Der Botschafter des Albenkönig

Kapitel 3: Der Botschafter des Albenkönigs

Kaum hatte Cupida den weiten Weg über die Brücke beendet, erfasste sie ein Schwindel. Und ein ihr bekannter Stich ins Herz machte sich breit. Immer, wenn sie Herzogenfurt verließ, überkam es ihr und sie vermisste den Park untröstlich. Sie wusste, dass es nur einen Augenblick anhielt, doch die Sehnsucht war ab dann immer ein ständiger Begleiter. Die Alte schien es nicht zu bemerken und hob die Hand zum Abschied, anscheinend wollte sie einen anderen Weg einschlagen. Vor ihnen zog sich eine Straße in einen Wald hinein, ganz anders als Cupida diesen Ort in Erinnerung hatte. Hauptsächlich Ulmen prägten diesen und gaben dem ganzen eine düstere Atmosphäre. “Ich werde weiter am Fluss lang. Viel Glück auf deinen Wegen, Gärtnerin”, sagte Ella. “Hab Dank, Ella”, meinte Cupida freundlich und winkte der alten Frau zu. Obwohl sie sich wunderte, dass sie sie wohl kannte. Wobei sie in dieser Welt hier nichts mehr wundern sollte. Wer weiß, vielleicht kannten sie einander ja - unmöglich das zu wissen. Cupida kannte die Gegend, hier lag in ihrer Welt das Dorf Ulmenau und etwas weiter gen Praios dann das Schloss Ulmen. In dieser Welt war man wohl noch nicht so weit. Irgendwie gefiel ihr der Wald hier besser als das Dorf, das sich normalerweise an diesem Ort befand. Was meinte der Geweihte zuvor? Der Albe lebt beim Ulmenwäldchen. Das musste hier sein, befand die junge Frau. Nun galt es nur noch diesen Gesandten zu finden.

Es dauerte nicht lange und ein Pfad eröffnete sich ihr rechterhand, als sie die Straße in den Wald betrat. Am auffälligsten waren allerdings die Ulmen, die den Pfad umsäumten: Jede einzelne war kunstvoll und unnatürlich verbogen worden und wirkte märchenhaft. Doch bevor sie den Pfad betreten konnte, hörte sie ein Räuspern hinter sich. Erst jetzt bemerkte Cupida den Hügel auf der Gegenseite: ein aus Steinen zusammengehäufter Hügel mit einem Ausguckloch. “Sicher, dass du dahin willst, Menschenmädchen?” ertönte eine grummelige und tiefe Stimme. Die Frage ließ sie hochschrecken und herumfahren. Cupida war in diesem Moment schon angespannt genug gewesen. Diese fremde Welt … alles war hier so bekannt und andererseits doch so fremd. “Ich muss”, murmelte sie, noch bevor sie den Urheber dieser Frage ausmachen konnte. Eine Klappe öffnete sich und eine bullige, rothaarige Gestalt mit vollem Bart lugte heraus. Ein Zwerg. “Bist du sicher? Da geht es zu dem Baumhocker. Der führt nix gutes im Schilde”, brummte er vor sich hin. “Das hilft mir leider nichts, Herr Zwerg”, meinte Cupida freundlich. “Er ist wohl der einzige, der mir bei meinem Problem helfen kann und als Botschafter wird er bestimmt freundlich sein - er repräsentiert ja seinen König.” Der Zwerg spuckte aus. “Zwerg.” Er rollte mit den Augen. “Du weiß, wo du mich findest. Aber erinnere dich daran: Ich habe dich gewarnt!” Damit duckte er sich ab und schloss die Klappe.

Kaum hatte sie den Pfad betreten, ging ein leichter Wind durch die Bäume und formte eine schöne Melodie. Erst als die Abzweigung mit dem Zwerg nicht mehr zu sehen war, stand sie vor einer prächtigen Ulme. In der Krone der Ulme war ein schönes Häuschen geformt, das Cupida verwunschen vorkam. Stufen, geformt aus dem Baum, führten in die Höhe. Weit gehen musste sie aber nicht. Ein schlanker, großgewachsener Mann, in edler Gewandung, sprach sie an. “Cupida? Was machst du hier?” Seine Stimme war warm und schön … doch einstimmig. Sein Haar war dunkel wie die Rinde der Ulme, seine großen, mandelförmigen Augen schimmerten in einem tiefen Saphirblau. Seine Ohren waren spitz, doch nicht so spitz, wie die Elfen es normalerweise hatten. Auch war sein Gesicht schön, doch vermisste es die Symmetrie des alten Volkes. Die Gärtnerin hatte schon einige Elfen gesehen und sie war sich sicher, dass dieser hier einen ordentlichen Schuß Menschenblut in seinen Adern hatte. “Hallo … ähm …”, Cupida sann darüber nach, wie dieser Botschafter denn nun gerufen wurde, “... ähm … Tannenfels?” Ja, das musste er sein. “Ähm … es geht um meine Schwester. Sie wurde wohl festgenommen und meine …”, sie verzog ihr Antlitz, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen, “... Mutter … meinte, dass du uns helfen kannst.”

Er lächelte. Doch plötzlich wurde ihr schwindlig. Das Bild vor ihren Augen schien zu verlaufen und der Elf veränderte ständig sein Gesicht. Mal ein Mensch. Eine Frau. Ein Mann. Unzählige Gesichter, doch alle schienen vertraut. Dann war das Bild wieder normal. Der Elf, Tannenfels, schaute sie mit wissendem Blick an. “Du erinnerst dich wieder, alte Freundin?” Die junge Gärtnerin machte zwei Schritte zurück. Was ging hier vor? “Erinnern? Woran?” “An deine Vergangenheit. Das hier … ist nicht echt. Nur eine Erinnerung. Immer, wenn du anfängst dich zu erinnern, fängst du hier an.” Seine Worte klangen unglaublich, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass er sie nicht anlog. Genaugenommen machte es sogar sehr viel Sinn und ein kleiner Teil in ihr war froh darüber gewesen, dass sie nicht in die Vergangenheit katapultiert wurde. "Aber warum fange ich hier an … und warum erinnere ich mich denn so weit zurück?"

“Ich glaube hier hast du deine liebsten Leute, Freunde und Familie kennengelernt … und verloren. Ich war … und bin dir, dein vertrautester Freund. Ich begleite dich in all deinen Erinnerungen, immer dann, wenn du mich brauchst. Und du wirst feststellen, dass es auch andere geben wird. Doch vor allem: deine Erinnerungen sind dein größter Schatz. In welcher Zeit auch immer du dich befindest, es wird dir helfen.” Er machte einen Schritt auf sie zu. Erst jetzt sah sie, dass er ihr einen schönen Kelch entgegen hielt. "Und wie oft war ich schon hier", fragte Cupida etwas misstrauisch. "Ich kann mich nämlich nicht erinnern. Und was wird jetzt hier passieren?" Tannenfels lachte. “Unzählige Male. Doch was als nächstes passiert, liegt an dir, Cupida. Möchtest du diese Erinnerung weiter erkunden, oder wieder in dein Jetzt zurückkehren?” Nun schaute er sie fragend an. "Ich denke, es wird einen Grund haben, warum ich hier bin", sinnierte sie. "Deshalb muss ich mich zu Ende erinnern. Wie ging es denn weiter mit meiner Schwester? Und meiner Familie?"

Der Elf drehte sich kurz zu der prächtigen Ulme. “Das kann ich dir nicht sagen, du musst die Erinnerungen selbst erleben. Ich bin nur da, dir zu helfen. Aber alles was es über mich zu wissen gibt, kann ich dir sagen. Hier an diesem Ort hast du mich immer gefunden … und hier bin ich auch gestorben. Oder besser gesagt: verschwunden.” Dann schaute er sie wieder an. “Wenn du weiter ergründen möchtest, so bleibe. So, deine Schwester wurde festgenommen. Von wem?” “Der Praefectus hat sie festnehmen lassen, obwohl sie eine Priesterin ist.” Cupida war sich sicher, dass das wichtig war. Irgendeinen Grund musste es ja gehabt haben, dass sie hier in dieser … Erinnerung … aufschlug. “Und hat sie in irgendein Bindavona bringen lassen. Meine, ähm … Mutter … meinte, ich soll zu dir, da du mir helfen kannst.” Plötzlich wurde es dunkel und ein Schwindel erfasste Cupida.