Das Bootsunglueck

Das Bootsunglück

Im Frühjahr 1024 nBF, Albenhus:

Das kleine Fischerboot kam gehörig ins Trudeln, als das große Fährschiff in den Hafen lenkte. Isoras Vater schimpfte gewaltig. Auf die hohen Herren, die sich stets alles herausnahmen. Unfälle und Todesfälle in Kauf nahmen. Und alles im Namen des Herrn Praios auf den Rücken ihrer Untertanen austrugen und dabei freilich ihre eigenen praiosgefälligen Pflichten geflissentlich vergaßen. Wütend hielt er seine Nussschale über Wasser, während seine Frau, die achtjährige Tochter und sein Sohn die Fischkörbe davor bewahrten über Bord zu gehen.

Plötzlich wurde die hektische Routine am Albenhuser Hafen von aufgeregten, wilden Schreien durchbrochen. Das Fährschiff hatte ein auslaufendes Handelsschiff touchiert. Die Besatzungen beider Boote schrien, einige Seeleute versuchten die Ladung zumindest zum Teil zu retten. Andere erkannten bereits die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens und sprangen über Bord. Sich an Land zu retten, ehe der Sog das schwer beschädigte Schiff in die Tiefen des großen Flusses ziehen würde, war die klügere Entscheidung. Aufgeregte Befehle hallten bis zu den Fischerbooten hinüber. Wer es schaffte, machte kehrt oder umfuhr das große Hindernis. Für wenige, die dafür bereits zu nahe am Pier waren, gab es diese Möglichkeit allerdings nicht mehr.

Die Fischer setzten alles daran ihre Boote schnellstmöglich von der klaffenden Wunde im Rumpf des wesentlich größeren Schiffs wegzulenken. Den wenigsten gelang dies. Die ersten Kähne kenterten, der wilde Wellengang verschluckte Mensch um Mensch, während die Menge am Hafen nur hilflos zusehen konnte, wie das große Flußschiff mitsamt Ladung und halber Besatzung unterging und dabei viele der Fischer und ihrer Boote mit in das tiefe Reich des Flußvaters zog.

„Schwimm. Schwimm.“ Hatte die Mutter Isora noch zugerufen, als eine Welle ihr Boot erfasst, um die Längsachse gedreht und die ganze Familie über Bord gespült hatte. Etwas hatte den Kopf der Kleinen getroffen, aber die Worte ihrer Mutter hallten in ihren Ohren, so dass sie tat, was sie am besten konnte: Sie durchmaß das Wasser mit ihren Armen und paddelte mit ihren Beinen so stark und schnell sie konnte. Das Wasser zog an ihren Füßen, riss sie immer wieder zurück. Die fehlende Luft in ihren Lungen presste ihren kleinen Brustkorb so stark zusammen, dass sie glaubte zu ersticken. Doch die Stimme ihrer Mutter in ihren Ohren war für sie noch so fassbar, dass sie nicht aufhörte zu strampeln und das Wasser von ihrem kleinen Körper wegzudrücken. Irgendwann tanzten glitzernde Lichter vor ihren Augen und ein gleißendes Licht erschien vor ihrem Gesicht. Dieses Licht – das fühlte das Mädchen- war ihre Bestimmung. Sie musste ihm folgen. Also erhöhte sie noch einmal all ihre Anstrengung und kämpfte in dem grausamen Strudel voll geborstener Kisten, toter Fische, gebrochener Holzplanken und bereits Ertrunkener um ihr kleines, junges und gänzlich unbedeutendes Leben. Die Todesschreie der Ertrinkenden gepaart mit den Entsetzensschreien der zum Zusehen Verdammten drangen durch die Wassermassen zu ihr, doch sie nahm sie nicht wahr. Allein das Licht vor ihren Augen fesselte ihre Aufmerksamkeit. Und sie folgte ihm. Fort von dem grauenhaften Ort.

Die Efferdgeweihten, die an diesem Vormittag im Tempel geweilt hatten, hatten sich ebenfalls an das Ufer des Flußes begeben, sobald die Schreie in das Gotteshaus gedrungen waren. Sie hatten Efferd um Hilfe angerufen, doch sie wussten bereits, dass auch ihr Herr den meisten dort am Hafen nicht mehr helfen konnte. Und so legte sich eine bedrückende Stille über den sonst so hektischen Hafen, als sich die Wellen langsam beruhigten und das Ausmaß des Unglücks vor aller Augen sichtbar wurde.

Der Blick Quelina von Salmfangs wurde zeitgleich von einer kleinen, atypischen Wellenformation gefesselt, die sich in ihrer Nähe kräuselte. Mit gerunzelter Stirn trat sie zu der Stelle, wo diese immer wieder gegen die Uferböschung des Tempels der rauschenden Wasser schlug. Ihre Augen weiteten sich als sie die Gestalt eines Kindes erkannte. Nur wenige Schritte brauchte die Metropolitin, dann war sie da und zog die Kleine aus dem Wasser an ihre Brust. Das Mädchen war klein und –obwohl von rustikaler, eher kräftiger Statur- mager. Ihre löchrige, vielfach gestopfte Kleidung zeugte davon, dass sie zu den Fischern gehörte, für die der vergangene Winter hart gewesen war. Traurig. Ein so junges Leben. Aber Efferd nahm eben genauso gerne, wie er gab. Als sie den leblosen Körper herumdrehte, schoß ihr eine Wasserfontäne entgegen und unter wildem Husten erbrach das Mädchen Wasser, Algen, Brack und die Reste ihrer letzten Mahlzeit auf die Robe der Götterdienerin. Ein mehr als skeptischer, aber keineswegs verängstiger Blick aus tiefbraunen Augen traf die Geweihte und mit einem heiseren „Orkendreck“ fiel das Kind in ihren Armen in eine tiefe, tagelange Bewusstlosigkeit.

--- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.CatGrune - 16 Aug 2017