Ein Kuss

Ein Kuss

Sie hatte ihn tatsächlich verunsichert. Für einen kurzen Moment war der Magus sprachlos und schien überlegen zu müssen, wie er zu reagieren hatte. Seine Stimme war rau, kehlig, wie als wenn sein Hals furchtbar trocken wäre, als er seine Sprache wiederfand.

„So ihr hofft mich auf ‚euren‘ Weg der aufrichtigen Götterverehrung zurückzubringen, so muss ich gestehen, dass ich wenig Hoffnung für mich sehe. Doch tut bitte wonach euch der Sinn steht, ich verschließe mich der Lieblichen und ihrem Wirken nicht. Ich schätze ihre Leidenschaft und den Trost die sie zu schenken vermag“, kurz zuckten die Augen des Magus über den Platz, als suche er jemanden, dann beherrschte er sich und sah wieder in das Gesicht der Rahja- Dienerin. „Doch“, er setzte erneut an. „vermag SIE nicht meine… Zweifel auszuräumen.“ (Rhys)

Mit Ende seines Satzes berührten ihn ihre Lippen. Wie zarte Blüten im Frühling kitzelten sie die seinen. Sanft drang milder Rosenduft an seine Nase, der herbsüße Geschmack reifen Granatapfels legte sich um seine Zunge, während er seine Augen schloss. Der Kuss fesselte ihn, hielt ihn gefangen in einer schier unlösbaren Vereinigung. Vor seinen geschlossenen Augen tanzten bunte, funkelnde Lichter und bitzelnde Wärme umfing seinen Körper. Mit jedem Zusammenziehen seines Herzens rauschte ekstatische Lust durch seine Adern und sog ihn machtvoll in das eigene Innere. Mit jedem Sog spürte er die Endlichkeit derischen Leids und die Leichtigkeit seiner Seele, die ihn im Paradies erwarten würde. Doch der Preis, den er mit jedem Herzschlag für den Blick ins Paradies zahlte, war hoch, denn er durchschritt jedesmal ein tiefes Tal all seiner Ängste.

Maeve spürte, dass Rhys litt. Dass die Gefühle, die sie als so erhaben empfunden hatte, ihm andererseits Schmerzen bereiteten, weil er sie in seinem Innersten begraben hatte, als seien sie nichts als närrische Hoffnungen. Sie lagen begraben in den Tiefen einer Seele, die sich ummantelt hatte mit ungeweinten Tränen und nie geträumten Albträumen, und eine dicke verkrustete Schicht aus Hybris, Starrsinn und Willenskraft hielt das labile Konstrukt davon ab zu brechen.

Als sie spürte, dass diese Hülle spröde wurde und seine feuchten Tränen ihre Wangen befeuchteten, wusste sie, dass ihre berauschende Ekstase enden musste. Seine Seele war noch nicht bereit dafür, so frei zu fühlen wie die ihre, noch nicht bereit eins zu werden mit sich selbst und ihrer Göttin. Noch nicht bereit zu vergeben, anderen nicht und sich selber noch weniger. Also löste die junge Frau ihre Lippen von den seinen, überließ ihn den letzten Zügen seiner schwächer werdenden Ekstase mit dem Wissen, ihm gezeigt zu haben, was er zu fühlen vermochte, wenn er es zuließ. Was er mit diesem Wissen anfangen würde, lag nicht mehr in ihrer Hand.

Überwältigt von für ihn schier ungreifbaren Gefühlen, die nun allzu plötzlich und völlig unerwartet in ihm aufbegehrten, sich mit Gewalt ihren unaufhaltsamen Weg an die Oberfläche bahnten, stieß Rhys zurück, löste jedweden Körperkontakt zu der Geweihten und stand mit weit aufgerissenen Augen und schierem Entsetzen auf seinen entstellten Gesichtszügen einfach nur dar und suchte verzweifelt nach seiner Fassung.

Jahrelang hatte er all das, was sie in so kurzer Zeit in ihm geweckt hatte, mühsam unterdrückt, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Zu vielen Dämonen war er begegnet, zu vielen von ihnen war er viel zu nahegekommen, um sie zu bekämpfe, auszutreiben, zu bannen, hatte ihr Wesen zu intensiv studiert und anders wahrgenommen, gespürt.

Starke Gefühle, positiv wie auch negativ, waren ihr Einfallstor in den dadurch schwachen, verführbaren Geist eines Menschen. All jene Türen hatte er mit purer Logik und einem von ihm für unüberwindbar gehaltenen Verstand verschlossen, ja verbarrikadiert.

Nun war es ausgerechnet eine Dienerin der Lieblichen, welche dieses gesamte Konstrukt und das Konzept dahinter infrage stellte, kollabieren ließ. Ein simpler Kuss, gesegnet durch göttliche Kraft, besiegte ihn und seinen Verstand. Das konnte, das durfte schlicht nicht sein.

Ungläubig fiel er auf die Knie, schloss die Augen und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Schwere Tränen rannen ihm die heile und die verunstaltete Wange hinunter. Halt suchend ließ er seinen Astralleib nach Madas Kraft greifen. Zumindest dies vermochte ihn in diesem Moment Trost spenden. Die Luft um ihn lud sich, sie flackerte auf. (Rhys)

Tränen des Mitgefühls füllten Maeves Augen während (Maeve)

ein Funke der Eifersucht das Herz des jungen Mersingers durchzuckte. Aber Lares wurde sich direkt wieder bewusst, dass es die Aufgabe, die Bestimmung der jungen Novizin war, Liebe und Zuneigung zu teilen. So stand er daneben und betrachtete die eingefallene Gestalt des Magus – sich daran erinnernd, wie apathisch und geistesabwesend er nach seinem Bad im Wasserfall gewesen war. Wenn man so wollte, war Rhys wohl gerade im selben Wasserfall gebadet worden? (Lares)

Fasziniert und erschreckt beobachtete Maeve die aufgeladene Luft um den Magier und ein Schauder widerstreitender Gefühle überlief ihren Rücken.

Sie hatte den Kuss der Lieblichen, ihren ersten wahrhaftigen Kuss, weitergeben können: Beseelt von den Prinzipien der Kirche, aber auch von der Güte der Silberschwänin, da sie Angst um Rhys hatte und ebenso davor, dass dieser Ort hier unter den Schatten fiele.

Doch nun als sie über ihm stand, umgeben von seiner gespenstisch flackernder Aura, und seine Tränen sah, keimten Zweifel in ihr auf. Hatte sie wirklich das Richtige getan?

Yoldes Worte kamen ihr in den Sinn - die Menschen brauchten einen Schubs – den hatte sie ihm wohl gegeben, wenn auch aus anderen Beweggründen.

Zumindest kam es ihr falsch vor, dass sie über Rhys stand und auf ihn herabblickte. Zudem wollte sie sein Leid zu lindern, ihn berühren und Trost spenden. Langsam ging sie in die Knie und streckte langsam die Hand nach seiner vom Feuer zerfressenen Wange aus. (Maeve)

Doch der Magus zuckte zurück, ließ die Berührung nicht zu und blickte sie gehetzt an. „Bitte…“, seine Stimme war mehr ein heiseres Flüstern, „es ist zu viel auf einmal.“ Rhys Augen huschten unstet hin und her, unfähig halt zu finden. Er war aschfahl. „Gebt mir Zeit, mit den Eindrücken zurechtzukommen.“ (Rhys)

Maeve nickte nur stumm und erhob sich langsam. Verloren und fröstelnd stand sie vor ihm. (Maeve)

Die Kühle der anbrechenden Nacht hatte sich schleichend und dennoch merklich über die Lichtung gebreitet.

Der Knappe erhob sich, legte seine Hand auf Maeves Schulter und meinte leise: „Lass ihn. Du hast weiß Rahja genug für ihn getan.“ (Lares)

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Gilli erhob sich, reckte seine Glieder und neigte den Kopf. „Vielleicht ist dies ein kluger Einwand. Ich jedenfalls werde ihn befolgen. Ein neuer Morgen mag uns manche Dinge vielleicht in neuem Licht erscheinen lassen.“

Dann wandte er sich an die Tsageweihte: „Yolde, in meinem Zelt ist auch noch Platz für eine Person, falls noch ein Platz benötigt wird, schick ruhig jemanden zu mir.“

Er küsste Maeves Hand, flüsterte ihr einen Nachtgruß zu und trat an Priannas Seite: „Äh, euer Hoch.. äh ..euer hohe ..., äh liebe Baroness, ich würde mich erbieten, eure Schwester in eines der Zelte zu tragen. Sie schläft so friedlich.“ Prianna, die nachdenklich in Richtung des Magus starrte, drehte dem Gaukler den Kopf zu: „Das wäre wirklich freundlich. Vielen Dank.“ Sie hob Basilissas schlafenden Körper an, so dass Gilli unter das Kind greifen konnte und steckte ihm auf sein Zeichen hin, zwei der Decken unter die Achseln.

„Ich wünsche eine wohltuende Nacht.“ Mit diesen Worten entfernte sich der Mann mit leisem Klingeln seiner Hosenbeine.

Die Novizin sah ihm nach. Sie war noch zu aufgewühlt von den Geschehnissen, um nun Schlafen zu gehen.[Maeve]

Nein an Schlaf war nicht zu denken. Lares setzte sich nah ans herunterbrennende Feuer, streckte seine Arme nach der wohltuenden Glut aus und versuchte, die restliche Wärme aufzunehmen. Es würde später noch kalt genug werden. Seine Decke hatte er um seine Beine geschlungen. Auch Maeve schien noch immer nervös und durcheinander (Lares):

Sie sah zu Rhys hinüber, jetzt wagte sie nicht mehr hinüber zu gehen und ihm ihre Decke umzulegen. Sie fand sich töricht und versuchte sich dennoch davon zu überzeugen, dass sie damit seine Wünsche respektierte. Ihr Blick fiel zum Feuer, wo Lares alleine neben Yolde und Prianna saß (Maeve)

Mit einem Kopfnicken forderte er sie auf, sich zu ihm zu setzen. Es war nicht mehr die Zeit großer Worte. (Lares)

Stumm nickte sie und ließ sich neben ihm nieder. (Maeve)

Der Rahja-Geweihte hatte sich nicht weit entfernt, sondern in Hörweite eine weite Runde um Lagerfeuer und Ruine zurückgelegt, ehe er sich zurück an das wärmende Feuer begeben hatte. Einmal durchatmen, einmal den Kopf klären und die innere Harmonie wiederfinden. So setzte er sich wieder hin, schlug ein Bein unter und beobachtete das Spiel der Flammen – deren verzehrende Hitze und Leidenschaft, die zugleich behagliche Wärme spendete. [Tassilo]

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020