Das Geschenk Tsas

Kapitel 1-4: Das Geschenk Tsas

Amiel & Elvrun & Elva

Autor: DanSch

Tsa 1042 B.F., Herzogenfurt, im Haus des Parkwächters "vom Lilienhain" ---

Endlich war sie eingeschlafen. Blass und erschöpft lag sie auf der Bettstatt, ihr rotes Haar war noch immer feucht von der anstrengenden Geburt. Ihr Gesicht war schmal, die Lippen sinnlich und ihre Augenbrauen filigran. Eine Aura der Unschuld umgab sie, das hatte es schon immer. Der Schmerz der letzten Stunden waren zumindest jetzt für eine Weile vergessen. Mit einem traurigen Blick schaute die Greisin auf ihre Enkeltochter hinab. ´Wie ähnlich sie mir doch sieht. Aber musste sie auch dasselbe Schicksal ereilen ? Gütige Mutter Travia, ist meine Schuld noch immer nicht vergolten?´ Die alte Frau schüttelte ungläubig den Kopf und strich dem Mädchen die nassen Strähnen aus dem Gesicht. Sie richtete sich auf, schaute an sich herab und bemerkte erst jetzt, dass ihre orange-braune Robe mit Blut besudelt war. “Ach herrje, das muss gewaschen werden“. Vorsichtig ging sie in die Waschkammer, die der Schlafkammer angeschlossen war. Noch immer standen einige Schüsseln voller Wasser bereit, benutzte wie unbenutzte Leinentücher lagen herum. Mit geübten Griffen zog sie ihre Robe aus, warf sie in den Wäschekorb und ging zu dem schmalen Spiegel, der an der Wand hing. Ein schmiedeeiserner Rahmen zierte die vom Alter fast erblindete, ovale Fläche. Kunstvoll waren die Rosen aus dem Eisen getrieben worden, um den Betrachter an die Schönheit der lieblichen Göttin Rahja zu erinnern. ´Oh Rahja, oh Rahja, wie habe ich dich versucht zu lieben . Doch nichts als Enttäuschung hast du mir beschert.´ Mit einem leichten Kopfschütteln betrachte sich Elva im Spiegel. Das was zurückblickte, erinnerte sie daran, dass Jugend und Schönheit vergänglich waren. Ihr volles Haar hatte einst die satte Farbe von poliertem Kupfer besessen, ihre grünen Augen leuchteten wie Smaragde. Doch nun war das Haar schneeweiß und ihre Augen wirkten trübe. Ihr Gesicht war voller Falten und Furchen und ihre Haut hatte über die Jahrzehnte die Farbe von altem Gold angenommen. Neunzig Götterläufe auf Dere zollten ihren Tribut. Das Wimmern eines Säuglings erinnerte sie wieder daran, dass ihr Abend noch nicht beendet war. Sie wusch sich die Hände und ging, nur in ihrer braunen Unterkleidung in die Wohnstube, penibel darauf achtend, ihre Enkeltochter nicht zu stören.

Amiel wiegte das kleine Bündel in seinen Armen hin und her. Vorsichtig betrachtete er den Neugeborenen. „Du kleiner Fratz, wie klein du bist, ein wahres Wunder der Göttin Tsa“ wisperte er und ein Lächeln zauberte sich auf seine Lippen. Ja, die Göttin des Lebens war ihm am liebsten. Oft dachte er daran, wie es wohl gewesen wäre, wenn er der Gemeinschaft der Eidechse gefolgt wäre. Allerdings war sein Leben anders verlaufen. Amiel war den Fußstapfen seines Vaters gefolgt und hatte die Rechtskunde in Gratenfels studiert, obwohl sein Herz eher für die Heilkunde schlug. Sein Oheim, Winrich von Altenberg-Sturmfels, der Tempelvater des Traviatempels zu Elenvina, nahm ihn nach seinem Studium in seine Dienste auf. Auch wenn er sich selbst für einen mittelmäßigen Rechtsgelehrten hielt, war er doch sehr bewandert, wenn es um die Tempelrechte ging. Er genoss die Zeit dort, denn er kümmerte sich meistens um die Waisenkinder oder half in der Küche aus. Neben der Heilkunde war das Kochen eine zweite Leidenschaft. Das kleine Schmerbäuchchen, dass sich unter seinem Leinenhemd abzeichnete, wies eindeutig darauf hin. Sein Blick wanderte zum Fenster, wo der Schnee leise vor sich hin rieselte. Seit einigen Monden steckte er nun in Herzogenfurt fest, das recht entfernt von Elenvina lag, doch war es wichtig gewesen, hier zu sein. Er seufzte.

Als seine Großmutter die Stube betrat, schaute Amiel sie mit einem mitleidigen Blick an.

Wie geht es Elvrun?“ Die Alte antwortete nicht, lief vorsichtig mit gebeugten Rücken zum Tisch und setzte sich zu ihm. Erst dann erwiderte Elva seinen Blick mit grimmigen Zügen.

Deiner Kusine geht es gut. Sie schläft jetzt. Ich danke dir für deine Hilfe, Amiel. Wer hätte gedacht, dass du so geschickt bist. Du hättest Heiler werden sollen, anstatt Rechtsgelehrter.“ Eine Feststellung, die auch ihr ein Lächeln abgewann.

Ach Nana,“ er nannte sie bei ihrem Kosenamen,“ da wäre ich auch wirklich besser aufgehoben. Ich bin kein guter Rechtsverdreher. Aber du weißt ja, wie Muhme Prianna sein kann. Da gab es gar kein Widerreden.“ Er seufzte wieder. <em „Du hast recht. Prianna war schon als Kind widerspenstig. Immer mit dem Kopf durch die Wand. Ganz anders als ihre Schwester Nordrun. Keiner kann sich aussuchen, welche Kinder er bekommt.“ Bei den letzten Worten breitete sich ein schmerzhaftes Schweigen aus. Amiel betrachtet seine Großmutter, die starr auf die Tischplatte schaute. „Nana, was machen wir mit … ihm?“, durchbrach er den Moment und deutete mit einem Blick auf das Bündel in seinem Arm. Die Alte stöhnte auf. „War es ein Fehler, sie hier zu dir nach Herzogenfurt zu bringen? Wenn die Leute erst mitbekommen ...“ Weiter kam er nicht. Elva winkte ab. „Nein, Nein. Du hast ganz richtig gehandelt. Wenn erst einmal dein Oheim Winrich mitbekommen hätte, was unter seinem Dach passiert ist, wüsste die ganze Stadt davon. Ich kenne meinen Sohn. Wenn er in Rage gerät, weiß er nicht mehr, was aus seinem Munde kommt.“ Jetzt hatte die alte Traviageweihte sich selbst in Rage gebracht und sprach mit ernsterer Stimme. „Und du bist dir sicher, dass er nichts mitbekommen hat? Jedenfalls hat er nicht hinterfragt, dass ich eine seiner Novizin in meinen Tempel bestellt habe.“ Amiel nickte zustimmend. „Ich glaube nicht. Er meinte sogar, dass er es begrüßen würde, öfter Novizen in anderen Tempel hospitieren zu lassen. Er hält ja große Stücke auf Elvrun. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass jemand anderes sie hierher begleitet hätte. Laut seiner Worte bin ich ihm eine gute Stütze bei den rechtlichen Tempelangelegenheiten.“ Der dunkelhaarige Mann betrachte nochmals den Säugling. Dieser schien zu schlafen und atmete ganz ruhig. „Amiel, hör mir zu.“, sagte Elva jetzt mit Nachdruck. „Niemand, aber auch niemand, darf davon erfahren. Es würden den Ruf deines Oheims und den Ruf ihrer Mutter zerstören. Das Haus Altenberg würde endgültig in die Bedeutungslosigkeit versinken. Eine Novizin, die ein Kind zeugt mit einem Verbrecher. Und das unter dem Dach der heiligen Hallen zu Elenvina. Die Nichte des Tempelvaters obendrein.“ Mit jedem Worte wurde ihre Stimme deutlich lauter und zorniger. „ Aber er war kein Verbrecher. Nur ein ...“ versuchte es Amiel sie zu beschwichtigen. Mit einem Faustschlag auf die Tischplatte unterbrach ihn seine Großmutter. „Ob er ein Dieb, Gaukler oder Edelmann war, macht hier keinen Unterschied. Der Junge ist das Symbol für Naivität, Unzucht und Untreue. Und da der Vater davongelaufen ist, können wir es, in Travias Namen, nicht mal mit einer Ehe richten!“ Jetzt war sie aufgestanden und ihr Blick loderte vor Wut. So aufgebracht hatte er seine Großmutter noch nie erlebt. Ein ungutes Gefühl sagte ihm, dass Elva nicht nur von Elvruns Vergehen sprach. Nun wimmerte der Kleine wieder und Amiel versuchte ihn wieder zu beruhigen. Der Blick der Traviageweihten richteten sich auf den Säugling. Sie atmete tief durch. „Ich werde ihn noch heute zum Tempel bringen und bei den Waisenkindern aufnehmen lassen. Ich werde der Tempelmutter erzählen, dass er im Lilienpark gefunden wurde. Mutter Reginatrud wird meine Worte nicht hinterfragen.“ Nun nahm sie den Jungen aus Amiels Armen. Die rüstige Alte hatte ihr hitziges Temperament wieder abk lingen lassen. „Sobald der Schnee zu schmelzen beginnt, werdet ihr zwei wieder nach Elenvina reisen.“ Nun wiegte sie das Kind hin und her, war aber immer noch in ihren Gedanken. „Noch eines. Ihr beide werdet auch an der Brautschau teilnehmen im Rahja. Das seit ihr der gütigen Herrin Travia schuldig.“ Die letzten Worte trafen den jungen Rechtsgelehrten unerwartet. Er wusste aber, dass er hier nicht zu widersprechen hatte und nickte nur bestätigend. „Leg dich hin und ruhe ein wenig. Deine Kusine wird dich brauchen, wenn sie aufwacht. Aber bring mir bitte noch meinen Mantel. Ich werde jetzt aufbrechen.“ Amiel tat, wie ihm aufgetragen wurde, nahm ihr das Kind ab, half ihr in den Mantel, wickelte noch ein Tuch um das Bündel mit dem Säugling und drückte es ihr wieder in den Arm. Traurig schaute er noch mal auf den Jungen. „ Nana“, begann er mit brüchiger Stimme,“ bist du dir sicher, dass dies der richtige Weg ist?“ Die Greisin strich ihren Enkelsohn über die Wange. „Dein Herz ist an der richtigen Stelle, Amiel. Glaube mir, das ist der einzige Weg. Elvrun mag ein zartes und naives Wesen haben, aber sie ist stärker, als wir denken. Und mach dir um mich keine Gedanken. Ich werde mich schon mit der gütigen Mutter Travia arrangieren. Das haben wir immer gemacht.“ Ihr Stimme hatte jetzt etwas Trauriges. „Er sollte einen Namen haben.“ Die zarte Stimme Elvruns erklang hinter den beiden. Elva schloss ihre Augen und verharrte. Amiel drehte sich sogleich zu ihr um. Geschwächt und nur in einem Nachthemd aus Leinen gekleidet, stützte sie sich mit einer Hand an der Wand ab. Ihr Gesicht war getränkt von Tränen, dennoch schluchzte sie nicht. „Elvrun … du musst dich ausruhen“, sagte er, ging auf sie zu und stützte sie. Elvrun ließ die Umarmung ihres Vetters zu, wandte aber ihren Blick nicht von ihrer Großmutter ab. „Tsadoro … das ist sein Name.“, wisperte sie. Ihre Großmutter nickte, drehte sich aber immer noch nicht um. Schweren Herzens öffnete sie die Tür und begrüßte die kalte Luft von draußen. Auch ihr Gesicht war jetzt feucht von den stillen Tränen die an ihren Wangen herab liefen. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, den Jungen eng an sich gedrückt und verschwand hinaus in die verschneiten Gassen der Stadt. „Möge Travia uns allen verzeihen“, flüsterte Elva vor sich hin.