Bande und Bünde 1042 - Wiedersehen

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Wiedersehen zwischen Ira und Lupius

Iras Herz zitterte vor Aufregung und irgendwie kam sie sich vor, als beobachteten sie tausend Augen, als sie auf ihrem Wallach in den Elenviner Hafen einritt. Entweder würde sie Glück haben und der Segler mit Lupius an Bord lag hier vor Anker. Oder sie hatte keines und dann würde sie den ganzen Fluss abklappern müssen, was sie, zugegeben, jedoch gerne machen wollte, wenn sich die Mühe damit lohnte, dass sie Lupius auf diese Art persönlich mitteilen konnte, dass sie wieder zurück war. Aus dem finsteren Osten. Und dass sie sowohl das Kommando des Keyserrings, als auch das (andere) Scheusal Tobrien überlebt hatte….Irgendwie. Die Götter schienen es wohl nach wie vor gut mit ihr, denn genau dieser eine Segler, auf dem Lupius diente, lag im Hafen. Ein Kribbeln erfasste sie. Schnell lenkte sie Pirmin hinunter zum entsprechenden Kai. Während sie Hafenarbeitern, Wagen mit Frachtladungen und Seilwinden aus dem Weg ritt und der Landungssteg immer näher kam, stellte sie sich abermals die Frage, ob er sich freuen würde. Nicht nur, dass sie am Leben war. Viel mehr, dass sie eigens wegen ihm hierher kam. Die blau-grünen Gestalten an Deck. War er eine davon?

Vor dem Flussgardesegler hielt sie ihren Wallach per Schenkeldruck an und warf ein freundliches „Rondra und der Flussvater mit euch,“ aufs Deck. Aus Ermangelung eines Knappen, zu dessen Aufgaben es auch gehören würde, sie vorzustellen, tat die junge Frau es wie immer selbst. „Die Ritterin Iradora von Plötzbogen zu Rickenbach in Eisenstein, just wiedergekehrt aus den Schwarzen Landen, erbittet sich höflich ein kurzes Wort wechseln zu dürfen mit ihrem Gatten Weibel Lupius von Schellenberg.“ Nebenbei zog sie die gefütterten Handschuhe aus, sie hatte ohnehin schon schwitzige Hände, und lockerte den Sitz ihres blauen Wollmantels, auf dem deutlich das Wappen Rickenbachs prangte. Dann glitt sie aus dem Sattel und man konnte beim Aufschwingen des Mantels sehen, dass sie auch darunter etwas in den Farben Blau und Weiß anhatte. Genauer gesagt war es ein naturfarbener Gambeson, über dem die junge Rittsfrau einen Lederharnisch mit geschmiedetem Plattenkragen und den dazugehörigen Schultern über einem winterlich dicken blauen Wappenrock aus schwerem Leinen trug. Denn es war kalt geworden. Ersten Frost hatte es bereits gegeben und wie man hörte schneite es in den oberen Bergregionen schon. Selbst hier in Elenvina blies man bei jedem Ausatmen kleine Wölkchen in die Luft.

"Da habt ihr Glück... ähm... Wohlgeboren... gestern erst ist seine Mannschaft von einer Aufklärungsfahrt zurückgekehrt." Der drahtige Matrose mit dem zerzausten blonden Schopf, kaum älter als Ira selbst, beugte sich über die Reling, ihr entgegen. "Die Mannschaft hat Landgang bis das Schiff in Stand gesetzt ist." Er deutete auf einige Stellen, an denen der Rumpf des Seglers beschädigt war. Das Holz wirkte regelrecht angefressen und einige der Planken an Bord schienen gesplittert zu sein. "War ein ganz schöner Sturm vor drei Tagen. Da hat Efferd gezeigt, was in ihm steckt." Er lachte und drehte sich dann weg, um seine unterbrochene Tätigkeit wieder aufzunehmen.

An der Kaserne hatte Ira nur die Information erhalten, dass der Weibel seinen Bericht abgegeben habe, und nun vermutlich zuhause sei.

Ira wusste noch, dass Lupius ihr gegenüber erwähnt hatte, dass er sich ausserhalb der Kaserne einmieten wollte, damit er mit Leuhart Zeit in Elenvina verbringen konnte. Doch wo genau diese Unterkunft nun war, wusste sie nicht. Imma, die sie auf der Eilenwid nicht angetroffen hatte, war ihr erster Anlaufpunkt gewesen. Daher war sie zum Nest aufgebrochen, der Taverne, die der Vetter der beiden ausserhalb der Stadtmauern betrieb. Milian, ebenjener Vetter, hochgewachsen und mit einem stets etwas verwegenen Auftreten, hatte sie breit angegrinst und in die Arme gezogen.

Lupius hatte tatsächlich einige Häuser weiter die Straße hinab eine Bleibe gefunden. Dort stand sie nun vor einem einfachen Fachwerkhaus mit frisch getünchten Fensterläden. Ein halb geöffnetes Gatter führte in einen kleinen Hof mit einem überraschend großen Stall. Leises Wiehern begrüßte ihren Wallach, der das mit einem Schnauben zur Kenntnis nahm. Eine junge Frau, einige Jahre jünger als Ira, mit kurzen, blonden Locken und einer Himmelfahrtsnase schloß gerade die Stalltür hinter sich und schritt über den Hof auf die Hintertür des Hauptgebäudes zu, als Ira ihr Pferd an dem breiten Geländer festmachte, das aussah als sei es dort erst kürzlich aufgestellt worden. Rasch huschte sie ins Innere und wenige Augenblicke später trat Lupius ins Freie. Er trug nicht seine Uniform, sondern einfache braune Lederhosen mit einem breiten Gürtel und eine Lederweste über einem einfachen Leinenhemd. Im Innern schien es warm zu sein, denn als er ins Freie trat, begann die Luft um seinen Körper leicht zu flackern.

Er zögerte als er sie erkannte. Dann machte er einige lange Schritte und stand vor ihr. Erleichterung hatte ihn erfasst, als ihm klar wurde, dass sie es war. Sie war es und sie lebte. Auch wenn er es nicht einmal gegenüber Milian zugegeben hatte, hatte ihn in den letzten Monden manchmal die Furcht gepackt. Furcht davor, dass sie nicht lebend zurückkehren würde. Und dass sich das Schicksal wiederholen würde. Dass sie von ihm gehen würde, so wie sein Bruder. Mit soviel Unausgesprochenem zwischen ihnen. Soviel Zwist. In letzter Minute vor ihrer Abreise, hatte er sich zwar erinnert, wie sehr ihn der Tod seines Bruders getroffen hatte. Wie sehr er sich gewünscht hatte, nicht im Bösen auseinander gegangen zu sein. Aber zu mehr als einem Brief hatte es nicht gereicht. Und im Nachhinein war er sich nicht sicher gewesen, ob dieser Brief eine gute Idee gewesen war. Er hatte ihr sagen wollen, dass er sie lebend wieder haben wollte. Lebend. In seinen Armen. Aber er hatte das vermutlich nicht so ausgedrückt, dass sie DAS hätte verstehen können.

Für den Moment jedoch war es ihm egal. Lupius zog die junge Ritterin einfach in seine Arme, vergrub seine Nase in ihr Haar und drückte sie an seinen Körper. Sie spürte seinen Leib, genauso gestählt und hart wie zu dem Zeitpunkt als sie gegangen war. Ihrer hingegen war nicht mehr so weich wie noch vor Monden. Und auch wenn ein Krieg hart machte, was zuvor weich gewesen war, spürte er noch immer angenehme Rundungen unter seinen Armen.

Mit einem großen Seufzen legte auch die Plötzbogen ihre Arme um den Körper ihres Gatten und ließ den Moment der Nähe hinter geschlossenen Lidern passieren, sog dabei – zu eigenem Erstaunen gerne – den feinen Duft nach Minze ein, den alle Kerle dieser verdammten Sippe besaßen. Es war nicht das erste Mal, dass sie so beieinander standen. Aber es war das erste Mal, dass Ira irgendetwas in sich spürte, was die Male vorher nicht da gewesen war. Eine Erleichterung, eine freudige Regung, Dankbarkeit, dass er einfach nur tat, was er tat. Nicht um sie zu trösten, weil er das verdammt nochmal immer machen musste und sie das bisher recht nervig fand. Und auch nicht, um anderen Innigkeit vorzuspielen, obwohl er und sie sich in vielen Dingen alles andere als einig waren. Er umarmte sie ihrer Selbst Willen und weil er wohl wirklich erfreut war, sie nach diesem halben Götterlauf wiederzusehen. Ira fühlte sich stark an seinen Brief erinnert. An das, was er ihr geschrieben hatte. Dass er dafür beten würde, dass sie heil an Leib und Seele wiederkäme. Aus dem Osten und aus ihrem ersten gefährlichen Dienst für den Baron. Scheiße. Wann war eigentlich der richtige Moment, um Lupius zu sagen, dass seine Gebete nur ganz ganz knapp erhört worden waren? Jetzt? Gleich zu anfangs? Oder nie? Wobei nie keine Option war. Wenn, dann musste er es aus ihrem Mund erfahren und zwar, bevor es aus Obena an sein Ohr drang, von dort verzerrt oder sogar falsch dargestellt wurde….und ebenso, bevor Ira der Mut verließ. Er verdiente die Wahrheit! – Er war doch ihr Mann, ihr neuer Verbündeter! Außerdem wollten sie ja keine Geheimnisse mehr voreinander haben. Und dann war da noch sein warmes Willkommen…

Dann wurde der Moment doch komisch und als sie wieder voreinander standen, sich ansahen und seine Augen sie neugierig wie erwartungsvoll – und glücklich? – musterten, war Ira sich plötzlich nicht mehr sicher, was sie sagen sollte und sie fragte sich, war genau er nun von ihr erwartete. „Lupius…“ Ihre Wangen konnten nicht röter werden und ihr Lächeln nicht scheuer. Ira brach dann auch den Blick, um sich unbeholfen umzusehen. „…äh…hübsch hier. Wie…“, sie verwarf die Frage. Er stand im Sold des Allwasservogts, und jener zahlte seine Gardisten gut. „Ich hab euer Schiff gesehen.“ fuhr sie fort. „…und Milian sagte, dass ich dich hier finde. Ähm…ja. Grüße von deinem Onkel….von IHM… und von Jost natürlich auch…“ In einer Geste der Unsicherheit fuhr sie sich mit der kalten Hand über die kalte Nase, schniefte und harrte der Dinge. „Ach so, ähm, fast vergessen, kann ich Pirmin …unterstellen?“

Er runzelte die Stirn, was war ein Pirmin? Dann lächelte er und strich ihr vorsichtig über die Wange. Eine leichte Böe zerzauste sein Haar. "Lass uns hinein gehen. Dann können wir in Ruhe reden."

„Gut. Ich bring nur kurz mein Pferd in den Stall?“ wiederholte sie ihre Frage, nahm aber an, dass er sie so oder so machen lassen würde, also war ihre Frage eigentlich keine mehr.

Wenig später hatte Ira sich drinnen ihrer Reisekleidung und des Rüstzeugs entledigt und genoss die warme Stube. Vor dem Kommenden war ihr allerdings bang. Würde sie die richtigen Worte finden, um einerseits zu berichten, was sie in der Rabenmark erlebt hatte, und konnte sie andererseits das auszudrücken, was sie bewegte? In ihrer rechten Hosentasche schlummerte sein Brief.

Noch standen sie mitten in der Küche und das Mädchen mit der Himmelfahrtsnase raffte die Reisekleidung zusammen, der Ira sich entledigt hatte. "Das ist übrigens Dari." stellte er ihr das junge, blonde Mädchen vor, das vorhin ins Haus gehuscht war.

Die vollführte dabei eine leichte Verbeugung: "Herrin." Die Aufregung stieg ihr ins Gesicht und färbte ihre Wangen in ein sachtes Rose.

"Sie kümmert sich um den Haushalt. Imma und ich leben hier gemeinsam, und wir halten eine Kammer für Onkel Merkan vor." Erklärte er in seiner üblichen kurzangebundenen Art. Während er zunächst nach oben und dann auf zwei der drei Türen deutete, die von der Küche abgingen. "Die fünfte Kammer ist für die Amme, wenn sie mit Leuhart in Elenvina weilt… und dann haben wir noch eine kleine Stube." Er deutete erneut auf die Treppe, die nach oben führte und nahm dabei ihre Hand in die Seine. Er wünschte sich, dass sie seine Finger ergriff. Seitdem er sie gesehen hatte, war der Wunsch ihr nahe zu sein, ihre Anwesenheit körperlich zu spüren, bis ins Unermessliche gewachsen.

Oben standen im Raum hinter der Treppe zwei breite Polstersessel vor einem kleinen Kamin. Ein niedriger, aufwendig geschnitzter Tisch stand zwischen ihnen. In der Ecke, weit vom Kamin entfernt, fand sich ein Bücherregal mit einem kleinen Schreibpult. Ordentlich standen dort Feder und Tinte. Lupius ließ sich auf einem der beiden Sessel nieder, behielt ihre Hand aber locker in der Seinen. Die dunklen Augen des Weibels drückten eine unerwartete Sehnsucht aus. Er wollte sie bei sich wissen, bei sich spüren.

Doch genau das war ihr unangenehm. So entzog sie ihm sanft die Hand, um hinüber zu dem Bücherregal zu gehen – natürlich weniger, um sich ernsthaft interessiert den dortigen Büchern zu widmen, sondern um der seltsamen Situation zu entkommen, und, um fürs Erste Abstand zu seinem deutlichen Angebot zu bekommen. Ira fühlte sich noch nicht so weit, sich auf Lupius‘ Schoß nieder zu setzen. Seine warmen Blicke, seine offenherzigen Ambitionen, die Art, wie er ihr zärtlich über Gesicht streichelte… etwas in ihr freute sich über diese Neuerungen, denn sie machten ihn liebenswert. Etwas anderes in ihr spreizte jedoch die Stacheln vor Unbehagen, weil die Gefühle, die sie ihm gegenüber neuerdings spürte, noch so fremd waren. „Du hast da ein schönes Heim geschaffen, Lupius.“ Dir wollte sie nicht sagen, um zu verhindern, dass er uns sagen würde. Dankbar fiel ihr ein Schreibwerk ins Auge: „Oh, toll, du hast ‚Geschichten des Heiligen Hlûthar von den Nordmarken‘. Ich hab das Buch mal von Baron Ulfried geschenkt bekommen.“ Beeindruckt ließ sie den Buchrücken wieder zu den anderen aufschließen, hielt kurz inne, spürte den Blick des Schellenbergs auf sich. Plötzbogen was plapperst du da nur. Dann wandte sie sich um, fasste ihn mit ihren Augen ein. Wie er da saß. Er sah gut aus in seinem einfachen Gewand. Zugegeben er war ein hübscher Mann, der Edle, der Herr von Rickenbach. Ihr Mann! Ja, scheißverdammter, sie wollte sich doch auch zu ihm setzen, allein schon, weil es IHR sehr gefallen würde. Aber auch, weil es womöglich gar nicht so furchtbar sein würde … Sie wollte nur vorher etwas loswerden. Hinterher mochte sie sich tatsächlich zu ihm hinsetzen. Nur welche Worte waren die richtigen? Ihr war anzusehen, dass sie über etwas brütete. Ihre Stirn warf Falten und sie verhielt sich entsprechend zögerlich. „Lupius… übrigens danke für den Brief. Ähm, den da, meine ich.“ Dabei zog sie ein zerknittertes Etwas aus ihrer Hosentasche. Es schien entweder vielfach gelesen worden zu sein, oder anderweitig in Mitleidenschaft gezogen. Tatsächlich hatte Ira den Brief zuerst beiseite gelegt, lange nicht mehr beachtet und erst nach ihrem Schreckensereignis wieder hervor geholt. Dafür war er vor allem in letzter Zeit oft gelesen worden.

Er nickte kurz. Sah von ihr zum Brief und zurück. "Ich war mir nicht sicher, ob du ihn so aufgenommen hast, wie ich ihn gemeint habe." Er stand auf und kam auf sie zu. Griff nach ihrer Hand. "Die Vorstellung, dass du wütend auf mich wärst, während du dein Leben verlierst..." er ließ sie seufzend los "nun ja, mit irgendeinem Gedanken muss man sich wohl beschäftigen, wenn man der ist, der zuhause bleibt." er wandte sich ab und machte Anstalten sich wieder zu setzen, doch plötzlich war er in wenigen Schritten bei ihr und zog sie an seine Brust. Heftig. Eng. Er hob sie sogar leicht vom Boden hoch. (Fast blieb Ira die Luft im Halse stecken, während sie seinen schnellen Herzschlag an ihrer eigenen Brust spürte.) Beinahe ebenso abrupt ließ er sie wieder auf die breiten Holzdielen gleiten. "Orkendreck, was hab ich mir Sorgen gemacht. Dass du nicht zurückkehrst. Dass unser Kleiner seine Mutter verliert. Dass wir... dass ich....." Er wandte sich ab, dem Sessel wieder zu. "Willst du dich nicht zu mir setzen... Ein wenig erzählen?"

„Lupius!“ rief sie ihm in ihrer Verzweiflung zu und zwang ihn so sich umzudrehen. Er sollte jetzt nicht weggehen. Etwas in ihr wollte das nicht. Und war es auch nur zurück zu den Sessel ans Feuer. Als er sie erneut ansah stand ihr etwas ins Gesicht geschrieben, aber es war kein Zorn oder Trotz wie sonst. Ja, es war zwar ein Widerwillen, den drückte aber gerade etwas Unbekanntes in ihr nieder. „Deine Sorge…Lupius…“ Ira musste schlucken, weil die Wort trotz ihrer guten Vorsätze nicht leicht über ihre Lippen wollten. Sie atmete tief ein. Die richtigen Worte zu finden war wirklich schwer. „Deine Sorge war berechtigt. So was von! Ich… bin im Rahja einfach gegangen…und hab euch zurückgelassen. Ohne euch…ohne dass… ohne mir Gedanken zu machen, wie’s euch dabei geht. Das war falsch. Das weiß ich…jetzt… Nachdem… Ach egal.“ Nein, es ist nicht egal, sag ihm die Wahrheit, Plötze! Sie brach den Blick mit einer fahrigen Geste und flog für einen kurzen Moment in Gedanken davon. Zurück zu jenem Moment, an dem ihr Leben hätte enden sollen. „Nein, nicht egal!“ verbesserte sie sich kopfschüttelnd. „Du musst das wissen! Du musst wissen… dass… dass….. Ach, Scheiße!“ Einmal noch holte sie tief Luft. Wirklich tief. „Du bist mein Mann, du hast ein Recht das zu wissen, auch wenn ich eigentlich nicht genau weiß, wie ich dir das sagen soll, aber ich muss es tun, hörst du, ich muss, weil die Herrin Travia es will, weil sie mich nicht zurückgeschickt hat zu dir, zu euch meine ich, damit ich weiterlebe wie bisher, sondern weil sie will, dass ich mich ändere, für dich, für euch, für uns.“ Atemlos holte sie noch einmal Luft. Für den Rest ihrer aufreibenden Beichte. „Also ja, falls du dich fragst, was ich da eigentlich für Quatsch von mir gebe, dann gut hör zu, ich hab mir nämlich geschworen es nicht an die große Glocke zu hängen, und dass ich keine Einzelheiten erzählen werde sondern nur das, was du wissen musst, und, Lupius, du brauchst auch niemanden anderen fragen, weil ich allen verboten habe, darüber zu sprechen, ich kann’s ja fast selbst nicht. Aber, verdammter Scheiß, du musst es wissen, du musst wissen, dass ich fast nicht zurück gekommenen wäre!” Sie holte tief Luft für das Finale. “Ja. Lupius. Ich bin da drüben im Osten gestorben. Ich war tot. Sie haben gesagt, dass mein Herz nicht mehr schlug. Das glaube ich ihnen auch, denn ich hab Seine Schwingen schon gehört und ich weiß, dass Er mich nur noch nicht über das Nirgendmeer fliegen durfte, weil Sie wollte, dass ich zurück komme, zu Leuhart, zu dir, zu…uns. – So! Und jetzt sprechen wir nie wieder darüber. Hörst du? Nie. Nie wieder!“ Götter. Es war raus. Gut fühlte sich Ira aber noch lange nicht. Ihr war zum Heulen zumute und mühsam blinzelte sie die Tränen fort. Wahrscheinlich, so dachte sie bei sich, würde er kommen und sie noch einmal in den Arm nehmen, denn sie wusste ja, dass er sie nicht weinen sehen konnte. Aber merkwürdigerweise sehnte sie sich nach diesen Worten sogar nach seiner erneuten Umarmung. Nach seinem Duft von Pfefferminz, nach seiner Brust zum Anlehnen und nach seinen Armen – die sie ja dann immer noch zurückdrücken konnte, wenn es ihr doch zu viel wurde.

Er sah sie an. Dann dauerte es zwei Atemzüge und er zog sie tatsächlich in seine Arme, an seine Brust, in den sanften Hauch der Pfefferminze. Seine Arme schlangen sich um ihren Körper und drückten sie so feste an sich, dass sie sich nicht hätte befreien können, selbst, wenn sie es gewollt hätte. Seine Nase grub sich in ihr Haar. Ihr Duft. So nah und so fern gleichzeitig. Er sehnte sich nach ihrer Nähe. Nach ihrem Körper. Ihrem Duft. Ihrem Geschmack. Er wünschte sich, ihr nahe zu sein. Gleichzeitig wollte er sie schütteln und schimpfen, dass sie ein junges und dummes Ding war. Und doch... gerade überwog das Gefühl der Erleichterung.

Gegen seine Brust gedrückt konnte Ira die Flut an Tränen jetzt nicht mehr zurückhalten. Ihr Stolz fand es zwar dämlich, dass sie sich so gehen ließ, doch sie konnte einfach nicht anders. All der Kummer wollte herausgespült werden. So sank sie tiefer in seine liebevolle Umklammerung. Ganz weich wurde ihr Rücken, ihr Körper dabei. Und das erste Mal genoss sie Lupius’s Nähe ohne die bisherigen Bedenken oder den Drang ihn fortstoßen zu müssen. Beides war gerade irgendwie wie fortgewischt. Spürte er das auch? Es war erst das zweite Mal seit ihrem Kennenlernen und seinem mehr als seltsamen Antrag, dass sie sich von ihm so richtig verstanden fühlte. Das erste Mal – ihre Aussprache am Abend nachdem sie Dienstritterin des Tyrannen geworden war – lag bereits schon so lange zurück, dass sie sich gar nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern konnte. Was sie nun, im Nachhinein fast schade fand. Denn das Gefühl, Lupius nicht gleichgültig, ja, auf eine obskure Art und Weise sogar ihm ebenbürtig zu sein, wärmte ihr Herz und Seele, denn nichts wünschte sie sich mehr. Bisher hatte er ja eigentlich immer nur das junge dumme Liebchen Hagrians in ihr gesehen. Irgendetwas war nun anders. So vieles drückte seine Umarmung aus, dass Worte den Moment wohl zerstört hätten. Drum ließ Ira ihren Tränen stumm freien Lauf und sog stattdessen mit jedem Seufzen Lupius‘ angenehmen, wohltuenden Geruch in sich auf.

Lupius schloss die Augen. Er sagte nichts. Nur sein Herz schlug einen schnelleren Takt als noch zuvor. Das Pulsieren des Blutes, das durch seine Adern pumpte, klopfte einen schnellen und dennoch in seiner Gleichmäßigkeit beruhigenden Rhythmus gegen Iras Ohr.

„Willst du…nicht was sagen?“ war es ihre zögerliche Frage, die nach ein paar Momenten stummen Beieinanderstehens die Stille zerschnitt. Es war ihr dabei egal was aus seinem Mund kam, solange nur etwas aus seinem Mund kam, denn sie wollte wissen, was in ihm vorging. Was er dachte. Fühlte.

Oh, ja, er wollte ihr tausend Dinge sagen. Dass er genau das erwartet hatte. Dass er gefürchtet hatte sie niemals wieder zu sehen. Dass er froh war, dass sie nicht tot in Tobrien lag. Dass er immer noch ein wenig wütend war, weil sie im RAHja nach diesem Gemetzel in Hlutharswacht einfach gegangen war. Dass er glücklich war, sie in seinem Arm zu wissen. Aber nichts davon wollte er sagen. Und doch spürte er ihren Drang, etwas hören zu wollen. Wollte sie Absolution? Was wollte sie hören? Er wollte das bisschen Nähe nicht direkt wieder zerstören. Er atmete einige Atemstöße, bevor er zögerlich antwortete: "Ich soll doch niemals mehr davon sprechen!" sagte er leise und wollte sich gleich auf die Zunge beißen und schob schnell nach: "Aber ich danke den Göttern, dass du wieder da bist. Ich bete zu ihnen, dass du genug daraus lernst, um mir nie wieder so einen Schrecken einzujagen. Und .... ich mag es, wenn es ein Uns gibt." während er sprach, presste er sie fester an sich. Wollte ihr zeigen, dass seine Worte voller Zuneigung waren. Doch erwartete er, jeden Moment zurückgestoßen zu werden.

Sie versteifte sich tatsächlich. Nie wieder einen Schrecken…? Ira fragte sich, wie er das wohl meinte. Ja, glaubte er denn, dass sie von nun an immer nur zuhause blieb und den braven Höfling mimte? Wie ein Domestik? Natürlich würde sie jederzeit wieder ausreiten, um für das Gute zu kämpfen, oder wenn einer ihrer Freunde sie brauchte – ganz gleich ob das in Tobrien oder anderswo war. Er musste das doch wissen. Es war tatsächlich so, dass ein Teil in Ira längst genug hatte von seiner Nähe, und dass dieser Teil ihres Selbst nun aufgrund seiner Worte die Oberhand gewann. Vorsichtig drückte sie sich daher von seiner Brust ab und sah ihn etwas entrüstet aus ihren verheulten Augen an. Die Wangen wischte sie sich mit altbekanntem Trotz trocken. „Was meinst du mit ‚daraus gelernt‘? Wenn einer meiner Freunde meinen Waffenarm braucht, dann kriegt er ihn! Daher kann ich dir nicht versprechen,…“ Sie hielt inne. Nein, anders, denn sie wollte keinen Streit beginnen, nicht jetzt, wo es gerade so angenehm zwischen ihr und Lupius war. Drum setzte sie neu an und senkte die Stimme dabei: „Ich bin Ritterin, Lupius. Du weißt selbst wie das als Ritter so ist. Man hat Pflichten. Verpflichtungen. Götter, Kaiserin, Herzog, Graf, Lehnsherr, Freunde, irgendwer wird uns immer wieder zum Kampf rufen, und ich hab nicht vor etwas daran zu ändern, nur weil ich… du weißt schon. Ich will mich auch vor dem Tod nicht fürchten, nur weil ich da drüben fast…. Das wäre irgendwie nicht richtig.“

"Arg." Zornig stampfte er auf. "Ira, du sagtest mir doch gerade, dass du dich durch Travia gerettet fühlst und etwas ändern willst. Dann sage ich, dass es mich freut, da ich mir dann weniger Sorgen machen muss. Und jetzt tust du so, als sei ich derjenige, der dir eine Veränderung aufdrückt. Willst du nun etwas ändern oder nicht? Und wenn du etwas ändern willst, dann sag mir doch was. Denn sonst kann ich nichts anderes dazu sagen, als dass ich hoffe, dass diese Änderung dazu führt, dass du sicherer bist und ich mir daher weniger Sorgen machen muss." Er funkelte sie wütend an: "Und noch etwas. Ich bin der letzte, der nichts von Verpflichtungen weiß. Aber ich möchte keinen Menschen mehr verlieren, mit dem ich im schlechten auseinander gegangen bin. Keinen, der mir etwas bedeutet." Er stapfte zum Sessel und ließ sich hineinfallen. "Warum, bei den Göttern... du WILLST mich missverstehen oder?" brummelte er noch leise.

Sie sah ihm verdutzt nach. Was war das denn nun für ein Gehabe? „Nein, du hast gerade gesagt, dass du hoffst, ich hätte etwas aus der Sache gelernt, um dir nie wieder so einen Schrecken einzujagen. Ich sagte dir daraufhin, dass ich natürlich irgendwann wieder in den Krieg ziehen werde, eben wegen der Verpflichtungen. Was heißt, dass du dich sehr wahrscheinlich nicht das letzte Mal um mich gesorgt hast und ich – natürlich nicht willentlich, das kannst du mir bitte glauben! – auch wieder in gefährliche Situationen kommen werde, die einem Kämpfer das Leben kosten könnten, wenn’s dumm läuft. Aber daran ändert doch Travia nichts!“ Kopfschütteln starrte sie zu ihm hinüber. Warum nur hatte sie das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen? Ira glaubte zu wissen warum, und es machte sie ebenfalls wüten.

"Bei den Göttern. Ich habe doch mit keinem Wort GESAGT, dass ich erwarte, dass du zuhause sitzt und nähst, oder so was." schnaubte er wütend.

„Vielleicht reden wir tatsächlich aneinander vorbei. Ja, Lupius, es stimmt schon, ich möchte etwas ändern.“ Fühlte sie dich genötigt noch einmal zu betonen. „Das heißt aber noch lange nicht, dass ich jetzt nur noch in Rickenbach das Burgfräulein bin, damit du dich nicht mehr sorgen brauchst. Ich will damit sagen, dass ich…“ Urplötzlich hielt sie inne und schüttelte sich. Ach, scheiße. Verdammter Kack. Sie wollte diesen Streit doch eigentlich gar nicht. Sie wollte weder, dass er sie so grimmig ansah, noch, dass er ihr zürnte, wegen…ja wegen was eigentlich genau?

„Warte.“ Seufzend gab sie sich stattdessen einen Ruck, folgte ihrem Mann nach und ließ sich in den anderen Sessel gleiten. Deutlich angespannt legte sie beide Arme auf die Armlehnen ab und knetete mit den Händen sanft das weiche Polster unter ihren Fingern. Seine heftige Reaktion wühlte sie auf. Aber ihr Wunsch nach Harmonie zwang sie zur Räson. Vielleicht mochte er erkennen, dass sie tatsächlich Ambitionen hegte, sich vernünftiger zu verhalten als bisher. Zumindest war ihr Entgegenkommen ein guter Schritt in diese Richtung. Und ihre Worte auch: 

„Ich möchte keinen Zank, Lupius. Nicht mehr.“ Das war die Wahrheit. Ihre Stimme klang leise und versöhnlich. Ein angestrengtes Stöhnen begleitete ihren Annäherungsversuch. „Wenn ich also etwas gesagt - oder getan - habe, was dich….hm verletzt…, dann…dann tut es mir leid. In Ordnung? Scheiße verdammt, ich möchte so viele Dinge ändern, weißt du. Und eines davon ist eben, mit dir nicht mehr so viel…na du weißt schon… zu streiten und so.“ Dabei stahl sich ein vorsichtiges Lächeln in ihr Gesicht.

"Und ich möchte auch keinen Zank mehr." brummte er versöhnlich: "Aber bitte, bitte, hör auf Dinge in meine Worte hineinzuhören und mich dann deswegen anzufahren." Er seufzte. Es war so kompliziert.

Kurz nickte sie. Dann fuhr sie fort: „Ich bin jetzt übrigens auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Du weißt doch. Wegen Rickenbach und der Burg. Also, horch mal, ähm,“ kurz überlegte sie, ob es der richtige Zeitpunkt war, ihm das Folgende zu sagen. Sie entschied sich, dass es ihm zumindest zeigen würde, dass es ihr ernst war und dass ihre Worte nicht nur leere Worthülsen waren. „…Ich habe meinen Freund Aureus von Altenwein mit nach Rickenbach gebracht und deinen Onkel gebeten, ihn als Hauptmann der Wache einzusetzen, damit diese Position nicht mehr durch einen von Rajodans Leuten bekleidet wird.

"Von Altenwein?" fragte er irritiert. Die Geschichten um den trunksüchtigen Spieler Answin waren ihm noch im Gedächtnis.

„Ja. Aureus, einer meiner Bundbrüder.“ Mit mehr Informationen wollte sie gerade nicht dienen, denn es gab Dinge zwischen ihr und dem jungen Ritter, die brauchte ihr Mann nicht wissen. „Übrigens, ich werde im kommenden Rossmarkt im Phex mit dabei sein und die Kaufpferde vorstellen. Hab ich mit deinem Onkel schon besprochen. Er findet das gut. Ich will mich auch mehr um Leuhart kümmern, mehr mit ihm unternehmen. Vielleicht nehme ich ihn mal mit auf Reisen, ich muss mal schauen. Wäre doch schön…für ihn, oder?“ Sie seufzte nach wie vor angestrengt, aber ihr Tonfall verriet, dass sie sich das alles gut überlegt hatte. Oder zumindest einiges davon.

"Rossmarkt?" Diesmal wirkte Iras Gatte mehr als irritiert und runzelte die Stirn: "Mein Onkel, Ira. Genieße ihn mit Vorsicht. Er mag freundlich und unbedarft wirken, aber er ist verschlagen und oftmals Phex mehr zugetan als Rondra."

„Hm, was meinst du?“ wollte Ira wissen und sah ihren Mann fragend an.

Dessen Gedanken glitten zu Milian, seinem Vetter und bestem Freund. Der so viel mehr von seinem Vater hatte, als er – Lupius – diesem jemals offen ins Gesicht sagen würde. Und zu Prianna, die sein Onkel auf dem Altar der ‘Diplomatie’ bereit gewesen war zu opfern. Bitterkeit stahl sich auf seine Zunge. Der Offizier schluckte im Wissen, dass dieses Gefühl ihn nie ganz verlassen würde: "Das Gestüt gehört der Familie von Rickenbach. So wie das Lehen immer von dieser Familie geführt wurde. Als Rajodan nach dem Tod meines Großvaters entschied nicht Merkan, sondern meine Mutter trotz ihres Standes als Geweihte zu belehnen, hat das.... nun ja... Es hat dazu geführt, dass zwei Familien in Rickenbach herrschen. Die Familie Rickenbach, reich, mächtig und angesehen in der Region. Und Schellenberg. Rondrianisch und dem Herzog ergeben, aber nicht greifbar genug für die Bauern und Handwerker dort. Oder für die Ritter und Junker der Baronie." Er seufzte. "Rajodans Schachzug zur Vergiftung des Lehens. Und unserer Familie." er lachte erbost. "Und es hat gut funktioniert. Aber für diesen Schachzug hat er seinen besten Freund geopfert. Seinen einzigen Freund." Die braunen Augen des Offiziers suchten die seiner Frau: "Du wusstest, dass Merkan einst der beste Freund von ihm war?" Wie konnte er Ira klar machen, dass alles was sein Onkel tat, stets auch zu hinterfragen war, ohne sie gegen sich selber aufzubringen.

„Ja. Du hast es mir erzählt.“ Ein fragendes ‚weißt du nicht mehr?‘ verkniff sie sich. Eine kurze Pause folgte, in der Ira zu verstehen versuchte, was Lupius ihr gerade zu verstehen geben wollte. Anders als ihr Mann sah sie jedoch diese Zweiteilung der Häuser nicht ganz so dramatisch. Es war ja immer eine Sache, was man daraus machte. Predigte er selbst nicht immer, dass man gegen den Baron gemeinsam Stärke bewahren und sich dessen Schikanen nicht zu sehr zu Herzen nehmen sollte? Ira wollte Lupius auch aus Gutwillen nicht darauf hinweisen, dass es mit ihrem Namen nun genau genommen drei Familien von Wichtigkeit im Lehen gab. Stattdessen wunderte sie sich sehr über den Inhalt seiner Worte und er konnte ihr ansehen, dass sie den Zusammenhang vermisste. „Hm, ich verstehe eines nicht: Immer wieder hast du mir eindringlich geraten, nur dir und Merkan zu vertrauen. Dass wir Seite an Seite gegen den Keyserring stünden. Als Familie…. Und jetzt sagst du mir, dass ich auch Merkan mit Vorsicht genießen soll? Ist das dein Ernst? Lupius, ganz ehrlich, übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?"

Er runzelte die Stirn. "Ja, ja." brummte er leicht bockig. "Der Baron ist ein schlimmerer Feind als mein Onkel.... Vergiss nur einfach nicht, dass der auch seine eigenen Ziele verfolgt." Tief im Innern wusste Lupius, dass sein Onkel kein schlechter Mensch war. Er war nur feige. Und das machte ihn in den Augen des Flussgardisten schwach. Und da er Schwäche bei sich selber nicht dulden wollte, missbilligte er zutiefst Merkans Fähigkeiten - nur geboren aus seiner Unfähigkeit, zu dem zu stehen, was er wirklich wollte. Diplomatie. So weit aber, zuzugeben, dass Diplomatie sowohl seiner Ehe als auch seiner Karriere gut tun könnten, war der Offizier noch nicht. Sein Herz war eben der Herrin Rondra näher als es dem Herrn Phex je würde sein können. Kurz glitten seine Gedanken zu der einen Nacht hin, die sein Leben so sehr geprägt hatte, wie keine andere. Und bis heute wusste er nicht, was schlimmer gewesen war, zu sehen wie sein Schwertvater die eigene Tochter fast zu Tode prügelte, oder zu sehen, dass sich ihm niemand entgegen zu stellen traute. Auch sein eigener Onkel nicht, der beste Freund und größte Einflussnehmer des prügelnden Drecksacks. Selbst der hatte nichts unternommen. Die Verzweiflung, die er damals empfunden hatte, die Furcht und die Wut, drangen nicht bis an die erkennbare Oberfläche seiner Gesichtszüge. Selbstkontrolle war seine Stärke. Wenngleich ... er diverse Achillesfersen hatte. Zuviele. Er ballte die Fäuste. Und seufzte.

„Ist gut.“ Brummte Ira zurück. Sie nahm für den Moment kommentarlos hin, dass Lupius‘ Aufmerksamkeit abschweifte, und verlor sich ihrerseits in Gedanken. Es wurde ihr durch dieses Gespräch wieder einmal bewusst, wie wenig sie ihren Gemahl eigentlich kannte. Wie fremd Lupius ihr war, ach, wie fremd die ganze beschissene Familie, in die sie da eingeheiratet hatte, war. Auf wen oder was konnte sie sich nach dieser Aussage von Lupius überhaupt noch verlassen? - Von Gereon mal abgesehen, den sie deswegen ausschloss, weil sie sich einen Schwur teilten. In diesem Moment wurde ihr jedoch klar, dass sie die Mitglieder ihrer neuen Familie schleunigst besser kennenlernen musste, um das neue ungute Gefühl von Hintergangenwerden in ihr zu bekämpfen. Dazu musste sie vor allem mit Merkan sprechen. Sie nahm sich daher fest vor, mit Lupius‘ Onkel ein Gespräch zu führen, wenn sie wieder in Rickenbach war. Verdammter Scheiß. Überall kroch diese verkackte Missgunst aus den Löchern… Dabei war sie heilfroh, nun nicht mehr täglich der niederträchtigen Gehässigkeit des Keyserrings und den nervtötend plumpen Anmachen des Eschengrunders ausgesetzt zu sein. Da brauchte sie zuhause nicht auch noch Querelen. Ja, im Grunde wünschte sie sich sehr, Lupius hätte nie etwas gesagt.

Nach einigen Augenblicken der Stille drehte Ira den Kopf wieder zu dem Ritter, um etwas anderes anzuschneiden. „Kommst du heute abend mit ins Reich des zweibrüstigen Drachens? Mein Großvater bringt mich um, wenn ich nicht wenigstens zu einem Essen vorbei komme.“ Sie schmunzelte bei ihren Worten, seufzte dann aber doch mehr als angestrengt. Lupius wusste mittlerweile, dass Ira ihren Großvater sehr mochte, aber auch aus eigener Erfahrung, dass es ihre Großmutter war, die einem jeden Besuch im Hause des Stadtvogts wie eine lästige Pflicht erscheinen ließ. Perdia war wie eine lästige Mücke. Schwer zu verscheuchen, nervtötend schrill und blutsaugend. Der Umgang mit ihr Kräfte zehrend.

Lupius nickte. "Ja, selbstverständlich. Ich... Finde es wichtig, dass du dort...nicht alleine bist." sagte er. Sie sollte nicht denken, dass er sie nicht dazu fähig sah. Nur daß er sie unterstützen wollte. Er griff nach ihrer Hand. "Ich bin froh, dass du wieder da bist."

Bei der Berührung erfasste Ira plötzlich eine mädchenhafte Schüchternheit und ihre Wangen färbten sich rot, ohne, dass sie einen Einfluss darauf hatte. Auch fiel ihr Blick für einen Moment lang scheu zu Boden, denn irgendetwas in Lupius‘ Stimme ließ sie schaudern. Oder war es das warme Gefühl fern von Streit, das ihr die Brust füllte? Sie wusste jedenfalls auf einmal gar nicht mehr, was sie eigentlich noch hatte sagen wollen, bis er ihre Hand wieder los ließ und auch der Nebel in ihrem Kopf verschwand. Von innerem Aufruhr getrieben drückte sie sich auf. „Ich…äh werd jetzt mal nach Pirmin sehen.“ Sie erinnerte sich daran, dass er den Namen ja nicht kannte. „Mein Pferd.“ Schob sie erklärend hinterher und gleich eine Frage: „Was, ähm, tust du eigentlich heute noch so? An deinem freien Tag, meine ich? Musst du nicht,“ Nein, er hatte frei, da musste er nicht in die Garnison, „ich meine, hast du nicht noch irgendwelche Verpflichtungen, oder dergleichen? Also… Wegen mir brauchst du dich nicht davon abhalten lassen.“ Vermutlich würde es durch ihren Nicht-mehr-streiten-Pakt ein ganz angenehmes Miteinander werden. Trotzdem fürchtete Ira sich fast ein wenig vor der kommenden Zeit bis zum Abend. Andere Ehepaare würden wohl den ganzen Tag nicht mehr aus dem Bett kommen vor lauter Glückseligkeit und Wiedersehensfreude – aber zwischen ihr und dem Schellenberg war es nun mal nicht so. Also war die Frage, mit was sie sich die Zeit bis zum Abend vertreiben sollten, durchaus berechtigt.

„Die letzten Tage waren anstrengend. Das Schiff, mit dem ich unterwegs war, ist durch ein plötzlich aufgekommenes Unwetter stark beschädigt worden. Wir hatten alle Mühe es seetauglich zu halten und unsere Ankunft hat sich bis in die späte Nacht verzögert. Ich werde mich wohl ein wenig hinlegen müssen, damit ich für den heutigen Abend ausgeruht bin." er lächelte. "Richte dich gerne in Merkans Stube ein, er sagte bereits, dass er nichts dagegen hat, wenn wir den Raum .. andersweitig nutzen... wenn er nicht in der Stadt ist. Dort ist meine Schlafkammer.” Er deutete zu einer der Türen und sah wieder zu ihr, lächelnd. “Fühl dich .. wie zuhause." Der letzte Satz klang so, als sei seine Stimme plötzlich leicht belegt. Er hustete kurz. "Wir brechen hier gemeinsam auf. Falls ich nicht rechtzeitig erwacht sein sollte, wecke mich doch bitte. Oder... Sag es Dari... wenn dir das lieber ist." Der Offizier erhob sich ebenfalls. Kurz zuckte seine Hand, als wollte er ihr über die Wange streichen, doch seine Finger glitten noch im Anflug zur Seite weg. Mit einem fast enttäuschten Seufzen wandte er sich der Tür zu seiner Kammer zu.

Ira sah ihm stumm nickend hinterher. Erst als seine Tür hinter Lupius ins Schloss gefallen war, spürte sie, wie verkrampft sich ihre Schultern, ihr Körper anfühlte. Dem entgegen zu wirken, ging sie als erstes zu Dari, um zu erfragen, ob es etwas gäbe, was sie für sie tun könne. Natürlich gab es nichts, und Ira suchte ihr Heil in der Stallarbeit. Diese neuen Gefühle – sie waren verwirrend. Der Warunker schnaubte unter ihren Striegelstrichen. Sie hatte ihn zugeteilt bekommen, nachdem ihr Reittier und das vieler anderer Rittersleute in Gallys verendet war. Im Nachfolgenden hatten Ross und Reiter sich erst aneinander gewöhnen müssen. Zwangsweise. Mittlerweile aber mochte sie den Wallach gern. Und er sie. Würde es mit Lupius auch so sein? Der Vergleich kam ihr, als sie über die vielschichtigen Gefühle nachdachte, die in ihr tobten. Leider wusste Pirmin keinen Rat.

Den Wallach im Stall zurücklassend, warf sie sich Schwertgehänge und Mantel um und ging in die Stadt, u.a. auf der Suche nach Imma. Die sei aber immer noch nicht zurück, hieß es. Drum schlug Ira nach einem Abstecher ins Rathaus – um sich ihrem Großvater untertänigst für den Abend anzukündigen - den Weg in nacheinander fast alle Tempel Elenvinas ein, um in jedem für einen Moment ihren Erlebnissen zu gedenken. Im Hause Travias verweilte Ira etwas länger. Sie hatte ihren Bundbrüdern versprochen, ihre aller sichere Heimkehr aus Tälerort in das Bruderschaftsbüchlein einzutragen, das sie dort seit der Gründung verwahrten. In dem Zusammenhang schrieb sie vereinzelt Geschichten fort – es gab bei jedem etwas hinzuzufügen. Nicht nur Alriks und Bruns Ritterschläge. Auch die fulminante Schwertweihe, Wunnemars Ernennung zum Baron vonnTälerort und ihr Erlebnis mit der Lanze des Heiligen Orgils. Eine ganze Weile kniete sie danach vor dem Altar der Herrin des Herdfeuers, bevor sie sich aus den wirren Gedanken riss, um die Stadtalchimistin Bächerle aufzusuchen und dort ihren Vorrat an Alchemika aufzufrischen. Anschließend sah sie sich bei einem Schneider die Auslage an, denn sie wollte ein Kleid für den Abend erstehen. Sie fand eines, das zwar von blauer Farbe war, aber vor dem Hintergrund einer nicht mehr allzu vollen Geldkatze nicht viel gekostet hatte und entsprechend zierlos war. Egal. Ira fand es hübsch. Und nachdem sie gesehen hatte, wie entbehrungsreich es sich jenseits des ehemaligen Wall des Todes lebte, kam ihr ein bisschen Bescheidenheit nicht falsch vor.

Nachdem sie sich am späten Nachmittag erneut erfolglos nach ihrer Freundin Imma erkundigte, kehrte Ira in Lupius’s Bleibe zurück, trank, während er noch schlief, Tee mit Dari, um das Mädchen, das ihrem Mann hier den Haushalt versah, etwas besser kennenzulernen. Weniger, um dem minimalen Fünkchen der Eifersucht Raum zugeben, sonder mehr, um mehr über das Mädchen zu erfahren. Wo kam es her? Wie kam es hierher? Welche Interessen besaß es? …

Dari war anfänglich noch recht scheu und eingeschüchert von Ira. Immerhin war Ira eine Adelige, die Ehefrau ihres Herrn. Wenn sie eifersüchtig auf sie wäre... müsste sie sich womöglich eine neue Anstellung suchen. Und das wollte sie nicht. Es gefiel ihr hier - Es war besser als zuhause. Nur zögerlich antwortete sie der jungen Frau daher auf die vielen Fragen. Immer darauf bedacht, nichts falsches zu sagen, oder den Eindruck zu erwecken, sie wäre eine Gefahr für die Ehe der beiden Adeligen. Am Ende konnte Ira nur herausfinden, dass sie wohl über Milian vermittelt worden war, dass es ihr sehr gefiel für Lupius zu arbeiten, sie aber insbesondere sehr froh sei, auch Imma umsorgen zu können. Versuchte das Mädchen jedes Thema, das Lupius tangierte, zwanghaft zu umschiffen, sprach sie hingegen mit Herzlichkeit und Zuneigung von Iras Schwägerin.

Dari ging ihr später beim Frisieren zur Hand, allerdings genügte Ira entgegen Daris Vorschlag auch hier eine einfache Spange am Hinterkopf, die ihr die rotbraune Mähne schlicht aus dem Gesicht hielt. Sie wollte heute nicht protzen. Das ließ ihr Gewissen nicht zu. Der Feldzug – besser gesagt ihr Erlebnis mit dem nahen Tode – hatte die junge Ritterin nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich verändert, und das sollte man ruhig sehen können. Das letzte halbe Jahr Waffentraining hinterließ seine Spuren ebenso wie das Erwachsenwerden. Nichts desto trotz war die Plötzbogen hübsch anzusehen. Selbst in einem schmucklosen Gewand.

Lupius Augen weiteten sich, als er seine Frau später am Tag so sah. Er musste schlucken und seine Kehle fühlte sich mit einem Mal heiser und rauh an. Er schloss die Augen und atmete einige Male tief ein, ehe er ihr seinen Arm anbot. Er hatte seine festliche Uniform angelegt und die beiden zusammen gaben ein adrettes Paar ab.

"Wundervoll." Raunte Dari leise als die beiden in die kühle Nacht hinaus traten. Die Eleganz der Uniform und die schlichte Schönheit, die Ira in dem einfachen Gewand abgab, ergänzten sich gut.


In der Höhle des zweibrüstigen Drachen

Sie war erst eine kurze Weile wieder wach. Ihr Kopf schmerzte. Ihre Kehle war rauh. Wo war sie nur? Sie blinzelte. Draussen war es dunkel. Warum? War es nicht eben noch Mittag gewesen? Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Sie hatte ihre übliche Abkürzung durch eine der kleinen Gassen nehmen wollen, um zu einer ihrer liebsten Bäckereien zu gelangen. Vor ihr im Schatten war ein Mann aufgetaucht und jemand hatte ihr einen Sack über den Kopf gezogen.

Wenige Zeit später am Abend saßen der Herr Rickenbachs und seine just aus dem Osten wiedergekehrte Gemahlin an der Tafel der Plötzbogens. Während Ardo seine Enkelin herzlich begrüßt und auch Lupius die Rechte mit einem vertrauten Schulterschlag wie einem väterlichen „Junge!“ gereicht hatte, war die Hausherrin erwartungsgemäß reserviert. Allerdings: Perdia ging es nicht so gut. Eine verschnupfte Nase plagte die ehemalige Baroness, und - wie in der vorausgegangenen Erklärung des Stadtvogts bereits schon vorsichtig angedeutet worden war - ließ dieser Umstand ihre üble Laune aufblühen. Daran mochte sicherlich auch die Anwesenheit von Perdias Sohn Nummer eins einen Anteil haben, der vom Stadtvogt zu dieser kleinen Feier eingeladen worden war, angeblich ohne, dass selbiger das mit seiner generell was die Beziehung zu Sohn Emmeran anging recht verschnupften Gemahlin abgesprochen hätte. So war die Tafel also um zwei Gedecke erweitert worden, und so saßen nun Ira, Lupius, der Stadtvogt, die Verschnupfte, beide noch verbliebenen Söhne Emmeran und Helswin und die angeheiratete Dame von Zweigensang im Stadthaus der Plötzbogens zu Tisch.

Während Emmeran sogleich das muntere Gespräch mit seiner Nichte suchte, um sich von Berufswegen von den Zuständen in der Rabenmark berichten zu lassen, versuchte seine Frau Gundula, ihrer übellaunigen Schwiegermutter das Gefühl zu geben, dass wenigstens eine an diesem Tisch gerne mit dem alten Drachen speiste, respektive sprach. Doch so ganz schien „Gifchens“ Plan nicht aufzugehen. Immer wieder schnitt Perdia durch bissige Kommentare in das Gespräch des Kriegers mit seiner ritterlichen Nichte. So machte die Hausherrin keinen Hehl daraus, dass sie Iras Erzählungen mit einem Ohr stetig mitverfolgte, um im nächsten Moment barsche Zwischenrufe einzubringen, die in allen nur das Gefühl nährten, dass es Perdia nicht um Kritik ging, sondern dass ihr Iras gesamte Erzählungen zuwiderlief. Mehr noch, dass der Hlutharswachter Feldzug in die Rabenmark im Gesamten etwas war, was jenseits dessen liegen mochte, was Perdia gutheißen konnte. Schließlich ließ die Schwertleiherin ihre Schwiegertochter ungefragt links liegen, um der kleinen familiären Debatte ihre eigene Meinung beizusteuern – die jedoch nur darauf ausgelegt war, kein gutes Haar an gar nichts zu lassen: Unverantwortlich sei so ein Feldzug. Wie es dem Baron von Hlutharswacht eigentlich einfalle wegen persönlicher Empfindungen so viele Menschenleben aus so vielen Baronien aufs Spiel zu setzen für eine Sache, die im Grunde ja edel, aber doch dumm sei, weil man ja aus genügend Berichten höre, dass die Schwarzen Lande noch lange schwarz blieben, egal wieviele edelmütige Reiter daher kämen, um den Boden dort mir nur noch mehr Blut zu tränken. Jeder wisse doch, wie die Dämonenlande auf vergossenes Blut reagierten. Und wie ihre Enkeltochter überhaupt auf die Idee komme, für so eine irrsinnige Unternehmung Begeisterung zu empfinden, statt zuhause auf dem Lehen ihren Pflichten nachzugehen. Man könne ja den Eindruck gewinnen, dass ihr Herz immer noch für Hlutharswacht und die wilden Ideen dieses Baronen-Bengels schlüge, der wohl jetzt, da er eine Tochter des Eisensteiners geehelicht hätte, den Verstand verloren habe. Wem gehöre ihre Loyalität eigentlich? Fremden Häusern, die hierzulande nur regional Bedeutung besaßen und eigentlich nur irgendwelche Vasallen waren, oder ihrer Familie, die ihr vertraue und die sich auf sie verlasse, dass alles in Rickenbach zum Wohlwollen aller lief. Ob sie dort in Rickenbach und mit ihrer Ausbildung zur Verweserin eigentlich so wenig zu tun habe, dass sie unbedingt zusätzlich noch Dienstritterin des Eisensteiner Barons werden musste, und ob sie sich je überlegt habe, wie demütigend es für Leute wie den hohen Herrn Merkan und ihren geschätzten Herrn Großvater sei, dass sie ihrer Ausbildung so wenig Interesse entgegenbringe. Man könne ja geradewegs meinen, sie flüchte vor der Verantwortung, die ihr nun, da sie die Gemahlin des Herrn Lupius geworden ist, von den Götter gegeben sei. Und damit meine sie nicht nur die Verantwortung für das Lehen und den Ruf, den jeder ihrer aller Namen in den Nordmarken habe, sondern auch für dieses…Kind…das ihr wohl doch nicht sooo sehr am Herzen liege wie sie immer behaupte, denn warum habe sie es bei der erstbesten Gelegenheit gleich wieder verlassen. Genauso wie das Lehen, das ihr in die Hände gelegt sei. Das verstünde sie nicht. Zu einem Turnierbesuch würde ja niemand etwas sagen, doch einen halben Götterlauf wegzubleiben und alle hier im Unklaren über ihren Verbleib zu lassen sei eine dreistlange Zeit. Nicht einmal einen Brief habe sie von diesem unbekannten Tälerort geschrieben. Lieber habe sie da in Tobrien Ritter „gespielt“ und alle mit Sorgen zuhause gelassen, nicht nur ihren eigenen armen Gemahl und dieses…Kind, …dazu all die Menschen im Lehen, sondern auch ihren Herrn Großvater, der, wie sie doch wisse, auf sie baue und das nicht nur im wortwörtlichen Sinne! Es habe ja niemand sonst in dieser vermaledeiten Sippe ordentlich zu Wege gebracht, den Namen Plötzbogen durch Nachkommen in die ferne Zukunft zu tragen – an dieser Stelle ungnädige Blicke zu Emmeran und Helswin – und auch ihre Zweitälteste habe sich lieber hinter Paggenauer Burgzinnen den Hintern breitgesessen statt mit ihrem Gemahl das Gemach zu versehen, um weitere Kinder als nur das eine in diese Welt zu gebären. Einer Welt, in der ja doch jeder selbstsüchtig mache, was er wolle ohne Rücksicht auf diejenigen, die es gut mit einem meinten. Und sie, Iradora, auf der die volle und ganze Hoffnung dieses Hauses lag, weil sie ja einstmals dieser verkorksten Sippe vorstehen würde – oder habe ihre Mutter ihr das etwa nicht gesagt? - setze ihr wahrhaft kostbares Leben aufs Spiel, in dem sie sich in den schwarzfaulen Landen herumtrieb, um Leuten ihr Leben zu opfern, die vermutlich nicht mal den Namen Plötzbogen aussprechen konnten, geschweige denn so einen Einsatz überhaupt zu würdigen wussten. Nicht auszudenken, wäre ihr dort drüber in der dunkelsten Provinz etwas zugestoßen! Beweisen, ja, dies könne sie sich doch immer noch später. Auf Turnieren, hier, in der Heimat. Oder eben auch anderswo. Sie, Iradora, habe bislang nur bewiesen, dass ihr augenscheinlich vieles andere herrlich wichtiger sei, als ihre Aufgaben in dieser Familie. Ja, Perdia ließ alle am Tisch hören und spüren, wie unzulänglich, verantwortungslos und eigensüchtig sie ihre Enkelin fand. Kein einziges Wort der Erleichterung trat über ihre Lippen, während sie gnadenlos ihre Meinung kundtat, ohne Rücksicht auf Iras Gefühle. Genauso wenig ohne einen einzigen Blick darauf zu werfen, ob ihre Annahmen der Wahrheit entsprachen.

Ira jedenfalls wusste nicht, was sie auf die Worte ihrer Großmutter sagen sollte. Deren Schimpfen traf sie so unvorbereitet wie vor einigen Wochen das eigene Sterben. Mit stummem Entsetzen nahm sie daher die Vorwürfe hin, untätig, auch nur einen davon zu dementieren, denn während in ihrem Kopf die Worte kollidierten und ihr das Herz bis zum Halse schlug, fand sie sich angesichts jener Übermacht an Ablehnung nicht fähig zu sprechen.

Auch ihrem sonst so redegewandten Onkel mit der eloquenten Zunge hatte diese Schmährede Perdias doch erst einmal glatt die Sprache verschlagen. „Gifchen“ drapierte unterdessen peinlich berührt ein Bild aus Erbsen auf ihrem Teller und wagte nur verstohlen aufzusehen, weil sie sich fremdschämte, während ihr Schwager, der Magier, als einziger am Tisch sachte weiterkaute und das Geschehen an der Plötzbogen’schen Tafel offen verfolgte. Mit der Gabel schob Helswin sich ein Stück ausführlich in Soße getunktes Bratenstück in den Mund, als der Stadtvogt sich als Erster räusperte. Ardo von Plötzbogen mochte solcherlei Gerede bekannt sein, wenngleich auch er erst zu seinem Kelch greifen und einen großen Schluck in der einsetzenden Stille hinabkippen musste, bevor er seiner Gemahlin zärtlich beherrscht eine Hand auf die Schulter legte, um mit sanftem Ton die Frage zu stellen, ob sie sich nicht hinlegen wolle. Er würde liebend gerne für sie nach der Doctora von Altenberg rufen lassen, wenn sie sich dann nur besser fühle. Sie solle ruhig schon zu Bett gehen und vielleicht eine Tasse warmen Wein mit Honig trinken. Außerdem würde sich ganz gewiss niemand am Tisch daran stören, wenn sie sich zurückziehe, um sich auszukurieren.

Bereits bevor Ardo seiner Frau diesen Vorschlag machte, hatte Lupius, der nicht mehr ganz so frische Ehegatte der beleidigten jüngsten Plötzbogen, sein Essbesteck zur Seite gelegt. Das sei gänzlich unnötig, betonte er nun, nachdem der Stadtvogt gesprochen hatte, ruhig. Nur seine Frau, die mittlerweile geübt darin war in seiner Stimme den gefährlichen Ton zu vernehmen, horchte auf. Seine Gattin und er würden die Tafel und das Haus verlassen, schienen sie doch derart unwillkommen, dass Travias Tafel für Beleidigungen genutzt würde. Es sei ihm im Allgemeinen sehr unlieb, wie seine Gattin im Hause ihrer Großeltern behandelt würde. Wenngleich seine Frau aus Höflichkeit und um Travia Willen Stillschweigen bewahre, könne er ihr, um sie zu schützen, dies nicht gleichtun. Hatte er bis zu diesem Zeitpunkt noch ruhig und gelassen gesprochen, wurden seine Worte immer härter und unerbittlicher. Ob ein Heerzug unverantwortlich sei oder nicht, hätten wohl einzig die Heerführenden zu entscheiden und nicht eine ältliche Dame aus der Elenviner Oberschicht, die wohl noch nie in ihrem Leben auch nur ein Schwert in der Hand gehalten hätte. Ob ihr klar sei, dass ihre Sicherheit und die Sicherheit ihrer Heimat einzig darauf fuße, dass Menschen wie ihre Enkeltochter bereit waren, mit Begeisterung gegen Dämonen, Paktierer und andere Unholde vorzugehen? Und da der Baron von Eisenstein sein eigener Schwertvater gewesen sei, wisse er aus erster Hand, dass kein Mensch aus purer Lust und reinem Vergnügen bei ihm diene. Außerdem verbitte er sich ausdrücklich, dass sie für Rickenbach spräche. Sowohl er selbst als auch sein Onkel, Wohlgeboren Merkan von Rickenbach, der von ihm bestellte Verweser, seien durchaus selbst in der Lage für das Lehen zu sprechen. Sie hätten gemeinsam mit Ira entschieden, dass sein Onkel diesen Posten noch einige Jahre weiter bekleide, während Merkan Ira schrittweise an ihre neuen Aufgaben heranführe. Auch wenn der werten Großmama dieser Umstand wohl nicht passe. Rickenbach wäre in der Vergangenheit ohne einen Plötzbogen zurechtgekommen und würde das in Zukunft wohl ebensogut hinbekommen. Er für seinen Teil wäre einfach glücklich, dass Ira lebend aus Tobrien zurückgekommen sei. Nicht weil er sie als Verweserin oder als Stammhalterin oder Familienoberhaupt bräuchte, sondern weil sie ihm etwas bedeute! Dann erhob Lupius sich. Nickte den Anwesenden zu und wandte sich mit kalten Augen noch einmal an Perdia. "Da wir scheinbar in diesem Haus und an dieser Tafel nicht willkommen sind, werden wir sie verlassen. Und an meine Familie, und damit meine ich nicht nur meine Frau und mich, sondern auch unseren Sohn, werden zukünftigen Einladungen erst dann wieder ergehen, wenn eine Entschuldigung erfolgt ist. Bei meiner Frau." Er griff nach der Hand der verdutzten Ira und zog sie auf die Beine.

Die wusste gerade wirklich nicht recht wie ihr geschah. "Lupius, lass doch, ähm…gut sein…“ stammelte Ira unbeholfen, während sie zwischen ihm und ihren Großeltern hin und her sah auf der Suche nach jenem entglittenen Moment, der alles zum Schlechten hatte werden lassen. War ihr denn gerade etwas Falsches über die Lippen gekommen? Etwas, was vielleicht völlig missverstanden worden war?

Nach der Reaktion ihres Onkels Emmerans mochte der Fehler jedoch nicht bei ihr liegen. Der entließ ein klagendes „Das kann jetzt nicht Euer Ernst sein...Mutter?!?!“ Der Krieger hatte seine Sprache wiedergefunden, aber wohl noch nicht wieder seinen Glauben, als er sich seinerseits kopfschüttelnd mit verschränkten Armen zurücklehnte und in Richtung seiner Mutter starrte.

Perdia presste sich vor Empörung das Schnupftuch vor den Mund und versuchte verkrampft Luft zu holen, was zu einem bellenden Hustenanfall führte, der das herzensgute Gifchen dazu verleitete, aufzustehen und Hilfe anzubieten.

Gleichzeitig nickte der Stadtvogt den beiden Rittern zu. Es war ein Nicken, das in Summe mehr als ein Ich-verstehe-dich ausdrückte. Wenn man es deuten wollte. Es war jedoch im Folgenden auch ein Zeichen für die Dienerschaft.

Dienstbeflissen wurden der Plötzbogen wie dem Schellenberg noch während die Hausherrin durch ihre Krankheit blau anlief die Umhänge gereicht, und Lupius griff nach Iras Hand und zog sie hinter sich her aus dem stattlichen Patrizierhaus auf die Straße.

Erst als sie um die nächste Ecke gebogen waren, ließ er ihre Hand los. Drehte sich entschuldigend um. Zerknirscht blickte er sie an. Fast wie ein junger Hund, den man bei einer Dummheit ertappt hatte: "Verzeih mir, Ira. Ich weiß, ... du magst es nicht bevormundet zu werden. Aber ich habe es nicht mehr ertragen. Immerzu ... ist sie so zu dir. Und du... wehrst dich nicht. Alle lassen es ihr durchgehen." Er seufzte.

Immer noch perplex wegen des Skandals, der sich eben ereignet hatte, blickte Ira erst nur stumm zurück. Dann entsann sie sich seiner Worte. „Großvater wird mit ihr sprechen. Alles wird sich klären, Lupius, du wirst sehen, das Missverständnis wird bald aus der Welt geschafft sein. Es besteht also keine Notwendigkeit, dass…“ Mitten im Satz hielt sie aber inne, weil ihr bewusst wurde, was für einen Stuss sie da von sich gab. „Ach scheiße!“ seufzte sie gequält, weil sie sich gerade die Zukunft vorstellte. Genauso wenig wie Rajodan je Frauen an seiner Seite als gleichwertig akzeptieren würde, würde sich ihre Großmutter nie im Leben für etwas schuldig bekennen. Sie wusste das. Ihr Mann noch nicht.

"Ja, scheiße. Genau. Und es bestand durchaus die Notwendigkeit. So wie sie dich immer behandelt. Aber... Es tut mir leid, dich in diese Situation gebracht zu haben."

„Es muss dir nicht leidtun, dass du etwas gesagt hast. War ja völlig richtig und wirklich, äh… nett von dir.“ Ein feines Schmunzeln umspielte ihren Mund, bevor dieses abermals in ein lautes Seufzen überging. „Meine Großmutter. Sie wird sich nicht entschuldigen. Sie, öhm…“ Ira suchte nach einer passenden Beschreibung, „…ist… naja eben so. Immer gewesen. Wir sind das…naja…äh…gewöhnt. Könnte man sagen.“ Ein klein wenig schuldbewusst sah auch sie jetzt drein, weil ihr gerade auffiel, wen sie da versuchte in Schutz zu nehmen, denn – bei Travia – es war manchmal überaus schwer zuzugeben, dass Perdia ihre Vorfahrin war. „Sie ist eine fürchterliche Person. Es kommt kaum Gutes aus ihrem Mund. Sie ist verbittert, hart, ungerecht und launisch, trägt die Nase hoch im Himmel … aber mein Großvater mag sie sehr. Und sie ihn. Wusstest du, dass sie wegen der Liebe zu ihm mit ihrer Familie, dem Haus Schwertleihe, gebrochen hat und daraufhin aus der Erbfolge ausgeschlossen wurde? Stell dir vor, sie hätte einen Baronet heiraten und selbst Baronin werden können, aber sie entschied sich für die Liebe zu einem jungen Beamten weit entfernt je dem wahren Bluts-Hochadel anzugehören.“ Etwas in Iras Stimme klang schwärmerisch, als sie das sagte. Ohne dass es ihr wahrscheinlich bewusst war, leuchteten ihre Augen dabei verklärt auf. „Außerdem,“ fuhr sie gequält fort, „ist sie die Mutter meiner Mutter und so meine und auch Leuharts Ahnin. Gewissermaßen muss ich sie daher, hm, naja, scheiße, lieben eben. Das ist doch nur traviagefällig. Oder?“. Sagte sie und stellte fest, dass das gar nicht leicht war. Vor allem nach so einer Abreibung wie gerade eben. „Das heißt nicht, dass ich gutheiße, was sie mir und Jost da an den Kopf geworfen hat! Sie..hm..weiß es eben nicht besser. Eigentlich ist sie, wenn man sich’s genau überlegt, eine ganz ganz arme, bemitleidenswerte, alte Frau. Du weißt schon, wie ich das meine. - Oder?“ Sicher war sie sich nicht. Drum maß sie Lupius‘ Reaktion. So wirklich glaube sie nicht daran, viel Verständnis von ihm zu ernten, aber er überraschte sie ja immer wieder.

Er schüttelte den Kopf. "Ja, ich weiß, was du meinst. Ich bin nur nicht deiner Meinung. Es mag ja sein, dass ihr Leben Hindernisse bereit hielt. Aber - bei den Göttern - ist das nicht bei jedem so? Meine Eltern sind gestorben als ich noch nicht meinen Ritterschlag hatte. Mein Bruder ist gefallen, ebenso mein Großvater. Mein Schwertvater war ein grausames Mistschwein. Und ich verhalte mich doch auch nicht so ... so .... Oder nimm dich. Du hast einen verdammten Heerzug nach Tobrien überlebt. Und die neuerlichen Kämpfe dort ebenso. Hast Freunde und Verbündete sterben sehen. Hast ein Kind mit Heim gebracht, für das du sogar bereit warst, mich zu heiraten, obwohl sich dein Herz scheinbar mehr nach einer Liebesheirat gesehnt hätte." Kurz huschte etwas über Lupius‘ Züge, das Ira nicht ganz einordnen konnte: "Und du benimmst dich auch nicht so." schloss er seine Aufzählung und schüttelte den Kopf. "Ich habe das ernst gemeint, Ira. Ich möchte nicht, dass wir noch einmal dorthin gehen, solange sie sich nicht entschuldigt hat. Du verdienst es nicht, so behandelt zu werden." Dann sah er Ira in die Augen: "Ich verstehe, sie ist deine Großmutter. Sie ist Leuharts Urgroßmutter. Ich verstehe, wie sehr dich Blut binden kann." Er strich über ihre Wange.

"Aber ich werde wütend, wenn ich mit ansehen muss, wie sie sich dir gegenüber verhält." Diesen Weg zu gehen war der einzig gangbare für ihn. Ansonsten hätte er die Frau irgendwann erwürgt. Er ballte die Fäuste, als er daran dachte.

„Ja,… ich versteh das.“ Iras Stimme war leise geworden und ihr Blick sprach davon, dass sie sich mit ihren Gedanken in der Ferne befand. In weiter Ferne. Sie hatte bei Lupius‘ Worte nämlich plötzlich wieder an die Rote Soldatin an der Tesralschlaufe denken müssen, aus deren Begegnung sie nur dank Sigiswolf mit dem Leben davongekommen war. Als er von verstorbenen Freunden sprach war das Gesicht Hagrians vor ihr aufgetaucht. Aber die Erinnerung hatte längst begonnen zu verblassen, drum sah Ira den einstigen Geliebten nur noch wie einen zu einem menschlichen Gesicht geformter Nebelschleier. Ein Geist der Vergangenheit, dessen Form irgendwann ganz verschwunden sein würde. Das war eine schmerzhafte Vorstellung, an die sie sich immer wieder neu gewöhnen musste, aber die jedes Mal in ihr die Frage auslöste: was wäre geschehen, hätte Hagrian ihren die kleine goldene Hornisse an ihrem Hals damals nicht entdeckt. Und was, hätte nicht Jost sondern Hagrian gesiegt. Dann musste Lupius eine Liebesheirat erwähnen und der Gedanke an Travingo, den sie von einem garstigen Schicksal zugespielt bekommen hatte, nur um ihn genauso wie ihr Herz zu verlieren, ließ sie immer noch innerlich aufschreien. Die nachtdunkle Nähe ihres Angetrauten linderte den Schmerz nicht wirklich. Blut. Ja, Blut band. Da hatte er ganz recht. Und wieder änderte sich das Bild vor ihrem inneren Auge und formte einen Dolch, mit dem sie und Lupius sich in die Hände schnitten, um ein kleines Pferdeamulett mit ihrem Lebenssaft zu tränken, bevor sich bunte Bänder um ihre beider Hände wanden und sich dieser Bund auf ihr ganzes Leben ausweitete. Gleichzeitig erinnerten sie die Bilder im Kopf abermals an Tobrien und an den Schmerz der Wut und der Enttäuschung in Josts Gesicht. Es glich fast einem bösen Scherz des Lebens, dass sie mit jedem ihrer Männer etwas Schmerzhaftes teilte. Mit Hagrian, Travingo, Mit Lupius. Selbst mit Leuhart. Und sogar mit Jost! Warum sie das tat wusste Ira selbst nicht, aber aus einem weiteren Gefühl heraus griff sie nach den geballten Fäusten des Ritters und umfasste diese sanft streichelnd. „Es gibt Dinge, die können wir nicht ändern. Nur akzeptieren.“ Sprach ihr Mund wie von selbst bei dieser tröstenden Geste, die in erster Linie sie selbst wohl gerade am meisten brauchte. Wegen all der wehtuenden Erinnerungen. Aber auch wegen dem Gedanken, dass es womöglich gerade mit ihrer Familie zum Bruch gekommen war. „Gehst du mit mir, hm, irgendwo irgendwas, naja, trinken…oder so?“

Er nickte. "Gerne."

"Wir könnten doch zu Milian gehen. Ins Nest." wie Imma immer zu der Kneipe sagte, über der sie bis vor kurzem noch mit ihrem Vetter hauste. "Vielleicht ist deine Schwester dort."

Lupius nickte. "Ja, lass uns das machen." er bot ihr seinen Arm an und sie brachen auf, um bei Milian einzukehren.


Trinken gegen den Schmerz

Es hatte nicht lange gedauert bis sie verstanden hatte, was er von ihr wollte. Und ihr war sofort klar gewesen, dass sie es ihm niemals geben würde. ‘Das werden wir noch sehen.’ Hatte er nur gesagt. ‘Es gibt immer Mittel und Wege.’

Wider Erwarten suchten sie in der Immankneipe, die Lupius' Vetter schmiss, nach Imma vergebens. Er habe sie heute nicht gesehen, meinte Milian, der sich darüber wunderte, wer da die Stube betrat, in welchem Aufzug und zu welchem Zweck. Seine wachen Augen hatte gleich ausgemacht, unter welchem Stern der Besuch Iras und Lupius stand. Er schenkte den beiden daher gerne etwas aus. "Ihr seht aus, als könntet ihrs gebrauchen." grinste er.

Lupius nahm den kleinen Becher, den sein Vetter mit seinem Klargebrannten gefüllt hatte und hielt ihm nur Augenblicke später das leere Gefäß erneut unter die Nase: "Da hast du recht."

Milian lachte. "Tja, mit der Ehe heiratet man die ganze Plage mit." er zwinkerte Ira schalkhaft zu…

…während Lupius die Augen verdrehte. Er wusste schon, warum er nie hatte heiraten wollen. Nun hatte er eine wunderschöne Frau, die seinen Bruder geliebt hatte und die niemals für ihn diesen Platz im Herzen haben würde. Erschrocken über seine eigenen Gedanken hielt er Milian den leeren Becher ein drittes Mal hin.

"Meine Güte, Lupius. Immer ruhig mit den jungen Pferden. Lass doch bitte den anderen Gästen auch noch was übrig."

"Ach, halt doch die Klappe." raunzte der Offizier seinen Vetter an.

Der lachte nur. „Na spuck schon aus, wo das Problem liegt." Er schob den beiden Verwandten zwei große Krüge Bier hin und sah beide herausfordern an. "NA?... Oh, nein, mein Lieber, so nicht!“ brüllte er plötzlich durch den Raum und war mit wenigen Sätzen bei einem der Tische im Schankraum, wo ein angetrunkener Gast eine seine Schankmädchen lüstern angegrabscht hatte.

Lupius atmete aus. Er hatte keine Lust gehabt, für Milian die ganze Tirade durchzukauen. Aber der würde weiterbohren, wenn er erst wieder am Tresen stünde, das war ihm klar. Eine überaus leidliche Angewohnheit seines Freundes. Lupius hob den Humpen und prostete Ira zu, die ihrerseits bereits trank.

Sie versuchte nämlich die Tatsache hinfort zu spülen, dass sie wohl gerade einen Streit mit den Oberhäuptern ihrer Familie begonnen hatten. Schwierig, wie es weitergehen sollte. Ira glaubte nicht daran, dass ihrer Großmutter auch nur ein einziges Wort der Entschuldigung über die geschürzten Lippen bekam. Ira sah es eher als gesichert an, dass dank Perdias Lästermaul bald alle von der Sache in Kenntnis gesetzt sein würden. Allen voran ihre Mutter und ihre Großtante. Hingegen Lupius' Auffassung war Ira sich jedoch alles andere als sicher, ob ihre Großmutter nicht sogar schriftlich Beschwerde bei Merkan einlegen würde - wegen der unverzeihlichen, kompromittierenden Unverschämtheit, der sie sich angesichts Lupius' Ansage gegenüber sah. Ira mochte auch gar nicht daran denken, wie lange ihnen ihre nachtragende Großmutter das wohl vorhalten würde, selbst, wenn sie sich recht zügig versöhnten. Sicher bis in alle Ewigkeit. Wer würde mit welchen Ratschläge, wer mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommen? Würde die Zeit alles schlimmer machen? Oder war es um des lieben Frieden Willens besser, wenn sie und Lupius sich recht bald schon vor ihren Großeltern in den Staub warfen? Nein, letzteres hatte sowohl Ira nicht vor, und von Lupius erwartete sie diesen Vorschlag als letztes. Es war also leidige Familienpolitik, die für den Moment vergessen sein wollten. Dazu kam der unangenehme Nachhall der wachgerüttelten Erinnerungen; die dazugehörigen zwiespältigen Gefühle wollten ebenfalls betäubt werden. Drum sprach die junge Ritterin den Getränken gut zu und kippte ein Bier nach dem anderen. Zwischendurch seufzte sie immer wieder laut und vernehmlich, schimpfte über die Dummdreistigkeit mancher Leute, die dächten sie hätten die drecks Weisheit mit ihren scheiß goldenen Löffeln gefressen. Ihr eigener Hunger hielt sich hingegen in Grenzen.


Alkohol und seine Wirkung

Tränen rannen ihr über die Wangen. Mischten sich mit ihrem Blut. Sie fror, merkte es aber nicht. Anderes fesselte ihre Sinne. Sie war bemüht den Schmerz wegzublinzeln. Es gelang ihr nicht.

Lupius hatte im Laufe des Abends zunächst alle Männer, die Ira als einfache abendliche Beute betrachteten, weggefunkelt, bis er irgendwann näher gerückt war und so seine Besitzansprüche so klar zur Schau stellte, dass es niemand mehr wagte, seine Frau in irgendeiner Form zu bedrängen. "Weischt du, Ira. Isch mags net, wenn sie disch so an...gucke." Er deutete auf seine Brust. "Nä, ganz und gar net." Seine Hand fuhr in ihr Haar und er drehte eine der kupferroten Strähnen auf seinen Finger. "Weisste, isch.. versteh sie." Er seufzte. "Du bist wirklich schön." Erneut seufzte er: "So unfassbar schön." Als sie zu ihm rüber schaute, ließ er ihr Haar sachte aus seinem Finger gleiten. Das klare Braun seiner Augen war durch den Alkohol bereits leicht getrübt, doch das Lächeln, das er ihr schenkte war ehrlich, und warm. Es sprach von seinem Begehren und doch... es wirkte auch ein wenig traurig. Wie die Augen von Kindern, die genau wussten, das ihre Mutter ihnen den Zuckerkringel versagen würde, den sie doch so sehr zu verzehren wünschten.

„Ach hör doch auf.“ Entgegnete ihm da das rothaarige Zuckerstück, während sie für den ersten Moment errötend den Blick senkte, nur, um ihn einen Herzschlag später plötzlich mit zusammengezogenen Augenbrauen zu heben und wie ein Igel die süßen Stacheln auszufahren. „Mir is‘ jetz nich‘ nach Witzen! Klar?“ raunzte Ira ihn an und warf sich das Haar demonstrativ mit einer schnellen Drehung über die Schulter. Der Alkohol saß ihr bereits ebenfalls mächtig im Schädel und der Stuhl am Tresen, auf dem sie saß, war zunehmend zu einem wackeligen Ungetüm mit schwindelerregend langen noch wackeligeren Beinen und der Sitz darauf zu einer Herausforderung für den Gleichgewichtssinn geworden. Sie wankte also kurz, als sie ihre Bewegung vollführt hatte, hielt sich aber gerade noch selbst am Tresen fest, bevor Lupius nochmal nach ihr greifen konnte. Nach ihr oder ihrem Haar. „Un‘ was nütssis mir, dass ich schön bin? Es is scheißegal da draußen, ob du schön biss oder nich. Wieddu dein scheiß Schwert führst, dassis wich’ig. Nur das, Schellenberg! Oder meinssu diese dreckige rote Söldnerschlampe anner Dings“ sie suchte nach einem Wort, es mochte ihr aber nicht einfallen, „der Dingsschlaufe eben, meinssu die hats interessiert, wie hübsch ich bin, alssi mit dem Hammer über mir stand?“ Sie lachte voll Sarkasmus. „Oder dem annern Scheißkerl da inner Raben-Furzmark?“ In ihr war immer noch so viel Wut deswegen, merkte sie gerade. Ausgelöst worden war die freilich von etwas, nein, jemand anderem. Sie begegnete seinem traurigen Blick mit ihrem, der vor Zorn nur so Funken sprühte. „Der alten Runzelkröte war’s vorhin auch scheißegal….und mir isses dasauch. Weil… Hübschsein. Rettet. Nich. Deinen. Arsch. Weissudas nich?“ Dabei stocherte sie mit spitzem Zeigefinger gegen seine uniformierte Brust. Eigentlich wusste sie gar nicht genau, was sie da von sich gab.

Seine Brust war hart und trainiert, an sich störten ihn also ihre kleinen Angriffe nicht. Ein anderer Teil seines Körpers fand die Berührung hingegen etwas zu wenig uninteressant. Also fing er nach einigen der gezielten Stiche ihren Finger ab. Hielt ihn fast andächtig in der Hand bevor er seine Finger mit ihren verschränkte: "Isch weiß, Ira. Isch weiß. Nischts rettet disch. Nischts und nieeemand. Außer.... weißt du... isch... isch würd disch retten." Seine Augen glitten über ihre Lippen, die feucht vom Alkohol leicht geöffnet so nah vor ihm waren. "Immer. Immer, wenn dus willst." Und nichts anderes hatte er doch eben tun wollen.

Einen Moment lang sah sie ihn stumm und nur mit dem Ausdruck von Skepsis an. Ihre Stirn hatte sich nachdenklich zusammengefaltet, während sie sichtbar bemüht war, seine Worte hinter ihrer Stirn einzuordnen. Es war wohl dem Alkohol zu zuschreiben, dass es länger dauerte, bis sie zu einem Ergebnis für sich gekommen war. Ihre Miene riss dann auf zu einem heiteren Lachen. Ihre Hand entfloh sanft seinem Griff, um diejenige zu sein, mit der sie sich während des Lachens an der Brust des Offiziers abstützte. „Ja, ja, Lupius, mein herssguter Gemahl du, ich versteh schon…also wennich in Dings, in, naja, in Not bin, oder so ähnlich, dann kommsu und rettess mich? Eeecht? Immer? Immer wennich will? Also dassis… irgendwiiiie…“ Jetzt beugte sie sich ihm verschwörerisch entgegen und senkte die Stimme, „…gruuselig, weissu? Uuuh.“ sie schüttelte sich fröstelnd.

Lupius lachte belustigt auf.

„Wartema, wartema, wartema,“ gebot sie ihm im nächsten Augenblick –  amüsiert von einem weiteren Gedanken – Einhalt und versiegelte seinen Mund mit ihren Fingerspitzen, bevor er irgendetwas sagen konnte. Sie trank anschließend erst einen großen Schluck aus ihrem Krug, wischte sich das Bier mit dem Handrücken vom Mund und glitt dann vom Hocker.  „Ich verratir ein Geheimnis, mein Schatz.“ Murmelte sie und rückte ihren Hocker ganz nah an den von Lupius heran. Sie merkte jedoch, dass ihrer nach dem Verrücken irgendwie nicht mehr gut stand. Selbige kippelte durch eine Unebenheit im Boden. Das veranlasste Ira dazu, sich stattdessen mit einem trivialen „Ach egal.“ an Lupius hochzuziehen und wie selbstverständlich auf seinen Oberschenkel Platz zu nehmen. Zumindest mit einer Arschbacke. Doch so konnte sie ihm perfekt ins Ohr flüstern. Der Geruch von Minze schwappte ihr in die Nase, als sie dem Schellenberg so nah kam und sie stellte abermals fest, dass sie den Geruch mochte.

Damit sie nicht von seinem Schoß gleiten konnte, schlang er seinen freien Arm um ihre Taille.

„Weissu, Lupius,“ begann sie geheimnisvoll, „ich will ei’ntlich gar nich von irgen’niemandem gerettet werden, weissu? Wedder von dir, noch von Jost, noch von deinem Bruder, du weisss schon, Hagrian und so. Er hätts einfach lassen sollen, aber neiiiin…“ Ihre Stimme war vor allem bei der letzten Bemerkung wieder etwas lauter geworden und längst nicht mehr der beabsichtigte Flüsterton – was ihr aber wohl nicht unbedingt aufzufallen schien. Sie sprach auch nicht mehr direkt in Lupius‘ Ohr sprach. „Na und Travingo, der wollt michauch retten.“ Sie kicherte geradezu mädchenhaft und tätschelte seine bärtige Wange.

Er verzog das Gesicht ein wenig

„Vor dir und unserem Bund, weiller gesagt hat, dass ich beschhhdimmt voll un‘lücklich werde. - Oh mann, der is eecht gut im Bett, der Rizzi, weissu das?“ Ihre Augen blitzten auf. “Der kann Sachen, huiuiui, da wird Lev’an blass…“ Wieder kicherte sie, fuhr jedoch sogleich ernster fort: „Unann meine Jungs…“ dabei seufzte Ira fast bühnenreif, während sie den Arm um Lupius‘ Hals schlang und es sich noch etwas bequemer auf ihm machte, indem sie nun auch mit der zweiten Arschbacke auf ihm Platz suchte.

Dass ihr Gemahl sie im Folgenden noch enger umfasste störte die Plötzbogen nicht.

„Weissu, Lupius… Meine Jungs. Die vom O’lsbund meinich. Die sin alle furchtbar nett,… aber auch fuuurchtbar nervig. Denken, sie sin meine Mutter, kannsudir das vorstellen? Der Rickenbach nennmich immer Sornbrocken un sagt, dassich alles machen darf, nu nich euch wehtun. Dir un Hagrian. Pfff, das gehttoch ga nich mehr.“ Murmelte sie kopfschüttelnd und trank frech aus dem Krug, der vor ihm stand, bevor sie aufzählte: „Räblein, also dassis mein Vetter Boronian, will immer aaaalles ergründen, bäh, alter Boroni. Den hatti Knappschaff beim Rabensteiner vollversaut!... Wunnibunni-Wunnerbar sagt gaanz oft fuurchtbar unwichtiges Zeug, aber Haup’sache er redet mit. Bruuun is neidisch auf alles. Unnamit meinich eeecht alles. Firin isauch n komischer Kauz, du, vor allem wenner zu aaallem was mit Lannelin sagt. Lannelin hie, Lannelin da. Alrik is n Besserwisser, oh das glaubssu nich. Unner Altenwein is wie‘n Schatten.“ Ira rollte über ihre Freunde mit den Augen. „Hach, Aureus.“ Fuhr sie dann träumerisch fort und kicherte abermals: „Weissu, Aureus is sooo goldig! Hassu gewusst, dasser verliebt in mich war? Oder is? Nee kannsu ja nich wissen!“ beantwortete sie die Frage gleich selbst. Kurz überlegte sie, schüttelte aber den Kopf. „Hm, aba jetzt glaubbich nimmer, keine Sorge, du mussmich nich vor ihm rett‘n, ich weiß ja schon wieher küsst.“ Sie lachte heiter auf. „Weissu. Ich will ihn vielleicht mit meiner Sofe Calderine verdingsen…kuppeln, weissu? Dann kanner die knutschen und beschüssen. Gutte Idee, oder?“ Bei ihrer Frage sah sie Lupius ganz offen ins Gesicht. „Oder wolln wir ihn mit Imma verkuppeln? Oh das wär doch schöön. Was meinsu, hm? Sonst halt einer vonnen annern. Brun oder so. Damitter nimmer neidisch sein muss.“ Dabei lachte sie heiter.

An irgendeiner Stelle war Lupius ausgestiegen. Spätestens als sie diesen horasischen Hallodri erwähnt hatte. Seinen Bierkrug hatte er weggeschoben um sie mit beiden Händen umfassen zu können. Seine Oberschenkel, auf denen sie aufgeregt schaukelte während sie ihm unter die Nase rieb, wer sie auf die ein oder andere Art begehrte, waren nicht mehr alles, was er hart und pulsierend spürte. "Ich hab ne Frage." raunte er ihr heiser zu. "Wer wird disch retten, wenn isch disch jetz küsse?“ Seine Lippen waren so nah an ihren, dass er sie einfach hätte nehmen können, doch er zögerte.

„Hä?“ machte Ira und sah ihren Mann an, als habe der gerade in einer fremden Sprache gesprochen.

"Vielleisch, Liebste, bisscht in Wahrheit du die, vor der man unsch alle retten musch." Erklärte er eingehender. Seine Hand dabei glitt an ihre Wange und hielt ihr Gesicht zärtlich in sanftem Griff.

„Wieso, wamach ich denn?“ entgegnete ihm Ira noch etwas verwirrter. Lupius‘ Hand an ihrer heißen Wange war jedoch zu präsent, als dass sie sie ignorieren konnte. „…un was machsu da?“ Nur langsam, ganz langsam drang etwas in ihr von Bier und Schnäpsen und zu wenig Essen berauschtes Bewusstsein.

Seine Lippen näherten sich ihren.

“Äh…“ kam es zögerlich aus Iras Mund, der sich im letzten Moment noch beiseite gedreht hatte. So landeten Lupius‘ Lippen stattdessen auf ihrer Wange. Irritiert wich sie ein wenig zurück. „Warum…?“ Ihre Stimme verstummte jedoch, weil ein aufblitzender Gedanke in ihren Alkohol geschwängerten Geist fuhr, der ihr das Herz schneller schlagen ließ. Nein, eigentlich musste die Frage lauten: warum auch nicht? Denn: Warum sollte sie sich von Lupius jetzt und hier eigentlich nicht küssen lassen? Ja, was konnte schon passieren, außer, dass es vielleicht gar nicht so furchtbar werden würde, wie sie dachte? Er war schließlich ein attraktiver Mann, ein wirklich hübscher Kerl, der noch dazu wahnsinnig gut roch und in Uniform einfach zum Anbeißen aussah, das musste sie zugeben. Und die Nähe zu ihm empfand sie gerade gar nicht mehr so grauenhaft, wie noch vor einem halben Götterlauf. Im Gegenteil. Seltsamerweise war er nach der Sache heute auch irgendwie kein Fremder mehr, sondern mehr wie ein… Freund. Ja, also, ja. Warum nicht ausprobieren, wie es sich anfühlte, wenn er ihr einen Kuss gab? Der Gedanke ließ Ira spitzbübisch lächeln und der Rausch und irgendetwas anderes Betörendes nährte in ihr die Neugierde nach dem Unbekannten. „Du willss mich also küssen? Aber du musss mich schon fragen, obbu dasauch daffss. Ich bin nämlich ne edle Dame, weissu. Unnich hab nen Orden. Mit nem Fisch dran. Das heiss, dasser Herr Hagrobald voll sufrieden mit mir is. War. Beim Kampf gegen den Reissserssverräter, meinich. Du kanns mich also nich so einfach küssen, weissu! – Ooooder…“ kam sie einer Bemerkung von ihm zuvor, „du gibss mir die Erlaubsnis, dassich dich mal küssen darf, und wennu gut wars, überleg ich, obbich dir erlaubsnissen kann, dassu das bei mir machsss. Was meinsu?“ Sie schien von diesem ‚Handel‘ wirklich überzeugt zu sein. Ob sie alles andere auch so ernst nahm, vor allem das mit dem Orden, ging aus ihrem Grinsen nicht hervor. Dass ihr ein übermütiger Schalk im Nacken saß hingegen schon.

Er lachte kehlig auf und griff mit einer Hand nach seinem Krug. Da er Ira dafür auf einer Seite loslassen musste, kippelte sie ein wenig, doch mit dem Druck seiner Oberschenkel und dem Griff des zweiten Armes gelang es ihm sie weiter auf seinem Schoss zu balancieren. Er seufzte, würde er ihr doch so viel mehr gestatten als nur einen Kuss. "Also schööön. Ich gestattetes dir." flüsterte er ihr ins Ohr. Er stellte nach einem tiefen Schluck den Becher wieder auf den Tresen und umfasste Ira wieder mit beiden Armen. Sah sie auffordernd an. Abwartend, wie sie reagieren, ob sie ihn wirklich küssen würde.

„Gut. Du mussaber die Augen su machen! Un nich schummeln!“ Entgegnete Ira ihm streng, doch wegen ihres betrunkenen Zustands klang ihre Anweisung unfreiwillig komisch. Sie wartete im Folgenden ab, bis er ihrer Bitte nachkam, erst dann legte sie vorsichtig die Hände auf seine Schulter, ehe sie sich das Gesicht ihres Ehemanns einen Moment lang interessiert ansah. (Dass ihn das zum Warten verdammte, musste er wohl oder übel hinnehmen.) Ihr neugieriger Blick fuhr aufmerksam alles ab. Die gerade edle Nase, den harmonischen Schwung seiner Augenbrauen, seine satten dunklen Wimpern, die bartbedeckten kantigen Wangen- und Kieferknochen, das weiche braune Barthaar, das er lässig frisiert und voll trug und das ihm ein respektvolles, manchmal verzaustes Aussehen verlieh. Dazu sein sinnlicher Mund, der unter seinem akkurat gestutzten Oberlippenbart immerzu sanft schmunzelte. Er sah Imma wesentlich ähnlicher als seinem Bruder, fiel es ihr auf. Aber die Erinnerung tat weder weh, noch löste sie in Ira Bedenken aus, drum blieb sie fokussiert. „Du biss auch eeecht voll hübsch, Schellenberg!“ murmelte sie entzückt seufzend, bevor sie, die Augen schließend, ihren Mund aufgeregt auf den seinen senkte und seine Lippen sanft mit ihren für einen zarten, fast schüchternen Kuss berührte.

Lupius genoss den winzigen Augenblick der Nähe. Er schmeckte nach Bier und Schnaps, und roch immer noch ein wenig nach Pfefferminze. Sie schmeckte hingegen – trotz dem Alkohol, den er deutlich auf ihren Lippen wahrnahm – so sinnlich und dieser Kuss versprach so viel Freude, die hinter dieser zarten Oberfläche lag. Hinter all ihrem Streit und all ihren Problemen, passten sie doch unglaublich gut zusammen, fand er plötzlich. Er zog seine Frau näher an sich, vertiefte den Kuss so ein klein wenig. Ließ dann aber die Umarmung fallen und atmete tief ein. Seine Wangen waren gerötet und seine Augen schauten sie verklärt an: "Un nu? Darf isch disch nu auch küssen? Isch meine - dass wär nu doch nur grescht?" Er intensivierte erneut die Umarmung. Zog sie so an sich, dass er ihre Brüste an seinem Brustkorb spürte, und sah ihr in die Augen.

Sie atmete aufgeregt ein, als er sie enger fasste und mit diesem warmen Blick ansah. Er war so …lieb… zu ihr. Ja, sie musste sich eingestehen, dass ihr dieses neue Miteinander gefiel. Und dass ER ihr gefiel. Sein Griff. Sein Geruch. Der Geschmack seiner Lippen. Dass sie ihn necken konnte, ohne, dass er sie tadelte. Und dass er ihr Spiel mitspielte, sogar Gefallen daran hatte. „Nee,“ antwortete Ira Lupius daher kopfschüttelnd, ihr freches Grinsen verriet aber, dass sie scherzte, „Ich hammir noch kein Utteil…dings, weissu. Ich muss nochma.“ Mit den Händen ergriff sie anschließend sein Gesicht und im nächsten Augenblick schob sich ihre Zunge frech zwischen seine Lippen, um ihm einen Kuss zu rauben, den er so wahrscheinlich nicht erwartet hatte.

Er zog sie noch näher zu sich. Öffnete seine Lippen und ließ sie gewähren. Seinen Mund erkunden. Seine Zunge zupfte sacht an ihrer. Doch das alles schürte sein Verlangen. Er wollte sie. Doch nicht hier. "Edle Dame" keuchte er, als sie von ihm abließ. "Sollten wir unsch nischt von diesem Ort verabschieden? Er scheint nicht passend für..." Lupius deutete auf die anderen drei Gestalten am Tresen, die sie mit missbilligender Neugier beobachteten.

„Für?“ Ira sah Lupius verwundert, wenn nicht sogar etwas verständnislos an, denn das, was sie gerade miteinander teilten, war so schön gewesen, so… aufregend….und sinnlich… und interessant,… dass ihr die Unterbrechung gar nicht gefiel. Sie folgte seinem Blick nach zu den Neidern. Nein, echt, für diese trostlosen Kittel hatte er das erbauliche Spiel ihrer Zungen unterbrochen? „He! Wasis?“ rief sie zu den Gestalten hinüber. „Gibss ein Problem?“

Die beiden Gestalten, zu denen Ira hinüber funkelte, sahen sie irritiert an. Während einer schnell in seinen Krug schaute, als wollte er überprüfen, ob auch noch genug darin war, sah der andere, weitaus betrunkener noch als Ira selbst, sie herausfordernd an. "Ihhhar saaiiidt woiohl net von hiaar." lallte er Ira entgegen, hickste und fuhr dann aufgebracht fort: „Wiaa hieaaa in Eeelenwwinaa, wwiar sinn Götterfüaschtig. Unnnsuacht treiaabt mannn hiaar nisschht ooohne deeen Seaageaan Traawiiaas unn schoooaaan gaaa niaasch öffnettliaasch."

Plötzlich, noch ehe Ira oder Lupius reagieren konnten, tauchte Milian zwischen der Plötzbogen und dem Betrunkenen auf. „Gido, zettel‘ keinen Ärger an. Du weißt, ich nehme keine Rücksicht, WER den Ärger macht. Sondern werfe Verursacher raus." ein Seitenblick zu seinen zornigen Verwandten zeigte, wem diese Warnung ebenfalls galt. "Außerdem, meinst nicht, du hast genug für heute." Auch dabei sah er zu Lupius und Ira herüber.

"Iss glaube, du haaaascht reaaaschta." lallte Gido und mit einem bösen Funkeln, das er Ira zuwarf, schwankte er Richtung Ausgang.

Milian warf einem der Jungen, die an der Tür herumlungerten eine Münze zu und nickte, während er sich an Lupius wandte. "Ihr zwei Turteltauben, ihr solltet euch auch auf den Heimweg machen. Oder setzt euch rüber, wenn ihr unbedingt ... hier bleiben wollt. Aber mehr schenke ich euch nicht aus, dass ihr es gleich wisst." Er deutete auf einen Durchgang zu einem kleinen Raum nebenan, in dem er gehobenere Gäste bewirtete, wenn er die Möglichkeit hatte.

„Wir sinn keine…“ Verdammt, wie hieß das noch gleich? Sie wusste nur, dass sie es nicht mochte, so genannt zu werden. „…drecksdings!“ grummelte Ira stattdessen und glitt von Lupius Schoß.

Milian grinste Ira nur verschmitzt an. Und legte den kopf schief: "So?"

Über Milians Verhalten hinaus gefiel Ira die Aussicht, hier nichts mehr zu trinken zu bekommen, ebensowenig wie sein belustigtes Grinsen. Gerade war doch noch alles in Ordnung gewesen, hatte kein Scheißhahn nach ihr und Lupius gekräht, niemand sie gestört. Und jetzt setzte Milian sie plötzlich vor die Tür? Ausgerechnet der. „Sahl den gudden Mann, mein Schatz, unann… nann gehn wir", brummte sie in Richtung ihres Gemahls, während sie sich durch einen leichten Schwindel etwas unbeholfen das Kleid richtete, dabei helfende Hände getrost ignorierte, nur Milian böse ansah: „Schöner Verbündeter bissu, A’llerkralle…“

"Freund." sagte Milian, der weiter grinste: "Das macht den Unterschied." Er nickte Lupius zu.

Der brummte seinem Vetter zu und deutete auf die Tür: "Isch hab noch wasch von seinem gutten Schnaaps zuhause." Er schüttelte zu Milian gewandt den Kopf und deutete auf die Tür. "Lasch uuns heimgehn."

Ira nickte, sie war aber immer noch zornig, drum warf sie sich das Haar auf die Schulter ohne darauf zu achten, ob sie Milian damit im Gesicht traf. „Ja. Gut. Un dann tun wir dann alles trinken, Milian, hassu gehört, du Freu’entöter, du. Wir trinken alles. Bissauf‘en lessssten Tropfen, verdammt. Du wiss schon sehen.“ rieb sie ihm unter die Nase. "Unser Durs' is groß."

Milian lachte. Sonst tat er nichts. Nur lachen. Laut. "Oh Ira, ich kann dich wirklich gut leiden. Trink einen für mich mit." Mit den Worten warf er einem der an der Tür herumlungernden Kindern eine Münze zu.

Als sie draußen vor der Tür standen griff Lupius nach Iras Hand: "Edle Daaame, daff isch eusch nach Haus führen?"

Die sah zurück zur Tür, die sich just hinter ihnen geschlossen hatte. Sie wollte sogar mit dem Fuß gegen das Holz kicken, aber trat doch daneben, weil die Distanz nicht zu ihrer Beinlänge passte. „Dieser unversssämte Hund! Hattuns einfach raus’eschmissen und nur doof gelacht. - Na, warte, A’llerkralle, das krissu noch su hören.“ Bei letzen Worten war ihre Stimme lauter geworden, doch wenn er dachte, dass sie nun mit Pöbeln anfing, täuschte er sich. Sie hatte zwar alle Energie dafür zu zetern, zog ihn jedoch lieber fort. „Na los, Schellenberg, komm. Wir sinnier nich erwünsss.“

"Ja" antwortete er knapp und bot seiner Frau seinen Arm an. Beide schwankten mehr als sie liefen und kamen wenig später zuhause an. Der Junge, der mit etwas Abstand hinter ihnen her geschlichen war, verdrückte sich zurück in die Taverne, in der Hoffnung auf eine weitere schnelle Münze.

Als Lupius und Ira zuhause eingekehrt waren, wies er nach oben: "warte oben, ich hol’en Schnaps und sswei Becher." Die Stube oben war noch angenehm warm und er legte noch ein paar Scheite nach.

„Mach voll Schellenberg!“ knurrte sie, als er endlich mit den Getränken ankam. Für ihre Begriffe war schon zu viel Zeit vergangen, in der er sie hatte warten lassen. „Un lassuns trinken auf…auf…auf Freunne, die annere vor die Tür sessen,… unn versssstockte al’e Weiber, dennen man das dreggiche Maul ma mit Seife auss’sülen sollte,“ sie erhob ihren Becher. „Auffie Familie, liebss’er Gatte.“ Ira lachte auf. Dann stürzte sie den Inhalt hinab. Hui. Er brannte ganz schön im Rachen. Mehr als der, den Milian in der Taverne ausschenkte.

Lupius tat es ihr gleich und schaute sie, nachdem er seinen Schnaps hinuntergestürzt hatte, mit schiefem Kopf an. "Wir sollten mitt demm anneren auch weiter maaachn." seine Augen glänzten und seine Wangen schienen rötlich durch die Wärme, die der Alkohol durch sein Blut drückte.

„Ja, ja, ja, ja, ja, suerst trinken wir noch einen! Ei‘fach nur weil wir’s können un es allen da draußen scheisssegal sein darf!“ murmelte sie, während sie sich und ihm nachschenkte. Seinen sehnsüchtigen Blick nahm sie daher nicht wahr. „Soooo, biddeschön. Weg mittem Zeug.“ Erst jetzt, da sie sich ihm wieder zuwandte, um ihm den gefüllten Becher zu reichen, zog sie kurz ihre missmutigen Brauen zusammen. War aber immer noch versessen darauf, die unguten Dinge in sich, wie etwa die Wut auf Milians Rauswurf und das dumme Essen bei ihren Großeltern, mit dem Hochprozentigen zu betäuben. Wobei die Schmach, von einem Freund aus dem Wirtshaus verwiesen worden zu sein, momentan überwog. Sie wartete nicht und trank wieder alles beim ersten Mal Ansetzen aus, verzog aber doch das Gesicht, weil der Schnaps wirklich ordentlich kratzte, und wenn sie ehrlich war, fingen unter ihren Füßen die Holzdielen an, sich zu verformen. Aber… diese Flasche wollte sie unbedingt noch leer machen….

PLUMS! Verdammt! Ein falscher Griff und das Gefäß hatte den Aufschlag auf dem Boden nicht überlebt. Na toll, jetzt war die Flasche leer, aber ohne, dass sie etwas dafür konnte. Dämlich. Warum schwankte auch das Haus plötzlich so? Nein, die Frage lautete eher: hatte Lupius noch eine zweite Flasche dieses Rachenputzers? Bestimmt. Der war hoffentlich auch nicht so geizig wie die Adlerkralle. Milian, Nest… Bei der neuerlichen Erinnerung an das unerwartet abrupte Ende ihres netten Besuches dort, ereilte Ira ein damit zusammenhängender Gedanke, der ihr just wieder in den Sinn kam und sie fing unvermittelt erst zu kichern, dann zu lachen an. „Scheiße, Lupius, hassu das Gesich‘ vonnem komischen Kauss vorhin gesehen, als ich mich ummedreht hab und gesagt hab: ‚He wassis, du Dings. Hassu ein Problem?‘…und er dann: ‚He, wir sinnier in Ellenwiiinaa. Dassiss Unsucht! Jawohl!‘“ gab sie mit verstellter Stimme und leidenschaftlicher Gestik zum Besten, erhob sogar ihren Zeigefinger, mit dem sie Lupius erst lachend drohte. Im nächsten Augenblick warf sie dann jedoch ihren Krug zornerfüllt zu Boden. „Was geht’s den Arsch an?! Ich bin verdamm‘ nochmal ne Ritterin mi’ nem Flussdings-Orden, die gegen nie‘erhöllische scheiß Viecher gekämpfff hat. Swei Maal!! Scheiße! Swei Maaal! Unnich bin vor der Frau Travia vermäählt. Drecksverdammter! Mich ‘er Unsucht su beseichnen is unverschämt, dasses kracht."

Unzucht. Ja, das war allerdings das, wonach Lupius gerade der Kopf stand. Er trat über die Scherben hinweg, wobei er sie ein wenig streifte, was er nicht mal mit einem Zucken quittierte. Er kam so dicht an Ira gepresst zum Stehen, dass sie instinktiv um seine Taille fassen musste, um nicht seitlich wegzukippen. "Unsucht.... ist nicht unbedingt was schläschtes." sagte er leise – zumindest dachte er das. Er ließ seinen eigenen Becher ebenfalls zu Boden fallen und zog sie eng an sich. Seine Arme schlangen sich um sie. „Nu hassu unsren gaansen Schnaaaps kabuttemach un dein‘ Becher auch." murmelte er heiser und drückte seine Lippen auf ihre. Sie schmeckte nach dem scharfen, starken Alkohol, doch das machte nichts. Ihr Geruch, ihre Nähe, das alles trieb ihn an, seinen Mund nicht von ihrem zu nehmen. Nur dieses eine Mal würde er es sich gönnen. Seine Frau zu küssen. Seine Frau.

Lupius‘ Griff war gebieterisch. Sein Bart, lang und fast flauschig drückte sich gegen ihr Gesicht, während die starken Arme des Flussgardeweibels seinen Körper gegen den ihren gepresst hielt und sein Mund den ihrigen gierig plünderte. Seine starken Arme in ihrem Rücken verhinderten, dass sie sich der Zuwendung entziehen konnte, doch nach einem anfänglichen Moment der Entrüstung, in dem ihr Herz gar für einen winzigen Augenblick ausgesetzt hatte zu schlagen, begann es nur noch wilder zu pochen. Sein Kuss ließ ein nicht unbekanntes Gefühl von Verlangen in ihr aufkommen, dem sie sich in nüchternem Zustand sicher erwehrt hätte. Doch in ihrer derzeitigen Verfassung erstickte es alle düsteren Gedanken an die empfundene Schmach und den Ärger augenblicklich, und hinter ihren genießerisch geschlossenen Augenlider wurde alles unwichtig. Das wer-sie-küsste, das warum-er-sie-vielleicht-küsste. Auch die Frage, was passieren konnte, wenn sie sich weiterhin blind Zärtlichkeiten mit Lupius ergab. Gleichzeitig wurde ihr warm. Richtig warm. Und schwindelig auch.

"Dubis meinne Frraauu." sagte er leise, als er schließlich von ihr abließ. Die verlorene Wärme an seinen Lippen hinterließ eine kalte, traurige Lücke.

„Ich...bin…“ Mehr bekam Ira nicht heraus. Dabei war sie so vieles: atemlos von seiner Leidenschaft, betrunken von Bier und Schnaps und verloren in der Erkenntnis, dass ihr die Küsserei mit Lupius gefiel. Wirklich gefiel. So sehr gefiel, dass sie einen Hunger in sich spürte. Den Hunger nach mehr als einem Kuss. Verdammt, er war ein Mann. Und Männer konnten ja noch so andere wunderbare Dinge. „…bin…bin…“ Ihr fiel tatsächlich nichts ein in diese Moment.

"...Meine Frau." wiederholte er leise. Plötzlich sanft. Fast flüsternd. "Meine." und mit diesem Wort umschlossen seine Lippen ihren Mund erneut. Diesmal weniger zärtlich. War der Kuss vorhin noch tastend, noch vorsichtig auslotend, war dieser besitzergreifend. War der erste eine Frage gewesen, war dieser... eine Aussage. Seine Hände strichen sanft über ihren Rücken, während seine Zunge mit ihrer zu spielen begann. Als gehörten beide zusammen. Zumindest in diesem Moment. In diesem Spiel ihrer Münder. In einer Jagd, die nur auf eines hinauslaufen konnte. Eine Hand glitt in ihren Nacken, berührte das zarte Fleisch zwischen ihren Ohren. Kitzelte über die empfindliche Haut, die sich ihm erregt entgegen stellte. Kaum ein Stück Pergament hätte in diesem Moment noch zwischen beide gepasst. Und keiner von beiden hätte es zugelassen, hätte es jemand dennoch probieren wollen.


Der Morgen klopft laut

Sie hatte nicht geschlafen. Immer wenn sie eingenickt war, hatte einer ihrer Bewacher sie solange geschlagen, bis sie wieder wach wurde. Ihre Haut fühlte sich kalt an, ihre Zehen spürte sie fast nicht mehr. Da kam er zurück. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Schluchzend begann sie zu zittern. Er würde da weitermachen, wo er gestern aufgehört hatte. Instinktiv wollte sie sich zusammenkauern, doch ihr Körper war weiterhin an diesen Stuhl gefesselt. Kalt zwinkerte er ihr zu: ‘Weine nicht, mein Mädchen. Ich habe doch noch gar nicht angefangen.’

Zuerst war da ein gewaltiges Stechen hinter ihrer Stirn, als unvermitteltes Lärmen Ira aus dem Schlaf riss. Eine Abfolge sich wiederholenden dumpfen Hämmerns und Worte, die irgendwer irgendwo rief. Letztere fanden nur schwer den Weg in ihr Ohr, in dem es außerdem rauschte, als flöße der wilde Schwarzbach hindurch. Nicht der gebändigte, der nur neckisch die Mauern Hlûtharsruhs streifte, sondern der wilde, zügellose Geselle mit den vielen Stromschnellen, welcher sprudelnd über die Felsen sprang, ehe er sich mit seinen Bruderbächen vereinigte und erst auf dem Weg dem Großen Fluss entgegen Ruhe fand. Ein vorsichtiges Blinzeln ließ nur die Erkenntnis zu, dass Tageslicht kein Verbündeter war. Schmerzhaft drang bei jedem trotzigen Lidschlag Praios‘ Gabe in ihren nur langsam, träge und äußerst unwillig aus einem tiefen Schlaf kriechenden Geist, der sich von dem Lärm, den irgendwer irgendwo machte, zutiefst gestört fühlte. Bis gerade eben noch trug nämlich ein wohlig süßer Traum Ira durch die Nacht. Als Nachhall dessen lag ihre Zunge wie betäubt in ihrem ausgetrocknetem Mund und in ihrem Hals saß ein dicker, ekelhafter Frosch, der das Schlucken schwer machte. Das schwarze Loch in ihrer Erinnerung, der nagende Kopfschmerz und ebenso der recht präsente Geschmack der aus ihrem Innern aufsteigenden Brühe Alkoholgesättigten Magensaftes hieß wohl, dass sie am gestrigen Abend einen über den Durst getrunken haben musste. Gestern. Ach ja. Sie erinnerte sich. Das verpatzte Essen bei ihren Großeltern…. Lupius, der der Hausherrin über das lästerliche Maul gefahren war…. Wie er und sie im ‚Nest‘ einkehrten, wo sie der Wut und dem Durst freien Lauf ließen… Das Hämmern wollte einfach nicht verstummen. Die Stimme einer Frau rief aufgeregt etwas, das Ira allerdings nicht im Geringsten interessierte, weil sie einen Kampf gehen den Hornissenschwarm in ihrem Kopf führte und gegen die aufkommende Übelkeit, die auch nicht verschwand, als sie sich unwirsch knurrend die Decke über den Kopf zog, um das Poltern zu dämpfen, weil sie fürchtete, dass ihr ansonsten bald das Hirn platzen würde. Sie war so sehr auf sich selbst fokussiert, dass sie weder merkte, dass sie dem Mann neben sich die Decke wegzog, noch, dass sie überhaupt mit jemandem das schmale Bett teilte, in dem sie sich unwohl wand. Und nackt. Das fiel ihr erst auf, als ein tiefes Brummen neben ihr den Weg durch das Pochen in ihrem Schädel fand. In dem Moment registrierte Ira auch den harten, männlichen... ebenfalls nackten... Körper neben sich und die Hand, die auf ihrem Bauch lag. Und langsam, nur ganz langsam sickerte die Erkenntnis in ihr schwerfälliges Bewusstsein, dass sie möglicherweise nicht allein war. Aber wer war da bei ihr? Travingo etwa? Erst kürzlich hatte sie noch von ihm geträumt und eine große Sehnsucht nach körperlicher Nähe in sich gespürt. Nein, der Rizzi lag nicht neben ihr - sagte jenes Gefühl, das sie beschlich. Es war ein ganz mieses Gefühl. Eines von der Sorte, die man normalerweise nicht haben wollte. Ein seltsames. Seltsam aufdringlich. Und deshalb beängstigend. Vielleicht, ja, vielleicht würde sich ja zeigen, dass sie immer noch träumte?… So nahm sie alles an Selbstbeherrschung zusammen, was ihr Kopfschmerz noch hergab, und blieb still liegen. Rührte sich unter der Bettdecke, die sie sich über ihr Gesicht gezogen hielt, nicht. Bald. Bald würde dieser Moment vorbei sein, hoffte sie. Sie musste jetzt nur still liegen, den Schmerz wegatmen.

Lupius, dem die Hand auf ihrem Bauch gehörte, hatte sich in dieser Nacht süßen Träumen hingegeben. Träumen von seiner Ehefrau, die in seinen Armen lag, deren Duft er einsog, deren geschmeidiger, fester, junger Körper sich um ihn wand und ihn bis zu den höchsten Gipfeln des Glücks trug. Nun strich er sanft über das Fleisch, das er glaubte unter seinen Fingern zu spüren. Sacht. Sanft. Wie sie es mögen würde. Womöglich. Er wollte nicht aufstehen. Er hatte erst am Nachmittag seinen Dienst anzutreten und das Pochen an seiner Zimmertür störte ihn. Dari wusste sehr wohl, dass er nicht geweckt werden wollte, wenn er abends und nachts zum Dienst eingeteilt war. Besonders, wenn er getrunken hatte. Und dass er das definitiv hatte, merkte er an dem trockenen Mund und den leichten Schlieren vor seinen Augen als er diese ein wenig öffnete. Oha. Und an den Gedächtnislücken. Und Halluzinationen. Denn sein Verstand gaukelte ihm gerade vor, dass Ira tatsächlich neben ihm lag. Fluchend versuchte er die Decke wieder über seine Ohren zu ziehen, doch die ... war verschwunden...lag über ebenjener Halluzination.

Doch bevor er sich wundern konnte, erklang Daris aufgebrachte Stimme: „Herr. Es tut mir leid. Ihr könnt nicht... Nein. Bitte!"

Und im nächsten Augenblick hörte er eine andere Stimme. Eine tiefe, männliche Stimme. Die seines Vetters: "Lupius, komm raus.“

LUPIUS? Entsetzt, dass das dreckige miese Gefühl am Ende höhnisch triumphierte, entrann Ira ein erstickter Ausruf . Scheiße. Nein. Nein. Nein. Nein, das musste ein Irrtum sein. Nein. Nein. Nein. Nicht er. Nicht sie. Nicht sie und er. Und vor allem nicht… das. Die Vorstellung an Momente voller Lust mit diesem Schellenberg, welche sie eigentlich gar nicht ganz so beängstigend fand wie sie es wollte, nährte das verstörende Gefühl in ihr.

Derweil fuhr die Stimme Milians barsch fort: „Seit weiß der Kuckuck wie lange, versucht Dari dich durch ihr zaghaftes Klopfen wachzubekommen. Steh auf, bei den Niederhöllen. Ich habe nun genug geklopft. Wenn du nicht augenblicklich deinen Arsch hieraus bewegst, komme ich rein. Und.... ich weiß nicht, wem von uns dreien das unangenehmer sein wird."

Nun war Lupius mit einem Schlag wach. Das Pochen an seiner Tür war lauter als er es im Halbschlaf wahrgenommen hatte. Und dass Milian von DREI sprachen, ließ ihn mit dem neu erwachten Geist neben sich starren und erkennen, dass Ira keine Halluzination war. Ihr Leib zeichnete sich deutlich unter dem Laken ab. Doch was das für all die Träume bedeutete, verscheuchte er zunächst. Er seufzte. Sie war so schön. „Ich komme ja, du Phexsverliebter Unglücksbringer." Der Flussgardist schlüpfte in seine Hosen und öffnete die Tür zur Kammer in der sicheren Erwartung Milian mit frechem Grinsen und wissendem Feixen vorzufinden. Aber stattdessen sah sein Freund ihn besorgt an. Dari stand neben ihm, den Tränen nahe. "Was, zum Orkendreck noch eins, ist dein Problem."

Milian schüttelte den Kopf. "Wir müssen zur Eilenwid. Sofort!“

Lupius runzelte die Stirn. "Warum?"

Milian drückte dem verdutzten Flussgardisten einen Krug in die Hand. "Austrinken, dann anziehen. Dann erkläre ich es dir. Und mach schnell."

Lupius griff nach dem Krug. Milian war nie ernsthaft. Nie. Außer..... es gab Probleme. Und zwar echte. Große. Da er unglaublichen Durst hatte, trank er den ihm entgegengestreckten Krug in einem Zug aus. Registrierte viel zu spät den salzigen Geschmack und rannte hinaus. Über den Hof. 'Oh die Probleme müssen gewaltig sein, wenn ich dir dafür nicht eine reinhaue. Und zwar wirklich - wirklich fest.' Dachte Lupius, als er den gesamten Inhalt seines Magens in die Latrine spuckte. Mit widerlichem Geschmack im Mund, aber mit bedeutend klarerem Verstand stapfte er ins Haus zurück. Seine geballten Fäuste ließen erst locker, als Dari ihn in der Stube mit einer Schüssel warmen Wasser und einem Stück Seife empfing. Milian stand ungeduldig daneben. Die Stirn immernoch in Falten gezogen. "Was, bei allen Göttern, ist denn los?" fragte er, während er Dari die Seife abnahm und diese die Küche verließ und die Treppe nach oben nahm. Lupius begann sich zu waschen und schaute dabei Milian nachdrücklich an.

"Mach hin, ich erkläre dir gleich, was ich weiß." Sagte der jedoch nur und ruderte mit der Hand.

Lupius‘ Besorgnis steigerte sich, während er seinen Leib von den Überresten der Nacht und des aufgezwungenen Magenentleerens befreite. Was war denn nur los? War jemand gestorben? Jemand krank? Jemand.... Er hielt inne. Die Seife flog in hohem Bogen in die Waschschüssel. Er schlüpfte in die Hosenbeine, während er die Treppe hinaufhastete, dabei stolperte er fast über die am Boden kniende Dari, die an einem riesigen Fleck auf den Dielen herumschrubbte, und stieß die Tür zu Immas Kammer auf. Blickte auf das unberührte Bett.... Aber....Es war spät. Sie wäre längst zur Arbeit gegangen. ... Zu ihrer Arbeit auf der ... Eilenwid. Entsetzt sah er Dari an. „Hast du heute schon Immas Bett gemacht."

Irritiert schüttelte das Mädchen die Locken.

Lupius hastete wieder hinab, ohne Dari zu antworten und baute sich vor Milian auf. Griff an seine Schultern. "Ist etwas mit meiner Schwester? Sag schon!“

Milan hob die Schultern. "Ich weiß es nicht. Aber das ist auch meine Befürchtung. Ein Bote war vor etwa einem Stundenglas hier, um dich in dringender, familiärer Angelegenheit zur Burg zu bringen. Sei froh, dass ich zufällig vorbei gekommen bin, um nach euch zu schauen. Sonst würdest du immer noch im Reich der Träume schlummern. Zieh dich an. Damit wir los können."

Lupius spurtete die Treppe erneut nach oben und riss die Tür zu seiner Kammer auf, wobei er sah, wie seine Geliebte der letzten Nacht sich das Laken eilig erneut über den Kopf zog, um sich vor seinen Blicken zu verstecken. Doch für sie hatte er jetzt keine Zeit. So schnell er konnte suchte er passende Kleidung in seiner Truhe, zog sich so schnell komplett an, wie er es seiner Erinnerung nach noch nie getan hatte und stand wenig später neben Milian, band seine Stiefel und die beiden Männern verließen ohne Abschiedsgruß das Haus. Nur Dari blieb zurück. Den Fußboden schrubbend, den sie bereits von Scherben und Splittern gereinigt hatte.

Ira wartete unter ihrem schützenden Zelt noch etwas ab, bis kein Geräusch von Schritten und auch keine Männerstimmen mehr zu hören waren. Dann ließ sie den Zipfel der Decke nach unten gleiten bis zu ihrer Nasenspitze und spähte in den Raum. Die Tür nach draußen in den kleinen Wohnbereich stand offen, die Kleidertruhe, aus der sich ihr Gatte eben noch eilig bedient hatte, auch. Bohrend drang das Licht des neuen Tages durch die schmalen Schlitze der Fensterläden in die kleine Schlafkammer. Das Licht malte Streifen von Sonnenstrahlen in den Raum. Staub tanzte glitzernd durch die güldene Illumination wie kleine Sterne. Ira hatte allerdings keine Augen für solche Schönheit. Ihr war schlecht. Furchtbar schlecht. Der Hornissenschwarm in ihrem Kopf war jetzt noch mehr in Aufruhr, da sie sich aufgesetzt hatte, um nach den selbst erzwungenen Atempausen wieder tief Luft zu holen. Das linderte leider keines ihrer körperlichen Leiden, ebenso war der Nachklang ihrer Erkenntnis so mächtig, dass ihr rasendes Herz wie Feuer brannte und ihr trotz des Aufatmens die Luft wegblieb. Denn die Beweise sprachen für sich. Ihre Nacktheit. Dass sie im selben Bett gelegen hatten. Seine Hand auf ihr. Sein Streicheln. Letztlich die verräterische feine Feuchte in ihren Schritt. Nein. Es war nicht zu leugnen, was zwischen ihr und Lupius in dieser Nacht passiert sein musste. Scheiße verdammt, Plötze, du hast mit deinem Mann gefickt und kannst dich nicht mal dran erinnern… Das musste Ira erst mal verdauen. Nein. Sie musste sich verbessern:8 Scheiße verdammt, Plötze, du hast mit deinem Mann gefickt und kannst dich nicht mal dran erinnern? – Ernsthaft?? Verdammt noch eins. Wieviel hast du getrunken??? Wie, um dem ganzen Irrsinn die Krone aufzusetzen, meldete sich ihr Magen mit Dringlichkeit. Ira schaffte es gerade noch aus dem Bett, bevor sie sich laut, lange und unschicklich in die Waschschüssel erbrach, die gegenüber des Betts auf einem Schrank stand.

Eine schüchterne Stimme klang aus der Stube: "Herrin, wenn ihr... Hilfe benötigt, sagt mir bescheid?"

Hilfe? Nein, dir kann gerade keiner helfen, Plötze… kam es Ira allerdings nur in den Sinn, drum antwortete sie nicht. Stattdessen widmete sie sich einer Selbstbetrachtung, die nur zu unguten Gefühlen führte und in ihr beständig die große Frage aufwarf: Warum.

Nachdem sie sich entleert, und dabei auch einen Teil ihres Selbst geopfert hatte, brauchte sie auch keine Scham an den Tag legen. Es war ja sowieso nicht mehr zu verschleiern. Und wenn Dari nur halb so eine aufmerksame Bedienstete war, wie zu vermuten war, wusste sie sicher schon Bescheid. Über die Nacht. Und das, was zwischen Lupius und ihr passiert war. Ach Scheiße!

Ein Gedanke durchfuhr sie, der, geboren von einer Erfahrung der Vergangenheit, entsprechend tief wurzelte und in jenem einen Moment drängend in ihr hochstieg: Rahjalieb! Sie brauchte Rahjalieb! Denn - nein! Nein! NEIN! - ein zweites Kind zu bekommen, passte nicht in das Leben, das Ira wollte. Selbst wenn es dieses Mal eines unter dem Segen der Gänseherrin geborenes sein würde. Das Kind eines vor den Göttern verheirateten Paares! Doch eigentlich war es eher so, dass Ira noch nicht so recht wusste, was es überhaupt war, was sie wollte. Sie wusste nur, dass die Herrin des Herdfeuers ein solches Kind gerne gesehen hätte, der Gedanke, mit Lupius im Rausch ein Kind gezeugt zu haben, ängstigte Ira jedoch so sehr, dass sie sich - angewidert von dem Gestank des Erbrochenen auf dem Waschschrank - fast noch einmal übergeben hätte. Scheiße. Was war das nur für ein verkackter Morgen. Sollte sie sich wieder hinlegen? Erneut die Decke über den Kopf ziehen und sich vor den Problemen hinter dem Laken verstecken? Die Crux war nur, dass sich ihre Probleme nicht aussperren ließen.

So schwankte sie, sich eine Hand gegen die pochende Stirn haltend, hinaus in die Stube. Sie bemühte sich um Haltung. Immerhin war Dari eine Bedienstete. Ihr elendiger Blick und ihre Nacktheit machten Ira aber einen Strich durch die Rechnung.

"Was...“ Bei der auf dem Boden knienden Dari blitzte ein Funke Erinnerung in ihr auf. Scherben. Der bekannte Geruch von Gebranntem. „…was war denn gerade los?“ Sie wollte wirklich wissen was passiert war. Außerdem wollte sie erst ein Gespräch beginnen und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wenn Ira sich nämlich an etwas gut erinnern konnte war es die signifikante Tatsache, dass sich in ihrem derzeitigen Gepäck kein Rahjalieb befand.

Eine zarte Röte überzog die Züge des Mädchens als sie hochschaute. "Ähm... Es war vor etwa einem Stundenglas ein Bote von der Eilenwid hier. Er sagte, der Herr möge schnell mit ihm kommen. Aber .... nun ich konnte.... er ... ihr... nun ... er war noch nicht aufgestanden. Eigentlich hat er heute keinen Dienst. Das hat er mir doch gestern extra gesagt." Schloss sie rasch. "Ich habe geklopft. Aber er...ihr... also niemand öffnete. Da ist der Bote wieder gegangen. Trug mir aber auf, den Herrn sofort zu wecken und auf die Burg zu schicken." Sie machte eine kurze Pause, in der sich Iras Stirn furchte.

"Als er ging, kam gerade der Sohn des Herrn Merkan. Zuerst grinste er noch, aber als er den Boten beim Gehen fragte, wer ihn geschickt habe, wurde er sehr ernst und... trug mir auf... es noch einmal zu versuchen. Also.... das mit dem Klo..Klo..Klopfen." Es folgte eine Pause, in der sie recht verunsichert zu Ira hinüber sah. "Dann sagte er mir, kein Wunder, dass der Herr nicht öffnen würde, so leise wie ich klopfen würd und dann hat er laut gerufen und immer lauter und gegen die Tür gehämmert wie ein Wilder und dann ist der Herr aufgewacht und kam heraus." Sie senkte den Blick. "Ich wollte euch sicherlich nicht wecken, Herrin." sagte sie leise. "Das tut mir leid." Dann sah sie wieder nach oben in Iras Richtung, fast als erwarte sie wie ein Hund geprügelt zu werden. "Jedenfalls ist der Herr mit seinem Vett..vett…vetter weggegangen, nachdem er sich gewaschen und angekleidet hatte." subsummierte sie noch zum Ende.

Ja richtig, das Hämmern gegen die Tür hatte sie aufgeweckt, daran erinnerte sie sich. Verdammt nochmal, ein Bote aus dem Herzogenhaus? Von Dari würde sie keine Antwort auf diese Frage bekommen, das wusste sie, und Milian war nicht greifbar, drum stellte Ira die Frage erst gar nicht. Stattdessen widmete sie sich lieber dem Offensichtlichen: „Dari… alles gut, es war richtig!“ Vielleicht hörte das Mädchen so auf, so bescheuert dümmlich zu gucken. „Jetzt sei so lieb und… mach warmes Wasser… Ich, äh, würd‘ gern ein Bad nehmen… wenn’s geht. Und …“ Ihr Blick fiel auf die zusammengekehrten Scherben am Boden. Wieder nur der Hauch einer Erinnerung, „…etwas trinken...“

Sie hatte Durst. Großen. Ihr dürstete allerdings auch nach etwas anderem.

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