Der Sturm

Kapitel 1: Der Sturm

Am Hafen von Yar´ Dasham, 30. Rahja 1045 BF

“Bei Efferd, so hört doch zu, Kapitän Nollenborgen! Ich weiß das es nach einem Kauca aussieht, doch dafür ist es viel zu früh. Ihr müsst mir glauben, wenn ich euch sage, dass dieser Wirbelsturm etwas anderes ist. Ich kann mit jeder Faser meines Körpers spüren, dass es etwas unheiliges ist! Auch wenn die Flucht in die Stadt oder Wald am nächsten liegt, sag ich euch, dass wir Segel setzen sollten. Noch ist es nicht zu spät!” Die Efferdgeweihte Stevyana war aufgebracht. Mit festem Stand hielt sie sich auf einem Steg, der neben der recht schwankenden Thalukke “Kaiserin” lag. Seit gut zwei Götterläufen hatte sie auf diesem Handelsschiff ihren Dienst angetreten und stand dem Kapitän mit Rat und Tat zur Seite. Der Mittfünfzigerin sah man ihr Alter nicht an und fast jeder schätzte sie ganze zehn Götterläufe jünger ein. Sie war groß gewachsen und hatte eine athletische Figur. Ihr Gesicht war hübsch: feine geschwungene Augenbrauen, rehbraune Augen, eine schmale Nase und volle, sinnliche Lippen. Ihr dunkelblondes Haar trug sie schulterlang und wurde von einem blauen Haarband aus ihrem Gesicht gehalten. Die Geweihte des alten Gottes trug eine blaugrüne Robe mit weiten Ärmeln, welche sich in Hüfthöhe teilten. Ihre Hose und Stiefel waren ebenfalls blau und mit einem komplexen Schuppenmuster bestickt. Kragen und Gürtel waren mit Schildpatt und Perlmutt verziert und etliche Muscheln hingen daran. Auch ein Entermesser war daran befestigt und in ihrer rechten Hand hielt sie einen Efferdbart, den sie ´Juno´ nannte.
Vor ihr stand der Kapitän und schaute sie ungläubig an. Der bärtige Mann hatte beide Hände in die Hüften gestemmt und sein blauer Mantel flatterte im Wind. “Das ist Wahnsinn, euer Gnaden. Der Kauca wird uns zerreißen und in Borons Hallen schleudern. Wir stehen kurz vor den Namenlosen Tagen.” Sein Blick wanderte zu der kleinen Siedlung Yar´ Dasham. “Ich bin mir nicht mal sicher, ob meine ´Kaiserin´ das hier am Hafen übersteht. Zumindest können wir unser Leben in der Stadt retten. Die Hälfte der Mannschaft ist eh schon dort.” Wütend stieß die Geweihte den Schaft des Efferdbarts auf die Holzplanken. “Dann holt sie jetzt zurück. Ich habe gegen den Dämonenmeister und Heptarchen gekämpft. Glaubt mir, das, was da kommt, ist schlimmer als jeder diese und jede Dämonenarche, die die Meere unsicher gemacht hat.” Der Kapitän spie aus. “Verdammt nochmal, Stevyana. Ich bete zu den Göttern, dass ihr nicht falsch liegt. Also gut … ich hole die Mannschaft!” Dann stapfte er in die Richtung der Stadt.

Die Efferdgeweihte seufzte und blickte zum Horizont. Der Himmel war trüb und viel zu dunkel für die Tageszeit. Der Wind war stark und wurde stetig stärker. Das Meer war unruhig und schlug jetzt schon hohe Wellen an die Küste an dem das kleine Nest Yar´ Dasham lag. In der Weite war der dunkle Wirbelsturm zu erkennen und alle Zeichen deuten darauf hin, dass er direkt aufs Land steuerte. Stevyana war schon vielen Kauca begegnet, doch dieser war anders. Im dunklen Sturm zeichneten sich trübe, purpurne Blitze ab und das Heulen des Windes klang fast schon wie die Schreien von Kreaturen. Wie immer kurz vor den Namenlosen Tagen fühlte sie die Bindung zu ihrem Gott Efferd, Herr von Meer und Wind, schwächer werden, aber heute hatte sie das Gefühl, dass er selbst zur Flucht auffordern würde. So etwas hatte sie noch nie gespürt. Und das machte ihr gewaltig Angst. Inbrünstig hoffte sie, dass der Kapitän mit der Mannschaft rechtzeitig zurückkehren würde. Dann schaute auch sie zur Stadt. ´Alle werden wir nicht retten können. Oh Efferd, was kann ich nur tun?´

Das kleine Hafenstädtchen Yar-Dasham, das südlich von Sylla lag, wurde nur selten angefahren und so befand sich im Hafen, neben den heimatlichen Fischerbooten, nur eine fremde Thalukke. Die Luft war geschwängert von feuchter und heißer Luft und der konstante Wind brachte keine Abkühlung. In der Ferne braute sich ein Unwetter zusammen und die Bewohner, hierzulande Bukanier genannt, hatten sich in ihre Häuser und Hütten zurückgezogen. Doch der Sturm, der auf dem Meer wütete, war nicht die einzige Sorge der Yar-Dashamer. In den letzten Jahrzehnten verschwanden immer wieder Bewohner spurlos und es wurde von grausigen Wesen aus dem Dschungel berichtet, doch so viele Menschen wie in den letzten Tagen waren noch nie verschwunden. Ganze 13 Einwohner innerhalb einer Woche, darunter der Truchsess des Gouverneurs. Dieser lebte auf einer Anhöhe in der Nähe der 600-Seelen-Siedlung.
Ugdalf von Pandlarilsforst und von Hauberach war der jetzige Verwalter des Ortes und hatte die Gouverneurswürde erst seit einem Götterlauf inne. Selten ließ er sich bei den Einwohnern blicken und schien auch jetzt zurückgezogen. Die Familie des verschwundenen Truchsess Ulmato Amanyas stellten die Hausangestellten und waren Mittler zwischen dem mittelreichischen Gouverneur und den Yar-Dashamer. Die meisten Bewohner mieden es, hoch zu der Anhöhe zu gehen, denn in Sichtweite und landeinwärts gelegen, lag ein überwucherter Tempel eines schädelhäuptigen Gottes, der seit unzähligen Generationen gemieden wurde. Ausgerechnet zeigte der neue Herrscher Interesse an der Ruine und so war es nicht verwunderlich, dass die Leute anfingen, ihm die Schuld an den verschwundenen Leuten zu geben. Dennoch gab es kein mutiges Herz vor Ort, der es wagen würde, dies offen auszusprechen. Nun lag es an den Amanyas herauszufinden, was hier geschah.

Mühsam stieg er den Pfad zum Gouverneurshaus hoch, der Wind wurde stärker und wirbelte den Sand vom Strand bis hier hoch. Der junge Mokko Amanyas, Sohn des Truchsess, war in Eile. Der näherkommende Sturm verhieß nichts Gutes und die meisten Städter hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen. Einige wenige suchten Schutz im nahe gelegenen Dschungel, doch kannten sich die meisten im Land der Waldmenschen kaum aus. Mokkos Großmutter stammte von einem nahegelegenen Stamm ab und war die einzige in der Familie, die noch losen Kontakt hielt. Diese war es auch, die ihn schickte, um den Gouverneur und seine Gäste zu überzeugen, sich ihnen anzuschließen, in den Dschungel zu gehen. Eigentlich lag dem Jungen, der fast schon sechzehn Götterläufe zählte, nicht viel am Gouverneur, doch hatte er eine Freundschaft zu dessen Knappen Lechdan entwickelt. Dieser war im selben Alter und litt sehr unter der charyptischen Sonne. Anfänglich war ihm der hellhäutige Junge suspekt, doch stellte sich schnell heraus, dass sie beide sich nicht ganz unähnlich waren. Er war höflich, doch voller Tatendrang.
Der Umzug in den Süden des Kontinents machte ihm aber schwer zu schaffen. Die Welt hier am Perlenmeer war eine andere und vor allem: abgelegen. Lechdan verfiel schnell in Langeweile und brütenden Gedanken. Die Freundschaft zwischen dem Sohn des Truchsess und dem Knappen brachte aber Abwechslung und so verbrachten die beiden viel Zeit miteinander. Endlich war die Veranda des Hauses in Sicht und Mokko sah zu seiner Freude seinen Freund Lechdan, der mit einem Holzschwert zu üben schien. Schweiß rann dem jungen Mann über den nackten, muskulösen Oberkörper. Sein braunes Haar wirkte bei diesem Licht und der Feuchtigkeit fast schwarz. Es war schulterlang, leicht gewellt und offen. Sein Gesicht war ebenmäßig, die Stupsnase thronte über einem gleichmäßigen Amorbogen und einer dazu passenden Unterlippe. Das Kinn zierte ein Grübchen. Offenbar hatte er mit Haarwuchs zu kämpfen, denn obwohl er sich heute morgen rasiert hatte, lag bereits ein Schatten auf seinem Gesicht. Brust und Unterarme waren ebenfalls bedeckt. Er war nur in Hose und Stiefel gekleidet, dazu einen Tuchgürtel, wie er hier Mode war. Es war ihm wieder einmal zu heiß und schwül, doch durfte er seine Übungen nicht vernachlässigen. Der Himmel war an drei der vier Himmelsrichtungen bereits grau, doch wusste Lechdan nicht, was ein Kauca war. Ja, er kannte den Namen, doch konnte er sich nicht vorstellen, welche verheerende Macht dahinter stand. Und so nutzte er die aufkommende "Brise", um die gelernten Bewegungen zu verbessern. Dass Mokko sich näherte, bekam er nicht mit.

Vorsichtig ging der Bursche näher, doch warnte er Lechdan vor. “Lechdan, gut das du da bist.”, sagte er mit angenehm teifer Stimme. Mokko war ganze 5 Halbfinger größer als der Knappe und hatte eine Haut wie dunkler Zimet. Sein schwarzes Haar war lockig und schlängelte sich bis zu seinen Schultern. Sein Gesicht zierten hohe Wangenknochen und volle Lippen, seine Augen hatten ein tiefes Grün. Der Diener trug eine leichte, ärmellose, aber am Hals geschlossene, Tunika in grüner Farbe und dazu kurze Hosen. Die Arme waren muskulös, so wie sein ganzer Körperbau athletisch war. Seine Füße zierten einfach Sandalen. “Zieh dir dein Hemd an, siehst du, was da auf uns zukommt? Wir müssen fort.” Sein Blick war äußerst besorgt. Überrascht hielt der Knappe inne und richtete sich auf. Doch anstatt nach seinem Hemd zu greifen, dass über einer Brüstung hing, griff er nach einem Stück Stoff, dass auf dem Boden lag und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und schaute seinen Freund aus braunen Augen an. “Mokko! Was sagst Du da? Wir müssen weg? Warum?” “Schau doch.” Er deutete auf den dunklen Horizont über dem Meer. “Kauca.” Dann schaute er Lechdan wieder an. “Die Gigantin ist wütend. Großmutter sagt es dürstet sie nach unseren Tapam, unsere Seele. Wir sind hier nicht mehr sicher.” Besorgt blickte er in die Richtung, die sein Freund ihm gewiesen hatte. Schwarz türmten sich die Wolken und verbreiteten eine Dunkelheit, als würde die Nacht hereinbrechen. Ein mulmiges Gefühl erfasste Lechdan. “Wo sind wir denn sicher?”, fragte er und griff nach seinem Hemd. “Und können wir da alle hin?”

Mokkos Blick wurde ratlos. “Der Dschungel. Zumindest meinte Großmutter das. Doch die Leute aus Yar´Dasham werden hier bleiben, in ihren Hütten. Wir müssen den Gouverneur überreden und eure Gäste.” Lechdan nickte. “Gut, ich gehe rein und sag Bescheid.” Dann fiel ihm etwas ein. “Meine Nichte ist vorhin Richtung Strand gegangen. Glaubst Du, wir erreichen sie noch rechtzeitig?” Ungläubig zog er eine Augenbraue hoch. “Deine Nichte? Sie ist doch genauso alt wie du. Und hübsch ist sie auch.” Dann nickte er. “Ich denke schon wir haben Zeit, doch sollten wir uns trotzdem beeilen.” “Gut! Dann werde ich meinen Schwertvater suchen und Du kümmerst Dich um die Dienerschaft. Wir treffen uns dann wieder hier.” ´Gut. Dann ist sie wohl tatsächlich seine Nichte´, dachte er sich, da seine Frage ignoriert wurde. Mokko nickte. “Ich hole meine Schwester Mihi, sie müsste bei den Ställen sein. Alle anderen sind in der Stadt. Bis gleich.” Der Schwertleiher bemerkte die Kränkung, die kurz im Blick Mokkos aufflammte. “Ich erkläre Dir das später, ist etwas kompliziert. Bis gleich.”

Das letzte Mal, als sie ihren Halbbruder Lechdan gesehen hatte, war nur wenige Monde nach seiner Geburt. Die Ritterin mit dem rotblonden Pagenschnitt hatte ein aufregendes Leben hinter sich. Ulinai war das älteste Kind des verstorbenen Barons Traviadan von Schwertleihe, doch wurde sie schon früh von diesem enterbt. Sie war Knappin des Herzogs, Novizin in einem weidener Rondratempel und zeitweise Novizin im Orden des Heiligen Zorns. Nie hielt sie sich lange an einem Ort und folgte ihrer träumerischen Art. Frau fand sich auf vielen Schlachtfeldern und Turnieren wieder, doch nie schien es, dass sie Fuß in ihrer Heimat fasste. Das sie ausgerechnet jetzt in Yar´Dasham war, verwunderte sie nicht. Oft entschied der Dukat, wohin ihre nächste Reise ging, so wie auch diese. Zumindest fast.

Einerseits wurde sie gebeten einen alten Freund bei seiner Bußmission im Auge zu behalten, auf der anderen wurde sie von der Landhauptfrau der Nordmarken bezahlt, eine Nachricht an den Gouverneur von Yar´Darsham zu bringen. Iseweine von Weiseprein, die Landhauptfrau, war Lechdans Mutter und die zweite Gemahlin ihres Vaters. Sie respektierte die resolute Frau und so hatte sie kein Problem damit, das gute Geld für die Botschaft anzunehmen. Die andere Bitte, der sie folgte, kam vom Landgrafen Alrik Custodias-Greifax von Gratenfels. Ihr alter Freund und Geliebter, der Ritter Baldos von Paggenfeld, war durch eine Dummheit in Ungnade gefallen, hatte aber die Möglichkeit bekommen, seinen Namen wieder reinzuwaschen. Gänzlich seine Titel und Privilegien verlustig, wurde ihm aufgetragen, als Gemeiner und mit eigenen Mitteln, im Auftrage der Nordmarken, ins ferne Port Emer im Südmeer zu reisen, um von dort die jährlichen Steuern nach Elenvina zu bringen. Doch gänzlich alleine mit Baldos trat sie diese Aventurie nicht an, sondern nahm ihr einziges Kind mit: ihre Tochter Ifirnia.

Die Sechzehngötterläufige war an der Kriegerschule zu Elenvina untergebracht und es hatte nicht viele Worte gebraucht, um sie zu Überzeugen, sich ihrer Mutter anzuschließen. Wie auch diese brach sie mit der Schule und trat die Reise in den Süden an. Nun befanden die drei sich wieder auf der Rückreise in die Nordmarken, wobei sie dem angeheuerten Handelsschiff, die Thalukke ´Kaiserin´, einen Umweg über Yar´Darsham bezahlte. Am gestrigen Tag legten sie am Hafen an, doch der Gouverneur ließ sich nur kurz blicken, übernahm die Botschaft und bot den Reisenden ein Zimmer in seinem Haus an, bis zur Abreise nach den Namenlosen Tagen. Zu einem Gespräch mit ihrem Bruder kam es auch nicht und Ulinai hoffte, dass sich das bald ändern würde.

Das Wetter war schlagartig umgeschlagen und versetzte das Anwesen des Gouverneurs in ein stetiges Knarren und Knirschen. Im Gegensatz zum Vortag waren kaum Hausangestellte zu sehen und Ulinai schob es auf die Vorbereitung der unheiligen Tage. Baldos und Wando von Gehrheim, ein Gast, den sie auf der Reise im Südmeer kennengelernt hatten, wollten sich in einer Taverne treffen, während ihre Tochter sich die Zeit am Strand vertreiben wollte. Mit sicheren Schritten lief sie zu dessen Privatgemächern und klopfte an die Tür. Mit einem tiefen ´Herein´ wurde sie herein gebeten.

Ugdalf war ein wenig neugierig, wer ihn zu dieser ungewohnten Stunde wohl sprechen wollte, waren Besucher doch eher selten, zog es die einheimische Bevölkerung doch vor, ihre Angelegenheiten unter sich zu regeln. Etwas, dass ihrem ‘Gouverneur’ - dem dieser Titel stets ein wenig zu bombastisch ob des kleinen Ortes, auf den er sich bezog - durchaus recht war, solange nur sichergestellt war, dass der Pöbel wusste, wer letztlich die Zügel in der Hand hielt. So konnte der Junker sich so auf die wenigen wirklich wichtigen Dinge konzentrieren, wozu die Prüfung der Einnahmenlisten des Ortes für ihn definitiv nicht zählte. Er musste für einen kurzen Moment schmunzeln. Niemals hätte er nach seinem unfreiwilligen Abgang aus Perricum gedacht, hier ein neues Leben, eine neue Aufgabe zu finden, die ihn auch noch sehr erfüllten. Aber offenbar konnte man selbst am Ende der Welt - oder zumindest nahe dran - derlei Papierkram nicht entkommen. Also blieben die Neuankömmlinge als wahrscheinlichste ‘Störenfriede’. Ob das etwas mit Lechdans Schwester zu tun hatte, die jüngst eingetroffen war? An einen Zufall mochte der Adlige jedenfalls nicht glauben. Interessiert blickte er zur Türe und war gespannt zu sehen, wer ihm wohl seine Aufwartung machen wollte.

Die Tür öffnete sich und die rotblonde Schwester seines Knappen trat hinein. Gleichaltrig mochte sie und der Schwertvater ihres Bruders sein und Ulinai musste nochmals feststellen das Ugdalf ein ansehnlicher Mann war. Genau von der Sorte, die ihr besonders gefiel und somit fiel ihr das Lächeln nicht schwer. “Ehrwürdige Wohlgeboren, ich hoffe ich störe euch nicht. Ich konnte allerdings keinen eurer Diener finden, um nach einem Gesuch bei euch zu fragen. Verzeiht bitte meine Eigenständigkeit. Wir hatten ja gestern nur eine kurze Unterredung und ich konnte mich noch gar nicht dafür bedanken für eure Gastfreundlichkeit. Die Namenlosen Tage möchte wirklich keiner auf dem Meer verbringen.” Dann deutet sie eine Verneigung an. “Ich hoffe, die Nachricht, die euch aus Elenvina überbracht habe, waren gute.” Nun blieb Ulinai vor dem schweren Tisch stehen, hinter dem Ugdalf saß. Der Enddreißiger blickte seinen Gast mit einem freundlichen Lächeln an, dabei durchaus die Familienähnlichkeit zu ihrem Halbbruder erkennend. Mal schauen, was sie wollte, auch wenn dem ehemaligen Oberst eine gewisse Ahnung beschlich. “Nein, ihr kommt nicht ungelegen, werte Dame. Aber setzt euch doch. Ja, die Tage des Namenlosen sollte man in der Tat an einem angemessenen Ort und nicht auf hoher See verbringen, da habt ihr völlig recht.” Beim letzten Satz wurde das Lächeln ein klein wenig breiter. “Und was eure Frage betrifft, so bin ich leider noch nicht dazu gekommen, die Depesche aus der Herzogenstadt zu lesen, werde dies aber natürlich in Bälde nachholen. Aber wo bleiben meine Manieren? Möchtet ihr etwas trinken? Ich habe hier einen vorzüglichen Roten, bei dem es sich doch gleich viel besser plaudern lässt! Also, was kann ich für euch tun?”

Enttäuscht verzog sie kurz ihren Mund und zuckte dann mit den Schulter. “Oh. Nun gut. Ein Kelch Wein nehme ich gerne.” Dann zog sie sich einen Sessel näher und setzte sich hin. “Und, habt ihr euch gut eingelebt? Yar´ Darsham ist schon sehr anders als die Nordmarken. Ist es oft so stürmisch hier?” fragte sie und es war offensichtlich das Ulinai hoffte das Eis zwischen den beiden zu brechen. Sehnsüchtig schaute sie ihren leeren Kelch an. Ugdalfs Miene nahm, als er zu einer Antwort ansetzte, nachdenkliche Züge an. “Es kann hier schon sehr stürmisch und damit auch gefährlich werden, zumal besagte Stürme oftmals sehr schnell aufziehen und man dann schleunigst Schutz suchen sollte. Und ja, es ist hier schon deutlich anders als in den Nordmarken oder in Perricum. Das Klima, die Leute, die Probleme - beinahe alles halt. Es hat hier alles doch eher dörflichen Charakter, so ganz anders als die großen Städte Elenvina oder Perricum.” Nun umspielte ein Lächeln das Antlitz des Adligen: “Aber nach einer zugegebenermaßen nicht ganz einfachen Eingewöhnungszeit fühle ich mich hier mittlerweile sehr wohl, wozu die gewisse Beschaulichkeit des Ortes zweifelsohne beigetragen hat. Zudem war es eine gute Gelegenheit, einmal ausgetretene Wege zu verlassen - wann eröffnet sich einem auch schon die Möglichkeit, für das Reich in die Ferne zu ziehen und dort Aufgaben zu übernehmen? Da fühle ich mich fast schon ein wenig wie mein Großvater Ralmir, der vor vielen Jahren Gouverneur von Khemi war. Aber jetzt rede ich die ganze Zeit nur von mir. Wie ist es Euch denn-” Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

"Verzeiht mein rüdes Eintreten, Wohlgeboren, doch Mokko sagt, dass der aufziehende Sturm ungewöhnlich stark ist und wir uns in Sicherheit begeben sollen." Er holte tief Luft und bemerkte erst jetzt die Besucherin. "Oh, verzeiht. Ich wusste nicht, dass Ihr hier seid." Hastig nestelte er sein Hemd am Kragen zusammen, da er es auf dem kurzen Weg hierher nur schlampig übergeworfen, aber nicht geschlossen hatte. “Danke für die Warnung, Lechdan. Ich denke, wir Drei sollten uns sofort in den Keller begeben und dort warten, bis sich der Himmel wieder beruhigt hat.” Ugdalfs Stimme verriet zwar eine gewisse Anspannung, aber keine echte Besorgnis. Entweder versteckte er diese gut oder aber er hatte - was wahrscheinlicher war - schon genügend solcher Stürme miterlebt.

“Lechdan.”, sagte Ulinai überrascht und sprang instinktiv aus ihrem Sessel. Viel Zeit hatte sie mit ihrem jüngeren Halbbruder noch nicht verbringen können … und eigentlich war er ihr ein Fremder. Doch bevor sie weitersprechen konnte, krachte es laut und eines der Fensterläden wurde vom stürmischen Wetter aufgerissen. Die Pergamente, die Aufzeichnungen des Gouverneurs, wirbelten von seinen Schreibtisch auf und verteilten sich im Raum. Ritterin wie Knappe erkannten Pläne von Gebäuden, doch nur Lechdan erkannte den schädelköpfigen Turm der Tempelruine, die die Bewohner von Yar´Darsham abergläubig mieden. Schnell sammelte der Knappe die Papiere ein und tat so, als hätte er nicht gesehen, was da drauf war. "Aber Mokko und seine Schwester sind noch da draußen und… Ifirnia." “Dann geh´ sie suchen und bring sie her!”, rief der Gouverneur. “Und beeil´ Dich!” "Jawohl", bellte der Knappe automatisch, übergab die Papiere und rannte los.

Verwundert schaute Ulinai auf die Papiere, dann aus dem Fenster. Der Sturm wurde stärker und schien draußen Dinge herum zu wirbeln. Dann sah sie einen Schatten.´Der Keller. Wahrscheinlich eine gute Idee … doch, was ist das?”, sagte sie geistesabwesend und deutete mit dem Finger aus dem Fenster. “Was genau meint ihr?”, fragte Ugdalf, während er sich zum Fenster umdrehte und ebenfalls hinaus schaute. Als Ugdalf aus dem Fenster sah, konnte er huschende Gestalten erkennen, die aus dem Dschungel, durch den Sturm, auf das Haus zuhielten. “Ich weiß nicht, wer die sind und was sie wollen, aber das möchte ich bestimmt nicht erst hier in meinem Arbeitszimmer herausfinden”, knurrte Ugdalf, während er sich seinen Schwertgurt umschnallte. “Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr mich begleitetet, werte Dame. Mir scheint, dass eure Klinge bei der anstehenden Konfrontation eine große Hilfe wäre und wüsste euren Schwertarm daher gerne an meiner Seite.” Dann wandte sich der Gouverneur zum Gehen und strebte der Treppe ins Erdgeschoss entgegen.

Taverne ´Hinkefuss´, Yar´Dasham

Die Taverne ´ Zum Hinkefuss´ war wie leer gefegt. Gestern noch war die Spelunke rappelvoll, doch seit der Sturm aufgezogen war, war bis auf die Wirtin niemand zu sehen. Rizella trug ihr dunkles Haar zusammen geknotet, schaute nervös aus dem Fenster und wischte dabei die Theke. Nur ein Gast war anwesend, der blonde Fremde, der mit der Thalukke am Vortag angereist war. Kurz zuckte sie zusammen, als ein weiterer Gast den ´Hinkefuss´ betrat. Der Gast, der an der an der Theke saß und sich eine Schüssel Eintopf einverleibte, war ein leicht heruntergekommener Hühne, der seine besten Jahre hinter sich hatte. Es war noch nicht lange her, da hätte er es anders gesehen, da war er ein stolzer Ritter, der das Leben (und die Liebe) zu genießen wusste. Doch dann kam ein Schicksalsschlag, der alles veränderte, der ihn aus seinem alten Leben riss. Er hatte sich von seinem alten Freund Reo zu einer Tat hinreißen lassen, die er zutiefst bereute, die er jedoch nicht mehr ungeschehen machen konnte.

Baldos von Paggenfeld, einst Dienstritter des Vogts von Paggenau, hatte sich zu einer kleinen Rebellion gegen die Baronin von Schweinsfold überreden lassen, die er fast mit seinem Leben bezahlt hatte. Lediglich seine umgehende Einsicht und Reue – und nicht zuletzt die Fürsprache der jungen Knappin des Verräters Reo hatte ihn vor dem Tod bewahrt. Stattdessen wurde ihm sein Titel aberkannt und er wurde des Landes verbannt, auf eine Queste geschickt, deren Ziel so langweilig klang, doch dennoch genausogut gefährlich werden konnte, wenn die falschen Ohren davon erfuhren. Mit seinem Titel und seinem Posten hatte Baldos auch seinen Wohlstand verloren. Dementsprechend heruntergekommen war sein auftreten. Von seinem Wappenrock war das Familienwappen entfernt worden. Etwas, das Baldos vielleicht am meisten Schmerzte: den Verlust seiner Ehre. Auch, wenn seine Kleider schon bessere Zeiten erlebt hatten, hielt er zumindest sein Haar in einem gepflegten Zustand. Das lange, blonde Haupthaar hatte er zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Das Kinn und die Wangen waren frisch rasiert und der Schnauzbart prächtig geschwungen. Somit bot sein Haupt einen krassen Gegensatz zu seinen Kleidern.
Das bauschige Hemd, das er so gerne trug, war auf der Schiffsreise eingerissen und nur notdürftig geflickt. Seiner Lederhose bekam der rauhe Wind und das Meerwasser nicht, so dass er sie schon bald gegen eine einfache, luftige Baumwollhose eingetauscht hatte, ein Material, dass er aus der Heimat nicht kannte, das aber angenehm zu tragen war, insbesondere in dieser unmenschlichen Schwüle des südlichen Aventuriens. Dennoch konnte er sich noch immer nicht an den Anblick dieser ungewohnten Beinkleider gewöhnen und er fühlte sich irgendwie entblößt darin. Hier an Land trug er ein leichtes Kettenhemd unter seinem Wappenrock, doch auch dieser Rüstung hatte die feuchtwarme Luft nicht gut getan. Auf der Schiffsreise hatte Baldos die Rüstung in Wachstücher eingeschlagen und in einer Kiste verstaut, und dennoch hatte es zu rosten begonnen. Obwohl der Ritter jede freie Minute damit verbrachte, die Ringe des Kettenhemdes und sein Schwert zu polieren, fürchtete er, diesen Kampf schon bald gegen das Salzwasser zu verlieren.

So saß er nun hier, in dieser verlassenen Taverne, am Ende der Welt, und löffelte seinen Eintopf, eine dünne Fischsuppe mit allerlei Zutaten, deren Zusammensetzung Baldos lieber nicht wissen wollte. Die fremdartigen Gewürze machten die Sache erst recht nicht besser. Das Bier war schal und warm und bot in dieser schwülen Hitze keine Erfrischung. Konnte man dieses Gesöff überhaupt Bier nennen? Doch für etwas Besseres reichte seine Geldkatze nicht. Er wollte schnell weiter nach Hause, um seinen Auftrag zu erfüllen, doch scheinbar zog einer dieser tropischen Stürme auf und der Kapitän wollte die Weiterreise vermeiden, da ihm diese als zu gefährlich erschien. Nun wartete Baldos auf seine Verabredung.

"Du wirst doch nicht etwas schreckhaft werden, auf Deine alten Tage, Rizella! Ich bin es nur!" begrüßte der Neuankömmling, ein hochwachsener Mann, dessen Alter auf den ersten Blick schwer zu schätzen war, grinsend die Wirtin. Die sonore tiefe Stimme hätte den Raum sicherlich auch dann gefüllt, wäre er nicht bis auf einen Gast leer gewesen. Die Sohlen der schwarzen, kniehohen Lederstiefel klangen dadurch aber hohl auf dem Holzboden, als ihr Träger betont langsamen Schrittes auf die Theke zuging.

Dort angelangt konnte auch Baldos wieder - wie die letzten Tage so oft - das braungebrannte, von noch vollem dunkelblonden Haar und einem ebensolchen, wohlgestutzten Vollbart umrahmte Gesicht sehen. Das auffälligste daran war nicht die Narbe, die von seiner rechten Wange ausgehend in seinem Bart verschwand, sondern die beiden tiefblauen Augen, die zunächst keinerlei Interesse an dem anderen Gast vorschützten, sondern nur die Wirtin anblickten. "Heute wieder Eintopftag?" Das 'Wie gestern, vorgestern, und eigentlich immer' sparte er sich. "Ich nehme einen, mal wieder, und einen Rum gleich dazu. Dann bin ich mir wenigstens sicher, auch wirklich alles zu vertragen." Wando von Gehrheim, das war sein Name, rückte seinen Rapier so zurecht, dass er sich hinsetzen konnte. Eine inzwischen wohlvertraute, süßliche Duftwolke wehte zu Baldos hinüber - Wando war ein Mann, der das allgegenwärtige Schwitzen wenigstens der Nase zu verbergen suchte. Das weiße, rüschenbewehrte baumwollene Hemd zeigte dagegen schon, obgleich erst frisch angezogen, die ersten verräterischen Flecken unter den Achseln, im Gegensatz zur merkwürdig gemusterten, scheinbar ledernen Hose, die er anhatte. "Da braut sich was zusammen. Was meint Ihr?" richtete sich sein Wort nun ganz unvermittelt an Baldos.

“Ja, das scheint so.” Ohne seinen Blick von der Suppenschale zu nehmen, antwortete Baldos wie beiläufig dem Neuankömmling. “Dabei hatte ich gehofft, wir könnten diese dampfende Niederhölle bald in Richtung Heimat verlassen.” Dann beugte sich Baldos zu Wando. “Ehrlich gesagt, ich glaube es IST der Eintopf von gestern und vorgestern. Zumindest schmeckt er so. Und Ihr meint, so ein Rum hilft, das Essen besser zu vertragen?” "Ein Rum hilft, das alles hier zu vertragen. Das Essen, die Schwüle, die Stechmücken... und die Geschäftslage." Obgleich Wando aussah, als ob er von hier käme, und auch sein Garethi deutlich meridianisch gefärbt war, klang seine Sprachmelodie vertraut in Baldos' Ohren. "Wobei..." fuhr er mit einem schnaubenden Auflachten fort, "für letztere bräuchte es mehr als nur einen... RIZELLA! Bist Du bitte so gut und schenkst dem Herrn hier neben mir auch einen ein?" Zu Baldos gewandt fuhr er fort: "Der geht auf mich! Ihr seht aus, als könntet Ihr auch einen vertragen!"

“Das könnt Ihr glauben! Habt Dank! Ich verstehe nicht, wie man es hier auf Dauer aushalten kann. Mir hat das jetzt schon gereicht. Aber Ihr kommt von hier?“ Baldos schaute zu dem Mann hinüber, mit dem er sich auf der Fahrt von Port Emer hierher eine Kabine auf der ‚Kaiserin‘ teilen musste. Wobei, es hätte schlimmer kommen können. Eigentlich war der Exot ja ganz umgänglich, wenn man sich an die Fremdartigkeit gewöhnt hatte. Und fremdartig war hier im Süden sowieso fast alles. Jedenfalls war Baldos froh, dass er eine Kabine mit männlicher Begleitung hatte. Es wäre wohl schlimmer gewesen, sich das Quartier über Wochen mit Ulinai und ihrer Tochter zu teilen. Nicht, dass er die Frauen nicht mochte. Im Gegenteil. Vor Jahren, fast schon Jahrzehnten, hatte er eine Weile das Bett mit Ulinai geteilt, bis sie ihn eines Tages ganz plötzlich und ohne Erklärung von sich wies. Danach hatten Sie sich erst lange Zeit gar nicht gesehen, dann auch nur sporadisch. Nun wurde ihm Ulinai als Wachhund an die Seite gestellt, als würde man ihm nicht trauen, die Queste zu erfüllen. Gut, man traute ihm tatsächlich nicht, nach dem Zwischenfall damals in Schweinsfold. Wahrscheinlich hätte er nicht anders entschieden. Aber warum musste es ausgerechnet Ulinai sein, die ihn begleitete? Und warum hatte sie ihre Tochter dabei. Das Mädchen, das ihm eigenartig vertraut vorkam, obwohl er sie nie zuvor gesehen hatte. Bis vor der Abreise wusste Baldos nicht einmal, dass Ulinai überhaupt eine Tochter hatte.

Nun gut, jedenfalls war Baldos dankbar, dass er die Kabine mit Wando und nicht mit Ulinai teilen musste. Viel hatten die beiden zwar auf dem Schiff nicht miteinander geredet, doch schnell waren sie sich einig, dass sie den letzten Abend vor den Namenlosen Tagen noch einmal genießen wollten. Und so hatten sie sich in dieser Spelunke verabredet. Baldos freute sich über die Einladung zu einem Becher dieses eigenartigen, karamelligsüßen Schnapses, den die Einheimischen als ‘Rum’ bezeichneten. Als die Schankmagd ihm den Becher vor die Nase stellte, nahm Baldos das Getränk und prostete Wando zu. “Auf Euer Wohl.” "Auf das Eure!" prostete Wando zurück. "Kommt drauf an, was Ihr mit 'hier' meint? Aus Yar'Dasham, diesem Loch, den Göttern sei Dank nicht. Ich bin in Trahelien aufgewachsen und habe auch danach, in der Kemizeit, bis vor kurzem, überwiegend dort gelebt. Oder sagen wir besser: überlebt. Und das gar nicht mal schlecht." Ein Grinsen war auf die Züge des Gehrheimers getreten, als er an jene, seine goldenen Tage zurückdachte - es waren gefährliche, aber auch gute Jahre. Die helle Laune währte nur kurz, und bald trübte sich sein Mienenspiel wieder ein wie das Wetter draußen. "Aber die Zeiten ändern sich." Wando nahm einen kräftigen Zug Rum zu sich. "Damals haben sie das angebliche Joch des Raulschen Reichs abgeworfen. Heute wären sie froh, es nie getan zu haben, allen voran das Weibstück auf ihrem Thron… verzeiht, das Ex-Weibstück auf ihrem Thron. Mit dem Mittelreich hätte sich Al'Anfa jedenfalls niemals direkt angelegt. Oder aber wenigstens einen hohen Preis dafür bezahlt."

“Das glaube ich gern.” Baldos nickte, obwohl er kaum ein Wort von dem verstand, was der Fremde erzählte. Die Politik der südlichen Kolonien mit all ihren Konflikten hatte Baldos nie so wirklich interessiert und er hatte die Ereignisse nicht verfolgt. Schließlich gab es genügend eigene Konflikte und Probleme im Mittelreich. Und selbst innerhalb der Nordmarken hatte man als tapferer Ritter genug zu tun. ‘Tapferer Ritter’... Baldos lachte kurz auf und schluckte dann den Rum hinunter. Nach einigen Momenten des Schweigens fragte er jedoch weiter. “Und was führt Euch aus dem Kemireich hierher an die Küste? "Die Pestbeule des Südens - beziehungsweise deren neu installierte Mirhamionette..." Wandos Züge wirkten einen Moment lang verbittert, ehe er wieder eine scheinbar gelassenere Maske aufsetzte. "Mit den Al'Anfanern hätte ich mich wahrscheinlich arrangieren können und die sich auch mit mir. Unter nüchternen Geschäftsleuten ist das immer möglich. Aber die neue Nisut war noch nie gut auf mich zu sprechen, noch weniger als ihre Schwester. Sagen wir so: Derzeit wäre es ungesund für mich, ihr… nein, beiden unter die Augen zu treten." Er grinste, doch lag keine Fröhlichkeit in seinen Augen.

"Aber ich unterstelle, dass auch Ihr nicht nur der schönen Landschaft, des erholsamen Klimas und der angenehmen Gesellschaft wegen hier seid?" Nun sah er Baldos forschend an. “Das ist richtig”, antwortete Baldos knapp. “Sagen wir, ich bin unterwegs auf einer Queste, einen Auftrag zu erfüllen. Doch dafür ist heute nicht der richtige Tag, und die nächsten Tage erst recht nicht.” "Wohl wahr." pflichtete Wando ihm bei. "Die nächsten Tage taugen nur zum Herumsitzen. Wenigstens ist dann Zeit für den einen oder anderen Becher Rum und lange Gespräche. Wenn der Sturm uns denn in Ruhe lässt…" Bereits beim Stichwort Rum hatte er den Blickkontakt mit der Wirtin gesucht. "Rizella, bringst Du uns noch zwei?" Zu Baldos gewandt fuhr er fort. "Wollen wir gleich damit anfangen? Wollt Ihr mir aus dem Mittelreich erzählen... den Nordmarken? Woher in den Nordmarken kommt Ihr genau?" “Lasst uns mit dem Rum anfangen. Der macht das alles hier wenigstens erträglicher.” Baldos wartete bis die Wirtin die Rumbecher aufgefüllt hatte, bevor er auf Wandos Fragen einging. “Die Nordmarken. Die sind auch nicht mehr das, was sie einst waren.” Er kippte den Rum hinunter. “Kennt Ihr Euch bei uns im Norden aus? Ich komme jedenfalls aus Paggenau, das ist Teil der Landgrafschaft Gratenfels.” Baldos warf einen Blick auf die Wirtin und schaute sich die Frau genau an.

Rizella hatte üppige Rundungen, schwarzes, lockiges Haar, das sie mit einem roten Stirnband bändigte. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihre grünen Augen funkelten unter ihren schön geschwungenen und dunklen Augenbrauen. Ihre Schultern lagen frei und offenbarten eine Tätowierung von floralen Ornamenten. Sie mochte auf das Ende ihrer zwanzig Götterläufe zustreben und kein Ring oder Travienband deutete darauf hin, dass sie vergeben war. Die Exotik in ihrem Aussehen ließ Baldos die Frau länger betrachten, als es vielleicht gehörig war. Doch, dachte er, dürfte sie als Schankwirtin so etwas wohl gewohnt sein. Ob sie wohl weitere Bilder auf ihrer Haut hatte? Baldos verwarf den Gedanken und versuchte, den Worten seines Gegenübers zu folgen.

"Ihr werdet lachen - ich bin selbst gebürtiger Nordmärker." hob Wando den Becher zum erneuten Anstoßen. "Allerdings bin ich bereits an der Brust meiner Amme nach Trahelien getragen worden. Insofern sind meine Eindrücke von den Nordmarken nicht meine eigenen. Dafür habe ich als Kind die Derographie und die Geschichte der Nordmarken genauestens lernen dürfen und weiß daher, dass Paggenau dem Landgrafen gehört, direkt an Berg, Schweinsfold und, helft mir kurz, Wolfstrutz... oder Wolfstein grenzt und ansonsten auf Albernia schaut - ist doch noch so, oder? Bislang unnützes Wissen, doch heute beweist sich die überlegene Moral meiner Mutter, darauf zu bestehen, dass wir das vorbeten können... sei es drum. Ich habe auch gelernt, dass eher der Herr Praios das Zaubern beginnt, als dass Nordmärker von ihren Prinzipien und ihrer überlegenen Moral ablassen. Wie kann es da sein, dass die Nordmarken nicht mehr das sind, was sie einst waren?" “Wolfstein”, bestätigte Baldos. “Ihr seid gut informiert für einen Mann, der seit seiner jüngsten Kindheit die Heimat nicht mehr gesehen hat. Allerdings wirktet Ihr auf mich zunächst gar nicht wie ein gebürtiger Nordmärker. Wie treibt es eine Frau aus den Nordmarken in den heißen Süden?” Auf Wandos letzte Frage ging Baldos bewusst nicht ein.

"Verwandtschaft in einflussreicher trahelischer Position. Das Haus Halberg wird Euch ein Begriff sein: Ein Halberg stand dem damaligen Gouvernement Südmeer vor. Meine Mutter sah dort Chancen." Wando erklärte dies in einer Beiläufigkeit, als ob damit alle Fragen beantwortet seien. Dass dies nur eine Seite der Wahrheit war, war ihm nicht anzumerken. "Zumal nicht nur der Süden heiß ist. In der falschen Position mag jedes Pflaster heiß werden. Auch in den Nordmarken." Bei der letzten Bemerkung Wandos musste Baldos lachen. “Wem sagt Ihr das? Manchmal gibt es Gründe, der Heimat den Rücken zu kehren, die nicht vorherzusehen waren”, blieb Baldos unverbindlich. "So ist es. Aber in jedem Ende liegt auch ein Neubeginn, und der Abschied aus der Heimat, egal ob erzwungen oder aus freien Stücken, führt Euch zu neuen Horizonten. Und neuen Gelegenheiten. Zum Wohl!" Wando hob seinen Becher und nahm einen Schluck. "Keine Sorge, ich will Euch nicht mit irgendwelchen leeren Sinnsprüchlein verhöhnen - ich glaube nur tatsächlich, dass es gar keine so schlechte Fügung ist, dass ausgerechnet wir beide zusammensitzen, hier, in Yar'Dasham."

“Nein, nein, schon gut.” Baldos prostete zurück. “Eigentlich hoffe ich noch, dass mein Abschied kein endgültiger war.” Der in Ungnade gefallene Ritter durchdachte noch einmal Wanda Worte. Dann durchdrang er die Bedeutung der Worte. Er blickte seinen Nebenmann fragend an. “Was meint Ihr? Warum sollte es keine schlechte Fügung sein? Bisher konnte ich dem Ziel meiner Reise noch nicht viel Gutes abgewinnen.” Nach einer kurzen Pause ergänzte er entschuldigend: “Nichts gegen Euch!” "Jetzt brecht Ihr mir aber das Herz!" erwiderte Wando mit ironischem Unterton. "Nein, im Ernst, ich kann Euch verstehen, schließlich kenne ich Eure Lage nur zu gut, auch wenn der unfreiwillige Sprung von den Nordmarken hierher gewiss noch etwas tiefer ist als von Trahelien. Ihr könnt jetzt hadern und Euren Frust im Rum ertränken, oder Euch weigern, Euer Los zu akzeptieren und all Eure Kräfte darauf ausrichten, ungeschehen zu machen, was auch immer in Eurer Heimat - Eurer einstigen Heimat geschehen ist. Aber glaubt mir, das erste wird sicher und das zweite wahrscheinlich nicht zu Eurem Glück gereichen. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Ihr kurz-, aber auch langfristig am besten fahrt, wenn Ihr stets nach vorne blickt und versucht, das Beste aus Eurer gegenwärtigen Lage zu machen. Ihr könnt im Sturm einfach aufgeben und das Ruder loslassen, oder verzweifelt gegen diesen anpullen - am besten aber segelt Ihr mit diesem und schaut, zu welchen neuen Gestaden er Euch führt... aber jetzt komme ich Euch schon wieder mit Sinnsprüchlein..." grinste Wando kurz über sein eigenes Reden. "Nein, hört zu: Yar'Dasham mag der moskitoverseuchte, schwül-heiße Arsch des Reiches und der Welt sein. Aber dieser Arsch hat es in sich - auch hier lauern lukrative Gelegenheiten - auf den, der den Mumm hat, sie zu ergreifen. Habt Ihr Mumm?"

„Ob ich Mumm habe?“ Baldos winkte ab. „Manchmal leider mehr, als mir gut tut.“ Der Ritter gab einen Ton von sich, der irgend etwas zwischen einem Seufzer und einem verzweifelten Lachen sein mochte. „Aber Uhr irrt, mein Freund. Ich habe eine Mission zu erfüllen. Besser gesagt, habe den wesentlichen Teil bereits erfüllt. Ich bin nun auf der Rückreise, und nach meiner Rückkehr wird meine Schuld reingewaschen sein und ich werde zu Hause wieder willkommen sein.“ Baldos gab es nicht zu, aber trotz allem war seine Neugier geweckt. Nach einer Weile des Schweigens, in der Baldos den Boden seines Rumbechers begutachtete, fragte er beiläufig: „Was für Gelegenheiten?“ Wando seufzte. "Ich fürchte, keine, die damit vergleichbar wären, voll rehabilitiert die Segel in Richtung Heimat setzen zu können, zumal wenn Ihr Euch w i r k l i c h sicher sein könnt, dass alles wieder so sein wird wie früher." Scheinbar versonnen spielte er mit seinem Becher. "Wenn Euch ein Leben in der Sicherheit und Ordnung der Nordmarken, angesehen und beliebt beim Volk und im Adel winkt, wie könnte Euch da ein Abenteuer, ein Aufbruch ins Unbekannte und Unentdeckte, voll Gefahr und echter Herausforderungen locken, selbst wenn dabei beste Aussichten auf Ruhm und Wohlstand bestehen? Gewiss wird die Lappalie, wegen der Ihr auf Eure Queste geschickt wurdet, rasch ganz und gar vergessen sein. Für was wurdet Ihr denn verurteilt, wenn ich fragen darf?"

„Pah! Als ob es je wieder sein könnte wie früher.“ Baldos drehte seinen leeren Becher zwischen den Fingern. „Selbst, wenn ich rehabilitiert werde, wird es nie mehr sein wie zuvor.“ Er drehte sich zu seinem Gesprächspartner und schaute ihn eine Weile an. „Ich habe Hochverrat gegen meine Baronin begangen“, war Baldos knappe Antwort. Wando sog scharf die Luft ein und strich sich durch den Bart, dann nickte er. "Verdammte Scheiße! Hochverrat! Ehrlich?" Ohne den Blick von Baldos abzuwenden, rief er laut nach der Wirtin: "Rizella! Bringst Du uns eine ganze Flasche?" Dann senkte er wieder die Stimme: "Keine Angelegenheit, über die schnell Gras wachsen würde. Selbst wenn es juristisch ausgestanden ist. Nach so einer Sache würde Euch allenfalls helfen, wenn die Baronin alt und bei schwächelnder Gesundheit wäre, also bald eines - damit wir uns richtig verstehen - natürlichen und göttergefälligen Todes stürbe... so ein Generationswechsel kann dem Vergessen zuweilen zuträglich sein. Nein? Gut für die Baronin. Weniger gut für Euch..."

Baldos hob eine Augenbraue. „Damit ist wohl nicht zu rechnen. Die Baronin ist noch jung. Immerhin hat sie den Thron unrechtmäßig statt ihres Vaters erhalten, der wohl der bessere… Ach, lassen wir das. ‚Wäre‘ und ‚Hätte‘ sind nun eh Vergangenheit.“ Baldos Griff zu der Flasche Rum und goss sich den Becher voll, der schon viel zu lange leer geblieben war. Wando nickte verständnisvoll und schenkte sich ebenfalls nach. "Das klingt für mich, als sei es vielleicht doch keine ganz verschwendete Zeit, Euch von den 'Gelegenheiten' hier zu berichten - für den Fall, dass Ihr abwägen wollt, ob es statt eines Zurücks in Euer altes, aber wohl doch recht zerrüttetes Dasein ein Vorwärts in ein ganz anderes Leben sein darf. Einem Mann, wie Ihr es seid, Ritter unterstelle ich, richtig?”, Baldos nickte, ”stehen hier viele Türen offen. Ich zum Beispiel könnte mich Euch gut als Geschäftspartner vorstellen - Ihr seid eine ehrliche Haut, geradlinig und mit dem Willen, für Eure Überzeugung einzutreten und zu kämpfen, zugleich erfahren und klug. Ein Mann, dem ich meinen Rücken anvertrauen würde - Eure Baronin wird in dieser Hinsicht gewiss vorsichtiger sein… Also hört zu: Interessiert Ihr Euch für historische Völkerkunde?"

“Historische Völkerkunde?” fragte Baldos verständnislos, aber neugierig. “Also, meint Ihr die Völker aus Bosporanischer Zeit?” Er blickte sein Gegenüber verwundert an. "Die auch. Aber auch noch ältere. Und fremdartigere." Wandos Stimme nahm nun einen faszinierten Klang an - Baldos konnte deutlich spüren, dass hierfür das Herz seines Gesprächspartners schlug. "Hier in den Dschungeln warten unzählige Relikte untergegangener Kulturen - von den Echsen über längst vergessene menschliche Zivilisationen. Und anders als in den Mittellanden handelt es sich oftmals nicht nur um unansehnliche und längst geplünderte Ruinen - der Dschungel deckt so rasch sein grünes Tuch über verlassene Bauwerke, dass viele davon bis heute noch gut erhalten ihrer Entdeckung und Untersuchung durch kulturell beflissene Menschen harren, Menschen, die das darin enthaltene Wissen und die Kulturschätze einzuordnen, zu schätzen und zu bergen wissen - ganz anders als die Eingeborenen, die diese Stätten vergangener Größe in ihrer diesbezüglichen primitiven Einfältigkeit nicht selten fürchten und darob sogar meiden.” Nun hatte Wando Baldos‘ volle Aufmerksamkeit. Diese Geschichte hörte sich interessant an. Der Ritter wollte mehr erfahren. Man konnte sich ja ruhig mal anhören, was dieser Wando vorhatte. Nein sagen konnte man hinterher ja immer noch. „Und ihr meint, diese alten Kultstätten liegen da einfach so rum und warten nur darauf, von ein paar tapferen Abenteurern entdeckt zu werden?“

"Im Prinzip ja... allerdings braucht ihr nicht zuerst Tapferkeit, sondern vor allem Verstand: natürlich müsst Ihr ein gewisses Risiko eingehen, der Weg ins Ungewisse ist nie ganz kalkulierbar - überleben oder gar reich werdet Ihr hier im Dschungel aber nur, wenn ihr mit Vorsicht, Bedacht und einer guten, gründlichen Planung vorgeht. Für eine Expedition müsst Ihr Vorerkundungen durchführen, braucht hinreichend und gutes Personal, natürlich die richtige Ausrüstung... Ferner müsst Ihr bedenken, dass die Gegend wild, aber nicht unbewohnt ist. Ihr müsst ausspähen, mit welchen Eingeborenen ihr es zu tun bekommt und einige Möglichkeiten im Köcher haben, wie Ihr mit ihnen so umgehen könnt, dass Ihr Ärger vermeidet oder wenigstens mit diesem fertig werdet... nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass Überreste, die noch unberührt sind, dies zuweilen auch deshalb sind, weil dereinst Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, die noch heute intakt sein könnten. Nicht nur deswegen solltet Ihr unbedingt jemanden zur Hand haben, der mit der Kultur der Erbauer und am besten deren Schrift halbwegs vertraut ist... Wie mich zum Beispiel." Jetzt grinste Wando. "Dann aber warten viele und gewaltige Schätze auf Euch - und damit meine ich nicht nur Gold oder Wertgegenstände, sondern Blicke, die noch niemals zuvor oder wenigstens viele Jahrhunderte niemand mehr gewagt hat, Erfahrungen, die unbezahlbar sind und fremdartiges, lange verlorenes oder sogar ganz und gar neues Wissen. So anstrengend dieses Leben manchmal sein mag - nie fühle ich mich lebendiger als auf Expedition." Wando war ganz in seinem Element, seine Augen glänzten und es war ihm anzusehen, dass er noch ewig hätte weitererzählen können.

"Aber genug im ungefähren geschwärmt." hörte er dennoch jäh damit auf, um zur Sache zu kommen: "Ganz in der Nähe gibt es ein interessantes Objekt, relativ gut erreichbar. Was mir alleine fehlt seit meinem Weggang aus Trahelien sind zu Teilen noch Mitstreiter und Geschäftspartner - für den Neuanfang hier in den mittelreichischen Kolonien muss ich all diese Strukturen neu aufbauen... und da kämt Ihr ins Spiel. Interessiert?" Baldos schaute zweifelnd, er war noch immer nicht recht überzeugt. „Und wie sollte ausgerechnet ich euch dabei helfen können? Ich habe weder die richtige Ausrüstung noch die notwendige Erfahrung, die Ihr angemahnt habt, um auf eine Dschungelexpedition zu gehen.“ Dass er eigentlich auch keine Zeit dafür hatte, weil er seinen Auftrag zu erfüllen hatte, ließ er unerwähnt. "Für die Ausrüstung sorge ich, und Erfahrung bringe ich ebenfalls zu Genüge mit.” winkte Wando ab. “Ihr aber seid ein Kämpfer, das sieht man, und Ihr zeichnet Euch, wie schon gesagt - das habe ich, so kurz wir uns auch erst kennen, im Gefühl - durch die richtige Grundhaltung und ein aufrichtiges Wesen aus. Ihr seid gefallen und vielleicht nicht in der besten Verfassung Eures Lebens, aber Ihr seid darüber nicht gebrochen, sondern willens, wieder aufzustehen und Euren Weg weiterzugehen. Und Ihr steht zu den Dingen, die Ihr getan habt, ohne um den stinkenden Brei herumzureden. Einen Mann wie Euch an der Seite kann man sich im Dschungel nur wünschen. Alles andere lernt Ihr schon, da habe ich keine großen Bedenken..."

Die Worte des Mannes überzeugten Baldos nicht. Ja, alte Schätze längst vergessener Kulturen zu bergen, klang verlockend und würden es Baldos erleichtern, nach seiner Rückkehr ein neues Leben aufzubauen, aber riskierte er damit nicht auch den Erfolg seiner Queste? Und hier sollte er scheinbar lediglich die Rolle eines Handlangers übernehmen. „Ihr sucht also lediglich ein Schwert, das Euch den Rücken freihält? Was würde für mich dabei herausspringen?“ "Lediglich den Rücken freihalten?" Wando schüttelte den Kopf. "Aber nein, wo denkt Ihr hin? Ihr seid, Euch angelasteter Verrat hin oder her, ein Ritter, kein Söldling oder anderweitiger einfacher Angestellter. Ich würde Euch niemals so herabwürdigen. Was ich suche, ist längerfristig einen Geschäftspartner, nein, einen Mitgesellschafter auf Augenhöhe, selbstverständlich mit einer aufwandspezifischen Gewinnbeteiligung. Kurzfristig müsstet Ihr Euch allerdings sicherlich erst noch einarbeiten, aber das liegt ja in der Natur der Sache... in dieser Zeit könntet Ihr Euch in der Tat am besten Eurer bisherigen Erfahrung entsprechend einbringen." ‘Längerfristig einen Geschäftspartner’, ließ sich Baldos die Worte durch den Kopf gehen. Das würde einer baldigen Rückkehr in die Heimat entgegenstehen, auf die Baldos noch immer unaufhörlich hoffte. Er hatte schließlich eine Mission zu erfüllen, um von seiner Schuld reingewaschen zu werden. ‘Aufwandsspezifische Gewinnbeteiligung’. Das war dermaßen unpräzise, dass Baldos nicht bereit war, dafür seine Zukunft zu riskieren. Vielleicht konnte er ja doch noch mehr über die Pläne des Mannes erfahren. Er schenkte seinem Gegenüber und sich noch einmal ein, nippte jedoch nur vorsichtig an seinem Becher. “Das klingt ja recht verlockend, aber Ihr habt mich noch nicht überzeugt. Was genau erwartet Ihr von mir?”

“Am Anfang - ich erzähl Euch gleich noch, wo mir dieser vorschwebt - lauft Ihr mit, helft beim Organisatorischen, will gerade jetzt heißen, der Anwerbung von Trägern und Arbeitern, sorgt während der Expedition, Grabungs- und Bergungstätigkeiten für deren intakte Moral, will meinen, motiviert für eine hinreichend hohe Marsch- und Arbeitsleistung, und seid mit dem Schwert und Eurer Autorität zur Stelle, sollte es brenzlig werden - sowohl bei der Akquisition als auch dem Verkauf der Wertobjekte." Wando nippte kurz an seinem Rum, sah dabei Baldos aber unverwandt über den Becherrand an. "Wenn die Sache Euch gefällt, könnt Ihr, wie schon gesagt, umgehend Geschäftspartner werden. Als Ausgleich für das unternehmerische Risiko erhaltet Ihr dann vom Gewinn der jeweiligen Unternehmung, also dem Verkaufserlös abzüglich des teils vorzustreckenden Aufwands für Personal, Spesen und verschleißende Ausrüstung sowie der Honorare für die wohlwollende Unterstützung durch dritte, ohne die hier im Süden die Dinge ganz schnell unverhältnismäßig schwergängig werden können und dies dann auch lange bleiben, nicht zu vergessen die Abschreibung der teils langlebigeren Ausrüstung, die natürlich anteilig an deren Besitzer geht, den gleichen Anteil. Was sagt Ihr?"

‚Unternehmerisches Risiko‘. ‚Vorzustreckender Anteil‘. Aha, daher wehte also der Wind. Diese Mann suchte also jemanden, der ihm seine Unternehmung bezahlte. Baldos entschloss sich, diese Andeutungen zu überhören und hier Ahnungslos zu stellen. „Wenn ich Euch mein Schwert zur Seite stelle, wie hoch wäre meine Entschädigung. Ich gehe davon aus, die Entlohnung auch im Falle eines Misserfolgs zu erhalten.“ "Wer sprach denn von einem Dienst im einfachen Angestellten- oder Auftragnehmerstatus? Keinerlei Risiko, dafür ein sicheres, aber begrenztes Salär? So etwas strebt ein Mann Eures Formats doch gar nicht an, oder täusche ich mich?" Ein wenig skeptisch beäugte Wando jetzt den Paggenfelder. "Ihr seid doch aus einem anderen Holz geschnitzt, ein Mann, der Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen kann und will. Herr und kein Diener. Vielleicht habe ich mich auch undeutlich ausgedrückt, daher nochmal ganz klar und offen - ich sehe Euch als Mitunternehmer, nicht nur als angeheuerten Lohnkämpfer. Als Partner tragt ihr natürlich ein gewisses unternehmerisches Risiko, dafür profitiert ihr aber auch viel stärker von den Gewinnen. Und glaubt mir, auf lange Sicht könnt Ihr gut von dem Geschäft leben... ganz abgesehen von all den ideellen Belohnungen, mit denen ihr reich beschenkt werdet."

Baldos schüttelte ganz langsam den Kopf. „Es klingt verlockend, was Ihr vorschlagt. Zu schön, um wahr zu sein. Doch bedenket, ich bin ein in Ungnadener und Verstoßener. Ich habe meine Titel, mein zu Hause und dadurch auch meine Mittel verloren. Ich habe nichts, was ich investieren könnte.“ Er machte eine Pause. Dann kippte er entschlossen seinen Rum hinunter. „Außerdem habe ich keine Zeit. Ich muss eine Aufgabe erfüllen, um meine Reputation reinzuwaschen. Rizella, meine Schönheit! Mehr Rum!“ "Wie Ihr meint..." Wando wirkte für einen kurzen Moment sichtlich enttäuscht, doch wurde dieser Eindruck rasch wie weggeweht, als sich seine Miene schlagartig wieder aufhellte. "Ihr wisst ja, wo Ihr mich die nächsten Tage antreffen könnt, falls der Sturm nicht ganz Yar'Dasham mitsamt uns fortweht und Ihr vielleicht noch einmal darüber nachgedacht habt... Und falls nicht, wünsche ich Euch viel Glück bei Eurer Unternehmung!" Mit unbedarfter Stimme wollte Wando es jetzt aber doch wissen: "Um was für eine Queste handelt es sich denn genau?"

Ein lautes Knarren unterbrach das Gespräch der Männer, dem Augenblicken ein gewaltiges Krachen zerbrochener Krüge folgte. Der Wind hatte an Stärke zugenommen und rüttelte an der kleinen Hütte, die als Taverne herhielt. Das Regal mit Tonkrügen und Becher hatte nachgegeben. Mit erschrockenem Gesichtsausdruck stürmte die Wirtin zu den Scherben. “Bei der Sturmherrin …” sagte Rizella mit Verzweiflung in der Stimme. Dann wurde die Tür aufgerissen und die Efferdgeweihte vom Schiff stand auf der Türschwelle. Baldos erschrak, als das Regal zusammen krachte, und sprang auf, um der Magd zu Hilfe zu eilen. „Ist mit Euch alles in Ordnung? Habt Ihr etwas abbekommen?“ Dann blickte er zur Tür, in der Erwartung, eine Windböe hätte sie aufgerissen, wunderte sich nun jedoch, die Geweihte zu sehen.

"Kommt rein, Euer Gnaden! Bevor Euch die Donnernde in ihrem Streite mit Eurem unergründlichen Herrn zur Geisel nimmt und einfach davonweht." Wando winkte die Geweihte zu ihnen. Offenbar nahm er den Tropensturm deutlich gelassener als Baldos. "Vielleicht macht sie das zwar auch noch mit der ganzen Hütte hier... aber bis dahin habt Ihr wenigstens angenehme Gesellschaft und einen guten Rum... falls nicht gerade die letzte Flasche zu Bruch gegangen ist.” Eine Böe fuhr diesem Moment durch die offen stehende Tür ins Haus. “Aber macht erstmal ganz schnell die Tür zu. Bitte." “Mallaichte bithidh gach gun cheann!”, fluchte die Efferdgeweihte im breiten Albaned. Stevyana ni Nokin stieß ihren Efferbart hart auf den Boden. “Was sitzt ihr hier rum? Hier wird bald nichts mehr stehen, wir müssen hier weg. Dieser Kauca ist unheilig!” Ihr schönes Gesicht war von Zorn erfüllt und es war jedem klar, dass sie von ihren Worten überzeugt war.

"So schlimm wird es schon nicht kommen... Setzt Euch erstmal!" wiegelte Wando noch immer ab. "Euer erster Südmeersturm? Das ist schon ganz schön beeindruckend, wenn man es nicht gewohnt ist..." Jetzt erst trafen seine Augen die der Geweihten. Schlagartig verstummte er, und sein Gesicht wurde ernst. "Verzeiht, Euer Gnaden. Was veranlasst Euch zu Eurer… sehr ernsten Einschätzung?" “Rondra und Efferd sind wohl wieder einmal im Zwist. Was soll daran ungewöhnlich sein? Aber ja, wenn man hier Häuser vernünftig aus Stein bauen würde, würde so ein Sturm auch nicht gleich ein Regal umpusten. Vielleicht sollten wir wirklich in den Gouverneurspalast gehen.” Baldos, der sich mit Tropenstürmen nicht auskannte, wandte sich an Rizelle. “Wollt ihr uns begleiten? Hier seid Ihr nicht sicher. Und nach Eurer Hütte könnt ihr später noch schauen, wenn sich der Sturm gelegt hat.”

Mit einer beiläufigen Geste in Richtung Baldos' und Rizellas winkte Wando ab. Sein Blick blieb dabei unverwandt auf der Geweihten. Wenn er etwas gelernt hatte in seinen vielen Jahren als Entdecker und Abenteurer, war es, ernst gemeinte Warnungen - aus welch abergläubischen Munde sie auch immer kamen - niemals leichtfertig abzutun, vor allem dann nicht, wenn sie von Geweihten oder Schamanen stammten. Nicht, dass er diese stets dergestalt beherzigt hätte, dass er derenthalben von einem Tun abgelassen hätte, das er sich in den Kopf gesetzt hatte. Nicht wenige Male aber hatten ihm solche Warnungen in brenzliger Lage das Leben gerettet oder anderweitig aus der Patsche geholfen. "Was habt Ihr gesehen?" fragte er noch einmal die Geweihte.

“Jeder Faser meines Körpers fleht regelrecht zur Flucht. Diese purpurnen Blitze in den Sturmwolken künden von etwas Unheiligen. Ihr wisst, was in den nächsten Stunden anbricht? Ein Keller wird uns nicht retten. Wir müssen aufs Schiff und aufbrechen … nur so kann uns Efferd noch retten!” Nun erkannte man ihre Angst in den Augen. “Ich war gerade dabei, nach dem Kapitän und seiner Mannschaft zu schauen.” Rizella sprang erschrocken auf. “Hat das mit dem Fluch von Yar´Dasham zu tun? Schon seit Tagen verschwinden wieder Menschen.” Hilflos schaute sie zur Geweihten. "Ruhig Blut!" Wando blieb betont entspannt auf seinem Stuhl sitzen und ließ die Worte der Geweihten einen Moment lang sacken. "Wenn Ihr Recht habt,” dabei sah er Stevyana ni Nokin prüfend an, “- und ich bin geneigt, Euren Worten Glauben zu schenken - sollten, nein, müssen wir fliehen. Aber wir sollten uns gut überlegen, wohin. Panik ist zu jeder Zeit ein schlechter Ratgeber. Wenn gleich ein unheiliger Sturm über uns hereinbricht, müssen wir die Küste verlassen. Aber nicht auf die See, die vom Sturm noch mehr gepeitscht wird als das Land.

Auf dem Wasser liefern wir uns jenen Mächten gänzlich aus. Wir müssen landeinwärts! Ich weiß von einer gut erhaltenen Ruine, nicht unweit von hier. Sie hat weit mehr als ein Jahrtausend überdauert - sie wird gewiss auch nach diesem Sturm noch bestehen. Wenn wir dort sind, können wir auch in aller Ruhe darüber nachdenken, was es mit diesem Fluch auf sich hat." Mit einer Geste des Bedauerns leerte Wando seinen Becher. “Wie viel Zeit haben wir noch, Euer Gnaden, bis hier die Niederhöllen vollends über uns hereinbrechen? Können wir noch Ausrüstung aufnehmen, oder müssen wir uns damit begnügen, unsere nackte Haut zu retten? Und natürlich Deine Rumvorräte, Rizella!” “Moment, was ist das für ein angeblicher Fluch? Bevor ich hier in Panik verfalle vor einem Unwetter, würde ich doch gerne Wissen, wovor wir hier weglaufen sollen.” Baldos, der sich weder mit tropischen Stürmen noch mit dem Aberglauben der Einheimischen auskannte, blieb skeptisch. Außerdem war im Palast des Gouverneurs noch etwas, das er vor einer Abreise in Sicherheit bringen musste. “Und sollten wir tatsächlich auf das Schiff gehen, muss ich erst noch meine Sachen holen.”

“Seit Tagen verschwinden Leute aus der Siedlung. Alle paar Jahre passiert das, manchmal lassen sich nur Blutlachen finden. Die Alten erzählen, dass es Kreaturen der Nacht sind die … aus dem alten Tempel kommen, dem mit der Schädelstatue. Wir alle meiden diesen. Doch der neue Gouverneur …”, Rizella brach ab und schaute verlegen zu Boden. Ein weiteres lautes Krachen erinnerte alle daran, dass der Sturm echt war. “Raus hier, sofort! Wir müssen los. Holt, wenn ihr holen müsst. Ich suche weiter den Kapitän und seine Mannschaft. Wir treffen uns am Schiff. Noch kann uns Efferd schützen!”, brüllte die Geweihte. "Langsam, langsam!" Wando hatte jetzt die Stimme gehoben. "Ich muss die Dinge noch immer für mich sortieren: Wir sehen uns offensichtlich zwei Bedrohungen gegenüber, richtig? Einem unheiligen Sturm, der ganz unsubtil von der See auf uns zukommt - ohne, dass der Herr Efferd gewillt zu sein scheint, ihn aufzuhalten. Und einer unbestimmten Gefahr, wegen der einige Leute hier verschwunden sein sollen, von der aber keiner zu wissen scheint, um was genau es sich handelt, nur alte Erzählungen kursieren..." Er machte eine mit Bedacht gesetzte Pause. "Nennt mich abgebrüht, aber letzteres ist für mich noch lange kein Grund, kopflos auf die See, in küstennahem Gewässer mitten in den Sturm hinein zu fliehen. Wenn ich die Wahl zwischen dem fast sicheren Tod in Sturm und Wogen, zerschellt auf einem Felsen, und einem unbekannten Feind habe, nehme ich Haumesser und meinen Rapier und fordere letzteren heraus. Es sei denn, ich übersehe etwas ganz gewichtiges. Dann bitte ich um Aufklärung, Euer Gnaden." Baldos nickte zustimmend bei Wandos Worten.

Stevyana kniff verärgert die Augen zusammen. “Für solch eine Geschwafel hab ich keine Zeit. Eure Entscheidung. Die Götter mit euch!” Damit machte sie am Absatz kehrt und verschwand in der stürmischen Gasse. “Und mit Euch!” Wando schnaubte aus. “Überzeugende Argumentation…” Sein zeitgleiches Kopfschütteln zichtigte die letzten Worte Lügen. “Ich schlage vor, wir begeben uns erst einmal zum Sitz des hiesigen Gouverneurs und prüfen, wie man dort die Lage bewertet. Dann sehen wir weiter. Lange sind wir auch nicht unterwegs dorthin…” Fragend schaute er in die Runde. “Was meint Ihr, kommt Ihr mit?” „Auf jeden Fall!“ stimmte Baldos zu. „So oder so muss ich von dort mein… Reisegepäck holen.“ Dennoch blickte der Paggenfelder besorgt. „Die Worte der Geweihten stimmen mich nachdenklich. Sie scheint sich ihrer Sache sehr sicher zu sein. Schauen wir, wie sich die Lage im Palast darstellt. Kommt Ihr mit?“ fragte er schließlich an Rhizella gewandt.

"Ihre Sorge nehme ich durchaus ernst. Ich zweifle lediglich die Schlüsse an, die sie daraus zieht. Sei's drum. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren." Wando erhob sich, um scheinbar genau das Gegenteil zu tun, nämlich noch einmal ohne jede Hektik zur Theke zu gehen, wo er sich erst eine und nach kurzem Abwägen gleich noch eine zweite volle Flasche Rum griff. "Die zahl ich Dir auf dem Weg, Rhizella. Genau wie den Rest der Zeche. Dann hast Du wenigstens ein paar Münzen in der Hand, falls Ihre Gnaden Recht behält und hier nach dem Unwetter gar nichts mehr steht!" Auffordernd blickte er die Wirtin und Baldos an. "Packen wir es! Hinaus in den Sturm!" „So sei es“, stimmte Baldos schmunzelnd ein. Den ausgezeichneten Rum, an den er sich langsam gewöhnte, wollte auch er nicht dem Sturm überlassen und schnappte sich ebenfalls zwei Flaschen. “Auch ich möchte meinen Anteil daran haben, Euch zumindest geringe Sicherheit zu bescheren!“ Noch immer mit erschrockener Miene griff die Wirtin eine Tragetasche, stopfte Essbares, ihr Geld und Stoffe hinein, ergriff eine Feldflasche und holte unter der Theke einen Säbel in einem Waffengürtel hervor. Nachdem sie diesen gegürtet hatte, sagte sie entschlossen: “Lasst uns gehen.”