Einbestellt

Einbestellt

Zufrieden legte Gudo das letzte Hemd in die Satteltasche. Endlich würden Harda und er nach Elenvina zurückkehren können. Eine Woche Moosgau war wirklich genug für seine Nerven gewesen. Nicht nur die unangenehme Konfrontation mit Leomar am zweiten Abend, auch die Ratssitzung gestern war alles andere als angenehm gewesen. Eine Holzfällerfamilie hatte darum gebeten, im jüngst freigeschlagenen Bereich einen Garten anlegen zu dürfen, doch natürlich wollten auch die Bauern das Land in Beschlag nehmen. Nach längerer Diskussion hatte Gudo sich der Realität gebeugt und den Streifen den Bauern zugeschlagen- und sich den Zorn der Holzmeister zugezogen, die prompt nach „der echten Edlen“ verlangt hatten. Gudo schüttelte es bei dem Gedanken kurz. In diesem Moment kam Harda zur Tür herein. Sie stockte kurz, als sie ihren Mann sah und zog eine Augenbraue hoch. „Ist alles in Ordnung?“ Gudo schaute zur Tür und seufzte. „Natürlich. Ich wünschte nur manchmal, Großmutter würde mich die Arbeit tun lassen, die sie mir aufträgt...“ Harda blinzelte und hielt mit gestrenger Miene einen Brief hoch. „Wo wir gerade bei Rahjalin sind, mein Lieber, was hast du denn dem Baron genau geschrieben? Die Antwort kommt doch sehr zeitig, nicht wahr? Und noch dazu an sie persönlich adressiert.“ Der junge Mann sah zu dem Schreiben und erstarrte. Eine Antwort nach nur vier Tagen? Das bedeutete nichts Gutes. Der Baron konnte unmöglich so schnell eine Genehmigung aussprechen. Eine Ablehnung? Fassungslos setzte er sich auf das Bett. Harda seufzte. Sie kannte Gudo gut. Er würde die nächsten Stunden grübelnd und Trübsal blasend verbringen- Fehlschläge konnte er nur schlecht verkraften. „Ich bringe den Brief zu deiner Großmutter und berichte dir, wenn ich weiß, was darin steht, ja?“ Gudo nickte. Was hatte er nur falsch gemacht?

Auf dem Weg zu Rahjalin wurde Harda etwas mulmig. Baron von Keyserring kannte sie nur aus Erzählungen. Was sie gehört hatte, ließ den alten Leomar in einem ganz neuen Licht erstrahlen. Sie fand die Edle von Moosgau dort, wo sie die meiste Zeit des Tages verbrachte: hinter dem Esstisch, vor dem Fenster nach draußen. Sie liebte es, Alt-Krapohl von dort zu beobachten. „Großmutter Rahjalin?“ Rahjalin schreckte aus dem Halbschlaf hoch. Sie sah sich um und entdeckte die kleine Harda hinter sich. Wobei- so klein war sie gar nicht mehr. „Harda, Liebes, komm‘ näher. Was gibt es?“ Harda atmete tief ein und trat an den Sessel heran. „Ein Brief vom Baron, Großmutter. Für dich persönlich.“ Sie hielt das Schreiben der Alten hin. Die Edle beäugte den Brief misstrauisch. „Vom Baron?“ „Sein Verweser, Großmutter.“ „Also vom Baron. Hm! Lass mal sehen, was der Bursche schreibt!“ Während Rahjalin das Schreiben las, bildeten sich tiefe Sorgenfalten auf ihrer Stirn. Als sie fertig war, reichte sie das Papier zurück an Harda und faltete die Hände. „Lies‘ selbst.“ „An die Edle von Moosgau…Gesuch erhalten…bitten, persönlich vorstellig zu werden…Bücher zwecks Prüfung mitführen…auch euer Enkel- was bildet der sich eigentlich ein?!“ Rahjalin winkte ab. „Ruhig Blut, Harda. Rajodan von Keyserring ist Baron von Eisenstein. Wenn er uns einbestellt, dann müssen wir gehorchen.“ „Was? Aber- du hast doch seit Wochen nicht das Haus verlassen! Und jetzt sollst du hinunter ins Tal? Der Mann ist doch genauso schlecht wie sein Ruf!“ Die Augen Rahjalins verengten sich und sie Stimme der Edlen wurde eine Spur strenger. „Ich bin alt, aber noch nicht so schwachsinnig, wie Keyserring glaubt. Wenn er meint, dass er unsere Bücher sehen muss, dann bitte. Die sind völlig in Ordnung, das weiß jeder, der uns kennt!“ Jetzt war auch sie in Fahrt. Selten hatte man Haus Bösenbursch so beleidigt! “Wahrscheinlich versteht er selbst nicht einmal die Hälfte von dem, was darin steht. Er plustert sich nur gern auf, besonders, wenn eine Frau vor ihm steht. Aber dann soll das dekadente Schwein aus Obena sich die Blöße doch geben! Geh‘ und sag‘ deinem Mann Bescheid; wir brechen morgen auf!“ Harda wusste kaum, was sie sagen sollte. Sie hatte die Edle schon oft traurig oder enttäuscht gesehen, aber solche Wutausbrüche- und schon lange diese Worte- kannte sie von ihr nicht. Rahjalin schien tief beleidigt und auf einen Schlag um Jahre jünger zu sein. „Na- natürlich, Großmutter. Ich lasse sofort die Vorbereitungen treffen.“ Kurz bevor sie um die Ecke zum Gästezimmer bog, rief Rahjalin sie noch einmal zurück. „Ach ja-! Harda?“ Harda drehte sich um. „Ja, Großmutter?“ Die Edle hatte sich aufgerichtet und stand jetzt vor dem Fenster. „Sag- Ich habe es schon einmal gesagt, aber lass‘ dieses „Großmutter“-Getue weg. Ich brauche jemand von klarem Verstand, mit dem ich sprechen kann, ja?“ Verwirrt nickte Harda Rahjalin zu. „Natürlich…“

Als Harda sich entfernt hatte, wandte sich Rahjalin noch einmal dem Geschehen auf dem Dorfplatz zu. Eigentlich hatte sie etwas anderes sagen wollen. „Sag Gudo, dass ich ihn brauchen werde.“ Aber sie hatte es sich anders überlegt. Leomar hatte Recht. Der Junge musste so etwas selbst erkennen. Während ihr Zorn langsam wich, war sich Rahjalin plötzlich nur noch halb so sicher, dass das Treffen mit dem Baron so einfach werden würde, wie sie anfangs gedacht hatte.

Gudo schaute auf, als Harda im Türrahmen erschien. Sie schien aufgewühlt, und er hatte die Stimmen im Essraum gehört. „Und?“ Sie seufzte und ging auf Gudo zu, der noch immer auf dem Bett saß. „Der Baron zitiert deine Großmutter und dich nach Obena. Und die Bücher sollt ihr mitbringen.“ Gudos Augen wurden groß. Er sprang auf. „Wie- was? Eine Buchprüfung? Was denkt der Mann sich?“ Harda zuckte mit den Schultern. „Das habe ich mich auch gefragt. Aber was soll ich sagen?“ Gudo schüttelte den Kopf und seufzte. „Wie weit zurück?“ „Das stand nicht dabei.“ „Na, herrlich! Soll ich ihm die letzten hundert Jahre vorlegen, oder wie?“ „Gudo.“ „Nein, wirklich! Da sieht man wieder, was der Provinzadel von derlei Dingen versteht!“ „Gudo!“ „Und was soll ich dem Herrn Amtsrat sagen? Das sind doch wieder mindestens fünf Tage, die wir da verlieren!“ „GUDO!“ „WAS?“ Er bereute seinen Ton sofort, denn seine Frau sah ernsthaft besorgt aus. „Was denn?“ „Deine Großmutter.“ Er stockte kurz, erkannte, schlug sich die Hand vor die Stirn. Natürlich! Der Baron. „Ja, uff… ja, natürlich.“ „Sie ist seit Wochen nicht mehr aus dem Haus gekommen. Kann sie überhaupt noch solche Strecken reiten?“ Er sah kurz zu Boden. „Hmm, ich weiß nicht. Sie wird es sich nicht ausreden lassen…“ „Und wenn es nicht klappt?“ Er dachte kurz nach. „Wir müssen ohnehin die Bücher mitnehmen. Notfalls muss sie auf dem Kutschbock mitfahren.“ Harda verdrehte die Augen. “Auf einem Wagen?! Gudo, die Edle von Moosgau?“ Er warf die Hände in die Luft. „Ja, wie denn sonst? Eine Kutsche wird sich wohl nicht auftreiben lassen! Wir sind ja hier nicht in Elenvina!“ Beide schwiegen sich einige Augenblicke an, dann nahmen sie sich fest in den Arm.

Am nächsten Morgen ließ Gudo die Bücher der letzten zwanzig Jahre auf einen einachsigen Pferdewagen verladen und mit Decken gegen das Wetter sichern. Er, Harda und Rahjalin brachen unter den wachsamen Augen Leomars auf. Der Alte hatte unbedingt mitkommen wollen, aber seiner Frau war es gelungen, ihn zum Bleiben zu überreden. Stattdessen begleiteten zwei Gardisten mit einem Banner den kleinen Zug. Die Gruppe benötigte fast zwei ganze Tage zum Eisenstein, doch schließlich ritt die Abordnung bei leichtem Schnee auf das Tor von Burg Eisenstein zu. Ein Gardist ritt mit dem Banner vorweg, dann kamen Harda und Gudo, dann der Wagen mit Rahjalin, die kurz nach Neu-Krapohl doch umgestiegen und hatte ihr Pferd an den Wagen binden lassen. Den Abschluss bildete der zweite Soldat. Alle in der Reisegruppe hatten sich zum Schutz vor Kälte und Schnee in dicke, blaue Umhänge gehüllt. (Gudo von Bösenbursch / Harda von Bösenbursch / Rahjalin von Bösenbursch)


-- Main.CatrinGrunewald - 04 Feb 2020