Feldzug Rabenmark, Kapitel 9: Die Trollpforte

Die Trollpforte

Das Feld der 3. Dämonenschlacht

Tief hingen die dicken Regenwolken am dunklen Himmel, als der Heerzug, auf seinem Weg gen Rahja den Durchgang zwischen den Gebirgszügen der Trollzacken und der Sicheln erreichte- die Trollpforte, jenen Ort, an dem vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten die dritte Dämonenschlacht stattfand, die der Kontinent gesehen hatte und wohl niemals vergessen würde.
Der Ogerwall, oder wie er noch geheißen ward- der Todeswall, ragte immer noch bedrohlich zwischen den sich zu beiden Seiten ergebenden Bergflanken auf. Die Mauer, die das Kaiserreich vor dem Dämonenreich Borbarads und später von dem seiner Nachfolger getrennt hatte, war bis zu diesem Tag immer noch nicht vollständig geschliffen worden, viel zu groß wäre der Aufwand gewesen. Das Reich hatte zu diesem Zeitpunkt weit wichtigeres zu tun, denn noch immer war der Kampf im Rahja des Kontinents nicht beendet. Und so hingen immer noch einige Galgen von den Zinnen herab, jedoch waren keine Skelette, keine Knochen mehr daran zu sehen. Lediglich deren leeren Taue bewegten sich träge mit dem Wind.
Dauerregen prasselte auf die Mitglieder des langes Zuges ein, die wie an einer Perleschnur aufgereiht, das in der Mauer klaffende Loch passierten, um in den Teil des Reiches zu gelangen, der nun Rabenmark geheißen wurde und im Osten immer noch an Gebiete grenzte in denen die unteilbaren, göttlichen Zwölf verleumdet wurden.
So mancher der Streiter schlug Sonnen- oder Boronsrad bei dem Anblick der krude und chaotisch wirkenden Aufbauten des Todeswalls. Vielen kam er immer noch unheimlich vor, auch wenn sie längst bezwungen war und nun lediglich noch ein monumentale Mahnung gleichkam achtsam, wehrhaft und götterfürchtig zu sein.

Aus dem Gespräch mit seinem Oheim wusste der Junge Schwarzen Queller das der Todeswall auch im schönsten Schein der Praiosscheibe düster und bedrohlich wirkte. In ihrem Zustand, vom beständigen Regen mürbe gemacht und niedergeschlagen, waren sie umso mehr leichte Beute für dessen düstere Schwingungen. Jorgast-Jost hatte ihm erzählt, dass die Golgariten lange und intensiv an diesem Ort gewirkt hatten. Um die Frevel am Stillen Gott zu tilgen und zur Ruhe zu betten, was zur Ruhe gebettet gehörte. Ghule und Skelette hatten sich neben zahlreichen unschönen Anblicken in den Resten des monumentalen Bollwerkes verborgen gehalten und zähen Widerstand geleistet.
Der ältere Schwarzen Queller hatte dabei zugegeben dies nicht persönlich erlebt zu haben, jedoch hatte er in den vergangenen Götterläufen einen ehemaligen Golgariten beigestanden. Als sich der Orden nach dem Tod der Hochmeisterin erneuert hatte, war Boromar von Vairningen dem Vorbild des Markgrafen gefolgt und hatte ebenfalls den Orden verlassen. Als Edler von Rindermühle in der Mark Altzoll hatte er sich dem Dienst am Land und seinen Bewohnern verschrieben und genau dabei hatte Jorgast-Jost ihn unterstützt. Von einigen Erlebnissen seiner Zeit in Rindermühle hatte ihm sein Oheim erzählt, es würde sich zeigen müssen welchen Gefahren ihr Schwertzug würde trotzen müssen.

Die Ritterin der Göttin lenkte ihr Ross etwas abseits des Zuges. Ihr Blick wanderte über das, was vom Dämonenwall geblieben war. Drei mal hatte sie hier gefochten. Drei Mal hatten sie den Wall genommen. Als junge Knappin der Göttin hatte sie in der Schlacht gefochten. Unzählige Frauen und Männer waren hier gefallen. In einer Schlacht so brutal und grausam, wie sie ein jedes Zeitalter sie nur einmal erleben sollte. Rutmaide drehte sich im Sattel und suchte in der Ferne Sankta Boronia. Hundertfach wurden hier Heldentaten vollbracht. Ritterinnen, einfache Soldaten, Diener der Zwölfe und selbst ungläubige aus der Wüste, sogar Orks hatten sich gegen den Bethanier gestemmt. Viele haben sich geopfert, damit die Gezeichneten in das Herz des Feindes vordringen konnten.
Sie hatte dort oben gestanden. Die Geweihten und Magier vollführten ihre Rituale und machtvolle Zauber, damit sich der Wall nicht gegen sie wenden würde. Von dort sah sie das gewaltige Heer des Feindes. Söldner, Überläufer, Verräter an allen Göttern und die Horden aus den Niederhöllen. Rutmaide hatte sich gemeldet, als es hieß, wer würde den Vorstoß der Gezeichneten decken. Doch ihr Schwertvater hatte ihr tief in die Augen geblickt. ‘Dies ist nicht Dein Kampf, mein Kind. Erinnere dich an diese Stunde, diesen Augenblick. Gedenke all derer, die diesen Weg gehen, damit sie siegreich sein können. Dein Kampf beginnt danach! Befreie die Lande, kämpfe um jede Seele, die du retten kannst. Ich werde auf Dich warten, an Rondras Tafel werden wir uns wiedersehen!’ Sie hatten den Choral Ardares gesungen, als die anderen in den Kampf zogen. Sie hatten gewusst, welches Opfer sie brachten und sie hatten es bereitwillig vollbracht. Ihre Hand wanderte zum Blutdolch an ihrem Gürtel. Er hatte ihn ihr überreicht. Sie würde ihn in Ehren halten!
Mit Answin war sie hier das zweite Mal gewesen. Sie und die anderen hatte es nicht interessiert, dass er ein Verräter am Reich war. Wehrheim war gefallen, die Lande wurden verheert und vorn hier kamen weiter Truppen des Feindes. So zogen sie von Wehrheim mit ihm hierher und konnten den Wall ein weiteres Mal nehmen. Rondragefällig hatten sie es vollbracht und es war ein Zeichen. Ein Zeichen des Glaubens in Stunden der Düsternis.
Und dann hatten sie den Wall ein drittes Mal genommen. An der Seite der Golgariten und der anderen Truppen war sie mit einigen des Schwertbundes hierher gekommen. Und dieses Mal sollten sie ihn ein für alle Mal zerstören. Das dämonische Austreiben und diese Wunde in der dritten Sphäre tilgen.
Die Ogermauer, die Trollpforte oder der Dämonenwall, dies war ein Ort großen Leides und doch auch immer ein Zeichen des Glaubens. Hier wurden unzählige Heldentaten vollbracht. Ob Bäuerin Alrike, die sich mit der Sturmsense den Ogern entgegen gestemmt hatte, oder ihr Schwertvater. Nicht allein der Herrin Rondra zum Gefallen, gleichermaßen allen Kirchen.
Die Ritterin der Göttin stimmte vernehmlich ein Gebet ein und wandelte die traditionellen Worte dabei ab:

Meine Herrin!
Der Schwerter Klang ist verstummt,
und gleich einem silbrigen Schatten
erahn’ ich den Walkür hier auf dem Felde.
Nie fühlte ich mich dir näher als in diesem Ort.

Lass mich dir danken für die Schlachten,
danken für mein Leben in deinen Diensten,
und dafür, dass der Sieg der unsere ist!
Dir und Deinen göttlichen Geschwistern in Alveran
gebührt die Ehre, dieser Sieg ist Euer!

Noch war ich nicht würdig,
aufzusteigen in dein Paradies.
Noch bin ich nicht vereint mit den treuen Gefährten,
in deinem und den Paradiesen der anderen.

Blickt auf uns herab und lauscht unseren Taten,
mögen wir uns Eurer Taten würdig erweisen.

Noch eine ganze Weile blickte sie auf den Wall, ehe sie ihr Pferd schließlich wieder im Zug einreihte.

Langsam ritt Madalbirga über das Feld vor der Mauer… Ogermauer, Todeswall… Auf diesem Feld waren so viele gestorben… In der Dritten Dämonenschlacht war sie - gerade 25 - als Trosswache eingeteilt worden und hatte die ersten, Verlustreichen Stunden nur von weitem gesehen. Sie hatte zugeschaut, wie die Verletzten ins Lazarett kamen. Zunächst vor allem Landwehr und Leichtverletzte, da hatte sie Hoffnung gehabt. Trotz des eisig kalten Nieselregens, trotz des Schwefelgestanks aus dem Osten, trotz der Schreie und Explosionen. Doch dann, nach dem Mittag waren sie gekommen. Karrenweise. Tote wie Verletzte. Erst da wurde ihr klar, dass jetzt erst die Mauer erobert, jetzt erst die Schwer verletzten geborgen wurden. Schnell loderten die Scheiterhaufen, damit die Toten nicht zu Untoten werden konnten und der Gestank von ihrem verbrannten Fleisch mischte sich mit dem aus dem Lazarett, wo Wunden ausgebrannt wurden.
Und dann kam der Ruf an alle unverletzten. Die Bewachung des Tross übernahmen jetzt Verletzte, damit die Unverletzten kämpfen können. So kam sie zum Abend das erste Mal an die “Mauer”. Damals hatte sie auf diesem Feld ihr blindes Gottvertrauen verloren. Sie hatte die dämonischen Pfützen, die verbrannten Barrikaden, die gestürzten Pferde, die erschlagenen Daimoniden und die immer noch sehr zahlreichen Toten gesehen, obwohl die Therbuniten ununterbrochen arbeiteten, um sie zu bergen. Als sie an der Mauer angekommen war, war sie ein anderer Mensch. Und als sie das dahinter gesehen hatte, wurde sie nochmal ein anderer Mensch. Bis zur Mauer hatte sie gelernt, dass blindes Gottvertrauen nicht reicht. Hinter der Mauer lernte sie, Dämonen zu hassen.
Als der Sphärenschänder Borbarad auf seinem Schwarzen Wagen aus dem Wolken stieg, konnte sie es sehen und in diesem Moment wusste sie, dass kein Opfer zu groß ist, um ihn aufzuhalten. Der folgende Keil durch die Truppen des Feindes war ein Alveranskommando. Untote Oger, Dämonen, Spinnen, Daimonide und Paktierer, alles was den Niederhöllen entsprungen schien, warf sich ihnen entgegen. Die zweite Wehrheimer Garde, die Prinzengarde, das Regiment Breitenau, die Rabenklauen, Rondras Sturm, der Orden vom Heiligen Blute und so viele mehr - sie rieben sich auf, um die Gezeichneten auf den Hügel zu bringen, damit sie Borbarad besiegen können… Und sie haben es geschafft - um den Preis ihres eigenen Lebens. Sie war damals nur in der Nachhut gewesen und hatte nur mit Plänklern kämpfen müssen und mit einigen Spinnen. Zwei Pfeile hatte sie abbekommen, aber es waren normale Pfeile und die Wunden verheilt. Die Kämpfe waren nicht das Schlimmste gewesen… Das Schlimmste war die Bergung der Toten danach, zu der die Leichtverletzten wie sie eingeteilt gewesen waren. Nie wieder durfte so etwas passieren - deshalb kämpften sie um den Osten und die Seelen der Menschen dort, damit nie wieder jemand wie Borbarad folgen sollte! Deshalb mussten sie Tälerort wieder zu einer Heimat für die Menschen machen, einer Heimat, die den Zwölfen wohlgefällig war und in der sie aufrecht verehrt wurden.