Dem Licht geraubt

(aus: Die Geschichte der Kinder Mirils und Der gefallene Stern)

Wunder warten bis zuletzt

"Es muss hier irgendeinen Weg hinaus geben.", sagte der Narr dem Dieb. "Es gibt zu viel Verwirrung, ich kann hier keine Hilfe finden. Händler trinken meinen Wein, die Bauern pflügen meine Äcker. Keiner von denen da weiß, was all das wert ist."

"Kein Grund sich aufzuregen.", sprach der Dieb freundlich. "Hier gibt es viele unter uns, die meinen, dass das Leben nur ein Witz sei. Nur du und ich, wir sind darüber weg. Dies ist nicht unser Schicksal. So lass uns mit dem dummen Gerede aufhören. Es ist schon spät geworden."

Überall entlang des Wachturms behielten die Fürsten immer den Überblick, während all die Frauen kamen und gingen, ebenfalls die barfüßigen Diener. Draußen in der Ferne jaulte eine wilde Katze. Zwei Reiter näherten sich und der Wind begann zu heulen.


Nordmarken Barsch2.png


Ich bin nicht Euer Retter. Ich bin hier nur der Hofnarr. Und so wie mich Eure Erheiterung nährt, vernichtet mich Eure Verachtung. Das ist mein Schicksal und präsentiert sich meine Geschichte. Am Ende jedoch werdet Ihr sehen, dass es auch Eure Geschichte ist. Denn ich bin...

Der König der Narren

Als die Welten erwachten, wurde ich geboren. Und weil es die Götter nicht entdeckten, hatten sie mich verloren. Und gestrandet in dieser Raumzeit, soll es mir genügen, Euch zum Zeitvertreib und zum Vergnügen, hier den Affen zu machen. Doch kommen wir uns in die Quere, dann vergeht uns das Lachen. Und ihr kriegt Eure Lehre, denn es gibt auf dieser Welt nur ein Ent- oder Weder. Lerne oder stirb durch meine Feder.

Ich bin der König der Narren. Und so wie jedes Lied ein Mantra für die Heiligen, ist jeder Takt mein Gebet um dich zu reinigen. Ich bin der König der Narren. Doch wer wird folgen, wenn ich vom Erwachen singe. Und euch nicht mehr zum Lachen bringe?

In einer Welt, die vollkommen und voller Wunder war, sind wir Missgeburten, jeder für sich wunderbar. Ich bin der letzte meiner Art. Mich hat es hierher verschlagen, lebe unter den Menschen. Und die meisten Menschen tragen ihre falschen Gefühle vor sich her wie ein Schild. Ich lasse sie sehen, wer sie sind, ich bin jedermanns Spiegelbild. Und seid ihr nicht gewillt zu erkennen, wer ihr seid, dann tuts mir leid, denn ich habe Narrenfreiheit.

Wie lange wollt Ihr weiter euren falschen Helden huldigen? Und der Götter Verhalten vor euch selbst entschuldigen? Dies ist mein Todestag, denn wir sind alle vernetzt. Und durch den Schmerz, den ihr tragt, fühl ich mich tödlich verletzt. Hab mir mein Leben lang geschworen, für euch alles zu geben. Doch wer ernährt meine Seele? Wer hält mich am Leben? Hält sich fest an Zeilen, die zu schreiben ich fast nicht im Stande bin, weil ich mit meiner letzten Kraft am Rande bin.

Ich bin der Hüter der Herzen, der Prinz der Poeten, ein Krieger des Lichts, ein Alveraniar des Lebens. Wir sind alle verflucht, auf dieser Welt zu verharren. Doch wenn ihr mich nicht hört, bleibe ich nur König der Narren.


Nordmarken Barsch2.png


Dem Licht geraubt

(aus: Die Geschichte der Kinder Mirils)

1111 BF

„Ein neues Zeitalter soll angebrochen sein...“, brabbelte Lammerschop vor sich her. „Jetzt herrschen die Dings, ... wie heißen sie noch... aber egal... wir haben schon anderes erlebt... überlebt... Und die Götter! Schon wieder andere Götter da ... in Alveran... Du glaubst es nicht! ... Hast du das noch nicht gehört?“ Der Kobold blickte den anderen an. Sein Gegenüber schien sich nur wenig für den Ausgang des Karmakorthäons zu interessieren. Der andere Kobold wog etwas vor seiner Brust. Das Lammerschop hielt in seinem Gebrabbel inne und guckte verdutzt. „Was hast denn du da auf dem Arm?“

Luch `Halbschuh´ hielt ein kleines Kind in den Armen. „Das hab ich aus dem Schloss da auf dem Berg...“

„Aus dem Bunten Schloss? Ist das die neugeborene Tochter der Baronin?“, fragte Lammerschop neugierig staunend.

„Naaa. Ich glaub das ist ein Bub.“, erwiderte der Luchermann. Der Kobold war von zwergenhaftem Wuchs. Er hatte recht lange Arme im Verhältnis zu seinem Körper. Sein Gesicht zierte ein üppiger Vollbart und auf seinem Haupt wuchs langes, wuseliges, rotes Haar. Zwischen den vielen Haaren lugte nur wenig Haut hervor sowie zwei kleine Augen und eine Stupsnase. Luch `Halbschuh´ stammte ursprünglich aus dem Farindelwald in Albernia. Sein Geschick hatte ihn in die Aal Bösch nach Isenhag verschlagen. Da Luch das Handwerk eines Schuhmacher gelernt hatte, trug er verschiedene Werkzeuge dieser Zunft bei sich: ein Schusterhammer, eine Beiß- und eine Zwickzange, ein Kneipmesser, einen Wetzstein und einen Wetzstahl, eine Raspel, einen Täcksheber, einen Spitzknochen, einen Rissöffner und einen Risskratzer, eine Querahle, Stahl- und Schweinsborsten, einen Aufrauer, ein Randmesser und eine Rudahle, eine Ziehklinge und ein Putzholz sowie ein Schuhmachereisen und einen Leistenhaken. Da er sein Handwerk vortrefflich verstand nannte man ihn auch gerne den `Kunstfertigen´.

Lammerschop betrachtete das Kind aufmerksam. Das Lammerschop hatte knallblondes Haar. Wie Stroh stach es aus seinem Kopf, fast wie ein flachsener Igel. Der Bart stand ebenso blond und stachelig ab. Ansonsten war es deutlich hochgewachsener als der Luchermann. Dabei war es auch noch spindeldürr und auch sehr unproportional. Seine Arme waren eher sehr kurz. Selbst beim besten Willen konnte man nicht erkennen, ob Lammerschop männlich oder weiblich war. Entlang seines langen, dürren Körpers fiel ein weites, wallendes Kleid aus dünnem, seidenen und fast durchscheinenden Stoff. So wirkte es fast wie ein Geist. Das Exemplar eines Kobolds wiegte sich ständig hin und wieder her und lugte immer wieder hinüber und beäugte neugierig sein Gegenüber mit dem Kleinkind auf dem Arm. „Es hat ja gar keinen Kaiser-Ring. Warum heißt es denn so?“

„Naaa.“, erwiderte Luch. „Ich will nicht.“ Der Luchermann schüttelte wild den Kopf, dass das Kind an zu lächeln fing, weil es so hin und her ging. „Es soll anders heißen!“

„Aber wie?“, hakte Lammerschop nach.

Die beiden Kobolde sahen sich an, schwiegen und dachten nach. Die beiden standen auf einer leicht abfallenden, sauber glatt behauenen, rechteckigen Oberfläche eines riesigen Steins. Der riesige Brocken hatte ebenso exakt gemeißelte Kanten, die im rechten Winkel zu dem Seiten des Steines hinunterfielen. Es war ein überdimensionaler Baustein auf dessen Oberfläche zwei Pferdegespanne aneinander vorbei hätten fahren können. Die Kantenlängen waren wohl fünf an zwanzig Schritt gar. Wenigsten vier bis fünf Schritt ragte der Stein aus dem Waldboden. Der gigantische Brocken trug den Namen `Stein der schwangeren Frau´. Der Stein lag auf dem Hang des Lucherbergs. Ja, der Berg, der nach Luch `Halbschuh´ benannt war. Der Lucherberg war mitten in der Aal Bösch, einem uralten, verwunschenen Wald mitten in der Baronie Eisenstein. Der Stein war wohl ein Grab, so sagte die Legende, das Grab der Elfe Aislin `Traumgesicht´...

Luch `Halbschuh´ schnaubte. „Kannst du mir einen Namen für einen Schelm nennen?“

Lammershop legte seinen langen Zeigefinger auf seinen Mund, die anderen sechs Finger seiner Hand in verschiedene Richtungen abspreizend und dachte nach.

„Wie wääääre es mit...“ Lammerschop machte eine künstlich lange Denkpause. „Brimbamborium?“

„Naaa.“ Luch schüttelte wieder den Kopf. Das Kind lächelte wieder. „Das klingt viel zu seriös... Wie wäre es mit Butzemann?“

„Iss doch gar kein Mann.“, erwiderte der lange Lammerschop. „Iss doch ein Kind.“ Er grinste. „Vielleicht Rabbatz?“

„Naaa.“ Luch `Halbschuh´ machte unwillig eine Schnute. „Klingt viel zu brav... Was wäre denn mit Keggelemek?“

„Iss doch kein Frosch.“ Jetzt schüttelte Lammerschop den Kopf, aber ganz langsam, nicht so wild wie Luch. „Oder doch? ... Iss es ein Frosch?“ Der lange Kobold musterte das Kind noch einmal genau. „Oha! Iss doch ein Kind!“, stellte er fest. „Wie wäre es mit Hotzbotz oder Schnickschnack?“

„Naaa.“ Luch kniff ein Auge zu und hob das andere Augenbrauen. „Hotzbotz erinnert mich an die Keuche die vor kurzem in allen Landen grassierte. Und Schnick Schnack? So heißen doch schon die beiden Schwestern von Schnuck. ... Wie wäre es denn mit Humbug oder Pipifax?“

Lammerschop schüttelte immer noch den Kopf, ganz langsam. „Schmu?“

„Naaa.“ Der Luchermann war nicht zufrieden. „Das ist Zahori und soll es bleiben. Mir gefällt aber Papperlapapp oder Mumpitz oder Mummelputz oder Mombotz oder Firlefanz ...“

„Stopp!“, bremste Lammerschop die Begeisterung des rothaarigen Kobold unwirsch. „Dann doch wohl eher Heckmeck oder Killefitt oder Pillepalle.“

„Naaa.“ Luch kniff beide Augen zu, als ob er etwas bitteres gekostet hätte. „Dann könnte man es auch Zinnober oder Kokolores nennen... Ich wäre für Gobscheit. Das ist ein schöner Name aus meiner Heimat.“

„Deine Heimat gibt es nicht mehr. Sie ist untergangen, Luch. Da ist jetzt nur noch Wasser,... Meer, Ozean,...“ Ein wenig schien Lammerschop den armen Luch zu verspotten. „Ich schlage dir vor, es Klamauck zu nennen.“

„Naaa.“ Der Luchermann rümpfte die Nase. „Das klingt zu ernst. ... Wie wäre es mit Kladderadatsch?“

„Willst du ihn nach dem Untergang des Vergangenen benennen?“ Lammerschop hob verzweifelt beide Arme in die Luft. „Nenn es doch Larifari... Oder Bockmist... Vielleicht Tinnef... oder Klimbim... wie wäre es mit Gedöns? ... oder Unding?“

„Naaa.“ Luch `Halbschuh´ wog das Kind hin und her. „Du armes Kind. Wie will es dich nennen? Naaa. Du armes Kind. ... Ich glaube, ich nenne dich Fickfack. ... Oder vielleicht doch Alfanz?“

Lammerschop lachte. „Vielleicht nehmen wir einen Namen hier aus Eisenstein? Wie wäre es mit Hoppeditz oder Drisspott oder Kappeskopp? Oder so wie die Zwillinge Tünnes oder Schäl?“

„Naaa.“ Der Luchermann war immer noch nicht zufrieden. „Dann nennen wir es lieber Unfug. Oder Hanswurst. Oder Schnurrpfeif...“

„Schöne Namen Luch.“ Lammerschop zuckte mit den Schultern. „Aber wie wäre es mit Hallodri oder Allótrios? Vielleicht Fadaiz oder Niais?“

„Naaa.“ Luch knuddelte das Kind. Es fing an zu weinen. „Du musst nicht griene. Hör nicht hin, mein kleines Mätzchen...“

„Jaahoo!“, jubelte Lammerschop. „Das ist es! Nenn ihn doch Matz! Oder besser: Grynematz!“

„Mmmmmh.“, brummte Luch `Halbschuh´ nachdenklich. „Nicht schlecht.“, stimmte er zu. „So soll es heißen: Grynematz.“ Der Kobold schien endlich zufrieden zu sein.


Autor: Innozenz m.c.