Feldzug Rabenmark, Kapitel 4: Aufbruchsstimmung

Aufbruchsstimmung

Der Abend vor der Abreise

Der Abend vor der Abreise aus Gareth verbrachten die Feldzugteilnehmer meist im gemütlichen Kreise. Es wurde noch einmal auf das vergangene Turnier, die Kaiserin oder die Nordmarken angestoßen, über Wege, Verhältnisse und Stimmungen in der Rabenmark spekuliert und auch über jene Dinge gesprochen, die sie einerseits in der Heimat zurückließen, und andererseits im Osten erwarten würde. Knechte und Mägde beluden derweil die Trosswagen, denn am nächsten Morgen zur neunten Stunde wollte man aufbrechen. Bis zum Abend hatten sich auch die letzten Nachzügler eingefunden, so dass alles für die Reise gen Rabenmark vorbereitet schien.


Der kleine 5-köpfige Trupp aus Liepenstein hatte sich unter die Teilnehmer aus Waldwacht gemischt. Am Tisch saßen die Herren von Albenholz zusammen, allen voran das Oberhaupt Adalhard, der nicht mit in den Osten ziehen würde, weil er das Privileg erhalten hatte, die Baronin zurück nach Hause zu bringen. Auch Hetta, Adalhards älteste Enkeltochter, die das Ritterhandwerk im Hause Sturmfels-Maurenbrecher lernte, saß an der Seite ihrer Verwandten, denn ihre Schwertmutter hatte ihr für diesen Abend freigegeben. Abgesehen von der schwarze Lockenpracht, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, passte sie mit ihrem makellosen Aussehen perfekt dazu. Mit in der trauten Runde war auch Liebgardis - im Kreise ihrer Familie fühlte die Traviageweihte besonders wohl. Man trank zwergisches Bockbier und erzählte sich Geschichten, erhob die Krüge auf den kleinsten Albenholzer, Eobans jüngstes Kind, das erst wenige Wochen zuvor zur Welt kam, und gedachte auch derer, die ebenfalls erst kürzlich bei der Hochzeit des Barons aus dem Leben gerissen worden waren. Liebgardis sprach dann ein paar Worte. Aber ansonsten war es ein recht geselliger Abend.

Irgendwann stand Adalhard auf und lud seinen Neffen Eoban zu einem Spaziergang ein. Beide hatten sich eine Weile schon nicht mehr gesehen, aber auch etwas anderes gab es zu besprechen.

“Aaah,” seufzte Adalhard laut, nachdem ihm ein lauter Furz entwichen war, kaum, da sie aus den Reihen der Zelte auf die freie Wiese hinausgeschritten waren. Hinter ihnen das Zeltlager, und hinter diesem die große Kaiserstadt. “Der hat mich schon lange gedrückt.” Der Edle von Waldwacht lachte auf, wurde dann aber schnell recht ernst und legte seine Hand väterlich in Eobans Nacken, während er den Sohn seiner Schwester durch die feuerschein-durchwirkte Dunkelheit begleitete. “Horch mal, mein Junge, du weißt, ich bin kein Freund davon, lange um etwas herumzureden. Nicht wahr? Liebgardis meinte nach deiner Ankunft zu mir, dass du etwas auf dem Herzen hast und ich doch mal mit dir reden soll. Ach, du weißt doch wie sie ist, sie spürt immer in einen rein. Wissen’s die Götter, wie sie das immer macht, es wundert mich jedes Mal aufs Neue. Jedenfalls meinte sie, dass wir doch mal unter vier Augen ein Gespräch führen sollen, bevor wir morgen in unterschiedliche Richtungen davonreiten. Also, mein Junge, was drückt dich?”

„Vater,“ so nannte Eoban seinen Onkel von Beginn an. Das hatte es ihm als Kind leicht gemacht, sich als Teil der Familie zu fühlen. Und genaugenommen, wen würde dieses Wort besser beschreiben als den Mann, der, seit er denken konnte, für ihn sorgte und ihm eine Heimat bot.

„Vater, ihr habt Recht. Ich muss Liebgardis für Ihre offenen Worte…“ Da entfuhr ihm ein lauter Rülpser, denn das zwergische Bockbier treibt auch gut nach dem Genuss. „Verzeiht, das Bockbier… Ich muss Liebgardis für Ihre offenen Worte danken. Seit ich Liepenstein verlassen habe drehen sich meine Gedanken um meine Gemahlin und unsere Kinder. Die Ereignisse der letzten Tage machen mir Sorge. Es geht…“ Er pausierte kurz und pustete noch einmal eine Wolke aus Bockbierdampf aus. „Es geht auch das Gerücht um, dass der Anschlag auf die Baronin ebenfalls von einer namenlosen Kreatur ausgeführt wurde.

Seis drum, ich wollte Euch fragen, ob Ihr nicht Vetter Aubin oder Madalin bitten könnt, nach Liepenstein zu reisen und an meiner Stelle ein Auge auf meine Familie zu haben. Es soll ihnen in meinem Haus an nichts fehlen.“

“Was heißt da sei's drum, Junge," Adalhard wirkte schockiert. "Diese Wesen sind die Heimtücke in Person. Ich hab es selbst erlebt. Und wenn es stimmt, was du sagst, dass die Herrin Liepensteins auch ein Opfer ihrer...Rache, oder was auch immer sie antreibt...werden sollte, Eoban, dann ist es an uns, das nicht kleinzureden, verstanden?!" Die mächtige Pranke in seinem Nacken schüttelte den jüngeren eindrücklich. "Dass ich das ja nicht nochmal höre!"

Adalhard tat der Tadel wohl leid, denn er klopfte seinem Ziehsohn gleich zuneigungsvoll auf die Schulter. "Schon gut, du warst ja nicht dabei..." seufzte er schwer, in Gedanken kurz bei jenen Momenten des Grauens, von dem Eoban bisher nur gehört hatte. "Dank den Göttern dafür." Dann sah der Edle wieder auf. Wobei Eoban wegen der Dunkelheit der besorgte Schatten im Gesicht des Familienoberhaupts entging. "Natürlich wird jemand von uns nach deiner Familie sehen. Wenn deine Gattin möchte, darf sie gerne mit den Kindern nach Waldwacht kommen. Und wenn ich sie persönlich abhole. Ich verspreche dir, mein Junge, deine Tante Ragata und ich, wir werden uns während deiner Abwesenheit gern um sie kümmern, wenn dir das hilft. - Naja," fuhr er etwas heiterer fort, "so sehe ich dann wenigstens mein jüngstes Enkelkind, nicht wahr?"

„Vater… Ihr habt Recht. Ich bin beschämt. Eure Erzählungen sind markerschütternd.“ Er tat weiter sein Bestes, um ihm nicht all seine Gedanken zu offenbaren. Eoban gab also den Jungen, der neben seinem Onkel hertrottete, so wie früher, wenn er ihm die Abwesenheit seiner unbekannten Eltern klagte und dabei vergaß, wie aufopferungsvoll Adalhard und Ragata sich um ihn kümmerten. Er war froh darum, dass Adalhard nun das Gespräch suchte, denn er wusste bereits, was er ihm offenbaren wollte. Und dass es ihm schwer fiel.

„Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr Margelin mit zu Euch nach Waldwacht nehmt.“ Eoban hielt seine Stimme etwas gedämpft. „Ich glaube, auch sie wird darüber sehr erfreut sein. Unser letztes großes Wiedersehen liegt schon so lange zurück. … Ihr werdet staunen, wie schnell Rotlind gewachsen ist. Sie kommt ganz nach Mutter.“ Eoban versuchte eine Reaktion im Gesicht seines Onkels zu erkennen. Doch dieser wirkte für einen Augenblick wie paralysiert. Ein seltsamer Moment der Stille trat ein.

„Vater, wartet einen Augenblick. Das Bockbier. Ich müsste nur mal kurz…“

"Aber, weil wir gerade beim Thema sind." Adalhard sah sich um. "Komm, wir gehen noch ein Stück, mein Junge." Dann führte er den Jüngeren weiter in die Wiese hinein.

Eoban folgte seinem Onkel.

Nach einigen stillen Schritten blieben sie abermals stehen und wieder drehte Adalhard sich dem jüngeren zu. "Wir müssen über deine Mutter sprechen. Das ist etwas, was MIR noch auf dem Herzen liegt, bevor wir auseinander gehen." Die Stimme des Edlen war kratzig geworden. Wieder legte er den Arm auf Eobans Schulter, nur diesmal zog er ihn kraftvoll an sich. "Ich habe Grund zu der traurigen Annahme, dass deine Mutter, meine geliebte Schwester, nicht mehr ist."

Da war es. Endlich hatte er es gesagt. Eoban glaubte zu sehen, wie seinem Onkel die Gesichtszüge entgleisten und die Augen langsam glasig wurden. Plötzlich wirkte er alt und zerbrechlich. Als hätten Jugend und Hoffnung seinen Körper verlassen und nur ein trostloses Lederbündel zurückgelassen.

„Vater, was sagt Ihr da?“ erwiderte Eoban ruhig. Er wusste es bereits. Liebgardis hatte es ihm nach der Heerschau gesagt. Irgendwie hatte er es bereits geahnt. Da war so ein hohles Gefühl in seiner Brust. Etwas ihm Wichtiges hatte diese Welt verlassen und an seine Stelle trat… Nichts. Er stolperte den halben Tag durch das Umland des Heerlagers und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Nun war er merkwürdig gefasst.

"Du erinnerst dich an ihren Begleiter, diese Kauz? Er kam zu mir geflogen und starb in meinen Händen. Daher gehe ich davon aus,...muss ich...müssen wir davon ausgehen, dass...." Die kraftvolle Stimme des Ritters brach. "...dass sie ihre Bestimmung erfüllt hat. So, wie sie es immer angedeutet hat. Ihren Begleiter zu mir zuschicken, war wohl ihre Art uns das mitzuteilen. Du weißt ja, sie hat immer ein großes Geheimnis darum gemacht, was sie tut und manchmal sprach sie auch in Rätseln. Sie war--" Er riss sich merklich zusammen. "Konntest du mit ihr denn noch einmal sprechen? Sie erzählte mir als wir uns das letzte Mal sahen, dass sie dir etwas Wichtiges sagen will. Über deinen Vater, Eoban. Bist du... Hat sie... Weißt du...? Ich möchte dir an dieser Stelle - an der wir nicht um deine Mutter trauern werden, sondern uns daran freuen, sie gekannt zu haben - sagen, dass die Wahrheit, so du sie denn erfahren hast, nichts an allem Bisherigen ändert, Eoban. Du bist und bleibst mein Junge, Junge, und dir ein Vater sein zu dürfen erfüllt mich immer wieder mit Stolz. Ich möchte dir nur sagen, dass ich hinter deinen Entscheidungen stehen werde, solltest du aus dem Osten zurückkehren und Ambitionen haben, Dinge zu tun." Er sprach diese Dinge nicht aus, sondern drückte nur sanft Eobans Schulter.

Für einen Augenblick schwieg Eoban. Dann legte auch er seine Hand auf die Schulter des anderen. „Kommt, Vater, lasst uns noch ein Stück gehen.“ Trauer und Zweifel waren nichts, das Adalhard anderen als seiner Gemahlin zeigen wollte. Also ersparte Eoban ihm diese Schmach. Sie gingen noch eine Weile und Eoban glaubte, ein trauriges Glucksen zu vernehmen, das langsam abebbte. Als ihm der Moment richtig schien, fragte er: „Vater, was habt Ihr vorhin gemeint? Welche Wahrheit wollte mir Mutter sagen? Von welchen Entscheidungen sprecht Ihr?“

Der Edle von Waldwacht fuhr sich stöhnend übers Gesicht. "Bei Travia, ist es wahr, du weißt es nicht?" Ungläubig schüttelte Adalhard den Kopf. "Sie wollte es dir sagen. Die Wahrheit über deinen Vater, Eoban!" Der Ritter seufzte schwer. Demutsvoll fügte er sich dann jedoch in die Aufgabe, die die Gütige Mutter des Herdfeuers ihm offenbar bereitet hatte. Nicht nur, dass er trauern musste und nicht daran zerbrechen durfte, sondern er würde auch derjenige sein müssen, der den Mantel des Schweigens brach. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Nun war es so. Und er musste es annehmen.

Er maß den Jüngeren mit liebevollem Blick eines stolzen Vaters und sagte: "Dein Schwertvater, mein Junge. Hast du dir nicht auch schon mal die Frage gestellt, warum du zu ihm nach Klippag kamst? Ja, er und ich waren Kampfgefährten. Doch er war auch vor etlichen Jahren der Liebhaber deiner Mutter und du..." Er ließ den Satz unvollendet und zog Eoban ruckartig an seine Brust. "Er war dein Vater, Eoban. Dein leiblicher." Adalhards Stimme war leise geworden, jedoch auch, weil er und Eoban sich in der Umarmung so nah waren, dass jedes Wort mit wenig Lautstärke auskam. "Als du zur Welt kamst, hielt er um ihre Hand bei mir an, um zu seiner Verantwortung dir gegenüber zu stehen. Ich freute mich sehr. Doch deine Mutter wollte weder die Ehe noch deine Erziehung auf sich nehmen, denn du warst nicht mit der Madakraft gesegnet. Ich hasste sie damals sehr dafür, dass sie uns dich einfach übergab und in ihre dämlichen Wälder zurückging, ohne jede Spur. Vier ganze Jahre blieb sie fort und hat kein einziges Mal nach dir gefragt in dieser Zeit. Das habe ich ihr nie verziehen, weißt du. So hielten wir es für das Beste dir nichts zu sagen. Dein Vater stand allerdings weiterhin zu seiner Pflicht und bot an, dass du bei ihm das Ritterhandwerk lernen könntest. Wir hielten das für eine gute Idee. Irgendwann, da warst du vielleicht 10 oder etwas älter, da fragte sie mich, ob ich es gut fände, wenn wir dir erklären, dass du bei deinem Vater in Ausbildung bist. Es fiel ihr einfach so ein, aus heiterem Himmel. Ich untersagte ihr, dir die Wahrheit zu sagen, so lange du noch jung seiest. Denn ich fand, du solltest dir selbst Gedanken dazu machen und Worte der Reife finden können, wenn du erwachsen und zum Ritter geworden warst. Das hat deine Mutter wiederum nicht gewollt, so gerieten wir erneut in Streit und wieder verschwand sie lange Zeit. Als sie wiederkehrte hatte sie sich verändert. Wir alle hatten uns verändert. Der Krieg mit Albernia hatte uns verändert. Du warst ein junger Mann geworden, ein Ritter nun, und betrauertest deinen gefallenen Schwertvater. Auch deine Mutter trauerte, aber nicht um deinen Lehrherren, sondern um die Zeit, die sie verpasst hatte. Sie sagte mir gegenüber, sie bereue es, deinen Vater nicht geehelicht und dir eine Mutter gewesen zu sein, weil dich das nun um Stiefelstieg als Erbe gebracht hätte. Wir hielten es allerdings diesmal beide für sinnvoll, dich weiterhin im Unwissen zu lassen - und deine Mutter versprach mir, dass sie dir alles erklären würde, würde ihre Zeit zu Ende gehen."

Nach so viel Worten, war Stille etwas fast Ängstigendes. "Eoban, Junge. Ich bedaure es sehr, dass du es nicht von ihr erfahren konntest. Du hattest die Wahrheit aus ihrem Munde verdient. Nicht aus meinem."

Das alles ließ Eoban erst einmal auf sich niederprasseln. Er hatte gelernt, seinem Onkel zuzuhören, selbst wenn dies ein ungewöhnlicher Schwall an Worten war. Aber was sprach er da? Sein leiblicher Vater war der Edle von Stiefelstieg? Warum hat man ihn all diese Jahre im Unklaren gelassen?! Selbst nach dessen Tod im Albernia-Krieg! Eoban hatte viele Jahre lang damit zu ringen, damals nicht an der Seite seines Schwertvaters gestanden zu haben. Jetzt stach diese alte Wunde wieder. Schlimmer als früher! Und war er nicht nur ein einziges Mal auf dem Boronsanger – bei der Beisetzung des Leichnams?

Als er vor vielen Wochen dieser Reise zustimmte, war seine Sorge, dass er als körperlicher oder geistiger Krüppel aus dem Kampf wiederkehren und seiner Familie zur Last fallen könnte – so wie er es so oft in seinem Umfeld beobachtet hatte. Doch die Ereignisse und die gelüfteten Geheimnisse der letzten Tage hatten die Kraft, ihn bereits zuvor aus dem Sattel zu heben: die Blutige Hochzeit, Namenlose Verräter am Hofe der Baronin, der Tod der Mutter, die Wahrheit über seinen Vater, der Tod des Vaters, … Konnte es überhaupt ausreichend Bockbier geben?

Nun löste Adalhard die Umarmung, hielt allerdings den Kontakt aufrecht, in dem er die Arme des anderen weiterhin gefasst hielt. "Wenn du vor dem Herzog Anspruch auf das ehemalige Gut der Familie deines... Vaters..., das noch dazu vakant ist, nachdem es diesem unsäglichen Zweibruckenburg entzogen wurde, erheben möchtest, stehe ich dir zur Seite. Das meinte ich."

„Hmm, ja, ist gut, Vater, ich… werde darüber nachdenken…“ Wo war das Bockbier?


Wunnemar verbrachte den Abend im Kreise der Familie. Seine Eltern und und Jolenta saßen gemeinsam bei Speis und Trank am Feuer und sprachen über die Pläne den Bau eines Traviatempels in Tälerort zu beginnen, sobald der Heerzug die Ländereien der Familie im Praios von Altzoll erreicht hatte. Im Tross befanden sich die hierzu benötigten Werkzeuge, wie auch einige, angeworbene Handwerker. Letztere waren rar in der Rabenmark.

Quendan, der Knappe des Baronet hingegen trieb sich irgendwo in Gareth herum. Der Bursche hatte Wunnemar die letzten Tage so gute Dienste geleistet, dass der Trossmeister ihm freigegeben hatte. Wunnemar hoffte nur, dass der junge Hornisberger nicht über die Stränge schlagen würde. Er wusste aus seiner eigenen Zeit als Knappe, dass man in diesem Alter einige Flausen im Kopf haben konnte.

Diese Gedanken jedoch beschäftigten Wunnemar nur am Rande. Hier bei seinen Eltern sitzen zu dürfen war ein derart großes Geschenk für ihn, dass kaum etwas anderes von Bedeutung war. Der Abschied, den sie in Hlutharswacht nach der roten Hochzeit gehabt hatten, war ganz und gar nicht kühl gewesen, hatte aber stark unter dem Eindruck der blutigen Ereignisse gestanden. Hier und jetzt schien dies alles fern und vergessen.

Wie meist saß Madalbirga schweigend und auch in sich ruhend während sie ihre Umgebung in sich aufnahm. Ihr Sohn schien seiner Aufgabe als Trossmeister gewachsen, sie hörte bisher nur wenig Kritik an Wunnemar als Trossmeister - und ein paar Leute waren immer mit der zugeteilten Position unzufrieden. Das gab es in jedem Heer und war kein Grund an seiner Qualifikation zu zweifeln. Auch dass er einen Traviatempel bauen wollte und bereits alles dabei hatte, zeugte von seiner Tatkraft. Sie nahm sich vor, in Rommilys den Haupttempel zu besuchen und dort für den Tempel zu bitten. Vielleicht wäre es ihnen gar möglich, einen Geweihten zu überzeugen, sie zu begleiten oder später den Tempel zu übernehmen. Seit Travinia von Firunslicht sich der Mission der Schwarzen Sichel verschrieben hatte, zogen viele Geweihte hinaus ins Land. Sie fühlte einen Blick auf sich ruhen und nachdem ihr Blick über ihren Mann gewandert war, der abwesend schien, trafen ihre Augen die Wunnemars.

Ihr Sohn erwiderte den Blick mit einem warmen Lächeln. Madalbirga erkannte, dass es in seinem Kopf arbeitete, seine Augen huschten unruhig hin und her, während seine Körperhaltung gekonnt verbarg, dass er innerlich aufgewühlt war.

Nach einem kurzen Moment brach es aus Wunnemar heraus. "Ich bin so aufgeregt wieder nach Hause zu kommen, auf Großmutter, auf Trutzenhain, den Tempel der Herrin der Saat.” Er schüttelte den Kopf und seufzte. “Es ist so lange her.”

“Es hat sich viel verändert zu dem, wie wir es kannten.” Leise war Madalbirgas Stimme und ihr Blick richtete sich eher nach Innen als auf ihren Sohn. “Viel Leid haben Land und Menschen erfahren und es wird Zeit brauchen, dass sie wieder Mut und Vertrauen fassen, sich positiv entwickeln. Ich freue mich, dass du dort einen Tempel stiften willst.” Sie musterte ihren Sohn, fragte sich kurz, ob er genug bei der Sache war, um ein sensibles Thema anzusprechen. Schließlich entschied sie, es zu versuchen, immerhin war es nicht mehr lange bis Rommilys. “Ich denke, es wäre gut in Rommilys direkt nach einer Geweihten zu suchen, oder? Unter Travinia von Firungslicht haben sich viele der Missionierung der Sichel verschrieben, vielleicht können wir jemand für unseren Ort gewinnen? Als eine Gabe an die Gütige Mutter könnten wir ein oder zwei Waisenkinder adoptieren…” Was zugleich das Problem mit der Erbfolge lösen würde, doch diesen Gedanken sprach Madalbirga nicht aus, sie wusste, dass ihr Sohn immer noch unter dem Verlust seiner Liebsten litt. So wie sie unter dem Verlust ihres anderen Sohnes Koradin. Wo er wohl steckte? Ihre Gedanken drohten abzuschweifen und sie rief sich selbst in die Gegenwart zurück.

Der Blick Wunnemars schweifte ab. Es schien, als wenn er einen Punkt im Feuer fixieren würde. Nachdenklich nickte er auf die Worte seine Mutter hin.

“Zu behaupten ich würde den Tempel stiften ist gewagt. Was man aber sagen kann ist, dass ich Jolenta diesen Floh ins Ohr gesetzt habe.” Wunnemar schmunzelte. “Die Wiesen Galebbogens sind satt grün, die Felder golden vom Korn. Peraine ist gütig zu den Menschen dort und die reichen Erträge der Ernten machen es möglich, dass sie zum Wiederaufbau Tälerorts beitragen können. Dafür bin ich sehr dankbar, auch wenn ich weiß, dass es im Interesse unserer gesamten Familie ist.”

Wunnemars Blick glitt wieder zu seiner Mutter.

“Wir haben Landsleute unter den Streitern. Der Hohe Herr von Wasserthal führt Männer und Frauen mit in die Rabenmark, die Tälerort aus ihrer Kindheit kennen, Geflohene. Sie könnten sich in Trutzenhain oder Talbruck ansiedeln. Wenn eine solche Heimkehr bekannt wird, könnte dies dafür sorgen, dass mehr Leute zurückkommen Mutter.

Was die Waisenkinder anbelangt, so bin ich deiner Meinung. Wenn du jedoch auf meine Erblinie anspielst, so tendiere ich dazu mich für einen Menschen zu entscheiden, der mir nahe steht, dem ich vertraue, der meine Werte und Ideale teilt, wie zum Beispiel einen Knappen, der seinen Ritterschlag durch meine Hand erfährt.”

Madalbirga nickte und blickte einige Zeit sinnend vor sich hin. Auch diese Idee hatte ihre Vorteile. Einen Knappen kannte man, ein Waisenkind bei der Adoption noch nicht. Aber ein Knappe war schon älter, wenn er in seine neue Heimat kommen würde - würde er sie als seine Heimat annehmen? Wieder blickte Madalbirga ihren Sohn an. Er war nicht wirklich in Tälerort aufgewachsen und selbst sie war dem Land entfremdet, so sehr hatte es sich verändert. Trotzdem schlug ihr Herz dort. Vielleicht war es sogar ein Vorteil jemand zu haben, der ein anderes Leben kannte? Mit einem Lächeln blickte sie Wunnemar in die Augen “Ich weiß, du wirst eine weise Entscheidung treffen, bei Boron und Travia.”

Lang starrte Wunnemar auf diese Worte hin ins Feuer. Seine Gedanken drehten sich um dies und jenes, um Talina, ihren gemeinsamen Traum von einer Zukunft in Tälerort, aber auch um seine eigenen Pläne, die noch untrennbar mit den Nordmarken verbunden waren.

Er rang mit sich. Es gab daraus folgend noch weitere, bedeutende Dinge zu besprechen. Sollte er es jetzt tun?

Irgendwann hob Wunnemar wieder den Kopf und blickte seine Mutter erneut an. Einen rechten Moment gab es für das was er sagen wollte nicht, also war es besser er brachte es hinter sich.

"Würdest du Tälerort verwalten, für den Fall, dass Großmutter zu Boron geht", fragte er gerade heraus, nur um dann noch weitere Worte anzufügen, um sich zu erklären.

"Ich muss in einigen Götternamen zurück in die Nordmarken. Das gilt natürlich nur für den Fall, dass wir Erfolg haben mit diesem Feldzug.

Es gibt für mich noch viel zu tun im Herzogtum. Vor allem aber will ich versuchen Ordensmeister des Ogilsbundes zu werden, um meine Brüder und Schwestern dazu zu bringen sich mindestens einmal im Jahr für einige Monde auf Burg Talbruck zu versammeln. Sie könnte die Ordensburg werden, wenn sie wieder aufgebaut ist. Ein Ritterbund würde Tälerort Sicherheit geben. Man würde sich zweimal überlegen, ob man uns versucht anzugreifen oder auch nur zu plündern, wenn man wüsste, dass eine Strafexpedition die Folge seien würde."

Wunnemar seufzte. "Ich weiß nicht wie groß meine Bitte ist, weil ich nicht weiss, ob du im Inneren mit Großmutters Entscheidung haderst, dass sie mich zu ihrem Erben gemacht hat. Aber ich muss diese Frage stellen, weil sonst allein Vater in Betracht käme. Nur fürchte ich würde dann das Haus Nadoret seine langen Finger ausstrecken, um mehr Einfluss zu erlangen."

Mit steigender Verwunderung hörte Madalbirga ihrem Sohn zu. Sicher wusste sie, dass ihre Mutter irgendwann sterben würde, aber so bald sah sie diese noch nicht zu Boron gehen - wusste Wunnemar etwas, dass sie nicht wusste? Eine klamme Furcht schlich sich in ihr Herz, nicht schon wieder, Boron. Bitte, hat die Familie nicht genug geblutet in den letzten Götterläufen? Ein leises Seufzen entrang sich ihrer Brust als ihr bewusst wurde, wie wenig dies den Gott interessieren würde. Der Schweigsame war unbarmherzig, nicht wie seine Schwester Travia, die auch Milde kannte.

Und tatsächlich rührte diese Frage an einer Saite in ihr, über die sie sich selbst noch nicht im Klaren war. Haderte sie mit der Entscheidung, dass sie in der Erbfolge übergangen wurde? Sie hatte sich diese Frage noch nie wirklich ernsthaft gestellt. Sicher war sie überrascht gewesen, aber da Tälerort lange Jahre besetzt war, hatte sie es eher darauf geschoben, dass sie die Befreiung vielleicht nicht mehr erleben würde. Doch nun, wenn sie das Land befrieden würden, was dann? Sie hoffte es zu überleben - und falls Boron sie abberief wäre die folgende Entscheidung auch hinfällig - über das danach hatte sie sich noch keine längeren Gedanken gemacht. Sie wusste, dass sie mit ihrem Sohn nicht immer einer Meinung war, wie Dinge angepackt werden sollten. Trotzdem oder gerade deshalb war sein Angebot ein Vertrauensbeweis.

Sie blickte ihm in die Augen, die wartend auf ihr ruhten “Zunächst gilt es Borons Ratschluss abzuwarten. Falls ich in den Kämpfen abberufen werde, kann ich deine Bitte nicht erfüllen und sofern Boron deiner Großmutter gnädig ist, muss ich sie nicht erfüllen. Aber wenn es denn so kommen sollte, dann werde ich für Tälerort und seine Menschen da sein, wenn du es wünscht. Doch bedenke auch, dass ein Knappe, der dereinst vielleicht das Lehen übernehmen soll, auch zumindest zum Teil dort aufwachsen sollte.”

Wunnemar nickte zustimmend. Er schien erleichtert.

"Ich danke dir Mutter. Die Frage kommt dir vielleicht seltsam vor, verfrüht, doch wenn es soweit ist, haben wir vermutlich viel zu sehr mit unseren Gefühlen zu Kämpfen, als das wir eine derart ernsthafte Unterhaltung führen könnten.

In die Zukunft zu blicken und versuchen gewappnet zu sein, dies ist etwas das ich von Roklan von Leihenhof übernahm. Mein Schwertvater hat mich vielerlei Dinge gelehrt, doch Hinsicht der Bedeutung für mein weiteres Leben war dies sicherlich eine der Bedeutendsten Lektionen."

Wunnemar nickte nochmals, wie um seine Worte zu unterstreichen.

"Was einen Knappen und dessen Zukunft betrifft. Ein Erbe muss einen Bezug zu Land und Leuten besitzen ganz ohne Frage", fuhr er fort. "Ich gedenke deswegen auch ein Neugeborenes zu adoptieren, das keinen Vater besitzt und dessen Mutter im Kindbett bleibt. So etwas kommt leider viel zu oft vor, wie ich in den Travia Tempeln des Herzogtums erfahren musste, in denen ich seit dem Tod Talinas Zuflucht fand. Für mich aber ist es dies wohl die einzige Gelegenheit ein Kind großzuziehen und womöglich Vaterfreuden zu erfahren. Etwas nachdem ich mich sehne. Eine Amme, der ich mein Vertrauen schenke, wird sich beizeiten finden.

Im rechten Alter dann, wird der Junge oder vielleicht auch das Mädchen erst Page am Hofe und dann Knappe bei dir oder Vater."

Ernst nickte Madalbirga. “Ich höre, dass du dir bereits viele Gedanken gemacht hast. Das ist gut. Aber lass dich von der Zukunft nicht Einschnüren, es wird viel passieren in den nächsten Wochen und einiges davon haben wir nicht geplant oder es wird gar geplantes über den Haufen werfen. Doch sei dir sicher, wenn du oder Tälerort mich brauchen, werde ich da sein, solange Boron mich nicht abberuft.” Sie lächelte, in der Hoffnung ihrem Sohn einige seiner schweren Gedanken zu nehmen.

Und in der Tat, die Art wie Wunnemar das Lächeln erwiderte zeigte Madalbirga, dass sie als Mutter immer noch ein Gespür für die Gefühle ihres Sohnes hatte.

Valeria von Galebfurten genoss indes die ruhige Atempause am Lagerfeuer. Sie nippte an ihrem Bier und ließ den Blick über ihre Verwandten schweifen. Vollzählig waren sie. Mochten die Götter geben, dass dies auch noch auf der Rückreise so wäre. Die fast schon dürre, mittelgroße Perainepriesterin mit den zu einem strengen Zopf geflochtenen dunkelbraunen Haaren blickte liebevoll auf ihre Mitstreiter, verbiss sich aber jedes Wort. Hier und heute wollte sie das ruhige Zusammensein nicht stören.

Endlich ist Baron Jost greifbar

Schon wenige Stunden nach dem Aufbruch meldete sich das Sitzfleisch wieder. Der Anfang war immer das Schlimmste, doch irgendwann würde auch dieses Gefühl in der Monotonie des Pferdetrabens verschwimmen.
Die Liepensteiner hatten sich im Zug zu den Berittenen aus Albenholz gesellt. Thobalt, Eobans Waffenknecht und bester Freund, hielt ein Schwätzchen mit der Traviageweihten Liebgardis, die die Gruppe ihrer Brüder begleitete. Für gewöhnlich ließ Thobalt sich keine Liebelei entgehen, doch unter den kritischen Augen der Albenholzer beließ er es bei oberflächlichem Geplänkel. Wichard, Eobans Knappe im letzten Jahr seiner Ausbildung, zeigte sich von seiner besten Seite. Er saß aufrecht im Sattel und musterte mit wachem Blick die Umgebung. Hin und wieder drehte er sich zu seinem Schwertvater um und beobachtete ihn. Firman, der Anführer der Lanze Waldwacht, ritt an der Spitze des gemischten Trupps. Sicherlich würden sich hier spannende Gespräch ergeben, dachte sich Eoban – sobald Ossian den Platz neben seinem älteren Bruder frei gab. Doch vorerst verließ Eoban die Gruppe und bewegte sich an die Stelle im Zug, an der er seine Hochgeboren vorzufinden glaubte.
Er fand den Baron zu Hlutharswacht zu Pferde und im Gespräch mit einem Mann, dessen Wappen Eoban - der die Anfangsjahre in Waldwacht aufgewachsen und dort als Sohn der Schwester des Edlen Adalhard gut bekannt war - gut kannte: den silbernen Turm des Hauses Flusswacht auf Rot. Es war der alte Gundeland. Hinter den beiden ritten deren Zöglinge. Dahinter folgten die Männer und Frauen der beiden Ritterlanzen, u.a. der düstere Hofmagus des Barons, welcher sogleich den skeptischen Blick auf den Neuankömmling legte.
Eoban passte den Schritt seines Pferdes an und näherte sich langsam der Gruppe.
„Rondra zum Gruße, Euer Hochgeboren. Hoher Herr Gundeland."
Gundeland blickte sich zum dem Reiter um, dessen Pferd sich dem Baron und seinem näherte. "Rondra zum Gruße,.." und musterte den jungen Ritter. Die Gesichtszüge waren vertraut - woher nur kannte er diesen Ritter? - Albenholz - Eoban. "Der junge Herr, verzeiht, hoher Herr Eoban."
„Mein Name ist Eoban von Albenholz. Ich stehe im Dienst der Hochgeborenen Gundela von Liepenstein und führe den Trupp aus fünf Männern und Frauen zu Pferde, den meine Herrin Euch für diese Reise in den Osten zugesagt hatte. Ich will Euch die erhabensten Grüße der Baronin zu Liepenstein überbringen. Die edle Frau Gundela ist in Gedanken bei Euch. Sie betet für Eure Familie und den Erfolg des Unterfangens.“
Jost nickte bei den warmen Worten des Gefolgsmannes der Liepensteinerin. “Habt Dank für die Grüße. Es freut mich, dass die edle Frau Gundela gerade Euch schickt, Albenholz. Euer Haus scheint mir gut vertreten zu sein auf dieser Reise. Das zeigt, dass ich mich auf die Familien aus meiner Baronie verlassen kann. Beten wir ebenfalls für eine Wiederkehr aller, die diesem Zuge angehören. Richtet euren Leuten ebenfalls meine Grüße und meine Freude aus.”
„Das werde ich tun. Habt Dank.“ Mit diesen kurzen Worten verließ Eoban die Gruppe um den Baron zu Hlutharswacht und ritt zurück zu der Albenholzer Lanze und dem Trupp aus Liepenstein.
Als der Ritter mit den Liepensteiner Farben wieder fort war, an Gundeland gewandt: “Wie verhält es sich noch gleich um die Verwandschaftsbeziehungen der Albenholzer?”
Schmunzelnd - ‘wer ist noch gleich der Baron von Hlutharswacht?’ - “Also ich habe den Überblick verloren. Oder fallen dir alle Namen der Albenholzer Kinder ein. Aber ist er nicht der Sohn von Hermengild, der Schwester Adalhards, deines Lehensnehmers?”

Abreise mit gemischten Gefühlen

“Du wolltest mit mir sprechen, Eoban?” Bei der allerersten Rast kam sie auf ihn zu, obwohl er gar nichts dergleichen zu seiner Cousine gesagt hatte.
Liebgardis besaß allerdings wirklich ein außergewöhnlich gutes Gespür für die Stimmungen der Ihren und hatte beschlossen, ihren Vetter bei der ersten Gelegenheit aufzusuchen, da hatte der wahrscheinlich noch gar nicht gewusst, dass sie gewusst hatte, dass er die Hilfe einer Seelsorgerin bedurfte. Es hatte in seinem Blick gestanden, in seiner Haltung und in der Art, wie er sich bewegte und anderen gegenüber verhielt. Lange hatte sie ihn nicht betrachten gebraucht. Dazu eine Bemerkung beim Abschiednehmen von ihrem Vater - der nicht mit in den Osten ritt, sondern zurück in den Westen, als Bedeckung von Baronin Odelia.
In den Augen der Traviageweihten funkelte Neugier und Besorgnis gleichermaßen, als sie unvermittelt vor Eoban stand und auch noch eine seiner Hände ergriff, um sie mütterlich zu drücken. “Vater hat mit dir über deine Mutter gesprochen, nicht wahr? Und über…” Liebgardis drückte Eobans Hand fester, während sie angestrengt die Augen zukniff und ihn mit schiefgelegtem Kopf eindringlich musterte. Er hatte gar keine Chance dem zu entgehen. “...die Vergangenheit. Eine, die jetzt in anderem Licht erscheint. Und das macht dir Angst, nicht wahr? Aber lass dir sagen, die Angst wird kleiner, wenn du teilst, was dein Herz umklammert hält. Ich spüre es. Ich kann es sehen. Dich quält etwas. Und es nährt deine Zweifel. Komm, teil mit mir Brot und Speck und dann höre ich dir zu. Wir setzen uns dazu bei Frau Tsaja [OT: die Hlutharswachter Bierbraumeisterin] neben ein Fässchen.” Ohne auf Widerworte zu warten zog die hübsche Gänsepriesterin ihren Vetter an der Hand sanft mit sich fort in Richtung des Wagens, mit dem die Fässer mit Zwergenbier transportiert wurden.
„Ich, hm, … Ich will sagen… Deine…“ Wie hatte er sie vermisst. Ihre liebevolle Art. Wie sie sich um sein Seelenheil sorgte. Ihr immer wieder überraschend treffsicheres Gefühl für seinen Kummer. Und dieser Wasserfall an Worten. Eoban konnte keinen Satz fertig denken, geschweige denn aussprechen, da zog sie ihn schon an der Hand durch das Zeltlager.
Einige Augenblicke später, mit einer Scheibe frischen Burebrotes in der einen, und einer dicken Scheibe Speck in der anderen Hand, vor sich hinmümmelnd, versuchte er seine Gedanken zu fassen.
“Der Tod von Mutter hat ihn ganz schön mitgenommen, nicht wahr?“ sagte er, gerade so verständlich zwischen zwei Bissen Brot.
Liebgardis, die sich selbst auch ein Stück Brot von dem Laib, den sie wie den getrockneten Speck aus ihrer Leinentasche ans Licht geholt hatte, nickte kauend.
„Schmeckt gut, dieses Brot.“ Über Gefühle reden war nicht so seins. Den Stich mit dem Schwert hatte er gelernt. Auch das Schlagen mit dem Schild. Aber diese Gefühle. Dafür war doch gar kein Platz. Er überlegte, ob er noch irgendeinen sinnvollen Beitrag über das Brot geben konnte. „Ist das ein gemischtes Brot?“
Eine von Liebgardis' Händen legte sich auf Eobans Knie. "Ich weiß, dass das gerade alles viel für dich ist. Vater aber war es ein großes Bedürfnis, endlich mit den Lügen zu brechen. Er hatte nämlich schon so eine Ahnung, dass du die Wahrheit noch nicht wissen würdest." Dann lächelte sie neckisch. "Ja, bevor du fragst. Vater hat mir alles erzählt. Wir sind Familie, Eoban. Ich weiß auch, dass er sich lange schon quälte, dir die Wahrheit verschweigen zu müssen."
Immer dieses unsägliche Schweigen. Wieviel einfacher wäre es manchmal, würde man die Dinge direkt beim Namen nennen. Er, und sein Vater, und sein Vater... , und seine Mutter – sie alle waren gut im Schweigen. Er zerkrümelte ein Stück des Brotes zwischen den Fingern. Dann tat es ihm plötzlich leid darum. Er drückte die Krümel zu einem großen Klumpen zusammen und stopfte ihn in den Mund.
Ihr fiel seine Frage ein. So nahm sie ihr Messer und den Brotlaib und schnitt noch einen Happen ab, den sie ihm reichte. "Die Herrin wird es verfügen, dass ihr nach unserer Rückkehr über alles in Ruhe sprechen könnt, da bin ich mir sehr sicher. Das wir euch guttun. Wir sind doch wie das Brot Eoban," erklärte sie und blickte ehrfürchtig das Stück in ihren Fingern an. "Ein Gemisch aus unterschiedlichen Saaten, Mehlen, Körnern, verbunden durch Wasser und Sauerteig. Von der liebevollen Hand Travias geknetet, gereift an- und miteinander, gewirkt durch Prüfungen des Lebens, schließlich in Form gebracht durch richtende Götterhand und gebacken in der Hitze Ingerimms. Man mag uns zerschneiden, aber wir sind und bleiben Teile eines Laibs." Sie nahm nicht an, dass er alles verstand. Doch das machte nichts, das war nicht weiter wichtig. "Wichtig ist doch, dass du nun die Wahrheit kennst. Jetzt kannst du mit diesem Wissen dein Leben ordnen. Du wirst doch bestimmt bei der Familie deines Vaters vorstellig werden, oder? Immerhin bedeutet die neue Wahrheit, dass du einen Onkel hast. Und eine weitere Schwester!"
Zum Glück hatte Liebgardis alle Werkzeuge, das Schweigen zu brechen. Er lauschte ihren Worten. Ein Brot, geknetet von Travia… Er hielt die Brotscheibe vor sein Gesicht und versuchte Körner und Saaten darin ausfindig zu machen. Doch seine Augen blieben an einem Loch haften, gerade fingerdick. Er stierte mit dem linken Auge hindurch in der Hoffnung, irgendeine weitere Weisheit auf der anderen Seite der Brotscheibe finden zu können.
Mein Leben ordnen.
„Du hast Recht. Nach diesem Unterfangen werde ich die Familie meines Schwert… Vaters besuchen. Ich habe ihm schon viel zu lange keine Ehre mehr erwiesen… Ich…“
Eoban machte eine kurze Pause.
„Liebgardis, mich bringt die Sorge um meine Familie um den Verstand. Wie kann ich diese Travia-gefälligen Aufgabe unterstützen und zugleich meine Frau und Kinder im Stich lassen? Ich bitte Dich um Deinen Rat.“
“Ich kann dich beruhigen, Eoban. Du machst dir genau jene Gedanken, wie sie ein Krieger hat, der in den Krieg zieht. Es mag sein, dass die Umstände in unserer Heimat eine Notwendigkeit geschaffen haben, dass wir uns für die Daheimgebliebenen sorgen. Doch ist unsere Familie umso vieles größer, Eoban, sie reicht über die, die uns durch Blut und Freundschaft nahe stehen, hinaus. Alle Menschen, die mit aufrichtigen Herzen den Zwölfen dienen, gehören dazu!” gestikulierte die Traviageweihte in großem Bogen mit dem Brotmesser in ihrer Hand, bevor sie mit der Spitze der Klinge auf Eobans Brust tippte. “Und es ist die Aufgabe von jedem einzelnen von uns, dass wir zum einen diejenigen unterstützen, welche sich um die Ordnung der Zwölf kümmern,” dabei deutete sie zu einer Gruppe anderer Streiter, aber eigentlich meinte sie den Baron, “zum anderen sollen wir uns überall, nicht nur in unserer Heimat, für die Richtigkeit auf Dere stark machen und dem Dunkel, das die Jenseitigen seit Urzeiten über uns bringen wollen, mit Mut und Entschlossenheit begegnen. Nicht mit Hader.” Sie schenkte ihrem Ziehbruder, der ihr schon immer wie ein echter Bruder war, einen Blick voll Wärme. “Fühle dich nicht als schlechter Mensch. Du hast sie ja nicht schutzlos im Wald ausgesetzt.” Ein Schmunzeln. “Die Schützende Mutter hält ihre Hand über sie…. Und vergiss die, die uns nahestehen nicht.” Eoban wusste, dass Liebgardis nicht menschliche Verbündete meinte, sondern die Beschützer der Familie. Und die, für deren Schutze das Haus Waldwacht stand. Seit Generationen.
Was es auch war, die Worte Liebgardis oder das Brot der Göttin, er fühlte sich etwas hoffnungsvoller.
„Du hast Recht, Schwester.“ Er brauchte noch einen Moment, um seine Worte zu sortieren. „Ich werde mich auf die Aufgabe konzentrieren, die vor mir liegt.“ Sein Blick fiel auf den angeschnittenen Laib Brot. „Ich werde für den Schutz meiner Familie beten. Beim Göttinendienst. Und auch für mehr Zuversicht, ob der Dinge die da kommen.“
Ein schepperndes Geräusch unterbrach seine Gedanken. Er hob den Blick und sah Hetta, seine Nichte und Knappin im Hause Sturmfels-Maurenbrecher, die hektisch die braunen Scherben eines Kruges auflas. Nicht nur die Streiter, auf die Liebgardis während ihrer Rede mit dem Brotmesser deutete, waren von dem Vorgang amüsiert.
Auch Eoban musste schmunzeln. Seine Familie war fern in der Heimat, und zugleich auch hier. Und auch sie bedurften Schutz.
„Ich glaube, ich kenne nur die wenigstens in diesem Heerzug. Vielleicht sollte ich mich bei dieser Rast etwas mehr unter die Leute mischen.“ Mit einem Schwung sprang er auf, und ging seiner Nichte zur Hilfe.

Ein tierisch (nervender) Auftrag

“Hohe Dame von Plötzbogen. Verzeiht die Störung. Ihr mögt bitte zu ihrem Hochgeboren kommen.” die schüchterne Stimme einer Frau schreckte Ira auf, die gerade das heilige Ritual der Waffenpflege vollzog und völlig darin vertieft war.
Als die Ritterin aufblickte, erkannte sie eine Endzwanzigerin mit langem aschblondem Haar, das mit einem Tuch zu einem Zopf gebunden war, grauen Augen, die gehetzt hin und her huschten, und Händen, die leichte Verletzungen, wie Schrammen und Schürfwunden aufwiesen. Ihre Kleidung war einfach, dreckig und das einzig Auffällige daran war der schwere Lederhandschuh, der an ihrem Gürtel hing, sowie einige längere, dicke Lederbänder und drei prall gefüllte, voluminöse Beutel.
Vom Sehen her kannte Ira die Frau. Sie gehörte zu Rajodans Gefolge. “Na, wenn das so ist…” antwortete sie ihr und legte seufzend erst das Poliertuch beiseite, bevor sie ihr Schwert zurück in seine Scheide gleiten ließ. Der Baron hasste es zu warten, also verlor sie keine Zeit. Irgendwas Blödes würde er schon von ihr wollen. Sie war zwar nicht scharf darauf, sich anzuhören, was er von ihr wollen würde, aber angeblich schien es wichtig. Naja. Wichtigkeit hatte meist für den Herrn Rajodan eine andere Bedeutung als für den Rest der Welt.
Nach kurzer Zeit erreichten beide Frauen das Zelt des Barons. “Tretet ein” war seine arrogante Stimme zu hören, nachdem die Frau sie angekündigt hatte.
Rajodan saß auf einem kleinen, klappbaren hölzernen Stuhl, der trotz der militärischen Funktionalität reich verzierte Ornamente aufwies, und erhob sich als die beiden Frauen eintraten. “Ah, die hohe Dame von Plötzbogen.” Die bezopfte Dame blieb neben Ira stehen und trat nervös von einem Fuß auf den anderen: “Ich habe euch rufen lassen, um über eure Pflichten bei diesem Heerzug zu sprechen.” Auffordernd sah er sie aus seinen tiefdunklen Augen an.
Ira hatte selbstverständlich ergebenst gegrüßt, nun fiel es ihr schwer, das innere Stöhnen nicht nach außen dringen zu lassen. Oh nein, was passt ihm denn nun schon wieder nicht, fragte sie sich, während sie sich zu einem Nicken zwang.
“Welche Pflichten nehmt ihr aktuell in diesem Heerzug ein, hohe Dame?” wie immer schaffte er es, dass die höfliche Anrede wie eine Beleidigung klang: “Nun?”
“Ich soll die Rickenbacher Lanze führen, Hochgeboren.” antwortete Ira dem Baron, wobei sie sich auch diesmal überwinden musste, dieses Wort über die Lippen zu bringen. Die Rickenbacher Lanze war... Ein Witz. Denn sie würde aus Obenaer Soldaten bestehen und war vermutlich keine brauchbare Truppe in dem Sinne, sondern aus Iras Sicht wieder eine Maßnahme, mit der Rajodan sie drangsalierte. Die einzigen Soldaten, die weder Rajodan selbst, noch der Baldurstolzer oder der “eiserne Schlächter” führten, waren ihrer Meinung nach nichts als ein Haufen Chaoten. Das wusste der Baron. Das wusste jeder hier im Eisensteiner Lager. Der einzige wirkliche Rickenbacher, der gebürtig aus dem Lehen kam, war Iras Waffenknecht Darek, den sie aus Ermangelung eines eigenen Knappen von der Familie zur Seite gestellt bekommen hatte.
“Leider ist es Merkan wie ihr wisst seit dem Heerzug nicht gelungen, Soldaten für eine eigene Lanze auszuheben. Was sehr unerfreulich ist.” Er seufzte als wäre diese Information neu oder als habe er selbst nicht massgeblich zu diesem Zustand beigetragen- zumindest indirekt. “Daher werde ich euch für diese Lanze Soldaten zuteilen.” Er grinste sie schief an: “Ich habe da eine sehr spezielle Einheit, die geführt werden muss.” Sein Blick wanderte zu der blonden Frau, die sich kleinlaut etwas abseits von Ira positioniert hatte. “Linje.” seine Stimme klang eine Spur kälter als er die Frau ansprach.
“Hochgeboren, Hohe Dame.” sagte sie leise, während sie einen halben Schritt aus dem Schatten des Zeltes ins Innere trat. Ihre Schuhspitzen waren scheinbar recht interessant, dann sie starrte unentwegt darauf.
“Dies, hohe Dame, ist Linje Steinhus.” er deutete auf die Frau, die bei der Bewegung seines Arms in ihre Richtung kurz, fast unmerklich zusammen zuckte, was Rajodan ein großes Stück innere Befriedigung verschaffte und seinen Blick einen langen Moment auf der Bezopften ruhen ließ. “Nun, Linje.” er machte eine Pause, die suggerierte, sie solle wissen, was er von ihr erwartete und das Unbehagen in ihr nur weiter steigerte: “Möchtest du der hohen Dame nicht mitteilen, was du in meinen Einheiten für eine Aufgabe hast?”
Es dauerte eine Weile bis Linje zu sprechen begann: “I..I..Ich bin die Hu..Hu...Hundeführerin, ho..ho..hohe Dame.”
Die Hundeführerin? Ach die war das? Dass es eine geben musste hatte sie bereits gehört und gesehen, aber so richtig wahrgenommen hatte sie die Frau noch nicht. Wie auch. Wenn sie in den Schatten herumkroch.
“Sehr richtig, die Hunde.” Er machte eine unwirsche Geste, die Linje dazu veranlasste rasch in die Sicherheit des Zeltschatten zurückzutreten. Seine Hand glitt an den Hals eines der beiden Hunde, die fast immer in seiner Nähe waren, wenn er im eigenen Lager weilte. Es waren schöne Hunde. Groß, bullig, mit beigem Fell. Das Tier schien die beiläufige Liebkosung zu geniessen, die abrupt endete als sich der Baron wieder an Ira wandte: “Wisst ihr, ich dachte kürzlich an unsere Zusammenkunft vor einigen Monden, in der wir besprachen unter welchen Voraussetzungen ihr Vögtin in Rickenbach werden würdet. Ihr erinnert euch?”
“Natürlich.” Viel Regung gab ihr Gesicht nicht her.
“Ihr versuchtet damals mich zu überzeugen, dass eine Knappschaft von neun Jahren in eurem Fall ausreichend gewesend sei, ihr erinnert euch doch sicher auch daran?”
Eigentlich wollte sie nichts sagen, aber sie wusste ja, dass er dann nur dämlich nachfragen und sie wieder als unfähig in allem darstellen würde, daher sagte sie es gleich: “Ja.”
“Und, ihr erinnert euch daran, dass ich sagte, euch fehle es an Demut? Und dass ich auf dieser Ebene noch großen Lernbedarf eurerseits sehe?”
“Ja. Das sagtet ihr.“ Ein inneres Grummeln verbergend. Auf was wollte er hinaus?
“Nun diese Hunde… Diese Hunde sind eine der taktischen Einheiten meiner Baronie. Und sie ist im Moment führerlos. Anselm hat sie neben seiner eigenen Lanze geleitet - immer mehr schlecht als recht. Und ich möchte euch die Möglichkeit geben es besser zu machen als er. Freilich, ihr führt nicht parallel noch eigene Leute, aber es ist auch eine… anspruchsvolle Aufgabe.” Rajodan grinste. Natürlich hätte dies alles wieder mal den netten Effekt, Unfrieden zwischen seine Dienstritter zu tragen, damit die sich in Eifersüchteleien ergehen würden. Etwas Zwist im Inneren hielt ihm selbst Probleme vom Hals. Widerworte und Gegenrede. Er lächelte Ira aus seinen kalten Augen an.
“Verstehe.” Das tat sie wirklich. Der plumpe Eschengrunder konnte ja schon mit Menschen nicht umgehen, die nicht das machten, was er wollte, geschweige denn mit anderen Lebewesen, die es ähnlich sahen.
Ira neigte den Kopf vor ihrem Dienstherrn. Hunde? Ernsthaft? Das war sein neues Ding? Na gut.
“Darüber hinaus waren wir ja bei besagtem Gespräch übereingekommen, dass ihr euch etwas in … Demut.. üben solltet. Und auch dafür eignen sich Hunde ganz hervorragend. Findest du nicht, Linje?” Sein Kopf drehte sich langsam in Richtung des Schattens, aus der langsam die junge Frau trat: “Ja Hochgebo...oren.” Er nickte in Richtung Ira und entließ die Hundeführerin mit einer Bewegung seiner Hand wieder in den von ihr scheinbar so geliebten Schatten.
“Schön, damit wäre dann wohl alles gesagt? Ihr dürft gehen.”
Linje deutete eine Verbeugung an und wollte sich rasch aus dem Zelt stehlen.
“Oh, hohe Dame?” sagte Rajodan noch als Ira sich zum Ausgang drehte: “Ihr solltet euer Zelt in die Nähe der Hunde versetzen. Die Einheit sollte beieinander sein. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.”
Linje nickte ihr zu. “Das stim..met, hoh..he Da..ame.”
“Ähm, ja.” erwiderte sie dem Vorschlag, bevor sie sich selbst vor dem Baron verneigte und dann ein Gehen andeutete. Vielleicht hatte er ja noch etwas zu sagen? Es wäre nicht das erste Mal.
Doch der Baron hatte sich wieder den Hunden zugewandt. “Ihr dürft gehen, hohe Dame.” sagte er, ihr den Rücken zu kehrend.

Ein Schmied

Norsold hatte nicht mehr viel, dass er dem Leben abgewinnen konnte. Hin- und wieder eine warme Mahlzeit, die feurige Glut in der Esse die seine Haut austrocknete und manchmal eine der Frauen aus dem Paradies.
Er lag auf seiner Strohlmatte und starrte die Decke an. Von der Straße drang ein versoffenes Lied und ebenso versoffene Rufe nach Ruhe. Es roch nach Latrine und Rinnsal. Die Bettwanzen begannen an seinem Bein hochzukrabbeln. Der Alte auf der Matte neben ihm kratzte unaufhörlich an seinem Nacken und weiße Schuppen fielen auf den Boden. Eine Ratte lief quietschend darüber und suchte nach Asseln.
Ein Betrunkener stürzte in den Schlafsaal und musterte die Lager. Sie waren mittlerweile schlau genug, keinen Ärger mit ihm anzufangen. Der Besoffene ging ein paar Schritte weiter und stieß einen anderen von der Matte. Kurzer Schlagabtausch. Kurzes Gewinsel. Es war so wie immer. Bald würde er einschlafen. Dann verfolgten sie ihn wieder. Diese blutigen Hände. Er würde aufwachen und wieder für erbärmlichen Lohn irgendeinem Halsabschneider den Sack stopfen.
Doch eine Sache ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Als er das erste Mal davon hörte, runzelte er nur kurz die Stirn. Einer von den Reichen und Mächtigen, ein Baron, rief Schlachtvieh zusammen um Land zu erobern. Sein Land. Zurückerobern. Vermutlich von irgendeinem anderen Reichen und Mächtigen. In die Schwarzen Lande sollte es gehen. Was tat das schon zur Sache. Schwarze Lande, weiße Lande, Krieg hier, Krieg da. Ein Travia-gefälliger Zug sollte es sein. Herd und Heim. Was war das schon. Sie wollten etwas wiederaufbauen. Das Land reinigen. Befrieden.
Friede. Das hatte er schon lange nicht mehr gespürt. Wie viele würden ihr Leben auf diesem Zug lassen. Befrieden und Friede finden.
So kam es, dass er sich selbst im Zug wiederfand. Von seinem Lohn holte er sich ein Bündel, trockenes Brot und Speck für ein paar Tage. Eine abgerissene Decke zum Schlafen. Mit einfachen Reparaturarbeiten konnte er sich über Wasser halten. Manchmal zog er auch einen Wagen, wenn die Beine der anderen nicht mehr konnten. So vergingen die Tage im Marsch.