Einladung Jagd

Einladung zur Hirschjagd

Wilmibert von Bregelsaum, kaiserlicher Burggraf von Elsternhöh', Vogt der Baronie Orgils Heim

Feste Furtwacht, Baronie Nablafurt, erste Woche des Praios

Das Licht des untergehenden Praiosmals fiel, wie zum letzten Gruße, in die kleine Schreibstube der Edlen von Bilgraten und tauchte den mit Eichenholz vertäfelten Raum in wehmütiges, rotes Licht. Leuina stand am geöffneten Fenster und blickte hinaus über die Auen der Nabla und die tiefen Wälder der Baronie und Andergastens. Wieviel lieber sie doch jetzt dort draussen wäre und nicht hier in dieser Stube, die ihr jeden Frohsinn, jedes Quentchen Leben zu entziehen schien. Allein schon vom Duft des Pergamentes fühlte sie sich erdrückt. Doch wie hatte ihre verstorbene Frau Mutter immer gesagt? ‚Manchmal tue ich was ich will und manchmal tue ich was ich muss!’ So war es eben. Der Herr Praios hatte es gefügt und sie hatte zu folgen.

„Hast du alles, Bruder?“, sie durchbrach die Stille zu erst und wandte sich vom Anblick der Landschaft ab, der ihr Herz doch nur noch schwerer machte, hin zu ihrem Bruder, der an ihrem Pult saß und emsig mitschrieb was sie ihm diktiert hatte.

„Am zehnten Tage fahren wir heimwärts zur Feste. Mit dem Segen der Götter, Leuina Praiolind von Bilgraten“, Bartolos verlas den letzten Satz, nickte zufrieden und blickte zu seiner älteren Schwester auf. Wieder einmal fiel der Edlen auf, wie leicht ihrem Bruder dieses Dienen fiel. Doch auch deshalb war er dem Herrn Praios geweiht worden.

„Wohlgeboren, wenn ich da etwas vorschlagen dürfte...“, die leicht quäkende Stimme ihres Onkels, der sich während des Diktates in ein Buch über die Interpretationen der perainegefälligen Traditionen im südlichen Andergast vertieft hatte, riss die Edle aus den Gedanken. Sie hatte ihn schier vergessen.

„Was denn, Onkel?“, es gelang ihr, das innerliche Augenrollen nicht durch die Stimme zum Ausdruck zu bringen und den sehr beleibten Lidowin in die glasigen, blauen Augen zu sehen. Dieser erhob sich, wirbelte dabei reichlich Staubkörner auf die im Licht der untergehenden Sonne emsig um ihn herum tanzten. Leuina erschien es fast als hätte sich die Masse eines Berges aufgetan...

„Nachdem Ihr nun die Einladungen an die üblichen Nachbarn und Freunde entsandt habt, habe ich noch einen weiteren Vorschlag wem Ihr eine solche Einladung schicken könntet“

Die Edle zog eine Augenbraue hoch und wartete ab. Ihr Instinkt ließ die Nackenhaare aufstellen, irgendetwas gefiel ihr nicht. Schon jetzt nicht.

„Wie Ihr vielleicht hörtet, ist der Baron von Orgils Heim verstorben. Da kein Erbe auffindbar ist, wurde der kaiserliche Burggraf von Elsternhöh, Wilmibert von Bregelsaum, dort zum Vogt gemacht.“ Die Stimme Lidowins kam deutlich schneller in Fahrt als sein Körper, wurde aber jäh durch seine Nichte aufgehalten.

„Und weshalb genau sollte ich diesen Vogt zur Herbstjagd einladen? Ich kann schlecht alle Barone und Vögte des Herzogtums einladen, man stelle sich vor, die sagten alle zu!“, ihr Instinkt schlug weiterhin Alarm, doch noch war der Grund dafür nicht auszumachen...

„Weil der werte Herr ledig ist!“, platzte der Onkel hervor und verriet damit nichts, was sich die Edle nicht schon hatte denken können. Die Blutlinie musste fortgesetzt werden und das bald, sie würde diesen Götterlauf ihren dreissigsten Tsatag feiern. Doch auch dies war noch nicht der Kern der Sache.

„Nun gut, Onkel. Ich verstehe, worauf du hinaus willst und ich teile deine Bedenken und bin auch bestrebt, möglichst bald einen Gatten zu finden. Doch weshalb diesen Vogt? Wie kommst du jetzt auf den?“

Lidowin atmete tief durch, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, seiner Nichte fest in die Augen zu sehen.

„Weil er bereits fünfzig Lenze zählt! Er hat es genauso nötig wie Ihr!“

Nun schien der Onkel die firungefällige Beherrschung der Edlen auf’s Äußerste zu fordern, doch sie ließ ihn gewähren. Auch diesem Argument konnte sie sich nicht enziehen.

„Er ist alt. Mutter hätte das niemals zugelassen...“, entgegnete sie mit ruhiger, doch vor Kälte klirrender Stimme. Das brachte wiederum bei ihrem Onkel das Fass zum Überlaufen und er wurde, wie es nun mal seine Art war, cholerisch:

„Oh ich weiß wie das läuft, werte Nichte! Egal wen ich vorschlage, egal von welchem Stande er sei, wie alt oder jung. Egal wie stark, egal wie gut betucht, gesittet oder götterfürchtig: NIEMAND ist Euch recht, NIEMAND hat den Platz an Eurer Seite verdient und weshalb?! Weil dieser Platz längst vergeben ist und KEINER so groß, so stark, so edel und so unglaublich männlich ist wie Aureus! Doch meine Schwester, Eure Mutter!, hat es eindeutig vor ihrem Tode gesagt: Niemals wird ein einfacher Jagdmeister zum Vater der Erben von Bilgraten. Niemals!“

Stille sank sich in den Raum, in dem die gefallenen Worte schwer wie ein ganzes Gebirge lagen und den Anwesenden auf die Brust drückten.

Ja, auch dieses war nur eine Frage der Zeit gewesen. Lange schon gingen Gerüchte um. Und Lidowin, der seine einzige Existenzberechtigung aus dem Zurechtweisen anderer und dem eigenen Stolz auf Stand und Standesdünkel zu ziehen schien, waren diese Gerüchte wie Gift in der Lunge.

Doch dieser Wutausbruch war auch für seine Verhältnisse weit neben der Spur, sodass die Edle ersteinmal verblüfft schien, was der Onkel nutzte um der Sache noch die Krone aufzusetzen:

„Und das ist ja das gute beim Vogt: Er ist alt. Älter als Ihr, älter als Aureus. Heiratet Ihr den Vogt, müsst Ihr einfach nur abwarten bis er stirbt und könnt anschließend mit Aureus Euer schändliches Treiben fortsetzen grad wie es dem Körper gefällt!“

Jetzt endlich wurde der Edlen klar, weshalb jede Faser ihres Körpers zu Beginn des Gespräches aufbegehrt hatte. So wie sie von dieser Erkenntnis getroffen wurde, traf eine mit Siegelring bewehrte Faust in das Gesicht des Onkels. Ein hässliches Knacken ertönte, gefolgt von dem dumpfen Aufschlag des fetten Körpers auf dem Dielenboden.

Seine Gnaden Bartolos, der dem Wortgefecht mit hochgezogener Augenbraue schweigend beigewohnt hatte, erhob sich nun, unter seinem Arm ein Packen gesiegelter Briefe.

„Wohlgeboren, ich werde die Einladungen nun dem Reiter übergeben“, mit einem Blick auf den bewusstlosen und aus dem Mund blutenden Onkel fügte er hinzu „Und nach dem Medicus schicken.“

Die Edle, in völlig unedler Haltung die schmerzende Hand haltend, nickte. „Schick dem Vogt auch eine Einladung. Und Bruder: ich möchte, dass du mit uns zur Koschwacht hinausziehst wenn’s zur Herbstjagd geht“

Bartolos, die Hand schon auf der Türklinke, hielt inne und wandte sich fragend zurück an seine Schwester:

„Weshalb das, Wohlgeboren?“

„Instinkt“

Deshalb wird in der ersten Woche des Praios ein Botenreiter in Orgils Heim vorstellig mit zwei Dokumenten folgenden Inhaltes:

"Mit dem Gruß im Namen der Zwölfe voran, Euer Hochgeboren! Hiermit laden wir, Leuina von Bilgraten, Edle zu Graufurten, Euch herzlich ein, an unserer alljährlichen Herbstjagd als Jäger teilzunehmen.
Wir würden uns sehr freuen, Euch im Travia in unseren Landen begrüßen zu dürfen.
Bitte lasst uns binnen eines Mondes wissen, ob Ihr unserer Jagdgesellschaft beiwohnen mögt.
Die Zwölfe mit Euch und den Eurigen,
Leuina Praiolind von Bilgraten, Edle zu Graufurten"

„Im Namen des weißen Jägers und seiner milden Tochter!

Einladung zur alljährlichen Herbstjagd

Am achten Tage des Traviamondes wollen wir gemeinsam ausziehen in die Wälder des Vorderkosch der Baronie Nablafurt, um dort den Zwölfen zur Ehr den brunftenden Hirsch zu bejagen. An Speis und Trank, erfahrenen Hunden und wack’ren Waidgesellen wird es nicht mangeln.

Wir alle wollen uns am siebenten Travia auf der Feste Furtwacht der Baronie einfinden und am achten Tage gemeinsam in die Wälder hinaufziehen. Am neunten Tage soll dem Hirsch die Ehr entboten werden und, so die Götter es fügen, am Abend die Strecke vertrunken werden. Am zehnten Tage fahren wir heimwärts zur Feste.

Mit dem Segen der Götter,

Leuina Praiolind von Bilgraten zu Graufurten, Edle zu Graufurten“

Schloß Orgilsheim, Baronie Orgils Heim, Ende Praios

Milchig weiß war das fahle Licht das an diesem Morgen durch die matten Butzenscheiben der Schreibstube sickerte. Der Rauch kräuselte sich in kleinen Kringeln und vollzog einen wirbelnden Schattentanz an der gegenüberliegenden Wand. Der Zwerg brummte wonnig vor sich hin, legte die Pfeife ab, strich drei mal über seine blonden Bartzöpfe, räusperte sich und griff zum nächsten Brief. Der war für den neuen Herren. Das Siegel... nun Malzan, der Kanzler des alten Barons, der hätte es sicher erkannt. Doch Malzahn war Koradiner und die durften in der Baronie nicht mehr gesehen werden; so hatte es der alte Baron verfügt. An Malzan hatte er da sicher nicht gedacht. Aber dem neuen Herrn konnte das nur Recht sein. Also musste der Herr Malzahn auf seiner Burg Asselkrät bleiben. Arrest nannten die Menschen das... und er Kunthul Sohn des Kirgam wurde vom Schatzmeister zum Kanzler befördert. Und nun musste er sich mit der Post herum schlagen. Ach, hätte er das nur früher gewusst...

Kunthul seufzte, zog wehmütig noch mal an seiner Pfeife, nahm den Brief, sprang vom Hocker und lief in den Rosengarten. Dabei musste er jene Teile des Schlosses durchqueren, die in der Nacht, als der alte Herr starb, ein Raub der Flammen wurde. Warum hatte Baron Ulfried nur Feuer gelegt? Das er es gelegt hatte, daran bestand kein Zweifel. Eine alte Zwergennase täuscht man nicht! Wie konnte er nur riskieren das dieses vermaledeite Testament verbrannte. In seinem Zorn war Ulfried immer maßlos gewesen... aber nie töricht. Zumindest bis in diese Nacht...

Nun hatte das Schicksal und der Landgraf der Baronie Orgils Heim einen neuen Vogt beschert. Eigentlich ein netter Kerl für einen Menschen – er konnte sogar sieben Baroscht Steinbier zechen ohne vornüber zu kippen – aber dieser allzu menschliche Ehrgeiz, den verknuste Kunthul einfach nicht.

Inzwischen war er am Pavillon angekommen, der wie eine Knospe aus dem Rosenbeet zu entspringen schien. Unter den Augen eines Abbilds der Heiteren Herrin, das da aus Eternenmarmor gemeißelt wie unter einem Baldachin aus Wildem Wein zu tanzen schien, standen sie. Wilmibert von Bregelsaum, der neue Vogt und sein Neffe Aldec von Bregelsaum-Streitzig, ein Sohn des alten Barons aus dritter Ehe. Sie fochten.

„Kunthul, was für ein scheußliches Kraut raucht ihr da wieder? “

„Es sind keine Kräuter, Hochgeboren, es sind Pilze, gezüchtet in Xorlosch !“

„Was auch immer. Es stinkt!“

Der Zwerg kam näher und grummelte: „Herr Aldec, haltet ihr es für angebracht über dem Grabe eures Großmütterchens die Schwerter zu kreuzen?“ Missfallen lag in seiner Stimme, war die hier erst unlängst bestattete Borogunde von Streitzig doch Geweihte der Rahja und einst, in der Blüte ihrer Jahre, für ein Götterlauf zur Geliebten der Göttin gekürt. Aldec, der Ritter vom Wolfshag, hatte zwar ihr Anmut geerbt, das konnte auch ein Zwerg sehen, leider war er aber oft von eher rüpelhaftem Gemüt.

„Was soll´s, sie ist tot.“, schnaubte Wilmibert, etwas außer Puste. „Mein lieber Aldec, auch diesmal hast du gewonnen!“

Dann wandte er sich von seinem Neffen ab: „Nun Zwerg, was gibt’s?“.

„Euer Hochgeboren, ein Brief.“

„Von wem?“

„Hättet ihr Meister Haldan, den Herold des Herrn Ulfried, nicht entlassen, dann könnte ich es Euch sagen“, in Gedanken fügte Kunthul noch hinzu: „oder wäre Malzan noch hier...“. Seine Laune war inzwischen gänzlich im Tiefstollen.

„Herolde um teure Turniere zu veranstalten brauchen wir nun nicht mehr. Und die Koradiner dürfen hier eh nicht mehr her. Genau das war ja schließlich Ulfrieds letzter bekannter Wille, nicht Wahr Aldec?“. Von hinten ertönte es: „Jawohl, Herr Oheim!“

Der Angroscho übergab den Brief.

„Siehe an, die Edle von Graufurten! Was die wohl will?“

Aldec sprang herbei: „Womöglich erbittet sie um Hilfe um die Nordmarken von Horden einfallender Angergaster zu retten.“ Beide lachten.

Mit seinen enzianblauen Augen musterte der Vogt das Schreiben und las:

"Mit dem Gruß im Namen der Zwölfe voran, Euer Hochgeboren, hiermit laden wir, Leuina von Bilgraten, Edle zu Graufurten, Euch herzlich ein, an unserer alljährlichen Herbstjagd als Jäger teilzunehmen. Wir würden uns sehr freuen, Euch im Travia in unseren Landen begrüßen zu dürfen.
Bitte lasst uns binnen eines Mondes wissen, ob Ihr unserer Jagdgesellschaft beiwohnen mögt.
Die Zwölfe mit Euch und den Eurigen... und so weiter".

Verdutzt sahen sich die beiden Männer an.

Der Zwerg grummelte mürrisch in sein Bart: „Kann ich wieder gehen? Meine Pfeife wird kalt!“

„Einen Moment mein bester.“ Wie abwesend drehte der Vogt seine Kopf zum Neffen: „Aldec, deiner Meinung, warum diese Einladung von der Edlen?“ - „ Brautschau so schätze ich. Sie will wohl keine alte Jungfer werden“. Wieder Gelächter. „Komm so übel sieht sie doch gar nicht aus.“ - „Stimmt.“ - „Interesse?“ - „An ihr? Ei, sie wäre keine schlechte Partie. Aber Ihr seid doch eingeladen, nicht ich.“ - „Begleite mich als mein neuer Jagdmeister. Zumindest in der Wolfsjagd kennst du dich ja bestens aus.“ - „Das stimmt wohl... ach, warum auch nicht!“

„Meisterchen Kunthul?“, die stimme des Vogtes wurde zuckersüß.

Der Zwerg hob den Kopf: „Mein Herr?!“.

„Suche mir den Haldan. Ich glaube, ich brauche doch einen Herold. Schicke ihn zu dieser Edlen. Er soll ihr ausrichten, dass wir kommen. Zu zweit.“

„Jawohl, Herr.“

Finmar Neidenstein von Wildenberg, Edler von Wildenberg

Gut Wildenberg, erste Woche des Praios

Finmar und Leuina hatten gemeinsam Mittag gegessen und dabei die drängendsten Fragen der „Amtsgeschäfte“ besprochen. Die Edle hatte sich in dieses Amt, welches ihr vor knapp zwei Götterlaufen durch den Tod der Mutter angetragen worden war, schnell eingelebt und hatte anfängliche Unsicherheiten gut zu kompensieren gewusst. Die Grafenkrise hatte sie recht souverän bewältigt und davon ab waren es ruhige Monate gewesen. Keine Hungersnot, kein „bevorstehender Krieg mit Andergast“ wie die Frau Baronin die Übergriffe der Wilderer beider Seiten zu titulieren pflegte, kein mit Todesstrafe zu belegendes Vergehen seitens der Bauern, über das entschieden und gerichtet werden musste.

Sie war ein sanfter, freundlicher Umgang und ließ sich gerne von Finmar beraten, ohne sich auf ihre Meinung zu versteifen.

Nun saßen sie mit vollen Bäuchen am Tisch und waren im Grunde mit sich und der Welt zufrieden.

„Ich habe da noch etwas für Euch“, ihre Stimme durchbrach die Stille wie ein Schwert und ließ erahnen, wie unangenehm ihr das nun Folgende war. Aus ihrer Dokumententasche zog sie einen einfachen Umschlag und reichte ihn Finmar.

„Eure Einladung zur Herbstjagd“. Ihr Blick, ihre Stimme, ihr ganzes Gebaren verrieten, was sie von Herzen gerne hinzugefügt hätte: ‚Ihr werdet ja doch nicht kommen’. Die Unlust des anderen Edlen am Waidwerk, der renovierungsbedürftige Firunschrein – das alles hatte stets zwischen ihr und Finmar gestanden. Sie hatte nicht versucht, ihn zu bekehren oder zu drängen. Doch es war wie ein Geheimnis, welches man teilt und niemals darüber sprechen darf, als wären sie beide Zeuge eines Mordes geworden. So zumindest fühlte es sich für Leuina an.

Im Umschlag befanden sich wie erwartet die alljährlichen Zeilen:

„Im Namen des weißen Jägers und seiner milden Tochter!

Einladung zur alljährlichen Herbstjagd

Am achten Tage des Traviamondes wollen wir gemeinsam ausziehen in die Wälder des Hinterkosch der Baronie Nablafurt, um dort den Zwölfen zur Ehr den brunftenden Hirsch zu bejagen. An Speis und Trank, erfahrenen Hunden und wack’ren Waidgesellen wird es nicht mangeln.

Wir alle wollen uns am siebenten Travia auf der Feste Furtwacht der Baronie einfinden und am achten Tage gemeinsam in die Wälder hinaufziehen. Am neunten Tage soll dem Hirsch die Ehr entboten werden und, so die Götter es fügen, am Abend die Strecke vertrunken werden. Am zehnten Tage fahren wir heimwärts zur Feste.

Mit dem Segen der Götter,

Leuina Praiolind von Bilgraten zu Graufurten, Edle zu Graufurten“

Finmar nahm den Brief ruhig und bestimmt in Augenschein und atmete tief durch. Die firungefällige Jagd war für ihn noch immer eine Sache, die großer Überwindung bedurfte. Sieben lange Jahre hatte er seine eigene Jagd betrieben, war tief in die Verwicklungen der Vergangenheit getaucht und hatte eine alte Blutschuld beglichen, welche seit frühester Jugend auf ihm gelegen hatte wie ein Stein.

Vor einem Jahr schließlich hatte er den Mörder des eigenen Vaters gestellt, nachdem er das Netz von dessen Helfershelfern mit akribischer Genauigkeit aufgespürt und einen Faden nach dem anderen durchtrennt hatte. Das Zusammentreffen war eines der schmerzhaftesten Erlebnisse im Leben des 27jährigen gewesen und hatte ihn verwundet und geschwächt zurückgelassen. Doch es hatte ihn auch von seiner einstigen Schuld befreit und ihm endlich Ruhe geschenkt. Endlich konnte er den Tod des Vaters und das selbstauferlegte Treten in dessen Fußstapfen annehmen und sich frei machen. So frei, wie es ein Leben der Selbstkasteiung überhaupt zuließen.

Im Frühjahr hatte er höchsselbst den verfallenen Schrein des Jagdgottes auf seinem Anwesen entrümpelt und damit begonnen, Bretter auszutauschen und Steine zu ersetzen, wo Wind und Wetter sie ‚zerwittert‘ hatten. Carten, der Verwalter von Gut Wildenberg hatte dem jungen Mann Arbeiter zur Verfügung stellen wollen, doch Finmar hatte abgelehnt. Stattdessen hatte er sich lieber beide Daumen mit dem Hammer blau geklopft und sich an vorstehenden Nägeln Hemd und Haut aufgerissen. Vor gut einem Monat hatte er endlich die letzten Pinselstriche im Inneren des Tempelchens angebracht und dem kleinen Gebäude ein Glasfenster spendiert, um dem beständigen Wind und Regen zumindest ein kleines Hindernis entgegenzusetzen.

Verlegen hob er den Blick vom Brief. Es war, als hätte die vor ihm sitzende Edle tatsächlich einen wunden Punkt berührt, ein Versprechen, welches er vor gut und gerne neun Jahren gemacht hatte. Ein Versprechen, ohne das die selbst auferlegte Buße nicht vollständig sein konnte.

„Die Herbstjagd.“ Finmar räusperte sich ein wenig. Komisch, wie seine Stimme, die bei Verhandlungen und gesellschaftlichen Ereignissen immer eine sichere Bank war, in privaten Momenten ganz plötzlich brüchig werden und völlig verstummen konnte.

„Leuina, ich…,“ kurz schluckte der junge Mann, dann nahm er die Sache in Angriff. Er würde sich hier und jetzt selbst verpflichten müssen, wollte er die letzte seiner Schuldigkeiten endlich einlösen.

„… würde gerne daran teilhaben. Allerdings bitte ich Euch, mir die Freude zu gewähren, meinen alten Schwertmeister, Lucran von Rabenstein, ebenfalls zu dieser Jagd einladen zu dürfen. Ich habe ihm versprochen, dass er mich bei meiner ersten Jagd…“ er schwieg kurz. Was hätte er auch sagen können? Die erste Jagd nach des Vaters Tod? Letztlich eine Halbwahrheit, denn war nicht auch seine eigenen Queste eine firunheilige Jagd gewesen? Hatte er nicht auch im Aufspüren der Männer, die seines Vaters Leben ausgelöscht und ihn fast ebenso getötet hatten, hatte er nicht auch bei deren Verfolgung, dem Aufspüren der schon so lange erkalteten Fährten, hatte er dabei nicht auch das Gefühl gehabt, einer Jagd auf ein mächtiges Wild beizuwohnen? Und hatte er nicht das Gefühl gehabt, dass der letzte Kampf von einer höheren Instanz gelenkt und gut geheißen worden war?

„Dass er mich auf meiner ersten Jagd… seit langer Zeit… begleitet.“

Leuina blinzelte mehrfach und brachte vor Überraschung erstmal nur ein „Ja, ja natürlich dürft Ihr das! Wen auch immer Ihr wollt!“ hervor.

Was dann folgte war die Reaktion einer Frau, die sich selbst der Milden und Sanften verschrieben hatte, der Fürsprecherin der in Not geratenen Waidleute. „Oh Finmar!“ stammelte sie, während sie mit den Tränen rang, weitersprechen wollte und doch innehielt und dann einfach die Hand des Nachbarn ergriff, sie zart und tröstend drückte und über das ganze Gesicht anstrahlte „Das freut mich so!“ Mehr Worte brauchte sie nicht. Keine Sprüche, keine Kommentare – keine Fragen. Das war nicht ihre Art.

Als hätte Finmars Erlösung auch die eigene bedeutet, fühlte sie sich wie von einem schweren Panzer befreit, der ihr die Schultern herabgedrückt, sie und Finmar gleichermaßen kleiner gemacht hatte, als sie eigentlich waren, und die Brust derart einschnürte, dass für die wichtigen Worte nie genug Luft vorhanden war. Nun fühlte auch sie sich frei. Sie hatte gut Lust, ihn, der wohl niemals gelernt hatte, wie man einem Hirsch den letzten Stoß gibt oder worauf man beim Abfangen der Sauen vom Pferde aus zu achten hatte, genau diese Dinge noch beizubringen. Allein, damit er sich etwas sicherer fühlen konnte auf seiner quasi ersten Gesellschaftsjagd. Doch sie tat es nicht. Finmar war am Zug und er dürfte wissen, dass er sich in Jagdfragen immerzu an die Edle würde wenden können. Niemals würde sie ihn fortschicken, auslachen oder über ihn urteilen.

Kurz neigte der junge Mann das Haupt, dann lächelte er – ein wenig wehmütig. „Habt Dank. Dann werde ich mich baldigst auf den Weg machen und dem Rabensteiner die Einladung überbrnigen. Schließlich will ich rechtzeitig zurück sein.“

Garobald von Fischwachtal, Edler von Bösalbentrutz

Sitz der Familie, Bösalbentrutz, erste Woche des Praios

„Hört, ich bin Reiter Ihrer Wohlgeboren Leuina von Bilgraten zu Graufurten und bringe Kunde derselbigen!“, so stellte sich die junge Maid am Tor vor und wurde zum Verwalter vorgelassen.

Markward Bertenschlag, seines Zeichens Verwalter vom Edlengut Bösalbentrutz nahm den gesiegelten Umschlag entgegen. „Seine Hochgeboren weilt derzeit bei seiner Einheit und wird vor Rondra nicht zurückerwartet. Aber ich werde sofort einen Boten schicken, dieser wird dann auch das Antwortschreiben zu Ihrer Wohlgeboren bringen.“ Er musterte die Reiterin nochmal und sagte dann: „Wollt Ihr euch noch stärken bevor Ihr weiterreitet?“

Gratenfels, dritte Woche des Praios

Garobald von Fischwachttal betrat sein Amtszimmer, lies sich in seinen Stuhl fallen und schloß die Augen. Die Parade in Elenvina und vor allem die Reise dorthin und zurück waren wieder mal anstrengend gewesen.

Er öffnete die Augen und betrachtete seinen Schreibtisch. Hm, wieder eine ganze Reihe von Schreiben. Ah ja, neue Dienstanweisungen, ein Schreiben vom Quartiermeister und ein gesiegelter Umschlag. Er legte die anderen Schreiben zur Seite und betrachtete den gesiegelten Brief näher.

Er brach das Siegel und öffnete den Umschlag.

In dem gesiegelten Umschlag fand er zwei Schreiben vor. Das erste war in etwas einfacher Handschrift verfasst:

„Die Götter zum Gruße, Euer Hochgeboren!

Wie es in unseren Landen gut Sitte und Brauch ist, laden wir auch dieses Jahr zur Herbstjagd auf den Hirsch ein. Wir würden uns sehr freuen, Euch als Gast und Jäger begrüssen zu dürfen und bitten Euch, binnen eines Mondes ein Schreiben zu entsenden in dem Ihr uns mitteilt, ob Ihr dieser Einladung folgen möchtet.

Die Götter mit Euch und den Eurigen,

Leuina Praiolind von Bilgraten zu Graufurten, Edle zu Graufurten“

Erfreut blickte er von dem Schreiben auf. Eine Jagd war genau die Art Abwechslung die er brauchte. Die Edle von Bilgraten zu Graufurten war ihm wohlbekannt und er freute sich auf ein Wiedersehen. Jetzt nahm er das zweite Schriftstück zur Hand.

Aufgrund der kunstvollen Handschrift des zweiten Schriftstückes ließ sich vermuten, dass dieses wohl diktiert worden war und nicht aus der Hand der Edlen selbst stammte:

„Im Namen des weißen Jägers und seiner milden Tochter!

Einladung zur alljährlichen Herbstjagd

Am achten Tage des Traviamondes wollen wir gemeinsam ausziehen in die Wälder des Kosch der Baronie Nablafurt, um dort den Zwölfen zur Ehr den brunftenden Hirsch zu bejagen. An Speis und Trank, erfahrenen Hunden und wack’ren Waidgesellen wird es nicht mangeln.

Wir alle wollen uns am siebenten Travia auf der Feste Furtwacht der Baronie einfinden und am achten Tage gemeinsam in die Wälder hinaufziehen. Am neunten Tage soll dem Hirsch die Ehr entboten werden und, so die Götter es fügen, am Abend die Strecke vertrunken werden. Am zehnten Tage fahren wir heimwärts zur Feste.

Mit dem Segen der Götter,

Leuina Praiolind von Bilgraten zu Graufurten, Edle zu Graufurten“

Schnell zog er aus einer Schublade des Schreibtischs einen Bogen Papier hervor. Dann entkorkte er das Tintenglas und griff sich eine bereits geschärfte Feder.

„Die Götter zum Gruße, Euer Wohlgeboren!

Wir danken Euch für eure freundliche Einladung. Mit Freuden werden wir an der Jagd teilnehmen.

Die Götter mit Euch und den Eurigen

Garobald von Fischwachttal, Edler von Bösalbentrutz“

Anschließend faltete er das Schreiben, packte es in einen Umschlag und siegelte diesen.

Garobald trat zur Tür und öffnete sie. „Leuenant, schickt mir einen Botenreiter.“

Melcher von Ibenburg, Vogt der Mark Gratenfels

Stadt Gratenfels, erste Woche des Praios

Der junge Vogt Melcher von Ibenburg saß im Studierzimmer des Grafen und hatte, während dieser ihm ausschweifende Order bezüglich der Amtsgeschäfte gegeben hatte, dem Lauf des Praiosschildes folgen können. Wie es vom höchsten Stand hinab sank, sich in herrliches Orange und Blutrot wandelte und nun gänzlich hinter dem Horizont verschwunden war. Die Aufmerksamkeitsspanne des Vogtes wurde regelmäßig bei diesen Sitzungen überfordert. Doch in Anbetracht der Art und Weise des Grafen, zu sprechen, sich im eigenen Fluss zu verlieren und dann doch zu den wichtigen Dingen zurück zu kehren, nicht verwunderlich war.

„So, dass soll es nun für die nächsten Monde gewesen sein!“ sprach der Graf und bewirkte bei seinem Zuhörer ein beinahe erleichtertes Einatmen.

„Ach, dies eine noch: Jeden Götterlauf erhalten Wir aus der Baronie Nablafurt eine Einladung zur Jagd. So auch dieses Mal. Die Edlen von Bilgraten sprechen diese Einladung aus: Man hat dort wohl einem Hirsch den Namen ‚Custodias’ gegeben weil er sich so gräflich gebahrt. Oder so ähnlich“, es war ihm anzumerken dass er wenig für diese hinterwäldlerischen Sitten übrig hatte und das Thema ihm wohl lästig war.

„Wir haben auch dieses Jahr nicht vor, dieser Einladung zu folgen. Wenn Ihr jedoch, mein werter Vogt, dieser folgen möchtet so steht Euch dies natürlich frei!“

Er öffnete eine Schublade, zog einen Umschlag mit gebrochenem Siegel hervor und zog einige Schriftstücke heraus. Nur eines davon, die Einladung selbst, überreichte er dem Vogt. Das persönliche Anschreiben legte er zurück in die Lade.

„Dann könntet Ihr auch gleich meine Absage überbringen. Und wie es dort droben zugeht ließe sich ebenso erfahren. Es schadet sicher nicht, die Herren Nablafurts, die Frau Baronin selbst und ihre Vasallen gleich mit, daran zu erinnern wessen Land sie verwalten und auf wessen Gnade hin sie dort sitzen und so tun, als seien sie die Herrscher über Land, Leute und Vieh!“, er kniff die Augen zusammen als hätte er sich beim Reden gerade selbst einen Geistesblitz verschafft, strich sich kurz durch den Schnauzer und zwirbelte ihn während er den Vogt mit den Augen schier durchbohrte.

„So sei es: Ihr geht!“, soviel dann zu ‚es steht Euch frei’....

In dem Umschlag findet Melcher die folgende Einladung:

„Im Namen des weißen Jägers und seiner milden Tochter!

Einladung zur alljährlichen Herbstjagd

Am achten Tage des Traviamondes wollen wir gemeinsam ausziehen in die Wälder des Hinterkosch der Baronie Nablafurt, um dort den Zwölfen zur Ehr den brunftenden Hirsch zu bejagen. An Speis und Trank, erfahrenen Hunden und wack’ren Waidgesellen wird es nicht mangeln.

Wir alle wollen uns am siebenten Travia auf der Feste Furtwacht der Baronie einfinden und am achten Tage gemeinsam in die Wälder hinaufziehen. Am neunten Tage soll dem Hirsch die Ehr entboten werden und, so die Götter es fügen, am Abend die Strecke vertrunken werden. Am zehnten Tage fahren wir heimwärts zur Feste.

Mit dem Segen der Götter,

Leuina Praiolind von Bilgraten zu Graufurten, Edle zu Graufurten“

Wenige Tage später erreichte die Antwort des Vogtes die Feste Furtwacht:


"Den Zwölfen zum Gruße,

des göttlichen Herrn Praios zum Wohlgefallen!

Werte Leuina Praiolind von Bilgraten, Edle Dame zu Graufurten.

Eure Einladung zur alljährlichen Herbstjagd in den Wälder des Hinterkosch der Baronie Nablafurt, gelegen in der Landgrafschaft Gratenfels unseres schönen Herzogtums, hat die Kanzlei seiner Hochwohlgeboren Alrik Custodias-Greifax, Landgraf zu Gratenfels

etc. etc. pp., erreicht.

Wie Ihre, Edle Dame, wisset ist seine Hochwohlgeboren ein vielbeschäftigter und weißer Herr und so hat er nach langem und sorgfältigem Abwägen, Uns, Hochgeboren Melcher Sigismund von Ibenburg mit der Teilnahme an der Jagd betraut.

So erwartet unser kommen am siebenten Tage des Traviamondes auf das es eine herrliche Jagd mit anschließendem Festschmaus werde.

Gegeben zu

Burg Bergheim Im Praios, des Jahres 1036 nach Bosparans Fall

gez.

Melcher Sigismund von Ibenburg

Vogt der Grafenmark Gratenfels" --- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.KennyS - 24 Feb 2014