrengen, dass ihre Schützlinge auf sie hörten.

Das wölfische Trio raste indes weiter auf den vor Panik kreischenden Tross zu. Fast als wohne dem Manöver eine Angriffstaktik inne, tauschten sie noch einmal untereinander die Plätze, um an drei Stellen in den Pulk aus Menschen und Wagen einzufallen.

Radulf fluchte als er die Bescherung sah, anstatt wie erhofft, dem Feind in die Flanke zu fallen, waren sie zu spät gekommen. ‘Verflucht!’ Dabei hatten sie beinahe sofort reagiert. Die Schlachtreihe der Nordmärker war gerade dabei abzubremsen und ihre Pferde zu wenden, also stürzte sich Radulf mit seinen Mannen auf die verwundeten Wölfe, die den ersten Ansturm überlebt hatten. Die Wasserthaler waren gnadenlos. Sie trieben ihre Lanzen tief in die Leiber der Wölfe und nagelten sie am Boden fest. Danach zogen sie Klingen und Äxte um auf die bewegungsunfähigen Untiere einzuhacken. Die Bogenschützen umkreisten das Schlachtfeld, auf etwaige Gefahren achtend. Nicht, dass ein Wolf plötzlich aufsprang. Es war eine blutige, schmutzige Arbeit, aber sie musste erledigt werden. Angewidert durchtrennte Radulf einem verwundeten Wolf das Rückgrat, so dass dieser zusammenbrach um ihm dann mit einem sauberen Hieb den Schädel zu spalten. Der Gestank, den diese … Wesen… verströmten war widerlich und einer seiner Männer, Bernhelm, übergab sich gerade ob dieses Gestanks.

Auch Andragrimm spieh angewidert aus. Er war besudelt von dem fast schwarzen Blut dieser Bestien. Einen hatte er mit einem wuchtigen Hieb seines Schlägels den Schädel zertrümmert, der andere hatte ihn angesprungen, hatte versucht seine Kehle zu erreichen, doch der Veteran war schnell genug gewesen dies zu verhindern.
Die Fänge des Wolfes hatten sich stattdessen um seinen Oberarm geschlossen. Die Senaloscher Kette hatte das schlimmste verhindert, Blutergüsse und einige Schrammen würde er aber wohl davontragen. Seinen Kriegshammer hatte Andragrimm so nicht mehr schwingen können, also hatte er diesen fahren lassen und mit dem Drachenzahn solange auf das Vieh eingestochen, bis es leblos von ihm abließ.
Er sah sich um und hob grüßend die Hand in Richtung der Menschen, die das Wasserthaler Wappen trugen. Die Mitglieder des Heerzuges hatten schnell reagiert. Wäre die Reiterei nicht ins Felde gezogen, um die Wölfe aufzuhalten, sie hätten vermutlich großen Schaden angerichtet.
Als aus Richtung der Wagen plötzlich Schreie zu hören waren, fluchte Andragrimm, denn das verhieß nichts gutes. Einige der Bestien waren offenbar durchgekommen. Er rannte los.

Radulf hatte gerade seinen Blick über die blutverschmierten Kadaver wandern lassen, als er den Gruß des Angroscho bemerkte und diesen erwiderte. Seine Leute hatten begonnen nach Verletzten ihrer Streitmacht zu suchen und auch der Ritter wollte sich ihnen gerade anschließen, da hallten Schreie aus Höhe des Trosses herüber. Fluchend packte der Wasserthaler sein Schwert fester und beschleunigte seine Schritte in die Richtung, die auch der Angroschim eingeschlagen hatte.

Als Borix sah wie sich Andragrimm - ohne seinen ausdrücklichen Befehl - von der eingenommen Stellung Richtung Tross absetzte, befahl er zehn Angroschim, die sich in seiner Nähe aufhielten ihm zu folgen und den Tross von den Kreaturen zu befreien. Mit den anderen zog er weiter gegen die letzten der unnatürlichen Kreaturen ins Gefecht.

Einer der Wölfe visierte die geifernde Horde Artgenossen an.
Noch bevor die Ritterin von Plötzbogen, welche die Einheit befehligte, das Kommando ‘Hunde los’ geben konnte, entriss sich der Leithund der Hände seines Führers, da er sein Rudel in Gefahr sah, und stürzte dem Wolf entgegen. Die anderen Vierbeiner stemmten sich mit unerwarteter Energie gegen ihre menschlichen Führer und brachen nun ebenfalls aus, um ihrem tierischen Anführer nachzusetzen. Nur Augenblicke später trafen ihre Leiber auf den des Wolfes. Sogleich verbissen sich die massiven Kiefer der Kampfhunde im Fell und in den Glieder des Angreifers, der von dem Gegenangriff abgebremst und zu Boden geschleudert wurde. Sein Kopf schnellte herum. Ein grässliches Jaulen ertönte, als der Wolf einen der Hunde erwischte und dessen Lebenslicht ausging. Das machte die anderen nur noch rasender. Von Blutdurst und Eifer getrieben, wälzten sie sich mit dem Wolf über den Boden.
Linje sah mit Entsetzen, wie erst einer, dann ein weiterer ihrer Schützlinge den Tod fand. Sie wusste, keiner der Hunde würde jetzt mehr auf ihre Worte hören, konnte sie die noch so laut brüllen. Ihre Lieblinge waren gezüchtet und abgerichtet für den Kampf. Linje hatte oft genug gegenüber ihrer Herrin, der Ritterin von Plötzbogen, betont, dass ein sich im Blutrausch befindlicher Kampfhund nur dann wieder locker ließ, wenn sein Ziel eliminiert war.
“Kornrad, bring Linje hier weg, alle anderen schirmen Meister Hesindiard.” brüllte Ira den fünf Eisensteiner Soldaten zu, die wie die Hundeführerin schockiert zusahen, wie ein Knäuel aus Fell und Blut über das Gras tobte. “Und eins der Drecksviecher für uns,” warf Ira ihrem Waffenknecht zu, bevor sie ihrem Streitross - das sie seit der Sache mit Aureus ritt, wie alle anderen Orgilsbunder - die Sporen gab und in einen Anritt zwang, den Gise wohl nur so herbeigesehnt hatte, denn die massige Stute stob regelrecht davon und auf das nahe Untier zu.
Darek konnte dem Auftrag keine große Freude abringen, stürzte aber mit der Wurfaxt in der Hand auf seinem eigenen Pferd hinterher.
Groß war die Distanz nicht, das war Ira klar. Hier aber ging es nicht darum, den Gegner wie beim Tjost aus dem Sattel zu stoßen, um eine Runde weiter zu kommen, sondern um einen der Wölfe aufzuhalten, zu binden, zu beschäftigen und so davon abzuhalten, in den größtenteils wehrlosen Tross einzufallen.
Ihre Lanze stieß dem Untier allerdings nur in den Rücken, was Ira fluchend ärgerte, und machte einen Satz auf den Waffenknecht zu. Die Wolfsklauen der Hinterläufe krallten sich in den Pferdekopf, den es benutzte, um sich mit dem gierigen Maul und mit den Vorderläufen nach Darek zu strecken, der anders als die Ritterin nur eine Lederrüstung mit Kettenteilen trug. Dabei riss es das schreiende Ross mitsamt Reiter um. Der nächste, der aufschrie war Darek, den das Gewicht des Wolfs unsanft aus dem Sattel und auf die Erde schleuderte. Der Wolf wiederum heulte auf, weil sich die Schneide der Axt Dareks dabei in seinen Hals drückte. Im Schmerz fuhr das Untier auf und wischte als Antwort einen Klauenhieb über das Gesicht des Waffenknechts, dessen Ausruf von Pein Ira durch Mark und Bein fuhr. Augenblicklich wandte Ira das Ross, riss ihr Schwert aus der Scheide und ritt erneut scharf an. Nein, dieses Vieh würde ihrem Freund nicht noch mehr Leid zufügen! Ihrem Waffenknecht, Kampfgefährten...und ja, Freund. Die Erkenntnis war neu. Aber sie gefiel ihr und motivierte sie zu einem gewagten Manöver.
Die Stiefel aus den Steigbügeln gelöst, das Langschwert fest in beiden Händen, die Ballance auf Gises Rücken nur mit ihren Schenkeln haltend, ließ sie sich von der Stute so nah an beide heranbringen, dass es ihr möglich war, abzuspringen. Ira ahnte, dass sich dieses Wesen nicht von einem Passierschlag ablenken lassen würde, darum stürzte sie sich mit einem gedanklichen Stoßgebet an die Zwölfe, einem lauten “NEIIIIIIN!” rufend und mit der Klinge voraus vom Pferderücken direkt auf den Wolf, um ihm die Klinge wuchtvoll in den Leib zu stoßen. Ihr war es dabei ganz gleich, ob sie selbst Verletzungen davontragen würde, wenn sie sich jetzt auf die Kreatur stürzte. Hier ging es nicht um sie, sondern um Darek.
Ira spürte nur einen halben Herzschlag den harten Aufprall und wie ihr Travia geweihtes Schwert in das Fleisch des Dämonen-Wolfes glitt. Sie hörte dessen grässliches Brüllen, roch den niederhöllischen Gestank, der von dem Tier ausging. Es würgte sie. Schnell rollte Ira sich daher ab, um aufzustehen. Sie brauchte Wissen darüber, ob ihre Mühe es wert und ob sie Darek eine Hilfe gewesen war.
Tatsächlich lag der Wolf mit gebrochenem Blick über seinem stöhnenden Opfer und rührte sich nicht mehr. Aber auch Darek schien es nicht gut zu gehen. Er war am Leben, aber atmete unregelmäßig.
Sofort versuchte Ira den Wolf von Darek herunter zu drücken, doch es gelang ihr allein nicht, das große schwere Tier zu bewegen. Also rief sie nach Hilfe, woraufhin auch gleich zwei ihrer Soldaten herbeieilten.
“Herrin..” Dareks Stimme klang gefährlich müde.
“Darek, nicht aufgeben, hörst du. Wir helfen dir.” Zu dritt schafften sie es, das tote Tier von dem Waffenknecht zu ziehen, dessen Gesicht durch die Wolfskrallen fürchterlich entstellt war. Allerdings hatte Iras Schwert nicht nur den Wolf durchschnitten - die Schwertspitze hatte auch Darek erwischt. Blut quoll nicht nur aus den Schnittwunden an Wange, Stirn und Nase, sondern auch aus einer Wunde an seinem Unterbauch.
“Oh mann, scheiße Darek, das…das tut mir leid.” Ira wurde schlecht. Das hatte sie nicht gewollt. Aber sie wusste Rat. Ein Pfiff und Gise kam getrottet. “Ich hab einen Heiltrank in der Satteltasche. Den nimmst du. Keine Widerrede!” sagte sie zu dem Mann, der schon protestieren wollte, aber ihre erhobene Hand hatte es nicht zugelassen. “Ich weiß nur nicht, ob er beides heilt…” murmelte sie als sie die kleine Phiole heranbrachte, während einer der Soldaten seinen Wappenrock auf die Bauchwunde presste.
“Spart ihn euch,...Herrin.” erwiderte Darek und schob den Arm der Ritterin mit dem heilenden Serum von sich. “Ihr werdet ihn… noch selbst...brauchen.”
“Aber was ist mit dem da?” Überrascht durch seinen Widerwillen deutete sie auf sein Gesicht, das schon anschwoll.
“Wird auch wieder.”
“In Ordnung. Ich bringe dich trotzdem zu den Anconiten.”
“Wenn’s sein muss…”
“Ja, es muss.” Ira wusste schließlich aus eigener Erfahrung, wie es war, mit einem entstellten Gesicht zu leben.

Zwerge und Menschen droschen derweil wild auf etwas ein. Norsold hörte Knochen brechen und das seltsam schmatzende Geräusch, wenn Fleisch zu Brei geschlagen wird. Er fühlte sich an etwas erinnert. Doch bevor er diesem Gedanken weiter nachgehen konnte, tauchte etwas vor seinen Augen auf, dass er noch nie sah. Ein Raubtier. Vielleicht ein Wolf. Mit zwei sabbernden, zähnefletschenden Köpfen. Es rannte zwischen den Reihen der Pferde hindurch, sprang mit einem gewaltigen Satz auf den Wagen vor Norsold und stürzte sich dahinter in offene, ungeschützte Kehlen. Eines der Mäuler hatte sich verbissen. Speichel und Blut mischten sich zu einem roten Schaum. Norsold sah entsetzte, weit aufgerissene Augen. Das andere Maul schnappte weiter wie wild. Gierige Augen starrten in seine Richtung. Er löste den Hammer von seinem Gürtel.
Die Bestie schüttelte noch einmal ihr Opfer. Als sie sich ihm zuwendete, zertrümmerte er einen der Schädelknochen mit einem Schlag. Die Wucht des Aufpralls ließ die Bestie seitlich taumeln.
Es dauerte nur kurz, bis das Untier sicheren Stand gefunden hatte. Augenblicklich drehte es sich zu Norsold um. Der unversehrte Kopf kläffte laut und Speichelfäden spritzten aus seinem Maul. Der andere Kopf hing schlaff daneben. Es spannte sich und sprang ihm entgegen. Norsold ließ seinen Hammer fallen. Der Satz riss ihn von den Füßen. Schmerzhaft prallte er mit dem Rücken auf der Straße auf, die Bestie genau über ihm. Ihr Maul suchte nach seiner Kehle, und Norsolds Hände nach der ihren. „Du oder ich“, dachte er. Mit aller Muskelkraft versuchte er die Zähne von sich fern zu halten und drückte zu. Die Bestie wehrte sich heftig und kratzte mit allen vier Läufen. Er spürte das Feuer tiefer Schnitte in seiner Brust. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen. Ein Ruck und ein Knacken und das Untier erschlaffte. Norsold umklammerte noch immer die Kehle mit seinen Händen und blickte in die reglosen Augen. Dann legte er den Körper des Untiers neben sich ab. Auch er lag nun reglos da. Jeder Atemzug stach in seiner Lunge. Er starrte in den Himmel und fühlte sich an etwas erinnert. Die Geräusche um ihn herum verschwammen.
Ein breit gebauter, zwergischer Krieger in glänzender Kettenrüstung schob sich vor den Himmel und riss Norsold aus seinen Gedanken. Der Schmied erkannte, wie der Angroscho seinen großen Kriegshammer auf den Boden abstellte und ihm eine Hand entgegenstreckte.
“Mit bloßen Händen”, sagte er anerkennend und Norsold war überrascht, wie wenig Akzent in der Stimme des Zwergen lag. “Los, ich helf dir hoch. Du musst die Wunden rasch auswaschen und reinigen. Die Viecher übertragen sicher Krankheiten.”

Norsold starrte in das Gesicht des Zwerges. Er blinzelte. Dann ergriff er die ihm entgegengestreckte Hand und zog sich nach oben. Er musterte einen Augenblick das haarige Ding vor ihm, dann das Biest am Boden, und wieder den Zwerg. „Schöne Arbeit“, sagte er und deutete auf die Kettenrüstung. Er blickte auf seine blutende Brust herab. „Ihr habt Recht.“ Er hob seinen Hammer auf und stapfte los. Irgendwo hier musste doch das Mütterchen sein mit ihrem Wagen Bier. Sicherlich hatte sie einen Schluck für ihn übrig, und auch ausreichend Wasser um diesen Kratzer auswaschen zu können.

Odem des Frostes

In einem losen Verband, indem die Liepensteiner Ritterschaft noch die geschlossenste Formation bildeten, galoppieren die Ritter mehr oder minder auf direktem Wege über die Wiese, die sich von der Straße bis hin zum Waldrand recht eben erstreckte. Kleinere Unebenheiten stellten für die erfahrenen Reittiere kein Problem dar. Das Problem war der Beschuss, der anhielt, auch wenn die Schützen wohl nur eine Salve würden abgeben können, bis sie die Strecke bis zu ihnen würden überbrückt haben.
Drei Pfeile wurden von den Sehnen gelassen, doch der gefiederte Schrecken fand nicht in jedem Fall den Ort seiner Bestimmung, denn Pferde und Reiter boten im gestrecktem Galopp kein einfaches Ziel.
Zwei Pfeile gingen daneben. Rondralei sah mit stockendem Herzschlag im Augenwinkel, wie ein dünner Schaft knapp an ihrer Schulter vorbeiflog. Madalbirga rettete das Schlagen eines Hakens vor dem gefiederten Tod. Der für sie gedachte Pfeil ging ebenfalls ins Leere. Leonora hingegen, welche als einzige auf direktem Wege voranpreschte und dazu noch einen Vorsprung vor den anderen besaß, war es, als sackte ihr Pferd unter ihr zusammen. Der Bogenschütze hatte die Brust ihres Reittiers getroffen, dass zwar noch den Kopf wild hin und her werfend weitergaloppierte, dann aber im langsamerwerden zusammenbrach.
Leonora wurde zwangsläufig in Laufrichtung abgeworfen und landete hart auf dem Boden. Zum Glück hatte das Pferd zu diesem Zeitpunkt kaum noch Geschwindigkeit besessen, so dass sie es vermochte sich mit den vorgestreckten Armen zu bremsen und über eine Schulter abzurollen. Dennoch trieb ihr der Aufschlag auf dem Rücken zunächst einmal alle Luft aus den Lungen, ihr Körper war eine einzige Pein.
Noch etwas mehr als fünfzehn Schritt trente Leonora von den Bäumen und den Schützen. Als sie vorsichtig den Kopf hob und dies realisierte, preschten die anderen an ihr vorbei.
Was solls, dachte sich die junge Ritterin, möge der Verlust meines Pferdes nicht umsonst gewesen sein! Da in ihrer Rüstung Kette deutlich über Platte dominierte, war sie recht schnell wieder auf den Beinen. Ellenbogen und Schulter der linken Seite schmerzten besonders, weil sie den Sturz darüber abgefangen hatte, und auch der Rücken pochte dort, wo ihr Anderthalbhänder, den sie über der Schulter trug, beim Aufprall zwischen Körper und Boden geraten war.
Darüber hinaus war ihr Sichtfeld eingeschränkt: durch den Sturz waren Visier und Nasenbügel verbogen. Sie steckte ihr Korbschwert weg und löste mit einem schnellen Griff den Kinnriemen, um sich den hinderlichen Helm vom Kopf zu ziehen und an den Boden zu werfen.
In einen leichten Lauf verfallend, griff Leonora über die Schulter, um den Anderthalbhänder zu ziehen, und schloss zum Waldrand auf. Im Wald, da kannte sie sich aus, hätte Deckung. Sie würde vorerst nicht mehr wild auf die Gefahr zustürmen, aber die Bogenschützen zu stellen, das hatte sie sehr wohl vor. Wegen des Verlusts ihres Reittieres hatte sie ja noch eine Rechnung offen.
Die verbleibenden Reiter mussten derweil im Näherkommen mit ansehen, wie das Pferd der ihnen voran reitenden Ritterin zu Boden ging. Im nächsten Augenblick waren sie auch schon an ihr vorbei und erkannte, wie sich einer der drei Schützen fluchtartig in den Wald zurückzog und somit drohte aus ihrem Blickfeld zu verschwinden, während die anderen beiden damit vorlieb nahmen sich einfach eiligen Fußes hinter Bäume zu postieren und die Bogen ein zweites Mal zu spannen. Sie hatten in jenem Moment nur Augen für die Reiter, wie es schien. Leonora witterte ihre Chance.
Das Wäldchen indes war nicht sonderlich dicht, soweit man das erkennen konnte. Ein Ritt hinein wäre vermutlich aber dennoch nur für einen geübten reiter möglich, in keinem Falle aber im gestreckten Galopp.
Es war ein Glück, dass sie den Ruf zum Zangenangriff gehört hatten. Nur dadurch waren ihre Pferde derart weit voneinander entfernt geritten, um nicht unglücklich durch einem Fehlgegangenen Pfeil getroffen zu werden. Dennoch hatte Alrik mit bestürzen verfolgen müssen wie einer ihrer Gefährten zu Boden gebracht worden war. Unfähig den Zustand der Gestürzten zu überprüfen, konnte er nur hoffen dass sie sich bei ihrem Sturz nichts Schlimmes getan hatten. Verluste, noch bevor sie am eigentlichen Ziel ihres Feldzugs eingetroffen waren, waren weder für die bedrückte Stimmung noch für die Moral der Truppe gut.
Zu sehr durfte er sich in diesem Augenblick jedoch nicht damit beschäftigen. Jetzt mussten sie die Angreifer möglichst schnell erreichen und ihrem Treiben ein Ende bereiten. Auf keinen Fall durften sie entkommen. Tief in seinen Sattel gebeugt hielt er sein Schwert fest umklammert, während er sein Schild schützend über seinen Kopf hielt. Mit einem vornehmlichen: “Für Alveran!” Trieb er zugleich sein Pferd zu mehr Eile an.

Madalbirga sah eine Übermacht von Reitern auf die zwei verbliebenen Bogenschützen zueilen und wusste, dass ihr Schwert dort nicht gebraucht wurde. Es gab diesen dritten… Und vielleicht nahm auch bald einer der beiden anderen die Beine in die Hand. Und wer weiß, was noch in oder hinter dem Wäldchen lauerte. Sie ließ ihr Pferd weiter in ordentlicher Entfernung zum Wald galoppieren und behielt den Waldrand im Auge, ob sich ein verräterisches Blitzen von Metall zeigte. Sie wollte hinter den Wald kommen, um den Bogenschützen den Fluchtweg abzuschneiden. Auf dem freien Feld war sie ihnen an Geschwindigkeit deutlich überlegen. Dazu war sie begierig darauf zu sehen, ob hinter dem Wald Pferde oder sogar Verstärkung warteten - es war immer gut zu wissen, womit man es zu tun hatte.
Die Liepensteiner passierten im schnellen Galopp die gestürzte Ritterin. Eobans Herz raste. Die nächsten Pfeile würden nur ihnen gelten. Sie waren wie auf dem Präsentierteller. „Riganna rechts! Rondralei links!“ rief er den beiden Reiterinnen zu. Er wollte, dass sie jeweils einen Schützen von der Seite in die Mangel nahmen. Gezielte Hiebe vom Rücken der Pferde sollten die Bogenschützen niederstrecken. Die Frage war nur, was traf als erstes – der Pfeil oder das Schwert. Er wollte die Schützengruppe direkt konfrontieren. Vielleicht wäre das eine ausreichende Ablenkung für den Angriff von Riganna und Rondralei. Er schmiegte den Körper so gut es ging an den Hals des Pferdes. Mit dem linken Arm hielt er sein Schild. Kurz vor dem Wäldchen wollte er das Tempo drosseln und sich dem Rechten der beiden Schützen zuwenden – in der Hoffnung, das Schild möge den Pfeil von links abfangen oder Rondralei den linken Schützen erschlagen. Was den rechten Schützen anging – er betete, dass Riganna ihn erreichte, bevor der Bogen gespannt war. Und schließlich waren da auch noch die Klingen der anderen Reiter.
Die Reiterinnen hörten die Ansage von Eoban. Sie hielten den Körper flach, Schild am linken Arm, das Schwert fest in der rechten Hand. Im Galopp wollten sie die letzten Schritt überwinden. Riganna, die Schnellste in der Gruppe, wand sich nach rechts. Sie fixierte den Baum, hinter dem sich der Schütze vermutlich verbarg. Rondralei wand sich nach links. Sie hatte noch das Sirren des Pfeils in ihrem Ohr.
Der Plan Eobans ging auf. Zumindest der Teil, der besagte, dass Rondralei und Riganna die Schützen unbeschadet erreichen konnten. Er selbst kam dabei jedoch weniger gut weg.
Der erste der Pfeile durchschlug mittig seinen Schild. Etwas das bei solch niedriger Distanz schon einmal passieren konnte. Das Glück war auf Eobans seite, denn die Metallspitze schrammte lediglich seine Hand und wurde dann mit bereits geminderter Wucht von seiner Rüstung auf Brusthöhe aufgehalten. Der zweite Pfeil jedoch traf ihn an der rechten Schulter und drang tief ins Fleisch.
Mit einem Schmerzensschrei auf den Lippen wurde er durch die Wucht nach hinten gerissen und flog vom Pferd, welches einfach weitergaloppierte.
Rondralei erreichte den Waldrand und zügelte ihr Pferd. Sie holte zum Schlag aus und passierte den Baum, hinter dem sie den Schützen vermutete. Doch, da war niemand. Hektisch schaute sie sich um, um dann ihr Pferd wieder anzutreiben, tiefer in das Wäldchen hinein. Vielleicht hatte sich der Schütze oder die Schützin abgesetzt.
Auch Riganna erreichte den Waldrand. Sie sah noch, wie die Sehne des Bogens zurückschnellte und einen Pfeil verschoss. Er galt nicht ihr. Das Pferd war zu schnell und würde nicht zum Stehen kommen. Sie versuchte es mit einem gezielten Hieb. Hatte sie getroffen? Das Pferd donnerte weiter. Hinter einem breiten Baum wendete sie. Der nächste Schlag musste sitzen.
Eoban sah seine Gefährtinnen den Waldrand erreichen. Er hörte ein dumpfes Geräusch. Kurz spürte er brennenden Schmerz. Dann wurde es schwarz um ihn herum.
Als Riganna das Pferd gewendet hatte erkannte sie den zweiten Schützen auf unsicheren Beinen stehen. Es schien als wüsste er nicht, ob er umkippen oder sie angreifen wolle. Der Versuch den Bogen zu heben misslang, denn in seiner linken Schulter klaffte eine grässliche Wunde, Fleisch und Muskeln waren aufgeschnitten, Sehnen durchtrennt. Riganna realisierte, dass sie getroffen hatte- und wie. Es war ein Glückstreffer gewesen, der ihren Gegner Handlungsunfähig gemacht hatte. Ein Rinnsal von Blut quoll aus der Wunde und tränkte das Lederhemd großflächig.
Der Attentäter stand unter schock und doch ließ er den bis dahin immer noch umklammerten Bogen fallen und griff mit der rechten Hand nach dem Messer an seinem Gürtel.
Riganna zögerte einen Moment. Sie musterte den verletzten Mann. Was war seine Motivation? Sie dachte kurz über eine Möglichkeit nach, ihn zu überwältigen. Zumindest könnte er eine gute Quelle an Informationen sein. Da sah sie die Klinge in seiner Hand aufblitzen. Sie schaute sich noch einmal nervös um, bevor sie ihm zurief: „Lasst Eure Waffe fallen!“ Sie konnte den Mann nicht einschätzen. Also hob sie ihr Schild und bereitete sich darauf vor, ihn mit einem weiteren Schlag niederzustrecken.
Der Attentäter zeigte keinerlei Reaktion auf die Worte der Ritterin. Hörte er sie überhaupt? Anstelle Rigannas Anweisung zu folgen und so vielleicht seine Haut zu retten, stapfte der Mann behäbig und auf wackeligen Beinen los, lief auf sie zu und streckte die Klinge vor sich.
Das schmeckte Riganna gar nicht. Jeder andere würde sich vor Schmerzen auf dem Boden krümmen. Der hier aber stand, nein, lief noch. Was immer ihn antrieb, er war eine Gefahr. Sie verspürte keine Lust darauf, dieses Messer aus ihrem Pferd oder sich selbst zu ziehen. Also nahm sie wieder Tempo auf. Mit einem Schlag wollte sie den rechten Arm, die Schulter oder was immer nötig war, um dieses Messer von sich fern zu halten, zertrümmern. Sie ließ das Schwert auf den Mann niederfahren und traf das sich schwerfällig bewegende Ziel ohne Schwierigkeit, schließlich war der Kampf vom Pferd etwas, dass sie während ihrer Ausbildung immer wieder trainiert und somit verinnerlicht hatte.
Das dicke Lederhemd, welches der Kerl trug, konnte diesem, gezielt geführten Hieb nichts entgegensetzen. Tief schnitt die Klinge durch Leder, Fleisch, Muskeln und Sehnen, bis hinab auf das Schultergelenk. Der Mann aber Schrie nicht. Stumm wurde er durch die Wucht des vom Pferderücken geführten Schlags zur Seite geworfen.
Als Riganna das Pferd erneut wendete sah sie den nahezu abgetrennten Arm in einer unnatürlichen Richtung vom liegenden Torso des Attentäters Abstehen. Der Rest des Mannes, seine anderen Gliedmaßen zuckten noch, doch das würde nicht mehr lange anhalten.
Riganna hielt Abstand, drehte sich noch einmal nervös zu beiden Seiten und beobachtete dann ungläubig die Szenerie vor sich. Als das Zucken schwächer wurde, stieg sie behutsam vom Pferd. Sie wollte sichergehen, dass es vorbei ist. Ihre Finger spielten nervös am Griff des Schwertes.
Nach der letzten Regung des Attentäters lief sie geduckt zu ihm herüber. Sie ging um ihn herum und stellte sich an das Kopfende. Sie hielt einen Atemzug inne, setzte die Spitze ihres Schwertes an den Hals des Mannes und stach zu.
Riganna blickte noch einmal auf den Leblosen. Dann besann sie sich. Wo waren die anderen? Ihre Pferde waren in den Wald geritten, soviel hatte sie noch gesehen. Also wandte sie sich zur linken Seite, in der Hoffnung, Eoban, Rondralei und die anderen Streiter zu finden. Aus der Ferne hörte sie Schreie und ein seltsames Winseln.

Leonora suchte sich derweil den linken der beiden Bogenschützen aus. Der Baum, der ihm Deckung bot, verhinderte gleichzeitig, dass er ihrer gewahr wurde. Sie konnte nicht mehr unterbinden, dass er seinen nächsten Pfeil abschoss, doch so die Götter wollten, würde es sein allerletzter sein.
Da! Eine andere Reiterin hielt auf ihren Schützen zu - doch sie hatte sich im Baum geirrt, jagte hinein in den Wald. Entschlossen zog Leonora die Brauen zusammen. Drei, vier schnelle Sätze brachte sie an den Schützen heran, sie zielte auf die ungeschützte Stelle am seitlichen Hals des Schützen, und ließ ihren Anderthalbhänder wuchtig herabfahren.
Doch der Mann mit dem Bogen war durch die vorbeipresschenden Hufe gewarnt gewesen, er wusste, dass da noch mehr Aggressoren waren auf die er achtgeben musste. Behände tauchte er zur Seite weg, ließ seinen Bogen fahren und rammte Leonora die Spitze des Pfeiles, den er in der Hand hielt in den Oberschenkel. Es war eine reflexartige Bewegung.
Indes vermochte die Wucht des durch die Hand geführten Pfeiles nicht, die Kettenglieder des langen Hemdes zu sprengen, welches bis auf ihre Schenkel herabfiel. Ein Stechen, dort wo die Spitze die Kettenteile traf, das war alles.
Zu gleichen Teilen erschrocken und erbost, dass der Schütze sie beinahe verletzt hatte, schlug die Ritterin rückhändig mit ihrer Waffe nach dem Mann. Mit dem Manöver, ebenfalls instinktiv ausgeführt, wollte sie ihren Gegner nicht verletzten, sondern sich Raum schaffen. Die Zeit schien unwirklich langsam zu vergehen, die Blicke der jungen Frau und des Bogenschützen trafen sich, fixierten einander. Leonora hatte das Gefühl, jede Falte im Gesicht ihres Gegenübers erfassen und überdeutlich sehen zu können. Bei aller Feindseligkeit, die sie für ihren Gegner empfand, sah sie dort nur einen Menschen stehen, und das erschütterte sie. Während ihr Verstand derart beschäftigt war, führten ihre erlernten Kampfreflexe die Spitze ihres Schwertes in eine steile, elegante Kehre hoch über ihrem Haupt. Abermals schlug die Klinge diagonal nach unten.
Der Schütze hatte solch ‘Überlegungen’, wie sie die Menschlichkeit in manchen Situationen ganz natürlich gebot, derweil längst hinter sich gelassen. Leonora schätzte den Mann anhand seines von tiefen Furchen durchzogenen, ausgemerkelten Gesichtes auf etwa fünfzig Sommer. Was mochte er alles in den Schwarzen Landen gesehen, was erlebt haben?
Schon als die Ritterin ihre Waffe hochriss reagierte der Schütze, federte einige Fingerbreit in die Knie und Sprang.
Die Waffe fuhr hernieder, doch was den Attentäter traf war nicht die Klinge, sondern die Parierstange, die ihm im Flug gegen die Schulter schlug. Er stöhnte auf vor Schmerz, doch dann traf er mit voller Wucht in Leonora. Er mochte kaum sechzig Stein wiegen, dennoch reichte es aus, um seine Gegnerin von den Beinen zu holen - zumal diese, drahtig wie sie war, nur dank ihrer Panzerung geringfügig mehr wog als der Schütze. Gemeinsam landeten sie hart auf dem Boden.
Für Leonora war es der zweite Sturz des Tages, und als sie ein zweites Mal auf die schmerzende Stelle am Rücken fiel, drückte das alle Luft aus ihren Lungen, ließ einen kurzen Moment die Sicht verschwimmen. Panik erfüllte sie. Diesen Kampf hatte sie sich ganz anders vorgestellt! Vor allem hatte sie niemals damit gerechnet, dass sie diesen Kampf verlieren könnte. Doch nun, mit dem sehnigen Kämpfer über ihr, hatte sich das Blatt gewendet.
Die Ritterin, die längs ausgestreckt auf dem Boden lag, hielt ihr langes Schwert noch in ihrer Rechten und ließ es los, da es ihr in dieser beengten Situation sicher keine Hilfe war. Mit der Kraft der Verzweiflung schlug sie mit der Linken, den Panzerhandschuh zur Faust gebaut, nach dem Gesicht des Schützen. Die andere Hand tastete derweil nach dem Panzerstecher an ihrem Gürtel.
Ihr Gegner hatte aus Mangel an Optionen den Frontalangriff gewählt und schlicht gehofft die Ritterin übertölpeln zu können. Dies war ihm zumindest dem ersten Anschein nach gelungen.
Der Schlag mit der gepanzerten Hand jedoch wendete das Blatt von Neuem. Der Attentäter war benommen, verlor sogar kurzzeitig das Bewusstsein, denn seine Muskeln erschlafften, so dass er über Leonora zusammensackte. Sie spürte seinen stinkendem Atem, als sein Gewicht sie weiter zu Boden drückte.
Erst als sie den Panzerstecher frei bekam und in Händen hielt, kehrte das Leben in den Mann zurück. Stöhnend, hektisch, ja fast panisch versuchte er seine Hände nach oben, zu ihrem Kopf zu bringen.
Die Ritterin war jedoch geschult im Ringkampf. Mit beiden Armen umfasste sie ihren Gegner und zog ihn fest an sich heran, damit er längs auf ihr lag und seine Arme nicht nach oben bringen konnte. Mit einem kleinen Ruck schob sie ihre Hüfte nach links. Und mit dem rechten Bein presste sie fest gegen das Erdreich, so dass sich die Kombattanten drehten.
Leonora saß nun rittlings auf dem liegenden Bogenschützen, brachte den Panzerstecher, mit der Spitze nach unten weisend, zwischen sich und den Mann. Der ergriff seinerseits ihre Handgelenke und hielt nach Kräften dagegen. Die junge Frau beugte ihren Oberkörper herab, bis der flache, breite Knauf der Waffe auf ihrem Brustbein aufsetzte. Das Gewicht ihres Oberkörpers nutzend, drückte sie die Spitze des Panzerstechers stetig in Richtung der Brust ihres Gegners. Die Gesichter der beiden Kämpfer waren nurmehr anderthalb Spannweit auseinander, so dass Leonora erneut jede Falte des von einem harten Leben gezeichneten Antlitz des Mannes sah.
Grimmige Entschlossenheit, ja gieriger Mordlust in seinem Blick wich nach und nach, machte Verzweiflung und schließlich blanker Angst, Entsetzen platz, als der Widerstand seiner Muskeln zitternd brach und die Klinge mit einem Ruck, sowie einem unheilvollen Schmatzen in seinen Körper eindrang. Der Mann stöhnte auf. Fahrig glitten seine Augen hin und her bis sie plötzlich still standen und das Leben endgültig aus dem Attentäter wich.
Mit schreckgeweiteten Augen setzte sich Leonora auf, dann fiel ihr ein, dass sie sich inmitten eines Scharmützels befand. Gehetzt blickte sie sich nach unmittelbaren Gefahren um und keuchte erleichtert auf, als sie keine vorfand. Mit fahrigen Bewegungen den Dolch aus dem Körper und wischte die besudelte Klinge an dem Kittel des Toten ab. Mühsam stemmte sie sich nach oben. So fühlte es sich also an, ein Menschenleben zu nehmen... Wartete irgendwo eine Familie auf diesen Mann? Sie fühlte sich hundeelend. Das zerfurchte Gesicht mit den brechenden Augen würde die Ritterin nie wieder vergessen. Sie sehnte sich nach ihrem Zuhause, nach ihrer Mutter, spürte einen Kloß im Hals.
Ihr fielen die Worte des alten Sternenkundlers ein, der ihr vor wenigen Tagen prophezeiht hatte, Hochmut könnte sie zu Fall bringen, und sie würde nur mit Glück der Gefahr entkommen - oder so etwas ähnliches. Wie wahr er gesprochen hatte!
An der Straße sah sie den Hauptteil des Heerhaufens, ohne erkennbare Ordnung. Irgendetwas schien die Nachhut zu beschäftigen, denn diese schien sah besonders ungeordnet aus.
Leonora steckte ihren Dolch weg, ging mit unsicheren Schritten zu ihrem Anderthalbhänder und las ihn auf. Dann wandte sie sich dem Wäldchen zu. Hatte sie dort gerade Bewegung hinter den Bäumen gesehen? Alarmiert hob sie die Waffe.
Äste kratzten Rondralei durch das Gesicht. Das Pferd hatte Mühe sicheren Tritt zu finden. Wo auch immer der Schütze war, mit dem Pferd ging es hier nicht weiter. Sie hielt, schaute sich hektisch um und setzte ab. Geduckt und hinter hohem Buschwerk Deckung suchend schlich sie den Weg zurück. Ihr Pferd folgte in einigen Schritten Abstand. Brav, dachte sie, aber auch nicht so hilfreich beim Verbergen. Am Waldrand sah sie Bewegung. Rondralei verbarg sich hinter einer Baumgruppe. Sie sah eine Ritterin, die ihre Klinge säuberte … an dem Kittel des Bogenschützen? Sie schaute sich noch einmal um, und kam aus ihrer Deckung hervor.
Ah, eine Ritterin zu Pferd, die war doch aus dem Trupp der Liepensteiner. Leonora straffte sich, nickte der Reiterin zu… Da erinnerte sie sich, dass sie vor nicht allzulanger Zeit ebenfalls beritten war. Schnell wandte sie sich um. Ihre Rappstute lag etwa zehn Schritt weiter abseits. Die gleiche Distanz entfernt, aber mehr nach links, entdeckte sie einen weiteren Liepensteiner Ritter - nicht zu Pferd, sondern rücklings auf dem Boden. Ein Pfeil ragte aus seinem Körper. Leonora überlegte nicht lange, sondern machte sich auf den Weg zu dem Ritter, um nach seinem Befinden zu sehen und ihn vor möglichen weiteren Feindangriffen zu schützen.
Rondralei erwiderte das Nicken. Sie wollte gerade etwas sagen, doch das laute Schnaufen hinter ihr ließ sie zusammenfahren. Hastig drehte sie sich um. Ihr Pferd begann gerade fordernd am Gürtel zu ziehen und suchte nach der Tasche mit dem Zucker. Selbst wütendes Handgewedel brachte es nicht davon ab. Vermutlich hatte die viele Zeit mit Thobalt nachteilig abgefärbt – woher sonst sollte so schnell all diese Dummheit gekommen sein. Sie streichelte kurz den Kopf des Tieres. Als Rondralei sich wieder umdrehte war die Ritterin nicht mehr zu sehen. Wo waren eigentlich Eoban und Riganna?
Leonora wandte sich inzwischen dem Liegenden zu, beugte ein Bein. In Ermangelung einer besseren Idee rüttelte sie sanft an seiner linken Schulter. “Ritter…?”, sprach sie ihn behutsam an.
Es dauerte nur kurz, dann kam der Mann röchelnd zu sich und stöhnte schmerzverzerrt auf, als er ausreichend bei Bewusstsein war, seine Verwundung und die geprellten Knochen wahrzunehmen.
Der Pfeil, den ihn in die rechte Schulter getroffen hatte, war beim Sturz abgebrochen, doch hatte er Muskeln und Fleisch dabei noch mehr aufgerissen.
Irgendwo zwischen Schmerzen und Schwindel fand Eoban einen Rest von sich selbst. Was ist passiert? War es schon wieder Tag? Wer war das? Er brabbelte unverständlich vor sich hin. Plötzlich bemerkte er den brennenden Schmerz in seiner rechten Schulter. Er fasste mit der linken Hand danach und stieß dabei gegen den Pfeilschaft. Der Schmerz vervielfachte sich und er zuckte zusammen. Da fiel es ihm wieder ein. „Bogenschützen!“ Er setzte sich mit einem Ruck auf. Sein Körper dankte es ihm mit noch mehr Schmerz und Schwindel.
Leonora war versucht gewesen, den Verletzten wieder zu Boden zu drücken. Doch da er jetzt schon aufsaß, stützte sie ihn stattdessen an der unverletzten Schulter, brachte ihr rechtes Knie hinter seinen Rücken, damit er sich dagegen lehnen konnte. Ihre Waffe hatte sie dabei abermals fallen lassen. “Bleibt ruhig - Ihr seid in Sicherheit. ...Vorerst.”, beschied sie Eoban. “Bewegt Euch nicht zu arg. Ihr habt Euch einen Pfeil eingefangen.” Nicht sonderlich erfahren im Versorgen von Wunden, beschloss die Ritterin den Mann ein wenig zu Kräften kommen zu lassen, bevor sie weiteres veranlassten. “Mein Name ist Leonora von Heiternacht. Wie darf ich Euch anreden?”
„Einen Pfeil?“ Er schaute etwas ungläubig und fasste nochmal nach dem Ding in seiner Schulter. „Leo-lora? Wo sind.. die anderen?“
“So ähnlich”, kommentierte die Angesprochene die Verballhornung ihres Namens, während sie den Mann mit sanfter Gewalt daran hinderte, den gesplitterten Pfeilschaft zu befingern. “Die anderen sind im Wald und jagen Bogenschützen.” Sie sah sich um. “Und Euer Pferd ist ihnen wohl hinterhergelaufen.” Bedauernd sah sie sich zu ihrem Reittier um, das unweit von ihnen lag. Just in dem Moment hob die Rappstute schwach den Kopf hob und gab ein Schnauben von sich. Dies versetzte Leonora einen Stich.
“Wenn ich Euch stütze, könnt Ihr aufstehen? Ich mag Euch hier nicht alleine zurücklassen. Und ihr wollt sicher nicht ohne Euer Pferd von hier weg.” Behände ergriff Leonora ihren Anderthalbhänder und verstaute ihn in der Rückenscheide. Dann legte sie den linken Arm des noch immer unbekannten Ritters um ihren Nacken. Gemeinsam und mit einiger Mühe richteten sie sich zum Stehen auf. Den Verletzten stützend, führte Leonora Eoban in den Schatten des Wäldchens.
Eoban war zunächst irritiert, nahm dann aber dankend die Hilfe an. Er schleppte sich mit ihrer Hilfe in den Schatten der Bäume.
Rondralei schlich unterdessen weiter vorsichtig entlang des Buschwerks. Sie hatte sich in die Richtung gewandt, in der sie Riganna und Eoban vermutete. Sie hielt Ausschau nach den beiden und der Ritterin, aber auch nach weiteren potentiellen Angreifern, aber Bäume und Blattwerk versperrten ihr die Sicht. Aus der Ferne hörte sie Kampfgetöse und hin und wieder ein Aufheulen.
Nach nur wenigen Schritten hörte Rondralei vor sich ein Knacken und hielt inne. Schlich dort nicht jemand durch das Buschwerk? Dann sah sie eine goldene Haarsträhne und kurz darauf eine ihr bekannte junge Frau. Sie machte vorsichtig auf sich aufmerksam. Auch Riganna erkannte nun ihre Gefährtin. Die beiden tauschten sich zu dem Geschehenen aus, schickten einen Dank nach Alveran und wollten sich am Rand des Wäldchens auf die Suche nach Eoban und der Ritterin machen, als sie die Stimme einer weiteren Frau vernahmen, die beruhigend auf eine andere Person einredete, von der nur ein Ächzen zu vernehmen war. Aus der Richtung war weiteres Blondhaar zu sehen, in einer Flechtfrisur gebunden. Dann geriet die junge Ritterin mit Blondhaar in das Sichtfeld der Liepensteinerinnen. Auf sie gestützt war Eoban. Das Duo hatte sie noch nicht entdeckt.
Rondralei deutet ihrer Gefährtin stehen zu bleiben. Die beiden hielten inne und lauschten. Als Riganna die Ritterin und Eoban erblickte, ließ sie alle Vorsicht fallen, richtet sich auf und ging zügig auf die beiden zu. Auch Rondralei zeigte sich, suchte aber mit kritischem Blick weiter die Umgebung ab. „Was ist passiert?“, fragte Riganna. Eoban grinste geistig abwesend und deutete auf den Pfeil in seiner Schulter: „Pfeil…“ Erleichtert darüber, die anderen wiederzusehen, konnte dieser nun endlich wieder beruhigt die Augen schließen. Bis er kurz darauf von einer brennenden Ohrfeige zurück ans Tageslicht befördert wurde. „Hallo! Schön wach bleiben.“, fauchte ihn Riganna an. An Leonora gewandt: „Habt ihr etwas Wasser dabei? … Wie ist Euer Name?“
“Leonora von Heiternacht.” Verblüfft über die Grobheit, die der von ihr gestützte Ritter erfuhr, vergaß die Angesprochene, sich ihrerseits nach der Identität ihrer Gegenüber zu erkundigen. “Mein Wasserschlauch liegt unter meinem toten Pferd”, bedauerte sie. “Und wir suchen jetzt sein Pferd.” Der Zustand des Ritters neben ihr ließ keinen Zweifel daran, dass alle Initiative von ihr ausging.
„Ich habe nicht das Gefühl, dass er eine große Hilfe bei der Suche wäre.“ Riganna versuchte die Wunde zu beurteilen. „Setzt ihn am besten hier am Baum ab. Aber Vorsicht mit dem Pfeil. Das blutet ja saumäßig.“ Riganna half Eoban zu stützen. „Wir sollten ihn bald zu einem kundigen Heiler bringen.“ Sie wand ihr Gesicht zu Leonora. „Das mit Eurem Pferd tut mir Leid. …Ihr habt einen der Bogenschützen erledigt? Der zweite hat dort das Zeitliche gesegnet.“ Sie deutete mit dem Kopf in eine Richtung. „Habt ihr noch andere Schützen gesehen? Ich hätte mindestens drei erwartet. … Und was bei den Zwölfen ist auf der Straße los.“
“Ich habe drei Schützen gezählt. Einer ist in den Wald hineingelaufen”, entgegnete Leonora. “Anscheinend haben sie auch den Tross angegriffen.” Dann setzte sie den Ritter ab wie geheißen. Entschuldigend fügte sie hinzu: “Ich konnte ihn ja nicht dort liegen lassen. Neben ihm herumstehen, bis etwas passiert, wollte ich auch nicht. Ich wollte ja nicht, dass der Heerzug ohne uns weiterreitet.” Sie blickte auf: “Leider bin ich nicht wirklich bewandert in der Heilkunde. Wenn einer von Euch sich darauf versteht, könnte ich mit der anderen das Pferd suchen?”
Riganna schaute noch einmal auf den abgebrochenen Pfeil und musterte das blasse Gesicht Eobans. Dessen Augen verdrehten sich unnatürlich. Ein Speichelfaden rann aus seinem Mund. „Ich denke… Ich denke wir sollten ihn schnellstmöglich zum Tross bringen. Teilen wir uns auf. Ich winke jemanden heran. Und ihr sammelt mit Rondralei die Pferde ein.“ Mit ernstem Blick fixierte sie noch einmal die Ritterin. „Aber gebt Acht, im Wald ist noch der dritte Schütze. … und wer weiß, was noch.“
“Wenn Ihr…” setzte die Ritterin an. “Wenn Ihr… mir Euer Pferd… ich meine, also, ...ich würde Euer Pferd benötigen. Und Ihr… mit ihm…” Die Verlegenheit ließ sie rot werden. Aber ich passe gut darauf auf.” Leonoras Blick ging zum Waldrand, wo sie jenseits den liegenden Leib ihrer Rappstute auszumachen glaubte.
Für einen kurzen Moment entgleisten Riganna die Gesichtszüge. „Ja, … bitte, … ihr könnt mein Pferd nehmen.“ Die Worte schmerzten auf ihrer Zunge. Hatte sie das wirklich gesagt? Riganna warf einen Blick auf ihren treuen Gaul, der ein paar Schritt entfernt zwischen Buschwerk stand.
Die Kaldenberger Ritterin nickte, den Blickkontakt mit der anderen meidend. Ganz die erfahrene Reiterin herausstellend, begrüßte sie das Pferd zuerst und machte sich mit ihm vertraut, bevor sie sich auf den Rücken des Tieres schwang. Die Steigbügel waren etwas zu kurz für sie eingestellt, doch sie hatte ja nicht vor, bis nach Vinsalt zu reiten. Sie sah nach der anderen Reiterin, die dem Vernehmen nach wohl Rondralei hieß, und wandte das Pferd Richtung Wald.
Rondralei wechselte noch ein Wort mit Riganna. Auf ein kurzes Pfeifen hin kam ihr Pferd angetrottet, allerdings lahmer als erwartet. Rondralei setzte einen weiteren Punkt auf die Liste jüngster Marotten. Sie stieg auf, nickte der anderen Liepensteinerin zu und näherte sich der Fremden. „Rondralei [Familienname]. Wo wollen wir suchen? Im Wäldchen oder eher am Waldrand?“
“Dann lasst uns doch zuerst außen um das Wäldchen herumreiten. Vielleicht können wir so auch für das Heer aufklären.”, schlug Leonora vor.„Hm, auch gut. Wir sollten den Waldrand im Auge behalten. … Lasst uns wenn möglich rechts herum reiten.“ Rondralei musterte die andere Ritterin. „Habt Ihr keinen Schild? Das ist mutig.“ Sie riskierte noch einen Blick auf die Szenerie, die sich an der Straße abspielte. Dann hob sie ihren Schild zum Schutz der linken Seite und folgte der anderen.
Leonora lächelte nur schief, während sie dem Pferd sachte die Sporen gab.
Am anderen Ende des Wäldchens angekommen war keine Spur von dem dritten Schützen zu sehen. Madalbirga ließ ihren Rappen auslaufen und hielt inne, immer auf der Hut vor der Bedrohung durch einen erneuten Beschuss, doch da war niemand.
Dann vernahm sie plötzlich ein Geräusch, dass sich für sie anhörte, als würden Äste im Unterholz bersten. Etwas bewegte sich seitlich zu ihrer Position, nicht auf sie zu. Aber sie konnte nicht erkennen was es war.
Hatte der letzte Attentäter ein Pferd im Wäldchen abgestellt gehabt und versuchte nun mit ihm zu fliehen?
Ruhig zog Madalbirga ihr Schwert und ritt außerhalb des Waldes aber parallel zu dem Geräusch. Sie war sich unsicher - klang so ein Pferd? Selbst im Unterholz des Waldes erschien ihr dies zu laut dafür. Sie war auf der Hut und auch bereit, einen Warnruf auszustoßen - falls etwas großes und gefährliches aus dem Wald stürmen sollte. Trotz der Konzentration huschte ihr Blick auch immer wieder über die Umgebung, um nicht in einen Hinterhalt zu geraten.
Alrik hatte den Anschluss verloren, nachdem sein Pferd beim Hakenschlagen gestrauchelt aber nicht gestürzt war. Kurzerhand hatte er daher beschlossen der Rabenmärkerin zu folgen. Er hoffte, dass er für die beiden nicht geflohenen Bogenschützen nicht mehr von Nöten war. Schnell nahm das Gespann wieder Geschwindigkeit auf, doch Madalbirgas, deren Absicht für den jungen Rittersmann leicht zu durchschauen war, hatte Vorsprung.
Nun, nachdem er ebenfalls das Wäldchen umrundet hatte, musste Alrik mit wachsendem Schrecken mit ansehen, wie etwa fünfzig Schritt vor ihm entfernt ein weißer Hirsch- nein, die grausige Parodie jenes majestätischen Wesens auf Höhe der Rabenmärkerin durch das Unterholz brach und mit gesenkten, im Sonnenlicht gleißendem Geweih auf Pferd und Reiterin zuhielt.
Madalbirga selbst war für einen kurzen Moment zu gefangen, von der Fremdartigkeit dieses Reittieres und somit unfähig zu reagieren. Furcht drohte von ihr besitz zu ergreifen und ihren Untergang zu beschließen.
Als sie den Schrecken abschütteln konnte und wirklich Begriff was geschah, war es zu spät. Sie würde nicht mehr verhindern können, dass der Hirsch- mit einem Geweih aus purem Eis und mit einem Maul voller spitzer Reißzähne sie rammen würde. Die Frage war nur, ob die langen, dicken Eiszapfen nur ihren Rappen treffen würden, oder eben auch sie selbst und ob der Reiter dieser Firun lästernden Kreatur sie würde nach dem Zusammenprall überwältigen können oder nicht.
“Bei den Göttern!” Entfuhr es dem noch jungen Ritter vor Erstaunen, während er zugleich ein wenig bereute das er statt einer Lanze lediglich ein Schwert in dieses Gefecht führte. Zeit zum Hadern blieb ihm jedoch keine, denn jeder Augenblick den er wegen mangelnder Entschlossenheit verstreichen ließ erhöhte sich die Gefahr für die Rabenmärkerin. Die Ritterin gehörte nicht nur zu ihrem Zug, wenn er es richtig erkannte handelte es sich bei ihr um die Mutter seines Freundes Wunnemars, seinem Ordensbruder. Vor den Toren Elenvinas hatte er sich den Mitgliedern das Orgilsbundes verpflichtet, während er in Rommilys vor der Herrin Travia dem Schutze von Heim und Herd, von Schwachen und Schutzlosen, aber auch der Familie verpflichtet hatte. Auch wenn Angehörige seines Blutes fern waren, hier inmitten des feindlich gesonnenen Landstrichs waren die Mitglieder des Zuges das was einer Familie am nächsten kam.
Kurz entschlossen gab er seinem Ross die Sporen und ließ es lospreschen. Sein Griff schloss sich noch fester um den Knauf seines Schwertes, während sich die Distanz mit jedem Herzschlag merklich verkürzte. Gleichzeitig war Alrik als würde die Zeit zäh wie Sirup werden. Sie zog Fäden, die statt zu reißen immer länger wurden. Unvermittelt war er heran, bereit mit seiner Klinge nach der hirschgestaltigen Kreatur zu schlagen. ‘Herrin Travia, führe meine Klinge - auf das sie Schaden von dieser treuen Seele abhalte.’
Madalbirga musterte erschrocken die Kreatur, das war kein verirrter Bogenschütze. Kurz schätzte sie ihre Chancen ab der Kreatur durch einen Haken zu entkommen, sah die Hoffnungslosigkeit des Vorhabens jedoch ein. Ihr Rappe war in den Händen der Götter. Sie zog die Füße aus den Steigbügeln und hockte sich auf den Rücken des galoppierenden Pferdes, eine Hand fest am Sattelknauf, die andere fest um das Schwert geschlossen, dann erwartete sie den kurzen Moment vor dem Aufschlag. Das Geweih schien ihr die mächtigste Waffe der Kreatur und dieses würde im Pferd stecken. Sprang sie kurz vor dem Aufprall, sah sie Chancen neben oder auf der Kreatur zu landen und ihr Schwert getragen vom Schwung des Rittes und des Aufpralls in einem Hals oder gar Genick zu versenken. Leise intonierte sie ein Gebet an Firun. Dies war kein Kampf für Boron, der eisige Jäger prüfte ihre Stärke und ihren Mut.
Mit Schmatzen, dem Eindringen des Geweih in den Torso des Pferdes und einem vielfaches Klirren, beim Bersten einiger Teile der Eisschaufeln, erfolgte der Zusammenstoß, welcher die Ritterin vom Rücken ihres Reittieres fortriss. Die Trägheit dessen Masse bremste das unheilige Gespann fast unverzögert zum Stehen ab. kaum einen ganzen Schritt wurde das Ross zur Seite geschoben, wieherte, schrie erbärmlich vor Angst und Pein und drohte bereits im nächsten Moment zur Seite zu kippen, um elendig zu verenden.
Madalbirgas Klinge traf wie anvisiert den Nacken des Untieres und drang dort tief ein. Gleichzeitig jedoch stieß sie auf den Reiter, welcher von dieser Aktion so überrascht war, dass er den Halt verlor und sie beide eng beieinander zu Boden fielen.
Hart machten Attentäter und Ritterin, die sich im Flug nur wenige Handbreit voneinander getrennt hatten, bekanntschaft mit dem Boden.
Als Madalbirga wieder registrierte wo unten und wo oben war, blitzte ein Messer auf. Der Attentäter hatte es gezogen und war im Begriff sich aufzurappeln. Sie lag noch leicht benommen am Boden. Mit eisigem Schrecken erkannte Madalbirga, dass sie ihr Schwert verloren hatte, dies musste noch immer im Untier stecken. Was aber noch viel verstörender war, war die Tatsache, dass die Luft, die sie bei hektischer Atmung ausblies kondensierte, wie im Winter bei trockener Witterung. Raureif bildete sich auf ihrer Haut.
Zu spät hatte er seinem Ross die Sporen gegeben um noch vor dem Zusammentreffen von Kreatur und Verbündeter einzugreifen. So hatte er, während er sein stummes Gebet an die Göttin gerichtet hatte, nur mit ansehen können wie Madalbirga vom Rücken ihres Rosses aus einen Gegenangriff ausführte und sogleich von einem anderen Angreifer vom Rücken der Kreatur gerissen worden war.
Es reichte ein leichter Druck mit den Schenkeln um sein Pferd auf das neue Ziel auszurichten, vorbei am verendenden Pferd, an der unheiligen Kreatur und auch an der am Boden liegenden Rabenmärkerin. Die volle Wucht seiner Geschwindigkeit und seines Kraftvoll geführten Hiebes nutzend, ließ er sein Schwert auf den Angreifer niederfahren. Trieb den nordmärkischen Stahl tief in dessen Fleisch und riss es im weiterreiten ebenso brachial wieder aus dessen Leib heraus. Anschließend zügelte er sogleich sein Reittier und ließ es wenden, bereit es sogleich ein weiteres mal lospreschen zu lassen um und eine weitere Attacke zu reiten.
Ungläubig drehte sich der Attentäter hinter dem Gespann aus Ritter und Ross hinterher. Eisblauen Augen waren auf Alrik und auf das Schwert in seiner Hand gerichtet. Wie hatte die Klinge ihn, dessen Haut undurchdringlich war, wie ein dicker Eispanzer, derart verletzen können? Das war doch unmöglich oder nicht? Es konnte keine ‘gewöhnliche’ Waffe sein. Nein, sie musste einem der verfluchten Zwölf geweiht sein.
Verdammt! Der Attentäter rief von innerlicher Angst gepackt seinen dunklen Herren Nagrach an und flehte um Beistand. Nur ein Röcheln entrann derweil seiner Kehle. Er spieh Blut und doch bildete sich in der Wunde Eis, das die Blutung rasch beendete.
Der seines Geweihs verlustig gegangene Hirsch schüttelte unterdessen das mächtige Haupt, während Madalbiras Ross auf dem Boden aufschlug und seinen letzten Atemzug tat. Das Wiehern endete abrupt.
Alrik wollte seinem Pferd gerade erneut die Sporen geben, als er bemerkte, wie sich von den Füssen des Paktierers aus, denn um einen solchen musste es sich handeln, Eis über dem Boden um ihm herum kreisförmig ausdehnte.
Madalbirga, die inzwischen ganz in der Nähe des Paktierers wieder im Begriff war aufzustehen, musste mit ansehen, wie ihren Füße von dem Eis eingeschlossen wurden. Angsterfüllt kam sie hoch und trat auf der Stelle. In einem Winkel ihres Bewusstseins registrierte sie, dass der Attentäter ganz auf Alrik konzentriert war. Er dachte anscheinend nicht, dass von ihr noch eine Gefahr ausging.
Madalbirga stand wieder, trat auf der Stelle und merkte, wie rutschig und zugleich rasiermesserscharf das violette Eis unter ihren Stiefeln war. Sie würde neue Stiefel brauchen. Dann schob sie diesen Gedanken beiseite, zog ihren Dolch aus dem Gürtel und fixierte den Angreifer. Sie hatte nur eine Chance, während er abgelenkt war und auf Alrik achtete - sie wusste aber auch in welcher Gefahr er schwebte, hatte sie doch genügend Freude mit violetten Eispfeilen in der Brust sterben sehen. Fest auftretend und die Geräusche des knackenden Eises ignorierend - Stacheln hatten auch ihre Vorteile, wenn man fest genug darauf trat, hielten sie den Stiefel, der danach ohnehin kaputt war - und griff den Paktierer, denn ein solcher musste er sein, von hinten, um ihm den Dolch über die Kehle zu ziehen. Ein lautes “Firun steh mir bei, sei meine Stärke und schütze mich vor dem falschen Eis!” rief sie dabei ins Ohr des Paktierers, in der Hoffnung, dass es ihn zumindest ablenken würde.
Die Klinge glitt über den Hals des Attentäters, doch sie vermochte nicht den kleinsten Bruchteil einer Fingerbreite durch dessen Haut zu dringen. Der Paktierer jedoch, war von Madalbirgas Attacke so aus dem Konzept gebracht, dass er einen fast kopflos wirkenden Satz von ihr weg machte und somit Alrik nahezu den Rücken zuwandte.
Madalbirga jedoch ließ im selben Moment das Messer fallen. Ihre Finger waren steif vor Kälte und es war ihr, als sei jedwedes Blut aus ihnen gewichen.
Mit einem kräftigen Satz setzte sich Alirks Ross wieder in Bewegung. Es war nur eine kurze Strecke zu überwinden, dann prallte der massige Pferdeleib dem Paktierer in den Rücken. Wie trockene Äste knackten Knochen, ein Geräusch das sich mehrfach wiederholte als die beschlagenen Hufe des Pferdes niederfuhren. Behände sprang Alrik aus dem Sattel und schritt zum Feind hinüber. Den furchtbaren Verletzungen zum Trotz versuchte sich dieser soeben wieder aufzurappeln, so weit ließ es der junge Ritter jedoch nicht kommen. Mit einem kraftvollen Hieb ließ er sein Schwert niedersausen und trennte Kopf und Leib voneinander, ein erster Schritt auf dem beschwerlichen Weg die Rabenmark wieder zu einer Heimat für götterfürchtige Menschen zu machen.
Ein Geräusch, wie es entstand, wenn eine dicke Eisschicht auf einem See brach, erfüllte die Luft und eine verdammte Seele fuhr herab in die Niederhöllen.
Nahezu augenblicklich ebbte die überderische Kälte ab- die Luft erwärmte sich, ebenso wie sich das Eis bereits zu verflüssigen begann.
Kalt lief es dem jungen Ritter den Rücken hinunter. Die niederhöllische Kälte mochte gewichen sein, der das Grauen das die Feinde der Ordnung auf Dere anrichteten ließ ihn dennoch erschaudern. Trotz der Erleichterung den Paktierer zu seinen finsteren Herrn gesandt zu haben, war dennoch noch nicht die Zeit gekommen um die Aufmerksamkeit fahren zu lassen. Schnell orientierte sich Alrik und bezog dann sogleich Stellung um sich gegenüber der Kreatur zu wappnen. Das Schild erhoben und das Schwert fest umklammert, blickte er seinen Gegner an.
“Hohe Dame, seid Ihr unverletzt? Könnt Ihr kämpfen?” Erkundigte er sich gleichzeitig bei Madalbirga, ohne dabei den Blick vom Feind abzuwenden.
Madalbirga beobachtete die letzten Momente des Paktierers. Als sie sicher war, dass er nicht wieder aufstand, wandte sie sich der Kreatur aus Eis zu. “Ja, es geht mir gut und ich kann kämpfen”, sagte sie ruhig aber deutlich. Dann machte sie sich auf, ihr Schwert zu zurück zu bekommen. Sie war sich recht sicher, dass die Kreatur nun nach ihrem Herren vergehen würde, blieb aber vorsichtig, solche Kreaturen waren immer für eine Überraschung gut. Danach musste sie sich um ihr Pferd kümmern, aber der Feind ging vor.
Das Untier zögerte, schien für einen Moment unschlüssig und blickte die beiden Menschen fast scheu an.
Dann jedoch, als sich Madalbirga und Alrik schon fast in Sicherheit glauben wollten, röhrte der Hirsch markerschütternd und bleckte das Gebiss voller Reißzähne.
Langsam schritt das Untier näher, den wuchtigen Kopf mit dem immer noch scharfen, wenn auch abgebrochenem Eisgeweih hin und her schwenkend.
Nach Aas stinkender Atem schlug Ritter und Ritterin entgegen.
Für die bevorstehende Konfrontation war Madalbirga denkbar schlecht gerüstet. Mit einem Dolch würde sie weder gegen die Reißzähne noch gegen das todbringende Geweih bestehen können. Mit Schild und Schwert standen Alriks Chancen da deutlich besser, auch wenn er noch nicht so recht wusste wie der Kreatur begegnen sollte. Mit leicht gebeugten Knie, suchte sich der junge Ritter leicht einfedernd festen Stand. Den linken Fuß weiter vorn während der rechte Fuß um 90 Grad gedreht war, sodass er einen möglichst festen Stand hatte. Unvermittelt durchbrach er die Stille des Waldes, als er mit seinem Schwert gegen das erhobene Schild schlug. “Im Namen des heiligen Herdfeuers sollst du vergehen!”
Madalbirga ahnte, dass ihre Chancen nicht besonders gut waren. Sie behielt das Untier im Blick und schaute sich nach ihrem Schwert um. Nur mit dem Dolch würde sie kaum eine Chance haben. Vorsichtig das Untier taxierend bewegte sie sich langsam seitwärts auf ihr Schwert zu, auch wenn es bei der Kreatur zwar eine tiefe Scharte erzeugt hatte, schien dies die Kreatur nicht wirklich zu stören. Eine firungeweihte Waffe wäre nun das Mittel der Wahl, doch eine solche hatte sie nicht. und dann war ihr Schwert besser als der Dolch. Schritt für Schritt kam sie ihrem Schwert näher, erwartete aber jederzeit den Angriff der Kreatur. Ob sie intelligent genug war, ihr Ansinnen zu erkennen?
Das Vieh jedoch stellte keine solchen Überlegungen an, sondern reagierte auf Alriks Ausruf, die es als Aggressiv ihm gegenüber interpretierte und schwenkte seinen Kopf in Richtung des Jungritters.
Einen kräftigen Satz machte das Untier nach vorn, landete mit gesenktem Geweih und warf dann sein Haupt dank des kräftigen Nackens zur Seite, um Alrik mit den immer noch tödlichen Eisschaufeln aufzuspießen.
Mit erschrecken sah der junge Schwarzen Queller wie das Untier Anlauf nahm und auf ihn zuhielt. Mit seinem Tun hatte er genau diese Reaktion provoziert, allerdings hatte er nicht mit einem derartigen Erfolg gerechnet. Nur zu gern hätte er allen Mut fahren lassen und die Beine in die Hand genommen. Was aber würde ihm das bringen? Die Kreatur hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und war mit aller Wahrscheinlichkeit auch noch schneller als er. Wenn er also nicht wollte das ihm dieses Biest in den Rücken fiel, musste er wohl oder übel Standhaft bleiben. ‘Götter steht mir bei!’ Kam es ihm in den Sinn, als er seinen Körper hinter seinem Schild in Sicherheit brachte und so vor dem Geweih schützen wollte.
Die Wucht des Zusammentreffens warf ihn einen großen Schritt zurück. Nur weil sich dafür gewappnet hatte, hatte ihn dieser mörderische Angriff nicht umgeworfen. Taubheit war alles was Alrik in seinen Schildarm spürte, ob von der dämonischen Kälte oder dem Aufprall wusste er jedoch nicht. Doch auch wenn er nichts spürte, so war er sich dennoch der Tatsache bewusst, dass er seinen Schild unter jedem Umstand weiterhin schützend vor sich halten musste. Mit aller Macht stemmte er sich gegen seinen Widersacher, als desses tödlicher Kopfschmuck Scharten in den Schild kratzte.
Schnell nutzte Madalbirga die Situation um sich ihr Schwert zu greifen, dann fuhr sie herum und stimmte lauthals ein Gebet an Firun an, in der Hoffnung, das Vieh abzulenken. Dass Alriks Waffen mehr Effekt hatten, hatte sie schon gesehen - warum nur hatte sie nicht an eine Weihe gedacht? - so wollte sie seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dann zielte sie auf das Hinterbein der Kreatur und schlug zu in der Hoffnung, ihm so die Beweglichkeit zu nehmen. Sie legte viel Kraft in den Schlag, um das Eis zum Splittern zu bringen.
Bei weitem reichten Alriks Kräfte nicht aus um sich der unbändigen Kraft dieser Kreatur entgegenzustellen, hätten es vermutlich auch nicht getan wenn sein Arm nicht taub gewesen wäre. Anstatt sich also gegen die Überlegene Kraft zu stemmen, nutzte er diese zu seinem Vorteil. In einer engen Drehung, gleich einer Pirouette, brachte er sich von seinem Schild gedeckt neben den Kopf und stieß seine Klinge in den Hals der Bestie.
Nahezu zeitgleich drangen die Waffen der beiden Streiter in den die Schöpfung beleidigenden Körper des Untiers ein.
Der Hinterlauf wurde nahezu durchtrennt, was zur Folge hatte, dass das stinkende Vieh durch den Treffer am Hals röchelnd und Blut spuckend nach hinten zusammensackte, dabei aber die Vorderbeine widerspenstig durchgestreckt ließ, so dass es noch den Kopf samt Schaufeln im Todeskampf hin und her werfen konnte.
Die Anstrengung jedoch beschleunigten sein Ende, denn immer mehr roter Lebenssaft quoll aus dem Untier heraus.
Mit einem Satz nach hinten brachte sich Alrik auf der Reichweite der gefährlichen Schaufeln, wobei er sein Schwert aus dem Hals der Kreatur herausrausriss. Achtsam beobachtete er wie das Vieh verreckte und entspannte sich erst als es auch den letzten Rest seines unheilige Lebens ausgehaucht hatte.
Inständig dankte er den Göttern, dass sie ihm und Madalbirga während dieser gefährlichen Begegnung beigestanden hatten. Wobei sein besonderer Dank Travis galt, deren Weihe seiner Waffe er mit Sicherheit sehr viel zu verdanken hatte. Erst anschließend machte er eine persönliche Bestandsaufnahme. Beine noch dran. Arme noch da, auch wen einer von beiden noch immer ein wenig taub war. Allerdings zierten Scharten nun sein Schild und ganz offensichtlich war er doch nicht so rechtzeitig zurückgesprungen, wie er erst gedacht hatte. Sein Wappenrock war an der Schulter etwas zerrissen und zudem hatte es ein paar Kettenglieder seines Kettenhemd es aufgesprengt. Das eine würde er bei Gelegenheit nähen, das andere wird sich ein Schmied in Aktuell ansehen müssen.
Wieder knackte es im Unterholz! Drei Reiter - nein, es waren Reiterinnen, und derer nur zwei, die ein drittes Pferd mit sich führten - bahnten sich einen Weg durch den Wald.
Leonora und ihre Begleiterin waren durch den Kampflärm auf ihre Mitstreiter aufmerksam geworden. Die junge Kaldenberger Ritterin hatte ihr Schwert gezogen.Sie hob die Linke zum Gruß: “Was ist passiert? Benötigt Ihr Hilfe?” Ihr Blick huschte über die Szenerie - den kopflosen Rumpf des dritten Bogenschützen, die einem Hirsch ähnelnde Bestie. Dann wandte sie sich Madalbirga und Alrik zu, die sie - gleichwohl sie ihre Namen nicht wusste - als Mitstreiter des Heerzugs identifizierte.
Das Knacken im Walde hatte Alrik wieder vorsichtig werden lassen, sein Schwert fest umschlossen und das Schild wieder in der Hand hatte er ausgeharrt. Als er die Ankömmlinge jedoch als Nordmärker identifizieren konnte, ließ die Anspannung nach und er seine Wehr wieder sinken. “Mit dem Beistand der Götter konnten wir diese beiden Kreaturen in die Niederhöllen senden.” Wobei seine Schwertspitze erst auf den Rumpf des Paktieres und dann auf die hirschähnliche Kreatur wies. “Ansonsten geht es uns gut, auch wenn wir ein Pferd verloren haben.” Wie um sich zu vergewissern, blickte er dabei kurz in Richtung Madalbirgas. Zumindest initial hatte sie schließlich ihre Unversehrtheit kundgetan. “Ansonsten würde ich gern das da…” Angewidert blickte der junge Ritter auf die beiden niedergestreckten Freinde herab. “... gern verbrennen bevor wir weiterziehen.”
Madalbirga schaute nur kurz zum Wald und ignorierte die Reiter dann. Sie waren keine Gefahr. Sie wischte ihr Schwert im Gras sauber und ging zu ihrem Pferd. Es war bereits tot, was ihr ersparte, ihm den Gnadenstoß zu geben. So machte sie sich daran zu bergen, was noch brauchbar war. Zaumzeug, Sattel… Wie alt war das Pferd gewesen? Zumindest um es an die Hunde zu verfüttern taugte es auf jeden Fall. Damit wandt sie sich zu den Neuankömmlingen um. “Verbrennen ist gut, Feuer wird es nicht mögen. Dazu würde ich euch bitten entweder einen Zugochsen bringen zu lassen oder mit euren Pferden die Reste des meinen zum Zug zu schleifen. Zum einen wollen wir keine Raubtiere anlocken und zum anderen taugt es zumindest zum Hundefutter.” Das leben in ehemals besetzten Landen verlangte es alles zu nutzen, was brauchbar war, das hatte sie schnell lernen müssen.
Leonora war von ihrem (‘ihrem’) Pferd abgestiegen, das sich der unheiligen Kreatur nicht nähern wollte, um sich den Kadaver aufmerksam anzusehen. Sie staunte über die pervertierten Merkmale des Hirsches. Ein Schauer lief ihr den Rücken entlang, und zum ersten Mal begriff sie wirklich, was es wohl bedeutete, sich auf den Kampf gegen unheilge Kreaturen einzulassen. Die Worte der beiden Streiter rissen sie aus ihren düsteren Gedanken.
Zweifelnd blickte sie die beiden Kämpfer an. Weder hielt sie es für eine gute Idee, den Wald abzufackeln und eine große Rauchsäule zu schaffen, die Feinde in Nah und Fern auf den Zug aufmerksam machte, noch sah sie eine wirkliche Gefahr für das Heer durch herbeigelockte Raubtiere. Sie wollte jedoch ihre Gesprächspartner nicht offen brüskieren, indem sie Widerworte gab. Daher fragte sie vorsichtig: “Wollen wir das mit den Anführern unseres Zuges besprechen? Beides erfordert viel Arbeit und Zeit, und vielleicht wollen die Heerführer lieber schnell weiterziehen.”
Das Hauptaugenmerk des jungen Schwarzen Quellers lag noch immer auf Überresten der beiden unheiligen Kreaturen, sodass er beinahe etwas abgelenkt klang. “Wir müssen so oder so Meldung an den restlichen Zug machen und sei es nur um zu melden das hier vorerst keine weitere Gefahr besteht. Zudem wird es einige Zeit in Anspruch nehmen das Pferd…” Wobei er auf das tote Ross Maldalbirgas wieß. “... zu eben diesem zu schleppen. Doch so oder so, möchte ich das möglichst wenig von dieser Lästerung übrig bleibt. Auch habe ich gesehen dass auf dem Zug nach Mendena ebenso verfahren wurde.”
Madalbirga zuckte mit den Schultern. “Von mir aus. Aber damit es schneller geht, solltet ihr meinen Sohn und die anderen besser hierher holen. Und bringt ein paar Hunde mit, dann ist nicht mehr so viel vom Pferd zu schleppen.” Dann wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu und mühte sich, den Sattel unter dem gefallenen Pferd hervor zu ziehen.
Überrascht fragte Leonora zurück: “Ihr wollt hier bleiben? Ich…” - sie warf einen kurzen, unsicheren Seitenblick zu Rondralei - “...WIR... hätten Euch dieses Pferd angeboten. Vorübergehend. Damit Ihr schneller zum Heer zurückkehren könnt.” Kurz überlegte sie, wandte sich an Rondralei: “Dann… sage ich beim Heer bescheid und Ihr bringt das Pferd zurück zu seinem Herrn?”
Rondralei nickte stumm. Es war schwer zu erkennen, was genau sie beschäftigte. War es das tote Ungetüm vor ihnen? Oder die Tatsache, dass jemand sein treues Pferd an die Hunde verfüttern wollte?
Die Kaldenberger Ritterin verspürte den dringenden Wunsch, diesem verfluchten Wald so schnell wie möglich den Rücken zu kehren. Mit einem knappen Nicken - denn was hätte sie sonst noch sagen sollen? - stieg sie in den Sattel. Das Pferd war etwas unruhig, weswegen das Aufsteigen nicht so zügig vonstatten ging, wie Leonora sich das gewünscht hatte. Schließlich hatte sie die Aufgabe überstanden und gab ihrem Reittier die Sporen, um erneut den Wald zu umrunden und dem Heer Bericht abzustatten. Die Liepensteinerin folgte ihr.

Gütige Herrin hilf

Was für ein Schlamassel! Hildegund hätte am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Statt dessen aber siegte ihr Sinn für Pragmatismus und Dringlichkeit. Sie begann, den zerschundenen Leib Jolentas zu entkleiden - so weit zumindest, dass sie den Pfeil in der Brust ihrer Verwandten genau in Augenschein nehmen konnte. Sie pfiff durch die Zähne, als sie das vor Kälte blau verfärbte Gewebe an der Wunde sah und bemerkte, wie sich dieses, langsam und unaufhaltsam wie ein giftiger Pilz, beständig weiter ausbreitete. Ein wüster Fluch stieg angesichts dieses Anblicks in Hildegund auf und sie spürte, wie sich heiße Wut ihrer bemächtigte.
“Bringt mir Valeria!” zischte sie zu niemandem im Bestimmten, spuckte sich, Feuer in den Augen, in die Hände und umfasste den steckenden Pfeil, um ihn mit einem entschlossenen Ruck zu entfernen.
Nur kurz brauchte die in Rage geratene Edle warten.
Valeria hatte durch die lauten Rufe, den Stopp des Zuges und die donnernden Pferdehufe schon vermutet, dass etwas geschehen war und eilte von Sorge erfüllt zu den anderen Mitgliedern ihrer Familie, die sich wie üblich an der Spitze des Heerzuges befanden. Sie selbst hingegen war ihrer Profession folgend überall dort anzutreffen, wo sie Gutes im Dienste der Menschen zu tun vermochte.
Dann erblickte sie Jolenta, den Pfeil und sie erfasste das Ausmaß dessen was Geschehen war. Eisiges Entsetzen erfasste die Dienerin der Herrin des Lebens.
Um Jolenta, die auf dem Boden abseits der Straße gebettet war wachten einige Söldner, die dem Ritter aus dem Hause Nadoret unterstellt waren. Er selbst, Thankmar, Wunnemars Vater stand mit erhobenem Schild und wachem Blick in Richtung fernem Waldrand gleich neben dem Oberhaupt des Hauses Galebfurten.
Valeria musste mit ansehen, wie Hildegund Jolenta den Pfeil aus dem Torso riss. Sie kam gerade rechtzeitig, oder war sie zu spät? Sorge, Zweifel, Angst… all jene Gefühle drängten in ihr Bewusstsein, das Denken setzte für einen Moment aus. Schwer ließ sie sich auf die Knie fallen, als sie beide erreicht hatte.
Hildegund blickte auf und Valeria erkannte die Wut, ein Gefühl, dass so typisch war für das aufbrausende, impulsive Wesen der Jüngeren. Doch hinter der Fassade erkannte die Geweihte die stille Bitte, nein den stillen Schrei um Hilfe.
Valeria verkniff sich jedes weitere Wort, entkorkte ihr Fläschchen mit geweihtem Knoblauchöl und begann, großflächig die Wunde, Jolentas Stirn und Schläfen und Handgelenke zu salben. Mit geschlossenen Augen rezitierte sie ihre Bitte an die Göttin, fühlte die eisige Kälte, die sich unter ihren Händen sammelte und begann, kribbelnd in ihre Fingerspitzen zu kriechen.
“Gütige Herrin Peraine, ich bitte Dich, hilf dieser treuen Dienerin der Zwölfe, die von den Kräften der Siebtsphährigen geprüft wird. Hilf, den Gegner Deines Willens, deiner Ordnung, zurückzudrängen. Bitte leih’ mir von deiner Kraft, auf dass ich in deiner Gnaden Heilung bringe.” Sie schwitzte, holte tief und gierig Luft und fühlte, wie die dämonische Macht zusammen mit der Fahrt von Satinavs Nachen an ihr riß - zwei Kräfte, denen sie sich mit ihrem ganzen Sein entgegenstemmte. Entgegenstemmen musste. Wie einen kleinen Samen barg sie den Lebensodem Jolentas, dieser doch so kräftigen Frau, in ihrer Hand, hauchte den Lebensodem der Göttin darüber und musste doch erleben, wie ihre Finger blau vor niederhöllischer Kälte wurden.
Der eisige Jäger hatte sein Opfer gefunden und forderte es ein.
Valeria fühlte, wie die hoffnungslose Kälte ihre Arme emporwanderte und nach ihrem Herzen griff. “Lass los.” flüsterte ein Fauchen von wie von Eiswind in ihren Ohren, wortlos und doch unüberhörbar. “Gibt sie mir, sonst hole ich euch beide.”
Ihre Worte geforen in ihrer Kehle, als sie sich über den kleinen, geringen, Samen beugte.
“Bitte, Herrin, hilf!”
Zu mehr fand sie sich nicht mehr in der Lage. Doch zu klein, zu gering war sie wohl, um von der Göttin des Lebens und Wachsens bemerkt zu werden, nicht mehr als ein Krümel in der Krume von Perainens Acker. Gering. Wertlos.
Aber war nicht der Acker, gebaut aus geringen, wertlosen Krümeln, einer allein nichts wert, in seiner Gesamtheit das, worauf die Früchte wuchsen, was die unabdingbare Grundlage allen Lebens war. Ohne das nichts gedeihen konnte, ohne das Dere wüst wäre und leer?
Das kostbarste, was es gab - fruchtbarer, lebensspendender Humus, die Essenz allen Lebens?
Valeria fühlte, wie Zuversicht sie durchströmte, einem belebenden Frühlingsregen gleich, der wie der milde Segen einer Mutter das Land wachküsste und das letzte Eis des vergangenen Winters taute.
Den Frühling brachte.
Wärme.
Und Leben.
Von Valerias Händen aus breitete sich rosige Wärme aus, erfüllte sie, wie eine Sturzflut nach einem kräftigen Regenguss, die das dürstende Land netzt und gedeihen lässt, und floss durch den geschundenen Leib Jolentas, ließ das Eis bersten und trieb es von dannen, geschmolzen in kleinste Tropfen, die keinen Harm, keinen Schaden mehr in sich bargen.
In ihren Ohren klang das eisige Kreischen des Nordwindes, das verweht wurde und verklang von den sanften Geräuschen des Frühlings, plätscherndem Regen, raschelndem Gras und dem ersten Zirpen der Vögel.
Von Leben.
Ein Zuschauer hätte gesehen, wie sich die bleiche Haut Jolentas mit rosigem Leben füllte, sich die Wunde schloss und verschorfte, und die Frau einen tiefen, zitternden Atemzug tat, der sie zurückführte unter ihre Freunde.
Entrückt lächelnd, die Händen noch immer über Jolentas Brust, ein Strahlen wie vom ersten Licht der Morgensonne nach einer langen Nacht auf den Zügen, sackte Valeria über ihr zusammen.

Ein Haus zu führen

Der Angriff war vorüber. Der Heerzug oder besser seine Teilnehmer waren glimpflich davongekommen, bis auf einige. Jolenta von Galebfurten lag auf einem improvisierten Lager unterhalb einer rasch aufgespannten Zeltplane entlang der Straße. Valeria, ihre Schwester war bei ihr. Ihr verdankte Jolenta ihr Leben, denn das große Wunder, dass die Hüterin der Saat gesprochen hatte, war imstande gewesen der sich in ihr ausbreitende Kälte Einhalt zu gebieten. Indes, zurückdrängen konnte sie sie nicht.
Jost lag ebenfalls darnieder, fieberte. Auch ihn hatte ein dämonischer Pfeil getroffen, wenn auch längst nicht mit der verheerenden Wucht, wie dies bei Jolenta geschehen war. Den Pfeil des Hlutharswachters hatte sein Hofmagus wenn nicht aufhalten, dann zumindest dessen Geschwindigkeit soweit mindern können, dass er ihn nicht bis an die Schwelle des Todes gebracht hatte. Rhys Gwenlian hatte seine Wunde geheilt, der Hofkaplan kümmerte sich um die Essenz des Bösen in ihm.
Es waren zwei Stundengläser vergangen, als Wunnemar neben ihr niederkniete und Valeria einen besorgten Blick zuwarf. Die Geweihte jedoch schwieg. Es war Jolenta, die die Augen aufschlug und mit zittriger Bewegung die Hand ihres einstigen Pagen ergriff.
Sie sah um Jahre gealtert aus, ihre Haut war unnatürlich blass und so kalt, so nass wie Neuschnee. Mit zittriger, gebrechlicher Stimme begann sie zu sprechen und ein mahnender Blick Valerias verhinderte, dass Wunnemar ihr über den Mund fuhr, um zu verhindern, dass sie diese Anstrengung tat.
“Du bist jetzt das Oberhaupt unserer Familie Wunnemar. Valeria und ich sind uns einig. Wir sind die Generation, die gehen wird, deiner gehört die Zukunft.”
Ungläubig wechselte der Blick des Trossmeisters von Jolenta zur Geweihten.
Diese nickte nur stumm, hatte dann aber auch noch etwas zu sagen. “Lucilla, meine Tochter wird Aureus von Leihenhof heiraten und Erbvögtin von Galebquell werden. Sie wird die Ländereien im Gratenfelsischen übernehmen. Du jedoch wirst in absehbarer Zeit Herr von Tälerort sein. Golgari wird deine Großmutter bald über das Nirgendmeer bringen, Wunnemar, sie hört das Flügelrauschen des Raben bereits seit geraumer Zeit. Du, Wunnemar, darfst bei allem Leid, dass dir in deiner Heimat begegnen wird, nicht Galebfurten vergessen. Dort, an den Ufern der Galebra liegt das Gold unserer Familie, die reichen Kornfelder, die den Kampf Aldares, den Kampf für deine Zukunft mitfinanziert haben. Das Haus Galebfurten wird fortan von dir und Lucilla geführt werden, Oberhaupt jedoch wirst allein du sein.”
Die Hofprätorin des Barons von Galebquell wurde eindringlich. “Überdenke dein Gelübde und bitte die Kirche der Gans dir eine Queste aufzuerlegen, um von ihm befreit zu werden, Wunnemar. Dein Ansinnen, die Nachfolge durch Adoption zu regeln ist ehrenvoll, doch ein junger Mann wie du braucht eine Frau an seiner Seite bei allem, was das da kommen mag. Ich bin mir sicher, deine Talina hätte nicht gewollt, dass du alleine und ungeliebt alt wirst.”
Wunnemars Blick glitt wieder zur Ritterin. Er griff ihre Hände fester, wie in einem hilflosen Versuch ihr Stärke, Wärme zu schenken. “Ich gelobe dir darüber nachzudenken”, verkündete der Baronet. Es war mehr ein Flüstern, denn ein überzeugt vorgebrachtes Wort und doch wussten die beiden Frauen, dass dies ein erster, ein wichtiger Schritt war.
Jolenta lächelte und schloss sie die Augen. Ihr Leben lag nun allein in Peraines Händen. Wenn der Unergründliche sie abberufen würde, dann würde nichts unbestellt zurückbleiben. Sie war mit sich und der Welt im reinen.

Ein schwieriges Gespräch

Nachdem Wunnemar bei Jolenta gewesen war und sich ebenfalls nach dem Zustand seines Dienstherrn erkundigt hatte, suchte der junge Spross des Hauses Galebfurten den Schwiegervater von Jost auf: Rajodan von Keyserring, denjenigen, der dem Hlutharswachter gleichgestellt war, was Entscheidungen betraf, auch, wenn der Baron von Eisenstein dieses Privileg bisher nicht in Anspruch genommen hatte.
“Hochgeboren”, Wunnemar trat an die Seite des Adligen. “Ich würde gern über die zukünftige Befehlsstruktur sprechen. Seid ihr gewillt mich anzuhören?”
“Bitte.” kalt sahen die schwarzen Augen des Eisensteiners Wunnemar an. “Auch wenn ich vermutlich wenig beizutragen habe. Zu einer zukünftigen Befehlsstruktur.”
“Solange seine Hochgeboren von Sturmfels- Maurenbrecher darniederliegt und seine Lanzen nicht selbst befehligen kann, müssen wir meiner Ansicht nach einen anderen Befehlshaber benennen - jemandem, dem alle folgen können.”
Der junge Ritter senkte leicht die Stimme. “Mir ist bewusst, dass das Initiativrecht nicht auf meiner Seite lag, doch bestand dringender Handlungsbedarf, ansonsten hätten noch bedeutend mehr Menschen sterben können. Ziel des Angriffs war offenbar unter anderen gezielt die Führung des Heerzuges auszuschalten, um ihn dann empfindlich an seiner schwächsten Stelle zu treffen - zu demoralisieren. Seid ihr was die Vertretung des Barons angeht meiner Meinung?”
“Wobei soll ich eurer Meinung sein?” fast belustigt klang die Stimme des Älteren. “Ihr habt mehrere Punkte angesprochen. Dass das Initiativerecht nicht auf eurer Seite lag, ja da gebe ich Euch recht. Ob es Ziel des Angriffs war, die Heeresleitung zu schwächen, kann ich nicht sagen, und wenn ja, würde das bedeuten, dass die Feinde von unserem Vorhaben und über einige von uns sehr explizit bescheid wissen. Was ziemlich ungünstig wäre, da gebe ich euch Recht, insofern ihr das meintet, ohne es explizit zu sagen” Es folgte eine kleine Pause:
“Allerdings - und ich wies meinen Schwiegersohn bereits darauf hin - gibt es hier im Heerzug keinen Befehlshaber. Nicht derart zumindest wie wir alle ihn aus den vielen oder wenigen Kriegen, die wir mitmachten, kennen. Es kann nämlich keinen geben, da dieser Heerzug nicht von einem uns alle vereinenden Lehnsherrn befohlen wurde. Mein Schwiegersohn befehligte lediglich legitimerweise die Hlutharswachter, die Liepensteiner, die Ibenburger, die Meilinger und Rabenmärker Einheiten, da er dessen Lehnsherr ist oder diese von ihren Lehnsherren angewiesen worden sind, ihm zu folgen. Jost müsste also in Person diese Kämpfer anweisen, einem anderen zu folgen, den er ihnen benennt. Ein Versäumnis vermutlich dem frühen, unerwarteten Angriff geschuldet oder ich bin lediglich in Unkenntnis über eine solche Entscheidung. Alle anderen aber, die sich als Freie ihm angeschlossen haben, kann man nicht per Befehl zwingen jemand anderem zu folgen. Jost könnte diese lediglich bitten einem anderen zu folgen, solange er darnieder liegt… Würde sich jemand hingegen eine solche Befehlsgewalt anmaßen, verstöße das gegen die praiosgefällige Weltordnung.”
Nun ruhte sein Blick streng auf Wunnemar: “Jeder Lehnsnehmer, der sich denjenigen ohne ausdrückliche Erlaubnis seines Lehnsherrn unterordnete, verstieße ebenso dagegen. Denn wir alle sind unseren Lehnsherren verpflichtet und haben in deren Sinne zu handeln. Wo kämen wir hin, wenn jeder Mensch auf Dere plötzlich selbstständig anfinge denken zu wollen.”
Innerlich seufzte Wunnemar. Warum hatte er auch keine einfache und vor allem unverfängliche Frage stellen können? Er hatte Rajodan von Keyserring nicht nach den bisherigen Begegnungen einschätzen dürfen, denn bei diesen Gelegenheiten waren sie niemals allein gewesen.
Jetzt wusste Wunnemar es besser. Er verstand nun, was mit ‘Eisensteiner Spitzfindigkeit’ gemeint war - fürwahr, dieser Mann hatte eine gefährliche Zunge. Dieser Mann war allein durch das Wort eine potentielle Bedrohung für alle in seiner Umgebung, die sein Unmut auf sich zogen.
Dem jungen Ritter schauderte es. Niemals würde er mit Iradora tauschen wollen.
Wunnemar straffte sich und versuchte seine Antwort auf das Nötigste zu begrenzen. Diskutieren würde er mit Rajodan von Keyserring nicht, dieses Gefecht konnte er nicht gewinnen.
“Würdet ihr seine Hochgeboren bitten eine Befehlshaber für den Teil der Truppen zu benennen, die ihm unterstehen, so dass er in einem Fall wie dem Vorliegenden eine Vertretung besitzt?”, fragte der Galebfurtener und hoffte inständig, dass er dem Eisensteiner damit keine neue Angriffsfläche bot.
“Sobald mein Schwiegersohn wieder ansprechbar ist, werde ich das natürlich sehr gerne tun.” Er lächelte Wunnemar an: “Bis dahin sollten wir vielleicht das Lager aufschlagen und es sichern. Aber das ist nur meine Meinung. Und wie gesagt, mir fehlt die Befehlsgewalt so etwas anzuordnen. Aber nehmt doch meine Dienstritterin mit, dann könnt ihr die Einheiten abreiten und alle bitten zu rasten und das Nachtlager heute frühzeitig aufzuschlagen, bis die Verletzten versorgt sind. Freilich solltet ihr das Ganze nicht als Befehl ausgeben, da euch dazu die Befugnis ebenso fehlt wie mir, noch solltet ihr es zu sehr so wirken lassen, als sei die Heeresleitung gerade handlungsunfähig, denn das könnte das ganze Vorhaben gefährden.” Er grinste Wunnemar mitfühlend an: “Und daran ist mir wirklich sehr gelegen.” Seine Stimme verriet dem Jungritter, dass der Alte sehr wohl wusste, wie viel Wunnemar selbst dieser Zug bedeutete, wurden doch schließlich dessen zukünftigen Ländereien befreit. Und diese Zwickmühle, in der der junge Mann nun saß, gefiel dem Baron ausnehmend gut, was man an seiner Miene eindeutig ablesen konnte: “Ich bin überzeugt, eure Bundschwester weiß euch zu unterstützen, denn was ihr an handfester Ausbildung fehlt, macht sie mit einer speziellen Art von jovialer Redegewandheit wett.” Mit einem Nicken und einem lauten: “PLÖTZBOGEN”, verabschiedete er sich vom jungen Galebfurtener.
Der Trossmeister schloss kurz die Augen und atmete durch, nachdem Rajodan von Keyserring gegangen war. Er war erleichtert, das konnte Ira deutlich erkennen, als diese infolge des Ausrufes ihres Lehnsherren auf Wunnemar zukam.
Die Plötzbogen sah ihren Bundbruder irritiert an. “Der Baron schickt mich zu dir und meint, du würdest mir alles dazu erklären...also, was gibt’s?”
Der Galebfurtener schüttelte leicht den Kopf und grinste schief. Selbstironie sprach aus seinen Worten. “Ich bin so ein Idiot. Dein werter Herr Baron hätte mich mit seiner spitzen Zunge fast soweit gehabt, dass ich mich um Kopf und Kragen rede. Warum bin ich nur zu ihm gegangen?”
“Öhm...Weil du nicht auf mich hörst. Was sag ich immer?” antwortete Ira ihren Tadel mit einem Schmunzeln kaschierend. Sie wollte sich diese Gelegenheit einfach nicht entgehen lassen.
Ein Schnaufen und eine wegwerfende Geste später kam Wunnemar auf Iras Frage zu sprechen. “Wir sollten das Lager aufschlagen und es sichern”, zitierte er Rajodans Worte und war über sich selbst verwundert. Warum tat er das - natürlich, unterschwellige Angst. Dieser Mann war fähig jedwedes Wort oder Handlung gegen ihn zu verwenden.
“Wir werden den Heerzug abreiten und alle bitten dies zu tun, solange die Verwundeten versorgt und die Toten verbrannt werden.”
“Ach das.” Sie hob verstehend das Kinn. ”Ich dachte schon, wunder, was er da schon wieder von mir will. Gut, ich helfe dir dabei, klar, kein Problem. Ich…” Kurz zögerte Wunnemars Bundschwester dann doch und in ihr Gesicht schob sich Sorge. “... hab zwar Linje und vor allem Darek versprochen, dass ich nicht weit weg gehen werde - Linje hat Hunde verloren und Darek habe ich vorhin im Eifer des Gefechts gepfählt,” ein kurzes Schmunzeln bei letzterem, “aber Befehl ist Befehl, was?” Lächelnd entledigte sie sich ihrem Mitgefühl, schob es dahin zurück, wo es im Dienst für den Baron keinen Platz hatte und drückte Wunnemars Schulter.
“Wie ist das, sollen wir noch ein, zwei von den Jungs dazu holen?”
Der Trossmeister, der während Iras Worten kurz irritiert schien, atmete tief durch und schien froh über ihre aufmunternde Geste.
“Das ist eine gute Idee”, antwortete er erleichtert. “Du musst mir unterwegs erzählen, was beim Angriff geschehen ist. An wen von unseren Brüdern hast du gedacht?”
Sie wollte im ersten Moment alle außer Aureus vorschlagen, weil der in ihren Augen sicher keinen Kopf für so etwas Banales haben würde, dann dachte sie jedoch um. “Vielleicht tut es Aureus gut, wenn er Abwechslung bekommt. Das kann ich gern übernehmen. Reite du die eine Richtung ab, wir nehmen die andere. Das geht schneller. Und dann treffen wir uns bei Meisterin Tsaja. Ich hab Darek sowieso versprochen, ihm ein Bier zu bringen, mich führt also mein Weg in jedem Fall da hin. Dann erzähl ich dir alles. Im Gegenzug musst du mir berichten, was bei euch da vorne los war. Einverstanden? - ist Jost eigentlich schon wieder bei Bewusstsein? Und wie geht es deiner Tante?” Sie hatte bisher nur Bruchstücke gehört, wollte aber Wunnemar, der ihr gerade geistig erschöpft vorkam, nicht belästigen, in dem sie ihn jetzt um Details nötigte.
“Einverstanden”, bestätigte der Baronet Iradoras Vorschlag. “Ich frage Alrik, ob er mich begleitet.”
Zu den Fragen, die seine Bundesschwester gestellt hatte, hatte er in diesem Moment nicht viel zu sagen, außer ein konsterniertes “nein, noch nicht. Rhys meint aber er wird wieder. Jolenta…”, Wunnemar brach ab und zuckte mit den Schultern.
“Wir reden später”, sagte er zum Abschied, als er registrierte, dass sein Knappe Quendan mit Hesindigo, seinem Apfelschimmel, nahte.
Nickend hob die Plötzbogen die Hand und ging dann ihrerseits dazu über, den Auftrag auszufüllen. Indem sie als erstes Aureus aufsuchte. Unterwegs gab sie schon mal ‘im Namen der Führung’ die Anweisung aus.

Lektionen

Der Baron von Eisenstein stand neben seinem Pferd, es atmete schwach. Leichter Frost hatte sich auf seinem Fell gebildet und es machte auch keine Anstalten mehr aufzustehen.
“Vitold.” Der Dienstritter des Barons kam mit seinem Knappen heran, weil Rajodan nach ihm geschickt hatte.
“Ihr habt nach uns geschickt, Hochgeboren?! Wie können wir Euch dienlich sein?”, fragte der Ritter. Sein Knappe stand einen halben Schritt hinter ihm und grüßte stumm den Baron von Eisenstein mit einer Verbeugung.
Der Baron von Keyserring wandte sich aber überraschenderweise an ebenjenen Knappen: “Du warst mit in Mendena auf dem Heerzug?”
Folcrad schaute Rajodan überrascht an und antwortete: ”Ja, Herr.”
“Du hast dort getötet?”
“Nein, Herr. Damals war ich erst vierzehn, Herr. Die anderen Krieger waren älter und erfahrener, Herr. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, aber war meinem Ritter eher eine Unterstützung und wurde mehrfach von ihm gerettet, Herr. Inzwischen bin ich besser geworden Herr.”
“Es ist schwierig Kreaturen zu vernichten, die so machtvoll sind, wie die Dämonen, denen wir dort oder auch heute hier, begegnet sind. Dennoch ist es ungleich schwerer einen einfachen Menschen zu töten. Einen Menschen, der dein Freund sein könnte, wenn er nicht zufällig einen anderen Lehnsherrn hätte. - Dieser Umstand wird von vielen unterschätzt.” Er machte eine Kunstpause und musterte Folcrad.
Der Knappe schluckte, doch schaute er seinen Baron weiter an: ”Ich verstehe, Herr”, sagte er langsam.
“Deshalb muss so etwas geübt werden.” es folgte eine kurze Pause, in der der Baron zur Seite trat, um dem Jungen den Blick auf sein Pferd zu offenbaren: “Das Töten.” er musterte den Knappen eingehend.
“Heute gab es einen Angriff. Aber wir wollen dieses Unglück nutzen, wenigstens aus ihm zu lernen.” Er nickte Vitold zu. “Einen Menschen zu töten ist freilich schwerer, aber auch ein Pferd, kann jemandem, der noch nie getötet hat, einiges abverlangen. Es ist ein unschuldiges Wesen Rahjas und dient uns, trägt uns, schützt uns. Umso mehr verdient es keinen qualvollen Tod. Ich biete dir an, die Erfahrung des Tötens zu machen. An diesem Ort, geschützt durch den Tross. Geschützt durch deinen Schwertvater” Er sah den Jungen eindringlich an.
Entsetzt blickte Folcrad auf das mit widernatürlichem Raureif überzogene Pferd. Dann sah er seinen Schwertvater an. Dieser nickte kurz. Das Pferd röchelte und schnaubte, die Augen traten hervor. Folcrad zögerte, schluckte. Mit bleichem Gesicht sagte er: ”Es sei!” Dann zog er sein Knappenschwert, prüfte die Schärfe und zielte auf die Halsschlagader, denn das Herz würde er bei den am Boden liegenden Tier nicht erreichen können. “Möge Rahja deiner Seele gnädig sein”, flüsterte er. Dann stach er zu. Das Schwert glitt zugleich leichter, als auch schwerer durch den muskulösen Hals, als gedacht. Blutiger Schaum bildete sich am Maul des Tieres, als es einen gequälten Laut von sich gab.
Plötzlich stand Vitold hinter ihm. Legte seine Hände auf die des Knappen, drehte ihn ein wenig zur Seite und flüsterte: ”Du mußt es zu Ende bringen, sonst leidet es noch mehr.” Sanft drückte er die Hände hinab.
“Laßt”, sagte Folcrad, ”das muss ich allein schaffen.” Vitold nahm die Hände weg, blieb aber hinter seinem Knappen stehen. Folcrad nahm all seinen Mut und seine Kraft zusammen und schnitt den Rest der Kehle auf. Dampfend schoß das heiße Blut aus der Wunde und hätte den Knappen vollends besudelt, wenn Vitold nicht dessen Position verbessert hätte. Rasch entwich das Leben aus dem stattlichen und vertrauten Tier. Folcrads Hände zitterten, als er sich eine Träne aus dem Auge wischte. Dann blickte er seinen Baron an.
Kälte drang aus seinem Blick. Und Folcrad hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihm die Situation gefiel. Er nickte dem Jungen zu: “Gut gemacht. Nun sorgt bitte dafür, dass das Pferd mit den anderen toten Tieren verbrannt wird.”
“Ja, Herr”, der Knappe nickte kurz. Dann drehte er sich zu dem Kadaver um. Er zögerte kurz, da der Geruch von Eisen ihm beinahe den Magen umdrehte. Dann kniete er sich hin und löste den Sattelgurt und das Zaumzeug. Er würde beides reinigen und später seinem Baron überreichen. Dann besorgte er sich eine Zange, riss die Nägel heraus und löste die Hufeisen. Das kostbare Metall ließ sich noch wiederverwenden oder notfalls einschmelzen.
Vitold organisierte in der Zwischenzeit die Verbrennung der toten Tiere, gab seinen Männern Befehl, die Kadaver zu zählen und zusammenzutragen, Holz zu schlagen und aufzuhäufen. Alles Dämonische sollte in den reinigenden Flammen vergehen.

Entscheidung im Feuerschein

Es war bereits dunkel, als die Befehlshaber der einzelnen am Heerzug beteiligten Truppen sich um ein großes Lagerfeuer versammelten.
Mittlerweile war das provisorische Lager, das man in Spuckweite der Reichsstraße notgedrungen etabliert hatte, vollständig aufgebaut. Nun brannten ringsum Wachfeuer und es wurde stark patrouilliert, die Stimmung war angespannt seit dem Überfall am hellichten Tage. Dem zweiten in Folge!
Es hatte sich schnell nach dem Angriff herumgesprochen, dass der Ausrufer des Feldzugs, der Baron von Hlutharswacht, Jost Verian von Sturmfels-Maurenbrecher, von einem Pfeil verletzt worden war und noch immer darnieder lag. Manche wusste zu berichten, dass es gar ein dämonisch pervertierter Pfeil gewesen sei und er fieberte, während er gleichzeitig bitterlich vor Kälte fror. Nicht so viel Glück schien die Junkerin von Galebfurten gehabt zu haben: auch sie hatte ein Pfeil getroffen, aber anders als bei dem Baron hing ihr zerbrechliches Leben, so wussten die Stimmen, am seidenen Faden. Möglicherweise würde die Junkerin die nächste sein, die sie feuerbestatten mussten. Die Körper der Verstorbenen des Wolfsangriffs waren bereits in einer kleinen Zeremonie der Trauer den Flammen übergeben worden. Wieder einige Leben durch dämonische Hand ausgelöscht - dabei war der Heerzug den Schwarzen Landen zwar näher, aber immer noch fern genug. Trotzdem. Schon zum zweiten Male war man angegriffen worden, schon zum zweiten Male mussten sie sich von Freunden und Kameraden verabschieden. Das nährte eine seltsame Stimmung im Zug. Dass nun die Befehlshaber der vereinzelten Truppen zusammengerufen worden waren, trug vielerorts zu den Gerüchten bei, die Heerführung überlege die Mission abzubrechen und den Heimweg anzutreten.
Argwöhnisch beobachtete der Hofmagus des Barons aus der Entfernung die Zusammenkunft. Er stand vor dem Zelt, in dem man den Baron pflegte, beide Hände fest um seinen Stecken gefaltet. Er würde nicht Teil dieser Beratung sein. Wollte er auch gar nicht. Zu viele Worte. Möglicherweise zu viele Eitelkeiten, Meinungen. Er war gespannt, ob sie denn zu einer Entscheidung kämen.
Der junge Trossmeister hingegen erwartete die Barone und Ritter schon erfreut. Der junge weißhaarige Baronet und Dienstritter Josts, Wunnemar von Galebfurten wirkte aber auch leicht verunsichert ob der Situation. Eine Vertretung von Baron Jost als Oberkommandeur musste bestellt werden, jemand, der als Heermeister Befehle erteilen konnte, wenn der Oberkommandeur nicht in der Lage dazu war. So wie jetzt, wie an diesem Tag, durch diesen Angriff. Mehr noch, Befehle, die jeder bereit war zu befolgen, denn es gab keinen Lehnseid, der die Beteiligten einander verpflichtete und so war man auf ein gewisses Maß an Autorität und Vertrauen angewiesen.
Neben ihm standen bereits sein Vater, der großgewachsene Koscher Ritter Thankmar von Nadoret, und - als Vertretung der Familie Josts - die Base des Barons: die Ritterin Mersea von Sturmfels-Maurenbrecher. Ebenfalls am Ort eingefunden hatte sich bereits der Hlutharswachter Ritter Gundeland von Flusswacht, ein betagter Mittfünfziger und Erstes Schwert unter den mitgereisten Edlen Josts. Auch der Feldkaplan Hane von Ibenburg-Luring wartete dort.

Den Schwertmütter und -vätern war es natürlich freigestellt, ob sie ihre Zöglinge mitbrachten. Fast alle taten es, denn so ein Treffen konnte schließlich der Ausbildung dienen. So sah man auch einige Knappinnen und Knappen beisammen. Die jungen Herrschaften waren einerseits nicht befugt im Kreise der Befehlshaber zu stehen, sie mussten sich auf der anderen Seite aber gleichzeitig bereit halten, falls ihre Schwerteltern sie brauchten.
Einer von denen, die dort warteten war Quendan, der Knappe des Trossmeisters. Der hagere und für sein alter großgewachsene Bursche war einer der jüngsten unter den Heranwachsenden. Für den Hornisberger war es der erste Kriegszug den er begleitete, war er doch gerade dem Pagenalter entwachsen. So war es nicht verwunderlich, dass Quendan angespannt war. Der Überfall auf den Heerzug hatte seine Wirkung bei ihm nicht verfehlt, vor allem weil das Oberhaupt der Familie Galebfurten - die Frau, der er in seiner Pagenzeit gedient hatte - dem Tode nun näher stand als dem Leben. Er fürchtete um Jolenta, die Frau, die für ihn sieben Jahre lang so etwas wie eine Mutter gewesen war.
Nicht weit von Quendan, dem Sohn ihrer Schwertmutter, stand die Knappin Silvagild von Ulmentor. Die Achtzehnjährige mit den schulterlangen, dunkelblonden Zöpfen und Grübchen am Kinn wirkte nachdenklich. In ihren grünen Waffenrock, der von einem breiten, ledernen Gürtel geteilt wurde, konnte ein jeder erkennen, dass sie schon jetzt den Körper einer ausgewachsenen Frau hatte. Sie ließ ihre dunkelbraunen Augen über die anderen Knappin und Knappen schweifen. Es war schön auch mal die anderen beisammen zu sehen, denn bis jetzt gab es nur wenig Möglichkeiten für sie, die zukünftigen Ritter der Nordmarken kennen zu lernen. Ihre Schwertmutter Borontrud von und zu Hornisberg ließ sie nicht oft von ihrer Seite, umso mehr wunderte sie sich jetzt, das sie nicht direkt bei ihr war. Ja, der Schrecken des Feldzuges lag fast allen schwer in den Knochen. Und wer wusste schon, was da noch kommen mochte. Silvagild begriff, dass die friedliche Knappenzeit vorbei war. Nur die Knappen Berenz von Guglenberg und Folcrad von Schleiffenröchte waren älter als sie, die anderen jünger und irgendwie fühlte sie sich jetzt schon für diese verantwortlich. Im Scheine des Lagerfeuers versuchte sie die Gesichter der älteren Knappen zu lesen. ´Sollten wir den Jüngeren Zuspruch geben?´ Die Frage konnte sie sich nicht beantworten. Gespannt verfolgte sie das Aufeinandertreffen.
Den von Silvagild angedachten Zuspruch brauchten zwei der Jüngeren nicht wirklich. Den Knappen des Meilinger Anführers und die Knappin der Ritterin Mersea konnte man seit Rommilys immer wieder zusammen antreffen. Meist im Trio mit einem anderen Knappen aus Eisenstein. Es war jedenfalls nicht verwunderlich, dass die 15-Jährige Hetta sich dem Gespräch mit Berenz - ihrem Hlutharswachter Mit-Knappen, der allerdings 6 Jahre älter war als sie - sofort entzog, als Palinor mit seinem Schwertvater auftauchte.
Während sich sein Schwertvater zu den anderen Truppführern gesellte, kam Palinor zu Hetta herüber. Während er auf sie zu schritt, musterte er die versammelte Knappschaft. Sein Blick suchte vergeblich nach seinem Freund, Folcrad von Baldurstolz. Sitrnrunzelnd grüßte er das andere Kleeblatt ihres Trios. “Rondra mit dir, Hetta. Ist Folcrad noch nicht hier?” Wenn jemand wusste wo Folcrad war, dann sie … oder dessen Schwertvater.
“Nein, für die Truppen aus Eisenstein ist der Baron hier. Er kam mit ‘seinem’ Folcrad.” antwortete Hetta wahrheitsgemäß und deutete innerhalb der Runde Erwachsener auf den jungen Mann, der stolz, überheblich und mit kritischem Blick gleich seinem Schwertherrn im Schatten desselben stand. Den arroganten Schleiffenröchte konnte keiner von ihnen leiden, denn er glich seinem Knappenherrn aufs Auge.
“Ach so.” meinte Palinor bedauernd. Das hier hätte Folcrad mit Sicherheit interessiert und ihn auch von der Sache mit dem Fluch abgelenkt.
Als die Anführer der verschiedenen Truppen und Einheiten alle versammelt waren, trat eine Frau in den Feuerschein. Sie schmückte derselbe rot-weiß geteilte Wappenrock mit dem silbernen Maurenbrecher-Drachen wie ihn auch Baron Jost trug. Die Ähnlichkeit der Dreißigjährigen zu Jost war nicht von der Hand zu weisen. Räuspernd bat sie um Gehör, ehe sie das Wort an die immerhin mehr als zwei Hände umfassende Schar richtete:
“Hochgeborene Herrschaften, ehrenwerte versammelte Ritterschaft. Wer mich noch nicht kennt. Ich bin Mersea von Sturmfels-Maurenbrecher und spreche heute Abend für meinen Vetter Jost, der noch nicht wieder auf den Beinen ist, nachdem er durch einen der feindlichen Schützen mit einem niederhöllischen Eispfeil getroffen wurde. Es geht ihm soweit gut, dass sein Leben nicht in Gefahr ist. Dennoch vermag sein Zustand ihm noch nicht gestatten hier selbst das Wort an Euch zu richten. Daher werde ich es tun. Willkommen zu diesem Treffen!” Dabei nickte sie freundlich in die Runde.
Kunibald Gutbert Tsafelde hob zum Gruß der weitläufigen Verwandten den Bierhumpen, aus dem er mangels eines anderen Gefäßes verdünnten Rotwein trank. Sein Gesicht, das ein wenig an einen grimmigen Metzgerhund erinnerte, leuchtete im Feuerschein rötlich. Er sagte nichts und nahm noch einen Schluck.
“An meiner Seite in Vertretung Seiner Hochgeboren, der schwerverletzten Junkerin Jolenta von Galebfurten ist Herr Wunnemar.” Die Ritterin deutete auf den allen mittlerweile gut bekannten jungen Rittersmann, der nun auch einen Schritt ins Licht tat, und sich neben Mersea stehend allen ebenfalls mit einem Nicken zuwandte.
“Als Erbe Tälerorts, das zu befrieden wir in die Rabenmark reisen, wohnt er nicht in seiner Position als Trossmeister, sondern im Interesse des Hauses Galebfurten dieser Besprechung bei.”
Nach diesen einleitenden Worten fuhr die Ritterin fort:
“Warum dieses Treffen? Nun. Wie sich heute im hellen Licht des Herre Praios gezeigt hat, ist der Feind, gegen den wir ausgezogen sind, so feist und will nicht warten, bis wir die Schwarzen Lande erreichen. Er ist hinterhältig und bemächtigt sich dunkler Kräfte. Für alle diejenigen, die noch nichts davon wissen, muss ich an dieser Stelle erklären, dass wir vor heute schon einmal angegriffen worden sind. Kurz nachdem wir das Gallyser Land verlassen hatten. Da hat es nur wenige Personen direkt getroffen, und aus Schutz dieser sowie zur Abschreckung des Feindes gab mein Vetter Jost die Order aus, keine Panik entstehen zu lassen, weil das von der Gegenseite als Schwäche hätte erkannt und ausgenutzt werden können. Wir vermuteten zu jenem Zeitpunkt das Werk eines Einzelnen. Dieser zweite Angriff heute zeigt uns jedoch ein anderes Bild. Er war nicht nur gezielt auf den Initiator des Feldzugs gerichtet, sondern auch auf das Oberhaupt des Hauses Galebfurten, was den Schluss nahelegt, dass unser Feind bestens über uns, unsere Marschordnung und wer weiß, über was noch alles Kenntnis hat.” Die Sturmfels-Maurenbrecher ließ eine Pause zu.
Kunibald, Josts Bruder, gab halblaut etwas von sich, was dank seiner rauhen, schneidenden Stimme dennoch gut genug zu verstehen war: “Ich hab ihm gesagt, es ist gefährlich, wenn sich der Kopf eines Feldzugs zu weit exponiert. Er hätte viel besser bewacht sein müssen, viel weiter hinten. Verflucht, beim Namenlosen! Warum hat er nicht auf mich gehört?” Er hieb mit der blanken, groben Faust auf die Armlehne seines klappbaren Stuhls, von der Splitter wegstoben. Täuschte sich Mersea, oder glitzerten die Augen des Trappenfurteners bei den Gedanken an seinen verletzten Bruder?
Das aufkommende Murmeln erstickten jedoch weitere Worte aus dem Mund der blonden Ritterin, bevor es zu wirr werden konnte.
“Der Angriff der Eisigen Hetzer heute sollte wahrscheinlich der Verwirrung dienen und den kopflosen Heerzug herausfordernd seine große Schwäche aufzeigen: fehlende Kommandostruktur! Glücklicherweise ist dies nicht gänzlich gelungen. Da jedoch noch nicht absehbar ist, wann der Baron von Hlutharswacht soweit gesundet sein wird, dass er das Oberkommando wieder übernehmen kann, braucht es für den aktuellen Fall einen Befehlshaber, quasi einen “primus inter pares”, dem sich ausnahmslos alle hier anwesenden Befehlshaber in der Schlacht bereit sind, unterzuordnen, sowie schnell und unkompliziert dessen Befehlen zu befolgen, um die Gefahr möglichst effizient zu bannen und dem Feind keine Blöße - respektive Angriffsfläche im wahrsten Sinne - zu bieten. Der Herr Wunnemar, Seine Ehrwürden Hane,” sie deutete zu dem Praiosgeweihten, der sich bewusst noch abseits hielt, weil man ihn nur beratend dazugebeten hatte und weil er im Kreise der einzige war, der keine kämpfende Einheit ‘befehligte’, “und meine Wenigkeit kamen darüber ein, dass dieser jemand von allen Beteiligten ernannt werden müsse, da dieser Heerzug nun mal aus vielen einzelnen Einheiten besteht, die nur bedingt einer hierarchischen Struktur angehören. Was die Koordination im Falle eines Wegfalls des Oberkommandierenden natürlich erheblich erschwert.”
An dieser Stelle hob der Große Schröter, der Nadoreter, den Arm, um sprechen zu dürfen, was die Ritterin mit einer freundlichen Geste zuließ.
“Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich denen, die meinem Sohn Wunnemar gefolgt sind, als er das Schwert genommen hat, um den Tross zu schützen. Indes ist es als Trossmeister natürlich nicht seine Aufgabe. Ich bin mir sicher wir finden eine Einigung, wer so etwa dann zukünftig tun wird.”
“Gibt es Vorschläge? Stellt sich vielleicht jemand selbst zur Verfügung?” fragte die Base Josts und sah nun auffordernd in die Runde der Versammelten.
“Natürlich wäre er oder sie nicht allein gelassen.” Jetzt war es der Praiosgeweihte, der doch etwas sagte. Seine Stimme klang wie die eines liebenden Vaters, der unter seinen Kindern vermittelte. “Und es wäre eben nur für den akuten Fall, dass jemand den Oberbefehl übernehme muss, damit die Ordnung des Heerzugs bestehen bleibt. Denkt an unser Ziel, die Befriedung Tälerort und damit die Befreiung eines guten Stücks Schwarztobrische Lande! Götterfürchtigkeit darf kein Chaos zulassen, denn sonst gewinnen diejenigen schmählichst die Oberhand, die sich um die göttliche Ordnung einen feuchten Kehrricht scheren. Nordmärker, Mitstreiter, das müssen wir verhindern! Der Herr Praios steht uns zur Seite, und seine Gefährtin, die Frau Travia ebenso, wenn wir Zusammenhalt und Stärke beweisen. Nun, wer soll als ‘primus inter pares’ Stütze unserer gerechten Gesellschaft Gläubiger sein?”
Die meisten kannten die Junkerin und Ritterin Borontrud von und zu Hornisberg freundlich, ja oft fröhlich, wie ein strahlender Juwel, doch jetzt gab es kein Lächeln und sie wirkte ernst, wie eine eisige Nacht. Vorsichtig strich sich die Mittvierzigerin durch ihr dunkles, langes Haar das sie zusammengebunden trug. Wie gerne würde sie sich jetzt wieder einen Wehrheimer Bürstenschnitt verpassen, denn nun empfand sie ihr Haar wieder als störend. Bedächtig hörte sie zu. Mersea hatte recht. Es brauchte jemand der alle zusammenhielt, solange der Baron verletzt darnieder lag. Ihr Blick wanderte zu ihren Sohn Quendan, der jetzt Knappe beim Trossmeister war und dann zu ihrer eigenen Knappin. Es war Zeit als Vorbild voranzugehen. Borontrud hob die Hand. “Ich stelle mich zur Verfügung.” Ihr Gesicht wirkte kompromisslos und entschlossen.
Borix, der ja der einzigste Angroscho unter den Anwesenden war, hielt sich zurück. Ihm war es im Prinzip egal welcher Menschen des Befehl übernahm. Seine Aufgabe war klar umrissen, es sollte unterstützen und nicht führen.
Steil ragte eine der Augenbrauen des Hlûtharswachter Hofmagus auf, als die Hornisbergerin als erste das Wort ergriff. 'Die hat Eier', dachte Rhys mit einem innerlichen Schmunzeln bei sich.
Die Frau besaß regulär nur die Befehlsgewalt über zwei Haufen Bogenschützen und eine Lanze. Es gab Anwesende, die über deutlich mehr Streiter verfügten. Er musste sich eingestehen, dass er ihre Wortmeldung daher für unverfroren erachtete - doch gerade das gefiel ihm. Die Junkerin war keine Zauderin. Nein, sie ergriff eine Chance da, wo sie sich bot.
Quendan hielt den Atem an. Das war seine Mutter- seine leibliche Mutter, die da sprach. Voller Stolz, zugleich aber noch größerer Angst lauschte er ihren Worten.
Seine Gedanken rasten. Der Angriff am Tage hatte doch den Anführern des Heerzuges gegolten. Machte sie sich damit - indem sie anbot den Posten der Heermeisterin zu bekleiden - nicht zur Zielscheibe?
Überrascht von Borontruds Meldung, konnte Silvagild nicht anders als zu Quendan hinüber zu schauen. ´Eine mutige Frau´ ging es ihr durch den Kopf. Ein Gefühl von Stolz durchfuhr sie, doch dann kam die Erkenntnis. Sollte ihre Schwertmutter wirklich zur Stellvertreterin gewählt werden, würde auch die Knappin ihr folgen müssen. Aufmunternd nickte sie Quendan zu.
Dieser zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte das Lächeln der Älteren, doch sein Gesicht konnte Sorge und Angst nicht verhehlen. Angespannt lauschte er, wie es weiterging.
Kunibalds Blick sprang zwischen der Kusine Mersea und dem Praiosgeweihten Hane hin und her, bis die Junkerin Borontrud um das Wort bat. Er wirkte erleichtert, als sie sich meldete und klopfte wohlwollend auf seine Armlehne.
Sein Leibdiener Hasmuth, der wie stets in Sprungweite hinter dem Baronet wartete, missverstand das als Aufforderung an ihn: Eilfertig kam er heran und goss aus einem Weinschlauch wieder den Krug des Trappenfurteners voll. Niemand hatte gezählt, wie oft das bereits geschehen war.
Der Baronet scheuchte Hasmuth mit einem ärgerlichen Blick auf dessen Platz zurück, nahm dann aber doch einen weiteren Schluck, ehe er sich ohne erkennbares Schwanken erhob. Auch ohne seine auffällige Rüstung war er ein massiger, großer Mann, dem man sein ursprünglich tobrisches Blut ansah. Nicht umsonst trug er bei Verbündeten wie ihm weniger Wohlgesonnenen gleichermaßen Rufnamen wie ‘der Eber’ oder ‘der Brecher’.
“Ihr könnt Hochgeboren Jost natürlich nicht ersetzen”, hielt er fest, an Borontrud gerichtet. “Aber einer oder eine muss diese Schar zusammenhalten. Wenn mein Bruder Euch mitgenommen hat, soll mir das Empfehlung genug sein, Euch nicht von vornherein rundweg den Gehorsam zu verweigern. Aber ich bin mit meinen Leuten nur hier, weil ich auf Jost aufpassen wollte. Ich wusste, dass er als Kommandant was taugt. Jetzt erzählt mal, was Euch dazu befähigt.” Er blieb stehen, um der Hornisbergerin zuzuhören - eine von ihm ungewohnte Geste des Respekts.
Borontrud nahm einen tiefen Atemzug bevor sie antwortete. “Ich habe viele Jahre der Baronin von Meilingen als Kommandeurin der Landwehr gedient und später wurde ich an die Seite des Baron Roklan von Galebquell bestellt, als Ritterin die sich voll und ganz dem Schutze diesen widmet. In seinem Dienste war ich als Offizierin des galebqueller Heerhaufen in den Kämpfen um Dohlenfelde beteiligt. Ich weiß wie Frau ein Heer zusammenhalten kann und ich gebe immer alles, um das Leben meiner mir Anempfohlenden nicht unnütz zu opfern. Hesinde hat mir einen wachen Geist geschenkt und ich überlege vorher ganz genau. Sicherlich bin ich kein Baron Jost, doch werde ich mein Bestes für diesen Feldzug und dessen Ziele geben.” Selbstbewusst schaute sie in die Runde.
Wunnemar sah zu seinem Vater, als die Hornisbergerin das Wort abermals ergriff. Der Große Schröter bemerkte seinen Blick und nickte knapp, fast unmerklich. Eine weitere Regung war der Miene Thankmars derweil nicht zu entnehmen und doch schloss der Jungritter daraus, dass sein Vater mit dieser Wahl nicht unzufrieden sein würde.
Wunnemar selbst ging es ähnlich. Borontrud war die Mutter seines Knappen, die Familien Galebfurten und Hornisberg waren einander zugetan und den Junker von Hornisberg, Oberhaupt der Familie, und Jolenta verband gar eine enge Freundschaft so hieß es.
Auch der Eisensteiner war nicht unzufrieden. Diese Person schien dem naseweisen Trossmeister nahe zu stehen, hatte sie doch unverkennbar Ähnlichkeit zu dem Rotzlöffel, den der zum Knappen hatte. Und damit wäre Jost nicht unangetan und sie vertrat sicherlich mit mehr Herzblut die Sache als viele andere es getan hätten. Dennoch wollte er, dass alles rechtlich einwandfrei ablief: “Ich würde meine Dienstritter und ihre Trupps eurem Befehl unterstellen. Nur sagt, seid ihr vom Galebqueller Baron dem Hlutharswachter für diesen Heerzug unterstellt worden? Damit ist Jost von Sturmfels-Maurenbrecher hier im Moment euer Befehlshaber, ist das korrekt?” Das war dem Eisensteiner wichtig, denn nur dann wären die Befehlsketten sauber eingehalten und Jost könnte die Befehlsgewalt übertragen und ohne Schwierigkeit nach seiner Genesung wieder einfordern. Es wäre eine der saubersten Lösungen.
“Nein, euer Hochgeboren von Keyserring, ich bin von meinem Dienstherrin der Erbvögtin Jolenta von Galebfurten unterstellt worden und beauftragt im Falle ihrer.... Unpässlichkeit… seine Truppen weiter in seinem Sinne im Heerzug anzuführen”
“Hmm.” kam es vom Eisensteiner, dem es nicht gefiel vor aller Augen auf eine Wissenslücke hingewiesen zu werden. “Überaus weise von eurem Dienstherrn” presste der Baron nur hervor. “Doch auch dies ist mir recht. Solange ihr hier keinen Befehlsherrn habt, wodurch es zu Differenzen in den Befehlsketten kommen könnte. Sobald ihre Wohlgeboren von Galebfurten wieder pässlich sein wird”
“Ich werde euer Vertrauen nicht enttäuschen.”, antwortete Borontrud kurz und knapp.
Leonora schwieg zu allem und hatte keine Absicht, das Wort zu ergreifen. Sie wusste, dass sie nur aus Höflichkeit hierzu eingeladen war, und man ihre Wortmeldung weder erwartete, noch wirklich wünschte. Doch die Ritterin aus Kaldenberg beobachtete genau.
Sie hatte geringschätzend einen Mundwinkel herabgezogen, als die Junkerin von Hornisberg angemerkt hatte, sie sei “kein Baron Jost”. Was, bitteschön, hatte der Hlutharswachter auf diesem Heerzug bisher für großartige Leistungen vollbracht, außer mit seinen Beratern ständig am Prassen zu sein? Der Mann hatte sich seine Legende selbst geschaffen! Nicht, dass er in seinem Leben nichts vollbracht hätte: dank dieses “Kriegshelden” waren ihr Dienstherr, sowie die Frau und Kinder ihres Bruders tot. Wütend schnaubte die junge Ritterin und verschränkte die Arme, wobei ihr Rücken vom zurückliegenden Kampf unangenehm zog, so dass sie die Arme gleich wieder löste und stattdessen mit den Daumen in ihren Gürtel einhakte.
Auch Eoban von Liepenstein stand am Rand der Szene und beobachtete. Er selbst hatte keine Erfahrungen im Krieg gesammelt. Eine Tatsache, die ihm mit dem etwas unkoordinierten Sturm auf die Bogenschützen wieder bewusst wurde. Darüber hinaus war er nicht ganz munter. Die Schmerzmittel schienen nicht nur die Wunde, sondern auch den Geist zu betäuben. Er konnte sich kaum konzentrieren. Außerdem verspürte er fortwährend das Bedürfnis, die Hand auf die kaputte Schulter zu legen. Lange würde er hier nicht zuhören können.
Der Praiosgeweihte Hane musterte die Umstehenden. Es hatten noch längst nicht alle gesprochen. Selbst ein zustimmendes Boron sehr gefälliges Nicken hätte er gelten lassen, doch selbst das ließen einige der anwesenden Truppenführer vermissen. Er registrierte die Dankbarkeit, die ein paar von ihnen ins Gesicht geschrieben stand, und honorierte den Mut der Hornisberg zutiefst, weil sie gleich zu Beginn große Initiative gezeigt hatte. Trotzdem glaubte er zu wissen, dass die Bereitschaft der Galebqueller Ritterin andere zum Verstummen gebracht hatte, noch ehe diese die Möglichkeit gehabt hatten sprechen zu dürfen. Um jenen zu einer Wortmeldung zu verhelfen, aber auch, um mögliche Konflikte und somit Angriffsfläche für Einflüsterungen der Gegenseite zu vermeiden, wandte der Geweihte des Praios sich noch einmal an die Versammelten: “Gibt es denn aus dieser Runde noch weitere Nennungen oder Vorschläge? Oder sind etwa alle Anwesenden mit Borontrud von Hornisberg als Vertretung der Heerführung einverstanden? So sprecht denn jetzt.”
Tatsächlich ging eine Hand hoch. Sie gehörte einem älteren Ritter aus Hlutharswacht, auf dessen Wappenrock ein weißer Turm auf Rot über einem blauen Wellenschildfuß stand. “Mein Name ist Gundeland von Flusswacht. Ich bin Junker zu Flusswacht in Hlutharswacht und ich war lange Zeit das Erste Schwert meines alten Weggefährten und Freundes, dem Altbaron Ulfried von Sturmfels-Maurenbrecher. Ich verneige mich vor der großmütigen Entscheidung Frau Borontruds.” Er tat es tatsächlich und nickte der Ritterin huldvoll mit dem Arm vor der Brust zu. “Aber ich bin Hlutharswachter mit Leib und Seele, und das hier ist ein Hlutharswachter Feldzug. Wir reisen mit dem Heiligen Hlûthar auf dem Banner. Ich bin der Auffassung, dass das Kommando auch in Hlutharswachter Hand bleiben sollte. Und daher schlage ich Frau Mersea vor. Niemand repräsentiert nach seiner Hochgeboren Jost das Haus Sturmfels-Maurenbrecher und die Baronie besser, als sie.” erklärte er mit fester Stimme. Dabei deutete er auf die blonde Ritterin unter dem Drachen.
Palinor konnte bemerken, wie sich Hetta, die das Gespräch der Erwachsenen an seiner Seite verfolgte, die Glieder anspannte, als der Junker von Flusswacht ihre Schwertmutter vorschlug. “Och nee, bitte nicht,” murmelte die junge Albenholz erschrocken und schüttelte wie zur Abwehr schlechter Gedanken ein paar Mal den Kopf.
“Ich bin hier dabei, um die Rabenmark zu befreien. Nicht, um den Ruhm des Hauses Sturmfels-Maurenbrecher oder der Baronie Hlutharswacht zu mehren”, meldete sich eine blonde Ritterin, kaum älter als die Knappen, die nahebei standen, laut vernehmbar zu Wort.
Leonora von Heiternacht - besagte junge Frau - biss sich sogleich auf die Lippen und schalt sich eine Närrin. War ihr Vorsatz gerade noch gewesen, den Mund schön geschlossen zu halten, hatte sich wieder mal ihre Zunge schneller als ihr Verstand erwiesen. Und dann sagte sie auch noch so etwas dummes!
Sie spürte die Blicke der Versammelten auf sich ruhen. Nun lag es an ihrem Verstand schnell zu sein, um den Rückstand einzuholen. Nach einer kurzen Denkpause ergänzte sie etwas versöhnlicher: “Ich möchte der Anführerin mit der meisten Erfahrung folgen.”
Eigentlich hatte der Eisensteiner nicht vorgehabt sich einzumischen. Im Prinzip missfiel ihm nicht, wenn sich die Menschen in die Haare kriegten. Menschen, die emotional aufgerüttelt waren, gaben sich ihren Trieben hin. Ihren Impulsen. Und dann machten sie Fehler. Fehler, die er nutzen konnte, Fehler, die sie ihm ausliefern konnten. Daher genoss er Situationen, die aufgeladen waren mit Hass und Angst. Die stärksten Emotionen von allen. Aber hier- hier ging es um das Haus Hlutharswacht, das Haus seiner -zugegeben ungeboreren- Enkel. Dem einer von ihnen- so die Götter Jost nicht auf Golgaris Schwingen forttragen würden- vorstehen würde. Und diese Stimmung bei den Kaldenbergern? Interessant und beunruhigend. Und obwohl er es hasste die Stimme der Vernunft zu sein, wandte er sich ebenfalls an die Anwesenden:
“Ich gebe der Jungritterin bedingungslos recht. Wir sollten uns erinnern, welches Ziel wir verfolgen. Und ich denke, Frau Mersea sollte diese Aufgabe nicht aufgebürdet werden. Nicht für eine empfundene Pflicht, die keine solche ist, denn wie die junge Dame so trefflich sagte, sind wir nicht hier, um der Familie Sturmfels-Maurenbrechter zu Ruhm zu verhelfen, sondern für größere Ziele. Also sollte sich niemand gezwungen fühlen für die Familienehre diese Position einzunehmen. Die sehr gefährlich ist, wie ich betonen will. Lebensgefährlich. Und sollte sich mein Schwiegersohn nicht erholen, ist Mersea von Sturmfels-Maurenbrechter die einzige, die die Blutlinie ihrer Familie fortführen kann. Diese doppelte Last sollte sie sich nicht und wir ihr ebensowenig aufbürden. Ein sehr weiser und großmütiger Zug der jungen Kaldenbergerin uns daran zu erinnern, dass sich niemand aus der Familie des jungen Barons verpflichtet fühlen muss, ihn zu vertreten. Schließlich ist es unser aller Heerzug.”
Leonora konnte nicht sagen, was sie mehr irritierte: dass der Mann ihr zustimmte - oder dass er wusste, aus welcher Baronie sie stammte.
Auch Wunnemar und Thankmar sahen sich vollkommen verdutzt an. Hatte Wunnemar noch bei den Worten der jungen Ritterin die Luft angehalten, da überraschte ihn der alte Eisensteiner aufs neue. Dessen Reaktion auf die provokante Rede war… unterwartet. Aber der Baronet vermutete im nachhinein, dass sich dahinter Kalkül verbarg, er wusste nur nicht welches und das wurmte ihn innerlich.
Am Ende aber war es gleichgültig. Der Mann, dessen Zunge vermutlich spitzer war als sein Schwert, hatte tatsächlich richtig, beschwichtigend reagiert und allen den Wind aus den Segeln genommen, die nun vielleicht noch hätten aufbegehren, für Streit sorgen können.
Ja, Rajodan von Keyserring hatte der Sache der Galebfurtens, dem Ziel des Kriegszuges gedient mit seinen Worten und das sogar zweifach - er sprach sich für die Hornisbergerin aus und das auch gegen ein Mitglied des Hauses Sturmfels- Maurenbrecher, zudem hatte er aufkommenden Streit im Keim erstickt und das auf eine Art und Weise, die man ‘bemerkenswert’ nennen musste.
“Jetzt macht Euch mal keine Sorge um Blutlinie, Erbe und Nachfolge, mein lieber Rajodan”, grinste Baron Kunibald den Baron auf Eisenstein an. Es schien, als ahne der grobe Krieger, was in seinem Kopf vor sich gehe! Oder war dieser sich der hereditären Brisanz der momentanen Situation bewusst? Was Veriya, die ‘Hex von Trappenfurten’ ihren Söhnen wohl an Geheimnissen über ihn, Rajodan, aus jener Zeit erzählt haben mochte, als sie noch mitten in Gratenfels saß und mit ihrer Neugierde und ihrem Netz an Bekanntschaften viel zu viel gewusst hatte?
“Jost Verian ist Sohn unserer Mutter, und wir Tsafeldes haben schon immer Lösungen gesehen, wo andere nur Schwierigkeiten sahen. Das gilt auch für den Fall, dass eine Linie erlischt und eine neue gezogen werden muss”, holperte Kunibald durch die Metaphorik. Gleichwohl wurde den meisten Zuhörern deutlich, was er ausdrücken wollte: Altbaronin Veriya hatte es meisterlich verstanden, all ihre Kinder an prestigeträchtige und mit Pfründen gesegnete Stellen zu bringen, selbst in Grafen- und Fürstenhöfe. Josts Familie würde auch dann einen Weg finden, Hlûthars Wacht vor einem Heimfall des Lehens zu sichern, falls der Baron und Kusine Mersea beide kinderlos zu Boron müssten.
Kunbalds Miene verdüsterte sich wieder, zur im Feuerschein rot-schwarzen Grimasse eines Metzgerhundes: “Ich hoffe aber, dass die Zwölfe es nicht zulassen, dass mein Bruder vor seiner Zeit die letzte Reise antreten muss. Das wäre weder gerecht noch gut. Was gut wäre: Wenn noch jemand benannt würde oder sich selbst benennte…, benannte…, benennen würde halt..., der vielleicht auch als Anführer taugt. Dann hätte man eine Auswahl, und Konkurrenz belebt das Geschäft, sagt man. Warum nicht Ihr, Hochgeboren Rajodan? In der Schlacht auf dem Schönbunder Grün habt Ihr gezeigt, dass ein Kommandant nicht nur wissen muss, wie man kämpft, sondern auch, wann man nicht kämpft. Das könnte für unser aller Wohlergehen günstig sein.”
Der massige Kunibald setzte sich wieder in seinen mit einem Hirschfell ausgeschlagenen, klappbaren Armstuhl, der unter dem Gewicht von Mann und Kettenhemd ächzte. Über den Rand seines mit Wein gefüllten Bierhumpens hinweg blickte er nach Hasmuth und deutete dem Leibdiener, ihm noch einen Teller mit Braten und Brot zu bringen.
“Dass eure Familie sich darauf versteht, aus allem, was das Leben ihr - um es mit eurem Wortschatz zu sagen - vor die Füße scheißt, etwas zu machen, ist mir bewusst.” reagierte der Angesprochene vermeintlich gelassen und blickte demonstrativ in Richtung des sich fläzenden Ritters.
Kunibald riss gerade mit den Zähnen einen großen Bissen fettigen Fleischs aus einem Brocken, den er in der linken Pranke hielt. Er schien die Wortwahl Rajodans nicht als Beleidigung wahrzunehmen, sondern nickte beifällig und kaute mit offenem Mund.
“Ich wollte nur anerkennen, dass die Ritterin der Baronie Kaldenberg einen so klugen Einwand brachte, Wohlgeboren”, nickte der Eisensteiner Leonora zu, um den Punkt noch einmal zu betonen. “Und selbstverständlich gebe ich euch recht, dass es am besten wäre jemanden zum Befehlshabenden zu machen, der sich auf...”., er hob eine Augenbraue leicht an, während sein Blick auf dem Baronet ruhte, “...Selbstkontrolle versteht.” Dann wandte er sich an die anderen Anwesenden, indem er seinen Kopf von Kunibert abwandte: “Und ich bin überzeugt, dass die vorgeschlagene Ritterin diese Anforderung ausgezeichnet erfüllt. Außerdem zeichnet sie eine enge Bindung zur Baronsfamilie unserers Zielgebiets aus. Was in diesem speziellen Fall ein Vorteil ist, den wir nicht leichtfertig verschenken sollten.”
Orina von Bregelsaum, Rechtsgelehrte und Vertreterin gleich zweier Häuser war ermüdet von den Anstrengungen und Schrecken der letzten Tage. Ihr oft als so ansprechend empfundenes Äußeres hatte sehr gelitten. Die Haare zerzaust und ihr Blick ruhte oft lange gedankenversunken an einem Ort. Eine seltsame Beklommenheit hatte sich in ihrem Inneren breit gemacht. Sie hatte nicht gedacht mit diesem doch ansehnlichen Trupp, so schnell in solche Schwierigkeiten zu geraten. Nicht mit solch verabscheuenswerten Taktiken gerechnet.
Mit der Hand das Schaftende ihres schweren Elenviner Reiterhammers, den sie neuerdings neben ihrer Klingenwaffe auch zu Fuß trug, fest umgriffen, trat sie einige Schritte vor, um das Wort zu ergreifen.
„Verehrte Anwesende, Edelfrauen und Edelmänner, ich denke, wir sollten uns generell besser koordinieren und unsere Truppen eventuell ganz unter einem Anführer zusammenführen. Weshalb wir hier ja auch zusammengekommen sind. Mein erster Gedanke ging dahin, selbst mit einigen kleinen Einheiten dem Verfluchten Pack kleine Angriffe als Nadelstiche zuzufügen. Irgendwo müssen ja auch sie sich sammeln und koordinieren, ja, uns auflauern und uns beobachten. Zumal es mir widerstrebt, einfach weiter zu marschieren und wie eine Herde Schafe abzuwarten, was die nächste Stunde oder der nächste Tag so bringen mag und zu hoffen, dass der Gefährte neben mir diesen noch erleben wird. Allerdings kann ich nicht einschätzen was diese Dämonenanbeter noch für uns parat haben und ob diese kleinen Einheiten nicht einfach im Handstreich aufgerieben werden und uns so noch mehr schwächen. Ihr seht meine innere Zerrissenheit, die mir sagt, dass es mit Sicherheit bessere Anführer als mich heute hier unter uns gibt. Ich schlage Junkerin Borontrud von Hornisberg als Anführerin vor. Wir sollten uns auf jeden Fall einiges von unseren Freunden, den Angroschim abschauen, so denke ich. Ein einheitliches Hornsignal für Kommandos an jedem Teil des Zuges hat gefehlt. Möge uns für den weiteren Weg der heilige Urischar beistehen.“
Die Frau sprach ihm aus der Seele. Es beruhigte Wunnemar, dass andere dachten wie er, also nickte er Orina dankend zu. Der Große Schröter hingegen fand nun den Zeitpunkt gekommen selbst Stellung zu beziehen. “Ich spreche mich ebenfalls für Borontrud von Hornisberg aus”, sagte er mit seinem tiefem, wohlklingenden Bass.
Und der Trossmeister fühlte sich durch die Worte seines Vaters ermutigt es ihm gleich zu tun: “So tut dies das Haus Galebfurten.”
Mit bedächtiger Miene verfolgte Borontrud die Worte der Anführer. Auch wenn nicht jeder mit ihr zufrieden war, so waren es immerhin die Meisten. Überrascht hatte es sie, das es viele waren und vor allem wer. Mit jeder Fürsprach wuchs ihr Selbstbewusstsein den richtigen Schritt getan zu haben. Flüchtig wanderte ihr Blick zu ihrer Knappin und ihrem Sohn. Sie hoffte das sie ihnen nun zeigen konnte, das Hesinde ihr nicht nur einen wachen Geist, sondern Rondra ihr eine gute Portion Mut geschenkt hatte. Doch noch wartete die Junkerin ab, bis sie offiziell zur Anführerin ausgesprochen wird.
Der junge Hornisberger erwiderte das Lächeln seiner Mutter zaghaft. Die Freude darüber wer und vor allem wie viele sich für sie ausprachen konnte man Quendan durchaus ansehen, doch vermochte dieses Gefühl nicht die Sorgen zu überflügeln. Nein, für den Knappen des Trossmeisters war der Schrecken der Dunklen Lande seit dem Angriff auf den Heerzug real, er besaß nun eine fassbare Gestalt, nein vielmehr Gestalten, die ihnen nach dem Leben trachteten.

Der Praiosgeweihte wartete noch einen Moment. Er wollte niemanden übergehen. Dann, als es still blieb, war der Moment gekommen, dass er dem Unternehmen seinen Segen und damit die Befugnisse an die Gewählte übergab. “Nun, wenn niemand der Anwesenden mehr sprechen möchte…” Er deutete auf die Ritterin mit dem Drachen auf der Brust. “Was ist mit Euch, Frau Mersea, ist die Entscheidung für Frau Borontrud als zweite Anführerin dieses Heerzug statt Eurer Person in Eurem Sinne?”
Mersea von Sturmfels-Maurenbrecher nickte. “Das ist sie. Frau Borontrud hat selbstverständlich meine volle Unterstützung!” Sie warf der anderen ein Lächeln zu, ehe sie den Kopf zu dem alten Ritter drehte, der sie als Gegenkandidatin der Hornisbergerin vorgeschlagen hatte. “Onkel Gundeland?”
Der Angesprochene räusperte sich und nickte ebenfalls. “So sei’s.” brummte er.
Jeder Befehlshaber wurde angeblickt und nachdem jeder zugestimmt hatte - Baron Kunibald tat dies mit einem Grunzen, aß und trank ungerührt weiter -, fuhr der Geweihte des Götterfürsten fort: “Dann halte ich fest, dass diese Versammlung die hohe Frau Borontrud von Hornisberg zur Kommandierenden im Falle eines Ausfalls des Oberkommandierenden, so wie es aktuell der Fall ist, bestimmt hat”, fasste der Praiosgeweihte Hane zusammen, ehe er beide Arme hob und sich auf die Kraft des Herrn in sich konzentrierte. Laut und feierlich trug sich seine Stimme dann über das prasselnde Feuer hinweg: “Mag der Herre Praios, der Gleißende, der Himmlische Richter und Fürst Alverans diese Entscheidung segnen und wachen über uns und alle unsere weiteren Unternehmungen und möge auch die Herrin Rondra einverstanden wie stets an unsere Seite sein. Es sei!”
Nachfolgend ertönte aus fast allen Ecken des Versammlungskreises ebenfalls ein feierliches: “Es sei!”
“Jeder verkündet dies in seiner Einheit, auf dass im nächsten Ernstfall alle Bescheid wissen.”
Hane war zufrieden. Es hatte kein böses Wort gegeben und eine schnelle Einigung - trotz des Vorschlags, die Base Josts zur Anführerin an seiner statt zu machen. Nun suchte er im Gesicht des Trossmeisters und der neubestallten Vakanz-Kommandeurin Borontrud nach Anzeichen, ob jemand von ihnen noch ein letztes Wort an die Anwesenden richten wollte.
Der Baronet von Tälerort blickte, durch den Geweihten aufgefordert, freudig in Richtung der Auserkorenen und erhob das Wort: “Lasst mich wissen wann ich euch meine Aufzeichnungen zur Heereszugordnung, die Verpflegungsaufstellungen, sowie die Wachpläne vorlegen soll. Ich stehe zu eurer Verfügung.”
Stolz schaute Borontrud die Versammelten an. “Im Angesicht Praios, Rondra, Hesinde und ihren göttlichen Geschwistern schwöre ich, dass ich mein Bestes geben werde. Und ich danke euch allen, für euer Vertrauen.” Knapp nickte sie. Trotz alle Ernstigkeit schlich sich nun wieder der freundliche Gesichtsausdruck ein, den die meisten von der Junkerin kannten.
“Hat noch jemand ein Anliegen, das hier für alle angesprochen sein soll?” fragt der Praiosgeweihte in die Runde.
Als sich niemand mehr meldete: “Und nun - Boron befohlen.” schloss Hane die Versammlung, die sich im Folgenden rasch auflöste.

Mersea wechselte im Vorbeigehen einige Worte mit ihrem Onkel, dem Ritter von Flusswacht, doch ihr Ziel war die Hornisbergerin. “Frau Borontrud, auf ein Wort!” rief sie ihr zu, um die Ältere und Junkersgemahlin zu signalisieren, dass sie mit ihr reden wolle. “Ich wollte euch noch einmal unter vier Augen bezeugen, dass ich das mit der Unterstützung eben ernst meinte. Ihr könnt auf großen Rückhalt schauen, wie wir gemerkt haben - so zählt auch mich zu euren Unterstützern. Wisst Ihr, ich wusste nicht, dass der Junker von Flusswacht mich vorschlagen würde, befähigt mich weder Erfahrung noch mein Blut, den hier bin ich nicht mehr als die Führerin einer Lanze. Mir ist bewusst, dass Ihr von nun an großes persönliches Risiko tragt, und dafür möchte ich Euch im Namen des Hauses Sturmfels-Maurenbrecher danke sagen. Wenn wir etwas für euch tun können, so lasst es uns wissen, ja?”
Kurz musterte die Hornisbergerin die jüngere Frau mit ihren wissenden, braunen Augen. Nun umspielte wieder ein Lächeln ihre Lippen. “Es ist mir eine Ehre das für den Baron tun zu können. Wenn es etwas gibt, das in den Plänen eures Vetters war, dann bitte ich darum es mich wissen zu lassen. Die nächsten Schritte sollten gut durchdacht werden. Ansonsten sollte das erstmal alles sein.” Dann setzte sie hinterher. “Ich weiß um eure Ernstigkeit. Und Eure Unterstützung wird auch von nöten sein. Und nun lasst uns noch ruhen, wenn es geht. Morgen müssen Pläne gemacht werden.” Sanft strich sie Mersea über die Schulter und ging dann weiter zu ihrer Knappin.

Auch der Praiosgeweihte Hane suchte das Gespräch. Er steuerte zielgerichtet auf die junge Ritterin aus Kaldenberg zu. “Tochter!” Als er ihre Aufmerksamkeit hatte: “Ich verspüre, dass etwas auf dir lastet, was dein Herz schwer macht und dein Urteil trübt.” Der Geweihte führte sein Schäfchen etwas abseits der anderen, wo er stehen blieb und die junge Frau väterlich ansah. “Willst du darüber sprechen?”
“Euer Hochwürden.” Wer nach Ärger fragt, dachte sich Leonora, während sie den Kopf höflich neigte. Tapfer lächelte sie den Geweihten an und entgegnete: “Ich will nicht verheimlichen, dass mein Herz schwer ist. Dass deswegen mein Urteil getrübt ist?” Ihr Lächeln wurde traurig. “Vielleicht lässt es mich die Dinge sogar klarer sehen?”
“Oh. Die Urteilsfähigkeit leidet oft schon bei viel weniger als einem schweren Herz. Verkennt das nicht.” entgegnete der Geweihte ihr und sie meinte ein tröstendes Lächeln in seinem Gesicht zu sehen. “Doch erzählt mir, warum ihr so tiefen Groll gegen das Haus Sturmfels-Maurenbrecher hegt, dass ihr ihn vorhin vor allen kundtatet. Ihr seid jung. Ihr solltet diesen Feldzug als Chance sehen. Für die Rabenmark, aber auch für euch. Es scheint euch jedoch mehr zu belasten statt zu beflügeln. Was ist passiert?”
“Aber das tu’ ich doch!”, protestierte Leonora. Wie wohl jede frischgebackene Ritterin hatte auch sie darauf gebrannt, sich im Felde zu beweisen. Kurz schweiften ihre Gedanken ab zu dem Bogenschützen, den sie heute am Waldrand getötet hatte. Nicht in einem epischen Schwertkampf, sondern in einer Rangelei mit dem Dolch. Das erste Menschenleben, das sie je genommen hatte… So hatte sie sich das nicht vorgestellt. “Ich bin hier, um meinen Teil an der Befreiung der Rabenmark zu…” kurz grübelte sie nach einem Ausgang aus dem gestelzten Satzlabyrinth, welches sie gerade erschaffen hatte, um sich dann für ein “...tun.” zu entscheiden.
“Ich habe vorhin nur gesagt, dass ich es falsch finde, auf Biegen und Brechen immer einen Sturmfels-Maurenbrecher als Heerführer zu haben. Wir führen diesen Feldzug für die Rabenmark, nicht zum Ruhme dieses Adelshauses.”, fuhr sie fort. Doch sie mied dabei den Augenkontakt mit dem Praiospriester.
“Es mag sein, dass Ihr es falsch findet, dem Haus von Hlutharswacht zu dienen. Genaugenommen tut Ihr das jedoch. Denn Ihr selbst oder Euer Dienstherr hat Euch Baron Jost zur Seite gestellt. Natürlich führen wir diesen Feldzug, wie ihr schon richtig erkannt habt, für die Gläubigen in der Rabenmark. Doch es ist das Wort des Herrn Josts gewesen, dass Euch rief - auf welche Art auch immer. Das Haus Sturmfels-Maurenbrecher initiierte, plante und befehligt diese Reise. Und das ist nicht falsch! Ich habe bereits mit dem Herrn Jost in den Schwarzen Landen gestanden. Er weiß was er tut und er tut es, glaubt mir, nicht des Ruhmes wegen.” Er hatte die ganze Zeit über väterlich zu der jungen Ritterin gesprochen. Nun legte er ihr lächelnd eine Hand auf die Schulter. “Tochter, lass die gramerfüllte Bitterkeit aus deinem Innern weichen. Man ist dir hier wohlgesonnen. Das Haus Sturmfels-Maurenbrecher ist dir wohlgesonnen.”
Auch wenn sie zu erkennen glaubte, dass der Priester in guter Absicht sprach, fühlte sich junge Frau wie in der Falle. Ihre Schulter versteifte unter seiner Berührung. Es wurde ihr klar, dass ihr Gegenüber ein Freund und Parteigänger Josts sein musste. Wie sollte sie sich nur aus dieser Situation befreien? Ihre Gedanken überschlugen sich, Panik stieg in ihr auf. Herzschlag um Herzschlag verging, ohne dass Leonora eine passende Replik einfiel. Schließlich wusste sie sich nicht anders zu helfen, als ihr Heil in der Flucht zu suchen. Knapp senkte sie das Haupt zum Gruß, wobei sie durch die Bewegung gleichzeitig versuchte, die Hand auf ihrer Schulter abzuschütteln.
“Vielendankeuerehrwürdenschönenabend.”, murmelte sie undeutlich, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und entfernte sich so zügig sie gehen konnte, ohne zu rennen, von dem Praiosgeweihten. Erst nach einigen Schritten erkannte sie, dass sie die falsche Richtung eingeschlagen hatte und ihr Weg sie von der Kaldenberger Lagerstätte wegführte.
Der Praiosgeweihte sah der jungen Frau nach. Er überlegte kurz einen Moment, ob er sie ob ihrer Unhöflichkeit zurückrufen sollte, doch dann ließ er es sein und machte sich seinerseits auf den Weg. Er nahm sich jedoch vor, die junge Ritterin im Auge zu behalten. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, dass sie nach diesem Gespräch in sich ging und nachsann, ob sie nicht ihre Einstellungen überdenken sollte. Er glaubte, dass ein heller Geist unter der Schale des unnahbaren Mädchens steckte, der den Sinn und die Richtigkeit seiner Worte irgendwann erkannte.

Nachdem alle anderen schon gegangen waren, saß der Baron von Trappenfurten noch eine Weile in seinem Stuhl, schaute mit glasigem Blick in die langsam schwächer werdenden Flammen und schien zu sinnieren oder still zu beten. Schließlich winkte er Hasmuth heran, der dem wuchtigen Mann aufhalf. Während der Diener die Reste des Mahls und den Sitz wegräumte, trat Kunibald direkt an das fast niedergebrannte Feuer. Er hob den Humpen und leerte den Rest seines Weins in die Glut. Zischend stieg der Dampf in den Nachthimmel. Dann stolperte der Trappenfurtener in Richtung seines Nachtlagers davon in die Dunkelheit.