Eine Neue Generation Reift Heran

Eine neue Generation reift heran

Erschöpft sank sie auf ihr Lager, ein langer Tag lag hinter ihr. Ein Praioslauf den sie sich über Götterläufe herbeigesehnt hatte und zugleich hatte sie ihn stets gefürchtet. Natürlich wollte sie endlich in den Ritterstand erhoben werden, war dies doch gleichbedeutend mit einem selbstbestimmten Leben – sofern ein Adelsspross dies, ohne sich von seiner Familie loszusagen, überhaupt führen konnte. Allerdings war der Tag der Erlösung auch mit einer Demütigung verbunden, einer Gängelung die den scheidenden Knappen ein letztes Mal Demut lehren sollte. Eine Sauhatz durch die Straßen der Herzogenmetropole, eine bescheuerte Idee wie sie nur das kindische Hirn eines Mannes zu ersinnen vermochte. Im Nachhinein konnte sie nicht abstreiten das sie an der Jagd ihre Freude gehabt hatte. Es hatte ihr Spaß bereitet über Karren und Kisten hinwegzusetzen um ihrer Beute nachzustellen, wobei diese ihr mehrfach in letzter Sekunde durch die Finger geglitten war. Als sie endlich beide Arme fest um ihr Ziel geschlungen hatte, war sie von Kopf bis Fuß verdreck gewesen. Tatsächlich musste sie feststellen dass es nicht das schwerste gewesen war die Sau zu fangen, sie musste das blöde Vieh ja auch noch auf die Burg bringen. Mit Hilfe eines Strickes hatte sie das Tier an die Leine genommen und zurückgeführt, ganz offensichtlich gegen den Willen der Sau.

Inzwischen hatte sie ihr Hemd gründlich gewaschen, während der Dreck auf Lederhose und Stiefeln trocknete um ausgebürstet zu werden. Sie hingegen lag frisch gebadet auf ihrem Bett, ihr hellbraunes Haar, durchzogen von blonden Strähnen, noch immer feucht, einem Fächer gleich über sich ausgebreitet. Wie ihr Haar, war auch ihr sauberes Nachthemd noch vom Bad etwas nass, sodass der feine Stoff an ihrem schlanken, drahtigen Leib klebte. Tastend fand ihre Rechte den gesuchten Gegenstand und ihre Finger schlossen sich um den Griff ihres neuen Schwertes. Eine schöne Klinge, die ihr der Herzog neben ihrer Erhebung zum Geschenk gemacht hatte. Noch immer konnte sie es kaum glauben, endlich war sie eine Ritterin!

Vorfreude und Aufregung hatten Ravena von Ahnwacht in der Nacht den Schlaf geraubt. Heute würde sie vor ihre Mutter treten, erstmals als erwachsene Frau die selbst für ihre Fehler einstehen konnte, musste und auch wollte. Mit Hilfe einer Freundin hatte sie sich gerüstet und stand nun gewappnet in ihrer ehemaligen Kammer. Sie würde dieser Kammer verlassen – ein letztes Mal, nach ihrer letzten Nacht in ihrem alten Leben. Nachdem sie ihren Wappenrock, in den Farben des Hauses Ahnwacht und nicht der des Herzogs, überworfen hatte gürtete sie ihr neues Langschwert, das Symbol ihres ebenso neuen Standes. Zum ersten Mal wurde sie sich richtig bewusst, dass sie ab sofort die Hohe Dame Ravena Gwenn Marbolena von Ahnwacht war! Stolz und erhobenen Hauptes verließ sie das Zimmer, das letzte Mal.

Auf dem Rücken ihrer Apfelstute ritt sie durch die Gassen Elenvinas bis zum Stadthaus ihrer Familie. Ein Weg den sie gut und gern hätte zu Fuß zurücklegen können, heute aber war es ihre Heimkehr. Ihre gesamte Wehrhaftigkeit in Szene setzend, kam das Tor zum Stammhaus ihrer Ahnen immer näher. Einladend, wie es tagsüber üblich war, stand offen und ließ Ravena ohne Verzögerung auf den Hof reiten. Zuhause! Das Gäste auf den Hof geritten kamen war nichts ungewöhnliches, doch das geführte Wappen das die Diener erblickten war eine Seltenheit. Nur die Töchter der Matriarchin durften ein Kriegshandwerk erlernen, sofern sie es denn wollten. Tatsächlich waren es genau vier lebende Kämpferinnen in ihren Reihen, neben ihrer Mutter, dem Oberhaupt der Familie, und ihr selbst gab es lediglich ihre Tante, eine ausgebildete Kriegerin, und ihre jüngere Schwester die derzeit noch in Knappschaft war.

Natürlich hatte man im Haus von der gestrigen Sauhatz gehört, dennoch war es eine freudige Überraschung die Erbin endlich wieder in den Farben des Hauses gewandt zu sehen. Ein Diener eilte noch herbei um die Zügel ihrer Stute zu ergreifen, da traten bereits erste Familienmitglieder aus dem Portal und versammelten sich am oberen Ende der Treppe. In erster Reihe eine ältere Ausgabe der soeben eingetroffenen jungen Ritterin, Gwenn Marbolena Ivrea von Ahnwacht das Oberhaupt der Familie und sichtlich stolze Mutter. Keiner rührte sich, während sich Ravena Stufe für Stufe ihnen näherte. Als sie sich endlich Auge in Augen gegenüber standen, bot die Mutter ihrer Tochter die Hand zum Kriegergruß – nur um sie anschließend in die Arme zu schließen. Es folgten zahlreiche Umarmungen und Glückwünsche, eh sich die beiden Hohen Damen in einen ruhigen Salon zurückziehen konnten. Lang währte das Gespräch, in der die Zukunft der Jungritterin besprochen wurde. So lang das ihnen zwischenzeitlich eine Magd etwas zu Essen brachte und es erst zum späten Nachmittag der heimkehrende Vater war, der der Unterhaltung ein Ende bereitete. Der deutlich ältere Sturmfelser wäre gern in Ehre ergraut, doch hatte er große Teile seiner Haarpracht bereits vor der Geburt seiner Kinder gelassen und pflegte seither einen sauber rasierten Schädel. Laut polternd stürmte der kräftige Adlige in den Salon um seine Tochter an sich zu drücken. Dass es der jungen Frau nicht die gesamte Luft aus der Lunge presst wurde, verdankte sie vermutlich ihrer Rüstung.

Als am Abend in der großen Halle alle anwesenden Familienmitglieder zu einem spontanen Fest zusammenkamen war die Stimmung gelöst. Ihren eigenen Stand als Ritterin betonend, hatte Gwenn von Ahnwacht nicht etwas ein hübsches Kleid als dem Anlass passend empfunden, sondern stellte selbstbewusst ihr kriegerisches Wesen zur Schau. Auf viele Bestandteile ihrer Rüstung hatte sie verzichtet, die übriggebliebenen Stücke wie Unterzeug, Wappenrock und Schwertgurt zeigten jedoch bereits deutlich ihre Absicht. Mit bewegenden Worten hieß sie ihre Tochter an ihrer Tafel willkommen und stieß auf sie an. Inzwischen hatte alle etwas gegessen, als Gwenn erneut das Wort an die Versammelten richtete. Mit dem Ritterschlag folgte die Verantwortung des Lebens, um dennoch die Gelegenheit zu haben weiter zu Reifen würde Ravena ab dem morgigen Praioslauf bereits auf Aventurie gehen – ihre ritterliche Selbstfindung bis sie Ende Efferd des kommenden Götterlaufes erneut heimkehrte und im Travia-Mond den Bund fürs Leben beging. Als Gatten hatte Ravenas Tante, die Brauttauscherin der Familie, einen Bruder der frisch erhobenen Baronin von Schweinsfold aufzubieten, eine Leistung die sie durchaus mit Stolz verkündete.

-- Main.VonRichtwald - 21 Aug 2019