Eine Reise Soll Es Sein

Eine Reise soll es sein

„Wartet noch einen Augenblick, euer Wohlgeboren, .“ Der junge Wachsoldat, der vor dem Tor des bunten Schlosses stand, wippte ein wenig unruhig von einem Bein aufs andere. Die ältere Dame vor ihm, wartete nun schon ein viertel Stundenglas darauf eingelassen zu werden. Und – wie immer – ließen sich die hohen Herrschaften Zeit.

Er atmete erst auf als von drinnen endlich der Befehl erscholl, das Tor für die Edlen vom Moosgau zu öffnen.

Gudo bemerkte, wie der Soldat vor ihm leicht fröstelte. Lausinger war sein Name, das hatte er während des Ritts nach Obena erfahren. Einer der Jäger. Praktischer Mensch. Nützlicher Mensch. Sicherlich irgendwo zwischen dreißig und vierzig Götterläufen, war er einer der dienstälteren Gardisten und hatte sich angeboten, auch einmal das bunte Schloss sehen zu dürfen. Gudo selbst war nur einmal zuvor in Obena gewesen. Das war vor sicher zehn –fünfzehn?- Jahren. Schon damals war es ein ganz besonderes Erlebnis gewesen, all den Prunk zu sehen, den der Baron zur Schau stellte. Er konnte dem Diener seinen Enthusiasmus nicht verdenken. Doch auch Gudo, der sich sonst eigentlich nicht viel aus Kälte machte, bemerkte eine unangenehme Frische in der Luft. Der Baron ließ warten. Er und Harda warfen sich viel sagende Blicke zu.

Harda war nervös. Sie kannte den Baron nicht- nur Geschichten. Dass er sie warten ließ, passte gut zu dem, was sie gehört hatte. Großmutter Rahjalin war früher gelegentlich zu Gast gewesen, als es ihre Gesundheit noch zuließ; doch auch die Edle mied wohl den Umgang mit Keyserring, so gut sie konnte. Harda fragte sich, wie ein Mensch wie Baron Rajodan gleichzeitig abstoßend und schöngeistig sein konnte. Unterbewusst zog sie ihren Umhang enger; man musste sie doch schon lange kommen sehen haben?!

Die Edle von Moosgau kannte diese Gebärden noch von früher. Der Baron war ein eigensüchtiger Mann, der Gefallen am Leiden anderer fand. Innerlich dankte sie Tsa für seine Erstgeborene, und dafür, dass die Göttin ihm keinen Sohn wie Odelia geschenkt hatte. Sie war vom Kutschbock gestiegen, als ihnen das Tor versperrt geblieben war und wartete seitdem geduldig vor der Tür. Einen kurzen Moment lang wollte Rahjalin zu Moosgau schauen, bevor sie bemerkte, dass sie nicht wusste, in welcher Richtung es genau lag. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder der Realität zu. Keyserrings Soldat sah unangenehm berührt aus. Doch wer wusste schon, wer in diesem Haushalt heutzutage das Oberhaupt stütze, und wer nicht? Das wusste sie ja nicht einmal in ihrem eigenen.

Ein erleichtertes Seufzen ging durch die Moosgauer Abordnung, als sich das Tor des bunten Schlosses öffnete. Die Reisenden ließen ihre Soldaten zurück, um die Bücher zu entladen.

Harda war überwältigt von der großen Halle Obenas. Überall Marmor und Werke, die die Stadthäuser Elenvinas verblassen ließen. Sie konnte sich kaum beherrschen, nicht von dem direkten Weg zum Baron abzuweichen, um sich Dieses oder Jenes genauer anzuschauen. Noch nie hatte sie eine solche Ansammlung von Schönheit auf einmal gesehen- nicht daheim, nicht zu Besuch und schon gar nicht in den drögen Amtsstuben der Verwaltung. Nur ein Objekt in diesem Raum störte ihre Bewunderung gewaltig: der Hackklotz an der Seite. Als sie den groben Richtplatz sah, entfuhr ihr ein erschrockener Ausruf. Wie konnte ein Mann nur zeitgleich so schöngeistig und abstoßend sein?

Gudo war auf den Anblick der Halle nur unwesentlich besser vorbereitet als seine Frau. Er wusste, dass der Baron ein Händchen für Kunst hatte, aber seit seinem letzten Besuch waren viele neue Stücke hinzugekommen. Auch Gudo drehte seinen Kopf nah dem einen oder anderen Objekt, ignorierte aber betont den Hackblock. In den wenigen Momenten, die sie die Halle durchmaßen, musste er nachdenken: Was hatte das alles gekostet? Und: Hätte das Geld nicht sinnvoller eingesetzt werden können? Diese exzessive Zurschaustellung von Wohlstand würde man sicher eher im Horasreich erwarten als hier, im hintersten Winkel der Nordmarken.

Auch Rahjalin stockte kurz, als sie die große Halle betrat. Ihre Enkel mochten wenig davon verstehen, doch die alte Dame war schon immer begeistert von der Gestaltung der Halle gewesen, die doch als Gesamtwerk beeindruckender war als einzelne Teile. Früher war sie öfter hier zu Besuch gewesen, doch seit sie selbst in die Jahre gekommen war, hatte das ohnehin brüchige Verhältnis zum Baron gelitten. So schnell und zielstrebig, wie es der sechzigjährigen Dame möglich war, ging sie auf den Sitz des Barons zu. Sie wollte die Sache endlich hinter sich bringen. Den eisernen Schlächter ignorierte sie, so gut es ging. Als sie vor dem Baron stand, merkte sie zu ihrem Ärger, dass der Mann sich in den letzten Jahren deutlich besser gehalten hatte als sie selbst. (Gudo von Bösenbursch / Harda von Bösenbursch / Rahjalin von Bösenbursch; 09.03.)

Nachdem die Abordnung ihn entsprechend aller Regeln der Etikette begrüßt hatte, sagte der Baron ohne auch nur ein Wort des Willkommens drei Worte: „Also bitte, berichtet.“

Gudo und Harda holten tief Luft. Die beiden Amtsleute waren es gewohnt, in Gesellschaft zumindest begrüßt zu werden. Rahjalin blinzelte jedoch nur. So etwas war zu erwarten gewesen. Damit konnte sie leben. Aber worauf wollte er hinaus? Sie sah zum Baron auf und fragte: "Wo soll ich anfangen, euer Hochgeboren?"

„Am Anfang natürlich.“ Sagte Rajodan genervt. Diese ewigen Bittsteller wollten schließlich etwas von ihm.

„Beginnt am besten damit zu berichten, weshalb es euch nicht möglich war, so zu wirtschaften, dass ihr ohne Bittstellung auskommt.“ Ergänzte Roban Lye von Hax, der Verweser des Barons. Er war schon älter, hatte schon viele Götterläufe erlebt. War bereits unter Rajodans Vater Burgoffizier gewesen und vor einigen Jahren, bereits über dem Zenit seiner besten Zeiten, zum Verweser aufgestiegen. Er entstammte einer der anderen, großen Ritterfamilien in den Eisensteinen und war Rahjalin wohl bekannt.

Rahjalin sah zu von Hax und legte irritiert die Stirn in Falten. Sie gestikulierte etwas mit der rechten Hand und zuckte mit den Schultern. "Ich verstehe den Grund eurer Frage nicht. Es ist doch bekannt, dass Moosgau kaum Weideflächen besitzt. Die Gemeinen nutzen schon so gut wie jede Waldlichtung, sie fischen und dürfen sogar jagen. Woher sollen die Flächen denn kommen, von denen sich das Volk ernähren soll?"

Was bei den Zwölfen dachte sich diese Person eigentlich? Wie wagte sie es mit ihm zu sprechen: „Ja, dies ist bekannt. Aber ihr führt nun mal ein Lehen. Und es gibt wohl nur zwei mögliche Interpretationen: Entweder- Moosgau ist als Lehen zu führen. Dann meine Liebe macht ihr wohl etwas falsch, da es sich nicht selber trägt. Denn die andere Möglichkeit, das Oder, wäre wohl -Moosgau ist einfach als Lehen NICHT zu führen…“ Und was das hieß konnte sich die tattrige Alte an ihren zehn Fingern abzählen. Mit diesen Worten erhob sich Rajodan und lief einige Schritte auf und ab.

Das Ritterhandwerk hielt den Körper stark, das fiel an ihm besonders auf, wenn er neben Rahjalin stand und mit dynamischen Schritten die Halle entlangschritt. Mendena hatte den Mann, der auch in Friedenszeiten viel von täglichen Leibesertüchtigungen hielt, ein wenig drahtiger gemacht, als er es sonst war. Und jetzt - nur wenige Monde nach seiner Rückkehr - wirkte er immer noch ein wenig zu dünn für seine Statur.

Dann blieb er abrupt stehen. Sah Rahjalin an und fuhr fort: „Also nocheinmal: Was verhindert, dass Moosgau … sich selbst erhalten kann? Wo liegen die Probleme? Ihr sagtet, es sei nicht genügend Weidefläche vorhanden? Habt ihr dafür eine Lösung? Oder ist die einzige Lösung jährlich einen Bettelbrief zu schreiben? So sprecht! Immerhin wollt IHR etwas von MIR!!“ Er machte eine kurze Pause, fuhr dann bissiger fort: „IHR wollt etwas von MIR und wollt euch nichtmal erklären? Findet ihr diese Haltung nicht ein wenig .. unverfroren?“

Die unterschwellige Drohung des Barons verfehlte ihre Wirkung nicht. Während die beiden Jüngeren im Hintergrund Keyserring erschrocken anstarrten, nickte Rahjalin langsam und fuhr gemäßigter fort: "Verzeiht, Hochgeboren. Natürlich gäbe es Lösungen für Moosgau. Die Erdesch, das Tal zu Füßen des Zalman, böte Platz für die Felder der Bauern. Der Krähenwald ist allerdings zu dicht, um die Erdesch zu bestellen. Pferde, Wägen und Karren können die Strecke nicht passieren. Um aber eine Schneise zu schlagen oder den Wald um Alt-Krapohl zu roden, um Platz zu schaffen, fehlt es Moosgau schlicht an Geld, Zeit und Arbeitskraft. Und selbstverständlich...", fügte sie mit einer Verneigung hinzu, "...wollten wir euch und euren Verweser nicht während Krieg und Heerzug mit den Einzelheiten belästigen."

„Sicher.“ erwiderte der Baron versöhnlicher. Was nichts zu bedeuten hatte, wie die Ältere wusste. Dann setzte Rajodan wieder an und fuhr fort in seiner Halle umherzuwandern: „Ihr wolltet mich also … vor dem Heerzug nicht belästigen? Darf ich daraus schließen, dass ihr diesen Plan also erst .. kürzlich … gefasst hat. Obwohl ihr nun schon länger belehnt seid als ich? Wird dann die Umsetzung dieses .. Plans, ebenso viel Zeit in Anspruch nehmen, wie ihr brauchtet ihn zu erdenken?“ Und er blieb genau vor Rahjalin stehen. Fast ein wenig zu nah, gerade noch so, dass es kein massiver Bruch der Etikette war. Allerdings sah er ihr unverwandt in die Augen. Durchbohrte sie mit seinen fast schwarzen Augen. „Also?“

Die Augen der Edlen waren am Sitz des Barons kleben geblieben, während der Mann durch die Halle gewandert war. Nun, als es sich nicht mehr vermeiden ließ, erwiderte sie den Blick kurz. Dann schloss sie die Augen und antwortete. „Die Erdesch liegt länger brach, als jeder von uns denken kann. Hochgeboren, Pläne zur Bewirtschaftung des Tals sind, soweit ich weiß, mindestens genauso alt wie das Lehen. Allein gab es nie genug Hände, um eine Schneise zu schlagen und gleichzeitig die Felder zu bestellen, weshalb die Sache zu den A-, ich meine, bis auf weiteres verschoben wurde. Mein Enkel Gudo“, sie öffnete die Augen wieder und wies auf den jungen Mann hinter ihr, „den ich gelegentlich mit den Geschäften des Lehens betraue, meinte kürzlich, es gäbe vielleicht eine Lösung für das Problem.“

Gudo wurde mulmig. Versprach seine Großmutter hier nicht vielleicht etwas viel?

Der Baron wandte sich abrupt um: „Ihr seid Jolentas Sohn. Wir haben schon einiges von Euch gehört.“ Dann musterte er Gudo, abschätzig, verweilte sein Blick auf dem kleinen Wohlstandsbäuchlein. „Er ist euer anempfohlener … Erbe?“

Harda sah von Rahjalin zu Gudo und zurück. Der Baron hatte einen wunden Punkt getroffen. Die Erbschaft war bisher stets in der Schwebe geblieben. Sie wusste, dass Rahjalin an der Einigkeit der Familie gelegen war, doch Jolenta zu überspringen, würde das Fass womöglich zum Überlaufen bringen… Auch Gudo erstarrte für einen Moment; sein Nacken fühlte sich taub an. Diese Sache hatte er gar nicht bedacht! Ob wissentlich oder nicht, der Baron hatte seine Großmutter in Zugzwang gebracht. Die Edle von Moosgau lächelte nur mild und sah den Baron an. „So ist es angedacht, Hochgeboren, auch, wenn ich keine Eile habe, vor Rethon zu treten.“ Gudo rutschte das Herz in die Hose. „Dann los, junger Mann, was sind das für … Lösungsansätze?“ Er ließ sich endlich wieder auf seinem Stuhl nieder. Sein stechender Blick taxierte den jüngeren Bösenbrusch und er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Lehnen. Das flaue Gefühl war noch nicht ganz abgeklungen, als Gudo vortrat und Harda allein zurückließ. Er verneigte sich erneut, sammelte sich kurz und begann zu sprechen: "Euer Hochgeboren, als ich die Aufzeichnungen des Lehens durchsah, bemerkte ich, dass die letzten Berechnungen bezüglich des Erdeschtals nunmehr fast siebzig Jahre zurückliegen. Damals gab es die Waldglashütte noch nicht und Alt-Krapohl war deutlich kleiner, als es heute ist. Seinerzeit kam man zu dem Ergebnis, dass es aus den genannten Gründen nicht möglich sei, den Wald zurückzudrängen. Wenn nun meine Vermutung richtig ist, dann ist diese Feststellung seither nur wiederholt, aber nie wieder wirklich überprüft worden. Leider bin ich mit der Durchsicht der Akten noch nicht fertig. Der Ort ist jedenfalls stark gewachsen, was eben auch ursächlich für die Knappheit ist. Ich halte es für möglich, die besagte Schneise aus eigenen Mitteln herzustellen, doch fehlte mir bislang die Zeit, diese Berechnungen anzustellen. Meine Anstellung in Elenvina… sagen wir, die Umstände bedingen, dass es noch keine fertige Lösung gibt, sondern nur Ansätze.“ Innerlich verfluchte er sich selbst. Er war schlecht vorbereitet. Warum war seine Großmutter nur so voreilig gewesen?

„Nun, denn junger Mann. Ihr scheint ein wenig … planmäßiger vorzugehen als es eure Großmutter zu tun gewohnt ist. –- Wie lange braucht ihr bis ihr die Unterlagen geprüft habt?“ Harda warf einen Blick zu Rahjalin. Sie hatte Gudos Großmutter in den letzten Jahren kennen und schätzen gelernt- die steife und unbewegliche Haltung verriet, dass sie zornig sein musste. Auch Gudo spürte den Blick der Edlen in seinem Rücken, als er fortfuhr. Dieses Gespräch würde Folgen haben. "Nun... wenn alles wie bisher verläuft, dürfte es einige Monde dauern, selbst wenn ich die anderen Geschäfte des Lehens vorerst beiseite lasse. In Elenvina sind seit dem Ende der Heerfahrt die Niederhöllen los und meine Vorgesetzten sind schon jetzt nicht erfreut über meine Abwesenheiten. Ich schätze, Ende Hesinde werde ich mehr sagen können, Hochgeboren."

Der Baron hob eine Braue und sah zu seinem Verweser hinüber: „Roban, hättet ihr einen Termin für den jungen Herrn, sagen wir Anfang Tsa?“ Der Verweser schaute irritiert. Was bezweckte sein Lehnsherr mit dieser Mildtätigkeit? Dann sah er in ein kleines Büchlein, das er aus seiner Umhangtasche zog. „Anfang Tsa habt ihr einige Einladungen in Elenvina und werdet erst am achten des Mondes wieder hier sein.“ „So gebt ihm einen Termin, sagen wir am 12.“

„Nun zu etwas anderem.“ brachte der Baron nach einer kurzen Pause vor. „Das Mehl. Ich sage es Euch frei heraus, Euer Wohlgeboren. Selbst wenn ich wollte, worüber ich mir nicht sicher bin, könnte ich euch nicht aushelfen.“ Die letzten Worte ließ er in der Luft hängen. Dann machte er eine gönnerhafte Bewegung mit dem Handgelenk und der Ritter von Hax fuhr fort. „Durch den Krieg war unsere Baronie viele Monde unbewacht. Allein die Landwehr hat die Felder und Vorräte gesichert. Das taten sie tapfer und leider nicht ohne Verluste an Leben und Korn. Zum anderen .. wird der Winter hart. Er hat früh begonnen und wird sich – folgen wir den Prognosen – länger hinziehen als üblich. Wir haben also weniger Korn als üblich, brauchen es aber länger als üblich.“ Dann war er still, starrte Rahjalin mit kalten Augen an. Er war nicht von Natur aus ein böser Mensch, das wusste sie, sondern einfach nur jemand, der seinem Herrn stets beipflichtete. Leider wusste die alte Frau aber, dass Roban dieses Mal die Wahrheit sprach. Sie hatte von den Überfällen im Tal gehört.

„Es gäbe allerdings eine Möglichkeit, die ich gerne für euch und meine Untertanen, in Erwägung ziehen werde. Die Rickenbacher Truppen sind am stärksten dezimiert worden, während wir auf Mendena marschierten. Ich werde Merkan einige meiner Soldaten inklusive Waibel zur Verfügung stellen. So werden wir einiges an Korn einsparen, was Moosgau zur Verfügung gestellt werden kann. Wenngleich, es nicht soviel ist, wie ihr verlangt habt.“ Rahjalin wusste, was der Baron bezweckte. Er war ein Künstler, vor allem darin, die Dinge so zu verdrehen, dass er doppelt und dreifach davon profitierte. Herrschaftliche Truppen in Rickenbach? Der Baron wollte seit Jahren seinen Einfluss auf das Lehen vergrößern. So, wie es jetzt stand, wäre es ihre Schuld – und das würde Rajodan sicher auch gegenüber Rickenbach betonen. Außerdem konnte er so auch die Neubelehnung nach dem Tod von Merkans Neffen Hagrian hinauszögern. Was auch in seinem Interesse war- aber was sollte sie nun sagen? Ablehnen konnte sie nicht.

Dann klatschte der Baron in die Hände. „Gut. Kommen wir also zur letzten Angelegenheit. Ihr schlagt also euren Enkel vor, der sobald ihr zu Boron gegangen seid euren Platz als Edler von Moosgau einnehmen soll?“ Seine dunklen Augen stachen erneut in Rahjalins Geist. Der Baron hörte sich unangenehm vorfreudig an. Ob Gudo die richtige Wahl gewesen war? Kurz schaute sie zu ihrem Enkel, der sie gerade öffentlich blamiert hatte. Ein Zurück gab es jetzt ohnehin nicht mehr. Eine solche Aussage zurückzunehmen, war tödlich, das hatte sie in vielen Jahrzehnten im Amt gelernt. Keyserring wollte sie nur noch weiter verunsichern, da war sie sich sicher. Sie nickte und antwortete etwas zerknirscht. "Wenn es euch gefällt, Hochgeboren." „Das habe ich noch nicht abschließend entschieden.“ Er musterte Gudo. „Nein, fürwahr.“ Sein Lehnstuhl stand auf einer kleinen marmoren Erhebung. So dass selbst wenn er saß, der Baron den höchsten Punkt des Lehens einnahm. „Die wichtigste Frage ist doch: Wollt ihr überhaupt dieses –Verzeiht, euer Wohlgeboren“ sagte er süffisant an Rahjalind gewandt: „marode Lehen übernehmen? Es scheint mir viel Arbeit zu sein, das Moosgau auf Vordermann zu bringen. Ein Lehnsherr, der das ganze Jahr in Elenvina in einer Amtsstube hockt, wird das nicht leisten können.“ Gudo überging den ersten Seitenhieb des Barons und witterte zugleich die Gelegenheit, das kommende Donnerwetter zu mildern. "Hochgeboren, wenn es mir zufällt, dass ich meiner Großmutter an meiner Mutter statt nachfolgen soll, dann ist es nicht an mir, dies infrage zu stellen. Schließlich ist die Entscheidung darüber, wer Lehnsherr und wer Lehnsmann ist, dem Herrn Praios und seinen derischen Stellvertretern, vulgo: euch, vorbehalten- und wer bin ich, diesen Ratschluss anzuzweifeln? Gleichwohl habe ich für diese nicht eben abwegige Eventualität bereits Vorkehrungen getroffen. Wie schon meine Frau Großmutter werde ich in diesem Fall meine Amtsgeschäfte niederlegen. Glücklicherweise ist Moosgau, von der Versorgung einmal abgesehen, in guter Verfassung." „Die Versorgung, mein lieber Junge, ist die Basis jeder Lehnsführung." Setzte der Baron nach, schien aber sonst recht zufrieden mit Gudos Antwort. "Ansonsten gehe ich mit euch D'accord. Wir sollten auf die Götter vertrauen. Ich sollte das tun, wenn ich in Erwägung ziehe euch zu belehnen und ihr solltet es tun, wenn es darum geht, die Einwohner Moosgaus mit Nahrungsmitteln zu versorgen." Dann machte er eine Pause. Sah Gudo an, ein unangehmes Lächeln um die Lippen. "Ich mache euch einen Vorschlag. Einen Vorschlag mir zu beweisen, ob ihr ein verantwortungsvoller Lehnsmann wäret." Wieder machte er eine Pause, in der er einen missgefälligen Blick auf Rahjalin warf. Sie war es in seinen Augen scheinbar nicht. Alle drei Bösenburscher sahen den Baron an. Warum hatte Harda nur das Gefühl, dass dieser Auftrag halb so wichtig sein würde, wie Keyserring vorgab? Rahjalin sah Rajodan mit starren Augen an und rieb sich die Hände, um ihm nicht zeigen zu müssen, wie sie vor Wut bebten. Innerlich zählte sie schon die Schritte, die es wohl brauchen würde, um außer Hörweite Obenas zu kommen. Gudo hatte sich nun weitgehend in sein Schicksal ergeben und erwartete seinen Auftrag.

„Ich hoffe ihr mögt Schwäne?“ Diesen Kommentar ließ der Baron erstmal in der Luft hängen. „Ende des Mondes werde ich eine kleine Jagdgesellschaft mit einigen anderen Baronen abhalten. Das größte dort erlegte Wild werde ich euch zur Verfügung stellen. Dann werdet ihr es – Ihr persönlich- im Namen der Baronie Ifirn opfern. Es gibt einen Ifirn-schrein in den Nordmarken. Einen einzigen: Und diesen werdet ihr aufsuchen. Natürlich auf firungefällige Art – das versteht sich. Das wird euch der Göttin näher bringen, dem Volk, dort oben in den Ingrakuppen eure Gefälligkeit gegenüber dem Alten vom Berg demonstrieren und noch dazu werdet ihr auf dieser Reise die Bewegung bekommen, um euren Körper…“ und der Baron schaute demonstrativ auf Gudos Bauch, „erstarken zu lassen.“ Dann erhob er sich. „Roban, würdet ihr den Herrschaften bitte alles weitere erläutern?“ Damit erhob sich der Baron und verabschiedete sich in vollendeter Ettikette von seinen Besuchern -das tat er gelegentlich, um zu demonstrieren, dass er sehr wohl die Regeln des Anstands kannte, wenngleich er sie nicht befolgen wollte-

Dann zog er sich zurück. Gudo musste sich verhört haben. Er hatte einen Botendienst, Latrinenputzen oder ähnliche Scherze erwartet. Eine Pilgerfahrt? Hatte er nicht gerade eben noch erklärt, dass er nicht einfach Elenvina fernbleiben konnte?! Wie stellte der Mann sich das vor? Noch dazu einen Ministerialen auf eine firungefällige Mission zu schicken- unpassender ging es wohl nicht!

Der Ritter von Hax erläuterte Gudo genau, wo der Ifirntempel zu finden war. Wann er sich in Obena die Jagdbeute abzuholen hatte und was der Baron sich unter der deutlich angepriesenen firungefälligen Art vorstellte: Nämlich ohne Geld den Weg zu bestreiten, einzig mit einem Pferd, einem Schlitten und einem Zelt. Ein großes Opfer an den Meister der Disziplin, um mit etwas Glück seiner Tocher Milde abzuringen. Gudo schüttelte ungläubig den Kopf. "Ich nehme an, unbewaffnet? Trotz der Überfälle? Und was soll ich auf dem Weg dorthin essen, guter Mann? Das ist ja ein ganz vortrefflicher Spaß, den sich euer Herr mit mir macht..."

Roban runzelte die Stirn. „Soll ich den Baron zurückholen, damit ihr diese Humorfrage klären könnt?“ Bitte nicht, dachte Harda und sah ihren Mann verärgert an. Er macht zwar eine kurze Pause, aber er erwartete eigentlich keine Antwort auf diese Frage: „Zu den Waffen....“ Sein Tonfall ließ keinerlei Zweifel daran, dass er die Frage für völlig undurchdacht hielt: „Es ist eine firungefällige Reise. Keine um Tsa zu ehren. Was glaubt ihr wohl? Doch falls ihr es wirklich nicht wisst: Im Moosgau wird man euch sicher mehr zu euren Fragen sagen können. Der alte vom Berg soll dort sehr verehrt werden, wie ich hörte.“ Gudo lächelte gequält. "Und hier eher nicht, wie ich hörte, Wohlgeboren. Nur, um mir über die Vorstellungen seiner Hochgeboren Klarheit zu verschaffen..."

Es folgte eine kurze Verabschiedung, schließlich habe von Hax viel zu tun – den Brief nach Rickenbach aufsetzen beispielsweise - und dann waren die Moosgauer entlassen. Ihre Begleiter hatten die Bücher bereits alle ausgeladen und mit einem nun leeren Wagen konnten sie die Heimreise antreten.

-- Main.CatrinGrunewald - 04 Feb 2020