Die Bitte

Die Bitte

Gudo von Bösenbursch schreibt einen Brief an Rahjodan von Keyserring, um um Unterstützung für den harten Winter zu bitten:

“An seine Hochgeboren, Baron Rajodan von Keyserring auf Eisenstein.

Eure Hochgeboren, ich entbiete zufürderst die Grüße meiner Frau Großmutter, der Edlen von Moosgau. Sie hofft, dass dieser Brief euch und eure Familie bei guter Gesundheit findet und bekräftigt erneut ihre feste und unumstößliche Absicht, euch und euren Erben treu zu dienen, wie es der Wille des Herrn Praios ist.

Allein trug sie mir auf, Euer Hochgeboren darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Ernte der Moosgauer Bauern auch in diesem Götterlauf mager ausfiel. Nach unseren Schätzungen werden die Vorräte Alt-Krapohls auch in diesem Jahr nicht ausreichen, um die kalten Monde zu überstehen. Meine Frau Großmutter und ich, wie auch die Subjekte des Lehns, hoffen inständig, auch heuer auf Mehllieferungen des Umlandes vertrauen zu können und...”

Und… ja, und? Gudo seufzte, legte die Feder beiseite und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Was sollte er dem Baron schreiben? Dass das Haus Bösenbursch es noch immer nicht geschafft hatte, für seine Untertanen zu sorgen? Dass Moosgau auch in diesem Jahr wieder Glas gegen Mehl anbieten würde?

Der junge Mann ließ seinen Blick über die Regalreihen des Büros schweifen. Fragen, die ein praiosgefälliger Herrscher eigentlich nicht stellen dürfte. Gefolgschaft gegen Schutz. Schutz auch vor Firuns Gewalten, oder Schutz vor der Gier von Händlern und Handwerksmeistern. War das nicht auch Teil des Lehnseides...? Schon länger hatte er sich die Kommentierung des Codex Raulis zurechtgelegt, war aber noch nicht dazu gekommen, sie sich anzusehen. Irgendetwas war immer dazwischen gekommen. Der Besuch seiner Mutter in Elenvina, die Sache am Reichsgericht, und dann war da noch Harda.

Sein Blick blieb auf der brünetten Frau hängen, die am Schreibtisch vor ihm die Berichte der Holzmeister durchsah. Die braunen Haare fielen ihr vor das Gesicht und verdeckten ihre Gesichtszüge. Trotzdem sah Harda angespannt aus. Sie musste eine Unregelmäßigkeit entdeckt haben, denn sie trommelte mit dem linken Ringfinger auf dem Dokument herum- eine lieb gewonnene Eigenheit, eine von vielen, die Gudo an ihr so schätzte. “Na, Liebes, was hast du wieder entdeckt? Hat Freienstetter wieder die Unterschrift vergessen?; Gudos Ehefrau schaute kaum auf und antwortete abwesend: “Mmhm… Wie?” Typisch, dachte er. Vertieft in die Arbeit. Eigentlich war auch er kaum ansprechbar, wenn er über einem Brief saß.

Während der junge Adelssproß noch darüber grübelte, was genau ihn aus dem Tritt gebracht hatte, klopfte es an der Tür. “Herein.” sprach Gudo von Bösenbursch, und Radulf Bachenbrecht, der Koch der Familie, trat ein. Radulf war, wie der Großteil der Dienerschaft, mit Gudos Mutter aufgewachsen und inzwischen fast fünfzig Götterläufe alt. “Junger Herr, die Frau Großmutter lässt fragen, ob ihr gedenkt, ihr bei Tisch beizuwohnen.” Gudo atmete tief ein und Harda ließ erschrocken die Feder fallen- sie hatten das Abendessen vergessen! “Ehm… natürlich, Radulf. Sofort. Danke. Noch einen schönen Abend.” Mit einem kurzen Nicken verschwand der Diener aus der Tür und machte sich auf den Heimweg. Seine Arbeit war getan.

Ein kurzer Blick zu Harda verriet Gudo, dass auch sie völlig die Zeit vergessen hatte. Die beiden konnten sich ein leises Lachen nicht verkneifen. “Ich hatte mich schon gewundert, dass du dir Zeit für ein Gespräch nimmst”, versetzte Harda, als die beiden in die Diele traten. Gudo gab sich betont beleidigt, während er die Tür zum Büro abschloss und brummelte etwas von “wichtigen Amtsgeschäften”, musste dann aber doch lächeln, als die beiden die Treppe zum Esszimmer emporstiegen.

Oben angekommen, erwartete sie der Rest des Haushalts am gedeckten Abendbrottisch. Gudos Großmutter Rahjalin hatte an einer Seite des Tisches Platz genommmen, daneben saß ihr Mann Leomar. Es waren nur zwei weitere Gedecke aufgeragen, von Adelhelm war Nichts zu sehen. Meist erlaubte die Edle dem Jungen der Gliependieks, an den Mahlzeiten teilzunehmen. Heute jedoch schien es eines von jenen Gesprächen zu werden…

Gudo bot seiner Frau den Platz gegenüber von Rahjalin an und setzte sich Leomar gegenüber. Der alte Beamte hatte tiefe Sorgenfalten im Gesicht und sah deutlich älter aus, als er war. Außerdem schien er in einer ausgesprochen schlechten Stimmung zu sein. Gudos Großmutter lächelte indes ihre Schwiegertochter an und hob ihre Hände zum Tischgebet. Die kleine Familie nahm sich bei der Hand- und natürlich musste Leomar einmal mehr beweisen, wie stark er doch zu sein meinte. Gudo biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich sattdessen auf die sanfte Berührung seiner Frau.

“Herrin Travia, wir danken dir für deine Gaben, die Freundschaft und Treue, in der wir verbunden sind. Wir bitten dich, auch unsere Lieben auf Reisen und in der Ferne zu wärmen, auf dass sie bald ans heimische Herdfeuer zurückkehren können.”

Das Gebet wirkte im Rückblick fast lächerlich, während die vier Adligen still ihre Mahlzeit einnahmen. Steif und trist, fast traurig müsste die Szene auf die Herrin Travia wirken, wenn sie so fern von Darpatien durch das Fenster der Edlen von Moosgau schaute. Nach einigen Minuten verhaltenen Besteckklapperns ergriff Leomar das Wort. “Deine Mutter hat geschrieben, Gudo.” Sofort warf Harda einen besorgten Blick zu ihrem Ehemann. Rahjalin stocherte weiter lustlos auf ihrem Teller herum. Der Angesprochene schaute auf und antwortete betont ruhig: “Hmm, und, was schreibt sie?”

Leomar ließ sich nicht lange bitten. “Sie berichtet von Liudger. Nach Göttertrutz sollen sie ihn geschickt haben. Ein Kloster oben in Tobrien.” Der alte Mann schien geradezu darauf gewartet zu haben, endlich wieder Dampf ablassen zu können. “Was meinst du, welche Ketzereien er und sein Orden dort oben wieder aushecken, hm?” Gudo warf einen Blick zu Harda und Rahjalin. Die beiden sahen nicht so aus, als wollten sie das leidige Thema schon wieder hören. Seine Antwort blieb vorsichtig. “Der Bau von Göttertrutz ist damals vom zwölfgöttlichen Konzil beschlossen worden. Ich denke, der Orden kennt seine Verantwortung den Kirchen gegenüber gut.” Der alte Mann winkte direkt ab und fuchtelte dabei gefährlich mit seinem Messer durch die Luft. “Ach, Unfug! Was er letztens wieder von sich gegeben hat, kann sich doch kein normaler Mensch anhören. “Praios ist auch nur einer von Zwölfen”, hat er gesagt. Kannst du das glauben? Als ob der Herr Praios nicht Erster unter Gleichen sei!”

Neben Leomar legte Rahjalin geräuschvoll ihr Besteck auf den Teller und starrte still-wartend auf den Tisch. Es war offensichtlich, dass sie der Diskussion schon jetzt überdrüssig war. Gudo wandte sich wieder Leomar zu. “Die Ansichten meines Bruders sind eigentümlich, ja. Aber vielleicht können wir diese Sache zu anderer Zeit-” Leomar, der gerade einen ordentlichen Schluck aus seinem Weinglas genommen hatte, stellte dieses abrupt wieder ab. “Bah! Immer diese Zurückhaltung! Der Junge ist genauso verdorben wie seine Mutter! Das muss doch endlich-” Weiter kam er nicht, denn Großmutter Rahjalins Backpfeife erwischte ihn völlig unerwartet von der Seite. Wortlos stand die Edle auf und verließ schnellen Schrittes das Esszimmer. Gudo schaute seine Frau an und nickte resigniert hinter seiner Großmutter her. Harda verstand und eilte hinterher.

Der knochige alte Beamte rieb sich die Wange und grummelte vor sich hin. Gudo schüttelte den Kopf und sah Leomar ernst an. “Großmutter ist den ewigen Zwist leid. Wir alle sind es. Wäre es nicht besser, wenn wir wieder miteinander reden würden?” “Und was soll das bringen? Früher oder später endet es im Streit. Das haben wir doch in den letzten Jahren gesehen! Deine Mutter und ihre Konsorten kommen kaum noch zu Besuch, und das ist gut so. Sollen sie in Elenvina bleiben und wir bleiben hier- damit ist doch allen geholfen! Du sagst es selbst immer wieder, die Ansichten deiner Mutter sind unmöglich! Die bringt nur Unruhe!” Gudo stand auf. “Unruhe oder nicht, Familie ist Familie. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass sie so sind, wie sie sind. Und jetzt entschuldige mich, Großvater, ich muss noch den jährlichen Bettelbrief an den Baron fertigstellen.”

Mit diesen Worten ließ Gudo seinen Großvater allein am Tisch zurück. Leomars Blick hatte Gudo schon genug verraten, ohne, dass es ausgesprochen werden musste: “Früher oder später wirst du unangenehme Entscheidungen treffen müssen. Traust du dir das wirklich zu?” Am Treppenabsatz schaute er kurz in Richtung des herrschaftlichen Schlafzimmers. Durch die Tür drang leises Weinen. Gudo seufzte und ging die Treppe hinunter. Ob es je aufhören würde?

Unten angekommen schloss er das Büro wieder auf und setzte sich zurück an den Tisch, der ihm einmal zugedacht war. Wo war er stehen geblieben? (Gudo von Bösenbursch / Harda von Bösenbursch 4.3.)

“...hoffen inständig, auch heuer auf Mehllieferungen des Umlandes vertrauen zu können und sind fest in der Überzeugung, dass euer Hochgeboren auch in diesem Jahr mit der Qualität der Tauschware zufrieden sein werden.

Praios mit euch, Gudo von Bösenbursch für ihre Edelgeboren Rahjalin von Bösenbursch, Edle von Mooosgau, im Travia 1040.”

-- Main.CatrinGrunewald - 04 Feb 2020