Das Bankett

Das Bankett

Unangenehmes Erwachen

Die Edle von Graufurten strahlte angesichts der übervollen Halle und schritt nun selber zu ihrem ‚Thron’, einem Stuhle der sich allein durch seine Lehne, die am oberen Ende zu einem ausladenden Geweih geschnitzt war, von den anderen unterschied. Ihr weicher, geschmeidiger Gang hatte vor dieser Kulisse – der großen Tafel, dem Fackellicht, den mächtigen Trophäen an den Wänden – eine gewisse Erhabenheit inne und manch einer mochte bei diesem Anblick schier vergessen, dass der goldene Reif auf ihrem Haupte nur die Krone einer Edlen war und nicht die eines Fürsten oder Herzogs. Das schlanke Schwert mit dem bärenartigen Handschutz hielt sie dabei in gewohnter Manier unterhalb des Pariers fest.
Sowohl ihr Ritter Aetius von Mauser, der ebenfalls beim Schreiten im geschlossenen Raum sein gegürtetes Schwert festhielt, folgte ihr, ebenso wie der Waidgeselle.
Am Kopfende angekommen, rückte der Ritter ihr den Stuhl zurück, sodass seine Edle bequem vor der Tafel stehen konnte. Barnabas indes löste ihr mit schnellen Handgriffen das Schwert vom Gurt und legte es feierlich auf den Tisch, den Griff zur Edlen zeigend. Beide stellten sich neben der Edlen auf in einer Manier, die fast dem eines Gardisten glich: Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Schultern zurück und die stramme Brust heraus. Der Ritter wirkte routiniert, der Waidgeselle noch etwas scheu und beiden war doch eine gewisse Spannung anzumerken.
Leuina atmete tief durch und blickte zufrieden durch die Reihen der Gäste. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und innerlich ging sie die Worte durch, welche sie sogleich an die Versammlung richten würde.
„Meine Gäste! Ich heiße Euch alle noch einmal herzlich willkommen in meinem bescheidenen Heim!“, mit weit auslandender Geste unterstrich sie die Herzlichkeit ihres Willkommensgrußes. Auch die Herren Bregelsaum und den gräflichen Vogt bedachte sie mit einem herzlichen Lächeln, als wären die Gespräche am Nachmittage niemals geschehen. Ihr Zorn war so schnell verraucht wie er gekommen war. Kurz stellte sie noch einmal jeden einzelnen Gast vor, auf dass auch jeder wusste wen er vor oder neben sich sitzen hatte. Der Blick des Waidgesellen wanderte etwas unruhig von einem Gast zum nächsten und auch der Ritter schien angespannt. Sie wussten, was nun folgen würde und dies war wohl mitnichten eine schlichte Begrüßung. Man rechnete wohl mit Unruhen. Als die Edle dann fortfuhr, mochte sich bei den Gästen diese Vermutung bestätigen:
„Es freut mich, Euch alle hier zu sehen und würde auch gerne lieber direkt zum angenehmeren Teil des Abends, dem Bankette, kommen. Doch es ist auch meine Pflicht als Jagdherrin, dafür Sorge zu tragen dass Ihr, meine Gäste, am Tage des Heiligen Jarlak, zu dessen Ehren wir die Herbstjagd begehen werden, nicht aus Unwissenheit wider die Gesetze, welche hierzulande herrschen, verstoßen werdet.“ Sie nickte Seiner Gnaden Bartolos zu. Dieser hatte am anderen Ende der Tafel Platz genommen, erhob sich nun und ging durch die Reihen der Gäste um jedem einige Seiten Pergament zu überreichen. Auf der ersten Seite prankte in großen, doch schlichten Lettern die Überschrift „Auszug der Bilgratener Direktive zum Waidwerken“.

„Bitte fühlt Euch durch diese Geste nicht der Unwissenheit verurteilt – ich habe in meinem Leben über 20 Herbstjagden erlebt und bei jeder pflegte meine verstorbene Mutter ihre Gäste ebenso ‚vorzuwarnen’. Was Ihr nun durch die Hand meines werten Bruders erhalten habt, sind die für Euch und das Begehen der Ehrung Sankt Jarlaks relevanten Passagen der Gesetze, die seit einigen Jahrhunderten schon Geltung finden in der Baronie Nablafurt. Diese Kopien stammen im Übrigen aus den Händen der Ältestenklasse der Praiostagsschule in Nablafurt“ Ein Lächeln huschte bei dem Gedanken an die Sprösslinge über ihr Gesicht, doch wurde sie wieder ernst als sie mit nun eindringlicher Stimme fortfuhr:
„Ich kann Euch alle nur bitten und raten: Nehmt dies ernst. Denn sowohl ich als auch mein Jagdgefolge wollen es nicht zu einem Jagdgericht kommen lassen, doch werden wir, insbesondere am Jarlakstag, nicht zögern eines einzuberufen so es notwendig ist.“
Der Blick ihrer blauen Augen wanderte durch die versammelten Gäste und schien abzuwarten, ja gar zu prüfen ob jemand etwas zu sagen hatte.

Auf dem Pergamente, welches nun allen Gästen vorlag, konnten diese folgendes lesen: ---

Bilgratener Direktive zum Waidwerken


§ 12 Vergehen auf der Jagd

Um Praios nicht zu zürnen mit dem Benennen der Taten und der Gerichtsbarkeit, soll über jegliche begangene Strafen zur Sauensonne entschieden werden. Auch die Anklage derselbigen soll erst erfolgen, wenn Praios Schild hinterm Berge versunken.

Ein ordentliches Jagdgericht besteht bei niederen Vergehen aus
Dem Jagdmeister oder dem Vertreter des Landes
Dem ältesten Waidgesellen oder dem zweitältesten Waidgesellen

Bei schweren Vergehen besteht ein ordentliches Jagdgericht aus
Dem Vertreter des Landes
Dem Jagdmeister oder dem ältesten Jagdgesellen
Einem Diener des Herrn Praios oder des Herrn Firun

Dabei spricht stehts der erstgenannte das Recht, alle weiteren leihen diesem Rat und Weisheit.

Niedere Vergehen
Als niedere Vergehen seyn all jene Taten und unterlassene Taten zu sehen, welche dem Ansehen und den Ehrenschild des Waidstandes zwar schaden doch nicht mehr als ein niederer Bauer dies täte aus Unwissenheit oder, schlimmer, Unachtsamkeit.
Ein Jagdpage hat bei niederen Vergehen mindestens zehn Hiebe mit dem Hirschfänger auf die blanken Finger zu bekommen
Ein Waidgeselle muss bei niederen Vergehen nicht weniger als zehn Hiebe mit dem Saufänger auf den blanken Arsche erhalten
Ein Jagdmeister soll von zwei Tage und zwei Nächte am Baume im Dorfe an den Gelenken hängen
Ein Freier soll nicht weniger als zehn Hiebe mit dem Hirschfänger auf den blanken Arsche erhalten
Jene welche von Stande sind haben wenigstens die Strafe gleich der des Jagdpagen zu fürchten wenn sie nicht sonst wie dem Jägerstande zuzuordnen sind!
Den Freien und dem Adelsvolk steht es zu, sich von der Strafe mittels Gold an den Tempel und den Jagdherren frei zu kaufen. Bei Vergehen wider dem Waidwerk soll mindestens ein Heller je Hieb an beide zu entrichten sein, bei Vergehen wider dem Niederwilde die Hälfte in Silber, beim Hochwilde das Ganze in Silber. Nur vom letzten Hieb sind sie nicht durch Phexens Gunst zu erretten!
Zu den niederen Vergehen zählen unter anderem:
Das Zielen auf spitz von vorn oder spitz von hinten!
Das falsche Verwenden von Signalen
Das Misshandeln der Hunde
Das Anbringen einer falschen Anklage gegen einen Waidgesellen (ff)
Das Versäumen des Grüßens von Jägersleuten und gemachter Beute
Das Versäumen vom letzten Bissen
Das Tragen vom Waidbesteck an falschem Orte
Das Blankziehen im Tempel
Das Versäumen vom Blankziehen oder Halbziehen beim hohen Zeremoniell
Das Zielen auf Wild welches nicht gegeben frei


Schwere Vergehen
Jene Vergehen welche den Herrn Firun erzürnen und die Jägersleut beschämen,
welche die Harmonie der zum Schutze man sich verschrieben hatte stört,
welche nur durch grobe Unachtsamkeit oder, schlimmer noch, Gleichgültigkeit geschehen können,
welche den Vater des Landes derart erzürnen dass ihm das Wasser kocht,
welche unbedingt und immer angezeigt und angeklagt werden müssen,
welche den Beschuldigten danken lassen dafür, dass alles Volk vom Gerichte ausgeschlossen,
jenes sind die schweren Vergehen wider das Waidwerk, den Weißen Jäger und das Leben selbst!

Ein Jagdpage hat bei schweren Vergehen mindestens zehn Hiebe mit dem Hirschfänger auf die Hüften zu bekommen.
Ein Waidgeselle muss bei schweren Vergehen nicht weniger als eine Meile am galoppierenden Pferde geschliffen werden
Ein Jagdmeister soll mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt werden und froh sein, wenn er dann noch lebt!
Ein Freier soll nicht weniger als zehn Hiebe mit dem Hirschfänger auf die Schultern erhalten.
Jene welche von Stande sind haben wenigstens die Strafe gleich der des Jagdpagen zu fürchten wenn sie nicht sonst wie dem Jägerstande zuzuordnen sind!
Ein Umwandeln der Strafe zum Golde hin ist niemals gestattet allerdings mögen die Kirchen Bußen auferlegen.

Zu den schweren Vergehen zählen unter anderem:
Das Erlegen eines Muttertieres
Das Einweihen in Signale und Zeremonien von jenen, die nicht eingeweiht gehören
Das Gefährden von Jägersleut und Freie durch Waffenzeug oder leichtsinnige Taten
Trunkenheit auf der Jagd
Das Verwenden ungeeigneten Zeugs für die Jagd, sodass dem Herrn Firun gefrevelt wird dabei

Wer durch Nachlässigkeit oder Übereifer zu verantworten hat
das Zutodekommen eines Waidgesellen, der soll dessen Gewicht in Stein
das Zutodekommen eines ältesten Waidgesellen, der soll dessen doppeltes Gewicht in Stein
das Zutodekommen eines Jagdmeisters, der soll dessen vierfaches Gewicht in Stein
in goldener Münze dem Herren des Verstorbenen übergeben.

§ 27 Von dem geeigneten Zeug
Hirschgerecht ist der Schuss mit dem kurzen Bogen nur auf jenes Wild, welches nicht größer als ein Hund ist.
Auf größeres Wild sind hirschgerecht der geworfene Speer und der schwere Bogen, niemals aber der kurze!
Die Klinge mit welcher die Sauen abgefangen werden sollen am Heft wenigstens 3 Finger breit sein, in der Mitte sich verjüngen auf 2 Finger, wieder breit werden und dann eine Spitze bilden, die wenigstens eine Hand lang ist.
Die hirschgerechte Klinge muss lang, dünn und spitz sein.
Die Klinge für Rehwild muss kürzer sein als die für Hirsche, soll ansonsten aber gleich beschaffen sein um den Wirbel im Genick gut zu durchstoßen.
Auf der Pirsch, der Überlandjagd und dem großen Treiben sollen Jäger nach Belieben ihre Kleider wählen, solange sie in Aussehen, Material und Machart ihrem Stande und ihrem Dienste entsprechen und sich in denen der Nichteingeweihten unterscheiden. Ein Jäger ist immer zu erkennen!
Zum Feste, am Hofe und den hohen Zeremonien sollen Jäger die drei herrlichsten aller Farben tragen, welche sind weiß, schwarz und grün!
Ob im Wald oder im Saal, ein Halstuch mit kunstvollem Knoten soll stets getragen werden um den rohen Hals zu bedecken und Verletzungen von Pferd, Hund oder Jäger zu versorgen.
Das Hifthorn des Waidgesellen soll in Leder geschlagen sein, dass des Jagdmeisters mit Bronze beschlagen und nur dem Vater des Landes gebührt das Horn welches mit Silber verzieret ist.

§ 156 Die hohe Jagd zum Tage des Heiligen Jarlak

Im Schatten des großen Jägers Jarlak wandelnd sollen die hohen Jagden allein ihm zu Ehren dienen. Ein Jäger ist grob, stark und kühl im Geiste und wird an diesem Tage sich messen sollen mit den Gewalten des Weißen Jägers, dem sie dienen.
So soll am Abend zuvor der Zorn des Herrn besänftigt werden und ihm gezeigt werden, dass man es verdiene in seinem Namen zu jagen. Die Stärke und der Mut des Rudels, die Opferbereitschaft und Selbstdisziplin, welches die größten Tugenden der Jäger sind, sollen ehrfürchtig demonstriert werden bis von jedem Blute fließt, sei es nun kühl und rot wie das der einfachen Waidgesellen oder blau und erhaben wie das der Jäger die von Stande!
Angerufen werden der Heilige selbst und der Grimme Jäger, doch es wird nicht gefleht und nicht gebittet. Am Ende dann soll die milde Tochter des Weißen angerufen werden und man solle sie bitten. Jedoch nicht um Erfolg oder gar große Beute sondern nur um die Stärke, jedes Hindernis zu überwinden, jede Verletzung zu erdulden und um einen schnellen Tode, so die Götter es fügen.

Zur Jagdgesellschaft dürfen nicht zählen jene, welche nur zum Zwecke des Linderns erlittener Verletzungen mitgenommen werden. Diese sollen im Lager warten und die Ehre der wack’ren Jägersleut nicht durch ihre Anwesenheit auf der Jagd beschmutzen.

Am Tage des Heiligen dann sollen die Waidleute mit dem Ruf der Hörner, welcher sein wird „Auf zur Jagd, auf zum Tode!“ vom Meister der Jagd geweckt werden.
Dann zum Aufgang des Praiosmales sollen geweckt werden die Gesellschaft mit dem Schalle „Hohes Wecken!“
Wenn der Hirsch eingegangen ist in die Gründe des E’wgen, soll der Meister der Jagd Zeugnis verkünden mit dem Horne „Hirsch tot“
Wenn Strecke gelegt ist am Abend dann, soll zu Ehren der Hunde, Jagdknechte, Waidgesellen und Jäger das Liede „Jagd vorbei, grimmer Jäger und wir leben noch!“ aufgespielt werden.

Ist es auf der Jagd zu Verfehlungen gekommen, Pfui!, so soll nach der Strecke sogleich das ordentliche Jagdgericht gehalten werden. Am Tag des Heiligen Jarlak soll keine Gnade den Unglücksseligen zuteil werden, denn die milde Tochter hat an diesem Tage nur Augen für den großen Jarlak und kein Ohr für das Flehen unwürdiger Jägersleut! ---

Die Furcht vor'm Tadel

Garobald von Fischwachttal erhob sich nachdem er die Seiten durchgelsen hatte. „Euer Wohlgeboren, ich danke Euch für diese Einweisung in die bilgratener Jagdgepflogenheiten.“ er verbeugte sich leicht in Richtung der Edlen von Bilgraten und sah sie freundlich lächelnd an.„Beim durchlesen der kleinen und großen Vergehen bin ich auf folgendes gestoßen: Das Zielen auf spitz von vorn oder spitz von hinten, zählt als kleines Vergehen. Angenommen ein Eber würde mich spitz angehen und ich streckte ihm zur Abwehr den Spieß entgegen, würde mir das als Vergehen ausgelegt werden? Dann hätte ich noch eine weitere Frage, zum letzten Bissen. Welche Hölzer sind bei Euch üblich? Leider musste ich in der Vergangenheit feststellen dass sich diese Punkte immer wieder einmal von Jagd zu Jagd unterschieden.“

Leuina lächelte und schien etwas erleichtert.
„Die Direktive ist sehr alt und partiell recht ungenau. In Übereinstimmung mit der Kirche des Herrn Praios“, sie deutete kurz zu ihrem Bruder, der wieder Platz genommen hatte und mit eisiger Miene das Gespräch verfolgte „haben wir stets sinngemäß das Zielen mit Schuss- oder Wurfwaffen spitz von vorn oder von hinten als niederes Vergehen geahndet, da dieses das Wildbret auf unzumutbare Art entwertet. Wenn ein Keiler Euch angeht dürft Ihr diesen selbstverständlich auf den Spieße auflaufen lassen, dazu ist er ja da“, sie lächelte etwas verschmitzt und beantwortete sogleich die nächste Frage:
„Ich hörte schon davon, dass es Regionen gibt in denen nicht alle Hölzer hirschgerecht sind. Bei uns ist dem nicht so: Es geht um die Geste dahinter. Bei den Bruchzeichen jedoch...“, ihr Blick fiel kurz auf das anwesende Gefolge der Herrschaften und sie hielt inne. „Nun, dass mag ich Euch erklären wenn wir unter uns sind“
Sie nickte Garobald zu und ging davon aus, dass seine Fragen zur Zufriedenheit beantwortet waren. Dann schaute sie aufmunternd in die Runde und war sehr glücklich darüber, dass es bis jetzt noch keinen Aufstand über die Strafregelung gegeben hatte...
„Hat sonst noch jemand Fragen dazu?“
Ein lautes Schrappen das schließlich zu einem quietschen wurde durchbrach die Stille in der Halle. Der junge Vogt Melcher Sigismund hatte sich sogleich Leuina von Bilgraten geendet hatte von seinem Platz erhoben und dabei vergessen seinen Stuhl zurück zuschieben, dessen Stuhlbeine nun für das laute Geräusch verantwortlich waren. In der rechten Hand das soeben erhaltene und noch ungelesene Dokument. "Verzeiht, Edle von Bilgraten", begann er gewohnt förmlich zu sprechen. "Auch ich bin froh hier an Eurer Tafel, zudem noch in reizender Begleitung, Platz gefunden zu haben und werde nach meiner Rückkehr in dem fernen Gratenfels Eure Gastfreundschaft in den höchsten Tönen Loben. Jedoch scheint mir eine Bemerkung zu Euren "Gesetzen" angebracht. Vergesst Ihr womöglich, dass hier an Eurer reich gedeckten Tafel viele von Stande sitzen? Ja gar Pfalzgrafen, Barone und Männer des Glaubens unseres Heiligen Götterfürsten?". Ein breites Grinsen hielt auf Melchers Gesicht Einzug. "Ich denke nicht das Ihr uns an das Einhalten von Gesetzen ermahnen müsst, sind nicht wir und unsere Familien es die solche Gesetze seid Jahrhunderten schaffen?" Spöttisch ließ er das ausgeteilte Dokument auf den Tisch fallen. "Was sollen das für Gesetze sein, Edle Leuina? Etwa, Ad Primo: Das Wild hat zu flüchten? oder Ad Secundo: was von einem Bolzen getroffen werde, hat tot zu sein?" Fragte der Vogt Grinsend und mit beiden Händen wild gestikulierend.
Den Gesichtern von Edler, Waidgeselle und Ritter war anzusehen, welches Maß an Selbstbeherrschung alle miteinander aufbringen mussten um dem Vogt nicht auf der Stelle mit blanker Klinger über die Tafel hinweg anzuspringen. Doch zum großen Glück des Herrn von Ibenburg hatte er firungefällige Menschen beleidigt deren größte Tugend eben die Disziplin über jene überschwänglichen Gefühle darstellte. Und zum Leidwesen aller anderen Anwesenden, denn das wäre wohl tatsächlich ein Anblick für die Götter gewesen – und ohne Zweifel hätte keiner der Zwölfe zu Gunsten des voreiligen Vogtes eingeschritten.
Leuina atmete tief durch und lediglich das Lodern in ihrem Blick, der von tief herab gezogenen Augenbrauen verfinstert war, verriet ihren Gemütszustand:
„So ziemlich in jeder Baronie des Herzogtums gelten unterschiedliche Gesetze zum Begehen des Waidwerkes. Und es ist meine Pflicht als Jagdherrin, Euch als mein Gast über die bei uns geltenden Gesetze zu informieren damit Ihr am Ende nicht Euren nackten Arsch vorm Jagdgericht entblößen müsst um die Hiebe darauf zu empfangen..!“, ihre Stimme begann leise und gipfelte dann in einer Schärfe, die keinen Zweifel daran ließ dass jede weitere herablassende oder beleidigende Bemerkung von Seiten Melchers schlimmere Konsequenzen haben würde als Worte.
„...was Euch zum Beispiel drohen kann, wenn Ihr das ordnungsgemäße Grüßen von Wild und Waidleuten versäumt, einen Hirsch mit dem kurzen Bogen beschießt oder einem der Hunde auf die Pfoten tretet , Euer Hochgeboren!“, schickte Barnabas hintendrein, der sich trotz aller Disziplin ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen konnte. Oh was würde er dafür geben, beim Jagdgericht der Henker sein zu dürfen und diesem Hansel dort den Arsch zu versohlen!
„Was Euch der Waidgeselle damit sagen will, hochgeborener Herr Vogt“, der Ritter meldete sich nun zu Wort und sprang ebenfalls für seine Herrin in die Bresche: „Das Freikaufen von den niederen Vergehen ist zwar möglich, aber nicht bis auf den letzten Hieb. Und von den schweren Vergehen gar nicht.“
„Und jetzt setzt Euch gefälligst wieder, solange Euer Arsch noch nicht schmerzt und sorgt mit dem Lesen und Beachten der Pergamente dafür, dass er es auch in den nächsten Tagen nicht wird. Von einem Mann Eures Standes hätte ich Klügeres erwartet als vorschnelles Urteilen und Beleidigen derer, von denen auf der Jagd im Zweifel auch Euer Leben abhängen wird.“, die Augen der Edlen verengten sich zu Schlitzen. Was stört es die stolze Eiche, wenn sich die Wildsau daran schubbert, dachte Melcher. „Es mag wohl so sein, dass ich bei meiner ersten Jagd auf Eure Hilfe angewiesen sein werde, dies aber nicht bedeutet dass ich Euren Tadel hinnehmen muss. Es liegt mir nichts daran, dass jemand zu Schaden kommt, auch bei der Jagd nicht und so möchte ich Euch zu bedenken geben, dass ich ein götterfürchtiger Mann von Stande bin, meine Geldkatze gut gefüllt ist um begangen Schaden zu entgelten und ein tätlicher Angriff auf den Landvogt des Landgrafen von Gratenfels nicht ungesühnt bleiben wird“. Mit diesen Worten nahm Melcher wieder platz und begann das Dokument zu studieren, wobei er sich mit Daumen und Zeigefinger der Linken über die Nasenwurzel strich.
Alle drei am Kopfende der Tafel stehenden Vertreter von Haus und Land reagierten auf dieselbe Art: Garnicht. Weder mit Geste noch Rede würdigte auch nur einer von ihnen den Vogt des Landgrafen – wer sich in fremder Halle derartig aufführte und dann immernoch nicht wusste wann es besser war zu schweigen, hatte nichts anderes verdient. Und vermutlich würde es spätestens morgen früh noch zur Prüfung der Identität dieses Mannes kommen müssen.

Mit regungsloser Mine hatte der alte Rabensteiner das Pamphlet studiert und sich die entwickelnde Szene betrachtet. Er rollte bedächtig das Pergament zusammen und betrachtete die Edle, die noch immer vor der sitzenden Gesellschaft stand. Laut war seine Stimme nicht, und schnitt doch mühelos durch das Getuschel, das an verschiedenen Stellen im Saale aufgekommen war.
„Seid bedankt für Eure Ladung zur Jagd, Wohlgeboren.“ Er fixierte die junge Frau. Sein verbliebendes, pechschwarzes Auge war wie eine harte Schicht lichtlosen Eises. „Wir werden, solange wir unter Eurem Dach weilen, den Gesetzen der gütigen Travia wie jenen des Herrn Firun folge leisten.“ Er wartete einen Herzschlag lang, ehe er hinzusetzte. „Doch achtet auf Eure Taten. Solltet ihr hiermit“ er hob das Pergament eine Winzigkeit an „Euch Freiheiten gegenüber mir oder meinem Gefolge erlauben, so werde ich dies nicht hinnehmen.“
Eine deutlich härtere Entgegnung hätte diese maßlos überhebliche Androhung von Ehrenstrafen der jungen Edlen gerechtfertigt – doch die Frau einigermaßen einzuschätzen, dies war nur auf der Jagd möglich. Doch das letzte Wort in Sachen Jagdgericht war beileibe noch nicht gesprochen. Sollte es zum Fall der Fälle kommen, so gedachte Lucrann diesen leidigen Fall elegant an seinen Gerichtsherrn, seinen Lehnsherrn und Grafen, abzugeben, besaß doch dieser in weltlichen Dingen die Gerichtsbarkeit über den alten Baron. Und der Graf des Isenhag, Ghambir Sohn des Gruin, war für seine Gründlichkeit und Genauigkeit in Rechts- wie Steuerdingen berüchtigt.
Er hatte sich noch immer nicht gerührt und saß dem Anschein nach vollkommen entspannt, den Fortgang der munteren Geselligkeit betrachtend, auf seinem Platze.
Doch seine letzten Worte hingen, eine Ansage deutlich wie ein in Holz getriebener Dolch, schwingend in der Luft.

Tsalind, die Knappin rdrückte sich, etwas bleich um die Nase, an die Wand der Halle neben ihren Standesgenossen und wußte nicht recht, wohin sie ihren Blick wenden sollte. Sie kannte das Nablafurter Jagdrecht, entstammte dies doch immerhin dem Rechtskodex aus dem Lehen ihrer Mutter, wußte aber ebensowohl, dass diese Belangen in anderen Bereichen der Nordmarken teils gänzlich anders gehandhabt wurden. Und sie kannte ihren Herrn, dessen Unbeugsamkeit einem Isenhager wahrlich würdig war. So sehr sie sich auf die Jagd gefreut hatte – jetzt wäre sie gerner an einem anderen Ort.

Finmar schloss kurz die Augen und seufzte innerlich auf. Auch er hatte sich die Jagdgesetze angesehen und auch er war nicht erfreut über den ein oder anderen Passus. Dies zumal er sich nun wirklich nicht sicher in der Jagd fühlte und von den möglichen Vergehen und der Möglichkeit einer Einhaltung überfordert fühlte. Die hier versammelten Regeln hatten den Anschein von eben jenen Geboten, wie sie ältere Kinder ersannen, um die Jüngeren ertappen und vor der eigenen Gemeinschaft bloßstellen zu können. Eben typisch überkommenes Brauchtum, wie es auch die scheinbar elitären Kreise der Puniner Gesellschaft mit ihren Junggesellenclubs und die almadanischen Bauern mit ihrem Austreiben des Firun betrieben. Und hier wie dort ging es um die öffentliche Erniedrigung oder um Alkoholmissbrauch. Ungeahndet blieb nur, wer ein meisterlicher Zecher oder in allen waidmännischen Regeln von Klein auf ausgebildet war. Er hätte wetten können, dass sich der Rabensteiner verweigern würde. Aber das war Lucranns Sache. Er für seinen Teil würde sich den Vorgaben beugen und versuchen, sie buchstabengetreu zu befolgen. Hoffentlich reichten seine heilerischen Fähigkeiten aus, im Zweifel Schlimmes abzuwenden. Wenigstens war die Dame Tagan mit von der Partie. Da sollte zumindest alveranischer Beistand gewährleistet sein.

Der kaiserliche Burggraf hatte sich das Schauspiel genüsslich angesehen, griff zum Glas, trank ein Schluck des guten Weins und legte gerade so viel Spott in seine Worte, dass sie nicht als unhöflich gelten konnten : „Ach Hochgeboren Rabenstein, habt Euch nicht so! Das Jagdgericht befindet doch nicht über die Peinliche Halsgerichtsordnung. Wir sind alle hierher gekommen, um in den Forsten der Edlen von Bilgarden zu jagen. Es ist ihr Wald und ihr Wild, sie stellt also die Regeln auf. Selbst am Hofe der Kaiserin wird das so gehandhabt. Entweder ihr, Baron von Rabenstein, beugt Euch den Regeln und seid Teil der Jagdgesellschaft, und zwar mit allen Konsequenzen für Eure persönliche Ehre, oder ihr lasst es eben bleiben. So einfach ist das. Ihr Frauen und Männer: Vor Firun sind Jäger und Wild gleich an Rang und Würde. Und nicht selten wird der Jäger der Gejagte. Es ist daher nur recht und billig, die Ehre der Wildes und des heiligen Vorgangs, welcher eine Jagt nun mal ist, angemessen zu schützen.“ Wilmibert nahm wieder sein Glas und nippte...

Lucrann strich sich bei den Worten des Burggrafen über den Bart und bedachte den vorlauten Quäker mit einen abschätzenden Blick.
„Eure Ansichten sprechen für Euch, von Bregelsaum. Seid also diesen Winter zur Jagd in Rabenstein auf Steinbock und Gams geladen.“
Trefflich, auf Männer mit solch festen Ansichten zu stoßen. Der einäugige Rabensteiner hob seinen Weinkelch und prostete seinem Widerpart zu.
Diese hob sein Becher und versprach: „Ich denke, dass ich diese Einladung annehmen werde!“. Seine enzianblauen Augen funkelten im Fackelschein und strahlten eigentümliche Selbstsicherheit aus.
„Gut.“ Wenig Worte verlor der alte Baron. „Seid uns willkommen.“

Der Blick der Edlen schien wie gebannt auf den Burggrafen gerichtet zu sein als dieser Worte von sich gab, die sie selbst nicht besser hätte wählen können. Und, vor allem, diesem eine solche Meinung zu diesem Thema niemals getraut hätte. Dass Wilmibert vielleicht auch nur sein Fähnlein nach dem Wind hing, solange dieser nur gegen den Baron von Rabenstein wehte, kam ihr dabei nicht in den Sinn. Dafür war sie viel zu milde und gutgläubig.
Leuina schenkte dem Rabensteiner daraufhin ein mildes, ja beinahe nachsichtiges Lächeln und entgegnete dem Baron mit ruhiger Stimme:
„Ganz genau. Ich unterliege dem Gesetz und es ist meine Pflicht, es wahrzunehmen und umzusetzen. Auf jeden, der in diesen Landen jagen will“, ihr Blick schweifte kurz in die Runde, denn diese Worte waren an alle gewandt:
„Wer die hier geltende Waidgerechtigkeit des Herrn Firun beachtet, der hat nichts zu fürchten ausser das kampflustige Wild – und dazu werden erfahrene und wack’re Waidgesellen wie der aufrechte Barnabas hier oder gar ich selbst an Eurer Seite stehen. Lieber würd’ ich einen Keiler angehen und mein Leben dabei auf firungefällige Art verlieren als zuzulassen, dass einem meiner Gäste etwas wiederfährt!“, sie blickte vom Burggrafen über den Herrn von Ibenburg zurück zum Rabensteiner, ihre Worte schliffen den vom letzteren in den Raum gehangenen Dolch zu Späne und wandelten ihn in einen Zahnstocher. Und ihr Blick war so sanft und gütig, dass sich keiner der Herren von dieser Schutzbekundung ausgenommen fühlen musste.
Man mochte es für überzogene Ehrbekundungen halten, für Aufspielerei – doch sie schien es zumindest jetzt noch ernst zu meinen und, viel schlimmer noch, tat sie den geschilderten Fall nicht als hypothetisch ab. Ihr Blick und die entspannte, ruhige Gestik dabei, ihre Stimme die nicht zitterte, nicht laut war sondern ernst– dies alles zeichnete die geschilderte Situation greifbar in den Raum. Auch Barnabas und Aetius verzogen keine Miene, ernst blickten auch sie durch die Reihen und eine Erkenntnis mochte sich, sanft wie ein schwarzes Tuch, auf die Gäste hinab senken, bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer und bei manchen wohl garnicht: Die anstehende Jagd würde nichts, aber auch garnichts mit dem sportlichen Vergnügen gemein haben, welches man in südlicheren Gefilden gewohnt war. Von Kampf war die Rede, von Leben geben und Leben nehmen. Es schien fast, als würde ein jeder von ihnen in die Schlacht ziehen. Und es mochte auch seine Gründe haben, warum ein junger Mann von eben Mitte 20 sich ‚ältester Waidgeselle’ nannte...
Roklan von Leihenhof hatte geschwiegen, den Worte seines Schwagers und dann jenen des Burggrafen von Kleinelsterngau, neben dem er saß, gelauscht. Das graufurter Gesetzeswerk zur firungefälligen Waid lag gelesen vor ihm, seine Hände mit den langen schlanken Fingern ordentlich daneben gelegt. Er nahm die verschiedenen Eindrücke der so illustren Gäste in sich auf – deutlicher noch als im lieb war. Die Empörung des Rabensteiners war als Schärfe zu spüren, die Belustigung des Bregelsaumers wirkte entspannend, der latente Zweifel, die kaum wahrnehmbare Unsicherheit des jungen wilderberger Edlen ließ den kaum älteren Baron gar kurz zu ihm herumfahren.
Eine Jagd oder eine Heerfahrt? Kurz blitzte dieser Gedanke durch das freiherrliche Bewusstsein, doch abseits der fruchtbaren Niederungen galten andere, archaischere Gesetze. Roklan kannte die Gebote Firuns und Ifirns, denn obzwar der Westen seiner eigenen Baronie Galebquell jenen friedlichen, fruchtbaren Niederungen zuzurechnen war, so waren doch der Norden und der Westen von einer urtümlichen Wildheit beherrscht, in denen nicht Travias Heim und Herd dominierten, sondern Firuns Reich zu finden war.
Abgesehen von den Gedanken an Firuns Wilde Jagd, schoss doch nun wieder die schlangenleibige Hesinde in sein Bewusstsein und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Papier vor ihm. „Wirklich interessant…“ entfuhr es ihm. „…dürfte ich die Abschrift behalten und mit anderen, ähnlichen Traditionen vergleichen?“

Stille.

Roklan blinzelte, als er merkte, dass sein Ansinnen vielleicht angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas und des eigentlichen Anliegens, nämlich die Regeln dieser Jagd zu verkünden, ein wenig … überraschend war.
„Verzeiht…“ durchbrach er diese Stille, obgleich nicht recht ersichtlich war, wen er nun um Verzeihung bat. „…obgleich es mich nicht erfreuen würde, gleich einem Gemeinem mit einem Hirschfänger…“ Hoffentlich hatten Wunnemar oder Travin seine Anweisungen genau befolgt, und auch jene scharfen Werkzeuge eingepackt. „…verprügelt zu werden, so habe ich nicht vor, mich jenen scheinbar uralten Gesetzen zuwider zu verhalten. Aber vielleicht…“ Sein Lächeln war breit, als er sich an die Gastgeberin Leuina wandte. „…bestünde die Möglichkeit, dass bei einem Vergehen von Gefolgsleuten, nicht der Jagdmeister die Strafe vollzieht, sondern der eigentliche Herr oder die eigentliche Herrin. Ich sehe es …“ Das Lächeln wurde etwas schmaler. „… nämlich nur recht ungern, wenn sich jemand an meinem Gefolge vergeht, ungeachtet der Tatsache, ob eine rechtmäßig verhängte Strafe vorliegt oder nicht.“ Er warf einen Blick hinter sich. Dort stand sein älterer Knappe Travin von Tannwirk, welcher mit Sicherheit ähnliche Traditionen aus dem nicht weit entfernten Witzichenberg vortragen konnte.
Gerade wollte Leuina zur Antwort auf den Vorschlag des jungen Barons ansetzen, da entfuhr es ihrem Waidgesellen voller Entrüstung und Abscheu:
„In diesen Landen ist ein Waidgeselle niemals ein Gemeiner! Pfui!“, mittlerweile war er ganz rot im Gesicht geworden und hatte auch den Burggrafen während seiner eigentlich durchweg firungefälligen Ansprache mit den Augen schier durchbohrt, als unterstelle er diesem üble Schwindlerei oder Intrigenspiel auf Kosten des Grimmen.
Langsam wandte sich der Blick der Edlen zu ihrem Getreuen:
„Eben dieses wird seine Hochgeboren wohl nicht gewusst haben, Barnabas.“, sprach sie mit kühler Stimme und musterte ihn von Kopf bis Fuß „Geh’ und schau in der Küche nach dem Stand und berichte mir anschließend!“ Diese Sanktion schien den Angesprochenen zu treffen. Und zumindest sein Temperament wieder zu zügeln, denn er nickte gehorsam und mit einem „Wie Ihr wünscht, Wohlgeboren!“ verließ er eiligen Schrittes die Halle, bemüht, keinem der Gäste erneut in die Augen zu blicken.
Roklans Blick folgte dem davonstiebenden Waidgesellen. Doch er gab keinen Kommentar dazu ab, weder einen verbalen Passierschlage noch versöhnliche Worte.
Mit der altbekannten Herzlichkeit im Blick wandte sich Leuina wieder dem Baron von Galebquell zu. Ihre Krone erschien im Licht der Fackeln eher rot denn golden und bildete eine wundervolle Ergänzung zu ihrem hellbraunen, glatten Haar:
„Verzeiht, Hochgeboren. Wir berufen uns hier auf alte Überlieferungen der Firunkirche in denen es unter anderem heisst: ‚Der Gott, der Schnee und Eise wachsen ließ, der wollte keine Knechte – drum gab er Bogen, Schwert und Spieß – dem Mann in seine Rechte.’“ Ein kurzer Blick galt Garobald von Fischwachttal, der ja heute bereits auf unangenehmere Art und Weise vom Stande und insbesondere der Duelltauglichkeit der Waidgesellen hier in Nablafurt erfahren hatte. Doch wollte sie es an dieser Stelle gut damit sein lassen und hoffte auch sehr, dass sich niemand der anwesenden Gäste auf eine Rauferei mit den Jägersleut einließe.
„Zu Eurem Vorschlag: Die Direktive regelt nicht, durch wen die Strafe vollzogen wird. Schon allein deshalb, weil das hohe Jagdgericht selbst nicht vor Anklage geschützt ist. In der Vergangenheit haben wir es auch bei den meisten Vergehen so gehandhabt und ich sehe keinen Grund, weshalb Euer Gefolge nicht durch Euch selbst die Strafe erfahren sollte.“, sie nickte dem Baron lächelnd zu „Und natürlich dürft Ihr gerne diese Kopie für Euer privates Archiv behalten, ich schenk’ es Euch gerne her“, dann lachte sie hell und fröhlich auf.
„Habt Dank, Euer Wohlgeboren.“ Roklan reichte das Pergament an Travin weiter, welcher es zusammenrollte und in seinen Gürtel steckte. „Sagt, nun bedarf es ja nach der Bilgratener Direktive zum Waidwerken verschiedener Jagdwerkzeuge. Langer Spieß, kurzer Spieß, kurzer Bogen, schwerer Bogen. Nun habe ich zwar anlässlich der Jagd meine Bögen und meine Saufeder verpacken lassen…“ immerhin hier war er sich sicher, dass seine Knappen dies verpackt hatten, die Hirschfänger musste er unbedingt suchen. „Allerdings befürchte ich, dass ich nicht vollends gerüstet bin für eine Waid nach Bilgratener Tradition. Könntet Ihr uns, um Misstritte zu vermeiden, entsprechend ausstatten?“
Die Edle schenkte dem Baron ein huldvolles Lächeln:
„Aber gewiss, Hochgeboren! An Waffen- und Rüstzeug ist alles da, was Ihr brauchen werdet oder könntet. Morgen werdet Ihr ausreichend Gelegenheit haben, Euch nach Eurem Belieben im Zeughaus auf der Koschwacht auszustatten und auszuprobieren. Auch Brustplatten und Kettengeflecht zum Schutze der Adern in den Oberschenkeln sind reichlich vorhanden, seid unbesorgt!“
Biora hatte sich den archaischen Text zweimal durchgelesen, wiewohl sie von den Nablafurtern schon vorgewarnt worden war, und nebenbei den Ausführungen der diversen Adligen gelauscht, insbesondere denen des Rabensteiners, den sie wie die meisten Gäste noch gar nicht hatte angemessen begrüßen können. Nun erhob sie in die Stille nach Leuinas Ausführungen hinein mit ernster Miene ihre Stimme, nicht laut, aber durch viele Predigten gestählt, um einen großen Raum gegen die unvermeidlichen Geräusche einer Menschenmenge durchdringen zu können.
„Euer Wohlgeboren, solange ich unter Eurem Dach beherbergt werde oder in Euren Wäldern unterwegs bin, respektiere ich selbstverständlich die hier geltenden Bräuche, und ich gehe davon aus, dass dies auch die anderen Anwesenden tun werden.“ Biora legte eine kurze Pause ein und ließ den Blick durch den Saal schweifen, über den regungslos dasitzenden Rabensteiner, den Vogt des Grafen, der sich wohl noch nicht ganz einig war, wie er auf Leuinas harsche Zurechtweisung reagieren sollte, Finmar, der aus irgend einem Grund die Stirn runzelte, und die anderen Gäste. Dann fuhr sie mit unveränderter Stimme fort: „Doch gebe ich Euch zu bedenken, dass die meisten hier Anwesenden nicht wissen konnten, welch', sagen wir einmal 'althergebrachte', Form der Jagd sie hier erwarten würde. Insofern appelliere ich an Euch in Ifirns Namen, sollte sich tatsächlich ein Vergehen auf der Jagd ergeben, wovon wir bei den Göttern, Firun voran, nicht ausgehen wollen, lasst Milde walten bei der Anwendung dieser Regeln“, sie hob das Pergament ein wenig in die Höhe, „und versucht, dem Delinquenten, seinem Stand, seiner Ehre und den ihm bekannten Jagdbräuchen entgegenzukommen. Denn wir treffen uns hier Euren Worten nach zu einer Jagd, welche nicht allein der Erbauung dient, sondern viel mehr und zuförderst ein Dienst zur Ehre des Ewigen Jägers sein soll. Und einem solchen Unterfangen stände es wohl schlecht an, wenn der krönende Abschluss von einem unnötigen Streit an seinem Ende überschattet werden sollte.“
Sie lehnte sich zurück und ließ das Pergament wieder sinken, wohl wissend, dass ihre gesprochenen Worte lediglich die Hälfte ihrer Rede ausmachten. Mochte Hesinde den Zuhörern den nicht ausgesprochenen Teil erschließen.
Dann hub Biora doch noch einmal an: „Davon abgesehen freue ich mich auf eine neue Erfahrung. Hesinde lehrt uns, dass man nie auslernt, wenn man nur seinen Geist und auch seinen Körper empfänglich hält.“ Schon spielte wieder ein leises Lächeln um ihre Mundwinkel.
„Vortrefflich gesprochen, edelste Biora“. Applaudierend erhob sich der Vogt des Grafen erneut. „Nun, da ich Eure Gesetze kenne, Leuina von Bilgraten, möchte ich Euch kundtun, dass ich mit dem Gedanken wir würden uns zu einer einfachen Jagd versammeln, aus der Waffenkammer derer von Ibenburg, meine Knappin leider nur eine Armbrust habe einpacken lassen und den Umgang mit dem einfachen Bogen nicht gewohnt bin, so es mir nicht gestattet ist diese, meine Armbrust zu verwenden, werde ich wohl mit dem Aufscheuchen des Wildes beschäftig sein“. Ein leichtes, weniger schelmisches Grinsen umspielte die Züge des Vogtes erneut.
Mit seiner ungebührlichen Art, seiner Unkenntnis des Jagdrechtes und seiner Anmaßung, mit Konsequenzen von Seiten des Landgrafen selbst drohen zu können hatte sich der Vogt für diesen Abend wohl das Recht verwirkt, die Aufmerksamkeit der Edlen zu erlangen. Somit antwortete Aetius und erklärte nüchtern und sehr sachlich, trotz der kleinen Spitze am Ende:
„Damals gab’s hier noch keine Armbrüste, deshalb stehn’ die nich drin. In Absprache mit Vertretern der Praios- und der Firunkirche sind wir hier schon seit einigen Generationen überein gekommen, dass eine Armbrust in jedem Fall wie ein kleiner Bogen, vielleicht auch wie ein großer Bogen zu behandeln ist. Wenn Ihr Euch in Eurer Demut zum Treiber berufen fühlt weil Euch das edle Waidwerk schreckt, zu Recht!, dann dürft Ihr Euch gerne den Jagdknechten aus der Landwehr anschließen“
Da Anselm nicht umhin konnte, seinem Sitznachbarn und dessen Gegenüber zumindest mit einem Ohr zuzuhören, blickte kurz aus dem vor ihm liegenden Dokument auf. „Das ist sehr gut, da möchte ich mich dem Vogt doch anschließen …“ Erst mit einem Blick in das Gesicht Aetius‘ wurde ihm gewahr, dass sich das Gespräch bereits von der Verwendung der Armbrust weiterentwickelt hatte. „… Ich meine, ich würde auch gerne die Armbrust zur Jagd verwenden, wenn das denn erlaubt ist.“

Funkenschlag von oben

Leuina indes hatte keine Schwierigkeiten, diesen Hampelmann, den Vogt, zu ignorieren und zog es vor, sich Biora zu widmen:
„Wie Ihr wisst, hochgeborene Hochwürden, bin ich als niedere Dienerin der sanften Tochter stets um Gnade und Milde bemüht.“, sie sprach die Worte aus und es kam ihr erst jetzt der schreckliche Gedanke auf. Ihr Blick zuckte vom Rabensteiner zum Herrn von Ibenburg, dann zurück zu Biora und sie gab sich ganz in die Weisheit der Herrin Hesinde. Es war ihr, als seien all die andern Gäste aus dem Saal verwaschen und nur sie selbst und die Dienerin der weisen Schlange säßen hier. So sprach sie zu ihr die Erkenntnis aus, welche sie zutiefst kränkte und gar in Trauer stimmte:
„Aber Mutter, was glauben meine Gäste denn von mir? Was für ein Bild haben sie denn von mir? Dass ich sie alle hierher einlade, ins offene Messer laufen lasse, auf Verfehlungen hoffe um mich dann daran zu ergötzen, wie sie unter meinem Willen gedemütigt werden und der Alte vom Berg nur eine Ausrede sei? Natürlich wissen wir doch davon, natürlich lassen wir Gnade vor Recht walten wo immer dies möglich ist! Ohne Gnade gäbe es kein Frühling und wir wären alle des Todes! Auch haben wir wack’re Waidgesellen an unserer Seite, die nach Möglichkeit einschreiten bevor es zu einem Vergehen kommt. Oh welch’ Greuel müssen sie erfahren haben, dass sie ganz ohne Grund nur das Schlimmste von jedem, so auch mir, annehmen müssen. Gern würd’ ich sie erlösen wie der Frühling das Leben erlöst vom bitt’ren Tod, doch ich kann sie wohl nicht alle retten...“

Bioras Blick wurde plötzlich wie auf ein geheimes Zeichen von der Gastgeberin angezogen. Deren Gesicht nahm einen seltsamen, abwesenden Ausdruck an und ihre Lippen bewegten sich stumm. Und doch war es Biora, als könne sie von Ferne Worte, ja ganze Sätze verstehen, gesprochen wie hinter einem wehenden Vorhang in einem weiten, leeren Raum, dessen Wände hinter Schleiern aus Schnee nur zu erahnen waren. Obwohl die Worte nicht wirklich an sie gerichtet waren, fühlte sie doch den inneren Drang zu antworten, doch auf eine Weise, die den Frieden und die Erhabenheit der Szene nicht zerstörte. Also formulierte Biora ihre Antwort lediglich in Gedanken, darauf vertrauend, dass diese ihr Ziel schon erreichen würde, wenn es den Hesinde, Firun, Ifirn oder allen gefiele.
"Die meisten der Gäste kennen Euch nicht, und Ihr nicht sie, noch seid Ihr vertraut mit der oftmals intriganten oder doch zumindest verdeckten Art, wie sie gewöhlich Umgang mit Ihresgleichen pflegen. Man erwartet in anderen immer das, was man gewöhnt ist oder was man selbst tun würde ... und durch Annahme einer vorgeblich harmlosen (weil schon oft erhaltenen) Einladung zur Jagd derart in kaltes Wasser geworfen zu werden, ist den meisten der Anwesenden, wenn überhaupt nicht gar allen, wohl noch selten widerfahren. Um die Unsicherheit der Situation noch zu erhöhen, stoßen die Regeln der Jagd einigen sauer auf, da sie nicht erkennen können (woher auch), dass diese vor Zeiten unter Umständen entstanden sind, welche mit den heutigen schwer vereinbar sind, was Nachsicht bei der Anwendung der Regeln umso gebotener erscheinen lässt.
Grämt Euch nicht, denn Ihr könnt die Bedenken der Gäste nicht hier und jetzt zerstreuen, sondern zeigt in den folgenden Tagen durch Eure Taten, was der gute Geist ist, der Euch und die Jagd beseelt. Und haltet Eure Untergebenen ein wenig im Zaum, damit es später, wenn Wein und Bier schon etwas reichlicher geflossen sind, es nicht doch noch zum Streit kommt."
Dem letzten Satz schickte sie ein geistiges Lächeln hinterher, doch alle vorangegangenen waren in feierlichem Ernst gedacht worden. Ein eisiger Schauer fuhr der Lehrmeisterin in die Seele, denn sie spürte ihren Körper nicht. Es knarzte, doch es brach nicht und es war eine starke Kälte, eine gute Kälte. Vom Sturm gepeitschte Kristalle fegten um sie herum, umfinden sie zur Gänze. Wind, der durch Schwingen glitt: Weiße Federn? Schwarze Federn?


Plötzlich setzen die Geräusche des Saales um sie herum wieder ein, erst jetzt wurde Biora sich bewusst, dass diese in den letzten Augenblicken gänzlich verstummt gewesen waren. Sie schüttelte ganz leicht den Kopf, wie um die letzten Schneeschleier zu vertreiben, dann sah sie Leuina ins Gesicht. Ob diese ihre Botschaft wohl empfangen hatte?

Leuina blinzelte ein paar Mal, wohl zuförderst um das Zwiegespräch zwischen ihr und der hohen Lehrmeisterin abzuschütteln als auch die aufmarschierten Tränen am Ausrücken zu hindern. Mit blassem Gesicht blickte sie in die Runde. In einem Momente noch stark und erhaben, wirkte sie jetzt so verletzlich wie der Schwan, dem ein Pfeil im Flügel steckte und rotes Blut über das weiße Gefieder zum Gefrieren lief. Unfähig auch nur einen Ton herauszubringen musste sie sich doch erstmal setzen und einen tiefen Schluck vom Weine nehmen, den Blick ins Leere

Wer Biora genau betrachtete, konnte bemerken, dass ihr Blick sich wie der Leuinas einige Augenblicke lang in einer unbekannten Leere verlor, dann leicht schauderte, bevor sie etwas den Kopf schüttelte und anschließend die Edle mit neuer Intensität kurz anblickte, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Gästen ringsum zuwandte.
Auch der am unteren Tischende sitzende Baron von Galebquell wirkte für wenige Augenblicke abwesend. Halb geschlossen waren seine Augen und für das Geschehen um ihn herum hatte er keine Aufmerksamkeit. Seine rechte Hand lag leicht an seinem linken Schlüsselbein, Daumen und Zeigefinger berührten seinen schlichten Halsreif aus Messing:

Roklan spürte die Präsenz seiner Herrin. Nur schwach, ganz schwach, doch es genügte.
Unter einem Zischeln und dem friedlichen Reiben geschuppter Schlangenleiber aufeinander
wurde es ihm, als gefror etwas in seiner Brust als ob es zu echtem Eis würde.
Sein Herz erfuhr eine Kälte, die es wohl noch nie erfahren hatte und mit ihr einher ging eine Schärfung all seiner Sinne. Deutlich konnte er das alte Holz riechen, atmete tief den Duft der Gerbstoffe der Eiche ein. Das Gurgeln, Schlucken und Schmatzen seines Nachbarn Wilmibert, als der nur vom Wein trank. Und der Blick der Edlen, deren Augen im Dunkel des Saales ein so tiefes Blau angenommen hatten dass es beinahe schwarz wie im Brunnen zum Nayrakis schien, ohne Boden. Und auch, dass ihr Blick nicht dem Saale galt, er weilte woanders.
Keine Regung durchlief ihn, kein Bangen, kein Sorgen, keine Wut, kein Glück - nichts störte die Eindrücke des wachen Körpers.
Und über dies zu Eis gewordene Herz strichen nun sachte und fast sanft,
schwarze Federn.
Die nicht kitzelten, nicht störten - wie auch, war das Herz doch
zu Eis geworden.


Der Eindruck erlosch so schnell wie er gekommen war.

Plötzlich ging ein leichter Ruck seinen Körper, er blinzelte mehrfach, nahm die Hand vom Halsreif und schaute sich verwirrt um, als müsse er sich erst in sein Bewusstsein rufen, wo er sich befände.

Garobald wäre am liebsten aufgesprungen um die Edle in die Arme zu schließen und zu trösten. Stattdessen erhob er sich langsam und wandte sich an die Edle von Bilgraten: „Euer Wohlgeboren, mitnichten denke ich so schlecht über Euch wie Ihr es euch ausmalt. Im Gegenteil! Ich sehe in Euch eine herzliche, auf erfrischende Weise bodenständige Frau, welche die alten Tradtionen noch immer ehrt. Traditionen auf die wir Nordmärker uns immer so gerne berufen.“ Er blickte alle Anwesenden reihrum an. „ Jedenfalls wenn es gerade bequem ist, so scheint mir.“
Er blickte den gratenfelser Vogt direkt in die Augen: „Ihr seit der Vertreter des Grafen, benehmt Euch gefälligst auch so! Ansonsten wird ein entsprechender Bericht seinen Weg zum Grafen finden!“
Seine Kiefer mahlten als er sich nochmal in der Runde umsah, dann setzte er sich hin.
Der Vogt lehnte sich mit einem Seufzen auf seinem Stuhl zurück und erwiderte den Vorstoß des Baronet Garobald sogleich. „Haben Euch eure Ohren einen Streich gespielt, Hochgeborener Herr? Ich habe mich zu den Jagdgesetzen der Edlen von Bilgraten bekannt und lediglich erkundigt ob es nicht gar unschicklich sei meine mitgebrachte Jagdausrüstung zu verwenden, dies lässt doch Respekt durchklingen? Zuvor hatte ich die sanften und weisen Worte von Hochwürden Biora mit einem applaudieren unterstützt? Ich werde Euch euren kleinen, hitzigen Vorstoß in der Sache nicht all zu übel nehmen, aber verwechselt um euretwillen, mein Freund, nicht das Parkett des Grafenhofes mit dem Paradeplatz“. Melcher ging davon aus, dass diese kleine Ermahnung genügte um sich der harschen Widerworte des Garobald zu entledigen.

Der Edle von Fischwachttal war schon drauf und dran dem frechen Vogt eine geharnischte Antwort zu geben als der Burggraf das Wort an den Ibenburger richtete:

„Hört, hört! Mein lieber Vogt, unsereins, der Amtsadel, sollte dem werten Blutadel niemals drohen. Schon gar keinem Baronet. Derlei ist noch nie gut ausgegangen. Aber sagt mir vielmehr: Bei Xeledon, wie kommt Ihr darauf, dass der Landgrafen gutes Paket habe? Wenn ich bei Hofe war, habe ich noch nie welches gesehen, heißt es doch, Seine Hochwohlgeboren habe dafür kein Silber.“ Spöttisch grinste der Burggraf den Vogt an, zupfte dabei erst seine kaiserblaue Schärpe zurecht und nahm dann noch ein Schluck des guten Weines.
„Ich habe bei weitem keine Drohung ausgesprochen, Eurer Hochgeboren, lediglich einen Ratschlag“, erwiderte der Vogt etwas schnippisch. „Kein Parket?, Ihr müsst mal etwas genauer hinschauen, zumindest für die Ibenburg war und ist dieses „Parket“ immer von Vorteil gewesen und was soll ich Euch mit Einzelheiten aus den Büchern des Grafen langweilen? So sie mir überhaupt bekannt sind“ sprach der Vogt und nahm, der Zweideutigkeit seiner Worte bewusst, einen großen Schluck des guten Tropfens aus seinem Becher. „Mmh, ein vorzüglicher Tropfen, meint Ihr nicht? Erfreuen wir uns doch lieber dem Anlass zu dem wir alle geladen wurden und der reizenden Bekanntschaften die es hier zu machen gibt.“

Der Zorn der den Fischwachttaler gerade noch getrieben hatte, ging so schnell wie er gekommen war, musste er doch wieder an die Worte Rupos auf dem Hof denken. Deutlich entspannter als noch gerade eben sah er den Vogt an: „Euer Hochgeboren, ich stehe zu meinen Worten.“ Kurz hielt Garobald inne, überlegend wie er fortfahren solle, aber als er gerade Anstalten machte, den Mund erneut zu öffnen, kam Biora ihm zuvor: „Meine Herren, im Namen Hesindes ersuche ich Euch, keinen weiteren Streit aufkommen zu lassen. Denn schließlich sind wir alle ja eigentlich hierher gekommen, um uns körperlich, aber auch geistig zu erbauen. So hoffe ich jedenfalls?“ Sie nahm ihrerseits ihren Weinkelch auf und lächelte entwaffnend. „Streit, soweit er nicht akademisch ist, erbaut allerdings eher selten, sondern führt im Gegenteil eher zu Unmut, Unzufriedenheit, gar Schlimmerem, was dem Denkvermögen in der Regel abträglich ist und somit den Boden für weitere Eskalation bereitet. - Ich hoffe, Ihr könnt mir folgen und schlage vor, die Sache für heute zu beenden. Auf die Jagd!“ Sie hob ihren Kelch und prostete den beiden, dann Leuina zu und trank eine tiefen Schluck, vielleicht auch, um ihr ein wenig ins Schelmische abdriftende Lächeln zu verdecken, so mochte zumindest mancher Beobachter meinen.

Garobald hob erneut den Becher, prostete Biora zu und wiederholte den Trinkspruch: „Auf die Jagd!“ Insgeheim war er der Baronin dankbar dafür, den Streit unterbunden zu haben.
Melcher war etwas erstaunt über das Eingreifen von Biora in seiner Sache, langsam fand er doch tatsächlich gefallen an der Baronin. Vielleicht sollte er sich eine andere, simplere Strategie zu legen um der Dienerin der Allweisen Herrin näher zu kommen, nicht das ihr dies besser zu Gesicht stünde, nein mitnichten….
Der Trinkspruch von Garobald riss ihn aus seinen Gedanken, „Auf die Jagd, Auf den Grafen und natürlich auf Euch, Baronin Biora“, schmunzeln prostete er der Baronin zu.
Biora setzte ihren Kelch bei diesen Worten ab und schenkte Melcher nicht zum ersten Mal ein unergründliches Lächeln. Dabei blickte sie ihm intensiv forschend in die Augen, als wolle sie ergründen, was genau hinter seiner Stirn vorging.

Auch wenn es bei diesem Disputieren nicht einfach war, studierte Anselm ebenfalls den Wortlaut des vor ihm liegenden Dokumentes. Nicht jedem hier am Tisch schien das Gebot Travias, die göttergefälligen Bräuche eines Gastgebers zu respektieren, gleichermaßen gefällig zu sein. Anselms Blick suchte den Herrn von Ibenburg. Nichtsdestotrotz war die Frage statthaft, wie göttergefällig und rechtmäßig jene Bräuche tatsächlich waren. So erhob er sich schließlich, wenngleich bedächtiger als Melcher Sigismund wohlweislich, und wartete auf seine Erlaubnis zu sprechen – eine Tischregel, die augenscheinlich hier sonst niemand befolgte.
„Mit Verlaub, Euer Wohlgeboren, es ist Euer gutes Recht, Euer Brauchtum zu pflegen und die Gepflogenheiten mit uns als Euren Gästen zu teilen. Unsere traviagefällige Pflicht ist es, im Gegenzug für die Zuflucht, die Ihr uns gewährt, diese zu achten und zu respektieren, wiewohl es auch unser aller Pflicht und Eid entspricht, die Zwölfe in unserem Tun zu achten und zu ehren, und nicht zu freveln wider ihr Gebot.“
Anselm hielt kurz inne, um Gelegenheit zum Widerspruch zu geben, obwohl er einen solchen nicht erwartete. „Selbstverständlich können wir davon ausgehen, dass auch in diesen Landen die Gesetze von Herzog und Kaiserin gelten, und wir alle wissen wohl, allein schon aus den umfangreichen Zusammenfassungen des Raulschen Rechtes aus der Feder von Reichserzkanzler Answin von Rabenmund, wes Standes Recht es ist, gegebenenfalls Züchtigung zu üben über die jeweiligen hier versammelten Stände.“ Anselm nickte hierbei lächelnd Lucrann von Rabenstein zu.
„Somit dürfen wir davon ausgehen, dass die Bilgratener Direktive ebenso geltendem Kaiserrecht untersteht wie alle praios- und zwölfgöttergerechten Weisungen innerhalb des Reiches. Und wie es bereits die Ahnen ihrer Wohlgeboren Leuina von Bilgraten in diesem Sinne hielten, wollen wir es auch weiterhin halten.“
Einen kurzen Blick auf das Pergament werfend räusperte sich Anselm. „Da es sich bei diesem Schriftstück lediglich um einen Auszug handelt, nehme ich an, dass weitere Passagen hierzu existieren. Leider kann ich hierin nichts darüber entdecken, welche Methoden statthaft sind um dem Wild waidmännisch nachzustellen. Gibt es hierzu besondere Vorgaben, die zu beachten sind, Euer Wohlgeboren?“
Mit einer abwesenden Geste bedeutete die Edle ihrem Bruder, sich der Sache anzunehmen. Ob sie schlichtweg keine Lust hatte, direkt Rede und Antwort zu stehen, oder tatsächlich gerade mit dem Geiste in anderen Gefilden weilte, war für die Anwesenden schwer einzuschätzen. Zugetraut hätte man ihr beides. Auch das beherzte Einschreiten des Fischwachttalers hatte keine nennenswerte Reaktion bei ihr hervorgebracht. Immerhin Ritter Aetius nickte dem Edlen knapp zu und schien dessen Meinung gerade was den gräflichen Vogt anging durchaus zu teilen.
Nun war es an dem Praiosgeweihten, hier endlich wieder Ordnung hinein zu bringen. Zwar mochten seine Sitznachbarn Aldec und Wilmibert auch bei ihm eine gewisse Abwesenheit festgestellt haben, doch diese war bereits verflogen. Er erhob sich bedächtig und blickte streng in die Reihen der versammelten Gäste. Sein Ornat bildete dabei einen herrlichen Kontrast an Ordnung und Sitte zur eher wilden Kulisse des Eichensaales.
„Hohe Herrschaften“, begann er dann mit ruhiger, klarer Stimme die nicht erst erhoben werden musste um Autorität zu vermitteln.
„Selbstverständlich dürfen sowohl die vollständige Direktive als auch die Fußnoten und Kommentare, die dazu seit dem Inkrafttreten bis heute verfasst wurden, eingesehen werden. Ebenso die letzte Novellierung aus dem Jahre 940 nach dem Falle Bosparans, welche als Vorlage für die Euch vorliegenden Kopien diente“, sein Blick hatte nichts von seiner Strenge verloren und nur jene, welche sich mit der Dienerschaft des Sonnenfürsten wirklich intensiv beschäftigt und reiche Erfahrungen mit diesen gemacht hatten, mochten hinter der kühlen Fassade die leidlich vorhandenen Emotionen die Direktive betreffend erkennen: Sie waren ihm ein Dorn im Auge und vermutlich war es derselbe Dorn, der auch im gesunden Auge des Herrn von Rabenstein steckte.
Bartolos straffte seine Haltung, ließ die Worte kurz wirken und wandte sich dann direkt an Anselm von Bollstieg:
„Die Passagen zum waidgerechten Nachstellen des Wildes wurden in diese Kopien nicht eingepflegt, da es für die Gäste de facto keine Möglichkeit gibt, gegen diese zu verstoßen. Das Hetzen des gesunden Wildes ist in jedem Fall verboten und steht in seinem Tatbestand außerhalb der ordentlichen Jagdgerichtsbarkeit. Darüber zu entscheiden und zu urteilen steht einzig und allein der Kirche des Herrn Firun zu. Ich empfehle an dieser Stelle dringend, Euch diese Frage selbst durch das Studium der vollständigen Gesetze und Ordnungen zu beantworten. Alles andere würde die Ordnung des heutigen Abends noch mehr stören, als dies bereits geschehen ist“, sein Blick wanderte erneut durch die Reihen der Gäste, ohne einem einzelnen sein ‚besonderes’ Augenmerk zu schenken:
„Eine Empfehlung, die ich jedem gebe, welcher die Gesetzmäßigkeit der vorliegenden Papiere anzweifelt. Zum allgemeinen Gebaren, hoch verehrte Herrschaften, möchte ich noch, da meine Schwester es versäumte oder nicht für notwendig hielt, darauf hinweisen, dass der Saal, in welchem wir uns befinden, ein gesegneter Schrein des Weißen Jägers ist. Und wenn dem Herrn Firun eines nicht gefällt, dann ungezügelte und hitzige Leidenschaften“
Bartolos straffte seine Haltung, blickte noch einmal gar streng in die Runde und setzte sich wieder. Offenkundig hoffend, dass seine Worte beherzigt werden würden.
Seine Schwester auf der anderen Seite der Tafel betrachtete ihn mit einem Blick, den der Geweihte selbst gut genug kannte. Er hatte ihn oft gesehen und wusste, dass sie bald zu ihnen zurückkehren würde. Doch noch nicht jetzt. Ritter Aetius von Mauser hatte sich derweil auf seinen Platz zwischen Lucrann von Rabenstein und Garobald von Fischwachttal gesetzt, schenkte sich entspannt seinen Weinkelch ein und wirkte sehr nach einem Mann, der glaubte nun das schlimmste hinter sich zu haben...

Der Rabensteiner hatte die letzten Augenblicke gedankenverloren auf seinen Weinkelch gestarrt, der fast vergessen und ungesehen vor ihm stand.

Mit dem Instinkt war das so eine Sache.
Es gab genug Menschen, die den ihren ignorierten.
Lucrann von Rabenstein zählte nicht dazu.
Was die wenigsten wussten, weil sie es meist ignorierten
und auch dem Baron erst jetzt, da er es unmittelbar erfahren würde, gewahr wurde:
Jeder besaß den Instinkt des EINEN Jägers.
Auch er.
Nicht zu vergleichen mit dem Jagdinstinkt, nein, dieser hier war anders.
Denn es war ihm, als gefror etwas in seiner Brust und seinem Nacken zugleich, ihm wurde
als ob beides zu echtem Eis würde.
Und über dies Eis strichen nun sachte und fast sanft,
schwarze Federn.
Die nicht kitzelten, nicht störten - wie auch, waren doch Herz und Nacken zu Eis geworden.
Eine bisher noch unbekannte Wahrnehmung auf den Raben
der hier in diesen dem Firun gesegneten Hallen zu ihm gekommen war
und so schnell davon war wie er gekommen.
Nur weshalb?

Es war zeifelhaft, ob Lucrann die Rede des Praiosgeweihten überhaupt registriert hatte. Als der Ritter sich neben ihn setzte, hob er den Kopf und blickte ihn an, als sehe er ihn zum ersten Mal.
„Doch ist es der Tod, der uns von des Lebens Last und Mühe erlöst und Frieden schenkt.“ Tiefe Ruhe lag in seiner Stimme, und mühelos fing er den Blick seines Nebenmannes, im Besitz aller Zeit Derens.
„Und mit ihm das ersehnte Ende von der Qual des Lebens und dem Akt des Sterbens“, erwiderte Ritter Aetius mit ebensolch ruhiger, ernster Stimme. Seine grünen Augen hielten dem Blick des Rabensteiners mühelos Stand. Dann griff er nach seinem Weinkelch und erhob ihn als höfliche Geste in Richtung Lucranns:
„So wie Schwäne und Raben im Fluge und Schwingenschlag Gemeinsamkeiten haben, so gilt dies auch für den Dunklen Vater und die Milde Tochter“ Nun war er es, der den Blick seines Nachbarns gefangen hielt „Und wer weiß: Vielleicht sind’s nicht nur die beiden sondern auch ihre Diener, die mehr gemeinsam haben, als es der erste Blick offenbaren würde...“
„Beide dienen den Zwölfen auf ihre Weise.“ Was Lucrann anbelangte, war dies genug der Gemeinsamkeiten. Ruhig hielt er den Blick des Ritters, darüber sinnierend, was dieser wohl mit diesem Blickduell zu erlangen trachtete. Dieses Spiel hatten schon manche versucht – und waren gescheitert. Zu dieser Zeit in dieser Halle jedoch war es einfach lächerlich. Er hob eine Augenbraue, ohne indes den Blick abzuwenden. Sein verbliebenes Auge war schwarz wie eine lichtlose Nacht und gab nichts preis von den Gedanken seines Besitzers. Höflich, ruhig und wohlmoduliert klang die Stimme des alten Barons. „Ihr wünscht, Wohlgeboren?“
Aetius wandte sich kopfschüttelnd ab – auf ein Blickduell hatte er es im Grunde nicht angelegt. Er sprach aus, was er zu sagen hatte:
„Mir scheint, Ihr sucht zu sehr die Unterschiede. Wenn Euch dies Freude macht: Nur zu.“, er nahm einen Schluck vom Wein. Wenn der Baron sich auf Kälte und Freudlosigkeit versteifen wollte, so durfte der das aus Sicht des Ritters gerne tun. Er rutschte auf dem Stuhl ein Stück in Richtung der anderen Gäste und wandte so dem Rabensteiner zwar nicht gleich den Rücken, aber doch wenigstens die Schulter zu. Aetius würde sich gewiss nicht von seinem Nachbarn den Abend verderben lassen.
Ein seltsames Volk, diese Nablafurter. Mit einem Schulterzucken wandte Lucrann sich ab. Wenn es dem Ritter Freude bereitete, sich als moralische Instanz des Tischgesprächs zu fühlen, so blieb ihm das als Hausritter der Gastgeberin unbenommen. Eine Debatte darüber wäre verschwendeter Atem. Aber vielleicht war ein theologischer Disput hier zum Tischgespräch Sitte – ebenso, wie ein Blickduell. Dass in anderen Lehen andere Sitten herrschten, dies deutlich zu machen, war der Gastgeberin wahrlich ein Anliegen. Andererseits – warum sollten ausgerechnet die Gepflogenheiten in Graufurt sich von den Eigenheiten im Hause ihrer Lehnsherrin abheben? Die Gedanken des alten Barons wanderten einige Schritte weiter zu den Damen des Hauses Neidenstein und kurz blitzte ein verhaltenes Schmunzeln in seinen Zügen auf. Wohin eine gewisse rothaarige Dame wohl mittlerweile auf ihren Wegen gewandert war? Sinnierend drehte er seinen Weinkelch in den Fingern und befand es recht angenehm, einige Atemzüge lang seinen Gedanken nachzuhängen. Auch wenn der eigenartige Bruchteil eines Lidschlags von Satinavs Fahrt, die der Ritter so jäh unterbrochen hatte, unwiderbringlich dahin war – und vor allem eines zurückließ: eine offene Frage.

Es wird aufgetischt

Die Tür des Saales schwang auf und der vorhin zurechtgewiesene Barnabas trat wieder ein, grüßte noch einmal verlegen in die Runde und begab sich zum Kopfende um Leuina zu berichten.
Mit einer eleganten, fließenden Bewegung erhob sich die Edle, nun wieder ganz mit dem Geiste im Hier und Jetzt.
„Meine Gäste!“, hob sie an zu sprechen und wartete kurz, bis sie die Aufmerksamkeit der Anwesenden hatte.
„Nachdem Ihr nun wisst, wie’s bei uns hier droben mit der Waidmannskunst steht, möchte ich noch kurz auf den Ablauf der nächsten Tage eingehen. Morgen früh werden wir nach dem Frühstück, also kurz nach Sonnenaufgang, zur Koschwacht aufbrechen. Es steht zu vermuten an, dass wir dort zum Mittag eintreffen. Der Nachmittag darf dann gerne von Euch allen nach Herzenslust gestaltet werden: Macht Euch mit der Umgebung vertraut, lasst Euch, so benötigt, von den Gesellen mit Rüst- und Waffenzeug ausstatten und so weiter. Am Abend dann wird es noch einen Festschmaus geben und lustig soll es dann noch zugehen. Bis wir um Mitternacht den Jarlakstag mit einem ordentlichen Dienste am Herrn Firun beginnen wollen“, sie hielt kurz inne und blickte in die Runde:
„Um uns vorm Herrn Firun als stark und würdig zum Beutemachen zu zeigen, ist’s bei uns der Brauch, dass jeder Teilnehmer des Dienstes sich einem auserkorenen Gegner zum regelfreien Ringkampf stellt bis ein jeder Blut vergossen hat. Die Teilnahme ist selbstverständlich freiwillig, jedoch wird es dabei keine Zuschauer geben. Auch möcht ich denjenigen, die teilnehmen wollen und sich so dem Grimmen würdig zeigen wollen, empfehlen, bereits im Vorfeld einen geeigneten Kontrahenten zu suchen. Meine Waidgesellen und auch ich stehen Euch dabei selbstverständlich zur Verfügung“, sie lächelte beinahe schelmisch.
„Am nächsten Morgen werden wir dann zur Jagd ausreiten, bis wir den Hirsch zur Strecke gebracht haben. Das Privileg des ersten Schusses auf den erkorenen Hirsch gebührt dabei Seiner Hochgeboren von Rabenstein.“, ihr Blick fiel auf Lucrann, ihr Mund verzog sich nicht zu einem Lächeln dabei, scheinbar hatte sie es aufgegeben. „Kam der Hirsch zur Strecke, heisst es ‚Jagd vorbei und wir leben noch’, so es den Göttern gefällt“ Leuina blickte noch immer zum Rabensteiner als sie diese Worte sprach und machte eine Pause, länger denn notwendig.
„Doch sei’s drum. Jetzt wird erstmal gespeist!“

Die Tür wurde erneut geöffnet, Gesinde kam hinein, schwer bepackt und rot im Gesicht. Artig und brav wurde eingedeckt, mit Hauben abgedeckte Platten auf die Tische gestellt. Auf Zeichen der Edlen wurden dann die Köstlichkeiten präsentiert, die soeben noch versteckt gewesen waren:
„Geräucherter Lachs auf Dill-Knoblauch-Eisteif!“
„Über Wacholder-Buchenholz kalt geräucherter Schinken von der Sau mit Apfellikör!“
„Filet vom Hirsch in Eiben-Rotweinsud mit Heidelbeerkompott“
„Geschmorte Rehkeule in Honigkruste“
„Kaltgeräucherte Wildschweinwürstchen auf süß-geschmorten Rüben“
„Geräucherte und in Honig gebratene Maronen“

Ein gar herrlicher Duft breitete sich von den bereits filetierten Speisen aus, der spätestens jetzt jedem Gast das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Doch einen Moment musste man sich noch gedulden, denn die Edle sprach:
„Alle unter einem Dach, ohne Not und Ungemach – vor uns Schinken, Wurst und Bier – Travia, wir danken dir!“, jedes Wort sprach sie mit Bedacht und der gebührenden Ehrfurcht und Dankbarkeit. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu:
„Bitte, meine Gäste, bedient Euch!“ Sie selbst setzte sich, griff zum Spieß und nahm sich vom Hirschfilet. Auch Barnabas, der sich inzwischen gesetzt hatte, und Ritter Aetius griffen zu während einer der Diener noch im Saal verblieb und jedem, der es wünschte, von Wein oder Bier nachschenkte.
Allen Speisen war gemein, dass sie von einem Koch zubereitet worden waren der sein Handwerk wohl verstand: Das Fleisch war rosig gebraten oder geschmort, die Beilagen nicht zu matschig, nicht zu roh und das Fruchtkompott war nicht zu süß und nicht zu sauer geraten.
Ob die Gerichte auch jedem Gaumen zusagen mochten, war eine andere Frage...
Finmar lehnte sich beruhigt und ein wenig entspannter zurück. Nun da das Essen auf dem Tisch stand, würden die Gespräche in ein ruhigeres Fahrwasser hinübergleiten und kaum etwas vermochte Streit besser aus dem Wege zu räumen denn ein voller Magen. So nahm er sich vergnügt von den Köstlichkeiten und nickte dabei seinen Tischnachbarn freundlich zu, ihnen bei Bedarf die Schlane anreichend.

Am Kopfende

Während das Essen aufgetragen wurde, wandte sich Biora dem Rabensteiner zu. „Euer Hochgeboren, endlich ergibt sich die Gelegenheit, Euch in aller Form zu begrüßen.“ Sie neigte den Kopf in seine Richtung. „Es ist doch immer wieder erstaunlich, bei welchen Gelegenheiten wir uns treffen. Wie geht es Eurer Frau?“
Lucrann hob grüßend seinen Kelch in Richtung Bioras. „Seid gegrüßt, Hochgeboren. Wahrlich, die Welt ist klein.“ Er stellte den Kelch beiseite – er hatte dem Rebensaft bisher nicht über Gebühr zugesprochen. „Meine Gemahlin weilt zur Zeit als Gast bei Ihrer Hochgeboren von Rodaschquell. Diese begleitete uns auf unserer letzten Reise nach Punin, und die beiden Damen scheint die gegenseitige Gesellschaft sehr zu ergötzen. Ich vermute, sie üben zusammen das Lautespiel. Doch sagt, Hochgeboren, wie geht es euch?“
Die Edle schwelgte in der Geselligkeit, welche nun endlich in diesem Saal Einzug gehalten hatten und konzentrierte sich vorerst auf das Hirschfilet. Dennoch aufmerksam lauschend: Hatte sie nicht irgendwo mal gehört, dass der Rabensteiner mit einer Neidensteinerin vermählt war? Nein, das konnte ja nicht sein. Aber irgendwas, so kam es ihr vor, war da gewesen...
„Besser, je weiter ich im Augenblick von Elenvina entfernt bin, so kommt es mir jedenfalls vor,“ antwortete Biora versonnen. „Sagt, kennt Ihr Leuina von Bilgraten näher, dass Ihr hier zu Gast seid?“
„Der Edle von Wildenberg hat seine Einladung freundlicherweise ausgedehnt. Doch was die Bekanntschaft angeht.“ Er wandte sich zu der Edlen, die zu seiner Rechten saß, und hob grüßend seinen Kelch in ihre Richtung „so hoffe ich, Wohlgeboren, diese Vertiefen zu können.“
Leuina kaute noch genüsslich den letzten Bissen des Filets zu Ende und erhob nun ihrerseits auch den Kelch
„Ich gehe fest davon aus, Hochgeboren!“, sie prostete ihm zu und nahm einen Schluck des gar köstlichen Rebensaftes. Wie immer hatte Finmar eine hervorragende Auswahl getroffen.
„Neben Schlacht und Liebesspiel gibt’s kaum bessere Gelegenheiten, einander wirklich und wahrhaftig kennenzulernen als auf der Jagd!“, sie schenkte Lucrann ein Lächeln obwohl sie wusste, dass es bei ihm kaum auf freundlich Gebiet stoßen würde.
„Wahre Worte, Wohlgeboren. Auf den Krieg, die Liebe und die Jagd.“ Fast funkelte ein verhaltenes Schmunzeln im verbliebenen Auge des alten Barons, als er gleichsam den Kelch hob, seine beiden Tischdamen grüßte und einen Schluck des erstaunlich guten Rebensaftes kostete.
Wieder an Biora gewandt fuhr er fort „Geht ihr mitunter in Rickenhausen auf die Jagd, Hochgeboren?“
Biora wandte sich nun auch der Edlen halb zu, denn dieses Thema würde diese sicher ebenfalls interessieren. „In Rickenhausen gibt es keine allzu ausgedehnten Waldgebiete, vielleicht ist dies der Grund, dass dort nur selten eine große Jagd stattfindet. Und wenn, dann richtet sie mein Vogt, Lordan von Kellenthal, aus, der trotz seines fortgeschrittenen Alters gelegentlich Freude an solcherart 'Kurzweil' äußert. Das letzte Mal ist allerdings schon ein paar Jahre her, und ich weilte zu dieser Zeit außer Landes. - Davon abgesehen liegen meine Vorlieben aber auf anderen Gebieten, wie Ihr Euch sicher denken könnt.“ Sie schmunzelte ein wenig und nahm sich nun endlich ein kleines Stück Lachs. „Aber in Rabenstein wird es ja nun bald eine Jagd geben.“ Das Schmunzeln wurde stärker.
Ein amüsiertes Heben einer Augenbraue war die Antwort auf die letzte Aussage der Geweihten. „Ihr liebäugelt damit?“
Der Baron musterte die angebotenen Speisen und entschied sich dann für die Hirschfilets. Einen Augenblick lang genoß er den Duft, der von der wohlgelungenen Komposition aufstieg.
„Dem werten Pfalzgrafen gedenke ich die Schönheiten meiner Berge und Wälder in kleiner Runde nahezubringen. Doch so Ihr Interesse an der Steinbockjagd hegt, Hochgeboren, Wohlgeboren“ er nickte beiden Damen zu „seid mir im Isenhag willkommen.“
Diese Einladung war bei der Edlen fürwahr an der richtigen Adresse und wenn nicht schon weit vorher ihrer milden und sanften Natur wegen dem Rabensteiner ob seiner indifferenten Aussage zur Anerkennung des Jagdgerichtes vergeben war, dann spätestens jetzt. Ihre Augen glänzten und der Mund zeigte erneut ein überglückliches Lächeln:
„Das wäre zu gütig von Euch, werter Baron! Wisst Ihr: Schon seit wohl Generationen machen die Grenzer unerlaubt Jagd auf das Steinwild. Andergaster und Koscher scheinen die Gehörnten wohl für Reittiere der Hexen zu halten und in ihrer blinden, blut’gen Dummheit machen sie auch vor unseren Grenzen nicht halt. Der letzte Steinbock in Nablafurt wurde von meiner Urgroßmutter gestreckt. Von Herzen gerne!“, ihr Blick fiel zu Wilmibert am anderen Ende des Tisches und wurde...anders. Halb in den erhobenen Weinpokal sprach sie dann, mit Schalk in den Augen und an ihre beiden Nachbarn gewandt:
„Nach unserer Jagd hier werd ich Euch sagen können, ob ich Euch und dem kaiserlichen Vogt bei der bereits ausgemachten Jagd begleiten werde oder ob’s mir lieber wäre, dies Unterfangen im Jahr drauf und ohne den Bregelsaumer anzugehen“ Es war ihren Zuhörern leider nicht genau möglich herauszufinden, ob eine bestehende Zu- oder Abneigung wider den Herrn von Elsternhöh’ bestand. Das wahrscheinlichste war wohl, dass sie es selbst noch nicht wusste.
„Euer Hochgeboren,“ antwortete nun auch mit undeutbarem Gesichtsausdruck die Geweihte der Hesinde auf des Rabensteiners Frage, „ich hege Interesse an vielen Dingen. Wenn es sich einrichten lässt, mag ich Eurer Einladung gerne folgen. Ob das zur selben Zeit sein wird, wenn der Herr von Bregelsaum bei Euch weilt, vermag allerdings auch ich noch nicht zu sagen.“ Sie bedachte Leuina mit einem nachdenklichen Seitenblick.
„Ihr, Wohlgeboren, und Ihr, Hochgeboren, seid mir gern gesehene Jagdgäste.“ Sehr gute Jagdgebiete, wenngleich wenig anderes bis auf die Kontrolle zweier Paßstraßen, bot die vergleichsweise kleine Baronie Rabenstein. Der einäugige Baron wandte neigte sich zur Gastgeberin dieser Jagd.
„Wohlgeboren, ihr spracht von einem Ringkampf zur Firunsmesse. Gibt es für die Forderung eigene Rituale?“
[LEUINA] „Nein“, antwortete sie und schüttelte den Kopf „Nicht so, wie wir es morgen nacht machen werden. Ich möchte keinem der Gäste zumuten, sich mit einem der Gesellen im Staube wälzen zu müssen – wenngleich dies wohl die stärksten, und damit ehrenvollsten, Kontrahenten wären“, ihr Blick huschte die Tafel entlang. Gut, die zwei Hauptleute, Garobald und Anshelm, wiewohl auch der Ritter Aldec mochten es mit dem Jagdmeister Aureus aufnehmen können, doch niemals mit dem Stiere Bernbrecht.
„Mir wäre es wichtig, dass bereits vor dem Dienst die Duellpaarungen feststehen. So wollt Ihr also an der Messe teilnehmen?“, sie blickte zwischen Lucrann hin und her, die Frage war an beide gerichtet.
„Was mich angeht, so würde ich durchaus gerne an dem Firunsdienst teilnehmen,“ erwiderte Biora mit einer gewissen Vorsicht in der Stimme. „Selten nur gibt es dazu die Gelegenheit. Doch legt Eure Wortwahl nahe, dass der Ringkampf ein untrennbarer Bestandteil der Messe ist?“ Die Geweihte war zwar durch aus sportlich, doch handgreiflichen Auseinandersetzungen war sie schon immer aus dem Weg gegangen, was ihr nicht schwergefallen war, kam sie doch eher selten in die Verlegenheit, mit einer solchen konfrontiert zu werden. „Und: wie wörtlich ist 'Ringen' zu nehmen, will sagen, gibt es dabei Regeln, die zu beachten wären, und wenn ja, welche?“
Der Rabensteiner, der zeitgleich mit der Geweihten zu sprechen angesetzt hatte, atmete aus und lehnte sich wieder zurück, die Antwort der Edlen ruhig abwartend.
[LEUINA] „Wie das ehrenwerteste Kräftemessen im Sinne Firuns auch, ist das wesentliche lediglich, dass keine Werkzeuge und Hilfsmittel benutzt werden. Regeln im rondrianischen Sinne gibt es nicht. So mancher Hüne unterlag so schon einem Kinde, nachdem er ordentlich gekratzt oder gebissen wurde!“, bei der Erinnerung an so manche Begebenheit musste sie schmunzeln, ehe sie wieder ernst wurde:
„Und ja, wie ich vorhin bereits sagte: Wer am Dienst teilnehmen möchte, muss sich auch dem firungefälligen Kräftemessen stellen. Zuschauer könnten gerade jene, welche es nicht kennen, nervös machen und sie, im schlimmsten Falle, Hohn und Spott aussetzen. Wenn aber alle anwesenden, gleich welchen Standes, dieselbe Prüfung bestehen mussten, wird es soetwas nicht geben. Prahlerei ist, entgegen vieler Sitten, dem Grimmen ein Dorn im Auge.“ Sie nickte noch einmal bestätigend und etwas grimmig, nahm dann einen Schluck vom Wein und war gespannt, ob Biora und Lucrann sich auf diesen, aus Sicht der „zivilisierteren“ Südländer sehr archaischen, Ritus einlassen würden.
„Die meisten Gläubigen neigen dazu, die Wurzeln der Kirchen zu vergessen.“ Eine gelassene Zustimmung klang in der dunklen Stimme der alten Barons. “Wohlgeboren, ich bin dabei.“
„Ich verstehe“, meinte Biora daraufhin sinnend. „Nun, dann sei es wohl so. Ich werde dann wohl bei Gelegenheit einen Kontrahenten für die Prüfung suchen gehen …“ Ihr Blick schweifte durch den Raum, musterte jeden der Anwesenden nochmals unter diesem ganz besonderen Gesichtspunkt, schien sich aber noch nicht entscheiden zu können und kehrte schließlich wieder zu den Tischnachbarn zurück.
„Es wäre mir eine Ehre mich beim Ringen mit Euch messen zu dürfen, Hochgeboren Biora“ mischte sich der Vogt ins Gespräch ein. „Ich durfte zwar die Ausbildung eines Kriegers genießen, an der Hohen Schule der Kriegskunst gehörte das Ringen allerdings nicht dazu, sodass ich euch gute Chancen auf den Sieg versprechen kann“, mit diesen Worten prostete Melcher Biora erneut zu.
Diese zögerte kurz mit ihrer Antwort, doch die kurze Zeitspanne reichte schon aus, dass die Gastgeberin zuerst das Wort ergriff.
[LEUINA] Mit hochgezogener Augenbraue bedachte die Edle das Vorsprengen des Vogtes.
„Herr Vogt“, begann sie und allein dem Klang ihrer Stimme war zu entnehmen, dass Melcher das ihm gebührende Maß an Nachsicht am heutigen Tage längst erfüllt hatte und nun darüber hinweg war. „Es entspricht dem Verhalten eines ehrbaren Kämpfers, dass er dem weniger geübten Kämpfer die Wahl des Kontrahenten lässt. In Elenvina sollte man versucht haben, Euch dieses beizubringen. Meine Frage daher an Euch: Habt Ihr in dieser Lehrstunde gefehlt oder ist es Euch schlichtweg egal, dass Ihr Euch auf solche Art und Weise der hochgeborenen Hochwürden anbiedert?“
Niemand achtete wohl in diesem Augenblick auf die Geweihte der Hesinde, die plötzlich gar nicht mehr amüsiert aussah, sondern im Gegenteil eher so, als plage sie ein plötzlicher Zahnschmerz, während sie beobachtete, dass das Gesicht des Vogts bei Leuinas Worten zunehmend rot anlief. Dennoch hielt sie sich zurück und ließ den Vogt sprechen.
Was dachte sich diese...diese "Jägerin" wen sie vor sich hatte? Es war an der Zeit die Defensive zu verlassen, die Deckung zu unterlaufen und einen Treffer zu landen. Zornerfüllt wandte sich der Blick Melcher Sigismunds' von Ibenburg in Richtung der Edlen Leuina von Bilgraten. Er erhob sich ruckartig von der Tafel und stütze sich mit beiden Händen, über dieselbe gebeugt, ab. "Werte Leuina!", man spürte letzte Züge von Selbstbeherrschung in Melchers Stimme, die mit jedem Wort, mehr und mehr einem Zustand starker emotionaler Erregung mit aggressiver Tendenz wich. "Ihr dürft es gerne meinem Ermessen überlassen, wem ich meine Aufmerksamkeit, anbiedern wie es in eurem Sprachgebrauch wohl genannt wird, zukommen lasse". Schnippisch fuhr der Vogt fort, „Mir ward nicht gewahr, dass wir uns hier auf einem Schlachtfeld befinden, wo es gilt die Regeln des Kampfes der göttlichen Leuin zum Wohlgefallen, einzuhalten. Euren Tadel werde ich Euch jedoch großmütig nachsehen, denn" der Vogt streckte seine linke Hand mit der Innenfläche in Richtung der Edlen, gerade so als wolle er sie höflich bitten nicht aufzustehen. "Großmut ist Edelmut mit Selbstbesiegung, dass hat man mich an der Hohen Schule der Kriegskunst gelehrt die, und um Eure Unwissenheit zu beseitigen, diese im schönen Eslamsgrund gen Sonnenaufgang liegt und nicht wie von Euch vermutet im herzoglichen Elenvina. Mir scheint - tänzeln wie ein Schmetterling, aber stechen wie ein Biene - war der Leitspruch der Amme, die Euch erzogen hat?" Nach einer kurzen Pause sprach Melcher nicht weniger erzürnt über die Bloßstellung weiter "Sollte es die Ehre Ihrer Hochgeboren Biora von Rickenhausen wieder herstellen und so es die Würde dieser Tafel, dieser Hohen Halle und die der Edlen Gastgeberin zulässt, werde ich Euch Leuina Praiolind von Bilgraten, Rittfrau zu Nablafurt zum regelfreien Ringkampf fordern um am Dienste für den heil'gen und grimmigen Herrn Firun teilzunehmen.
Der Rabensteiner hatte seine Fingerspitzen locker gegeneinandergestützt und lauschte dem Ausbruch von Vogt und Edler gleichermaßen.
„Wie bedauerlich, Hochgeboren, doch wird Ihre Wohlgeboren den Kampf während der Firunsmesse mit mir bestreiten.“ Gelassen und ruhig war seine dunkle Stimme und ließ dennoch keinen Handbreit Weg für den aufgergeten Vogt. Er wandte sich an Leuina. „Gewährt Ihr mir die Ehre, Von Bilgraten?“
Biora fiel es sichtlich schwer, sich zurückzuhalten, zumal nun auch noch Barnabas und Garobald Anstalten machten, übereinander herzufallen, wenn sie den letzten Ausbruch der beiden richtig gedeutet hatte, wenn sie auch nicht verfolgt hatte, wie es dazu gekommen war, doch hatten sowohl der Vogt als auch Lucrann die Gastgeberin direkt angesprochen, insofern gebührte ihr sozusagen das Recht der ersten Antwort.

Unterdessen an der Tafelmitte

[AETIUS] Ritter Aetius, der sich zur Vorspeise erst den geräucherten Lachs einverleibte, nutzte nun seinerseits die Gelegenheit und sprach den gräflichen Vogt an:
„Hochgeborener Herr Vogt, wenn Ihr erlaubt: Wo ward Ihr denn zuletzt auf einer Jagd geladen? Mir scheint, unsere Sitten unterscheiden sich gar sehr von jenen, welche Ihr bereits kennt...“
Er hatte etwas versöhnliches in der Stimme.
„Nun, Ritter Aetius,“ Melcher schluckte gerade noch den letzten Bissen herunter, „ich muss Euch gestehen, dass diese meine erste Jagd ist, wir haben zwar in der Grafenmark auch einige Wälder, aber bisher haben es meine Aufgaben in der Mark nicht erlaubt mehrere Tage vom Hofe des Grafen entfernt zu bleiben. Ihr wisst doch bestimmt wie das ist, eine Versammlung hier, eine Zusammenkunft dort, dann wieder Ausritte in die Grafenmark, diesen Ortsvorsteher plagt dieses Wehwehchen, den Zunftmeister ein anders, ich wünsche mir ein manches mal so ein ungezwungen Leben wir Ihr hier oben zu führen. Melcher Sigismund stopfte sich hastig den nächsten Bissen Lachs, den er während er mit dem Ritter sprach schon mehrfach genüsslich in der Dill-Knoblauch Soße gewendet hatte, in den Mund und sprach schmatzend weiter. „Ich übe mich, zumeist in den Abendstunden, mit dem Schwerte und dem Garadan Spiel auch wenn es gerade bei letzterem auf Burg Bergheim keine Gegner für mich zu geben scheint.“ „Vortrefflich dieser Lachs“. „Beim Ort Erzenschöff in der Mark soll es einen Wald geben den ich mir nach meiner Rückkehr einmal anschauen sollte.“ Meinte Melcher wohl mehr zu sich selbst als zu Aetius.
Der Ritter, der sonst eher ein Mann der deutlichen und barschen Mimiken war, ließ sich bei der eingänglichen Äußerung des Vogtes zu einer hochgezogenen Augenbraue hinreissen. Dass er sich an dem Gehörten nicht verschluckte lag auch nur daran, dass er gerade keinen Bissen im Munde hatte. Der war noch niemals auf einer Jagd gewesen? Wie konnte denn das angehen? Und was fiel dem Landgrafen ein, einen solchen Laien und Diletanten zur heiligen Jarlaksjagd nach Nablafurt zu schicken? War der Alte jetzt vollständig irre geworden?
Diese Gedanken blieben jedoch fest hinter seiner Stirn verschlossen, immerhin war er Ritter und irgendwie musste er sich ja von den Jägern hier unterscheiden, wenn diese schon mit Schwertern herumlaufen und mit Duellforderungen drohen durften.
„Er stammt direkt hier aus der Nabla. Zum Laichen ziehen sie die Lachse hier hoch, eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan...“, kommentierte er wie beiläufig das Lob des Vogtes und tat sich vom Schinken auf.
„Falls Ihr einen würdigen Gegner sucht: Seine Gnaden Bartolos ließ sich wohl zum neunten Tsatag ein Garadan-Spiel schenken, nachdem ihm Rote und Weiße Kamele zu langweilig geworden war. Ich bin selbst kein guter Spieler und ich kenne Eure Fähigkeiten nicht, doch der Lichtbringer sucht immer nach neuen Herausforderungen. Er wird wohl der beste Spieler der Baronie sein. Sprecht ihn ruhig bei Gelegenheit drauf an. Er wird’s nich zugeben und erstrecht nich zeigen, so sind die Praioten halt, aber er würde sich gewiss darüber freuen.“
Biora horchte auf bei diesen Worten des Ritters. „Ein Geweihter des Herrn Praios übt sich im hesindegefälligen Spiel, das ist ihm hoch anzurechnen.“ Sie zwinkerte dem Vogt zu. „Jetzt können wir ja schon fast ein Turnier auf die Beine stellen, vielleicht findet sich ja noch ein weiterer Interessent oder auch mehrere?“ Ihr Blick glitt wie zufällig zum Rabensteiner hinüber.
Der Bemerkte ihren Blick, fing ihn für einen Lidschlag lang, nickte kaum merklich und widmete sich wieder den exzellenten Hirschbraten.
„Sehr gerne, Hochwürden Biora“, erwiderte der Vogt, „aber es wäre mir auch ein Spiel in trauter Zweisamkeit recht“.
„Wie es sich ergibt, Euer Hochgeboren, wie es sich ergibt.“ Biora lächelte ein wenig hintergründig und wandte sich dem Ritter zu. „Sagt, werter Aetius, wird seine Gnaden Bartolos uns überhaupt auf die Jagd begleiten?“
Genüsslich kaute der gestandene Ritter das Stück seiner Rehkeule, welcher er sich zwischenzeitlich aufgetan hatte, zu Ende ehe er der Hesindegeweihten Antwort gab. Dem Blick, mit welcher er Biora bedachte, wohnte dank der leicht flackernden Beleuchtung im Saal ein eigentümliches Feuer inne, welches mit dem Laubgrün seiner Augen um die Herrschaft zu ringen schien. Offenbar war dem Ritter die wohlgefällige Erscheinung der Geweihten ebenfalls nicht entgangen.
„Für gewöhnlich bleibt er den Jagden fern. Bei dieser aber wird er uns zur Koschwacht begleiten“, sein Blick fiel kurz auf die Edle und etwas leiser fügte er hinzu: „Was höchst ungewöhnlich ist.“
Biora hob eine Augenbraue und senkte ebenfalls die Stimme. „Sosehr mich die Aussicht auf ein Garadan-Spiel mit seiner Gnaden erfreut: was könnte denn der Grund sein für seine überraschende Begleitung der Jagdgesellschaft? Verzeiht, aber die Neugier liegt mir im Blut.“ Die Geweihte lächelte ein wenig schelmisch. „Ihr müsst mir natürlich nicht antworten, wenn es um intime Angelegenheiten geht.“ Mittlerweile war sie beim Hirsch angekommen, wer sie beobachtete, konnte ohne weiteres erkennen, dass es ihr ganz vorzüglich mundete.
Ein Platz in der Nähe Bioras war üblicherweise zweierlei: kurzweilig – und geruhsam. Trefflich vermied der Umstand es, selbst zu sehr in ein Gespräch gezogen zu werden. Einmal losgelassen, vermochte kaum etwas die Geweihte der Hesinde zu bremsen. Lucrann bediente sich von der – trefflich zubereiteten – Rehkeule und genoß die Zuschauerposition.
Aetius, dem es augenscheinlich sehr gefiel, das Interesse der Geweihten auf elegante Art erlangt zu haben, antwortete mit ebenfalls gesenkter Stimme:
„Es war der ausdrückliche Wunsch Ihrer Wohlgeboren“, sein Blick fiel auf die Edle, welche zwar direkt neben ihm saß aber seine Worte zu dulden schien. Weshalb auch nicht? Er sprach ja die Wahrheit.
„Seine Gnaden versteht es zwar nicht, doch ihr Instinkt trügt sie nur selten. Und diesem folgend wies sie ihn wohl an, mit zur Koschwacht zu kommen. Denn das letzte Mal, als sie ihn Sitte und Anstand halber ignorierte, war am Fürstenhofe im Kosch als sie aufspringen und der Fürstin Mutter den Kelch aus der Hand schlagen wollte...“ seine Mimik hatte etwas verschwörerisches bekommen während er gesprochen hatte. Nun ließ er die Worte kurz wirken und schenkte Biora sogleich ein charmantes Lächeln.
„Ich verstehe.“ Biora erwiderte das Lächeln, offenbar durchaus angetan von der Aufmerksamkeit des Ritters, und fuhr dann mit noch leiserer Stimme fort: „Dann sollte ich die Edle wohl selbst danach fragen ...“ Sie ließ den Satz ausklingen, als ob sie Aetius die Gelegenheit geben wollte zu widersprechen, falls dieser dies für keine gute Idee hielt.

Der Jäger auf Fallenjagd

An der Tafelmitte rutschte der älteste der Waidgesellen etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Sein Blick wanderte von seinen Nachbarn, Anshelm von Bollstieg und Aldec von Bregelsaum-Streitzig, zu den Herren gegenüber, welche waren der Fischwachttaler, Finmar und der kaiserliche Vogt. Vor sich hatte er einen kleinen Berg aus Braten, Würstchen und Rüben und hätte wohl noch weit mehr genommen, wenn die Herrschaften nicht alle so furchtbar adlig gewesen wären. Immerhin den Finmar kannte er nicht einmal schlecht, war dieser doch oftmals zu Gast auf Furtwacht gewesen. Und weil Barnabas dem Wein schon zugesprochen hatte und fürchtete, seine Aufregung und Unsicherheit stünde ihm als unübersehbarer Schild auf der Stirn, platzte er mit der ihm drängendsten Frage hinaus um seine Aufregung zu überspielen:
„Sagt einmal, Wohlgeboren, wenn Ihr erlaubt...“, begann er an Finmar gerichtet und nicht einmal leise
„Ist es eigentlich wahr, dass Euer Herr Vater das Glück hatte, auf firungefällige Art und Weise sein Leben geben zu dürfen?“ Für ihn als Jäger war dies wohl die höchste Auszeichnung, die er am Ende seines Lebens wohl erhalten mochte und absolut erstrebenswert. So schaute er Finmar erwartungsvoll an. Ihm war deutlich anzusehen, dass er glaubte, diesem einen großen Gefallen getan zu haben, indem er den ehrbaren Tode seines Vaters hier an dieser Tafel zur Sprache brachte. Und leider war auch niemand in der Nähe, der gut genug informiert war und ihm einen Tritt unter dem Tisch verpassen konnte.
Finmars Magen gefror zu Eis, während er tief Luft holte. Wahrscheinlich war der Jagdbursche völlig uninformiert, sonst hätte er diese Frage nicht gestellt. Auch musste man ihm zugute halten, dass die Wildenberger die Umstände des Todes des Vaters nicht an die große Glocke gehängt hatten, genauso wenig wie Finmar selbst seine letzte große Jagd jemandem offenbart hatte. Dennoch bedurfte es einiger Sandkörnlein, bis sich der junge Mann weit genug gefasst hatte, dass er dem Waidmann antworten konnte: „Mein Vater wurde von der eigenen Meute zerfleischt, dieweil er auf seinem Pferde saß. Dies ist meines Erachtens nicht einmal für Wild eine firungefällige Art zu sterben.“ Finmars Stimme war leiser als gewöhnlich und unbewegt und in seinen Augen wie seiner Haltung lag die Ruhe von jemandem, der endlich mit der Vergangenheit abgeschlossen hat. Und wenn er es recht besah, hatte er dies tatsächlich. Auf Burg Wildenberg ruhte in einer kleinen Schachtel, auf Samt gebettet, ein flacher Stein, eine letzte Erinnerung an ein mehr denn halbes Leben in Schuld.
Aldec von Bregelsaum-Streitzig verschluckte sich und musste ein Becher des Weines hinunterspühlen.

Zu weit, um selbst auf irgendeine Weise reagieren zu können, zogen sich die Brauen des Rabensteiners angesichts dieser Worte zusammen. Kurz und forschend streifte sein Blick das Objekt der allgemeinen Diskussion, um zu sehen, wie Finmar diese Worte aufnehmen würde. Doch hatte der junge Mann den impulsiven Jungen hinter sich gelassen – hoffte der alte Baron.
Gerade noch hatte sich Garobald vor allem auf seinen Teller konzentriert, wo sich Rehkeule, Rüben und Maronen Gesellschaft leisteten. Dann ruckte sein Kopf ruckte hoch als er die unbedarften Worte Barnabas vernahm. Nachdenklich betrachtete er den jungen Waidgesellen, was hatte er sich nur dabei gedacht? Seine Aufmerksamkeit dem angesprochenen Finmar zuwendend, lehnte er sich ein wenig auf seinem Stuhl zurück.
Die Worte seines Gegenübers führten bei Barnabas zu offensichtlicher Verwirrung. Es arbeitete hinter seiner Stirn auf Hochtouren während er versuchte sich vorzustellen, wie es möglich sei dass man auf seinem Pferde von einer Hundemeute zerfleischt werden konnte. Dass der Edle von Wildenberg eine Meute gemeint haben könnte, die nicht aus Hunden bestand, überforderte den Jäger jedoch. Aus was sollte auch sonst eine Meute bestehen? Jägersblut floss in seinen Adern, nichts anderes kannte er. Sprach einer von ‚Schweiß’, so hatte er gleich Blut vor Augen. Und auch bei ‚Lichtern’ konnte er nicht anders als sofort an die Augen vom Reh zu denken. Bei den meisten Begriffen wusste er wohl, dass sie von Niederen, von Uneingeweihten, auch für andere Dinge gebraucht wurden. Aber Meute? Noch dazu eine, die zerfetzt? Das konnten ja nur Hunde sein! Aber was für welche? Sicherlich irgendeine Dienerschaft des Ehrlosen Jägers. Er wurde etwas blass um die Nase.
Obwohl seine unbedarften Worte etwas anderes vermuten ließen, war er jedoch nicht dumm oder gar einfältig. Und er hatte auch den Blick seines Nachbarn Garobald bemerkt und auch den Seiner Gnaden Bartolos, dem diese Konversation ebenso nicht entgangen war. Und so war er zwar nicht ganz sicher weshalb, beschied aber für sich, dass es wohl besser sei, es dabei zu belassen.
„Hmm, achso, ja....da habt Ihr wohl recht...“, knurrte er deshalb etwas verlegen, wie es seine Art war und konzentrierte sich wieder auf seinen Teller.

Wenngleich Anselm den Gesprächen um ihn herum nur beiläufig lauschte – wie sein Gegenüber Garobald hatte er sich zunächst dem reichhaltigen Aufgebot auf dem Tische zugewandt – entging auch ihm der Moment der Stille nicht, der sich um Finmar herum ausbreitete. Da ihn zwar der wesentliche Inhalt von Finmars Aussage erreichte, nicht jedoch die mitschwingenden Emotionen, gewann in ihm der Drang der Neugier Oberhand, eine aufkeimende Frage auszusprechen. „Von der eigenen Meute zerfleischt…“ widerholte er murmelnd, mehr zu sich selbst. Dann blickte er den ihm schräg gegenüber sitzenden Ritter direkt an und sprach etwas lauter: „Verzeiht, werter Finmar, aber diese Beschreibung zeichnet das Bild eines sehr ungewöhnlichen Jagdunfalles. Mögt Ihr diese Begebenheit nicht noch ein wenig näher beleuchten?“ Erst, nachdem der Edle es ausgesprochen hatte, kam ihm so recht ins Bewusstsein, dass es der Tod des Vaters seines Gegenübers war, dessen Umstände ihn gerade neugierig gemacht hatten und er biss sich auf die Unterlippe.
Die sichtbare Unsicherheit des Waidmannes ließ das Eis schmelzen. Der Kerl konnte ja nichts dafür, dass er derartig ins Fettnäpfchen getreten war. So huschte über das Gesicht Finmars ein wehmütiges Lächeln, während er sachte nickte: „Wir nahmen damals an einer Hatz teil. Eigentlich war ich zu jung für Derartiges, aber einer der engsten Gefolgsleute meines Vaters hatte angeboten, mich hinter sich aufs Pferd zu nehmen und mein Vater hatte eingewilligt.
Im dichten Wald hatten sich die einzelnen Jagdgesellschaften verstreut und da die Finder bereits unterwegs waren und es nur noch eine Frage von Herzschlägen schien, bis die Hatz ansetzte, hatten wir uns an einem Wasserfall gesammelt und die Hunde losgemacht.
Einer der Verwalter meines Vaters, sein Name tut nichts mehr zur Sache, hatte wohl meinem Vater ein Artefakt zugespielt, welches dieser am Körper trug, als firungefälliger Phexbringer getarnt. Dieses Artefakt verströmte auf Befehl des Verwalters einen Duft, wohl dem Schweiß eines Fuchses vergleichbar. Wie auch immer. Der Geruch bewirkte, dass sich die Hunde auf meinen Vater stürzten und ihn, noch auf dem Pferd sitzend, töteten.“ Finmar atmete ein und horchte in sich hinein. Verblüfft stellte er fest, dass er über die Ereignisse berichten konnte, ohne dass ihn die Gefühle überwältigten. Unbewusst hob er die Hand an die Brust und fasste durch das Leinenhemd hindurch das Lederbeutelchen, welches an einer Schnur um seinen Hals hing.
„Bei Praios und Firun!“, entfuhr er Aldec von Bregelsaum-Streizig, der wie gebannt zuzuhören schien. Man sah im den Schauder der Verachtung förmlich an. „War ein böses Machwerk!“

Ein Artefakt, welches das Blut, die Waidleute nennen es Schweiß, eines Fuchses nachahmte? Anselm blickte stutzig. Das klang in seinen Ohren doch sehr frevelhaft. Das Blut eines Fuchses, selbst wenn es nur imitiert war, war etwas Heiliges und das beschriebene Ereignis fühlte sich so gar nicht nach etwas Heiligem an. Eine Frage brannte ihm deswegen auf der Zunge, also beugte sich Anselm zu Finmar hinüber. „So nehme ich an, dass jener Verwalter für seine schändliche Tat zur Rechenschaft gezogen wurde vor weltlichem und geistlichem Gericht?“

Das war beileibe kein Thema was man bei Tische besprach. Allerdings war es an Finmar zu entscheiden wie er mit den Fragen von Barnabas und Anselm umgehen wolle. Garobald war überrascht wie ruhig Finmar wirkte, scheinbar hatte dieser seinen Frieden gemacht. Wenigstens einer der seine Dämonen besiegen konnte, dachte Garobald, wusste er doch wie sich der Verlust einer geliebten Person auf einen auswirken konnte. Unbewusst rief er sich damit den Tod seines ersten Schwertvaters ins Gedächtnis. Die Miene Garobalds nahm einen abwesenden Ausdruck an als er von einer Welle längst verdrängter Bilder überrollt wurde…

Finmar ließ sich mit der Antwort Zeit. Bilder der letzten Wochen jagten vor seinen Augen dahin. Lange hatte er nach dem Mann gespürt, dessen Werk so lange sein Leben überschattet hatte. Dann endlich, vor nicht mal zwei Monden, hatte er endlich eine handfeste Spur gefunden. Der Weg von dort aus war vergleichsweise einfach gewesen: Sein Besuch im Puniner Borontempel, die Reise nach Elenvina, sein kurzer Besuch in Tannwirk, von wo aus er einen Geweihten des Firun aufgesucht hatte, und dann seine einsame Jagd als Gesandter zweier Götter und Lehnsherr, an deren Ende er vom Duell zu Tode erschöpft und innerlich wund mitten im Walde zwei volle Tage gelegen hatte, bis er die Kraft fand, den Toten Boron zu überantworten und selbst ins Leben zurückzukehren. Die letzten Wochen hatte er eigenhändig den kleinen Firunschrein auf seinem Lehen wieder aufgerichtet und ihn in ein Schmuckstück verwandelt, welches dem Gott zur Ehre gereichte. Endlich blickte er auf, in die Gesichter der Tischnachbarn und nickte leicht: „Er musste sich vor den Göttern und seinem Lehnsherrn verantworten und die gerechte Strafe für seine Tat empfangen. Und er wurde nicht allein von Stahl gerichtet.“ Wieder blickte er in sich hinein auf die dampfende Lichtung, auf der er mit dem Vatermörder die Klinge gekreuzt hatte, beobachtete noch einmal wie aus dem Hintergrund hinaus, wie der Mann an seiner Klinge abrutschte, das rot verschmierte Eisen und den Blick freigab hin zu dem Wasserfall und auf den schneeweißen Hirsch, der ruhig direkt in seine Augen starrte, während sich Finmars eigener Blick trübte und sein Körper sich freudig in die Arme der Erschöpfung warf.
Von der Antwort zufriedengestellt nickte Anselm. „So konnte die Seele Eures Vaters also Frieden finden. Erlaubt Ihr mir, mit Euch auf ihn anzustoßen?“ Er hob den Weinkelch.
Auch Aldec nickte: „Wohl gesprochen!“, und hob ebenfalls den Humpen.
Roklan war während der Gespräche recht still gewesen. Nicht nur Finmar wurde von wenig glücklichen Erinnerungen gebeutelt – die Erzählung des Edlen von Wildenberg rührte auch in des Galebquellers Seele und ließ ihn seines Großvaters und seines Vaters gedenken. Doch war es wirklich nur seine eigene Unruhe, die der junge Baron spürte? Roklan umklammerte seinen Bierhumpen, den er bisher eher wenig angerührt hatte. Es war vielmehr, als sei das Metall unter seinen langen Fingern ein Anker – ein Anker, der ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholte, zurück aus einem fremden Bewusstsein?

...Ein zwölfjähriger Garobald blickt hinab auf den sterbenden Söldling, der ihn immer noch ungläubig anstarrte. Tränen liefen über das Gesicht des jungen Knappen als er dem Söldner sein Knappenschwert, dass er erst vor ein paar Monden bekommen hatte, aus der Brust zog. Der junge Waffenknecht Rupo, zerrte ihn von dem Söldner weg und redete wild auf ihn ein. „Erlaubt Ihr mir, mit Euch auf ihn anzustoßen?“ Moment, das war nicht die Stimme von Rupo! Garobald blinzelte und plötzlich war er nicht mehr in Tobrien sondern in der Feierhalle von Furtwacht. Sein Blick flog von Finmar zu Barnabas und dann zu Anselm.

Der Geselle war dem Gespräch weiter neugierig gefolgt, ohne jedoch erneut etwas zur Sache sagen zu wollen. Jeder seiner Gedanken kreiste um den Widersacher Firuns, dem größten Feind eines jeden aufrechten Jägers. Und gerade für diese waren sie eine große Gefahr. Bereits den Pagen brachte man bei, ihrem Instinkt zu folgen, ihm zu vertrauen und im Zweifel Vorzug vorm Verstand zu geben – denn der Verstand eines Menschen konnte das Verhalten der Tiere nicht zur Gänze verstehen. Und gerade dort lag die Gefahr: Eine Suche nicht beenden zu können, eine Jagd nicht aufzugeben obwohl der Kopf wusste, wie sinnlos sie wäre. Ein gefährlicher Zwiespalt tat sich da auf und mancher der Grünröcke war auf diese Weise schnell auf falsche Pfade gelockt worden und fand sich irgendwann zu Mitternacht in Schluchten wieder, sieben verfluchte Spitzen auf sieben verfluchte Schäfte bindend. Ein Schauer lief über den Rücken des Waidgesellen.
„Vor seinen Lehnsherren verantworten...“, wiederholte er etwas abwesend die Worte Finmars und war auf der Stelle wieder im Hier und Jetzt.
„Hochgeboren von Fischwachttal, hattet Ihr nun schon Gelegenheit, meine Ehrlichkeit und mein Recht, für meine Ehre selbst zu streiten, zu überprüfen?“, fragte er frei raus und hatte sogar, eher unbeabsichtigt, die Stimme mehr erhoben als er es vorgehabt hatte. Es mochte zwar sein, dass der Anlass der Sache selbst sehr gering war, doch hatte Garobald ihn fast mehr dadurch beleidigt, dass er ihm nicht auf der Stelle Glauben geschenkt hatte. So drückte er stolz seine Brust heraus und schaute mit festem Blick in die Richtung des Edlen.

Der Edle erwiderte den Blick des Waidgesellen und nickte. „Ja, ich hatte die Möglichkeit die Angelegenheit mit Ihrer Wohlgeboren zu besprechen.“ Garobald straffte sich. In ruhigem, fast schon feierlichem Ton fuhr er fort. „Waidgeselle Barnabas Deringer, hiermit entschuldige ich mich dafür, Eurer Wort angezweifelt zu haben. Die alten Traditionen die hier noch immer gepflegt werden waren mir nicht geläufig.“ Aufmerksam blickte Garobald in Barnabas Gesicht und wartete auf seine Reaktion.
Melcher verfolgte das Gespräch, das sich schräg gegenüber von seinem Sitzplatz abspielte, gespannt.
Roklan, seine Augen mittlerweile geöffnet, war nun gefangen von diesem Moment. Was geschah denn nun hier, bei der heiligen Herrin Hesinde?!

Der Waidgeselle genoss seine Position in allen Zügen, zeigte aber nichts davon. Und es war ein guter Schauspieler an ihm verloren gegangen, sodass seine folgenden Worte in ihrer Schärfe und Ernsthaftigkeit überzeugend wirkten:
„Nun, Hochgeboren. Ich danke Euch für Eure Mühen, die Ihr meiner unterstellten Unehrlichkeit halber unternommen habt. Nun stellt Euch einmal vor, ich wäre als Gast auf Eures Bruders Hof geritten und Ihr hättet mich dort in Empfang genommen. Und dort hätte ich Euch nicht nur unter der Würde Eures Standes angeredet sondern, nachdem Ihr gewiss auf Eure Verwandtschaft zum Herrn Baron hingewiesen hättet, diese Wahrheit in Frage gestellt, Euch indirekt Lügner geschimpft und mir erst vom Baron bestätigen lassen müssen, dass Ihr seid wer Ihr seid.“, Garobald mochte sich an dieser Stelle von den himmelblauen Augen des Waidgesellen durchbohrt fühlen, dessen Stimme an Lautstärke ein wenig zugenommen hatte sodass jeder im Saal in hören musste
„Hättet Ihr dann eine einfache Entschuldigung akzeptiert? Hättet Ihr es dann dabei belassen? Verständnis dafür gehabt, dass ich mich mit den Gepflogenheiten und Wappen, welche im Lande meines Gastgebers herrschen, nicht auskannte und auch keine Anstalten gemacht habe, diese im Vorfeld herauszufinden?“ Ein aggressives Zucken hatte von seinem linken Auge Besitz ergriffen. Ja, so ein großartiger Schauspieler war dieser Barnabas, dass selbst sein Körper im auf Befehl gehorchte und dem Zorn seiner Stimme Wahrheit verlieh
„Oder hättet Ihr nicht viel eher den Wunsch gehabt, viel mehr noch die Pflicht Eurem Stande gegenüber, Euren Ehrenschild rein zu waschen von dieser Befleckung? Rein zu waschen mit dem Blute Eures Gegners, der Euch schändliche Lügen schimpfte?“ Oh, dieser Barnabas! Wenn er in Vinsalt zur Welt gekommen wäre, er wäre reich und berühmt geworden als der wohl größte Darsteller der Theatergeschichte!
Der Waidgeselle ergötzte sich noch einen Moment in der Aufmerksamkeit und dem Gesicht seines Gegenübers. Dann machte sich ein breites Lächeln breit und er fing lautschallend an zu lachen:
„Ach, Hochgeboren! Einen Spaß mach’ ich mit Euch, verzeiht! Natürlich entschuldige ich Euch, Euch sei verziehen! Wir sind nicht auf Jagd, da muss man lustig sein und nicht immer so bierernst“, sein Blick fiel kurz auf den Praiosgeweihten, dessen Gesicht im Laufe dieser Rede immer röter geworden war. Kurz blickte er dann in die Reihen seiner anderen Zuhörer. Wo war sein Applaus?
„Hört, hört,“ fiel Anselm ein. „Haben wir hier bereits Euren Widerpart für den morgigen Ringkampf zu Ehren des grimmen Jägers, verehrter Garobald?“ zwinkerte er dem Bösalbentrutzer zu.

Eine klatschende Maulschelle traf Barnabas im Gesicht. Dieser, von der Reaktion des Edlen zwar überrascht, zeigte keinerlei Anstalten, den aufkommenden Schmerz in seinem Gesicht in irgendeiner Weise zum Ausdruck zu bringen.
Der Edle von Fischwachttal stand, die Fäuste auf den Tisch gestützt, über den Tisch gelehnt da und durchbohrte Barnabas mit seinem Blick. „Ich reichte Ihm die Hand in Freundschaft und Er hat nichts Besseres zu tun als Seinen Spott mit mir zu treiben?“ In den Augen des Edlen blitzte es gefährlich:“ Barnabas Deringer, hiermit ziehe ich meine Entschuldigung zurück.“ Die Worte waren leise aber dennoch für jedermann verständlich und mit eiseskalter Stimme gesprochen worden. Garobald richtete sich wieder auf und nahm die Hände vom Tisch: „Werte Leuina, Ihr solltet eurem Waidgesellen einmal in Erinnerung rufen, dass man auf eine Entschuldigung nicht mit Witzeleien reagiert.“
Er lies sich wieder auf seinen Stuhl fallen und blickte mürrisch in die Runde. Bei Rondra, er war kurz davor gewesen den Jungen über den Tisch zu ziehen und ihm eine Tracht Prügel zu verpassen, die dieser nie mehr vergessen hätte.
Kurz sah er hinüber zu Anselm: „Nein, ich werde nicht mit ihm ringen. Dieses Recht hat er verwirkt.“
Anselm, dem das Grinsen während Garobalds harscher Reaktion im Gesicht gefroren war, nickte nur ernst. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Weinkelch. Insgeheim fragte er sich dabei, welchen der drei Tischgenossen, Garobald, Barnabas oder Finmar, er sich für das firungefällige Kräftemessen auswählen würde. Ohne Zweifel würde es auf einen von ihnen hinauslaufen, wenn er die Wahl hatte.
Finmar war ebenfalls erstarrt. Warum, so fragte er sich, nahmen die Gespräche eigentlich nie einen harmlosen Verlauf? Hatte es etwas mit der Anzahl der anwesenden Edlen zu tun oder den Strapazen der Reise? Warum konnten sich mehr als drei Edle eigentlich niemals treffen, ohne dass es zu irgendwelchen Verwicklungen kam? Das schien seiner Erfahrung nach ein geradezu ehernes Gesetz zu sein.

Roklan war erstarrt, seine Hände umkrampften seinen metallischen Humpen. Sollte hier nicht Firuns Geist wehen – und damit auch Seine Selbstbeherrschung? Sein Mund stand offen, wie zu einer Antwort, Erwiderung, irgendetwas – doch bevor noch ein Laut sich seiner Kehle entringen konnte, durchbrach eine durchdringende Stimme die Unruhe.
Während sich der Waidgeselle langsam erhob, klang durchdringend und klar die Stimme des Praiosgeweihten:
„Nicht, Barnabas...!“
Der Unterton Bartolos’ dabei war jedoch wenig hoffnungsvoll. Beiderseitig war Stolz verletzt worden und spätestens jetzt in einem Maße, dass sobald weder Vernunft noch Versöhnung Einzug halten würden.
Barnabas indes, dessen linkes Auge bereits anschwoll von der heftigen Ohrfeige seines Gegenübers, konnte von Glück, oder Pech?, reden, dass seine Herrin gerade mit anderen Duellforderungen beschäftigt war und nicht sogleich eingreifen konnte. So sprach er dann mit klarer Stimme, ruhig war sein Blick und kalt – der Zorn eines Jägers war grimmig, niemals aufgeregt.
„Du schimpfst mich einen Lügner und nun schlägst du einen ehr- und streitbaren Gesellen der Jagd ins Gesicht, weil du anders dein Mütchen nicht zu kühlen und darüber auch keinen Scherz verstehst? Dann will ich dich solange einen feigen Hund schimpfen und nennen, bis du mir auf dem Platze mit dem Speer bewiesen hast, dass du deines Standes würdig, feiger Hund!“
Jetzt hatten die Streithähne nun endlich die Aufmerksamkeit der Edlen erlangt. Diese schien jedoch noch nicht unmittelbar eingreifen zu wollen, zumal sie den Streit nicht zur Gänze mitverfolgt hatte und weder ihrem Gast noch ihrem treuen Jäger Unrecht antun wollte. Ihr Blick war todernst und spätestens bei der Nennung des Speeres als Waffe für die ‚Übung’ erblasste sie ein Stück weit.
Bartolos indes stöhnte auf und verdrehte genervt die Augen. Wie gut, dass sich alle hier seine Worte zu den überschwänglichen Leidenschaften in einem Schreine des Grimmen zu Herzen genommen hatten. Aber so ging es dann aus, wenn die unbedarften Leichtgläubigen, deren Verstand schon lange nicht mehr ihre Taten regierte, die Worte der Lichtbringer ignorierten.

Was erlaubte sich dieser Hundsfott, ihn einen Feigling zu heißen. Garobald kochte innerlich und dann forderte der freche Kerl auch noch das Recht der Waffenwahl für sich selbst ein. Am liebsten hätte er ihm den Kopf abgerissen. Garobald richtete sich ebenfalls auf und erwiderte den Blick des Waidgesellen. kalt „Mit dem Speer? Das soll mir recht sein.“ Ein selbstsicheres Lächeln umspielte die Lippen des Gardehauptmanns. „Dann obliegt mir die Wahl von Ort und Zeit. Der Hof und zwar jetzt.“
Der kaiserliche Burggraf, der bis eben noch ein anregendes Gespräch über die Rückkehr des Heiligen Lichts und die Renovation der Praioskirche mit seinem Tischnachbarn geführt hatte, blickte irritiert, dann belustigt und schließlich überaus ernst. Er er stand auf und sprach mit ernster Stimme: „Es ist aber nicht sehr traviagefällig an einer Tafel eine Duellforderung auszusprechen, schon gar nicht wenn man mit dem Kontrahenten Brot und Wein geteilt hat. Ach erinnere ich daran, dass das Duell ein Privileg des Adels ist. Ferner sollten sich die Herren insbesondere in Anwesenheit eines Palatins der Kaiserin etwas besser an das denkwürdige Gesetz halten, dass uns Seine Allergöttlichste Magnifizenz Kaiser Hal am 16. Praios im zehnten Jahr seiner Herrschaft geschenkt hat...“ Da Wilmibert einige fragenden Gesichter sah, begann er zu zitieren: „... wo es da heißt: `Wir, Hal I. von Gareth, Göttliche Magnifizenz, Kaiser des Neuen Reiches (…) stellen hier nochmalig fest, dass die von Uns oder Unseren Vorgängern oder den Uns Untergebenen verliehenen Würden das Recht beinhalten, mit vollem Titel adressiert zu werden, und ermahnen jeden, sei er nun aus dem Uns ergebenen Volk oder gar selbst von Stand, in Zukunft die gebührende Höflichkeit walten zu lassen. Jegliche Missachtung dieser Bitte kann von der Gerichtsbarkeit mit bis zu 100 Stockhieben geahndet werden.´ “
Dann wandte er sich an die Gastgeberin: „Euer Wohlgeboren, das verzeiht meine vorlauten Worte, doch es ist meine edelste Pflicht den Worten der Raulskrone Gehör zu verschaffen.“ Er verbeugte sich knapp in ihre Richtung und setzte sich wieder.

Sowohl Melcher als auch Lucrann mussten feststellen, dass ihnen die ungeteilte Aufmerksamkeit der Edlen von der Mitte der Tafel her streitig gemacht wurde. So hielt hier kurz ein Moment der Stille Einzug, in welcher beide beobachten konnten wie die Edle erblasste als sie die Forderung ihres Waidgesellen zum Kampfe mit dem Speer vernahm. Als dann der Fischwachttaler diese auch noch annahm, war es wohl zuviel. Sie atmete tief durch und erhob sich. Während sie das Schwert vom Tisch nahm, schenkte sie beiden einen eher beiläufigen Blick:
„Bitte macht das unter Euch aus, Ihr entschuldigt mich...“, mit diesen Worten machte sie sich auf den Weg zu den Streithähnen, ihr Schwert dabei rasch am Gurt festmachend.
Lucrann hob eine Augenbraue, blickte der davoneilenden Edlen nach, fixierte den Vogt und bemerkte trocken. „Ein Rückzug zur perfekten Zeit.“ Abschätzend ließ er seinen Blick über den jungen Ibenburger gleiten und sezierte diesen damit genüßlich. „Euer Vorschlag?“ Knapp die Worte, deutlich die enthaltene Prüfung, gleich dem ersten Zug eines Kamelspiels einzig zum Behufe, den Gegner zu schätzen. Ein wenig gemahnte seine absolute Ruhe an eine schwarze Otter, die auf Beute lauert.
Mit großen Augen, immer noch am Tisch stehend, verfolgte Melcher den Abmarsch der Edlen Leuina. Ungläubig blickte er zu Lucran, hatte diese Jägerin ihn gerade bloßgestellt und ließ ihn nun einfach stehen? Er wusste nicht recht was er davon halten sollte und langsam machte sich leichter Anflug von Frustration breit. Mit enttäuschtem Blick richtet er zuerst das Wort an Biora, „Verzeiht, Edelste wenn ich etwas zu forsch an Euch herangetreten sein sollte.“ Immer noch leicht schnippisch wandte er sie sogleich zu Lucran, zog mit beiden Händen seine Rüstung zurecht, „Meinen Vorschlag wollt Ihr hören, Baron von Rabenstein? MEHR Wein!“ er prostete dem Angesprochenen zu und schien nun jegliches Standesdünkel fallen zu lassen. „Mehr Wein! Auf den Sieg und darauf das sich nach unserer aller Rückkehr in die Heimat ein Mantel des Schweigens über die Geschehnisse hier droben legen mag, Prost Hochgeboren“.

Lucrann wandte knapp den Kopf, als die Edle mit ihrem Waidmann und dem Fischwachttaler im Gefolge aus dem Saal polterte wie eine mißgünstige Wildsau, zuckte die Schultern, hob seinen Kelch und prostete seinem Gegenüber zu.

Aetius indes antwortete auf die letzte Frage der Hesindegeweihten etwas abwesend: „Ja, das wäre in der Tat...keine schlechte Idee...“, entgegnete der Ritter, deutlich abgelenkt von dem aufbrausendem Sturm, den seine Nachbarn da heraufbeschworen hatten. Sein Blick fiel kurz zu seiner Herrin, doch diese schien sich der Sache selbst annehmen zu wollen. Er überlegte kurz, ob sie dabei seine Hilfe benötigen würde und kam dann zu dem Schluss, dass weder Barnabas noch Garobald betrunken genug waren, um es auf Dummheiten gegenüber der Edlen ankommen zu lassen und seine größte Hilfe nur die sein könnte, hier im Saal zu bleiben und etwaige Schaulustige drinnen zu halten.

Die Edle hatte bereits ihren Platz verlassen, als Wilmibert seine Hinweise zur Rechtslage gab. Ein vernichtender Blick aus dunkelblauen Augen traf ihn und machte deutlich, wie ungemein hilfreich seine Worte zur Besänftigung der beiden Kampfeslustigen gewesen waren und was die Edle selbst davon hielt. Doch mehr als diesen Blick bekam er von ihr nicht.
Sie ging zielsicher zur Wand und ergriff zwei mannshohe Spieße, welche dort bis eben noch friedlich gehangen hatten. Es mochten alte Waffen sein, doch die Klingen ihrer Spitzen glänzten und offenbarten den kundigen Augen eine Schärfe, die nur darauf zu dürsten schien nun wohl zum ersten Mal in ihrem Dasein Menschenblut und Menschenleben zu kosten. Die Spieße nahm sich die Edle auf die Schulter, trat an die Tafel heran und sprach mit einer Stimme, die weder Widerspruch noch Beschwichtung duldete:
„Ihr zwei. Mitkommen!“, dann ergriff sie beiläufig einen der Zinnkrüge – manch Gast hatte schon herausgefunden, dass sich in diesen ein ganz hervorragender und sehr starker Himbeergeist befand.
Bis eben hatte der Waidgeselle noch eine Selbstsicherheit ausgestrahlt, die keinen Zweifel daran gelassen hatte dass ein Duell mit Garobald nur ein mögliches Ende zuließ: Einer von ihnen würde im Staub landen und seine Eingeweide festhalten müssen. Das Einschreiten seiner Herrin jedoch hatte ihn mit einem Schlag diese Sicherheit genommen und nun war er es, der blass wurde. Als wäre er daran erinnert worden, wer er war und wo er sich eigentlich befand, senkte er in Scham seinen Blick, knurrte ein verlegenes
„Ja, Herrin“, und machte sich auf den Weg, der Edlen zu folgen
In dem Moment, als die Gastgeberin erhob, war auch der Flussgardist aufgestanden. Abwartend blickte er von Leuina zu den beiden Kontrahenten, war aber fest entschlossen, ihnen in gebührendem Abstand zu folgen, sobald sie den Saal verlassen hätten.
Auch Finmar hatte sich erhoben, weniger forsch aber mit grimmiger Miene. Wenn die Jagd schon so anfing, wie würde sie erst enden. Für eine erste Jagd seit Kindertagen eigentlich kein wirklich fröhlicher Anfang.


„Wie Ihr wünscht,Wohlgeboren.“ Mit diesen Worten griff sich Garobald seine Klinge und gürtete sie auf dem Weg nach draußen.

Auf ihrem Weg hinaus, die Hände voll mit Waffen wider den Körper und wider den Geist, nutzte sie erneut die Gelegenheit für einen bösen Blick wider Wilmibert und ein verächtliches Schnauben. Diese Entladung ihres mittlerweile sehr hoch angestauten Zornes tat ihr sehr wohl, wenngleich der Burggraf kaum alleinige Ursache für ihr Gemüt war.
„Bruder, bitte kläre den Herren von Bregelsaum über den Stand unserer Waidgesellen und deren Rechte auf“, wies sie ihren Hofgeweihten im Vorbeigehen an.
Vor der Tür angekommen löste sie rasch das aufkommende Problem von vollen Händen und einem schweren Riegel mit einem gezielten und recht geübten Tritt. Mit lautem Krach fiel der Riegel, aus dem Schlosse gehoben, zu Boden und die Tür schwang halbherzig auf. Auch dieses diente einem gewissen Frustabbau, doch wer wollte ihr das in Anbetracht der Situation verübeln? Und zumindest die Blicke von Bartolos und Aetius verrieten, dass sie gerade um nichts auf der Welt mit Barnabas tauschen wollten.
So verließ Leuina den Saal, Barnabas und Garobald folgten ihr.

Vom Duell ausgeschlossen...im Saal

Der Geweihte erhob sich um die Tür hinter seiner Schwester zu schließen. Ein Blick von ihm in die Runde genügte, um deutlich zu machen dass der Hof vorerst für die Gäste nicht betretbar sei.
Den Blick des Geweihten ignorierend trat Anselm an die Tür. „Euer Gnaden, wärt Ihr so freundlich...“ Mit einer Geste deutete er an, dass er den Raum verlassen möchte.
Der Geweihte atmete tief durch und blickte Anselm streng an. Er wartete einen Moment, ob nicht vielleicht allein sein gestrenger Blick reichte um die Frage seines Gegenübers zu beantworten und erkannte, dass dem wohl nicht so sei. Mit ruhiger, tiefer Stimme gab er diesem dann Antwort:
„Ich denke es ist besser, wenn die Herren das mit meiner Schwester allein ausmachen. Ich glaube auch nicht, dass es jetzt ein Duell geben wird. Allein schon weil die Kontrahenten bereits angetrunken sind und ein Kampf bei Dunkelheit kaum im Wohlgefallen der Leuin liegen wird. Wenn, dann wohl eher morgen“

Der Bollenstieger zeigte eine enttäuschte Miene. Seine Erwartungen waren sichtlich vom Rebensaft getränkt, der ihm nach dem abrupten Aufstehen offenbar etwas zu Kopfe gestiegen war. „Nun gut, dann also morgen.“ Es klang wie eine Verabredung. Anselm wandte sich von dem Geweihten ab und steuerte wieder seinen Platz an der Tafel an.
Finmar, der hinter Anselm im Schatten gestanden hatte, trat einen Schritt näher und sah seinen Tischnachbarn fragend an. Würde sich der Gardist wieder zu Tisch begeben? Wie auch immer, er, Finmar, würde sich anschließen.

In aller Gemütsruhe setzte sich der Geweihte wieder zu den Herren von Bregelsaum, füllte sich seinen Pokal wieder mit Wasser auf und kam der Bitte der Edlen nach:
„Ich möchte das inakzeptable Verhalten beider Herren nicht über die Maßen mit großen Worten noch hervorheben“, begann er beinahe gelassen
„Eure Hinweise zum Duell als Privileg des Adels sind selbstverständlich korrekt. Allerdings halten wir hier in Nablafurt noch die Rechte unserer Altvorderen hoch, insbesondere was die Ausübung des Glaubens an den Grimmen Jäger und die Ausübung der Jagd selbst anbelangt. Euch mag aufgefallen sein, dass unsere Waidleute als Zeichen ihres Standes das kleine Jagdschwert, auch Hirschfänger genannt, tragen. Ebenso gut könnten sie auch das echte Jagdschwert gürten. Sie alle haben wie ein Ritter auch die Schwertleite empfangen mit allen damit einhergehenden Pflichten und Privilegien. Da sie in streng reglementierten Umfängen auch ermächtigt sind, in Vertretung der Edlen und der Baronin Recht zu sprechen und auszuüben sind sie, rein formal, einem Ritter gleichgestellt“ Er betrachtete das Gesicht des Burggrafen und hoffte, dass dieser ihm folgen konnte
„Der vollständige Name des Hitzkopfes, der soeben den Saal verließ, lautet eigentlich: Barnabas, geboren als Deringer, ältester und erster Waidgeselle von und zu Graufurten“ Der Stimme des Praiosgeweihten war durchaus anzumerken, was er von diesem allzu grenzwertigem Treiben seiner eigenen Familie hielt. Die Bilgratener Direktive mochte zwar schon alt sein, doch immerhin war sie konform mit den aktuellen Schriften. Der Status der Jägerschaft aber war ein Brauch, der sich aus Zeiten entwickelt hatte, in welcher das gleißende Licht des Herrn Praios noch keine Ordnung in diesen Teil der Lande gebracht hatte. Aus diesem hatte sich irgendwann der Ritterschlag entwickelt doch war dieser im Zuge der Ordnung dann durch inspirierte Schriften reglementiert worden, während man mit dem zunehmend geringeren Einfluss der Firunkirche auch kein ordentliches Personal mehr benötigte und die Jäger allerorten an Ansehen und Rechte verloren. Und das zu recht, wie Bartolos fand.
Der Galebqueller, auch unvertraut mit den hiesigen Sitten und Gebräuchen, aber offenbar deutlich mehr willens, zu lernen und zu verstehen, prägte sich die Worte des Geweihten ein. In Galebquell war ein Gemeiner immer noch ein Gemeiner, ein Leibeigener ein Leibeigener und ein Adliger ein Adliger. Ganz so, wie es Praios gefügt hatte.
„Euer Gnaden…“ Der junge Mann, noch keine dreißig Jahre alt, berührte sanft seinen Messing-Halsreif, sah dem Priester offen in die Augen. „… ich bin unvertraut mit den hiesigen Gebräuchen, aber willens zu lernen…“ sprach er genau dies nun aus. Nachdenklich runzelte er die Stirn, obwohl Lachfalten um seine Mundwinkel auf einen eigentlich fröhlichen Menschen wiesen, so war sein Ausdruck nun ernst und konzentriert. „Den Anlass dieses Streites zwischen dem Waidgesellen Deringer und Seiner Wohlgeboren von Fischwachttal, also jenes ursächliche Ereignis, welches zu diesem abrupten Verlauf führte, habe ich nicht erleben können. Doch frage ich mich: Ist es klug, angesichts der bevorstehenden und unter Firuns Segen stehenden Jagd, ein hitzköpfiges Duell mit scharfen Speeren auszutragen? Wäre es nicht klüger, auf Wohlgeboren von Bilgraten, respektive Wohlgeboren von Fischwachttal und den Waidgesellen Deringer einzuwirken, die Situation noch einmal zu überdenken?“ Er schüttelte knapp den Kopf. Der Praiospriester ließ den Consortis aussprechen. Er sah sich um, sah in die Gesichter seiner Sitznachbarn.
Wenige Worte hatte er bislang mit seinen direkten Sitznachbarn gewechselt – nur ein paar Sätze während des Mahls mit Aldec von Bregelsaum-Streitzig, welcher sein Vetter war. Sein Blick fiel auch beinahe im selben Moment auf die Hohe Lehrmeisterin Biora von Rickenhausen, welche als Hesindegeweihte auf hesindianische Weise seine Vorgesetzte war.
Diese fing seinen Blick ein und nickte dem Baron zu, sah aber davon ab, quer über den Tisch zu schreien; obwohl, schreien würde sie ja gar nicht müssen, war der allgemeine Geräuschpegel nach dem Abzug der Duellanten doch erheblich gesunken. Dennoch zog Biora es ausnahmsweise vor, nachdenklich zu schweigen.
Der jüngere Bruder Ihrer Wohlgeboren war ebenso aufmerksam den Worten des jungen Barons gefolgt, erachtete er doch die Rechtslage gegenüber dem Burggrafen für ausreichend dargelegt und damit dem Auftrag seiner Schwester nachgekommen zu sein.
„Natürlich ist es das. Und es würde mich über alle Maßen überraschen, wenn Ihre Wohlgeboren nicht genau das auch tun würde. Als Dienerin der milden Ifirn sind ihr Gnade und Harmonie ureigenste Interessen“, stellte er fest und fügte dann hinzu „Auch, wenn sich den Gästen bisher ein anderer Eindruck ergeben haben mag. Sie wird ein solch törichtes Unterfangen mit allen ihr von Praios gegebenen Mitteln zu verhindern suchen. Zumal der Beginn der kausalen Zusammenhänge in einem Missverständnis beim Eintreffen des Edlen von Fischwachttal ist. Geringer könnte er kaum sein und auch wenn sich die Dinge anschließend aufgrund so firunungefällig überhitzter Gemüter leicht zugespitzt haben mögen, so habe ich kaum den Eindruck gewonnen, dass irgendetwas von dem, dessen Zeuge wir soeben wurden, eine Forderung auf’s zweite, wenn nicht gar dritte Blut – und ein Speerkampf ist nichts anderes – rechtfertigt und einer Prüfung durch einen Bruder der Leuin Stand hielte“, er sprach die Worte und in diesem Moment wurde ihm erst klar, dass er sich mit den rondrianischen Ehrenhändeln nicht hinreichend genug beschäftigt hatte um sich hier als Experte auszuweisen. Nein, seine Studien hatten dem Wegerecht gegolten, Zoll und Handel, Halsgerichtsbarkeiten und derlei Dingen. Und leider auch den äußerst komplizierten und vertrackten Stricken von uralten Jagdordnungen und Weisungen einer Kirche, die zwar selbst kaum mehr Präsenz in den Nordmarken hatte, Praios’ wusste schon weshalb, und dennoch befolgt werden mussten.
So blickte er in die Runde der versammelten Herren:
„Oder wie seht Ihr das?“, sein Blick wanderte über den Burggrafen, dessen Neffen und Anselm zu Bollenstieg sowie Finmar von Wildenberg.
Biora war zwar nicht angesprochen, doch ihr Blick kehrte aus weiten Fernen zurück, als Bartolos verstummte. „Ich biete meine Hilfe gerne an, falls es nicht zu spät ist und Ihr mir nicht ebenfalls verbietet, den Saal zu verlassen, Euer Gnaden.“ Ihre Worte klangen ein ganz klein wenig ironisch, aber ihr Gesicht war ernst, denn genauso meinte sie dieses Angebot.
Der Galebqueller nickte nachdenklich, hatte den Vortrag seiner Gnaden in sich aufgenommen. „Angesichts der Ursache dieser Forderung, einer – wie Ihr geschildert habt – Beleidigung beruhend auf einem Missverständnis, ist sicherlich ein Speerkampf deutlich übertrieben.“ Bedächtig rieb er über sein Kinn. „Allerdings steht jetzt die Duellforderung im Raum – und diese einfach beizulegen, dürfte gerade für einen Ritter schwer sein. Möglicherweise wäre eine Alternative denkbar?“ Fragend sah er in die Runde. „Ein firunischer Wettstreit möglicherweise?“ Der Blick aus den rehbraunen Augen heftete sich wieder an den Praiosgeweihten. „Wenn Ihr meiner Hilfe bedürft, so biete ich sie Euch gerne an.“
„Mein Vorschlag wäre, wenn sie sich denn schlagen müssen und auch die Waffen schon feststehen: Lasst sie Speere mit stumpfen Holzspitzen nehmen“, erhob Biora nochmals die Stimme. „Allerdings dürfte es bald zu spät sein, lenkend einzugreifen, wenn wir den Streithähnen nicht bald folgen!“
Finmar, der interessiert zugehört hatte, hob beschwichtigend die Hand: „Ich bezweifle, dass wir an dieser Stelle ein zu spät haben werden. Den Kontrahenten fehlt dort draußen die Hitze des Saales und das Publikum. Stattdessen wacht Ifirn über sie, das dürfte ihr Mütchen deutlich kühlen, zumal die Edle Herrin des Waidmannes ist und alle drei erfahren genug, die Dunkelheit und den Grad an Nüchternheit zu bedenken, wenn ein Luftwechsel geschehen ist. Da habe ich mein vollstes Vertrauen drauf.“
Biora hob eine Augenbraue, zweifelnd, wie es schien, und setzte gerade zu einer Antwort an, als der Vogt des Grafen begann, seltsame Geräusche von sich zu geben.
Ein seltsames, belustigtes Kichern erfüllte den Raum. Melcher Sigismund der immer noch an seinem alten Platz saß hielt seinen Weinkelch mit der Rechten fest umschlossen. Der Wein, dem der junge Vogt wohl sehr zugesprochen hatte, schien wohl langsam seine Wirkung zu tun. „ferzeit, meine Heeren und natürlich Dahmen“, wieder kicherte Melcher in sich hinein. Er erhob sich, räusperte sich kurz und begann mit überraschend klarer Stimme zu sprechen, beinahe konnte man meinen er spräche vor einer wichtigen Zusammenkunft in der Grafenmark. „Ich bin nicht der liebste Gast der Edlen Biora hier an dieser Tafel, dass habe ich schon spüren dürften, demungeachtet möchte auch ich meinen Beitrag dazu tun die Situation zu entschärfen, denn wie ich an der Hohen Schule der Kriegskunst lernen durfte…(..).., so bin ich als Vertreter des Lehnsherren, hier an diese Tafel geladen und entsandt worden. So maße ich mir an auch einige Rechte dieses Lehnsherren mitbekommen zu haben. Ein unsicheres Terrain ich weiß auch ich habe noch keine Rechtsschule von Innen gesehen, lasst die Konsequenzen meine Sorge sein, verzeiht im Voraus Hochwürden Bartolos. Nun, Aufgrund der Situation, wie wir sie alle als Zeuge erlebt haben, könnte man den beiden doch vorrübergehend das Recht auf Satisfaktion entziehen und darauf drängen die Sache vor einem ordentlichen Gerichte zu klären, dort erhalten dann beide eine Geldstrafe von einigen Silberlingen und die Sache wäre geklärt. Was meint Ihr, meine Heeren, hicks.“
Roklan sah den Vogt der Grafenmark Gratenfels an, als seien ihm Hörner gewachsen. „Mit Verlaub, Euer Hochgeboren, nun hier eine Art Ehrenstandgericht einzuberufen, halte ich für deutlich unpraktikabel und noch mehr an der Ehre der beiden Streithähne rührend, als der ganze Vorfall ohnehin schon.“ Er versuchte sich an einem Lächeln. „Da halte ich es eher mit dem Vorschlag Ihrer Hochwürden und dem Einwurf Seiner Wohlgeboren – möge Firuns Kälte auch ihre Mütchen kühlen.“ Er wandte sich wieder an jene drei Gesprächspartner, die den Gaben Rahjas nicht so arg zugesprochen hatten. „Euer Gnaden…“ sprach er direkt den Donator Luminis an. „…auch wenn wir Ihrer Wohlgeboren als Hausherrin vertrauen können, wäre es nicht dennoch angebracht einmal draußen nach dem Rechten zu sehen?“
Nickend stimmte Anselm Roklans letztem Satz zu. „Zweifelsohne weiß die Edle, was sie tut, doch wissen wir nicht, wie leicht sie der beiden Streithähne Herrin wird. Vielleicht braucht sie ja doch Beistand? Es wäre jedoch vermessen, wenn wir nun gleich alle hinausstürmten. Aber mögt Ihr, Euer Gnaden, nicht zur Sicherheit nach dem Rechten sehen oder den Ritter von Mauser entsenden? Auch wenn dies nur dem Zwecke dienen mag, unsere Sorge hier im Raum zu beschwichtigen?“
Die Geweihte der Hesinde schien ausnahmsweise der Meinung zu sein, genug zu diesem Thema gesagt zu haben. Die Ausführungen des Vogts hatte sie schweigend und mit zunehmend verschlossener Miene verfolgt, während der seiner beiden Nachredner hatte sie dem arg vernachlässigten Bankett in Form einer Handvoll Maronen zugesprochen. Nun blickte sie nachdenklich dem Geweihten des Herrn Praios ins Gesicht, der aussah, als würde er ein wenig mit seiner Beherrschung kämpfen.
Mit einer Gemütsruhe, die nur einem Diener des Praios oder Firun inne sein konnte, hatte der junge Lichtbringer die Worte der Gäste verfolgt. Dass ausgerechnet die Vertreter der Hesindekirche ihrer Neugier nachzugeben suchten verwunderte ihn dabei nicht. Höchstens, dass niemand hier es nachvollziehen konnte weshalb diese Dinge fernab des Publikums geschehen mussten. Doch es half wohl alles nichts. So setzte er zu sprechen an und war sichtlich bemüht, sich nicht dem Verlangen einer Schimpftirade hinzugeben:
„Wenn es Eurem Gemüte keine Ruhe lasst, so geht“ Er hoffte inständig, dass seine Schwester genug Zeit gehabt hatte, den beiden Streithähnen abseits weiterer Zeugen den Kopf wieder zu richten.
Bioras Augen verengten sich ein wenig ob dieser schroffen Antwort, obwohl sie etwas in dieser Art erwartet hatte. „Euer Gnaden, das hat nichts mit meinem Gemütszustand zu tun, sondern war lediglich ein Angebot. Welches Ihr oder Ihre Wohlgeboren nicht annehmen müssen. Eine Annahme setzte allerdings voraus, dass Ihr Ihre Wohlgeboren von Bilgraten darüber informieren müsstet, denn wir sind nicht über alle hiesigen Bräuche im Bilde und wissen nicht, wie weit die Sache gediehen ist und ob Ihre Wohlgeboren gerade überhaupt ansprechbar ist, insofern zumindest ich nicht blindlings nach draußen stürzen werde.“ Sie lächelte schon wieder ein wenig ironisch. „Dass Ihr keine Anstalten macht, dies zu tun, heißt für mich zweierlei: erstens, Ihr erachtet das Angebot nicht für nötig oder angebracht, zweitens ob wir auf den Hof gehen oder nicht, spielt für die Angelegenheit an sich keine Rolle. Nun denn,“ Biora warf einen Blick in die Runde, „für mich bedeutet dies, dass ich noch ein wenig den hiesigen Genüssen zusprechen und ansonsten den Dingen ihren Lauf lassen werde.“
Melcher schien etwas brüskiert über die Ablehnung seines großzügigen und für ihn selbst eventuell mit Konsequenzen verbundenen Angebotes, zumindest konnte man seine Mimik so interpretieren. Es viel ihm schwer diese Gemütslage zu halten, was sich mit einem gelegentlich durchkommenden Grinsen äußerte, er hatte wohl wirklich zu viel Wein getrunken um nun noch klare Gedanken fassen zu können. Der Vogt verschränkte im sitzen die Arme vor der Brust und wies einen Diener schroff an neuen Wein zu bringen.
Irritiert blickte Anselm in die Runde. Hatte es eben noch so ausgesehen, als würde es ein Gerangel darum geben, wer nun als erster den Raum verlassen und sich im Hof zu vergewissern, dass dort nichts Unerwartetes geschah, machte sich nun eine Zurückhaltung von geradezu gegensätzlicher Intention breit. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Da er feststellte, dass seine Gemütsruhe keinesfalls zurückgekehrt war, nahm er den Praiosdiener beim Wort, erhob sich und schritt zur Tür, um nach draußen zu gelangen.
Waren es hesindegetriebene Neugier oder traviagesegnete Sorge, welche den Galebqueller antrieben? Gleich wie, auch er erhob sich, um dem Gardehauptmann zu folgen. ‚Immerhin wurde ich von meiner Tante in der Heilkunst unterwiesen.‘ rechtfertigte er sich vor sich selbst oder seiner Göttin. Neben Anselm gehend, sah er diesen an. „Hoffen wir, dass bisher noch nichts Ernstes geschehen ist und dass Wohlgeboren Leuina die Streithähne von ihrem Zweikampf mit Speeren abhalten konnte.“
Anselm nickte Roklan zu, während die beiden zur Tür gingen. „Ich bin mir sicher, die Edle ist sich bewusst, was sie tut. Bei den beiden Streithähnen bin ich mir da …“
Kaum hatten die beiden den Gang zur Tür angetreten, schwang diese sachte auf und Ihre Wohlgeboren kehrte zurück. Ohne Speere, ohne Schnaps. Doch ihr Gesicht, auf dem sich noch immer ein versonnenes Lächeln zeigte, ließ darauf schließen dass man sich draussen irgendwie zu einer unblutigen Lösung geeinigt hatte.
„Wolltet Ihr nach dem Rechten sehen, Hochgeboren, Wohlgeboren?“, fragte sie und war durchaus angetan davon. Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der zwar der Hesindegeweihten nichts erwidert hatte, dafür aber nun zu versuchen schien, mit seinem Blick den Bannstrahl des Götterfürsten zu imitieren.
Leuina schenkte beiden Herren ein warmes Lächeln, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, ihr anfangs noch strenger Zopf hatte sich im Verlauf dieses Abends gelockert, und blickte nun in die Runde:
„Ich bedanke mich bei Euch allen für Euren Großmut, Eure Geduld und Eure Sorge. Doch seid hiermit versichert: Sie leben beide noch, Blut ist keines geflossen und der Streit ist beigelegt, sodass wir bei der Jagd keine Bedenken hinsichtlich ungeklärter Konflikte haben müssen“
Ihr Blick fiel erneut auf den Baron von Galebquell und etwas leiser, mit einem Schalk in den Augen, sprach sie ihn an:
„Hochgeboren, ich werde mir jetzt Euren freien Platz klauen. Seht es mir nach, ich muss wohl versuchen meinen Bruder etwas zu besänftigen. Er ist sehr schnell eingeschnappt“, sie lachte hell auf und war sich irgendwie sicher, dass Bartolos ihre Worte sehr wohl gehört hatte...
Der Flussgardist legte seine Hand fürsorglich auf die Schulter des Barons. „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch neben mich oder mir gegenüber neben den Edlen Finmar setzen.“

Die Rückkehr der Edlen bestätigte Biora in ihrer Auffassung, die Angelegenheit war also offenbar zu aller Zufriedenheit erledigt. Also nutzte sie die Gelegenheit, um geschwind den Platz gegenüber Finmar einzunehmen, noch bevor Leuina den Tisch wieder erreicht hatte, und raunte dem Edlen von Wildenberg mit unschuldigem Augenaufschlag zu: „Werter Finmar, wollt Ihr mir die Ehre erweisen, den Ringkampf des Firunsdienstes mit mir zu bestreiten?“
Finmars Stirn legte sich in Falten, während seine Miene klar von seiner Irritation zeugte:“ Alles was Ihr wollt, Biora. Aber was für ein Ringkampf?“ Eilends ging der junge Mann die Ereignisse des Abends durch auf der Suche nach einer Abzweigung, die ihm weisen könnte, in welchem Sinne die Bemerkung der Geweihten zu verstehen sei. Dabei war es nicht so sehr so, dass er der guten Freundin und Weggefährtin zahlreicher Abenteuer nicht sofort sein Leben anvertraut hätte, er konnte mit dem Gesagten nur überhaupt nichts anfangen.
„Habt Dank,“ antwortete Biora, deren Stimme tatsächlich ein echter Ausdruck der Dankbarkeit anzuhören war, ungeachtet des schelmischen Ausdrucks, den ihre Augen, zumindest für diejenigen, die sie kannten, noch immer zur Schau stellten, aber auch ein wenig Verwunderung mischte sich hinein. „Wie, Finmar? Ihr habt die Sache mit dem rituellen Ringkampf überhaupt nicht mitbekommen? Morgen um Mitternacht wird es einen Firunsdienst zu Ehren des Heiligen Jarlak geben, und wer daran teilnehmen möchte, muss sich zwingend einem Ringkampf zu Firuns Ehr' stellen, bis Blut fließt, welcher allerdings ohne Zuschauer stattfinden wird.“ Biora hielt inne, doch Finmar war weder betrunken, noch schien er sich zu erinnern. Offenbar war die Ansprache der Gastgeberin zu Beginn des Banketts komplett an ihm vorbeigegangen. Was mochte wohl der Grund dafür gewesen sein? „Ich gehe jetzt einfach einmal davon aus, dass Ihr dem Firunsdienst nicht fernbleiben werdet, und,“ sie senkte ihre Stimme noch ein wenig mehr und zwinkerte Finmar zu, „bevor ich am Ende doch ein Opfer des Vogtes werde, hätte ich gerne einen Gegner, den ich besser einschätzen kann, was unausgesprochene Absichten angeht. Was natürlich nicht heißen soll, dass Ihr Euch zurückhalten sollt, nur weil ich eine kleine schwache Frau bin.“ Biora zwinkerte erneut, der Schalk in ihren Augen vertiefte sich sogar noch.

Das Schauspiel indes schien beendet – für diesen Abend. Lucrann erhob sich und wandte sich an die Gastgeberin. „Wohlgeboren, es ist spät.“ Er erhob sich „Möge Bishdariel Euch sanfte Träume schenken und Boron euch sicher behüten.“
Aufrecht, doch sich merklich auf seinen Gehstock stützend, verließ er die Halle. An Abenden wie diesen merkte er auf unschöne Weise, dass die meisten der Anwesenden bestenfalls halb so alt wie er selbst waren. Hinter ihm fiel die schwere Tür ins Schloß und er genoß einen Atemzug lang die Stille und Ruhe, die ihn nach dem Getöse der Feiernden wie ein Mantel umschloß. Sein Zimmer hatten seine Knappen und der Page vorbereitet, ehe sie sich selbst zur Ruhe – oder vermutlich zum Feiern mit den Begleitern der anderen Adelsleute – zurückgezogen hatten. Der alte Baron war sich nichtsdestotrotz sicher, dass sie morgen früh wach und nüchtern ihren Aufgaben nachkommen würden – diese Grenzen hatten sie, wie schon viele ihrer Vorgänger, schon vor geraumer Zeit ausgetestet und für nicht verhandelbar gefunden.
Lucrann schloß die Tür seines Gastgemachs hinter sich und legte den Riegel vor. Er öffnete eine kleine, gut gepolsterte Tasche, und entnahm ihr eines von mehreren Fläschchen. Die Flüssigkeit in der Glasphiole vibrierte, als er sie vor das Licht der Kerzenflamme hielt, sie einen Atemzug lang beobachtete und dann mit einem Zug austrank. Langsam nur ließ das Zittern seiner Hände nach. Sorgsam packte er das leere Fläschchen wieder zu seinen gut gefüllten Geschwistern und überließ sich der Schläfrigkeit, die langsam Besitz von ihm ergriff. Wenn er seine Gastgeberin nur einigermaßen zutreffend einschätzte, würde der kommende Tag anstrengend werden. Ein sehr willkommener Gast war Borons Gnade, die der Unergründliche wie in jeder Nacht freigiebig schenkte. Der kleine Bruder der Gabe des Ewigen, die das Leben doch so erfindungsreich und voller Kraft zu meiden suchte.
Mit einem bedächtigen, still genießenden Zug leerte der Ritter den Weinkelch und spürte mit geschlossenen Augen noch nach, wie der edle Tropfen an seinem Gaumen nachhallte. Dann erhob auch er sich und schritt auf die andere Seite der Tafel. Man könnte meinen, weil es an seiner nun, da sich der Baron von Rabenstein ins Bett verabschiedet und verholt hatte, bedenklich leerer geworden war. Dass dem nicht so war, vermochte lediglich der Vogt einzuordnen zu dem sich der Ritter nun von hinten herab beugte und leise sprach, auf dass die anderen Gäste ihn nicht verstanden:
„Hochgeborener Herr Vogt, bitte entschuldigt falls ich Euch nun zu nahe trete..."

„Aber, Aber…Ritter Aetitiusch..“, mit diesen Worten beugte sich Melcher ein Stück weiter auf seinem Stil nach links und stütze den Ellenbogen auf der Armlehne ab um den Ritter anzuschauen. „..müsst ihr mich so erschrecken?!“

"...ich versichere Euch meine besten Absichten. Der Herr von Rabenstein hat recht, es ist spät und Ihr, werter Herr Vogt, habt bereits reichlich dem Weine zugesprochen. Die Treppe hinab, welche auf dem Weg zu Eurem Schlafgemach Euer erstes Hindernis sein wird, hat schon manch’ gebrochene Knochen als Zoll gefordert. Einst soll sogar der Großonkel Ihrer Wohlgeboren dort mit seinem Leben für den Rausche bezahlt haben. Mit Eurer Erlaubnis würde ich gerne Sorge dafür tragen, dass Euch nichts derlei wiederfährt und Euch nun, da die Nacht schon lange hereingebrochen ist und morgen ein langer Tag unserer harrt, zu Eurem Gemach geleiten, hochgeborener Herr Vogt“ Aetius’ Stimme war ruhig, ebenso verriet sein Blick, dass er keinen Spott mit Melcher trieb sondern ernsthaft um dessen Wohlbefinden, und vermutlich auch um des Vogtes und des Landgrafen Rufe, besorgt war.
Als der Vogt die Worte des Ritters vernommen hatte, fing er erneut an zu lallen, „Nun Aetitiusch, da der letzte Tropfen getrunken und der Weinkeller geleert scheint, dürft Ihr mich über diese garstig Treppe führen, die Ihr meintet. Aber nur über diese Treppe, hihi, meine Kammer bleibt Euch verschlossen“. Ein lautes Lachen platzte aus Melcher heraus und er beugte sich mit dem Oberkörper über den Tisch, den rechten Arm zwischen Tischplatte und Stirn gelegt und lachte weiter herzlich in sich hinein.

Nablafurter Deeskalationsmaßnahmen (unterdessen im Hof)

Der Edlen folgend ging es hinaus in die klare, kalte Herbstnacht. Hinter ihnen wurde die schwere Tür wieder verschlossen und spätestens jetzt wurde zumindest Barnabas gewahr, dass er in Schwierigkeiten steckte. In großen Schwierigkeiten. Inzwischen hatte das diensteifrige Gesinde an der Treppe Fackeln entzündet, auch unten im Hof stand ein Feuerkorb. Von hier oben war der Blick hinab als schauten sie in eine Löwengrube...
Die Edle schritt voran, die Treppe hinab, über die kleine Brücke und in den Hof. Dort, in der Nähe des wild im Winde schlagenden Feuers, blieb sie stehen und wandte sich Garobald und Barnabas zu. Sie brauchte einen Moment, um Ruhe und Kraft zu schöpfen für das, was nun folgen würde. Als sie zu Sprechen anhob, war ihre Stimme fest.
„Was fällt Euch eigentlich ein?“, begann sie und ihre ruhige Stimme, die so in einem starken Kontrast zum eigentlichen Inhalt stand, wirkte dabei umso gefährlicher.
„Du, Barnabas!“, begann sie und der Angesprochene zuckte merklich zusammen
„Wie kommst du dazu, vor den versammelten Gästen solche Scherze mit dem Edlen zu treiben? Du weisst sehr genau, dass jenseits unserer Grenzen Jäger im besten Falle nur Knechte sind! Wieso glaubst du, ihn derart vorführen zu müssen? Deine Ehre kann von niemandem befleckt werden ausser von dir selbst und deinen Taten und ganz sicher nicht von einem Fremdem, der unsere Sitten nicht kennt und als Gast an unseren Hofe kommt! Deine Scherzeleien hat er nicht verdient, ebenso wie ich sie nicht verdient habe und am allerwenigsten hast du selbst sie verdient.“ Sie atmete einmal tief durch. Barnabas war im Zuge ihrer Rede merklich kleiner geworden, doch war Leuina noch nicht fertig mit ihm:
„Ich verstehe deinen Zorn über die erlittene Ohrfeige. Ja wirklich. Ihn zum Duell zu fordern sei dir zugestanden, doch was in Firuns Namen hat dich geritten, den Spieße dafür zu wählen? Willst du ihn tatsächlich wie eine Sau abstechen, wegen einer verdienten Schmach? Oder von ihm abgestochen werden? Als ich dich zum Jäger kürte, wusstest du wie man sich von Stande verhält. Wann hast du das vergessen? Und weshalb?“
Sie schnaubte wütend aus und wandte sich nun dem Edlen von Fischwachttal zu.
„Und Ihr! Habt Ihr nicht gesehen, wen Ihr vor Euch habt? Wusstet Ihr nicht, dass Waidgesellen, wenn nicht auf der Jagd, sich in Fröhlichkeit und manch derbem Scherze ergeben weil ihr Leben schon kurz genug ist? Kein Jäger hier stirbt im Bett, keiner von Ihnen wird mehr als fünfzig Lenze alt! Deshalb sind sie, wie sie sind! Dass er Euch vorführte, geschenkt! Ist Euch Euer eigenes Spiegelbild selbst so wenig wert, dass Ihr einen Gesellen, den Ihr mir zuvor noch in höchsten Tönen gelobt habt, wegen einer solchen Lapalie angehen müsst? Ward Euch nicht klar, dass Ihr ihm mit dieser unbeherrschten Aktion keine Wahl mehr lasst? Dass danach Blut fließen muss, weil keine Worte mehr Versöhnung stiften und Ehre wiederherstellen können? Und wie kommt Ihr eigentlich dazu, Euch noch dazu auf diese unglaublich dumme Waffenwahl einzulassen? Seid Ihr Eures Lebens so überdrüssig, dass Ihr es so leichtfertig hingeben wollt? Hätte der Barnabas es wegen einem Scherze, dem es an Einsicht und Einfühlungsvermögen mangelte, verdient, von Euch dahingestreckt zu werden?“ Ihre Stimme war, ebenso wie bei Barnabas zuvor, laut geworden. Dieser Zorn musste hinaus und auch die größte Dienerin des Firun kam irgendwann mit ihrer Selbstdisziplin an ihre Grenzen.
Sie schnaubte aus und betrachtete sich einen Moment die beiden Männer, die da vor ihr standen. Und beide waren ihr lieb geworden. Ihre Stimme wurde sanft und mit einem milden, nachsichtigen Blick voller Güte bedachte sie den Jäger und den Edlen als sie fortfuhr:
„Wie ihr hier vor mir steht sehe ich zwei Männer, die sich ähnlicher wohl nicht sein könnten. Deren einziger Unterschied darin liegt, dass der eine mit zuviel Standesbewusstsein aufgezogen wurde und der andere mit zu wenig. Ich blick’ in eure Augen und sehe Treue und Kameradschaft, das Herz am rechten Fleck und starke Arme, die dazu gedacht sind die Feinde des Herzogtums und des Glaubens dahin zu strecken und nicht euch gegenseitig!“ Der Anflug eines Lächelns war in ihrem Gesicht zu sehen, doch wurde es sofort von eisiger Miene aufgehalten.
„So, ihr beiden. Ich kann es nicht befehlen und ich will es auch nicht. Aber ihr seid beide freie Männer und sollt als solche auch die Wahl haben ohne dass euch euer Stolz vor einem Publikum zu Taten verleitet, die am Ende noch ein Leben kosten. Ihr könnt euch entscheiden:
Entweder, ihr verhaltet euch wie Männer. Und Männer erkennen, wie ihre Differenzen am besten beizulegen sind und wählen das Mittel, welches dem Streite angemessen ist.“, sie drückte Garobald den Schnapskrug in die Hand
„Oder ihr klärt es wie Kinder mit der größten und stärksten Waffe, ungeachtet dessen wieviel mehr ihr damit eigentlich zerstört als wiederherzustellen vermögt“, sie warf den beiden die Jagdspieße vor die Füße.
„Ich will, dass ihr das aus der Welt schafft. Übermorgen müssen wir als Rudel gemeinsam jagen, einer muss sich auf den anderen verlassen können und ich will nicht, dass dann noch etwas zwischen euch steht. Klärt das! Und falls ihr tatsächlich so dumm sein solltet euch für die Speere zu entscheiden, dann versprech’ ich dem Sieger hiermit feierlich vor Firun, Jarlak und Mutter Travia, dass er fortan nicht mehr willkommen sein wird in meinen Ländereien und mir und den meinigen besser fortbleibt!“
Ein letzter scharfer Blick traf beide, dann wandte sich Leuina ab und ging zurück zur Halle.

Garobald blickte Leuina reumütig hinterher. Während ihrer Ansprache war sein Zorn auf Barnabas im gleichen Maße gewichen wie die Verlegenheit in ihm zunahm. Seit Jahren war er nicht mehr so zusammengestaucht worden und das, wie ihm schmerzhaft bewusst wurde, zu recht. Er hätte sich nicht so gehen lassen dürfen.

„Leuina, bitte wartet einen Augenblick!“ rief Garobald der Edlen hinterher und tat einen Schritt auf sie zu. Er warf Barnabas einen kurzen, entschuldigenden Blick zu: „Wenn du erlaubst?“

Barnabas hatte heute etwas gelernt. Nämlich dass er im Zweifel besser seinen Mund halten sollte. Er legte es nicht im geringsten darauf an, dem Edlen im Speerkampf zu begegnen. Zum einen weil er nicht dessen Tode verantworten wollte zum anderen auch, weil er selbst für sich eine andere Weise auserkoren hatte zu Tode zu kommen. Was wohl seine liebe Frau dazu sagen würde, wenn er heim käme besudelt vom Blut eines Jagdgastes, wo es doch seine ureigenste Aufgabe war, diese zu schützen? Und wie sie um ihn weinen würde wenn erst die Kunde sie erreichte, dass sie ihren lieben Mann nimmer mehr in die Arme schließen könnte wegen eines Ehrenhändels? Sein Sohn, der Laufen lernen würde ohne die starken Arme seines Vaters, die ihn auffingen bevor er fiele? Der irgendwann fragen würde weshalb ein anderer an Vaters statt ihm das Reiten beibringen musste....
Nein, da schwieg er lieber bevor er jetzt, wieder den falschen Tone treffend, den Edlen auf’s Neue beleidigte sodass es für beide nur den Ausweg mit dem Sauenspieß gab.
So nickte er eifrig, als Garobald ihn um Erlaubnis bat und vermied es auch, ihm direkt in die Augen zu sehen. Er hatte es gehörig mit der Angst zutun, denn sobald die Waffen ergriffen wurden, würde es für sie beide hier kein schönes Leben mehr geben. Dann war’s vorbei mit der Jagd in Graufurten, ein für alle mal, egal wer im Blute lag, egal wer mit Schimpf und Schande davon gejagt wurde.

Die Edle indes blieb stehen, als Garobald sie anrief. Aus seiner Stimme und der an Barnabas gewandte Bitte um Erlaubnis hörte sie, dass ihre Worte wohl ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. Hoffte sie zumindest. Langsam wandte sie sich zu ihrem Gast um, ihr Blick war fragend, doch ohne Vorwurf.
„Ja...?“

Garobald kam vor ihr zum stehen. Reumütig und verschämt sah er die Edle an. „Mein Verhalten war unverzeihlich, ich hoffe trotzdem, dass Ihr mir irgendwann vergeben werdet.“
Er schluckte: „Eure Worte haben mir den Kopf wieder zurechgerückt, habt Dank dafür. Normalerweise habe ich mich besser unter Kontrolle, ich weiss nicht was da über mich gekommen ist.“ In dem Blick den er ihr zuwarf lag echte, tief empfundene Reue.
Garobald trat ein wenig zur Seite um auch Barnabas in das Gespräch miteinzubeziehen.
„Waidgeselle Barnabas, ich möchte dich um Verzeihung bitten, sowohl für die Worte vom Nachmittag als auch für die bitteren Worte und Taten“, er zeigte auf die Wange, „oben in der Halle.“ Den Humpen in die Linke wechselnd trat er auf Barnabas zu und streckte ihm die Rechte
entgegen.

Dem Jäger fiel sichtlich ein großer Stein von Herzen. Und so erleichtert und herzlich war nun das Lächeln, welches er Garobald schenkte als er mit kräftiger Hand in die seine einschlug.
„Edler von Fischwachttal, bitte verzeih’ du mir! Mein böser Streich und meine noch viel bösere Absicht dir mit dem Spieß gegenüber zu treten – ich weiß nicht, wo das auf einmal herkam!“

„Ich verzeihe dir. Allerdings steht hier immer noch die Sache mit dem Duell zwischen uns. Wenn ich mich recht erinnere, muss ich dir beweisen, dass mein Umgang mit dem Speer meinem Stande entspricht. Halt mal.“ Damit drückte er dem verdutzen Barnabas den Humpen in die Hände, griff sich einen Speer und trat mehere Schritte zurück, um sich ausreichend Platz zu verschaffen. Dann volfführte er eine Abfolge von Stößen und Abwehrbewegungen, die denen der Edlen vom Nachmittag in nichts nachstanden. Nachdem er die Übung beendet hatte, blickte er Barnabas fragend an: „ Was sagst du, erfülle ich damit deine Forderung?“

Der Jäger lachte bei diesem geschickten Wege, den Worten Taten folgen zu lassen ohne Blut zu vergießen, freudig auf:
„Ja, das tust du! Du führst den Speer wie es ein Edler wohl nur selten kann!“

„Danke. Mein Schwertvater hat viel Wert darauf gelegt, dass ich mit den verschiedensten Waffen umgehen kann.“

Die Edle indes hatte sich das Schauspiel auch noch mit angesehen und konnte sich ihrerseits ein seliges, beruhigtes und glückliches Lächeln ebenso wenig verkneifen.
„Jungs, trinkt einen! Und kommt wieder rauf, sobald ihr damit fertig seid....“, lachend wandte sie sich ab und schritt zurück zur Halle. Egal, wie alt sie wurden, die besten aller Männer blieben doch bis zum Tode noch Kinder....

Versonnen schaute Garobald der Edlen hinterher als sie den Hügel hinaufging. Hatte sie das geplant? Konnte es sein, dass... Baranabas Worte rissen ihn aus seinen Gedanken:

„Warte, ich zeig’ dir mal, wie ein Jäger das macht...“, Barnabas stellte den Krug auf den Boden und griff sich den zweiten Speer. Dann stellte er sich parallel zu Garobald auf, die Speerspitze in dieselbe Richtung zeigend nur mit anderem Fuße vorn, sodass dieser gut sehen konnte was der Jäger derweil mit den Händen anstellte.
„Auf’s Herz!“, rief er, machte einen halb gesprungenen Schritt nach vorn und stieß zu, wobei nur die hintere Hand dem Schaft wirklich Kraft mitgab, die vordere hielt ruhig die Höhe und zielte so genau.
„Auf’s Dach!“, rief er erneut, worauf er das hintere Bein nach vorn und hinauf zog, sich kraftvoll mit diesem vom Boden abstieß und beachtlich in die Höhe sprang. Während er in der Luft war stieß er erneut auf den imaginären Gegner ein, diesmal beide Hände nutzend und von oben herab stechend. Flink landete er wieder, den Speer zur Parade wieder erhoben. Mit einem Lächeln und einem halben Lachen wandte er sich wieder Garobald zu:
„Wie gut, dass wir einander nicht abgestochen haben!“
Lachend stimmte Garobald ihm zu: „Du bist ein wahrer Meister mit dem Speer.“ Er hob den Krug auf und reichte ihm Barnabas. „Lass uns auf deine Lehensherrin trinken, die uns zur Vernunft gebracht hat!“

„Jawoll! Auf die Feder der Schwanenschwinge, Leuina von Bilgraten! Möge sie noch lange leben und dabei vielen Hitzköpfen wie uns das Leben retten!“, er nahm einen Schluck aus dem Krug und hatte kurz vergessen, dass es sich beim Inhalt ja um Schnaps handelte. So verzog er dann das Gesicht und reichte den Krug an Garobald zurück.

Garobald nahm den Krug entgegen und entgegnete „Wohl gesprochen, darauf trinken wir.“ Dann nahm er selbst einen guten Schluck. Anstatt des erwarteten Bieres brannte allerdings ein scharfer Himbeergeist seine Kehle hinab. Ein wenig nach Atem ringend brachte Garobald ein krächzendes „sehr gut“ zustande, wobei er den Krug kurz anhob.

Nachdem der Brand in seiner Kehle wieder nachgelassen und sich dafür eine wohlige Wärme in seinem Körper ausbreitete, richtete Garobald wieder das Wort an Barnabas: „Ich weiß kaum etwas über das Waidgesellentum, welches hier immer noch gepflegt wird. Würdest du mir mehr darüber erzählen?“

„Sicher! Also...ich fang mal beim Anfang an. Wenn man Waidgeselle werden will, spricht man als Bub vorm Meister der Jagd vor. Älter als 12 sollte man da aber nicht sein, weil einem dann die Unarten nicht mehr so leicht ausgetrieben werden können. Wenn der Bub gesund und kräftig ist und die Edle der Empfehlung des Jagdmeisters zustimmt, wird man Jagdpage.“, er nahm Garobald den Krug aus der Hand und nahm einen etwas kleineren Schluck als noch zuvor. Dann fuhr er fort
„Ja und als Jagdpage, da sind die schönen Zeiten am Herd erstmal vorbei! Man ist mit den Männern dabei, die ganze Zeit. Selbst auf der Sauenjagd! Aber nur, wenn man gelernt hat flink den Baum hochzuklettern...Man lernt die Bruchzeichen, die Trittsiegel und alles über’s Wild, die Jagd, die Signale mit dem Horn und auch wie man den Herrschaften die Jagd richtig aufstellt, dass die Knechte wissen wo sie laufen müssen. Je nach Größe des Unterfangens wird man da schnell zum Herr über einige dutzend Knechte, ha! Wie ein Offizier muss man das planen, jawohl! Und der Meister hat mal gesagt, dass man als Jagdpage hier viel mehr seine Waffen beherrschen lernt als ein einfacher Knappe. Die meisten von denen kämpfen ja nur zur Übung. Aber spätestens wenn den Jungs Haare auf der Brust wachsen oder den Mädels das Wams zu spannen anfängt, muss sich ein Jagdpage ständig mit dem Wilde messen – gejagt wird ja eigentlich fast immer auf irgendwas. Und diese Kämpfe gegen’s Wild, die sind schon echt!“

„Du hältst mit deiner Meinung nicht gerade hinter dem Berg.“ lachte Garobald. „Aber nicht jeder Knappe führt ein ruhiges Leben mit einfachen Übungskämpfen im Burghof. Wenn ich da an meine eigene Knappenzeit zurückdenke....“ Der Edle lächelte versonnen, dann nahm er einen kleinen Schluck aus dem Humpen. „Ich war 12 als wir nach Tobrien zogen um die Horden des Dämonenmeisters zu bekämpfen.“ Das Lächeln verblasste und wich einer bekümmerten Miene: „Vieles habe ich dort lernen und gewinnen können, aber die erlittenen Verluste wiegen für mich weit schwerer.“ Sich unbewusst an die linke Schulter greifend setzte er noch leise hinzu „Manche Wunden verheilen nie.“
„Ach, das wird schon“, erwiderte Barnabas und drückte dem Edlen den Krug wieder in die Hand
„Immerhin erklärt das, wieso aus dir noch n anständiger Kerl werden konnte. Das Üble interessierts ja auch nicht ob du als ‚von und zu’ geboren wurdest“, nicht, dass der Waidgeselle wirklich wusste wovon er sprach, aber er hatte genug Geschichten über Untote und Daimonide gehört um dazu auch eine Meinung zu haben.
Garobald bedachte Barnabas mit einem langen nachdenklichen Blick: und murmelte leise: „Ich wünschte es wäre so einfach, mein Freund.“
„Mach’s halt wie wir: Das Leben ist schon kurz genug, da muss man die friedlichen Zeiten des Beisammenseins auskosten. Tanz mit verheirateten Frauen die’s lieber nich wären, die ganze Nacht! Lieder singen vom lustigen Jäger- oder Rittersleben! Der Vogel kommt schon früh genug und was geschehen is, is halt geschehen. Jeder Tag könnt’ doch so oder so dein letzter sein. Und der heute wär’s beinah’ echt geworden“, er grinste fröhlich und strahlte nun wieder jenes Selbstbewusstsein aus, welches er zuvor in der Halle noch besessen hatte.

„Wahrlich, manchmal wünschte ich, mein Leben wäre so einfach, aber das ist es nicht.Wenn du vom Stande bist wird jedes deiner Worte, jede deiner Taten mit einer Feinwaage abgewogen und dir und deiner Familie angerechnet oder vorgehalten. Mein Verhalten in der Halle wird mir noch lange vorgehalten werden.“ Garobald seufzte. „Du darfst auch nicht lieben wen du willst. Ich muss mir jemanden vom Stande suchen und nicht einfach meinem Herzen folgen.“ Er unterbrach und dachte kurz nach.
„Wie sieht es bei dir aus Barnabas, bist du den Traviabund eingegangen, hast du Kinder?“

„Jawoll, das hab ich. Vor vier Götterläufen, als ich grad meinen Gesellenschlag empfangen hatte, hab ich die schöne Lisaya geheiratet. Und letztes Jahr, am schönsten Tag im Hesinde, hat sie mir den Eichmar geschenkt“, er lächelte versonnen als er an seine Frau und seinen Sohn dachte. Nur ganz kurz verfinsterte sich sein Blick, als kämen ihm schlechte Gedanken auf und er schüttelte sie ab. Als er Garobald wieder anblickte, saß ihm der alte Schalk wieder im Gesicht:
„Und nu tu mal nich so, ich bin auch von Stande! Dachte, wir hätten das geklärt!“, er grinste breit „So leicht ist das alles nich, auch wenn du nur ein Bürgerlicher bist – deine Familie guckt immer, wen du heiratest und wen besser nich! Glaubst du, ich hätte Lisaya bekommen, wenn ich hier vom Hof gejagt worden wär? Glaubst, ihr Vater hätt sie mir gegeben? Und auch ich muss mich für meine Taten verantworten – den Jagdmeister wird’s kaum freuen. Da weiß ich schon, wen er im Winter auf der Koschwacht droben und das Wilde beschützen lässt!“, er seufzte bei dem Gedanken und nahm Garobald wieder den Humpen aus der Hand „Gib nochmal her...“, er nahm einen Schluck, einen kräftigen diesmal, dann lachte er prustend los:
„Is dir eigentlich aufgefallen, wo wir’s jetzt schon von Standesdünkel und so haben, dass wir die ganze Zeit wie die Bauern ‚du’ zueinander sagen?“

„Nicht wie Bauern, eher wie Kameraden die gemeinsam den Krallen Golgaris entkommen sind.“ Garobald hielt kurz inne und grinste dann breit: „Ach verdammich, nenn mich Garobald.“ Er streckte abermals Barnabas die Rechte entgegen.

Barnabas grinste „Barnabas, hoch erfreut dich kennenzulernen!“ und mit kräftiger Hand schlug er ein.
Die Freude darüber, dass Barnabas eingeschlagen hatte stand Garobald ins Gesicht geschrieben. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ So schnell kann es gehen, dachte er bei sich, noch vor kurzem wäre er bereit gewesen dem Waidgesellen den Speer in den Leib zu pflanzen und jetzt hatte er ihn ins Herz geschlossen. Garobald griff nach dem Krug in Barnabas Hand und nahm einen Schluck, bevor er ihn zurückgab. „ Du hast also eine Familie die dich liebt und bei der du sein kannst. Dafür beneide ich dich, mir selbst ist dieses Glück verwehrt worden.“ Er sah kurz auf zu den Sternen als suche er nach etwas und blinzelte mehrmals, dann senkte er seinen Blick wieder auf Barnabas. „Aber wir waren bei deiner Familie, erzähl mir von deiner Lisaya und deinem Eichmar.“ Der Edle sah sich auf dem Hof um, „kann man sich hier irgendwo hinsetzen?“

„Da vorn müsst irgendwo die Tränke sein“, sprach Barnabas und ging voraus zu den Stallungen. Seine behutsamen Schritte ließen auf eine gewisse Konzentration schließen die er benötigte, um nicht zu torkeln. Garobald wankte Barnabas hinterher, den Speer als Wanderstab nutzend.
„Eichmar wird jeden Tag größer, bald schon wird er laufen können!“, sprach er und war froh, dass es dunkel war und Garobald sein Gesicht nicht sehen konnte, lief er doch Gefahr von Tränen übermannt zu werden.
„Und die Lisaya...ach, eine Herzensgute! Das schönste Mädel im Dorf und ausgerechnet ein Tölpel wie ich durft sie ehelichen!“, nun lachte er wieder und versuchte, sich auf der Ecke der Tränke zu setzen ohne Gefahr zu laufen hinein zu fallen.
„Travia hat es gut mit mir gemeint und die holde Rahja ebenso“, er präsentierte seinem neugewonnenen Freunde nun ein klassisches Männergrinsen:
„Immer wenn ich daheim bin darf ich an sie ran, ha! So ein Glück muss man erstmal haben....“, er räusperte sich und wurde nun unschlüssig, ob die ‚Herren von Stande’ auch solch Dinge so freimütig erzählten.

Der Fischwachttaler lachte auf „Du bist mir einer, mir sowas zu erzählen.“ Er blinzelte Barnabas zu „Aber wo wir schon bei dem Thema sind, hast du es schon mal mit einer Almadanerin zu tun gehabt? Ganz schön feurig, kann ich dir sagen.“ Er verstummte und sann über seine letzte Begegnung dieser Art nach. Wie lang war das her? 7 Götterlaufe? Ja genau etwa einen Götterlauf später hatte er Larissa kennengelernt.
Barnabas Worte holten ihn in die Gegenwart zurück:
Barnabas lachte auf:
„Ei, ich bin Jäger! Den Rücken zerkratzt mir schon das Wilde tüchtig, da brauch ich keine Frau für!“

„Doch sag: Bist du dann auf Brautschau hier und willst am Ende noch die Edle wegheiraten?“

Völlig verdutzt starrte Garobald Barnabas mit großen Augen an, dann senkte er, fast ein wenig verschämt, den Blick. „Nun ja,“ hob er an während er mit seinem linken Fuß Kreise auf dem Boden malte. „Glaubst du den sie würde mich überhaupt nehmen?“ wich er der Frage erstmal aus.

Barnabas seufzte „Ach – sie muss früher oder später. Und das wird wohl weniger mit wollen zutun haben – denn wollen tut sie eigentlich Aureus, den Jagdmeister. Aber den darf sie nich, die Mutter hatt’s verboten! Vermutlich wird’s dann wohl Teil vom Vertrag sein, dass sie einen anderen zum Meister der Jagd bestellen und den Aureus fortjagen muss....“

Garobald dachte über das gerade gehörte nach. „Um deine Frage zu beantworten, ich bin vor allem zur Jagd gekommen, aber tatsächlich bin ich auch auf der Suche nach einer Braut.“ Er stiess sich vom Rand der Tränke ab und begeann auf und ab zugehen. „Ich mag deine Herrin, vielleicht habe ich mich sogar ein wenig verliebt. Es hat mir fast das Herz zerissen als sie so hilflos in der Halle stand, du wirst dich erinnern. Ich bin betrunken wirst du sagen, ich fassele unsinniges Zeug wirst du sagen, aber liegt nicht im Weine Wahrheit.?“ Unvermittelt blieb er stehen und sah Barnabas direkt an: „Barnabas, mein Freund, soll ich um sie werben?“

Der Jäger blickte den Edlen ungläubig an. Hatte der ihm gerade nicht zugehört? Er sprang von der Tränke auf, torkelte erstmal ein paar Schritte weiter als geplant und blieb dann vor Garobald stehen:
„Na, wenn’s dir nur drum geht ne Frau zu haben, dann mach wohl.“ Er griff nach der Schulter des Edlen und blickte ihm direkt ins Gesicht, die Stimme theatralisch gesenkt fuhr er fort:
„Aber mir würd’s das Herz zereissen wenn ich eine Frau hätt’, die mich nur genommen hat weil der andre tabu war. Dann schau lieber zu, dass du dich nich noch mehr in sie verliebst! Sonst bringt’s dich noch um..! Schlimme Geschichten gibt’s über sowas, nein nein. Lass bleiben wenn du dich verguckt hast, einfach bleiben lassen!“

„Du verstehst mich falsch! Ich will nicht einfach nur eine Frau haben. Ich will eine Frau die mich liebt und die ich liebe! Wenn ich um sie werbe, dann um ihre Liebe zu erringen und nicht eine schnöde Zweckheirat!“

„Achso, ja dann....“, entgegnete Barnabas und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. War er nich deutlich genug geworden?
„Dann solltest du wohl am besten ihren Jagdtrieb wecken. Beute die einem vor die Füße fallen findet kein Jäger interessant. So hatt’s wohl Aureus bei ihr geschafft“ ‚Ja, damit und mit seinem zwei-Schritt-Rondrianer-Körper’, dachte er bei sich. Aber das würde Garobald spätestens morgen selbst herausfinden wenn er dem Jagdmeister begegnete...

„Ihren Jagdtrieb wecken? Du willst sagen, ich soll sie dazu bringen um mich zu werben?“ Garobalds Schulter sackten ein Stück herab: „Das ist nicht meine Art und ich verstelle mich nicht gerne.“ Er seufzte nochmal und lies den Kopf traurig hängen. „Vielleicht hast du recht Barnabas, wie kann ich es mir anmaßen zwei Liebende trennen zu wollen.“

„Ach wo, darum geht’s doch garnich. Die Mutter hat sich das doch schon angemaßt, da kannst du überhaupt nix dazu! Und wer weiß: Vielleicht, wenn nur der rechte Mann da auftaucht, vergisst sie bald schon den Aureus...“, tröstete Barnabas seinen neu gewonnenen Freund und versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln. Das Lächeln wurde noch etwas breiter als ihm einfiel, dass es wohl auch für ihn nicht das schlechteste wäre wenn der neue Herr an der Seite seiner Herrin ein Saufkumpane von ihm war... --- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.KennyS - 05 Mar 2014