Der Adel schickt sich an

Kapitel 4-2: Der Adel schickt sich an

Nach einem außergewöhnlich strengen Winter im Herzogtum Nordmarken, folgte ein warmer Sommer. Ja, die heitere Göttin Rahja legte ihr Augenmerk auf die nordmärker Bewohner und ließ sie Firuns Gnadenlosigkeit vergessen. Insbesondere in einer Provinz im Gratenfelser Becken schien es, als ob die Holde selbst zum Feiern rufen würde. Die lange Zeit unauffällige Baronie Schweinsfold trat endlich aus ihrem Schatten, feierte die heiligen Tage der Weingöttin in ihren Dörfern und Städtchen ausgiebig und luden sogar die Nachbarn aus den Nachbarbaronien ein. Insbesondere die größte Ortschaft Schweinsfolds zog viele Reisende, Händler und Adlige an, um dieses Jahr der Göttin der Liebe zu huldigen. Denn schon fast ein ganzes Jahr lang wurde die Kunde verbreiten von einem ganz besonderen Ereignis im Adel: die Brautschau von Herzogenfurt!

Das Erste, was man von der Capitale der Baronie Schweinsfold sah, waren die gepflegte Fachwerkhäuser, die zum größten Teil gepflasterte Gassen und die wenigen Steinhäuser. Die kleine, aber wohlhabende Ortschaft war ein wichtiger Ort für durchreisende Händler, denn von hier aus wurde das wichtigste Gut der Baronie umgeschlagen: das Schwein! Nirgendwo sonst in den Nordmarken war die Schweinezucht und die Verarbeitung des Fleisches so lukrativ wie dort. Und so prägten die Anwesenheit von Händlern aus allen Provinzen, Viehbauern, Fleischer und Garküchen das Stadtleben von Herzogenfurt. Vor den Toren prangten die Türme der Zollbrücke, die das Flüsschen Foldenquell überspannte und den Händlern von der Rahja-Efferdwärtige-Verbindung von Amleth nach Honingen ein Kommen und Gehen ermöglichte. Gekrönt wurde der Baronsitz von einer wuchtigen Burg, an die, für den kundigen Betrachter, die etwas zu hohen Stadtmauer angeschlossen war. Doch der berühmteste Ort und das Zentrum Herzogenfurts war der Lilienpark. Jeder in der Provinz, fast jeder in der Grafschaft Gratenfels und viele Leute in den Nordmarken kannten die Liebesgeschichte von der ´Mär der Lilienprinzessin´ - einer Fee, die ihre Unsterblichkeit aufgab, um bei ihren geliebten Menschen zu bleiben. Viele Barden und Bänkelsänger sangen ihre Geschichte und seither zog es viele Verliebte jedweder Altersgruppe in den Stadtpark von Herzogenfurt. Den Laut der Geschichten zufolge, lebten die beiden Liebenden bis zum Ende ihrer Tage in einem Lilienhain, der heutzutage der besagte Stadtpark sein sollte. Doch heute, am 8. Rahja 1042 nach Bosparans Fall, war dieser Park für das einfache Volk geschlossen worden. Das alte und eher unauffällige Adelshaus ´von Altenberg´ organisierte eine Brautschau und lud dazu den Adel des ganzen Herzogtums ein. Und genau dieses Ereignis sollte nun mit einem Fest im Stadtpark zelebriert werden.


Rahjel von Altenberg konnte sein Grinsen kaum verbergen. Der gutaussehende Mittdreißiger sass hoch zu Pferd in seiner roten Tunika, die mit Rosen und Weinlaubmotiven bestickt war, und genoss es, endlich angekommen zu sein. Im letzten Winter erreicht ihn die überraschende Nachricht seiner Familie, in der er gebeten wurde bei einer Brautschau, das Fest zu gestalten und den Segen der Holden zu Spenden. Und somit hatte er sich früh von seinem Heimattempel in Albenhus losgemacht, um pünktlich in die Capitale der Baronie Schweinsfold zu reisen. Rahjel war schon oft in der kleinen Stadt Herzogenfurt, aber noch nie hatte er die Bürger so ausgelassen erlebt. Erst gestern war der letzte Tag des Fest der Freuden, sieben volle Tage die der Göttin der Liebe gewidmet waren. Aber noch immer lag ihr Segen auf dieser Stadt. An vielen Häusern waren immer noch Blumen und rote Wimpel angebracht, die Herzogenfurter wirkten fröhlich und an vielen Ecken konnte man feiernde Stimmen hören. Die neue Baronin von Schweinsfold und Herrin dieser Stadt schöpfte aus allen Vollen, um der Liebholden zu ehren. Der Geweihte der Rahja war zufrieden. Wie es schien, war die Brautschau unter einem guten Stern. Mit sanften Schenkeldruck lenkte er seinen Elenvina Vollblüter Tharun zum Eingang des berühmten Stadtparks, wo die Vorbereitungen für das kommende Werben im vollen Gange war. Das schmiedeeiserne, doppelflügelige Tor war geschlossen, denn es war von der Baronin veranlasst, dass der Park an diesem Tag nur für die Gäste der Brautschau zugänglich sein sollte. “Rahja zum Gruß, euer Gnaden!”, begrüßte ihn eine helle Stimme. Als er sich umsah entdeckte er die schlanke Gestalt eine blondhaarigen, niedlichen Frau. Der Geweihte kannt die Tochter des Gartenmeisters Rahjagoras schon seit ihren Kindheitstagen. Doch nun war sie zur Frau erwachsen und die Holde hatte auch ihr die Schönheit in die Wiege gelegt. “Rahja zum Gruße, liebliche Flora. Es ist schön dich wieder zu sehen!”, antwortete er ihre Begrüßung. Die Zwanzigjährige trug ihr weizenblondes Haar in zwei ordentlich geflochtenen Zöpfen, die ihr fast bis zur Hüfte reichte. Sie trug eine grüne Schürze über einem schulterfreien, roten Kleid. Die grünen Handschuh verrieten, dass sie mitten in der Gartenarbeit steckte. “Vater hat dich schon erwartet, Rahjel. Ich werde dich zur Festwiese bringen. Die Gäste werden erst zur Weinstunde reingelassen, also hast du noch ein wenig Zeit. Ich bin schon sehr auf das Fest gespannt!”, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, während sie das Tor öffnete. Rahjel warf ihr einen Luftkuss entgegen und trieb sein Pferd in den Park hinein.

Gäste im Gästetrakt der Burg

Dorcas war ein wenig nervös. Mit seinen fast 2 Schritt Körpergröße war er oft einer der Größten im Raum und regelmäßig Aufmerksamkeit auf sich zog. Dem bewußt, hoffte er das man ihm seinen jetzigen Zustand nicht ansehen würde. Er strich sich eine Strähne seines langen, blonden Haar aus dem Gesicht und rieb sich die Narbe auf der Stirn, die seine linke Augenbraue teilte. Glücklicherweise erhielt er vor Tagen eine Nachricht von seinem Vetter Belfionn, das dieser in der Nähe der Baronie Schweinsfold weilte und so lud Dorcas ihn spontan auf die Burg Herzogenfurt ein. Belfionn nahm diese Einladung an und traf gestern ein. Dort erfuhr der Ingerimm-Geweihte von der bevorstehenden Brautschau. Mit der Empfehlung der Baronin durfte Belfionn nun als Gast teilnehmen. Dorcas war froh das sein Vetter ihm moralische und beratende Stütze in dieser Brautschau sein wird. Nachdem er seinen Wappenrock mit seinem Hauswappen angelegt hatte, auf gelbem Schild zwei aufsteigende, grüne Pferde, machte er sich auf zum Speisesaal im Gästetrakt der Burg. Denn dort wartete bereits sein Vetter, um gemeinsam zum Park zu gehen.

Gerade führte ein Bediensteter weitere Gäste zu ihren Zimmern: die junge, mittelgroße Frau mit den langen, gewellten blonden Haaren und den strahlend blauen Augen trug ein weißes, vorne leger geschnürtes Rüschenhemd, schwarze Lederhosen, staubige Reitsteifel von gleicher Farbe und auf dem Kopf einen ausladenden Federhut. Am Gürtel baumelten Rapier und Linkhand, ein blaues Seidentuch, passend zu ihrer Augenfarbe, umschloss den Hals der Frau, bei der es sich um Thalissa di Triavus, die Baronin von Rickenhausen, handelte. Hinter ihr lief ein stämmiger Mann, der sicher schon sechzig Götterläufe gesehen hatte, wenn man seine fingerkurzen weißen Haare und das zerfurchte Gesicht in Betracht zog. Dennoch waren seine Schritte kraftvoll und federnd und sein Blick aufmerksam. Er war ähnlich gekleidet wie die Frau, also ebenfalls in Hemd, Hose und Reitstiefeln, doch der Hut fehlte und der Kleidung fehlte die Eleganz, welche die seiner Begleiterin trotz ihrer vordergründigen Einfachheit ausstrahlte. Auf dem Rücken trug der Mann ein langes Schwert, dessen Griff ihm über die rechte Schulter ragte. Unpassend waren die zwei schweren Reisetaschen, welche er in beiden Händen trug. Der Miene Tar'anams, des Leibwächters der Baronin, der auch Edler von Hottenbusch, einem kleinen Gut in Rickenhausen, war, war allerdings keine Regung anzumerken. Auch das dritte Mitglied der kleinen Gruppe hatte die Hände voll mit zwei weiteren Reisetaschen. Es handelte sich bei ihr um Melisande della Yaborim, die Zofe der Baronin, eine noch sehr junge Frau, höchstens Anfang Zwanzig, mit mittellangen, glatten, dunklen Haaren, leicht bräunlichem Teint und ausdrucksvollen braunen Augen. Auch sie trug eher praktische Reisekleidung in Form einer weiten, hellgrünen Bluse, einer Lederhose, Reitstiefeln sowie einem grünen, mit silbernen Ornamenten verzierten Kopftuch. Im Gegensatz zu den anderen hatte sie keinerlei sichtbare Bewaffnung bei sich. Als der Hüne aus einer Tür trat und damit den halben Gang versperrte, blieb der Bedienstete unwillkürlich stehen und zwang auch die ihm folgende Gruppe zum Anhalten. Neugierig musterte Thalissa den Mann, dessen Wappen sie nicht einordne konnte. Auch Melisande versuchte von hinten einen Blick zu erhaschen, während der Blick Tar’anams, der mit neunzig Halbfingern zwar deutlich kleiner als der Hüne war, aber ihm in der Schulterbreite sicher nicht nachstand, ihn lediglich kühl und abschätzend musterte. Nachdem der Mann offensichtlich ebenso überrascht von der Begegnung war wie die Gruppe, versuchte Thalissa die Sache mit einer neutral klingenden Begrüßung zu beschleunigen, die fragend ausklang: “Die Götter zum Gruß, … ?” Sie war verschwitzt und staubig von der nicht sehr langen, aber trotzdem bei diesem Wetter schweißtreibenden und trockenen Reise und wollte erst einmal ein Bad nehmen, bevor sie Gefallen an sozialer Interaktion fand.

Dorcas blieb überrascht stehen, war er doch mit den Gedanken woanders. Als die Gruppe plötzlich vor ihm stand hielt er inne. ´Oh, was für eine Schönheit´, schoss es ihm durch den Kopf. “Rahja zum Gruße, eure Schönheit. Dorcas von Paggenfeld … Ritter Dorcas von Paggenfeld” Der blonde Hüne verneigte sich kurz. “Und ihr seid …?” stellte er ihr die Gegenfrage. Bevor die Baronin antworten konnte, schallte eine laute Stimme von hinter der Gruppe, am Ende des Ganges. “Dorcas … beeile dich, wir verpassen noch das Frühstück!” Dass diese beiden Männer verwandt waren, war nicht zu leugnen. Beide waren groß und breitschultrig und besaßen das selbe energische Kinn. Wo allerdings der Ritter blond und hell war, so war dieser schwarzhaarig und etwas dunkler. Dieser trug das schwarze Haar zu einem langen Zopf geflochten und er trug über seinem linken Auge eine schwarze, lederne Augenklappe. Ein Bartschatten betonten seine markanten Gesichtszüge. Er trug ein rotbraunes, enges Leinenhemd, darüber eine Schmiedeschürze, die um der Hüfter von einem schwarzen und breiten Ledergürtel mit einer bronzenen Gürtelschließe zusammengehalten wurde. Seitlich an einem Haken hing eine Laterne und an der anderen Seite ein Halfter mit einem Schmiedehammer. Die kräftigen Oberarme waren frei und offenbarten verschlungene Brandmale. Dorcas setzte eine Unschuldsmiene auf, blinzelte mit seinen rehbraunen Augen und lächelte die Baronin an. “Verzeiht meinen Vetter. Er vergisst leicht seine Manieren … wenn er hungrig ist.”

“Thalissa di Triavus, Baronin von Rickenhausen”, stellte sich selbige mit leichtem Neigen des Kopfes vor und wandte sich um, um auch den anderen Mann in Augenschein zu nehmen, ohne auf die Bemerkung des Ritters bezüglich seines Vetters einzugehen. Dabei überlegte sie, ob sie sich ob der Art der Begrüßung dieses Dorcas geschmeichelt fühlen oder eher verärgert sein sollte, konnte sich aber nicht sofort entscheiden und behielt deshalb einen neutralen Gesichtsausdruck bei. “Verzeiht, doch wir sind gerade angekommen und es verlangt mich danach, mich frisch machen zu können. Wenn Ihr also so freundlich wärt … ?” Ihre Augen bedeuteten dem Ritter die Absicht, an ihm vorbei zu wollen. “Ich bin sicher, wir haben später noch die Gelegenheit, uns auszutauschen.”

“Selbst eine lange Reise scheint euch nichts von eurer Frische zu nehmen, euer Hochgeboren! Seiner Gnaden Belfionn vom Schlund und ich, werden an der Altenberger Brautschau teilnehmen. So Rahja es will, werden wir uns bestimmt wiedersehen!” Dorcas verbeugte sich und lief an der Reisegruppe vorbei. Kaum bei seinem Vetter angekommen, legter er seinen Arm um dessen Schulter. “Immer ruhig mit den jungen Pferden, Belfionn. Es wird bestimmt noch was da sein.” Beide verließen den Flur Richtung Speisesaal, doch Dorcas schaute noch einmal der Baronin hinterher. Sein Blick traf den Thalissas, die ihm sinnend hinterher sah. Ihre Miene war undeutbar, doch schien ein feines Lächeln ihre Lippen zu umspielen, so ganz genau war das aus der Entfernung allerdings nicht auszumachen. Doch sie tippte mit dem linken Zeigefinger an ihren Hut, bevor sie sich herumdrehte und dem Bediensteten weiter folgte, der nun, da der Weg frei war, wieder voranschritt. Thalissas Gedanken richteten sich nach diesem kurzen, aber … interessanten Intermezzo wieder auf das bevorstehende Bad.

Selinde von Schweinsfold genoss das Leben, das sich mit einem Mal in ihrer Burg breitgemacht hatte. Die Baronin saß im kleinen Salon, der zu ihren persönlichen Gemächern gehörte, trank einen nachdenklichen Schluck Tee, den ihre Zofe Ensfrid gerade serviert hatte, und ging die Gästeliste mit ihrer Zofe durch. “Lass’ uns doch mal schauen, wer alles schon da ist … .” Interessiert und mit einem immer breiter werdenden Lächeln auf den Lippen ging die Baronin die einzelnen Namen durch, während sie scheinbar selbstvergessen ihre Katze streichelte, die es sich auf ihrem Schoß bequem gemacht hatte.

Der Baron von Eisenstein war zeitig angereist. Er hatte seine Tochter Luzia mitgebracht. Er sann darüber nach, wie er vorgehen sollte, sowohl den Willen seiner Tochter dazu zu manipulieren, zumindest so zu tun, als sei sie potentiellen Ehemännern zugewandt, und die potentiellen Ehegatten dazu zu bewegen, in ihr eine nette Braut zu sehen. Er wünschte sich manchmal seine Gattin sei kein so weinerliches, lethargisches Mimöschen. Eine Frau, die sich aktiv um die Verheiratung der Töchter kümmerte, das wäre ihm angenehm. Aber Ansualda war nicht so. Immerhin - er hatte mittlerweile seinen männlichen Erben, wenn gleich er ihn noch nicht gesehen hatte. Das beruhigte. Und auch seine älteste Tochter würde bald ihren Versprochenen ehelichen. Die Konsequenzen würden sonst andere tragen. Und seine Älteste würde das nicht aufs Spiel setzen. Leider hatte die rote Hochzeit den Wunsch einer Verbindung mit seinem Haus nicht unbedingt gefördert. Und da die meisten Menschen beschränktes, viel zu oft willenloses Fleisch waren, war in der Vergangenheit seine Ambition sich in der Gesellschaft zu zeigen nicht allzu stark ausgeprägt gewesen. Das musste nun anders werden. Angewidert verzog er das Gesicht. Diplomatie war ihm verhasst. Er musste diese Nervensägen wohl oder übel ertragen, wenn er Luzia verheiraten wollte. Die beiden Kleinsten - für die konnte er nur schon mal den Weg ebnen- waren sie doch noch zu jung.

Luzia von Keyserring war genervt. Sie wusste, dass sie heiraten sollte. Das hatten alle SChwestern immer gewusst. Eine Frau konnte nur dies. Ihrem Vater Enkelsöhne schenken. Sie schleuderte ihren Stiefel in eine Ecke. Was aber Vater sich dabei gedacht hatte, sie hierherzu bringen? Die Männer hier waren allesamt… so langweilig. Praiosaffine Stubenhocker. Ihr zweiter Schuh flog direkt hinterher. Und wo sollte sie dann leben? In Elenvina? In dieser stinkenden Stadt am Wasser? Fort von den Bergen, ihren Hunden und Pferden? So weit weg von den zugigen Wäldern in Vaters Baronie? Ihr schnürte es die Kehle zu, wenn sie daran dachte. Odelia hatte es gut. Dort wo sie war, gab es all das auch. Und die olle Schnepfe wusste es nicht mal richtig zu schätzen. Pria hatte ihr versichert nicht heiraten zu müssen, wenn sie niemanden fände, der ihr gefallen würde. Und daran wollte sie denken, wenn sie die nächsten Tage überstehen wollte. Sie hatte durch die Burg flanieren sollen. Nach Vaters Willen. Doch war sie nur bis zum Stall gekommen. Dort hatte Rajodan sie dann gefunden und direkt auf ihr Zimmer gescheucht. Nun musste das Mädchen sich Umkleiden. Und. Der Sinn sauberer Schuhe war ihr fremd. Die einzige Frau, die nur saubere Schuhe trug, war ihre Mutter. Und die Götter mochten sie davor bewahren so zu werden wie ihre Mutter. Es dauerte nicht lange, da hatte sie sich nicht nur saubere Schuhe, sondern auch ein anderes Kleid angezogen und war auf dem Weg nach draussen. Dort würde sie etwas herum laufen, damit Vater zufrieden wäre. Ihre Kleidung schmeichelte ihrer Figur, ihr schlanker Körper mit der schmalen Taille und der femininen Silhoutte kam nach Luzias Meinung mehr als ausreichend zur Geltung. Ihr Haar war noch vom Morgen am Hinterhaupt hochgesteckt und ihr glattes, schwarzbraunes Haar fiel lang ihren Rücken hinab. Ihre blauen Augen schauten meist auf den Boden, um möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Gäste im Hotel ‘Zum Herzog’

Vor Herzogenfurt, am Tag vor der Brautschau. Das monotone Geräusch von klappernden Hufen und den rollenden Rändern eines Pferdegespanns war einschläfernd gewesen. Linnart vom Traurigen Stein blickte hoch gen Alveran, wo das Mal seines Herrn Praios den höchsten Stand bereits überschritten hatte und die Lande des so reich gesegneten Gratenfelser Beckens mit seinem gleißenden Blick segnete. Es war warm gewesen, doch störte er sich daran nur kaum. Der junge Linnartsteiner war als Zivilist unterwegs und genoss die Möglichkeit die Kettenrüstung gegen ein leichtes, ausgeschnittenes Hemd und lederne Hosen zu tauschen. Einzig seine ledernen Unterarmschienen, mit eingestanzten Symbolen von Orden und Praioskirche, sowie sein auf seiner breiten Brust baumelndes Sonnenamulett wiesen ihn als Angehörigen der Gemeinschaft des Lichts aus. Ganz ohne seine Insignien wollte er nicht reisen, denn Geheimhaltung ist seinem Herrn ein Gräuel. Dennoch konnte ihm niemand verbieten Rüstung und Wappenrock auf dem Wagen zu verstauen. Linnart war schließlich nicht im Dienste des Ordens oder im Auftrag der Kirche unterwegs. Auf sein Schwert konnte und wollte er dennoch nicht verzichten.

Der junge Ritter saß auf seinem Yaquirtaler Braunen. Ein Pferd, das wohl einmal ein Vermögen gekostet hatte und während seines Heranwachsens gar mit Traubenschalen gefüttert wurde. Er genoss den Blick auf die Weiten der Kornfelder und die blühenden Wiesen. Es war eine Abwechslung zu den heimatlichen Weinbergen, doch nicht minder schön. Neben ihm ritt seine jüngere Schwester Rahjalind auf ihrer weißen Stute Goldkrümelchen. Die junge Novizin der schönen Göttin war in den letzten Jahren zu einer schönen und weiblichen Frau gereift. Linnart musste beim Anblick ihrer kunstvoll modellierten braunen Haare lächeln; es war ihm ein Rätsel wie man jeden Tag so viel Zeit in die Optik investieren konnte. Ihre großen grünen Augen leuchteten und die Vorfreude hat ihr kindliche rote Flecken auf ihre sonst so blassen, ebenmäßigen Wangen gezeichnet. Gekleidet war die junge Dame in ein wunderschönes, ihre Kurven umschmeichelndes Kleid aus leichtem Stoff.

Linnart schenkte seiner Schwester ein Lächeln, das diese sogleich erwiderte. Leider konnte er die vorfreudige Aufregung Rahjalinds nicht ganz teilen. Der riesige Umweg nach Albenhus um bei einem Turnier teilzunehmen, das er nicht wirklich verstanden hatte, war dabei nur eine Sache gewesen. Die Brautschau einer ihm unbekannten Familie am anderen Ende des Herzogtums war die Idee seiner Mutter Adda gewesen und kam noch negativ dazu. Er konnte dieser ganzen Reise nicht wirklich etwas Positives abgewinnen. Weder er noch Rahjalind suchten gegenwärtig nach einem Ehepartner. Linnart hatte sich auf 12 Götterläufe dem Orden vom Bannstrahl verpflichtet - ein Zeitraum, der erst 1052 BF enden würde - und seine jüngere Schwester war als eine Dienerin ihrer Hausgöttin Rahja im Rebentempel zu Linnartstein verpflichtet. Natürlich schließt ein Dienst im Sinne eines der Zwölfe es nicht aus den Traviabund zu schließen. Es wäre in seinem Fall sogar recht sinnvoll. Linnart diente im Kloster St. Aldec, das sich in Sichtweite zum Sitz seiner Familie inmitten der Linnartsteiner Weinberge befand. Angenommen sein Eheweib würde die Villa des Gutes seiner Familie beziehen, wäre er für sie demnach nicht aus der Welt. Sein Weib könnte an der Seite seiner Mutter den Haushalt des Gutes führen und alles nötige im Umgang mit dem Personal und den Arbeitern in den Weinbergen lernen, während er im Kloster seinen Dienst verrichtete. Doch gab es dennoch das ein oder andere Problem.

Die Familie vom Traurigen Stein besaß nicht den besten Leumund innerhalb des Herzogtums. Man gilt seit jeher als neureiche, verschwendungs- und vergnügungssüchtige Emporkömmlinge, die zwar von einer gesalbten Kaiserin höchstselbst, aber dennoch unter sehr fragwürdigen Umständen in den Adelsstand erhoben wurden. Auch der lockere Umgang mit den Gaben der Göttin Rahja lässt nicht wenige Nordmärker die Nase rümpfen; ihre Feste und Bälle auf Gut Linnartstein werden nicht selten als Orgien bezeichnet und auch die mehr oder weniger offen geführten, außerehelichen Liebschaften des Edlenpaares sorgen vielerorts für Empörung.

Der junge Ritter wandte sich um und blickte auf das einspännige Fuhrwerk, das hinter ihm und seiner Schwester über die Straße rumpelte. Die beiden Bediensteten ihres Hauses, die das Gefährt schützten, auf dessen Ladefläche sich zwei kleine Weinfässer befanden, waren einige Tage später aus Linnartstein aufgebrochen und hatten den kürzeren Weg über die Reichstraße III genommen. Kurz vor ihrem gemeinsamen Ziel hatten sie sich am vereinbarten Treffpunkt getroffen. Eines der beiden Fässer war gefüllt mit rotem, das andere voll mit weißem Linnartsteiner. Traubensaft aus ihren Weinbergen, für den seine Familie dann doch positiv von sich reden machen konnte und der allerorts gerne gereicht wurde, besticht der Wein doch durch sein formidables Säuregerüst. Es war ein Gastgeschenk an die Familie Altenberg gewesen, auch wenn Linnart nicht wusste wem genau er die Fässer denn übergeben sollte. Er zuckte in Gedanken versunken mit seinen Schultern. “Gleich sind wir da …”, es war die freudig erregte, helle Stimme seiner Schwester, die ihn ins Hier und Jetzt zurückholen sollte, “... hast du dir eigentlich schon überlegt wo wir nächtigen werden?” “Im ´Zum Herzog´ ...”, kam es als knappe Antwort. Ihre Börse war wie stets gut gefüllt und auf weniger hatte der Linnartsteiner auch keine Lust. Wenn er schon einmal den harten Pritschen im Kloster entfliehen konnte, dann sollte es sich für ihn auszahlen. “Schön, ich freue mich.” Linnart zwang sich zu einem Lächeln. Vielleicht sollte er das Fest als solches einfach genießen, ohne dessen Sinnhaftigkeit für ihn und seine Schwester zu hinterfragen. Rahjalind schaffte es allem Anschein nach auch. Warum sollte er sich länger davor verschließen?

Am Tag der Brautschau. Es hatte eine schiere Ewigkeit gedauert bis sich Rahjalind fertig zurecht gemacht hatte, doch konnte sich das Ergebnis sehen lassen. “Wird überhaupt ein Mann seine Augen von dir nehmen können, liebe Schwester ..:”, bemerkte Linnart als er der jungen Novizin ansichtig wurde. Wie auf Kommando drehte sich die junge Frau einmal um ihre eigene Achse, um ihm einen Blick auf die Gesamtheit ihres Ensembles zu gewähren. Sie trug hochgeschnürte Sandalen und ein langes, fließendes Kleid aus weinrotem Stoff mit hohem almadaner Schlitz, der stets ihr linkes Bein entblößte. Ihre Haare trug Rahjalind am heutigen Tag jedoch nicht hochgesteckt, sondern offen über ihre schmalen Schultern bis weit über ihre Rücken fallend. Einzig eine goldene Spange sollte ihre Haarpracht dabei etwas bändigen. Die großen grünen Augen waren mit Kohlestaub hervorgehoben und ihre Lippen von Lippenrot bedeckt. “Du siehst aber auch nicht übel aus, Brüderchen …”, Linnart verzog bei der Anrede seinen Mund, beruhigte sich dann aber sogleich wieder als Rahjalind an ihn heran trat und den Kragen seines Hemdes richtete. Eigentlich trug er bloß dasselbe wie am Vortag; ein weißes, ausgeschnittenes Hemd, dunkle und eng geschnittene, lederne Beinlinge, ergänzt von ledernen Unterarmschienen und dem Sonnenamulett. Beide Geschwister schenkten sich gegenseitig ein Lächeln, dann hakte sich Rahjalind am starken Arm ihres Bruders ein und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Lilienpark. Es war ein lauer Tag und der Spaziergang durch die Stadt tat beiden Linnartsteinern gut. Rahjalind untermalte ihren Weg durch die Stadt mit einem fröhlichen Lied auf ihren Lippen. Linnart kannte es nicht, doch sollte es auch seine Laune heben. Er blickte auf seine Schwester neben sich und ihr Anblick ließ ihn abermals lächeln. Es war das Lächeln eines stolzen großen Bruders. Die junge Novizin der schönen Göttin war ein beständiger Quell an Lebensfreude und guter Laune und insgeheim zweifelte der Ritter daran, dass es auf diesem Fest einen Mann gab, der ihr gewachsen war.

Rondradin von Wasserthal überprüfte fahrig ein weiteres mal den Sitz des Wappenrocks der Himmelsleuin, welchen er über seiner weißen Robe trug. Ein weißer Umhang lag auf seinen Schultern und wurde durch die Schwertfibel eines einfachen Geweihten der Rondra geschlossen. Den knapp 97 Finger messenden Geweihten so nervös zu erleben, entlockte seine Schwester ein helles Lachen. “Was ist denn mit dir los, Rondradin? Sollte nicht ich es sein, die nervös ist?” Andesine von Wasserthal, mit 92 Finger war sie deutlich ein kleiner als ihr “kleiner” Bruder. Sie strich eine Strähne des langen schwarzen Haars hinter das Ohr. Die Haarfarbe war, ebenso wie die blauen Augen, ein deutliches Zeichen aus welcher Familie sie stammte. Wer Andesine in ihrem blauen, figurbetonendem aber denoch züchtig geschnittenen Kleid sah, konnte sie sich kaum in einer schweren Plattenrüstung vorstellen. Dennoch war sie an der Knappenschule in Elenvina gewesen und hatte den Ritterschlag durch den Herzog erhalten.

Sie lächelte Rondradin an und richtete ihm seinen Kragen. “Wie du wieder aussiehst.” Der Geweihte brummte nur, bot ihr aber dann seinen Arm. Sie besah ihn von der Seite. Es war beinahe zwei Monde her, dass sie sich gesehen hatten und ihr Bruder hatte sich verändert. Er hatte sich einen Vollbart stehen lassen und sein Haar trug er auch länger. Gemeinsam verließen sie das Zimmer im Hotel und machten sich auf den Weg zum Park. “Natürlich bin ich nervös.” Brach Rondradin das Schweigen. “Schließlich treffe ich mich nachher mit der Junkerin von Henjasburg zusammen, um über den Fehltritt unseres Vetters zu sprechen.” Seine sonst so ruhige Miene verfinsterte sich, als er an die mit diesem Fehltritt verbundenen Entwicklungen dachte. “Zu allem Überfluss soll die Junkerin ein sehr aufbrausendes Wesen haben.” Rondradin seufzte, während Andesine ihm beruhigend den Arm tätschelte. “So schlimm wird es schon nicht werden. Es ist ja nicht so, dass die Kleine schwanger wäre.” Den Geweihten graute es bei dieser Vorstellung.

Helswin hatte sich bewusst viel Zeit gelassen. Zum einen wollte er nicht auf der Treppe - er hatte sich ein Zimmer im Hotel genommen - mit anderen Gästen dieser dubiosen Veranstaltung ins Gespräch verwickelt werden, welches ihn dann doch nur dazu zwingen würde, Konversation zu treiben. Zumeist über das Wetter und woher er kam. Aus Höflichkeit. Langweilig und überflüssig. Ganz zu schweigen davon, dass er dummen Fragen wie der, aus welchem Grund er hier sei, gerne aus dem Weg ging. Als ob es da viele Möglichkeiten gab. Entweder war man Gast, weil man eine Braut oder einen Bräutigam suchte bzw. gewillt war sich nach diesen umzusehen - oder man war es nicht und familiäre Verpflichtungen zwangen einem das Erscheinen auf. Natürlich gab es da noch die Kindermädchen und jene mit Kontrollzwang, die anwesend waren, weil sie auf die Ihrigen aufpassten, damit diese mit den Richtigen anbandelten, oder die aufpassten, damit die Ihrigen nicht vergaßen, anzubandeln. In jedem Falle unterschied sich diese Veranstaltung in Helswins Augen nicht von einem gewöhnlichen Viehmarkt. Auch hier wurde so manches Fell auf Glanz gebürstet, Geruch mit wohlduftenden Wässerchen verdeckt oder die Hufe lackiert. Etwas neugierig war der Magus zwar schon, welches augenscheinliche Goldstück sich nur als angestrichene Kupfermünze entpuppte, doch fehlte ihm definitiv die Motivation, hier weitere Dienste in Sachen Aufklärung abzuleisten. Das Intermezzo in Twergenhausen hatte Helswin gereicht - wenngleich es ihm die Idee geschenkt hatte, sich zumindest eine der Damen mal anzusehen. Gelda. Der kleine Tannenfels fuhr ja völlig auf sie ab und warum das so war, wollte Helswin gerne ergründen. Falls es sich - quasi unbeabsichtigt - doch ergab, dass entweder Gelda oder eine andere der hier angepriesenen Damen Lust auf ein Beschnuppern in privatim bekam, wollte er sich selbstverständlich gerne beschnuppern lassen. Warum denn auch nicht? Selbst auf einem Viehmarkt fiel das eine oder andere ‘Nebenprodukt’ ab. Drängten sich auf dem Rossmarkt in der Herzogenstadt doch schon auch immer Sattler und Stellmacher um die zahlende Kundschaft.

Gäste im Gasthaus “Lilienhain”

Der junge von Mersingen zerrte spätabends sein Pferd und das seiner Pagin durch die Straßen der Stadt. Die Anreise war die PRAiosverfluchten Niederhöllen! Hätte er doch einfach einmal das Schreiben der Herren von Altenberg ordentlich gelesen?! Warum zum Namenlosen hießen die auch von Altenberg, wenn ihre Baronie Schweinsfold genannt wurde. Und warum musste die größte Stadt bitte Herzogenfurt heißen? Da musste doch sogar Herrin HESinde der Kopf rauchen. Lares konnte es nicht mehr an einer Hand abzählen, wie oft sie im Kreis geritten, eine falsche Abzweigung genommen und am Wegesrand von ach so netten Untertanen des Herzogs ausgelacht wurden, weil sie nach einer Stadt namens Altenberg gefragt hatten. Schließlich waren sie in den Ausläufern eines Sumpfes gelandet. Wie sie da wieder rausgekommen waren, darüber würde, wenn Boron es wollte, Schweigen herrschen. ‘Basilissa sollte sich nur nicht bei ihrem Vater verquatschen’, dachte er bei sich. Lares Pferd war abgerackert, er selbst war von oben bis unten mit Schlamm besudelt und die kleine Basilissa war auf dem Rücken ihres Pferdes eingeschlafen. Deshalb hatte der schmächtige, wenn auch durchtrainierte Ritter in jeder Hand einen Zügel und schleifte mit letzter Kraft die armen Tiere durch Herzogenfurt.

Am Stadtplatz angekommen warf Lares einen Blick auf ihr Gepäck. Eigentlich hatte er ja vor, so nah wie möglich am Kern des Geschehens zu sein. Damit ihm Mutter nicht vorwerfen konnte, sich rar zu machen. Aber jetzt noch ein Zelt aufbauen? Er sah an sich herunter. Es bedurfte eines Bades. Dringend. “Basilissa! Aufwachen!”, schnauzte der Ritter unüblich ruppig. Sonst war er seiner Pagin gegenüber nachsichtig und nachgerade liebevoll, doch jetzt hatte er einfach genug. Er brauchte ein Bad und dann ein Bett. Morgen würde ein neuer Tag sein. Im Vergleich zu seinem Hinweg zielgerichtet steuerte er mitsamt Sack und Pack das Gasthaus Zum Lilienhain an. Das Hotel, so sehr er das wollte, konnte sich der Edle nicht leisten. Die Pferde wurden untergestellt, ein Bad geordert und die Kleider abgestreift. Tief in der Nacht fiel der Mersinger endlich in die Federn.

Die blonde Pagin mit den tiefschwarzen Augen hatte friedlich geschlafen, unter sich das langsam und gleichmäßig dahintrottende Pferd. Unsanft riss sie schliesslich die Stimme ihres Schwertvaters aus dem Schlummer. Aufgeregt und sogleich hellwach begann sie unmittelbar auf den Mersinger einzuplappern, der sich fast wünschte, das Kind nicht geweckt zu haben. Als alle Aufgaben erledigt waren und sich Basilissa endlich zur Ruhe betten konnte, lag sie noch einen Augenblick wach und sann darüber, was am nächsten Tag passieren würde. Vater wäre sicherlich schon da und Luzi auch. Lares dementgegen fiel wie ein Stein in sein Bett und zeigte innerhalb kürzester Zeit keine Regung mehr. Zu sehr hatte ihn der Irrweg geschlaucht.

Auf ihrem Weg zur Brautschau, hatte Lechdane von Ahnwacht erst Gratenfels besucht. Dort hatte sie erst im Auftrag der Familie einige Abschriften von Stammbäumen abgeliefert, bevor sie gemeinsam mit ihrer Base Aureilia nach Herzogenfurt gereist war. Die beiden adretten jungen Damen hatten sich Zimmer im Gasthaus ‚Lilienhain‘ genommen. Nachdem sie sich fein gemacht hatte, dabei trugen sie die neuste Mode aus Elenvina auf, waren nun bereit das Geschehen genauer zu inspizieren.

Sina war aufgeregt. So selten kam sie aus Elenvina, seit sie durch Vermittlung ihrer Schwester ihre Stelle am Hofe des Herzogs erhalten hatte. Sie war mit einer Reisegruppe unterwegs gewesen, auf einem Elenviner Wallach und hatte ein schweres Packpferd für diverse Dinge dabei, die eine Frau auf Reisen benötigte. Stolz war sie gewesen, dass gerade ihre Schwester Verema ihr vorschlug, auf die Brautschau zu gehen. Immerhin wusste sie, dass Sina bereit war zu heiraten. Noch erfreuter war sie darüber gewesen, dass sie auch noch etwas `Taschengeld` erhielt. Natürlich sollte sie der Zuchtmeisterin später berichten. Das Verhältnis der ungleichen Schwestern war nicht immer das Beste gewesen. Im Gasthaus “Lilienhain” hatte sie sich ersteinmal erschöpft niedergelegt und dann überlegt, was sie anziehen sollte. Die Wahl war auf ein schwarzes Kleid mit langem, almadaner Schnitt, der ihr schlankes linkes Bein zur Geltung brachte, und einem Ausschnitt, der nicht zu viel zeigte, aber die Fantasie gekonnt anregte, gefallen. Nun war es an der Zeit, aufzubrechen.

Am nächsten Morgen quälte sich Lares aus seinem Bett. Er hatte das Gefühl, von einer Ogerschelle malträtiert worden zu sein. Jeder Muskel im Leid tat ihm weh. Dementsprechend wenig begeistert war er, als der Hahn krähte. Nachdem er selbst nur leidlich in der Lage war, geradeaus zu sehen, brachte er es auch kaum übers Herz, seine Pagin zu wecken. Er war sich sicher, dass sie gestern noch lange gebrütet haben würde und hatte gemerkt, wie sie wach lag und die Zimmerdecke angestarrt hatte. Allerdings mussten sie pünktlich erscheinen, also mussten sie sich fertig machen. Und einigermaßen präsentabel aussehen! Er war sich sicher, er würde aussehen wie der Schweigsame selbst. Also weckte er Basilissa respektvoll und hielt sie an, sich ausgehfertig zu machen. Für sich selbst hatte er ein blaues Brokatwams vorgesehen, das dezent das Wappen seiner Familie trug. Nur nicht zu düster dieses Mal, dachte er sich. In dem Kleidungsstück sah er einigermaßen präsentabel aus, auch wenn sein schmaler, drahtiger Körper darin noch immer unterzugehen drohte. Mit einem Gürtel um die Hüften ließ sich dieses Problem einigermaßen lösen. Schlimmer war allerdings, dass sein lichtes Haupthaar auf seinem Kopf wie festgeklebt wirkte. Da half auch bürsten nichts. Nach einer Weile aggressiver Selbstoptimierung gab er schließlich frustriert auf und wandte sich seiner Pagin zu, die selbst mit ihrem Kleidchen kämpfte. “Kann man dir helfen?”

“Ritter tragen keine Kleider.” Schallte es trotzig aus dem Stoffhaufen, aus dem sich langsam kleine Ärmchen schälten. Basilissas schwarze Augen leuchteten als sie ihren Schwertvater erspähte. “Oh, ihr seht aber fein aus.” rief sie erfreut als sie Lares erblickte. Wie immer war die Kleine von Keyserring mit einer überschäumenden Energie gesegnet, die ihr Schwertvater immer wieder drosseln musste, damit sie nicht Früchte trug, die niemand ernten wollte. “Die älteren Mädchen werden euch sicher sehr zugetan sein.”

Die Direktheit seiner Pagin überraschte den jungen Ritter. Er hatte nicht mit einem Kompliment gerechnet - noch weniger konnte er damit umgehen. Er wollte schon rot anlaufen, doch riss sich im letzten Moment zusammen. “Komm, du willst doch auch gut aussehen, oder nicht?”, schmunzelte er und zupfte das Kleid zurecht. Jetzt saß der Ausschnitt wenigstens gerade, auch wenn er den strubbeligen Blondschopf noch bändigen musste, bevor sie ihren Eltern gegenübertreten durfte. Die vor Kraft sprühenden schwarzen Augen widersprachen dabei der Formensprache des “niedlichen” Kleides fundamental. Bei sich musste er zugeben: Basilissa hätte lieber einen Brustharnisch tragen sollen. Und sicherer wäre er obendrein gewesen. Die Vorstellung heiterte den griesgrämigen Mersinger auf. Er gab seiner Pagin den Kamm und wartete, bis sie sich damit einigermaßen zurecht gemacht hatte. “Bist du bereit, dich ins Getümmel zu stürzen? Du willst sicher deine Eltern und deine Schwester wiedersehen, nicht wahr?” Er beugte sich zu Basilissa herunter. “Heute reißen wir uns zusammen! Was wir über Etikette gelernt haben, ist heute besonders wichtig. Einen guten Eindruck machen ist die mindeste Voraussetzung, um einen Partner zu finden - für deine Schwester und für mich. Und du willst uns doch helfen, oder?” Die Kleine nickte. Ja. Das wollte sie. Dann schob sich ein feines, freches Grinsen in ihr Gesicht. Oh ja. Sie würde helfen.

Fedora Madalin hatte Zwei Zimmer im Gasthaus bezogen, eines teilte Sie sich mit ihrer Pagin Liobha, eines hatte sie für Aureus vorgesehen. Nachdem Taschen, Truhen, Kisten verstaut waren, Pferde versorgt und für Speis´ und Trank gesorgt war, zogen sich alle ihre besten Kleider an, machten sich fertig für einen wunderbaren Tag an frischer Luft im Garten und Park, und Fedora legte den Schmuck an, der sie als Baronin auswies, den Baronsreifen auf ihrem Haupt. Dazu nahm sie die Zeichnungen der Portraits ihrer Kinder mit, man konnte nie wissen. Ob sowohl Aureus als auch Liobha für sich werben würden, oder gewillt waren, an der Brautschau teilzunehmen, entschieden sie selbst, Fedora hatte auf ihre Anfragen aus den Häusern noch keine Boten mit Antworten empfangen, wie sie mit Bewerbern umgehen sollte. Es war die Aufgabe der Eltern, sich um die Zukunft ihrer Kinder zu sorgen, sie würde sich an die Eltern wenden, sollte es solche Entwicklungen geben. Liobha war ganz glücklich über das wunderschöne neue Kleid, welches sie hatte für diesen Anlass schneidern lassen. Würde sie weiterhin keine Antwort erhalten, müsste sie selbst entscheiden, aber darüber machte sich Fedora erst dann Gedanken, wenn es soweit war. Als alle soweit waren und sich vor dem Gasthaus anschickten zum Park zu laufen, erstaunte selbst Fedora nicht schlecht, wie sehr sich Aureus gemacht hatte. Ein ansehnlicher, stattlicher junger Mann, dem sicher die Herzen der jungen Damen zufliegen würden. Sollte sich tatsächlich auch für ihn eine Braut finden? Sie musste dringend mit Moosgrund korrespondieren!

Gäste im Park (mit Zelten auf der Wiese)

Hoch zu Roß mitsamt eines weiteren Packpferdes im Schlepptau, kam der Junker von Trollpforz im hereinbrechenden Rahja-Mond des Jahres 1042 nach dem Fall der Huntertürmigen in Herzogenfurt an, also bereits einige Tage vor dem Beginn der Brautschau. Zwei ihm treue ergebene Waffenknechte in von Nieten besetzten, dunklen Lederrüstungen, mit Bögen und Köchern auf dem Rücken, sowie jeweils einer nordmärker Mordaxt über der Schulter, folgten im zu Fuß in einigem Abstand. Die drei kamen aus der unwirklich rauen Grafschaft Isenhag, genauer gesagt der Vogtei Nilsitz im Firun der Eisenberge.

Seine Wohlgeboren hatte sich tatsächlich einmal herausgeputzt. Oh ja, das konnte man wahrlich behaupten. Thankreds sonst eher als wild zu bezeichnender Vollbart war aufs penibelste in Form gebracht und selbst seine Augenbrauen konnten als solche erkannt werden. Sie glichen nunmehr keinem fast schon durchgehenden, dunklen Balken über den Augen. Dies war mitnichten Thankreds verdienst, sondern der eines fähigen Barbiers. Allein die eher als finster zu bezeichnende Miene und die stechenden Augen wirkten abweisend wie stets. Seine Reisekleidung war eher robust. Sie bestand aus dunklen, geschnürten Beinkleider aus Leder zu denen die schweren, geschnürten Reiterstiefel passten. Dazu kam ein langer Gambeson, über dem der obligatorische Wappenrock lag. Dieser trug auf blau den silbernen, schreitenden Troll samt Keule. Passend zu jener Abbildung hing ein großer Streitkolben an der Seite des Junkers, sowie ein Schwert mit edelsteinbesetztem Knauf in einer eher schlichten Scheide an einer der Satteltaschen. Nachdem sich der trollpforzer Ritter nur wenig später zum Anwesen durchgefragt hatte, wurde sogleich ein großes Zelt auf der dafür vorgesehenen Wiese aufgeschlagen und davor eine kleine Feuerstelle eingerichtet. Bereits zwei Maß Wasser danach flanierte der Hüne mit auf dem Rücken verschränkten Armen durch den Park, um sich umzusehen, aber auch um gesehen zu werden. Doch sollte er daran rasch die Lust verlieren. Die Tage bis zur eigentlichen Brautschau verbrachte der Junker auf der Jagd, seiner großen Leidenschaft. Das Recht auf die Pirsch zu gehen, hatte er sich hierzu extra bei der Vögtin von Schweinsfold, der Junkerin Alrike von Henjasburg von Herzogenfurt erbeten.

Arsan wäre glücklich wenn die Familie auch weiterhin mit dem Gut Waidwacht belehnt wäre, doch dem war nicht so. Sein Vater hatte seinen Titel als Edler nicht vererben können und es auch nicht gewollt. Zudem hatte sein Bruder überhaupt kein Interesse daran gezeigt das abgelegene Gut zu übernehmen, ihm gefiel es als Burghauptmann auf der Vairnburg zu leben. Leider war er nur ein Krieger und so hatte ihn die Baronin nicht als Ritter belehnt. Er nahm ihr dies nicht übel, stattdessen spornte es ihn an sich zu beweisen und vielleicht doch noch den Ritterschlag zu empfangen. Hier in Schweinsfold hatte er jedoch eine andere Aufgabe zu erledigen, denn wenn es ihm gelingen sollte endlich auch offiziell Herr von Waidwacht zu werden – dann brauchte er auch eine Frau und Erben die das Gut nach ihm führen würden.

Groß, stämmig und mit polternder Stimme, war er nur schwer zu überhören. Gemeinsam mit einen Waffenknecht baute er sein Zelt auf der Wiese auf, dabei war der gelegentlich fluchende Krieger nicht nur gut zu hören sondern mit seinem vollen roten Haar auch gut zu sehen.

Ebenfalls auf dem Zeltplatz richtete sich Runegard vom Schwarzen Quell ein. Er leistete einen Freundschaftsdienst und hatte deshalb Angrond von Fuchsberg bei, der Knappe eines Freundes und Sohn und Erbe einer Freundin. So war es am Knappen gemeinsam mit einem weiteren Knecht das Lager für sie zu errichten. Selbst Runegard als Oberhaupt seiner Familie, musste sich letztlich dem Druck dieser beugen und endlich auf Brautschau gehen oder zumindest den Anschein erwecken. Dabei überwachte der Ritter das Treiben und machte eine gute Figur. Wohl trainiert, von mittleren Wuchs und mit halblangem, leicht gelocktem schwarzem Haar.

Wehmütig sahen gräulich blaue Augen zur Burg - warum konnten sie nicht dort oder wie auf der Anreise in einem der Gasthäuser vor Ort nächtigen - in einem richtigen Bett, mit dicken Wänden und mit einem festen Dach über dem Kopf? So teilte Ringard von Tannenfels sich ihren Schlafraum nicht nur mit ihrer Mutter, sondern - wie es sich anhörte - mit etlichen anderen Menschen auf dem Zeltplatz, deren Geräusche nur mäßig von der dicken Zeltplane gedämpft wurden und die ihr in den vergangenen beiden Nächten ebenso wie das unbequeme Lager und die vorfreudige Aufregung teilweise den Schlaf geraubt hatten.

Vielleicht wollte ihre Mutter, die Edle Celissa von Tannenfels, noch einmal ihre Motivation stärken, sich nur recht vorteilhaft zu präsentieren. Als ob die Aussicht, aus Ambelmund, egal ob aus der Stadt oder der Burg der Baronin, in der sie zuletzt lebte, oder noch mehr dem heimischen Tann, an der Seite eines stattlichen Mannes von Stand und edlem Geblüte in eine der großen Städte der Nordmarken zu entkommen, nicht Ansporn genug gewesen wären... Wenigstens hatte Mutter einen guten, in kräftigem grün gefärbten Wollstoff, den sie noch im Hause hatten, eigens für diesen Anlass zu einem hübschen, ärmellosen Kleid nähen lassen, das sie über ihrem leinernen Unterkleid trug. Es harmonierte gut mit ihrem dunkelblonden Haar, das ein schmales, als markant, durchaus hübsch zu beschreibendes Gesicht umrahmte. Gut, trotz oder gerade auch wegen aller Körperbetontheit des Schnitts, der ihre, typisch für ihre Familie, hagere, noch mädchenhafte Statur für Ringards Geschmack zu wenig kaschierte, wirkte es im Vergleich zur hiesigen Damenmode, soweit sie bereits einen ersten Blick darauf erhaschen konnte, nicht nur ein wenig konservativ und für ihren Geschmack immer noch zu sittsam. Dennoch wähnte sie sich noch nie zuvor so gut angezogen, wie an diesem Morgen, kurz vor Eröffnung der Brautschau. Ringard trat nochmals ins Innere des Zeltes zurück und vollzog rasch eine tänzelnde Drehfolge, um auszutesten, wie elegant es sich damit auftreten ließ. Die kritischen Blicke ihrer Mutter beraubten sie direkt wieder ihrer aufkommenden guten Laune. Überhaupt wirkte Celissa von Tannenfels seit ihrer Ankunft vorgestern merkwürdig angespannt. Von außen klopfte es gegen die Zeltplane. Auf das "Wer da?" wurde der Eingang geöffnet und ein bereits seit längerer Zeit nicht mehr gesehenes, junges Gesicht blickte etwas unschlüssig hinein.

"Nivard!", jauchzte Ringard, und fiel dem jüngeren ihrer beiden großen Brüder um den Hals. Der hagere junge Krieger Nivard, trotz seiner 22 Götterläufe bereits mit leicht schütterem dunkelblonden Haar, drückte seine Schwester an sich. "Ringard! Fein siehst Du aus, kleine Schwester! Du scheinst mehr als bereit für die anstehende Festivität...!" "Das wurde auch Zeit, mein Sohn, dass Du uns endlich die Ehre gibst!" Celissa hatte sich erhoben und blickte ihrem Zweitältesten entgegen. "Rondra zum Gruße! Ich habe erst seit heute morgen für die Dauer der Brautschau frei erhalten, um meinen eigenen Anliegen nachzugehen, Mutter. Und ich freue mich auch, Dich zu sehen! Woher wusstest Du, dass ich hier sein werde? Hast Du mich etwa erwartet? Jedenfalls habe ich hier eine Depesche für Dich - von Ihrer Hochgeboren von Ambelmund - aber mit dieser hast Du wahrscheinlich gerechnet, nicht wahr?" Nivard reichte ihr die in den letzten Wochen sorgsam verwahrte Rolle entgegen, wobei seine graubraunen Augen in die grauen seiner Mutter blickten.

"Rondra sei auch mit Dir! Lass Dich ansehen! Und lassen wir die Scharade, Nivard - du ahnst sicher bereits, dass ich Dich hier haben wollte." Beiläufig war sie dabei, das Schreiben aufzurollen, und begann sogleich zu lesen. "Soso, Du hast in Nilsitz des Titel des Jagdkönigs errungen - sei dafür beglückwünscht! Die Baronin schreibt, dass ich sehr stolz auf Dich sein könne" - sie sah auf - "das bin ich auch, darauf, und dafür, dass Du Dich kurz vor Deinem hervorragenden Abschluss an der Kriegerschule um die Herzogenmutter bewährt hast, selbstverständlich auch!" Die Edle lächelte ihren Sohn an, wurde aber sogleich wieder ernst. "Warum Du Dich nach alldem aber zu einem unsteten Leben bei diesen Geleitschützern verdingt hast, und nicht der viel ehrbareren Flussgarde beigetreten bist, wo Dir viel mehr Möglichkeiten offen gestanden hätten, musst Du mir dringend erklären!" "Zur Flussgarde kann ich immer noch gehen, wenn es mich nach einem ruhigeren Leben verlangt. Bei den Plötzbognern lasse ich mir aber den Wind um die Nase wehen, sehe viel vom Reich und sammle viele Erfahrungen, wie ein Ritter auf Heckenzeit... und wir sind nicht einfache Geleitschützer, oder gar Söldner! Wir sind ehrbare Krieger, auch wenn wir gutes Geld für unsere Dienste nehmen!" Dass Nivard auch die Nähe zu einem ganz besonderen Mündel des Efferdtempels zu Elenvina zu dieser Entscheidung veranlasst hatte, verschwieg er, wie er es gelobt hatte.

"Wind um die Nase, Ritter auf Heckenzeit! - Du bist erwachsen, ein gestandener Krieger, Nivard. Es wird Zeit, dass Du Dich auf die wesentlichen Dinge besinnst - Deine Familie, der Leumund und die Stellung Deines Hauses in den Nordmarken. Und es wird Zeit, dass wir Dir eine Frau suchen. Deswegen wollte ich Dich hier sehen. Und habe die Baronin ersucht, Dich hierher zu schicken." "Ich will nicht, dass Du mir eine Braut suchst." entgegnete Nivard. "Das habe... ich meine, dass kann ich gut selbst, Mutter!" "Was meinst Du mit 'Ich habe...'?" hakte Celissa, der der Versprecher Ihres Sohnes nicht entgangen war, sofort nach. Nivards Wangen liefen verräterisch rot an. Kurz musste er sich wieder fassen. "Also gut..., ich bin auch aus freien Stücken hier. Aber nicht... um irgendeine der hier dargebotenen Damen zu freien." Er sah seine Mutter abwartend an. "Wer ist sie, sag schon?" wollte Ringard ganz aufgeregt von der Seite wissen. Celissa strich sich derweil nur gedankenverloren ein Strähne ihres weißen, langen Haars aus dem schlanken Gesicht, Nivard weiter taxierend. "Für einen Jagdkönig kommt nur eine ebensolche Königin in Frage - ich werde um Gelda von Altenberg werben - und sonst keine!" Trotzig hielt Nivard dem Blick seiner Mutter stand, während eine nur von dem gedämpften Treiben auf dem Zeltplatz durchsetzte Stille ausbrach. 'Mein Sohn hat also eigene Ziele auf dieser Brautschau!' Insgeheim freute sich die Edle von Tannenfels, dass ihr Sohn sich nicht als willfähriges 'Heiratsmaterial' hergab wie seine jüngere Schwester, die scheinbar einfach nur unter die Haube kommen wollte. Hoffentlich musste er hier nicht eine harte Lektion lernen. Hoffentlich mussten beide nicht eine harte Lektion lernen. "Gelda von Altenberg? Jagdkönigin?" unterbrach Celissa nach einer Weile das Schweigen. "Hast Du sie in Nilsitz kennengelernt?" Nivard bestätigte langsam nickend. "Dann werden wir uns diese Dame gleich mal ansehen!" 'Und all die umworbenen Herren', fügte Ringard in Gedanken dazu.

Kurze Zeit später traten sie gemeinsam vor das Zelt, Celissa von Tannenfels trug über einer wildledernen, braunen Hose ein weißes Leinenhemd und darüber den grün gefärbten Wappenrock ihres Hauses mit dem goldenen Hirschhaupt. Über alledem flatterte ein dünner, von einer Fibel gehaltener Mantel aus einem gleich gefärbten Stoff, unter dem Griff und Knauf ihres Schwerts hervorragten. Nivard hatte sich wie Ringard auch in Schale geschmissen - über einer nahezu knielangen gelben Langarmuntertunika schmückte ihn eine nur wenig kürzere dunkelgrüne Kurzarmtunika. Sein Schwert als Zeichen seines Standes steckte in einer schmucklosen Scheide an seinem schwarzen ledernen Knotengürtel, seine Beine in wollenen schwarzen Pantalons und seine Füße in seinen Reitstiefeln (andere hatte er nicht). Den Halsausschnitt seiner Obertunika schmückte eine kupferne Brosche, die ein Rund aus Tannenzweigen darstellte, das ein Hirschhaupt umschloss. Sie sahen sich kurz um. Erkennend nahm Nivard einen recht grobschlächtig wirkenden, massigen Hünen wahr, den er bereits in Nilsitz gesehen, dort aber nicht gesprochen hatte. Nickend entbot er diesem seinen Gruß.

Der Trollpforzer benötigte einige Momente, dann begriff er und erkannte Nivard. Seine Miene hellte sich auf, ja zeigte Belustigung, welche durch das im Anschluss geäußerte: “Eure Majestät, schön euch zu sehen”, welches er zu ihnen herüber rief nur unterstrichen wurde. Schamesröte stieg in Nivard auf ob der ironisch-überhöhenden Anrede, und er musste sich erst einmal einen kurzen Moment fassen, ehe er beschloss, dies einfach zu übergehen: “Euer Wohlgeboren von Trollpforz! Die Freude ist ganz meinerseits. Ich hoffe Ihr seid wieder wohlgenesen von den Blessuren Eurer Bärenjagd!” Dann wurde er sich wieder seiner Begleitung gewahr: “Verzeiht, darf ich Euch die Edle von Tannenfels in der Baronie Ambelmund, meine Mutter, vorstellen?” Nivard wies auf Celissa, die dem Junker geradeheraus ins Gesicht blickend ein “Sehr erfreut, Wohlgeboren” entbot, “... und an deren Seite meine Schwester Ringard!” Selbige deutete einen kurzen Knicks an, um anschließend Thankred eingehend zu mustern. Celissa ergriff das Wort: “Seid Ihr direkt aus Nilsitz angereist? Wobei..., liegt Trollpforz, soweit ich mich entsinne, dort nicht auch ganz in der Nähe?” Sie machte Anstalten, sich in Richtung Festwiese in Bewegung zu setzen. “Gestattet Ihr mir die indiskrete Frage: Seid Ihr hier als Werber zugegen oder locken Euch alleine die Feierlichkeiten ins Gratenfelser Becken?”

Mit einem einfachen, knapp gehaltenem Kopfnicken, sowie einem schlichten ausgesprochenem "Wohlgeboren", bekundete Thankred seinen Respekt Celissa gegenüber, danach schickte er sich an, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten. “Ja, in der Tat, ich bin als Werber hier. Nur dies hat mich bewogen Nilsitz zu verlassen. Der Weg ins Tal ist lang und beschwerlich, wie euch euer Sohn bestätigen wird. Einfache Feierlichkeiten wären nicht Anreiz genug mich dazu zu bewegen die Berge zu verlassen. Außerdem sind mir viele der verweichtlichten Flachländer und das ganze vornehme und vor allem sinnfreie Gehabe an den Höfen zuwider. Mir sind die Gebote Firuns, wie die des Herrn von Feuer und Erz, den die Zwerge ihren Allvater nennen, die bedeutendsten." Thankred nickte. "Und abermals ja, meine Ländereien liegen ganz in der Nähe jenes Ortes, an dem die Jagd von Nilsitz ausgerichtet wurde." An Nivard gerichtet fügt er an: "Die Narben erinnern mich bisweilen unangenehm an jenen unsanften Zusammenstoß mit dem Bären, aber sie erfüllen mich gleichzeitig auch immer wieder aufs neue mit Stolz. Werdet ihr auch um eine Braut werben? Ich hoffe wir kommen uns dabei nicht in die Quere.”

Celissa nickte, still in sich hinein lächelnd; sie konnte gut verstehen, was der Junker von Trollpforz meinte und nur etwas drastischer ausdrückte, als sie es formuliert hätte: In den größeren Städten, besonders im Süden der Nordmarken, waren sicherlich vielen die Härten des Lebens in den Gebirgen des Herzogtums und den Wäldern, vor allem in dessen Norden, nicht mehr gewahr, und nur wenige könnten diesen standhalten. Stattdessen sah man dort auf die entlegeneren Gebiete hinab, dieses Eindrucks konnte auch sie sich oftmals nicht erwehren. “Firun und Ingerimm werden auch bei uns, in den Wäldern in Ambelmund und Nordgratenfels hochgehalten, wo sicherlich keinerlei Gefahr besteht, durch allzu viele Annehmlichkeiten zu verweichlichen.” entgegnete sie. “Noch stärkere Verehrung finden allenfalls Rondra und Travia, die uns unserer ritterlichen Pflicht gemahnen, uns angesichts der nicht wenigen Gefahren der Wildnis stets vor unsere Schutzbefohlenen zu stellen und die Gebote der Gastfreundschaft und des Zusammenhalts zu achten! Und Travia führt uns auch hierher - sowohl mein Sohn als auch meine Tochter werden um eine Braut respektive einen Bräutigam werben.” “Es war wirklich ein stattlicher Bär, dem ihr Euch firungefällig stelltet, Wohlgeboren!” zollte Nivard dem Trollpforzer Respekt, nachdem seine Mutter geendet hatte. “Wie in Nilsitz das Revier groß genug für uns alle war, unser ganz eigenes Jagdglück zu fordern und zu finden, so hoffe ich, dass wir auch hier unterschiedliche Fährten verfolgen. Habt Ihr schon eine bestimmte Dame im Auge?” Hoffentlich hatte Thankred es nicht auf Gelda abgesehen... Ringard schwieg derweil und hoffte nur imständig, dass ihre Mutter nicht auf die Idee käme, verwandtschaftliche Bande mit diesem hier herzustellen. Zum einen wirkte er mindestens doppelt so alt wie sie und ein wenig grobschlächtig, und zum anderen würde ein Leben an dessen Seite bedeuten, vom Regen in die Traufe zu geraten. Sie war nicht hier, um den heimischen Wäldern zu entfliehen, um dann in noch schroffere und abgelegenere Waldlande verschlagen zu werden. Ganz bewusst begann sie, sich nach dem Treiben um sie herum umzusehen.

"Ich werde um die Thorwalerin werben", antwortete Thankred unter breitem Grinsen. "Diesen Namen gab man Sabea von Altenberg in Elenvina aufgrund ihrer Größe und ihrem kastanienroten Haaren. Eine andere kommt für mich nicht in Frage. Nur ihretwegen bin ich hier." Der Junker räusperte sich. "Ich gehe Mal davon aus, dass du ein Auge auf eine andere Dame hast?" “Die Thorwalerin ist mir durchaus bekannt.” grinste Nivard erleichtert zurück. Immerhin hatte er der Reisegruppe, in der Sabea ebenso wie Gelda, Elvan und etliche weitere Altenberger von Elenvina nach Herzogenfurt gereist waren, gemeinsam mit Emmeran von Plötzbogen und weiteren seiner Leute als Geleitschützer gedient. Der erste größere Auftrag, den er als Jüngster für das Unternehmen an Land gezogen hatte. Dass er gemeinsam mit seinem einstigen vermeintlichen Nebenbuhler in Sachen Gelda, Rondradin von Wasserthal, dem zu Beginn (und eigentlich auch immer noch) schroff und hochnäsig daherkommenden Magier Helswin von Plötzbogen und - entgegen dem Kontaktverbot mit den Brautschaukandidaten - eben auch Sabea (welch Truppe!) der Gauklerin Doratrava geholfen hatten, ihre Probleme in Twergenhausen aus der Welt zu schaffen, verschwieg er hier lieber. Auch, dass er mit Sabea, trotzdem sie gemeinsame Ziele verfolgt hatten, nur bedingt warm geworden war. Es war erstaunlich, wie stark sich Sabea von der liebreizenden Gelda unterschied, musste Nivard immer wieder feststellen. “Da kommen wir uns nicht in die Quere - ich wünsche Euch, ich meine Dir” - er beschloss, die direkte Vertraulichkeit des Junkers und dessen Duzen einfach zu erwidern - “viel Glück dabei, ganz aufrichtig, denn ich bin,” er sah errötend zu Boden und überlegte, wie weit er sich hier, vor dem Trollpforzer und im Angesicht seiner Mutter und Schwester offenbaren sollte, “in der Tat wegen einer anderen Dame hier, …” ach was soll’s, hier konnte er ja gefahrlos einen Pflock einschlagen, fasste er Mut “der jüngeren Schwester der Thorwalerin, Gelda von Altenberg. Ich bin mir sicher, Ihr… Du hast sie auch während der Jagd in Nilsitz gesehen, sie zählte zu meiner Jagdgruppe.”

Wie eng verschwägert sie bald wären, hätten sie beide Erfolg auf dieser Brautschau… “Hattet Ihr bereits Gelegenheit, Sabea von Altenberg persönlich kennenzulernen!” erkundigte sich Celissa. So gerne sie es sah, dass ihr Sohn offenbar bereits einen Bekanntschaftsvorteil bei einer der zu umwerbenden Damen hatte, so sehr befürchtete sie im Hinblick auf die den Altenbergern gänzlich unbekannte Ringard, dass am Ende bei jedem der zu ehelichenden Kandidaten einer oder mehrere der Werbenden mit einem Vorsprung ins Rennen ging. Der für Ringard, als viertgeborenem Abkömmling eines alles andere als wohlhabenden Edlengeschlechts aus dem Ambelmunder Tann wohl kaum wettzumachen wäre…

"Ich wusste, dass wir zwei uns nicht ins Gehege kommen", kommentierte der Junker gut gelaunt, aber vielleicht auch eine Spur erleichtert. Darüber hinaus hatte Thankred einen ganz ähnlichen Gedankengang wie Nivard, wie dieser feststellen sollte. "Wenn unser beider Werben von Erfolg gekrönt sein sollte, so lade ich dich nach Trollpforz ein. Die Frauen werden sich in diesem Falle sicher genug zu erzählen haben, wenn sie sich dann wiedersehen und wir gehen gemeinsam auf die Jagd." “Ich würde mich freuen, wenn es sich so fügte.” gab Nivard lächelnd zurück. “Allerdings bezweifle ich, dass unsere Gemahlinnen uns dann alleine zu zweit auf die Jagd lassen würden. Ich schätze, Gelda würde darauf bestehen, mitzukommen. Und auch Sabea wirkt nicht, als ob sie dann bereitwillig zurückbleiben und Teekränzchen halten wollte. Aber auch zu viert könnte ich einer Jagd in Trollpforz viel abgewinnen!” Er bezweifelte lediglich, ob sie dann eine Chance auf das Erlegen scheueren Wildes hätten - er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie die Thorwalerin leise schleichend durch den Wald pirschte. Celissa sah ihre Frage zwar - zunächst? - übergangen, beschloss aber, erst einmal nicht nachzuhaken und stattdessen ihrem Sohn und dem Trollpforzer zu lauschen. Grundsätzlich gefiel ihr, was Nivard über diese Gelda andeutete - sie schien aus dem rechten Holz geschnitzt zu sein, da auch sie die Jagd liebte und sich offensichtlich nicht an den heimischen Haushalt ketten ließ. Ringard dagegen konnte gar nichts daran finden, stundenlang durch die Wildnis zu streifen in der Hoffnung ein bemitleidenswertes oder noch schlimmer, ein gefährliches Tier aufzustören und zu erlegen. Aber wer weiß, vielleicht besaß die Dame, um die ihr Bruder werben wollte, darüber hinaus noch weitere Qualitäten, auf die auch sie sich freuen konnte. Obgleich ihre Meinung zu Nivards möglicher Gemahlin wahrscheinlich die geringste Rolle spielen würde - dazu waren sowohl er als auch seine Mutter viel zu stur.

“Soll mir ganz recht sein”, lachte der Junker daraufhin gelöst. “Zu viert würde es mir sicher noch mehr Freude bereiten.” Thankred klopfte Nivard aufmunternd auf die Schulter. “Aber wie sagt man so schön, man muss den Bären erst erlegen, bevor man sein Fell zerteilt. Ich würde sagen wir haben Ambitionen, die es nun mit Leben zu erfüllen gilt. Firun mit dir.” “So ist es, Firun sei auch mit Dir!” erwiderte Nivard. Auch wenn er Gelda niemals als Jagdbeute gesehen hätte, fand er, dass im Segenswunsch des Trollpforzers nicht wenig Weisheit - auch in Bezug auf seine Situation - lag. Rahja war ihm zumeist, so sein Eindruck - nicht sehr gewogen, und Rondra in Sachen der Liebe anzurufen schien, auch wenn es nacher auf eine gewisse Weise in die Schlacht ging, nicht sehr passend. Auf der Jagd in Nilsitz aber waren Gelda und er sich nahe und hatten sich wirklich verstanden. Mögen Firun und Kurim ihnen beiden gewogen sein!

Am Rande des Platzes war ein großer, junger Mann dabei die letzten Pflöcke seines schwarzgrünen Zeltes einzuschlagen. Dabei pfiff er ein fröhliches Liedchen vor sich hin. Neben ihm hielt ein junges Mädchen, vielleicht 12 oder 13 Götterläufe alt, zwei Beutel fest, von denen aus einem oben noch Pfeifen herausragten. “So, Lininaj, jetzt kannst du gleich die Beutel ablegen. Noch die Decken ausbreiten und dann bist du das Zeug los.” Das Mädchen seufzte erleichtert. “Meister Corwyn, ich bin ja schon stark, aber die Pfeifereien haben Gewicht. Nicht nur wenn man sie spielen möchte.” Bevor der junge Mann die Decken aufhob und in das Zelt trug strich er dem Mädchen aufmunternd über den Kopf. “Du bist noch jung und lernt schnell. Wenn du nur fleißig übst wird sowohl das Eine wie auch das Andere bald leichter werden.”

Nebenan stand ein blau-weißes Zelt, dessen Bewohner gerade dabei war sein Reisegepäck hinein zu tragen. Frecherweise hatte er wohl völlig ungeniert einen zweiten Platz abgesteckt, ohne dass man den Grund erkennen konnte, denn sein Pferd stand offenbar nicht hier. Obwohl der Ritter gerade einen schweren Packsattel in den Händen hielt, blieb er stehen und schaute sich diese friedliche Szenerie zwischen Meister und Schülerin an.

Während ihr Meister im Zelt verschwunden war sah sich das Mädchen um. Als es den Ritter vor dem Nebenzelt sah versuchte es mit dem auf- und abwippen aufzuhören, das genau in dem Moment angefangen hatte als Corwyn sich von ihr abgewandt hatte. Verwundert zog sie die Augenbrauen zusammen, bewegte ihren Kopf nach rechts und links und nickte dann den Ritter zu. “Ihr tragt aber auch ganz schön schwer hoher Herr. Wo habt ihr denn euren Knappen? Und wo ist das Pferd?”

“Das Pferd habe ich im Gasthaus unterbringen können und mein Knappe dient meinem Baron während dieser Festlichkeit. Aber eigentlich stellt man sich erst vor oder grüßt bevor man mit Fremden spricht”, tadelte Vitold das Mädchen, allerdings lächelte er dabei und zwinkerte ihr zu. Schließlich war sie nicht seine Knappin und da konnte man ein Auge zudrücken.

“Ich bin keine Ritterin und werde auch keine werden,” das Mädchen verzog das Gesicht ein wenig, “doch grüßen und vorstellen, das kann ich.” Mit einer Verbeugung wie man sei einem Pagen beigebracht haben würde und dem angedeuteten Ziehen eines Hutes stand die quirrlige kleine Dame still. “Den Zwölfen und Rahja zuvörderst zum Gruße Herr Ritter. Vor euch steht die junge Dame Lininaj, Schülerin und Pagin des Wohngeboren Corwyn von Dürenwald. Seines Zeichens Ritter zu Darrenforst.” dann begann sie wieder auf und ab zu wippen. “Ihr reist mit eurem Baron? Ist das anstrengend? Richtet ihr für diesen das Zelt?” Aus dem schwarzgrünen Zelte erklang ein tadelndes “Lininaj!”