Das Märchen von der Eselsmagd

Das alte Volksmärchen von der Eselsmagd wird in verschiedenen Versionen gern in Hadingen und seiner Umgebung in der Baronie Schweinsfold erzählt.


Das Märchen von der Eselsmagd

Vor langer Zeit lebte an der Folde, nahe Plötzhag, eine Fischerstochter, die ging zum Holzsammeln in den Wald. Doch gelangte sie in ein Waldstück, das ihr fremd war und sie wusste nicht, wie sie nach Hause zurückfinden sollte. Da stand sie plötzlich vor einem prächtigen Schloss, darin wohnte eine mächtige Zauberin, die sprach mit zornigem Blick: "Wer in mein Reich eindringt, der darf dieses nimmermehr verlassen", und das Mädchen weinte und bat, denn ihre Mutter und ihr Vater waren arm und hatten nur die einzige Tochter. Das Flehen des Mädchens rührte die Zauberin und ihr Blick wurde milde. "Diene mir treu und ehrlich für einen Götterlauf, dann sollst du nach Hause zurückkehren und ich werde dich reich belohnen. Doch erfüllst du die Aufgaben nicht zu meiner Zufriedenheit, so bist du auf ewig mein."

"Was für eine Aufgabe soll ich für Euch besorgen, Herrin?" fragte das Fischersmädchen. "Weit, weit in den Sumpflanden lebt ein riesenhafte blaue Kröte, die bewacht eine Schale aus Saphir. Geh', nimm' eines der Pferde aus meinem Stall und bringe mir diesen Schatz." Die junge Fischerin ging, wie ihr geheißen war und betrachtete die großen, schnaubenden Rösser der Zauberin, doch am Ende des Stalles wurde sie eines kleinen weißen Esels gewahr, der sie aus freundlichen Augen anblickte.

"Willst du mein Gefährte sein, Eselchen?" sprach sie, er nickte mit dem Kopf und so zogen sie in die düsteren Sumpflande, wo sie die Riesenkröte fanden, die war so groß wie ein Eber und saß am Stamm einer schiefen Erle auf der saphirenen Schale. Beherzt schlich sich das Mädchen hinter den Baum und neckte die Kröte mit einem Schilfhalm, worauf diese einen großen Hüpfer machte. Die junge Magd nahm geschwind die Schale, doch das Untier schnappte mit seiner langen, klebrigen Zunge nach ihr. Das Mädchen floh, so schnell es konnte, da tat es einen falschen Tritt und fiel in ein Moorloch, wo es zu versinken drohte. Doch das treue Eselchen kam herbei, sie griff nach seinen Zügeln und es zog sie mit aller Kraft aus dem Sumpf heraus. Voller Dankbarkeit schlang die Fischerstochter ihre Arme um den Hals des Esels und legte ihre Stirn an seine Schulter.

Die Zauberin nahm die Saphirschale erfreut entgegen. “Nun bringe mir zwei Kelche aus Rubin, die bewacht ein gewaltiger roter Salamander tief in einem feurigen Schlund.” Die Fischerin und das Eselchen machten sich auf den weiten Weg, wanderten tief in den Untergrund, wo heiße Glut loderte und flüssiges Gestein in siedenden Strömen dahinfloss. Dort hauste der riesige Feuersalamander, der war so groß wie ein Ochse und bewachte zwei kostbare Kelche aus Rubin. Das Mädchen warf sein Fischernetz über das Untier und ergriff die Kelche, doch der Salamander spie Feuer, verbrannte das Netz und packte das Mädchen mit seinem breiten Maul. Der Esel eilte geschwind heran und stieß mit seinen Hufen nach dem Riesensalamander, bis dieser das Mädchen freigab und beide an die Oberfläche flohen. Erschöpft dankte die Fischerstochter dem Esel für die Rettung ihres Lebens und legte ihren Kopf an seine starke Schulter.

“Als letzte Aufgabe bringe mir drei Zepter aus Bergkristall, die bewacht in einem weit entfernten eisigen Gebirg’ ein alter, weißhaariger Riese”, befahl die Herrin, als die Fischerin ihr die Rubinkelche brachte. Zusammen mit dem treuen Eselchen machte sie sich auf die Reise und stieg hoch hinauf in ein schroffes und kaltes Gebirge, das Schnee und Eis auch im Sommer nicht freigaben. In einer großen Höhle lebte der grimmige Riese, der die drei kristallenen Zepter bewachte; diese prangten über seiner Bettstatt. Die Fischerin stahl sich hinein, als er schlief, nahm die Zepter und schlich vorsichtig auf leisen Sohlen zum Ausgang der Höhle, da trat sie auf einen kleinen Knochen, der splitterte und der Koloss erwachte. Er griff das Mädchen mit seiner gewaltigen Hand und sperrte sie in einen Käfig, denn er wollte sie mästen und später verspeisen. Als der Riese schließlich ausging, trabte das Eselchen in die Höhle hinein und knabberte das Seil durch, an dem der Käfig aufgehangen war; dieser fiel herunter und das Mädchen konnte sich aus dem Gittern befreien. Sie kletterten hastig das Gebirge hinab und als sie zu Atem kamen, legte die junge Frau erleichtert ihren Kopf an die Schulter des Esels.

Die Zauberin lächelte, als das Fischersmädchen ihr den letzten Schatz übergab. “Du hast mir gut gedient und bist nun frei”, verkündete sie. “Als Lohn für deine Dienste darfst du etwas aus meinem Schloss mit dir nehmen. Alles, was du willst - seien es die Schale aus Saphir, die Kelche aus Rubin oder die Zepter aus Kristall.” Die Fischerstochter besah sich die kostbaren und glänzenden Schätze im Schlosse der Zauberin, dann schüttelte sie beherzt den Kopf und sprach: “Ich wähle das kleine, weiße Eselchen, das mich treu begleitet und behütet hat.”

Nun schäumte die Zauberin vor Wut, denn der Esel war kein gewöhnliches Tier, sondern der hochmütige Ritter Hado, den sie vor hundert Götterläufen zu ihrem Vergnügen in einen Esel verwandelt hatte. Als das Zauberweib mächtige Blitze aus ihren Händen zucken ließ, rannte das junge Mädchen, so schnell es konnte, nahm das Eselchen am Zaumzeug und führte es durch den dunklen Garten, die dunklen Hecken und den dunklen Wald, die das Schloss umgaben. Die Herrin beobachtete dies in ihrem schwarzen Spiegelteich, und als das Mädchen und der Esel schließlich die Grenze ihres Reiches erreichten, stahl sich ein Lächeln auf das Antlitz der harten Frau. Die Zauberin neigte ihr Haupt und der Esel verwandelte sich in einen stattlichen jungen Mann, der mit verwundertem Blick vor der Fischerin stand.

Der Ritter ergriff die Hand des Mädchens und sie wanderten schweigend, bis sie das vertraut sprudelnde Flüsschen der Folde erreichten. Sie folgten diesem bis zur Fischerhütte des Mädchens und hier fasste sich der Ritter Hado ein Herz. “Ich ging mit dir durch den düsteren Sumpf, den feurigen Schlund und das eisige Gebirg’", sprach er. "Willst du nun mit mir gehen und meine Frau werden?" Sie lächelte, nickte und legte ihren Kopf an seine Schulter. Und sie gingen zusammen und waren glücklich bis ans Ende ihres Lebens. Der Ritter Hado jedoch führte fortan den weißen Esel als Wappen auf seinem Schilde, so wie man es auch heute noch in Hadingen sehen kann.