Das Komplott - Die Schrecknisse zu Eisenstein

Das Komplott

Das Komplott

– Die Schrecknisse zu Eisenstein –

1021 BF

von Peter Schimunek

entnommen aus dem "Hakonianer Stiftsblatt" Nr. 7 und Nr. 8
des Ucurianer-Klosters Hakons Stift in der Baronie Riedenburg

„Ihr seht sehr müde und abgeschunden aus, Bruder. Setzt Euch und genießt diesen Trunk!“ Dem angesprochenen wurde ein güldener Pokal mit edlem Weine gereicht. Zwei zerschundene Hände umklammerten diesen zitternd, vorsichtig roch er an dem Rebensaft, so als ob er fürchtete Gift oder ähnlich niederhöllisches könnte sich in dem goldenen Kelch verbergen. Nach und nach entspannten sich die Züge des Mannes, als dieser merkte, hier endlich in Sicherheit zu sein, und einen tiefen Schluck des Getränkes nahm.

„Nun Dankwart, erzählt was sich hat zugetragen!“ Dankwart schluckte noch einmal, räusperte sich, um das Kratzen des Weines in seiner trockenen Kehle zu überwinden und begann seine Geschichte zu erzählen:

. . .

„Ach, am liebsten würde ich nicht berichten von den niederhöllischen Ausgeburten, die uns in Eisenstein begegneten, doch muß die Welt wissen, daß er es ist, der auch hier sein Werk vollrichtet! Doch bestimmt rede ich wirr, also will ich in praiosgefälliger Ordnung chronologisch berichten.

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Als seine Hochwürden Ungolf hier auftauchten und vom Mord an der Inquisitorin Perihel Praiotreu berichtete (vgl. Nordmärker Nachrichten Nr. 2, Seite 12), wollte ich ja gerade zu unserer Pilgerreise nach Baltrea aufbrechen, doch hat mich die Schwere der Ereignisse schnell davon überzeugt, mit dem Inquisitionsrat zu ziehen. Heute wünschte ich mir, praiosverzeih meine Feigheit, schon fort gewesen zu sein. Die Prüfung, die uns erwartete, war dämonisch — im wahrsten Sinne des Wortes. Wie dem auch sei, auf dem Weg nach Eisenstein lernte ich erst einmal meine Reisegefährten kennen. Zuvorderst war da der Inquisitionsrat selbst. Ein stattlicher Anhänger des Herren, welcher sich bestens mit den Gesetzen des Strahlenden auskennt und von dem ich in meinen Studien sicherlich profitieren kann. Ungolf von Föhrenstieg scheint wahrlich gut mit Seiner Hochwürden Jorgast zu können, jedenfalls haben die beiden schon damals einig für Hilberian gestritten. Seine rechte Hand war Reton, ein Bär von einem Mann, ein Sonnenlegionär wie er im Buche steht, offen, ehrlich, stets bereit für Praios dem Herren und die Kirche und die Zwölfe sein Leben aufs Spiel zu setzen. Schon in den Orkkriegen hat er sich höchste Ehren erstritten. Yaslilia, Retons Gefährtin, war ein eher zierliches Persönchen, der man kaum zutraute, die Klinge auch führen zu können, die sie mit sich trug. Um so überraschter war man, wenn diese gewandt ihren Strauß focht und dabei noch mit einen lockeren Spruch zu scherzen pflegte — was der Situation wahrlich nicht immer angemessen war. Lumatas ist eher so etwas wie der Proviantmeister und Organisator der Gruppe gewesen. Einen guten Platz zum Schlafen und eine warme Mahlzeit zu finden, war für ihn kein Problem. Fast bin ich geneigt, ihm eine phexgesegnete Hand nachzusagen. Quintas hingegen war sehr schweigsam und in sich gekehrt, doch bestimmt der Frömmste der Schar. Selbst nachts habe ich manchmal Gebete vernommen. Über Mechthild, Eure Cousine, brauche ich wohl nichts zu berichten, Ihr kennt sie länger als ich.

Seine Hochwürden Ungolf berichtete von dem, was er von dem Mord wußte. Die Inquisitorin war nach Eisenstein gereist, um den Eisensteiner-Bollharscher-Konflikt um den Erzschurken Theoderich Wægel genauer zu untersuchen. Dort stand sie wohl kurz vor einem größeren Ermittlungserfolg, was sich aus ihrem letzten Brief entnehmen ließ. Kurz darauf erreichte die Inquisition die Mitteilung über ihre Ermordung. Mehr wußte man jedoch ebenfalls nicht, so daß Seine Hochwürden vor Ort alles weiter in Erfahrung bringen mußte.

Wir kamen also in Eisenstein an. Dort reiste unsere Gruppe unverzüglich nach Obena zum „Bunten Schloß“, dem Sitz des Barons Rajodan. Hochwürden Ungolf verriet schon auf der Reise seine grimmige Entschlossenheit, den Baron ob seiner zwielichtigen Verwicklung in den ersten Eklat zu Eisenstein eine Lehre zu erteilen und dessen Schloß als Quartier der Inquisition zu wählen. Ich konnte mir ausmalen, daß dieser nicht gerade begeistert sein würde, aber daß ein Baron der heiligen Inquisition widerspräche — undenkbar. In Obena war es anders, als auf der Reise, wo sich die Dörfler eher schnell versteckten, wenn sie das Zeichen der Inquisition gewahr wurden. Im Gegenteil, uns empfing man mit Jubel und Dankbarkeit. Der Mord an der Inquisitorin schien allen ins Bewußtsein gerufen zu haben, welch wichtige Arbeit die Inquisitorin verrichtete. Man war froh, daß nun dem Täter das Handwerk gelegt würde.

Am Schloß angekommen, empfing uns sogleich der Baron höchstselbst, so als ob auch er froh war, uns zu sehen. Der Baron kniete artig vor dem Inquisitionsrat nieder: „Euer Hochwürden, mein Herz ist erleichtert, das Siegel der Inquisition in meinem Lehen zu sehen, um jenem üblen Burschen, der die von mir so geschätzte Inquisitorin gemeuchelt hat, zur Strecke zu bringen. Ich werde Euch selbstverständlich nach besten Kräften unterstützen und hoffe, Ihr erweist mir die Ehre, Euch als Gäste des Bunten Schlosses laden und bewirten zu dürfen.“ Selbst dem sonst so undurchschaubaren Inquisitionsrat war anzumerken, daß ihm die offene Rede des Barons überraschte, doch schnell fand er die Worte wieder: „Baron Rajodan, großes Unrecht ist auf Eurem Land geschehen. Wir wurden gesandt, um dieses zu untersuchen. Natürlich freut es uns, daß Ihr uns Eure Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, müssen wir es Euch so nicht befehlen. Lumatas, mein Mann für das Organisatorische, wird mit Eurem Haushofmeister das Nötige abklären. Reton, der für mich die militärischen Dinge leitet, wird zusammen mit Yasilia und Quintas Eure Büttel instruieren, wie sie uns als Schergen zur Seite stehen dürfen. Die beiden Ordensleuten hier stammen vom Riedenburger Ucurikloster Hakons Stift, einem Ort größter Frömmigkeit und Hingabe zu den Zwölfen. Ich darf Euch vorstellen: Dankwart von Firnholz, Bruder des Barons zu Firnholz, Subprior im Kloster und dem Herren Praios geweiht. Sowie Mechthild vom Drosselhof, einer Cousine der Riedenburger Baronin. Sie ist eine wehrhafte Schwester, mit der ich vor Monden schon in Meilingen gegen die Finsternis stritt.“ „Euer Gnaden, auch Euch heiße ich hier willkommen. Ihr würdet mir eine große Ehre erweisen, den Praiosdienst hier im Schlosse während Eurer Anwesenheit zu halten. Eure Hochwürden mag ich hierfür nicht fragen, da er sicherlich ein vielbeschäftigter Mann ist.“ Dieser Begrüßung meiner Person folgte gerade mal eine Andeutung eines Nickens in Richtung Schwester Mechthilds. Nicht gerade höflich, wenn Ihr mich fragt.

In den folgenden Stunden bezogen wir Quartier. Lumatas leistete ganze Arbeit. Schon bald waren unsere persönlichen Kammern, die beiden Verhörzimmer und unsere Beratungszimmer hergerichtet. Der Schloßkerker wurde mit den Instrumenten zur Hochnotpeinlichen Befragung aus der Kutsche des Inquisitors ausgerüstet. Ganze Arbeit! Das meine ich, weil sich das Bunte Schloß als eine reine Baustelle herausstellte. Zwar war der Zwerg Palladiosch, Sohn des wem auch immer — man kann sich diese zwergischen Namen ja nicht merken — mit dem Umbau beschäftigt, doch merkte man gleich, daß die wenigen Handwerker, die zugegen waren auf die Knappheit in des Barons Kasse zurückzuführen ist. In einigen unserer Räume tropfte das Wasser von der Decke, bei anderen waren die Fliesen des Bodens nur rudimentär vorhanden. Unsere Arbeit konnte dennoch beginnen, schließlich wollten wir ja nicht gemütlich im Schloß flanieren!“

. . .

Dankwart nippte erst einmal einen Schluck des Weines, den Abt Pagol im vorhin angeboten hatte. Er wurde dabei vom Abt eindringlich gemustert. „Praios, was hat sich dort zugetragen, daß von dem stattlichen Dankwart nun nur noch ein Häufchen Elend zurückkehrte?“ Das mag sich der Abt gedacht haben. Doch er war weise genug, zu wissen, daß um die Geschehnisse zu verstehen, es besser war, seinen verstörten Stellvertreter erst einmal berichten zu lassen.

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„Die Untersuchungen begannen, indem wir uns erst einmal dem Opfer und dem Tatort widmeten. Der Baron beauftragte seinen neuen Verwalter uns die Stätten zu zeigen und uns die Zusammenhänge zu erklären. Merkan Tîll Adlerkralle von Rickenbach, so heißt der neue Verweser der Lande Eisenstein, hatte die Nachfolge des Erzschurken Theoderich Wægel angetreten hatte, seitdem dieser versuchte, die ungeklärten Besitzverhältnisse von Erdeschmünd gewaltsam zu klären, dabei jedoch unterlag und nun mit der Schatulle des Baron Rajodan flüchtig ist.

Praiosseidank war dieser junge Mann, der gerade seine Lehre im Kusliker Handelshaus Weyringer vom Berg beschlossen hatte, ein aufrechter Charakter, der uns dadurch sehr beim Durchschauen der vielen Possen und Wirrnisse unserer Queste half. Zuerst führte Merkan uns zur Praioseiche, wo die tote Inquisitorin kopfüber aufgeknüpft ward. Er berichtete, daß man die Kirchenfrau am Morgen des 1. Praios, des Herren höchster Tag, gefunden habe. Am nächsten Tag seien dann die Bannstrahler aus der Baronie Kyndoch erschienen und haben sich in Eisenstein umgeschaut. Sie haben jedoch wenig in Erfahrung bringen können. Wichtigster Fund war das an den Baum genagelte Bekennerschreiben:

„Als getreuer Gefolgsmann Unserer Herrin Rondra heben Wir Unser Schwert und folgen gehorsam der ersten Zwölfeinigen Bannbulle des Hohebundes des Schwertes und verfolgen alle, die dem Praios dienen, auf daß alle ihre frevelhaften Taten wider die Anhänger der Leuin gerächt werden.“

So lautete der Inhalt. Die Bannstrahler haben hieraus geschlossen, daß der Täter männlich sein müsse, da er sich sonst sicherlich nicht als Gefolgsmann der Göttin bezeichnet hätte. Das alles habe dazu geführt, daß der Baron die Rondrianer Aldebaran von Eschengrund, Ritter und Herr von Eschengrund, und einen alten Maraskanveteran gefangen gesetzt hatte. Die beiden warteten nun im Kerker des Bunten Schlosses auf ihren Prozeß. Hochwürden Ungolf, der sich bisher alles recht still angehört hatte, geriet ob des Berichtes gar heftig in Zorn: „Da hat uns der Baron ja gleich in eine fatale Situation gebracht! Diener der Rondra inhaftiert, ohne klaren Verdachtsmoment... In Hausarrest zu stellen wäre die richtige Vorgehensweise gewesen. Doch nicht gleich inhaftieren!“

„Nun es dürfte dem Baron meines Erachtens sogar recht gekommen sein, die Rondrianer anzuschuldigen. Auch meines Vaters Grund hat er sich im Theoderich-Eklat versucht zu ermächtigen. Ihr müßt wissen, der Baron ist ein gar eigenbrötlerischer Mensch, dem die Rondrianer auf seinem Land als störend erscheinen. Womit ich nicht sagen will, daß er etwas mit dem Mord zu tun habe. Doch wahrscheinlich erklärt das seine übertriebene Handlung...“, offenbarte uns nach dem Ausbruch des Inquisitors der Verweser. Nun folgte sogleich eine Vernehmung des jungen Rickenbachers, der uns die Zusammenhänge des ersten Eisensteiner Eklats erklärte. Undurchschaubar war es, ob der Erzschurke Theoderich eigenständig gehandelt habe, oder ob der Baron hier seine Hand im Spiel hatte. Immerhin wäre die umkämpfte Gegend ein schönes Zubrot für seine Hochgeboren gewesen. Der Volksmund munkelt jedoch von einer Machenschaft des uralten Magus Tunich-Guhd, der in seinem Schloß am Rande der „Öde“, eines verwunschenen Landstriches der Baronie, leben solle. Die Inquisitionsrätin Perihel Praiotreu war nach Merkans Meinung eine gestrenge, aber gerechte Frau, was seine Hochwürden nur bestätigen konnte. Sie war zur Untersuchung eben dieser Zusammenhänge in Eisenstein gewesen. Allmählich wurde dieser Fall wahrlich undurchschaubar. Scheinbar hat ein Rondrianer eine Fanatikertat begangen. Doch hätte der Baron ebenfalls Interessen haben können, wenn an den Anschuldigungen des Verwesers etwas dran ist. Oder war das Opfer auf die Spuren des Erzschurken Theoderich gestoßen und diesem unterlegen? Was war mit dem geheimnisvollen Magus? Seine Hochwürden beschloß all diese Zusammenhänge zu hinterfragen. Doch erst einmal mußte die traurige Pflicht gegenüber seiner Kollegin erfüllt werden, die aufgebahrt in der Schloßkapelle auf ihr letztes Geleit wartete. Der Inquisitionsrat bat mich zusammen mit ihm den Leib der Verstorbenen vorzubereiten, um ihn Sumus Leib zurückzugeben. So verrichteten wir unsere traurige Pflicht, reinigten den Körper und zogen ihr das Gewand über. Dabei fiel auf, daß die Tote ohne äußere Gewalteinwirkung gestorben war.

Die Büttel des Barons wurden angewiesen, unter der Praioseiche, dem Fundort des Leichnams ein Grab auszuheben, damit ihr sterblicher Leib als Mahnung der Eisensteiner gegen Unrecht und Götterfrevel dort die letzte Ruhe finden solle. Die Sonnenlegionäre Seiner Hochwürden betätigten sich derweil als Herolde, die Bevölkerung zu ermahnen, bei der Beisetzung zugegen zu sein, wie es eines jeden Zwölfgöttergläubigen innerster Wunsch sein müsse. Mir überließ Seine Hochwürden, ob meiner bekanntgewordenen Grabesrede für die Meilinger Märtyrerin Illyana Tsafelde, auch hier diese Ehre vor der am Abend versammelten Dorfbevölkerung die letzten Worte zu sprechen.

„Höret ihr Bürger Eisensteins! Furchtbares und Gottloses hat sich in den Eisensteiner Landen ereignet! Finstere und gottlose Schergen, unheiliges Gezücht hat sich an den Göttern und an der heiligen Zwölfgöttlichen Ordnung versündigt, indem sie eine Dienerin des Herren Praios’ dem Lichte Alverans, Perihel Praiotreu, auf grausamste Art töteten! Damit haben sie unverbrüchliche Last und Schuld auf ihre Seele geladen und sind fernab jeder Gnade Alverans und des Götterfürsten. Doch lasset uns der Toten gedenken, die ihr Leben für die Wahrheit und Gerechtigkeit des Herren Praios ließ.

Oh, Herr Praios, Licht Alverans, Fürst der Götter und Herr der alveranischen Heere! Nimm diese, Deine Dienerin in Dein Himmlisches Paradies auf, weide sie in Deinem Licht, welches Trost und Schutz und Gerechtigkeit und ewigen Frieden spendet! Gib uns Deine Weisheit, die Schuldigen zu finden und Deine Gerechtigkeit, sie in Deinem Namen zu urteilen. Auf das Dein gerechter Zorn auf sie niederfahren möge und sie zerschmettere! Praios ist das Licht und sein Wille geschehe!“

Das waren meine Worte, bevor wir die Tote beisetzten und mit den ausgeteilten Minutenkerzen ein Schweigegebet abhielten, während die Sonne am Horizont versank. Das Boronrad hatte die schlichten Worte:

„Hier ruht Perihel Praiotreu, in Ermahnung der Bürger Eisensteins, ob der Untaten auf ihrem Land!“

. . .

Dankwart von Firnholz nahm wieder ein Schluck des Weines, um nach einem Gedenkmoment an die Tote, dem sein Gegenüber, Abt Pagol, beiwohnte, fortzufahren die Ereignisse von Eisenstein zu berichten.

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„Am nächsten morgen begann dann unsere eigentliche Arbeit. Es galt die inhaftierten Rondrianer zu befragen, was Seine Hochwürden persönlich zu übernehmen gedachte und mich um meine Adjutanz fragte. Des weiteren sollte Schwester Mechthild in Obena die Zeugenaussagen der Bevölkerung erneut aufnehmen. Die Büttel des Barons und die Sonnenlegionäre hingegen ritten als Herolde aus, um in der ganzen Baronie zu verkünden:

„Großes Unrecht ist der heiligen Kirche des Praios durch den Mord an ihrer Tochter Perihel Praiotreu widerfahren. Die Kirchenacht droht denjenigen, die es wagen Informationen über die Geschehnisse der geheiligten Inquisition zu verschweigen. Deshalb fordert der Inquisitionsrat Ungolf vom Föhrenstieg all diejenigen, die Wissen über die Vorkommnisse haben, auf, nach Obena ins Bunte Schloß zu kommen und dort Zeugnis abzulegen. Des weiteren wird allen Anhängern des Kultes der Rondra und sämtlichen Magiebegabten in den Landen Eisenstein wegen dringenden Tatverdachtes befohlen, sich innerhalb der nächsten Woche im Schloß des Barons einzufinden, um ihre Unschuld darzulegen. Wer nicht, wie gefordert im Schlosse erscheint, macht sich stark tatverdächtig und wird unter Kirchenacht gestellt. Des weiteren werden wir ihn notfalls mit Gewalt ins Schloß zur Hochnotpeinlichen Befragung schleifen. Im Namen des Praios ergeht hiermit der Befehl der heiligen Kirche des Praios diesen Anweisungen folge zu leisten.“

Für die Befragung der Rondrianer ließ Baron Rajodan die bereits vom Inquisitionsrat mitgebrachten Folterutensilien vorbereiten, bis Meister Ungolf ihm höflich aber bestimmt ermahnte, daß die Pervalschen Zeiten vorbei seien. Statt dessen ließ er die Gefangenen in das Besprechungszimmer bringen. Doch bevor Meister Ungolf ansetzen konnte, ließ Ritter Aldebaran seinen Emotionen freien Lauf:

„Werter Inquisitionsrat!

Meine Behandlung bei dieser Morduntersuchung läßt mehr als zu Wünschen übrig. Ich folgte der Einladung meines Barons, wurde jedoch direkt in Ketten gesteckt und finde mich nun vor Euch wieder! Das ist nicht standesgerecht! Und nicht nur bei der Behandlung der scheinbar Verdächtigen, sondern auch bei der Untersuchung der Tat selbst scheint der sonst so göttliche Scharfsinn der Inquisition getrübt zu sein. Der feige Mord an Perihel Praiotreu ist eine Schande für jeden aufrechten Rondrianer. Aber eine noch viel größere Schande ist es, mit dem Mord das Antlitz der Leuin zu beschmutzen. Diese Tat ist wirklich nicht die eines Rondragläubigen. Denn gerade die Kirche des Praios sollte wissen, daß Rondras Weg der faire Zweikampf ist, schließlich habt ihr in der Priesterkaiserzeit diesen Kodex oft genug ausgenutzt. Sollte also wirklich ein Rondragefälliger diese Tat im Namen der Göttin begangen haben, so hätte man wohl Spuren eines Kampfes gefunden! Ich bin erschrocken, daß es nur ein paar geschriebener Worte bedarf, um in diesen dunklen Zeiten alle rondragefällige Recken festzusetzen oder gar in Kirchenacht zu stellen. Wer auch immer den Mord an Perihel Praiotreu begangen haben mag, hat offensichtlich genau das erreicht, was er wollte: Nämlich zwischen den Zwölfgöttergläubigen Zwietracht zu säen, in einer Zeit, wo man sich gegen den Feind vereinen müßte!“

Meister Ungolf hatte mir vor diesem Ausbruch des Ritters noch erklärt, er glaube nicht an die Schuld des Rondrianers. Doch mußte er sich nun arg zusammenreißen, ob dieser ungebührlichen Anschuldigungen nicht die Fassung zu verlieren. Mit leiser aber bestimmter Stimme entgegnete er: „Ritter Aldebaran, hütet besser Eure Zunge! Ihr braucht einen Gelehrten des Glaubens nicht über die Sitten der Kirchen zu belehren! Auch war es nicht die Inquisition, die Euch inhaftieren ließ, sondern Euer Lehnsherr, Baron Rajodan. Auch empfehle ich Euch, nie wieder über die Vorkommnisse der Zeiten der priesterlichen Kaiser zu urteilen. Das obliegt höher gestellten als Euch, wo Ihr schon die standesgemäße Behandlung ansprechen mußtet.“

Man sah ein Lächeln über Baron Rajodans Gesicht ziehen, als dieser einwarf: „Auch muß ich zu bedenken geben, woher Herr Aldebaran eigentlich weiß, wie die ehrenwerte Perihel Praiotreu, Praios sei ihrer Seele gnädig, zu Tode kam. Woher weiß der Ritter, daß es keinen Zweikampf gab? Woher weiß der Ritter von dem Bekennerschreiben? Ich habe ihn doch direkt einsperren lassen.“

Grimmig schaute Meister Ungolf den Baron an, so daß das Lächeln schnell wieder verflog. „Baron, auch Euch muß ich darauf aufmerksam machen, daß es sich nicht geziemt, den Dienern des Götterfürsten ins Wort zu fahren! Doch ihr habt wahr gesprochen. Darum frage ich Euch, Ritter Aldebaran, woher wißt ihr über den Hergang des Mordes?“

Man sah dem Ritter seine Fassungslosigkeit an, wohl hatte er mit dieser Frage nicht gerechnet. „... Ich weiß es nicht mehr.“, mußte Ritter Aldebaran gestehen. Meister Ungolf stand auf und ging ratlos hin und her, bis er verkündete: „Ritter Aldebaran, schwere Anschuldigungen lasten auf Euch. Der Tatverdacht hat sich erhärtet. Mir widerstrebt es, Euch, einem Edelmann in Ketten zu legen. Deshalb schwört mir, keinen Fluchtversuch zu unternehmen — und ich verzichte auf die Ketten! Doch lasse ich Euch in den Kerker sperren, bis Eure Schuld oder Unschuld bewiesen ist.“

Auch wenn sich die Fronten verhärtet hatten, war dem Ritter die Dankbarkeit über diese Hafterleichterung anzumerken. Als er bei Rondra und seiner Ehre schwor keinen Fluchtversuch zu unternehmen.

Auf diese Befragung mit unerwarteten Verlauf folgte das Verhör des Maraskanveterans. Dieser stellte sich als völlig nichtsahnend heraus. Zudem wurde er durch Zeugenaussagen aus der Bevölkerung entlastet, die Schwester Mechthild anbrachte, so daß man ihn wieder auf freien Fuß setzte.

Schwester Mechthild fand außerdem heraus, daß einige Einwohner einen Wagen in der Nacht vor dem Fund des Leichnames gehört haben wollten, der in den Ort gefahren sei und nach einigen Minuten Aufenthalt wieder verschwunden sei. Trotz der Befragung vieler Leute war den Aufenthalt des Wagen nicht bekannt, so daß wir annehmen mußten, daß dieser wohl möglich die Leiche der Inquisitorin herbeigeschafft hatte. Durch darauf folgende Befragungen fand Schwester Mechthild schließlich durch einen Bauern, der zufällig in der Mordnacht seine Notdurft entrichtet hat, heraus, daß er einen schwarzen Kastenwagen in der Nacht beobachtet hatte, der in Richtung Nordwesten Obena verließ. Im Nordwesten liegt die „Öde“...

Wieder war es die Öde, die mit den Vorfällen in Verbindung gebracht wurde. Sollte doch etwas an den Gerüchten um den Magus, der dort hausen solle, dran sein? Oder waren diese Gerüchte aus purem Aberglauben entstanden? Bei unseren Beratungen entschieden wir uns, nötigenfalls dieser Gegend einmal einen Besuch abzustatten.“

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Dankwart lehnte sich zurück und nahm einen erneuten Schluck aus seinem Kelch, während Pagol ihm etwas Wildbret auftischte.

. . .

„Die Untersuchungen nahmen nun ihren Lauf. In den folgenden Tagen kamen die über Heroldsbefehle ins Schloß geladenen zur Widerlegung ihrer Schuld nach Obena. Es waren jedoch kaum Rondrianer dabei, da sich diese fast allesamt in Tobrien befanden. Schwester Mechthilds Nachforschungen bestätigten das. Auch eine Auflistung der vermutlich Magiebegabten brachte die Schwester, so daß wir abhaken konnten, wer da war und wer es mied.

Als erstes erschien Ritter Hartmann von Bösenau. In seiner Begleitung fand sich einer der Büttel, die als Herolde ausgeschickt waren, um die Rondrianer zu laden. Der arme Kerl war arg lädiert, so schien es. Ein blaues Auge und eine Schwertwunde verunstaltete seinen Körper. Ritter Hartmann von Bösenau entschuldigte sich für des Büttels Zustand. Er behauptete, diesen für einen Plünderer gehalten zu haben. Damals hatten ja auch Eisensteiner Büttel unter Theoderich Wægel das Junkergut Bösenau überfallen. Darum habe Hartmann auf ihn eingedroschen und erst von ihm abgelassen, als es fast zu spät war.

Man sah Baron Rajodan an, wie er mit seiner Beherrschung rang, ob dieser Erhebung wider seine Amtsgewalt. Ritter Hartmann sei gerade aus Elenvina zurückgekehrt, als er den Büttel auf seinem Hof begegnete. Die Reise nach Elenvina war gleichsam sein Alibi. Darum ließen wir ihn zugleich wieder ziehen. Doch der Baron ließ ihn nicht ziehen und befahl den Ritter zu einem Gespräch. Was der Inhalt dieses Verhöres war, mag ich nicht zu berichten, da ein Jahrmarktszauberer mit samt Wagen und einem verlausten Köter vor dem Schloß erschien. Er konnte zwar wenig nützliches mit seinem Hokus Pokus schaffen, doch erwies er sich als genauso harmlos, so daß Meister Ungolf auch ihn alsbald wieder ziehen ließ.

Dann nach ein paar Tagen erschien Ritter Hartmann von Brandans Stein in Begleitung von Myranne Ni Bennain. Sie ist die Gattin des beim kaiserlichen Heer weilenden Ritters Marhaus Adlerkralle von Rickenbach. Ritter Hartmann legte seine Unschuld dar. Für ihn bürgte die Dame Bennain. Nicht daß es dieser Beteuerung bedarf hätte, galt Ritter Hartmann doch in den gesamten Nordmarken als des Herzogs treuester Degen. Die Verdächtigungen wider Ritter Aldebaran konnte Ritter Hartmann zwar nicht glauben, doch konnte er auch wenig zu dessen Verteidigung vorbringen. Doch erklärte dieser, er wolle sich uns hochwürdigen Herrschaften bei der frommen Mission zur Verfügung stellen, samt zwei Dutzend seiner Flußgardisten. Der Ritter bezog ebenfalls Quartier im Bunten Schloß. Es wurde auf dem Schlosse sichtlich voll. Doch weder der Baron, noch seine Leute wagten es, irgend etwas gegen diese Gäste zu sagen. Uns jedoch waren sie sehr lieb, da wir diese Unterstützung bei den bisher raren Erfolgen unserer Mission gut gebrauchen konnten. Zudem meldeten sich auch keine weiteren Magiebegabten auf dem Schloß und wir überlegten nun, sie aufzusuchen.

Die Festungskommandantin Gunelde von Hohenbirk-Blaublüten erschien im Schloß, gebeugt von ihrer schmählichen Niederlage im Konflikt um den Eulenturm. Sie erzählte, wie der Erzschurke Theoderich den Turm bestürmte und sie letztlich gefangen setzte. Dann als dieser selbst belagert war, benutzte er sie als Geisel, um sich frei zu pressen. Er entkam mit der Schatulle des Barons und ließ sie an einem Baume gefesselt zurück. Man merkte der Kommandantin die Scham über ihre Schlappe an, doch war es unsere Aufgabe sie aufzubauen. Doch ließen wir sie in unserem Kreise als Unterstützung bleiben, da sie hoffte, so ihre Schmach reinzuwaschen.

Noch bevor wir weitere Schritte überlegen konnten, erschien der Knappe des Ritter Aldebaran, Lorenz von Langwitz, Halbbruder des Junker Yendan von Langwitz aus Albernia, auf dem Bunten Schloß. Dieser berichtete von der Reise seines Herrn zum Hofe seines Halbbruders und belegte so dem Herrn Aldebaran ein Alibi. Der Ritter wurde zugleich erneut zum Verhör gebracht. Erleichtert zeigte dieser sich über das Alibi. Auf die Frage, warum er nicht berichtet habe, daß er gar nicht zum Zeitpunkt des Mordes in den Nordmarken gewesen zu sein, mußte dieser hohnvoll lachen. Wie könne er das berichten, ohne je gewußt zu haben, wann der Mord geschah.

Es stand jedoch nach wie vor offen, woher Ritter Aldebaran soviel über den Hergang des Mordes wußte. Der Ritter, der jetzt viel aufgeschlossener dem Inquisitor gegenüber trat, überlegte noch einmal alle Möglichkeiten, wie er an die Informationen gelangen konnte, durch. Da fiel ihm plötzlich der Heller.

„Natürlich! Es war dieser Händler! Der mit dem schwarzen Kastenwagen, der früher immer den Verweser Theoderich Wægel beliefert hat. Auch vor einiger Zeit kam er auf das Bunte Schloß zum Handeln. Er kam an das Gitter des Kerkers und berichtete mir über den Mord. Fast schon im Plauderton, so daß ich vergaß, wer es nun war. Ich glaube mich erinnern zu können, daß er mich mit seinen eindringlichen blauen Augen bat, nicht unbedingt jedem zu erzählen, daß er mich informiert habe.“

Helle Aufregung herrschte im Raum. Schon wieder der schwarze Kastenwagen. Sogleich wurde der neue Verweser Eisensteins, Merkan Tîll Adlerkralle von Rickenbach, mit den Büchern der Lehensverwaltung gerufen. Man durchsuchte diese auf Hinweise über den seltsamen Händler. Tatsächlich dauerte es nicht lange bis ich den entscheidenden Eintrag fand, den der ehemalige Verwalter vorgenommen hatte:

„Heute vom Händler Dilgerus aus Meilingen drei Fässer Pflaumenschnaps und ein Dutzend Riedener Räucheraale gekauft. Verkauft habe ich ihm dagegen Wolle aus Erdeschmünd.“

All diese Orte waren Opfer unglaublicher Greueltaten gewesen. Ihr wißt ja selbst von dem Dämon in Meilingen und dem Brandanschlag zu Rieden. In Erdeschmünd war es der Erzschurke Theoderich, der versuchte, bösenauer Land zu besetzen. Es konnte kein Zufall sein, daß ausgerechnet diese drei Orte von einem Händler namens Dilgerus angesteuert wurde. Den gleichen Namen trug nämlich der finstere Adept, den wir für den Brand verantwortlich machen. Hier war eine versteckte Information niedergeschrieben worden. Meister Ungolf beschlagnahmte das Handelsbuch sogleich und rief alle zu einer Besprechung zusammen.

Nachdem er diese Neuigkeiten allen vorgetragen hatte, mußten wir beratschlagen. Es galt diesen Dilgerus zu finden. Der Finsterling war es, der die Fäden in der Hand hielt. Klar schien seine Verstrickung in die Ereignisse von Meilingen und den Brand von Rieden. Auch schien er Informationen über des Theoderichs Plan für den Überfall auf Erdeschmünd erhalten zu haben. Klar schien auch, daß er Magie verwendet hatte, um den armen Ritter Aldebaran seinen Informanten vergessen zu lassen. Was war dieser vermeintliche Adept? War er der Drahtzieher oder nur ein Bote? Hatte er die Ereignisse koordiniert? Meister Ungolf berichtete, daß ein Adept Dilgerus von der Magierakademie zu Elenvina bereits vor Jahren auf die Verhandlungsliste der Inquisition gesetzt wurde. Er soll in den Orkkriegen Waffen an die Schwarzpelze verschoben haben. Vermutlich soll er sogar Pläne der Verteidigungsmaßnahmen den Schwarzpelzen zugespielt haben.

Ich hatte bei den Untersuchungen des Riedener Brandes ja ebenfalls Hinweise auf diesen Missetäter erhalten. Es war nicht undenkbar, daß dieser Adept nun auf Seiten des Bethaniers stand und für diesen gar finstere Pläne in den Nordmarken vollführte.

Schnell kamen wir überein, daß es erstmal galt, die Baronie nach diesem Wagen abzusuchen, falls der Übeltäter noch im Lande war. Schnell wurden zwei Gruppen gebildet. Der ersten Gruppe unter dem Inquisitionsrat wurden Ritter Hartmann von Brandans Stein und seine Flußgardisten zugeteilt. Derweil sollte ich die zweite Gruppe führen. Mir wurden dafür die Sonnenlegionäre, die Festungskommandantin Gunelde, Schwester Mechthild und die Büttel des Barons zugeteilt. Meister Ungolf wollte den Süden der Baronie untersuchen, während ich im Norden suchen sollte. Breit aufgeteilt durchsuchten wir die Wälder und Ansiedlungen des Eisensteiner Nordens. Selbst in der Gegend, die sich „die Öde“ nannte, waren wir gewesen. Doch fanden wir nichts, so dachten wir. Als wir nach etlichen Tagen endlich zurückkehrten auf das Bunte Schloß, waren Meister Ungolf und seine Leute ebenfalls schon wieder zurückgekehrt. Ich mußte genauso wie der Inquisitionsrat von Mißerfolg der Suche berichten. Nur ein offensichtliches Hexenhaus im Eschengrund, welches der Inquisitor verlassen vorfand, brannte er vorsichtshalber nieder, da die Hexe nur böses im Sinn haben könne. Sie sei schließlich auch nicht zur Befragung auf dem Bunten Schloß erschienen.

Am Abend setzte ich mich daran, die Predigt für den nächsten Morgen, für den Praiostag, auszuarbeiten. Ich hatte dem Baron ja zugesagt, diese zu halten, solange wir in seinem Schlosse weilten. Lange schlief ich am nächsten Tag, fast hätte ich noch meinen eigenen Gottesdienst versäumt, hätte mich nicht das Lärmen auf dem Hof geweckt. Am Praiostag solch skandalöse Geschäftigkeit, als ob Phex und nicht Praios seinen Tag hätte. Fast wäre mir die Lust am Gottesdienst vergangen. Doch dann nahm ich mich zusammen und machte mich auf den Weg zur Kapelle. Als ich auf dem Weg dorthin war, begegnete ich dem Inquisitionsrat.

„Gut, Dankwart, Euch zu treffen. Kommt mit mir, wir wollen uns mal in Ruhe über unser weiteres Vorgehen unterhalten.“ Ich guckte den Inquisitionsrat fragend an. „Meister Ungolf, ich muß doch die Predigt halten! Wollt ihr mich nicht in die Kapelle begleiten?“ „Wollt Ihr mich verkohlen, Dankwart? Ihr seid gestern kurz nach dem Praiosdienst angekommen, den ich in Eurer Abwesenheit gehalten hatte.“

Mir — und wie sich später herausstellte, all meinen Begleitern auf der Reise in den Eisensteiner Norden — fehlte ein Tag. Alle dachten, wir hätten nun erst Praiostag. Auch in meinem Tagebuch fanden sich keine brauchbaren Hinweise auf den verlorenen Tag. Wir fanden uns zusammen und rätselten lange über das Phänomen. Schließlich nach einigen Tagen des Nachdenkens und Forschens gingen wir die Reise noch einmal Schritt für Schritt durch, bis Meister Ungolf bei unserer Beschreibung der „Öde“ die sparsamen Informationen, die wir berichteten, auffielen. Hier stimmte etwas nicht. Nach meinem Tagebuch waren wir fast einen ganzen Tag dort. Berichten konnten wir aber nur über ein paar Minuten.

Am nächsten Tag brachen wir schließlich zur Öde auf. In diesem Landstrich schien nichts außer verdorrtes Gras zu wachsen oder zu leben. Meister Ungolf führte uns durch dieses Gebiet, wo uns erst einmal nichts auffiel, bis einer der Flußgardisten erschreckt aufschrie. er hatte einen Totenschädel entdeckt, der aus dem Boden wuchs. Nach und nach entdeckten wir mehr dieser unheilvollen Symbole. Auch lagen überall Knochen verteilt. Wo waren wir hingeraten? Der Wind kam allen zunehmend eisiger vor und es war als ob er uns zuraunte: „Kehrt um, bevor es zu spät ist!“

Das taten wir natürlich nicht. Doch machte sich starke Unruhe in der Gruppe breit. In der Nacht stellten wir Wachen auf, doch kam die Gefahr nicht von Außen. Mitten in der Nacht schrien gleichzeitig ein gutes Dutzend der Büttel und Flußgardisten auf. Fast alle behaupteten, sie hätten einen schrecklichen Traum gehabt. Eine unheimliche Fratze sei ihnen erschienen und habe sie ins Antlitz des Todes schauen lassen. Wilde Diskussionen fanden statt. Ein Großteil der Flußgardisten war nicht mehr bereit, uns zu folgen. So blieb Ritter Hartmann nichts anderes übrig, als harte Strafen wegen Meuterei anzudrohen.

Unter starken Protest zogen wir im Morgengrauen weiter! Ich selbst ging an diesem Tag neben dem Inquisitionsrat, seiner „rechten Hand“ Reton und dessen Gefährtin Yasilia. Auf Meister Ungolfs anderen Seite gingen die Festungskommandantin Gunelde von Hohenbirk-Blaublüten und einige Flußgardisten.

Ich weis nicht mehr wie, aber plötzlich waren alle bis auf den Inquisitionsrat, Reton, Yasilia und die Festungskommandantin verschwunden. Genauso plötzlich war ein finsteres Schloß auf einem Hügel direkt vor uns erschienen. Praios’ wärmende Sonnenscheibe war vom Firmament verschwunden. Finstere Magie mußte hier am Werke sein. Zuerst suchten wir noch nach dem Trupp des Ritter Hartmann. Als es keinen Sinn zeigte, machten wir uns auf zum Schloß. Doch bevor wir den Hügel erreichten, wuchsen aus dem Boden vor uns ein gutes Dutzend lebende Skelette. Tief war unser Entsetzen über die finstere Nekromantie. Die Skelette drohten uns den Gar aus zu machen, hätte die Festungskommandantin Gunelde uns nicht mit scharfen Befehlen geordnet, so daß wir uns gegen die vordringenden Höllengestalten zur Wehr setzen konnten. Unsere Sonnenzepter und die geweihten Waffen der beiden Sonnengardisten taten ihre heilige Arbeit gegen die Alptraumwesen. Yasilia fiel mir dabei besonders auf, war sie es doch, die verstand ihre Klinge keck zu führen und so den meisten Skeletten das Ende zu bereiten. Dennoch waren unsere Wunden fürchterlich. Mir schienen Yasilias Scherze eher unangebracht. Doch ließ ich sie gewähren, ahnte ich doch, daß sie so wahrscheinlich ihre Angst überspielte.

Vorsichtig zogen wir weiter, nur langsam erklommen wir den Hügel. Als sich von den Zinnen des Schlosses ein Schwarm unheimlicher Krähenskelette löste und uns angriff. Wiederholt drangen ihre scharfen Schnäbel in meine Haut ein. Endlich war Stille. Doch leider hatten die Krähen auch Retons und Yasilias Leben genommen. Die Festungskommandantin und der Inquisitionsrat waren fast ebenso schwer verletzt, wie ich. Notdürftig betteten wir die beiden zur letzten Ruhe, nicht die heiligen Gebete und Zeichen vergessend, um ihnen ein Leben als Untote zu ersparen.

Trotz der Gefahr drangen wir schließlich in das Schloß ein. Dort im Hof entdeckten wir schließlich den schwarzen Kastenwagen. Vorsichtig stiegen der Inquisitionsrat und ich hinein, während Gunelde uns den Rücken sicherte. Es war tatsächlich ein Händlerwagen, der hier abgestellt war. Ein undurchschaubares Chaos an Waren lag verstreut im Wagen. Schließlich fanden wir Hinweise, daß der Händler in Wahrheit ein Magus war — nämlich der gesuchte Dilgerus. Finster Bücher und magische Utensilien fanden wir.

Dann fanden wir ein Tagebuch. Als wir darin blätterten und lasen, wurde uns klar, daß viele Verschwörungen von Dilgerus für seinen Herren, einem Borbaradianer namens Thargunitoth — bei dem es sich vermutlich um den vom Volksmund „Tunich-Guhd“ genannten Schwarzmagier handelt — geplant und durchgeführt worden waren. Die erste wurde zu Wolkenfold aufgedeckt. Wir erinnerten uns an den Bericht von Bruder Fredo, der diese Geschehnisse vom Edlen zu Wolkenfold erfuhr. Selbst unser Kloster schien zeitweise Opfer von Beherrschungsmagie gewesen zu sein. Der Adept Dilgerus schrieb in seinem Tagebuch, daß er versucht habe, die Angehörigen des Klosters durch magischen Befehl gezwungen zu haben, sich ungebührlich gegen den Diener Praios zu benehmen. So sollte das Kloster in internen Zwist versinken. Dilgerus selbst schätzte dieses Vorhaben als Mißerfolg ein. Ich denke, das alles hat Schwester Binya vor einem Jahr gegolten und sie hat deshalb gegen mich gewettert. Ich befürchte, Euer Hochwürden, wir müssen noch einmal diese ungeheuerlichen Vorfälle von damals aufrollen, um des Dilgerus Magie endgültig unschädlich zu machen...“

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Der Abt sah seinen Stellvertreter fassungslos an. Schon damals hatte ihm die Diskussion nicht gefallen. Nur durch sein energisches Eingreifen war damals Ruhe eingekehrt. Nun diese Ruhe erneut zu stören, widerstrebte ihm. Doch letztlich hatte Dankwart Recht. Der Einfluß der schädlichen Magie mußte aus den Mauern des Klosters gebannt werden. Also gab er durch sein Nicken dem Subprior Dankwart sein Einverständnis. Dieser fuhr nach einem weiteren Schluck Wein fort, über das Komplott zu berichten.

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„In Meilingen wurde der gute Hofmagus Zapfenklicker wohl gegen einen finsteren Dämon vertauscht. Nur dem Eingreifen der Inquisition, der Rondrageweihten von Trappenfurt und unseres Klostertrupps wird der gescheiterte Umsturzversuch angelastet. Darum wurde wohl auch das Feuer in Rieden gelegt — aus Rache. Jedoch auch um die Nordmärkischen Truppen im Land zu binden, damit sie weitere Anschläge zu verhindern suchten. Des weiteren erfuhren wir über eine Gruppe Paktierer, die zu Elenvina die Macht übernehmen wollten. Doch Diener des Fuchses verhinderten das. Zum Schluß lasen etwas über den Überfall von Erdeschmünd und Theoderich Wægel, der vielleicht auch in Verbindung stand mit Dilgerus, was ich jedoch nicht Bestimmtheit sagen kann, denn wir wurden unterbrochen. Gunelde schrie auf. Der Inquisitionsrat sprang hinaus, während ich noch hastig weiterblätterte und schließlich ein paar Zeilen über den Tod der Inqusitorin Perihel fand, die offenbar durch Dilgerus oder Tunich-Guhd ermordet wurde. Dann lies ich vom Buch ab und folgte dem Inquisitionsrat.

Dort erwehrte sich Gunelde gegen das riesenhafte Skelett eines Ogers, während ein schlaksiger, geschmacklos gekleideter Geck auf der Mauerkrone saß. Der erhob das Wort gegen uns. „Hoho! Laßt doch meinen Freund dem Hohlschädel den Tanz mit Eurer liebreizenden Begleiterin.“ Als wir Gunelde zur Hilfe eilen wollten, hob er eine Repetierarmbrust und rief mir zu: „Komm’ Sonnenschein, wenn Du tanzen magst, tanze für Grünematz. Das bin nämlich ich...“ Er feuerte schnell — unnatürlich schnell, als daß es die Mechanik einer Armbrust vermocht hätte — die Bolzen vor meine Füße. Ich mußte sie geschwind fortziehen und zurückspringen, damit sich kein Bolzen in meine Füße bohrte. Für einen Außenstehenden mögen meine Ausweichsprünge tatsächlich wie ein Tanz angemutet haben. Entwürdigend!

Ich konnte nicht verhindern, daß Gunelde von Hohenbirk-Blaublüten vom Ogerskelett niedergestreckt wurde und bewusstlos zu Boden ging. Dann befahl Grünematz dem Skelett mit dem Inquisitor zu tanzen. Das tat es auch. Es packte Meister Ungolf bei den Armen und zerrte ihn herum. Die beiden drehten sich im Kreis, als ob sie um den Ingerimmsbaum tanzten. Derweil lachte dieser finstre Schelm auf der Mauer schallend. Beschämend für einen Mann der Inquisition.

Mich selbst hielten die Schüsse des Grünematz davon ab, einzuschreiten. Zu lang dauerte dieses närrische Treiben. Doch es war die sterbende Gunelde, der wir unser Leben verdanken. Sie schleppte sich unbemerkt von allen auf die Mauerkrone und zerrte den Schelm von der Mauer. Nur knapp gelang es ihm, sich am Mauerrand festzukrallen, während Gunelde in die Tiefe stürzte. Nun konnte ich dem Inquisitor zur Hilfe eilen und ihm vom Monsterskelett befreien. Unter den Hieben der Sonnenzepter besiegten wir es schließlich. Unsere Kräfte waren jedoch am Ende. Grünematz war derweil wieder auf der Mauerkrone angelangt.

„Breitschädel, Knochenbrecher und Rippenknacker! Erhebt Euch und vollendet den Tanz, den die Herren Eurem Bruder Hohlschädel verwehrten.“ Dann sahen wir, wie die Erde in unheimlicher Stille aufgeworfen wurde. Wir suchten unser Heil in der Flucht. Hinter uns das Lachen des Schelms. Geradewegs rannten wir den Weg zurück, den wir gekommen waren.

Plötzlich tauchte unerwartet Ritter Hartmann und seine Männer vor uns auf, wie aus dem Nichts. Entgeistert schauten sie uns an, die wir wie von Dämonen gehetzt auf sie zu liefen. Auch wir waren für sie aus dem Nichts aufgetaucht.

Nach einigen Minuten Atemholens erhob sich der Inquisitor und rief Praios an. „Praios, Herr des Lichtes und der Sonne, Feind finsterer Magie, hier ist ein Ort, der Deiner Macht zum Hohn ist. Verschließe den Zugang zu dieser Unwelt und zerstöre die Pforte, die aus Deiner Ordnung führt. Auf das kein Unheil aus ihr mehr dringen kann.“

Da entflammte die Praiosscheibe auf und unter den Strahlen der Sonne wurde kurz das grauenhafte Schloß sichtbar. Dann Schloß sich die Verbindung in die Zwischensphäre und das Schloß verschwand. Möge es auf ewig aus unserer Sphäre verbannt sein. Praios ließ recht sprechen und schickte seine vernichtenden Flammenstrahlen wider diesen namenlosen Zugang zur Finsternis. Alle Zeugen des Vorfalls sanken ob des Wunders auf die Knie und priesen den Götterfürsten ob seiner Gerechtigkeit.

Nach letzten Untersuchungen und abschließenden Zeugenanhörungen wurden Gottesdienste für die Opfer der Aufdeckung des Komplotts gehalten. Perihel Praiotreu, die als erste dem Komplott auf die Schliche kam, den Sonnengardisten Reton und Yaslilia, die in Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben ließen.

Die Festungskommandantin Gunelde von Hohenbirk-Blaublüten konnte durch ihren tapferen Einsatz die Schmach, die ihr der Erzschurke Theoderich Wægel mit ihrer Geiselnahmen zufügte, durch unsere Rettung, die das Aufdecken des Komplotts ermöglichte, reinwaschen.

Nun gingen Steckbriefe heraus, die nach den bekannten Schurken des Komplotts fahndeten. Zuvorderst der Steckbrief des Adepten Dilgerus, dann der des Grünematz und der des Theoderich Wægel. Schließlich auch der des unbekannten Hintermannes, hinter dem wir den geheimnisvollen Magus Thargunitoth vermuten. Unabhängig davon auch ein Suchbrief für die nicht erschienene Hexe, deren Haus der Inquisitor abflammte.

Schließlich trennten sich unsere Wege. Ritter Hartmann und seine Mannen kehrten wieder zur Hyndanburg in Rickenbach zurück, von wo sie im Auftrag des Herzogs über den Eisensteiner Baron und seine Umtriebe wachen sollen, die jedoch nichts mit diesem Komplott zu tun hatten. Inquisitionsrat Ungolf vom Föhrenstieg zog mit Lumatas und Quintas zurück zur Wehrhalle zu Elenvina, um sich dort von seinen Wunden zu genesen. Vorher bedankte er sich noch bei mir und versicherte, uns Ucurianer auch weiterhin gerne an seiner Seite zu wissen.

Wir zogen hierher zurück. Gebet und Dank an Praios werden mich die schlimmen Alpträume hoffentlich vergessen machen. Doch befürchte ich, niemals vergessen zu können, einen ganzen Tag meines Lebens verloren zu haben, von dem ich und die mich begleitenden nicht wissen, was an ihm vorfiel...