Bande und Bünde 1042 - Verschwunden

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Verschwunden

Ihr Schrei verhallte. Niemand hörte sie. 


Unterdessen eilten sich Lupius und Milian zur Eilenwid zu gelangen. Der Wirt nickte seinem Vetter zu, als dieser in den Mauern der Burg verschwand und sah sich suchend um bis er fand, wonach er gespäht hatte. Im Inneren der Herzogenresidenz musste der Schellenberger nicht lange suchen. Hastig wurde er von einem Diener herbei gewunken und in einen kleinen Salon geführt. "Wartet hier, Herr." zischelte der ältliche Mann mit den schmalen Lippen dem Offizier zu.

Lupius Stirn furchte sich. Was hatte das alles zu bedeuten? In was, bei den Zwölfen, hatte sich seine Schwester verstrickt? Unruhig wanderte er in dem kleinen Raum auf und ab. Bis er die Tür hinter sich knarzen hörte und sich umwandte. Oh Nein!! War sein erster Gedanke. Der zweite: In was hast du dich hineingeritten, Schwesterchen?

Ira hatte sich den Leib in eine Decke geschlagen, saß in der Küche und tunkte Brot in eine Suppenschüssel. Das Backwerk und der Gemüsesud taten gut. Sie halfen einerseits gegen den großen Kater-Durst, wärmten andererseits nicht nur den verstörten Magen, sondern vertrieben auch den Geschmack des Säftchens, der, wenn man ihn zuvor einnahm, wesentlich besser schmeckte. Eine gute Suppe wärmt auch immer die Seele, hatte Dari eine Weisheit ihrer Mutter erzählt. Gegen das Kopfweh hatte das Dienstmädchen ihr eine Salbe aus Minze zum Auftragen gegeben. Ausgerechnet dieser Geruch! Ira wollte sich nicht wundern, würde ihr Sohn einstmals auch danach riechen. Wie alle Männer dieser verdammten Sippe. Aber die erfrischende Kühle half, den Hornissenschwarm zu bändigen, also wollte Ira sich nicht beklagen. Sie freute sich nun auf das Bad, das Dari ihr vorbereitete, und darauf, diese Nacht nicht nur abwaschen, sondern auch abhaken zu können, denn nach wie vor irritierte sie der Gedanke, mit Lupius geschlafen zu haben, möglicherweise sogar unter den wohlwollenden Blicken Rahjas, und nichts, absolut gar nichts mehr davon zu wissen. Dies stellte die wirkliche Qual dar, denn so wusste Ira nichtmal, ob es gut, nur erträglich, furchtbar oder gar wiederholenswert gewesen war. Nein. Sie kannte den Mann, in dessen Bett sie aufgewacht war, eigentlich gar nicht. Das schloss eine Wiederholung des Ganzen dringend aus! Dringend. Auch, weil sich der Geschmack des Rahjaliebs von der würzigen Brühe nicht gänzlich überdecken ließ und beides zusammen eine Bitternote erzeugte, die widerlich den Mund füllte. Wie als Strafe der Herrin Travia.

„Der Herr ist wieder da,“ frohlockte das Mädchen und legte eilig den Mantel beiseite, den es sich übergeworfen hatte, um Holz für Kamin und Küchenfeuer aus dem Verschlag im Hof zu holen. Schnell schob es einige der Scheite in die Flammen, über denen der Topf mit weiteren heißen Wasser für das Bad der Herrin siedete.

Ira war dankbar um diese Ablenkung.

Nur Augenblicke später trat der Hausherr ein. Er rief noch einige Worte nach draußen: "Wie lange?" höflich klang seine Stimme in keiner Weise.

"...."

„Bei den Göttern, eile dich." wieder wartete er eine kleine Weile, in der ihm scheinbar jemand draußen antwortete.

"..."

"Kopflos?" brummte Lupius erbost. "Ja..."

"..."

„Jaaa...."

"..."

"JAAAA". Ira hatte Lupius durchaus schon bei schlechter Laune erlebt, aber die Spannung, die man im Moment seiner Stimme entnehmen konnte, klang nach mehr als schlechter Laune. "Bei allem was in den verdrecktesten Tiefen der Niederhöllen verrecken mag. Ich scheiß auf deine Ratschläge."

"...."

Lupius atmete tief ein. "Ja, Ja. Das mache ich. Du, eile dich." Damit warf er die Tür mit einem Krachen ins Schloss, was Dari so sehr zusammen zucken ließ, dass sich selbst Lupius erschreckte. Sein Blick strich über Iras Gestalt und er ließ sich wie selbstverständlich neben sie auf einen Hocker plumpsen. Und schwieg.

Ein wenig wartete Ira noch und überlegte, ob es überhaupt gewollt war, dass sie etwas sagte. Es kam ihr komisch vor, nach allem, was da zwischen ihnen beiden seit gestern Abend passiert war, einfach wieder zum Alltag überzugehen. Das Ganze zu vergessen. Der Vorfall in der Eilenwïd kam ihr ehrlich gesagt ganz gelegen. „Ist was… passiert?“ versuchte sie es irgendwann. Die Frage war genauer gesagt überflüssig, denn es war offensichtlich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, wenn man auf der Eilenwïd nach Lupius schickte. An seinem freien Tag! Aber ihr mangelte es in dem Moment an Ideen, was sie sonst hätte sagen können.

Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Zuerst stumm. Dann sah er auf und blickte Ira in die Augen. Und seufzte. "Ja. Etwas schlimmes." Wieder schwieg er. Dann fuhr er bestimmt fort: "Ira, ich wurde in die Eilenwid gerufen. Wegen.... wegen meiner Schwester."

„WAS?“ Fast verschluckte Ira ihren letzten Bissen eingeweichtes Brot.

Er schluckte schwer. Und auch wenn Ira ihn nicht gut kannte, wusste sie, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, so wie er sich verhielt. Wieder trommelte er über das Holz der Tischplatte. "Sie ist wohl gestern Mittag fortgegangen, um etwas zu essen. Heute morgen ist aufgefallen, dass sie.... sie wohl nicht mehr zurückgekehrt ist." Seine Stimme zitterte leicht, während er bemüht war Ira die Fakten darzulegen. "Sie ist.... wie vom Erdboden verschluckt."

Die Plötzbogen schien mächtig irritiert und bekam gerade nicht alles zusammen. „Warte, die zitieren dich in die Eilenwïd, weil Imma ihren Dienst…“ Kurz überlegte sie, ob der Begriff passend war, „…nicht angetreten hat?“ Ist das nicht etwas übertrieben, wollte sie fast schon sagen, aber das Zittern in seiner Stimme machte ihr Angst.

Er schüttelte den Kopf, "weil sie während ihres Dienstes verschwunden ist."

Etwas verstand sie trotzdem nicht: „Aber sie ist doch nur eine Schreiberin.“ Irgendwie war sie sich da nicht mehr sicher, daher kam ihr „Oder?“ nur zögerlich.

Lupius zuckte mit den Achseln. "Mir wurde gesagt, Schreiber wären die Diensttuenden, die den unmittelbarsten Einblick zu Wissen hätten, das für manche Menschen von Interesse sein könnte." er sah sie an, Angst war in seinem Augen zu sehen. "Sie möchten, dass die Suche nach ihr... in familiären Kreisen...stattfindet. Wie sie sagten. Diskret. Und...." er brach ab und begann wieder mit dem Getrommel auf dem hölzernen Untergrund, während er auf dem Boden starrte.

“Und was?” Seine Frau hatte sich ihm längst zugewandt und sah den Weibel auffordernd an. Die Decke, die sie sich umgeschlagen hatte, war ihr auf einer Seite leicht hinab gerutscht und entblößte etwas von ihrer Schulter, doch das schien sie nicht zu merken. Tatsächlich war Ira mit ihren Kopfschmerzen beschäftigt und mit der Frage, ob sie ihn prügeln musste, damit er alles ausspuckte. Neben ihr klapperte die Dienstmagd mit etwas, was Iras Aufmerksamkeit auf sich zog. “Dari, kannst du uns bitte kurz alleine lassen?” Als die junge Frau die Küche verlassen hatte: “Jetzt sag schon, was hat es mit dieser ganzen scheiß Geheimniskrämerei auf sich?”

Lupius nickte. Sprach aber erst weiter als Ira erneut Augenkontakt zu ihm suchte. Er schluckte. “Heute früh hat sie eine wichtige Besprechung verpasst, wurde mir gesagt. Als man sie suchte, fiel einem der anderen Schreiber namens Elvan auf, dass Immas Pult noch genauso berührt war… wie gestern vor ihrer mittäglichen Pause. - dieser Elvan ist mit ihr befreundet und hatte zufällig gestern noch vor dieser Pause mit ihr gesprochen.” Er sah hoch. Und schluckte: “Man wollte mir nicht sagen, an was sie gerade gearbeitet hat. Und Elvan sagte mir, dass Imma häufiger spezielle Dokumente bearbeiten würde, von denen sie nie sprach.”

Spezielle Dokumente? Ira zog die Stirn kraus und fasste sich an die pochende Stirn. Das Ganze regte den Hornissenschwarm in ihrem Schädel wieder an, lauter zu brummen.

“Es scheint…. nun, eben so zu sein, dass…. Ach, bei den Niederhöllen.” Er schlug mit der Faust auf den Tisch und in Iras Kopf dröhnte der Nachhall. “Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts. NICHTS. IRGENDETWAS scheint SIE jedenfalls zu wissen, weswegen sie IRGENDJEMAND IRGENDWOHIN gebracht hat, um dieses IRGENDETWAS aus ihr … heraus zu kriegen.” Er strich sich mit beiden Händen durch die Haare. Seine kleine Schwester. Seine kleine Schwester, die weder mit Waffen noch mit Fäusten umgehen konnte. Die weder schnell weglaufen konnte, noch in der Lage war sich sonst irgendwie zu verteidigen. Und …. stets loyal und mutig war. Auch wenn sie das nicht sah. Er sah Ira in die Augen: “Sie glauben, dass jemand sie entführt hat. Verstehst du?”

Nein, genaugenommen verstand sie gar nichts von dem, was er ihr da im Begriff war zu erklären. Ira lag es auf der Zunge zu sagen ‘Wer sollte denn Imma entführen?’ und in anderen Momenten hätte sie wohl gelacht. Lupius schien jedoch alles andere als zum Scherzen aufgelegt zu sein. “Wer tut so was?” fragte sie. Ohne zu lachen!

“Jemand der irgendwelche Informationen will. Und …. sie möchten diese ganze Sache nicht publik werden lassen. Daher wollen sie, dass wir es als Familienangelegenheit behandeln…. Naja, …. dieser Schreiberling darf uns begleiten. Er wüsste ja schon bescheid. Was auch immer der uns nutzen soll.” Wieder landete seine Faust auf dem Tisch.

Wieder zuckte Ira zusammen. Sie atmete tief ein und blies ihren Atem langsam aus. Wenn er doch bitte nur keinen Lärm machen würde… “Also.” Begann sie seine Worte noch einmal für sich selbst vorzukauen. “Du sagst mir da gerade, dass Imma für...das HERZOGENHAUS?... irgendwelche...geheimen… Dinge tut, und dass jetzt vermutet wird, dass jemand sie entführt hat, um an diese Geheimnisse zu kommen, richtig? Und jetzt soll sich...die Familie?...drum kümmern, weil...weil… Weil warum nochmal genau?” Diesen Teil hatte sie noch weniger verstanden als den ersten, den mit jener Imma, die für das Herzogtum Geheimnisse verwahrte. Scheiße Geheimnisse! Der Kack mit ihnen war, dass sie einen umbrachten, irgendwann. Oder anderweitig für Leid sorgten. Für einen Moment huschte der Ausdruck von Erkenntnis über das Gesicht der Plötzbogen, flackerte in ihren Augen etwas auf, was ihre eigene schmerzliche Erfahrung mit scheiß drecksverdammten Geheimnissen wiederspiegelte.

Ihr Gatte zuckte mit den Achseln: “Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass wir keine weitere Unterstützung bekommen. Man auf unsere absolute Diskretion vertraut. Und - egal was komme - erwartet, dass wir die .. Übeltäter erwischen und lebend auf die Eilenwid bringen.” Wieder schlug seine Faust auf das Holz. Lebend. Egal was komme. Das hieß, auch wenn er die zerstückelte Leiche seiner Schwester fand, musste er…. durfte er nicht. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. “Orkendreck noch eins.” fluchte er.

Seine Reaktion war unerwartet. Doch sie spürte seine Verzweiflung, seinen Kummer und die Angst, die seine Verletzlichkeit rechtfertigten. All das schnürte ihr die Kehle zu und ließ sie einen Moment von ihren eigenen Problemen innehalten. Ihre Hand zuckte ihm entgegen, was er nur leider nicht sah. Aber sie erreichte ihn am Ende doch nicht. “Ja, Scheiße,” sagte sie nur leise und zog die Decke enger um sich, denn ihr fröstelte. Imma in der Gewalt von… Kurz flammte ein zweifelnder Gedanke in ihr auf: und was, wenn ihre Freundin einfach nur bei einem...Mann...war und verschlafen hatte? Nein. Ira verwischte das Bild. Verschlafen war nicht Immas Ding.

“Wasch dich ruhig, Liebes.” sagte Lupius sanft, wie um sich abzulenken. “Ich werde einige Dinge zusammensuchen. Es wird noch ein kleines Weilchen dauern, bis wir aufbrechen können.” Seine Lippen bewegten sich wie zu einem stillen Gebet, während er aufstand und sich einer Truhe, die unter der Treppe stand zuwandte und geschäftig darin zu kramen begann. Ab und an warf er einige Utensilien hinter sich, die leiser oder lauter, scheppernd oder klirrend auf die Dielen aufschlugen. Er murmelte leise dabei, doch Ira verstand nur ab und zu PHEx, HESinde, PERaine und PRAios. Lupius war kein sehr den Göttern zugewandter Mensch. Freilich betete er zu ihnen. Aber er verließ sich viel eher auf die Gaben, die sie ihm mitgegeben hatten als sie bei jeder Gelegenheit um Hilfe zu ersuchen, wie es andere Menschen zu tun pflegten. Doch in dieser Situation…. war er bereit eine Ausnahme zu machen.

Ira sah ihm hinterher und zu, während sie ihre Suppe zuende aß. Allerdings nicht mehr so gelassen wie zuvor. Es war nicht so, dass sein Gebaren ihr Angst machte. Hm, scheiße, doch.

Zart klopfte es da an der Tür. Da Dari nach oben gegangen war, um ihrem Herrn und seiner Gattin die gewünschte Privatsphäre zu gönnen, war sie nicht in Hörweite, so dass Lupius sich selbst zur Tür drehte, um die Klinke zu drücken. Ira hörte die leise Stimme eines Kindes und dann die eiligen Schritte kurzer Beine, die sich vom Haus entfernten. Knarzend schloß der Weibel die Tür hinter sich.

“Wir brechen bald auf. Milian hat mir eine Nachricht geschickt. Ich muss mein Pferd bereit machen. Hoffen wir, dass der zarte Schreiberling reiten kann. Sonst ist er hinderlicher als er uns nutzt.”

Sie hatte sich selbst auch aufgedrückt, als er zur Tür gewandt hatte, und stand nun mit der umschlungenen Decke vor ihm. “Diese Informationen...also dass sie geheime Sachen für den Herzog macht und dass es eine Partei gibt, die diese Geheimnisse ausgerechnet von unserer Imma haben will… die sind--” sie hielt abrupt inne und verwarf ihre Frage.

“Ich weiß es nicht. Das alles…. ist verwirrend. Aber ich fürchte, sie würden nicht so ein Aufhebens machen, wenn nichts dran wäre. Und… Ira, sie ist doch schon gestern verschwunden. Sie ist noch nie…. Noch nie. … Weißt du, sie ist schon mal spät nach Hause gekommen. Aber noch nie… ist sie gar nicht gekommen. Und sie ist auch noch nie einfach von ihrem Arbeitsplatz verschwunden.” setzte er nach. Die Verzweiflung bewirkte, dass seine Stimme sich überschlug. “Gestern.” wiederholte er leise und begann erneut die Lippen im stillen Gebet zu bewegen.

“Wenn du dir sicher bist, dass sich das alles so zugetragen hat und Imma jetzt mächtig in der Scheiße sitzt, dann komm ich mit! - Familienangelegenheit hast du ja gesagt…”

Er nickte: “Du hast noch nicht gebadet.” stellte er fest und deutet auf seine Nase. Ein eindeutiger Hinweis für die Ritterin, dass ihr Geruch ein Anschleichen erschweren würde. “Ich….” er zögerte. “...mache dein Pferd für dich bereit. Dann… hast du einen kurzen Moment.” Er hatte mittlerweile einen Rucksack mit allerlei vermeintlich nützlichen Utensilien gepackt, den er an die Tür lehnte.

Sie nickte dankbar lächelnd, doch Ira war leider nicht mehr nach baden. Eine kurze Wäsche musste genügen. “Pirmin. Er heißt Pirmin.”

Ihr Gemahl nickte lächelnd. “Ich weiß. Das hast du mir gestern doch schon gesagt, Liebes.”

Liebes. “Ja, echt? Gut, ich…” Ein unbeholfenes Zögern und Blut, das ihre Wangen rosa färbte. “...ähm dachte, ich ähm sag’s dir einfach noch mal.”

Lupius nickte lächelnd. “Danke.” sagte er sanft, ehe er sich dann der Treppe zuwandte. “Ich kleide mich rasch…. um. Und treffe dich im Stall.” Er stapfte die Stufen nach oben, gab Dari eine knappe Erklärung und einige Anweisungen, die sie nach unten zu Ira in die Küche führten. Gerüstet und bewaffnet machte er sich kurze Zeit später auf in den Stall, um die beiden Pferde zu satteln.

Es dauerte nicht lange, da betrat auch Ira reisefertig den kleinen Hof. Sie hatte sich ebenfalls gerüstet und bewaffnet, zumindest alles angelegt, was sie dabei hatte. Das noch feuchte Haar schaute unter ihrer Bundhaube heraus, zum Schutz vor dem Erkälten zog sie sich die Gugel über den Kopf, als sie ins Freie trat. Ihre Gesichtsfarbe war aufgrund der Eile ein sehr gesundes Rosa. Sie sah erfrischt aus, wenn auch etwas gequält drein, während sie die Augen vor der Helligkeit abschirmte. Der Geruch von Minze umgab sie noch immer (oder wieder)


Sonderkommando

Es ging nicht mehr darum, ob sie sterben würde. Das hatte sie akzeptiert. Es ging nur noch um das wann. Und darum, ob ihr Geist vor ihrem Körper brach.

Ira und Lupius ritten im zügigen Schritt den kurzen Weg zu der Kneipe, die mehr oder weniger zur Familie gehörte, weil Lupius’ Vetter Milian sie bewirtschaftete. Selbst in der Elenviner Vorstadt war es zu gefährlich schneller unterwegs zu sein. Ein kleines Mädchen wartete mit einem Pferd am Zügel. Es war ein stattlicher Hengst aus der Rickenbacher Zucht. Neben dem Kind stand der erwähnte Schreiberling, dem Lupius eher höflich als erfreut zunickte.

Immas Bruder trug zwar die Hosen seiner Uniform, hatte aber nicht die passende Oberbekleidung dazu an, sondern war unter seinem Mantel ”in zivil” gekleidet. Seinen Wappenrock hatte er unten in seinem Rucksack zusammengelegt, wie Ira wusste.

“Die Zwölf zum Gruß. Du bist Elvan? Ich bin Ira.” grüßte die Ritterin den unbekannten jungen Mann sehr familiär. Da dies doch eine ‘Familienangelegenheit’ sein sollte, fand sie eitle Förmlichkeiten fehl am Platz. Sie musterte ihn interessiert, während sie aus Höflichkeit die Gugel zurück schlug und geübt vom Rücken ihres fuchsfarbenen Warunkers glitt. Soso. Das war er also. Der, der auch Bescheid wusste. Sie musste zugeben, der Schreiber war ein hübscher Kerl. Ausreichend hübsch, um den Damen zuhauf zu gefallen, und sie fragte sich, auf welche Art und Weise dieser Kerl und Imma sich noch kannten. Sie selbst brauchte sich allerdings auch nicht verstecken. Sie musste wohl ein ähnliches Alter wie der Altenberg haben, und besaß ein entsprechend junges hübsches Gesicht - wenngleich ein dunkler Schatten von mal zu mal darüber huschte und sie dann die grünblauen Augen gequält zusammenkniff. Von ihr ging der intensive Geruch von Pfefferminzöl aus. Ein bewährtes Mittel bei Kopfschmerzen, wie Elvan wusste. Unter einer dunkelblauen Filzkappe und einer weißen Bundhaube lugte kupferfarbenes langes Haar hervor (das übrigens noch leicht feucht aussah). Ansonsten war die junge Frau ihrem Stand entsprechend gekleidet: über einem winterlichen Gambeson trug sie eine gefütterte blaue Tunika aus dickem Leinen, darüber ein halblanges Kettenhemd, dazu Arm- und Beinschienen, Schulterplatte und Plattenkragen ergänzten ihre Wehrhaftigkeit, ebenso wie das Schwertgehänge, das am Sattelknauf ihres Reittieres hing, dazu ein verstärktes leichtes Lederschild. Iras blauer Wappenrock war schmucklos und hatte schon bessere Tage gesehen. Ihr Gürtelwappen hingegen zeigte die Zugehörigkeit zu einem zumindest Elvan unbekannten Haus oder Lehen und das ihres eigenen Hauses, welches Elvan wiederum gut bekannt war: Plötzbogen. Der Mantel, der an diesem kalten Morgen des BORonmonds um die Schultern der jungen Plötzbogen-Ritterin hing, während sie warteten, war ebenfalls blau. Die vorherrschende Farbe ihrer Garderobe. Nur ihre Filzgugel war dunkelgrau.

Elvan von Altenberg atmete tief durch. Noch immer wurde er nervös, wenn er mit anderen Adligen zu tun hatte. Auch wenn er selbst aus einem der kleineren, nordmärker Häuser stammte, wuchs er fast nur unter seinesgleichen auf. Doch das änderte sich schlagartig, als er zum herzöglichen Schreiber gekürt wurde. Und Imma war ihm dabei eine wahre Freundin und Stütze. Um so mehr besorgte ihn ihr Verschwinden. Wo war sie bloß? Der Schreiber stutzte kurz bei der familiären Begrüßung von Ira. “Ähh … den Zwölfen zum Gruß. Ja, ich bin Elvan.” antwortete er knapp. Eher unbewusst griff er nach den silbernen Anhänger einer Gans, der um seinen Hals hing. Gekleidet war er in einer einfachen, aber aus edlem Stoff geschnittenen, blauen Robe. Über die Schulter hatte er eine lederne Tasche geschwungen. Sein braunes Haar und sein Kinnbart waren ordentlich gestutzt, wobei die leicht violetten Schatten unter seinen strahlenden blauen Augen verrieten, dass Schlaf schon eine Weile zu einem gewissen Luxus gehörte.

Lupius nickte, als sei das genug an notwendiger Vorstellung. “Wir warten hier auf Milian.” gab der Flussgardist mit Blick auf Elvan und Ira preis. “Er… holt Informationen ein.”

Milian. Informationen. Warum wunderte Ira das nicht. “Verstehe.”

“Bisher wissen wir dank Elvan nur, wo sie gestern ein Mittagessen kaufen wollte.” Dankbar nickte ihr Mann in die Richtung von Immas Freund. Lupius betete zu Phex, dass sein Vetter seine Kontakte und Verbindungen nutzen konnte, um mehr über den Verbleib seiner Schwester zu erfahren. Nervös saß er ab und nahm sein Pferd an die Zügel.

“Du... bist also ein Freund von Imma?” fing die Plötzbogen das Gespräch an, nachdem ihr Gatte aus ihrer Sicht deutlich signalisiert hatte, dass er das lieber gerne gänzlich im Familienkreis geklärt hätte und entsprechend reserviert wirkte. Verdenken konnte Ira es ihm nicht. Trotzdem: der Schwarm musste funktionieren. Kennenlernen war dazu stets ein guter Anfang.

Ein schönes Paar waren die Beiden, das fiel Elvan sofort auf. Er kannte beide vom sehen, auch wenn es immer von der Ferne war und nie zusammen. Noch immer etwas schüchtern wirkend, antwortete er aber gleich. “Ja, Imma ist mir eine gute Mentorin und Freundin. Mir ist gleich aufgefallen, dass sie vom Mittagessen nicht wieder gekommen ist. Das passt so gar nicht zu ihr. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nicht beunruhigt wäre. Ich bin so froh, dass ich bei der Suche dabei sein darf.” Seine Sorge konnte er in seinem Blick nicht verbergen, hielt Iras Blick aber stand.

“Hm,” machte die Ritterin nachdenklich. Sie schien ähnlich alt zu sein wie Elvan. Von Imma wusste Elvan, dass er nun der Mutter von Immas kleinem Neffen Leuhart gegenüberstand, von dem Imma ihm immer mal wieder erzählt hatte. “Kannst du mit einer Waffe umgehen?”

Er verneinte dies mit einem Kopfschütteln und wirkte dabei enttäuscht.

Das machte die junge Ritterin noch nachdenklicher. Weiteres Nachfragen würde nicht mehr bringen, also beließ sie es dabei.

Lupius kam es vor wie etliche Stundengläser, aber vermutlich war es nur ein halbes gewesen, welches sie dort hatten warten müssen bis Milian auftauchte.

Dessen stets charmantes, sarkastisches Grinsen war verschwunden. Ernst sah er aus. Bevor er irgendetwas anderes sagte, wandte er sich an Ira, wobei er in Richtung des Kanzleiviertels deutete: “Sag, Ira. Dein Onkel ist doch Magier? Und er arbeitete doch hier in der Nähe?”

Noch ehe Ira antworten konnte, mischte sich ihr Gatte ein: “Nur Familie!” herrschte er Milian an, angespannt, die neuen Informationen zu erlangen, die der Vetter ihm verweigerte.

“Er IST deine Familie!” Milians Stimme klang ernst. Und fest. Unnachgiebig. Er hatte nicht vor, sich von Lupius beirren zu lassen.

“Er ist ein Zauberer! Wir brauchen keine Magie!” wütend fuhr der Offizier seinen Freund an. Er mochte diesen arroganten Schnösel nicht, diesen Helswin. Er war viel zu eng mit Imma befreundet. Ständig trafen sie sich, um Mühle zu spielen oder zusammen zu essen. Genau wie sie und dieser Elvan. Aber darüber hinaus war der Plötzbogener ein Magier. Und ein direkter Abkömmling der alten ‘Hexe’. “Orkendreck noch mal!”

Milian legte dem anderen die Hand auf die Schulter: “Wir brauchen jeden, den wir kriegen können, wenn - die Götter bewahren - unsere schlimmsten Befürchtungen stimmen.”

Lupius hielt inne, presste aber die Lippen derart fest aufeinander, dass jedem offenbar werden musste, dass ihm das in keiner Weise passte.

“Also Ira. Denkst du er wäre…. abkömmlich. Für die Familie?” wieder wandte sich Milian an die Ritterin neben sich.

“Onkel Helswin??”

Milian und Lupius nickten zeitgleich.

Ira wusste, dass ihrem Onkel doch die Familie scheißegal war. Sie wollte Milian aber einerseits seinen Hoffnungsschimmer nicht kaputt machen, indem sie ihm das so unter die Nase rieb… andererseits konnte ein Magiewirker nicht schaden. Auch hier griffen die Lehrsätze ihres Schwertvaters. Und ohne, dass es ihr bewusst war, veranlassten diese sie zu einem zustimmenden Nicken. “Es ist immer gut, jemanden dabei zu haben, der sich mit solchen Dingen auskennt, Lupius.” wandte sie sich an den Schellenberg und berührte ihn nur kurz am Arm. Eigentlich nur, um ihm zu zeigen, dass es an der Zusammenarbeit mit Magiern nichts Schlimmes gab. ZACK! Plötzlich zuckte sie, als ein Bild von Erinnerung in ihr aufblitzte: Ihre Hand, die über seinen nackten Oberarm strich. Instinktiv ließ sie los. “Wir...äh...wir können ihn ja mal fragen.”

“Sehr gut.” war Milians kurze Antwort, während Lupius vor sich hin brummte. Unzufrieden, aber ansonsten still, da er wusste, dass die anderen Recht hatten.

“Dann schlage ich vor, dass ihr drei euch rasch zu ihm begebt. Und ihn fragt. Ich kümmere mich um alles andere.” sagt er bestimmt.

“Wir verlieren wertvolle Zeit, durch das viele Hin- und Hergerenne.” murrte der Flussgardeoffizier.

Milian sah seinen Vetter und besten Freund ernst an. Fast streng. “Uns fehlen noch Informationen. Sonst laufen wir wie kopflose Hühner umher. Ich besorge uns, was wir wissen müssen. Ihr.” Und er deutete auf die drei Gefährten. “Kümmert euch um ein wenig… astrale Deckung. Wir treffen uns wieder hier, sobald wir alle fertig sind….” Leise fügte er an: “Beten wir zu den Göttern, dass wir schnell genug sind.” Damit wandte er sich ab, den murrenden Protest von Lupius ignorierend, nahm dem immer noch geduldig wartenden Kind die Zügel seines Pferdes ab, gab ihr einige geflüsterte Anweisungen, schnalzte ein paar Mal mit der Zunge und drückte seinem Pferd die Fersen in die Flanke, so dass es sich in Richtung des Tores in Bewegung setzte.

“Ihr habt den Mann gehört. Los!” Mit diesen Worten schwang sie sich auf Pirmins Rücken.

Lupius seufzte und trat an sein Pferd. Klopfte ihm den Hals und fügte sich. Solange er in Bewegung blieb, spürte er zumindest Hoffnung. Sein Pferd setzte sich in Bewegung und trottete hinter seinen Artgenossen her.


Hilfegesuch

Sie dachte an ihn. Warum an ihn? Warum jetzt? Blut lief ihre aufgeplatzte Lippe hinunter. Sie war dankbar, dass er ihr diese Dinge zuerst gezeigt hatte. Dankbar zu wissen, wie schön sie sein konnten, wie wundervoll….

Es dauerte nicht lange, da waren die drei Reiter am Kanzleiviertel angekommen. Einer vor nur wenigen Jahren erst aus dem Boden gestampften kleinen Stadt außerhalb Elenvinas inmitten der Weinberge gelegen. Kaum zu glauben, aber von dort aus lenkten gescheite Köpfe das Raulsche Reich. Zwar nicht mit dem Schwert, sondern mit Feder und Rechenschieber, was freilich weniger spektakulär war, aber durchaus nicht zu unterschätzen. Was sich hinter den Mauern des Viertels abspielte, blieb der Außenwelt stets gut verborgen, denn nur Angehörige oder angemeldete Gäste erhielten Zutritt nach jenseits des Großen Tores.

Ira fragte sich, ob denn irgendwer ihrer Verwandten wusste, was ihr Onkel Helswin - ein Abgänger der magischen Kriegerakademie “Schwert und Stab” zu Gareth - hier eigentlich machte. Magischer Berater nannte der sich immer. Was auch immer das hieß. Er bildete sich jedenfalls mächtig etwas darauf ein. Aber wie sie heute gelernt hatte, geschahen geheime Unternehmungen meistens unter einem Deckmantel.

Lupius fand, man könne den Mief der Bücher, der genormten Vorschriften und lebensfernen Ratschläge förmlich riechen und verzog angewidert den Mund. Er blickte zu Ira. “Denkst du, du könntest nach ihm schicken lassen?” Ihn ärgerten die Einschränkungen, die ihm auferlegt worden waren. Wäre er dort als Offizier der Flußgarde vorstellig geworden, würde es sicher schneller gehen. Sein Pferd schnaubte und drehte unruhig den schönen Hals hin und her, die nervöse Anspannung seines Reiters durch seine sensiblen Instinkte spürend.

Als Ira an die Eingangspforte herantrat, ging sogleich ein Fensterchen in dem massiven Tor auf und durch dieses lugten skeptische Augen auf die drei Reiter herab und eine Stimme, die nach dem Begehr fragte, als die Augen des Pförtners niemanden Bekanntes ausmachen konnten.

“Die Hohe Dame Ira von Plötzbogen für den hochgelehrten Meister Helswin von Plötzbogen. Ich ersuche meinen Onkel in einer dringenden familiären Angelegenheit. Sofern es mir nicht gestattet ist, ihn persönlich aufzusuchen, wäre ich sehr verbunden, wenn Ihr es ermöglicht, dass ich auf andere Weise mit ihm sprechen kann. Es ist wichtig. Sehr wichtig.” Sie suchte nach einer Reaktion in den Augen des Pförtners, wurde aber nur starr angeschaut ohne Regung der solchen. Kurz überlegte sie, ob sie nicht doch hinzufügen sollte, dass es um die Familie ginge, aber dann dachte sie an das verpatzte Abendessen zurück, und ihr fiel auf, dass “Familie” ein Begriff war, der gerade in ihrem Zusammenhang schwierig zu nennen war. “Es ist wirklich außerordentlich wichtig!” schloss sie ihr Vorsprechen mit Nachdruck.

Das Fensterchen schloss sich und dann geschah eine Weile gar nichts.

Irgendwann ging jedoch die Mannpforte auf und tatsächlich erschien der jüngste Bruder ihrer Mutter darunter. Der Magier trug ein recht zierloses weißes Gewand und seine geliebte Brosche - die auf dem schlichten weißen Untergrund noch besser zur Geltung kam “Was.” Kein Gruß, kein Lächeln. Nur ein schneller Blick in die Runde, über den unbekannten Schreiberling glitt sein musternder Blick nur so hinweg geradewegs zu dem Flussgardisten, auf dessen Gestalt er einen Lidschlag verharrte, bevor er wieder zurück zu seiner Nichte fand. “Reumütig und-oder auf der Suche nach Mitstreitern im Feldzug gegen die Ungerechtigkeit? Netter Versuch.”

“Onkel Helswin, deswegen sind wir nicht hier. Wir…”

“Ihr?”

“...sind gekommen, um…”

“Meine Zeit zu stehlen.”

“...Äh, nein! Wir wollten dich etwas fragen. Es ist eher eine...öh.. Bitte.”

“So? Ich bin ganz Ohr. - Eine Wahl habe ich ja bestimmt nicht, nehme ich an.” Der Magus seufzte vernehmlich und müde und verlagerte das Gewicht seines sehnigen Körpers auf das andere Bein. “Ich kuriere allerdings keine körperlichen Beschwerden. Wenn du deswegen hier bist, Nichte, war dein Besuch nett aber umsonst.”

“Es geht um meine Schwester. Imma.” fiel nun Lupius seiner Gemahlin ins Wort, die offenbar viel zu wenig Übung darin hatte, sich nicht ablenken oder aus dem Konzept bringen zu lassen.

Bei diesen Worten wanderte der Blick des desinteressierten Magus, der bisher nur müde lächelnd auf die Tochter seiner Schwester herabsah, zu Lupius. “Was ist mit Eurer Schwester?” Für den Moment schien die Aufmerksamkeit des Magus nun doch gebannt.

“Sie steckt in Schwierigkeiten und wir brauchen Eure Hilfe.” ergänzte Ira, denn sie hatten doch eigentlich keine Zeit, dachte sie.

Der Magier legte den Kopf schief und kniff die Augen zusammen. “Welche Art von Schwierigkeiten?”

“Die schlimme Sorte,” antwortete Lupius genervt. “die Schlimmste.” Er war ja von Anfang an nicht dafür gewesen, diesen arroganten Magier mit einzubeziehen.

“Eure Schwester, Wohlgeboren, ist eine freie erwachsene Frau, die ihre eigenen Wege geht und die ihre eigenen Entscheidungen trifft. Auch wenn sie in Schwierigkeiten enden!” Das verstand der Schellenberg wohl immer noch nicht. Er fand, Imma hatte ganz recht, wenn sie ihren Bruder als überfürsorglich beschrieb. Das traf es gut. Überfürsorglich in vielen Dingen. Wie man gestern gesehen hatte. Durchaus war das gestrige, so unterhaltend vorgetragene Zerwürfnis eine Tat, die ihn, Helswin, beeindruckt hatte, denn so einfach stellte sich normalerweise niemand gegen seine Mutter. Dafür hatte er dem Schellenberg Respekt gezollt. Doch nun kam er an, kaum, dass seine Schwester sich mal einen Moment lang seiner Kontrolle entzog. Das fand Helswin wiederum erbärmlich.

Bevor Lupius jedoch zu Gegenworten ansetzen konnte, kam ihm Ira zuvor: “Onkel Helswin. Lupius sagte mir, dass du mit meiner Schwägerin befreundet bist, darum hör uns an. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Imma in großer Gefahr schwebt. In Lebensgefahr!” Ein kurzer Blick zu ihrem Gatten und Elvan. “Und wir bitten dich nicht um unseretwillen um Unterstützung, sondern für Imma! Wir gehen ihrer Spur nach und könnten deine Astralkraft gut an unserer Seite gebrauchen, weil wir nicht wissen, wohin uns diese Spur führt. Wohinein,” wurde Ira konkreter und stöhnte. Jetzt und hier einen Vortrag darüber zu halten, dass Magier zu Bosparans Zeiten wie selbstverständlich fester Bestandteil jeder Truppe waren, hatte keinen Wert. “Onkel Helswin. Wir wissen nicht, in welcher Scheiße,” Klemme war irgendwie kein Wort aus Iras Wortschatz, “sie steckt. Wir wissen nur, dass sie es tut. Und wollen einfach für alles bereit sein.”

“Ehrliche Worte, Nichte. Bin beeindruckt.” Ob er das wirklich war, ging aus seinen Worten nicht hervor.

“Bitte, Onkel Helswin. Bitte!”

“Und jetzt betteln wir also.” Das veranlasste den Magus zu einem Schmunzeln, bevor seine Gesichtszüge wieder die unnachgiebige Härte ausstrahlten, aber auch etwas Herausforderndes annahmen, als er zu Lupius blickte. “Wohlgeboren. Wenn ich meine Arbeit niederlege zur Errettung Eure Schwester, dann springt sicher das eine oder andere Abendessen mit eurer Schwester heraus, nicht wahr?”

Lupius runzelte die Stirn. Wenn sie diesen Laffen jetzt beknien mussten sie zu begleiten… Oh dieser unselige Mann. “Das hätte ich nicht zu entscheiden.” er schluckte, denn er wusste, dass Milian recht hatte. Helswins Macht… sie könnte Imma retten. “Hört zu, ich weiß, wir ….Ach, Orkendreck nocheins, verlangt, was ihr wollt. Wollt ihr Dukaten? Wollt ihr, dass ich hier vor diesem Tor, vor euch niederknie? Dann sagt es. Und ich tue es.” er schluckte und fuhr mit bebender Stimme fort: “Aber bitte entscheidet euch schnell, denn jeder Moment, den wir verlieren, könnte der letzte sein, den Imma hat.”

Ein kurzes Zucken der Mundwinkel. “Nur das eine oder andere Abendessen. Wobei. Eigentlich wäre es besser, wenn ihr eurer Schwester die Freiheit erlauben würdet, ihr Leben so zu leben, wie SIE es für richtig hält und nicht ihr. Das wäre mir lieber. Aber...ich nehme auch das eine oder andere Abendessen.”

Ira drehte bei dem Wortwechsel der beiden Männer verwundert den Kopf zwischen beiden hin und her. Was war das? Um was ging es hier eigentlich? Das Gefühl, von irgendetwas nicht zu wissen, von irgendetwas Wichtigem, ließ sie nicht los. Gleichzeitig drängte die Zeit. Lupius hatte Recht. “Gut, dann sind wir uns doch einig. Wir warten hier auf dich, Onkel. Die Zeit drängt.” versuchte sie die merkwürdige Szenerie zu beschleunigen.

“Ihr habt ein Pferd, nehme ich an?” fragte der Weibel mit zusammengebissenen Zähnen. Ein wenig hoffte er, dass nicht, denn das wäre ein guter Grund den anderen nicht mitzunehmen. Er schämte sich sogleich für den Gedanken, denn immerhin ging es hier um das Leben seiner Schwester.

“Ich bin beritten, natürlich.” Ein starrer Blick. Glaubte der Schellenberg wirklich, er würde den Weg aus der Stadt hierher hinaus laufen? Ein inneres Grinsen, weil er bekommen hatte, was er wollte. Dann wandte sich der Magus dem Tor zu. “Bin gleich zurück.” rief er den anderen über die Schulter hinweg zu und das Tor schloss sich wieder.

Als die Pforte sich wieder auftat, war tatsächlich nicht viel Zeit vergangen. In dieser hatte es der Magus geschafft, sich umzuziehen, sein Pferd zu satteln und sogar einen Schlafsack einzupacken, die dem Reittier nun am Sattel hing. Der Plötzbogen trug nun nicht mehr nur ein einfaches weißes Magiergewand, sondern eine geschlitzte weiße Tunika mit enganliegenden langen Ärmeln, darüber einen Überwurf aus dickem Bausch in derselben Farbe, der unter den Armen offen war, doch an der Hüfte von einem breiten Gürtel gehalten wurde, an welchem wiederum kleine Fläschchen und Taschen befestigt waren. Dazu trug er eine Halsberge aus verstärktem Leder, an der Achselstücke zum Schutz des Schultergelenks befestigt waren. An seiner Hüfte hing ein Langschwert, sein Kampfstab mit dem Kristall am oberen Ende klemmte an einer Vorrichtung am Sattelknauf. Sein Reittier war ein Schimmel mit drei gestiefelten Fesseln. “Meine Güte schaut ihr ernst.” kam von ihm der Kommentar, als er durch das Tor trat und in die Runde blickte.

“Danke, dass du mitkommst, Onkel Helswin.”

“Dank mir, wenn wir sie gefunden haben.” Helswin sah von Ira zu Elvan, aber an seine Nichte gewandt: “Ich nehme an, ich erfahre mehr Einzelheiten unterwegs.” Keine Frage, eine Feststellung.

“Äh, ja, natürlich.”

“Dann, bei Praios, auf was warten wir? Lasst uns los.”

Elvan musterte den Magier kurz, so hatte er doch einiges von Imma über ihn und seine direkte Art gehört. Er nickte ihm zur Begrüßung kurz zu und schwang sich ebenfalls auf ein Pferd, das man ihm zur Verfügung gestellt hatte. Als alle aufgestiegen waren und sie los ritten, ließ er sich nach hinten fallen um das Schlusslicht zu bilden. Auch wenn er ein guter Freund der Schreiberin war, war das eine Familienangelegenheit.


Spuren

Wasser landete in ihrem Gesicht. Die Ohnmacht hatte sie hinweggerafft. Ein weiteres Mal. ‘Glaub nicht, mir entkommen zu können.’ raunte er in ihr Ohr. ‘Es gibt nur einen Weg, wenn du das wirklich willst.’

Als die vier zurück am Nest angekommen waren, waren fast zwei Stundengläser vergangen. Die Mittagszeit war bereits vorüber und sie hatten auf dem erzwungen gemäßigten Weg Helswin die Situation erklärt. Auf der Suche nach Milian betraten sie die Taverne, die zu dieser mittäglichen Stunde gut besucht war. Eine rot-zöpfige Schankmagd deutete auf einen der Tische, ließ ihren Lappen fallen, mit dem sie gerade den Tresen abwischte und brachte eilig einen großen Krug mit vier Bechern heran, aus dem angenehm warme Dämpfe stiegen. “Der Herr Milian bat mich euch sofort bei eintreffen zu bewirten. Ihr mögt etwas trinken, während ihr seine Nachricht lest.” Sie eilte zurück hinter den Tresen und brachte ein Stück Pergament, das verknickt und an einer Ecke mit einem dicken Fettfleck beschmutzt war, welches sie dienstbeflissen Lupius in die Hände drückte.

“Danke.” sagte der eilig und vertiefte sich in das Pergament. Er wünschte sich dieses eine Mal, hätte Milian seine Handschrift etwas leserlicher gestaltet.

Sein Mienenspiel veranlassten Ira, mit hineinsehen zu wollen, doch da hatte er die Sauklaue auch schon entziffert.

“Milian hat etwas herausfinden können.” sagte der Rickenbacher. Er nahm seinen Becher und trank ihn in einem Zug aus. “Unsere schlimmsten Befürchtungen scheinen zu stimmen.” Das Vibrieren seiner Stimme zeigte den anderen sehr deutlich, dass er erregt war. Und das nicht in angenehmer Weise. “Sie wurde wohl … gestern noch…. durch das firunwärtige Tor gebracht…. ” er füllte seinen Becher erneut, bevor er weiter sprach. “Milian schreibt, dass er sich sicher ist, dass sie dann die Reichsstraße hinunter gebracht wurde.” Seine Kehle fühlte sich immer noch rauh an. Das alles war ein einziger Albtraum. Aus dem er nicht erwachen wollte. Nicht, bevor er Imma gerettet hatte. Er schluckte laut. Bis sein Gefäß erneut leer war. “Milian ist bereits aufgebrochen. Die Straße hinauf, sucht nach weiteren Spuren. Er schreibt, er würde die Reichsstraße nicht verlassen, wir sollten sie hinauf reiten, bis wir auf ihn treffen.”

“Welcher Profession geht Euer Vetter noch gleich nach?” kam es da kritisch von Helswin, der eigentlich die Antwort kannte, sich aber gerade fragte, ob Milian nicht gerade Gesetze brach. “Er scheint bewandert in vielen Dingen zu sein, dieser Imman spielende Wirt.”

Ira stand zackig auf, wobei der Stuhl hinter ihr umfiel und ihr Kopf die abrupte Bewegung wie auch den Knall büßen musste. “Was sitzen wir hier noch rum.”

Ihr Gatte erhob sich ebenfalls. “Ja.” Im Stehen schenkte er sich einen dritten Becher mit Wasser ein, den er ohne Abzusetzen leerte. Der Alkoholkonsum des Vortags forderte seinen Tribut. “Trinkt noch etwas, wer weiß, wann wir wieder dazu kommen. Er knallte seinen Becher auf den Tisch - Ira blinzelte stöhnend - und drehte sich zur Tür.

“Mein Vetter verfügt einfach über sehr viele Kontakte. - Das tue ich auch, aber ihm gegenüber ist man etwas… aufgeschlossener.” sagte Lupius abschließend zu Helswin. Das war wohl selbsterklärend. Einem Gardisten beantwortete man Fragen anders als dem sympathischen Wirt, der nach einer Verwandten suchte. Dass Milians Kontakte umfangreicher und teilweise anderer Art waren als die seinen ließ er aus, das hatte den praiostreuen Zaubermeister nicht zu interessieren.

Auch der Magier erhob sich, wobei er es vorzog, seinen halb gefüllten Krug Ira anzureichen. “Tu was gegen dein Schädelbrummen, Nichte, und trink! Dein Mann hat Recht.” Er konnte sich schon denken, woher der Kopfschmerz kam.

´Eine Spur, das ist gut´, dachte Elvan bei sich. Sein Herz klopfte vor Aufregung, denn die Angst um seine Freundin war groß. Dennoch versuchte er nicht zu zeigen, wie er sich fühlte. Er räusperte sich und griff in seine Tasche und holte ein kleines Säckelchen hervor. “Ich … ich habe hier ein wenig Bollharscher Salz. Meine Mutter, die Doctora von Altenberg, schwört darauf, dass es bei ´schwerem Kopf´ hilft. Vielleicht wollt ihr … möchtest du das in dein Wasser tun?” Elvan hielt Ira das Salz entgegen.

Die Doctora - War sie nicht eine Freundin des alten Drachen (ihrer Großmutter)? Und allein deswegen schon lehnte Ira dankend ab. Sie versuchte ein freundliches Lächeln dabei aufzusetzen, das allerdings ob der aktuellen Gründe etwas entglitt. “Ein...äh, andermal.” Rasch trank sie im folgenden den Krug, den ihr Helswin gereicht hatte, aus. Damit sie loskonnten.


Der Plan

Boron, sei mir gnädig! 

Es dauerte nicht lange, da ließen sie die letzten enger stehenden Fachwerkhäuser der Elenviner Vorstadt hinter sich und konnten in gemäßigtem Trab der Straße folgen. Zu schnell war der Ritt um sich zu unterhalten, vorallem da sie achtsam an die Wegesränder spähten, um den Rickenbacher nicht zu verpassen, der sie wohl irgendwo erwarten musste. Fast ein Stundenglas trieben sie so ihre Pferde voran und erspähten am frühen Nachmittag schließlich drei Pferde, alle aus Rickenbacher Züchtung, wie zumindest Lupius und Ira erkennen konnten, die friedlich grasend neben einer Umgatterung standen. Eines der Pferde war Milans Hengst und das andere die Stute von Imma, die gestern noch friedlich neben Pirmin im Stall gestanden hatte. Auf dem Gatter saß ein nervös wirkender Milian, der abwechselnd in das naheliegende Wäldchen blickte und die Straße nach den Reitern absuchte, die er sehnlichst erwartete. Ein schwarzhaariges Mädchen von vielleicht 12 Wintern stand bei ihm, beobachtete ebenfalls den Waldrand. Sie nickte nur kurz als sich die vier Reiter näherten, während Milian vom Zaun hinunter sprang und Lupius Zügel ergriff, als der schöne Braune neben ihm zum Stehen kam:

“Meine Güte, das hat länger gedauert als ich angenommen hatte.” seufzte er: “Steigt am besten ab. Wir werden die Pferde hier lassen müssen. Lidda.” Er deutete auf das Mädchen: “Sie wird hier bleiben und auf die Pferde achten, wenn wir unterwegs sind.”

Lupius sprang vom Rücken seines Tieres neben seinen Vetter. “Erzähl. Was hast du herausgefunden.”

“Verzeiht, wenn ich nicht gleich von meiner Arbeit aufspringen konnte.” begegnete der Magus der Kritik gekonnt lässig, während er mit Ruhe abstieg, seinen Stab und den zusammengerollten Schlafsack von seinem Reittier nahm. Er übergab es nicht erst noch an das Mädchen, sondern ging davon aus, dass dieses sich selbst darum kümmerte.

Ira hingehen trat an Lidda heran. “Er heißt Pirmin,” sagte sie freundlich und gab ihr die Zügel. Dann erst wandte sie sich den beiden Rickenbachern zu.

Das Mädchen nahm sie und nickte kurz. Sie streckte dem Tier die ausgestreckte Hand unter die Nüstern und ließ es ihren Geruch aufnehmen. Dasselbe wiederholte sie bei dem prächtigen Ross des Magiers, auch wenn sie dabei peinlich darauf achtete, ihm selbst nicht zu nahe zu kommen.

Elvan stieg als letzter ab und wartete bis Lidda wieder eine Hand frei hatte. Nachdem auch sein Pferd entgegengenommen wurde, gesellte er sich zu den anderen.

Milian wartete bis sich alle um ihn versammelten. Währenddessen strich sein Blick über den Rand des Waldes. ‘Hilgert, wo bleibst du nur?’

Besagter Hilgert war gerade auf dem Rückweg. Er wollte niemanden aufscheuchen. Keinen Lärm machen. Die Männer und Frauen, die er beobachtet hatte, nicht warnen. Milian war so etwas wie ein Freund für den älteren Elenviner, der von sich sagte, der beste Spurenleser der Gegend zu sein. (Oder zumindest einer der besten- wie er in seinen bescheidenen Momenten zugegeben musste.) Daher war es naheliegend und nicht verwunderlich gewesen, dass die Adlerkralle zu ihm gekommen war, als es darum ging sich einer Bande an die Fersen zu heften. Der hagere, graubärtige Mann mit den kalten, blauen Augen hatte auch nicht lange gezögert. Die Gestalten, die von Milian gesucht wurden, hatten sich zudem recht ungeschickt angestellt - es war mehr als einfach gewesen, ihre Fährte aufzunehmen und dieser bis hierher zu folgen. Was der Rickenbacher von diesen Schurken wollte, hatte er ihm allerdings nicht verraten. Familienangelegenheiten. Mehr hatte Hilgert auch nicht wissen müssen. Sein Geschäft beruhte auf Verschwiegenheit. Und das war besser so. Vieles von dem, was er mitbekam, wollte er gar nicht genauer hinterfragen. Hilgert sah sich verstohlen um, während er durch das Dickicht pirschte. Trotz allem- diese Gestalten dort vorne waren ihm unheimlich. Gut, wenn er hier schnell verschwinden konnte.

“Gut, dass ihr alle hier seid. Ich konnte sie bis hierher verfolgen. Sie sind dort hinein verschwunden.” Der Rickenbacher deutete auf das Waldstück hinter sich.

“Dann, los. Oder auf was warten wir?” Ungeduldig stieg der Offizier von einem Bein auf das andere. Gehetzt war sein Gesichtsausdruck, während er seinen Vetter irritiert anblickte.

Der sah nur schweigend zurück. Blickte dem Freund in die Augen und legte den Kopf leicht schräg.

Lupius nickte still. Und blieb. Plötzlich erstaunlich ruhig. Es war das Vorgehen, welches sie als Kinder schon gelebt hatten. Milian plante. Akribisch. Und wenn das nicht möglich war, zumindest so gut es eben ging. Er selbst führte aus. Hatte Milian den besten Moment abgepasst, um an Großmutters Kirschbaum zu naschen, war Lupius der erste oben gewesen, während sein Vetter noch überlegte, welcher Ast der stabilste war. So waren sie zu dieser Übereinkunft gekommen. Die sie nicht aussprechen mussten. Beide wussten, wie sie sich zu nehmen hatten.

“Von wie vielen ‘sie’ reden wir hier?” drang die Frage des Magus zwischen die Erinnerungen an früher.

Milian schluckte. “Bisher weiß ich nur, dass sie zu dritt waren als sie Imma geschnappt haben. Das war gestern um die Mittagsstunde. Sie haben sie in einer Kutsche die Reichsstraße runter geschafft.” er zögerte und deutete die Straße weiter hinab. “Dort vorne ist eine Taverne. Dort haben sie Halt gemacht und sich dann aufgeteilt. Es sind also mindestens noch zwei.” er zögerte. Die Aktion war viel zu schnell und durchdacht durchgeführt worden für zwei. Die Vorstellung, dass Imma seit mehr als zwanzig Stundengläsern mit diesen Menschen alleine war, ließ ihn schaudern.

Der Ritt hierher hatte ihren Kopfschmerz gemehrt und nun, da sie erst einmal noch zum Warten verdammt waren, konnte sie sich nicht wirklich ablenken davon. Sich die Schläfen massierend: “Und wer SIND die?” Iras Stimme klang etwas gequält. “Was, wenn wir mal in der Taverne nach...sehen… oder so.”

“Mach das. Und dann bleibst du am besten gleich dort, Nichte,” kam es trocken von Helswin, der Ira ob ihres Gehabes einen wenig mitleidigen Blick zuwarf.

“Wir waren längst dort.” Milian klang ein wenig entnervt. Was dachten sie eigentlich, was er den ganzen Tag getrieben hatte? “Wer sie sind ist freilich wichtig. Aber für den Moment wohl kaum zielführend.” sagte er knapp.

“Hä?” grunzte Ira, gerade noch beschäftigt, die Worte ihres Onkels zu sortieren, während sie selbigen einen zornigen Blick zuwarf, jetzt aber zu Milian sah. “Natürlich ist das wichtig!”

“Warum sollte diese Information im Moment wichtig sein?” entnervt warf der Rickenbacher seinem Vetter einen Blick zu. Es gab Zeiten um Informationen zu suchen und Zeiten des Handelns.

Jetzt ging die Adlerkralle auch der Plötzbogen auf die Nerven. “Warum nicht?!” gab sie zurück und atmete angestrengt aus. “ICH hätte gerne mehr gewusst über diese Arschlöcher. Denn ICH bereite mich gerne auf meine Feinde vor. - Oder weißt du gar nicht mehr, häm?”

Lupius war in Gedanken versunken, düstere Gedanken, in denen der verdrehte, entstellte Leib seiner Schwester durch seinen Geist schwebte. Er bekam nur am Rande mit, worüber die anderen sprachen.

Milian sah erneut zu Lupius, der ihn ignorierte und nur mit den Achseln zuckte. "Ja Ira, ich möchte auch wissen, welche Arschlöcher das waren. Aber." er machte eine Pause und sah Ira direkt in die Augen: "noch viel lieber möchte ich nicht einen Wimpernschlag zu spät kommen und meine Cousine mit durchgeschnittener Kehle finden. Aber glaube mir, ich werde diese Arschlöcher finden. Alle." seine Stimme klang eine winzige Nuance kälter als sonst, wenn er sprach

“Das glaube ich dir. Ich will. Nur. Gern. Alles. Wissen. Was wir an Wissen haben. Mehr nicht. Also wenn du noch etwas hast, was du weißt, aber wir anderen noch nicht….” sie ließ den Satz unvollendet. Ein jeder im Schwarm musste dieselben Informationen haben, um bestens funktionieren zu können. Und so lange es noch keine Priester gab, die ihre Kräfte dafür verwenden konnten, Informationen von einem zum anderen zu geben, musste es auf herkömmliche Weise geschehen. Das war doch nicht neu.

"BISHER weiß ich nur, dass sie zu dritt waren. Wie viele es jetzt sind, weiss ich NOCH nicht." wiederholte er noch einmal betonter.

“Das ist ja schön,” gab ihm die angeheiratete Anverwandte zurück, während ihre Augen ihn anfunkelten. “Mich interessiert noch mehr, und ich nehme mal an, dass ein geübter Fährtenleser schnell herausfindet, ob einer der Kerle groß und schwer war, oder ob einer vielleicht einen Stab dabeihatte. Solche Sachen. Also, was hast du noch für uns?” Drecksverdammter, ihr Kopf pochte. Sie wollte sich eigentlich nicht streiten. Aber offenbar hatte Milian einen andere Ansicht vom Umgang mit Kriegstaktiken, als sie. Ha ha, ein kurzes innerliches Auflachen. Jost besaß ganz recht, wenn er sagte, dass sich viele aus Gründe der Bequemlichkeit nicht die Mühe machten, alles an Informationen zu sammeln, was es zu sammeln gab. “Ich hätt schon gern gewusst, ob das alles Schränke sind, oder ob…” Nein, Milian war kein ausgebildeter Kämpfer. Er würde das nicht verstehen. Lupius schon eher, aber an den dachte sie gerade nicht. “...ach vergiss es,” sagte sie daher und bereute, den Kopf ruckartig gedreht zu haben. Hinter ihrer Stirn tobte wieder der Hornissenschwarm. Es wurde auch nicht besser, wenn sie dagegen drückte.

"Ich bin kein Fährtenleser Ira." sagte Milian schlicht. Und stieß Lupius in die Rippen. "Was phex verdammt hast du deiner Frau gesagt, was ich den ganzen Tag tue." fuhr er seinen Vetter an.

Lupius guckte Milian irritiert an. "Du tust, was du immer tust." Nicht, dass Imma häufig in Schwierigkeiten steckte und gerettet werden musste. Aber Milian tat eben, was man tat, um alle Informationen zu bekommen, die man brauchte.

Milian schüttelte verärgert den Kopf. "Aber, Ira, ICH bin zwar keiner, kenne aber einen Faehrtensucher. Und auf den warten wir gerade."

“Sehr gut!” Scheiße. Nichts war gut. Aber wenigstens die Aussicht bald auf jemanden zu treffen, der möglicherweise mehr wusste, als eine ungefähre Anzahl an Gegnern, malte einen kleinen Lichtblick in diese verkackte Mission.

"Lupius, was…verflucht, Hast du IHNEN gesagt." Bei den Götter.,

"Nichts." Iras Gatte sah verwirrt von seiner Frau zu Milian.

“So, das reicht jetzt.” mit diesen Worten trat Helswin zwischen seine streitlustige Nichte und den Vetter Immas. Während er vor allem Ira streng ansah, leuchtete der Kristall in seinem Stab sanft auf. “Ich werde dir jetzt ein Angebot machen und wenn du nicht ganz verblödet bist, Iradora, dann nimmst du es an: Lass mich deinen Kopf kurieren, denn so, wie der Schmerz dich gerade ablenkt, bist du weder uns noch Imma eine Hilfe.” Erwartungsgemäß ging sofort der Mund der Ritterin auf, aber Helswin wusste eine Bemerkung sofort zu unterbinden: “Doch. Herhören, Fräulein! Ich werde dir die Hand auflegen und eine Heilzauber wirken. Und danach gehst du uns nicht mehr auf die Eier. Verstanden?” Helswin dachte sich zwar noch mehr, beispielsweise, dass es vielleicht mal ganz gut täte, wenn ihr Mann sie mal richtig durchnahm. Oder, dass jemand sie in einen Bottich kaltes Wasser tunkte, damit sie Demut lernte. Seiner Nichte das Maul mit Seife auszuwaschen war auch unter den Gedankenbildern, die er beiseite wischte, um seine astrale Kraft fließen zu lassen. “Klarum Purum.” wirkte er die Fäden der Heilung hinein in den Kopf der Verwandten. Der Zauber entwirrte dort die verknoteten Stränge und vertrieb alle Zeichen der vergangenen Nacht. Es dauerte nur ein paar Herzschläge, dann nahm er die Hand wieder vor der Ritterin und wandte sich ab, an Lupius: “Sorgt dafür, dass sie nicht mehr so viel trinkt. Oder dafür, dass ich das nicht noch einmal ertragen muss. Das ist ja furchtbar.”

“Meiner Frau gestatte ich ebenso wie meiner Schwester, ihr Leben so zu leben, wie SIE es für richtig hält.” Nur dass meine Frau auf sich selbst aufpassen kann. Meistens. Wäre die Lage nicht so verdammt ernst, würde er jetzt grinsen, aber danach war ihm nicht zumute. Er hob den Arm, um Ira sanft über den Rücken zu streichen, ließ ihn aber wieder fallen. Was würde er tun, wenn sie zu spät wären? Ein Schauer lief seinen Rücken hinunter.

Ein despektierliches Stutzen im Gesicht des Magiers. Na, das hörte sich vorhin noch anders an. Aber darüber wollte Helswin nicht debattieren. Hauptsache, seine Nichte war nicht mehr so furchtbar… weibisch.

"Wenn wir ohnehin gerade so gemütlich zusammen stehen.” ließ Milian das Gespräch wieder aufleben. “Es ist der ausdrückliche Wunsch geäußert worden, die … Verursacher dieser Situation unbeschadet zur Eilenwid zu bringen. Nicht wahr, Lupius?”

Der schüttelte nur den Kopf: “Lebend.” sagte er trocken.

Der Rickenbacher runzelte die Stirn. “Ich denke doch, es geht darum, dass sie in der Lage sind zu antworten, wenn man ihnen Fragen stellt.”

“War ausdrücklich von allen die Rede?” fragte diesmal der Magus.

Lupius versuchte sich zu erinnern. Denkt daran, dass das Herzogenhaus, auch im Namen des Kaiserreichs, großes Interesse hat, genauestens die Hintergründe dieser schändlichen Tat aufzuklären. Mit Toten spricht es sich schlecht, Schellenberg. Verstanden? Seine Karriere wäre dahin, sollte jemand Wichtiges draufgehen. Als ob ihm seine Karriere wichtig war, wenn es um seine Schwester ging. “Das wurde nicht so deutlich erwähnt.” brummte er. “Mit Toten spricht es sich schlecht, hieß es.”

Helswin legte seufzend den Kopf schief. Solche unkonkreten Aussagen liebte er ja abgöttisch. “Aha. Ich nehme an, für Interpretationen dieser Worte gibt es keinen Rahmen?” Das war mehr eine Feststellung. “Darf ich fragen, wer genau Euer Auftraggeber ist?” Das interessierte Helswin an dieser Stelle dann doch sehr.

Auch Ira spitzte die Ohren. Ihr Kopfschmerz war nach der ‘Behandlung’ durch ihren Onkel wie weggeblasen. Sie fühlte sich erfrischt, der Nebelschleier in ihrem Geiste, der von zu viel Sauferei kam, war aufgelöst, und, was sie nie gedacht hatte, dass Magie solcherlei Dinge bewerkstelligen konnte, plötzlich fügten sich einzelne Bilder in ihrer löchrigen Erinnerung zu größeren zusammen und bildeten vereinzelte Momentaufnahmen, die, wenn sie dabei noch Lupius betrachtete, Gänsehaut verursachten und dieses Gefühl im Nacken, das unbeschreibbar war. Daher war es ihr gerade recht, dass die Männer sich unterhielten und keiner darauf achtete, ob ihr eine gewisse Röte ins Gesicht stieg. Scheiße, Plötzbogen….

Noch war nicht alles da, es gab noch genügend Ungereimtheiten in ihrem Kopf, aber das, was der Heilzauber unbeabsichtigt ans Licht geholt hatte, reichte ihr eigentlich völlig, um die wesentlichen Inhalte des Abends rekonstruieren zu können: saufen, knutschen und… vögeln.

Lupius zuckte mit den Achseln. Was war das denn jetzt für eine Frage? “Erinnert ihr euch an diesen Alfons?”

“Alfons?” Helswin kannte einen Alfons am Hofe. Er wollte nur sichergehen, dass er den richtigen meinte.

“Erinnert ihr euch nicht an unseren ach so glorreichen gemeinsamen Einsatz mit der Concabella?” Eigentlich wollte er nicht daran denken.

“Ihr meint den, bei dem ich Eure reizende Schwester kennenlernen durfte?” Kurz zuckten Helswins Mundwinkel. “Ich erinnere mich sehr gut.”

Lupius Lächeln wirkte nicht begeistert. “Ja, ein herrlicher Tag.” brummte er. “Fast so schön wie heute.” Es folgte eine kleine Pause: “Meine Schwester gerät häufig in Schwierigkeiten seit sie Euch kennt, scheint mir.” setzte er nach.

Sein Vetter seufzte laut. Das musste ja passieren. Aber doch nicht gerade jetzt.

“Wobei sie rein gar nichts dafür konnte, dass Euer Versagen fast…” Der Magus hielt im Satz inne und hob das Kinn. “Ach wisst ihr. Ich glaube es war so, dass das Schiff, welches eure Schwester, mich und die anderen transportierte, unter eurem Kommando stand, als es zu Bruch ging.”

“Ah ja, und warum ging es gleich zu Bruch. Wollt Ihr mir da auf die Sprünge helfen?” Magie, Pfui. Wie er sie ablehnte.

“Ich wüsste nicht warum.” Unschuldsbeteuernd zuckte der Magier mit den Schultern. “Falls es euch aber entfallen sein sollte, bin ich gerne bereit, eurem Gedächtnis eine Auffrischung zu geben. Sagt, seid ihr immer noch auf eines der Schiffe strafversetzt? Es ist doch schon so lange her und Ihre Hoheit mag euch doch sicher nicht mehr gram sein, nach all dieser Zeit. Oder? Schließlich war sie ja nicht umgekommen. Und irgendwann ist der Schrecken über so einen Anschlag ja auch mal vorüber, nicht wahr... ” erklärte Helswin als handle es sich um eine Nichtigkeit.

“Stellt euch vor, vor einiger Zeit, es ist noch gar nicht so lange her, da wollte man mich zurück versetzen. Ja… und stellt euch vor, was ich tat, als ich in Erfahrung brachte, warum.” Er funkelte Helswin wütend an. Er war ein passendes Ziel. “Zu eurer Information: Ich habe abgelehnt. Und das werde ich auch das nächste Mal tun. Wenn ich zurückkehre, dann weil ich es verdiene. Nicht, weil meine Ehefrau den richtigen Namen trägt!”

Ira, die dem Wortwechseln fragend gefolgt war, horchte an dieser Stelle auf. “Was hat das mit mir zu tun?”

Auch Helswin verengte die Augen. Seine Maske aus Gelassenheit verzog sich ein klein wenig. “Ja, bitte erklärt uns, was ihr damit sagen wollt?”

Milian verdrehte die Augen. War das denn so schwierig.

“Nun, hochgelehrter Herr. Eure Mutter.” Mehr musste er wohl nicht sagen. Er würde seine Mutter wohl besser kennen als Lupius.

“Ihr meint diejenige, der ihr am gestrigen Abend über den Mund fuhret, ehe ihr aufsprangt, eure Gemahlin packtet und eine Ächtung ausspracht?” Jetzt lachte Helswin tatsächlich. Die Sache hatte ihn gestern schon beim Zusehen erheitert. “Wahrlich, ihr hättet sie beinahe umgebracht - meine Mutter. Sie lief blau an und zeterte, als sie wieder zu Atem fand, noch den ganzen restlichen Abend über eure Dreistigkeit.” Es ging leider aus Helswins Lachen nicht hervor, ob ihn auch dies amüsiert hatte.

Blau? Zu recht, dachte sich Lupius. Was mischte sie sich auch ein. In SEIN Leben. Freilich würde Helswin ihm nur wieder vorwerfen dasselbe mit Imma zu machen. Aber das war etwas anderes. Oder? Er zögerte fast unmerklich ehe er antwortete: “Umbringen wollte ich sie nicht. Sie sollte einfach begreifen, dass sie so nicht mit meiner Frau zu reden hat.” brummte er.

“Und ihr meint, dass ihr lange eingeschliffene Gewohnheiten ändern konntet?” fuhr Helswin immer noch amüsiert fort. Wenn der Schellenberg dies dachte, so war er ein armer Narr.

Ira hingegen lachte nicht. Die Dinge in ihrem Kopf ließen sie nervös von einem auf den anderen Fuß trippeln, sie wollte so gerne den Blick in die Ferne richten, an Lupius vorbei, doch am Ende konnte sie das Augenmerk angewidert und interessiert zugleich doch irgendwie nicht von dem Schellenberg lassen, was hieß, dass dieser unweigerlich irgendwann ihre vor Schamesröte farbigen Wangen bemerken musste. Sie und Lupius… so nah, wie man sich nur nah sein konnte… Er zwischen ihren Schenkeln… ihr Körper bebend vor…. Scheiße. Das darf doch nicht wahr sein.

“Nein, ich will, dass sie aufhört meine Frau zu beleidigen. Das würde mir reichen.” Ansonsten konnte sie der Drachen bleiben, der sie war.

Helswin ließ das Lachen verstummen und schmunzelte jetzt nur noch müde, ja, auch etwas mitleidig. “Ihr rüttelt an Festen, so alt wie Äonen. Was ihr euch - wenn auch für Eure Frau - wünscht, wird nicht passieren…. Und keine Angst, wenn ihr vorhin andeuten wolltet, dass meine Frau Mutter eurer” (er verkniff sich das Wort ‘bescheidene’) “Karriere einen..Schubs...in die richtige Richtung geben wollte, so seid unbesorgt. Nach dem gestrigen Desaster wird sie nichts dergleichen mehr unternehmen. Sogesehen HABT ihr durchaus etwas erreicht.”

“Vielleicht wird sie ihr Interesse ja nun auf eure Verheiratung lenken. Und von MEINER Familie ablassen.” jetzt musste Lupius ein wenig lächeln. Dann würde er auch diese unsägliche - wie auch immer geartete - Freundschaft zu Imma beenden müssen. Imma! Der Gedanke an seine Schwester holte ihn schlagartig zurück in die Gegenwart. Während der Plötzbogen nur erheitert lachte, drehte Lupius sich aufbrausend um zu seinem Cousin: “Wie lange braucht dein Fährtensucher denn noch?”

Milian zuckte mit den Achseln. “Es dauert so lange es dauert.” Er müsste bald kommen. Hoffentlich. Er deutete auf den Waldrand. Versuchte damit die Aufmerksamkeit der anderen auf etwas anderes zu lenken als auf diese lächerlichen Eifersüchteleien.

In diesem Moment trat ein graubärtiger Mann aus dem Gebüsch, welches das schmale Feld säumte, das sich zwischen Reichsstraße und dem Wald entlang schlängelte. Er zögerte kurz, schritt dann aber auf die Gruppe zu, in der er seinen Freund entdeckt hatte. Milian seinerseits kam ihm einige Schritt entgegen, während er den anderen signalisierte zurückzubleiben. Flüsternd unterhielten sich die beiden Männer. Milian nickte ernst. Er deutete auf eines der Pferde und beide kamen näher.

“Damit sind wir quitt?” fragte der andere, unbekannte Mann und wartete das Nicken des Kneipenwirts ab: “Nach diesem letzten Gefallen.” antwortete die Adlerkralle. “Und die Informationen bringst du mir, sobald du sie hast, warte zur Not im Nest bis ich wieder da bin. Und lass dir etwas auf meine Kosten ausschenken.” Hilgert nickte und trat an das Tier heran. Dieser Gefallen würde dauern. Aber seiner Schulden quitt zu sein… nun, das war es wert. Er trat dem Pferd etwas tölpelhaft in die Flanke, worauf es fast protestierend wieherte, bevor es folgsam los trabte - weiter die Reichsstraße hinunter.

“Imma wird vermutlich in einer einfachen Hütte etwa ein halbes Stundenglas von hier entfernt festgehalten…. Vermutlich, weil… Hilgert hat sie nicht hören oder sehen können, aber die Halunken, die sie entführt haben, bewachen dort etwas.” Er schluckte, suchte den Blickkontakt zu den anderen. Dass Stille in diesem Fall nichts Gutes verhieß, brauchte er wohl nicht zu erwähnen. Er sprach schnell weiter und seine Stimme überschlug sich etwas: “Wieviele Menschen im Haus sind, konnte er nicht weiter herausfinden. Man muss von mindestens einer Person ausgehen. Aber die Hütte scheint nicht übermäßig groß zu sein, so dass es vermutlich nicht mehr als zwei oder drei sein können.

Darüber hinaus steht ein Mann zur Wache an der Tür der Hütte und an drei Stellen sind im weiteren Umkreis Wachen postiert.

An der uns zugewandten Seite befindet sich eine Zweiergruppe. Eine Armbrustschützin und ein Kämpfer mit einer kurzen Nahkampfwaffe. Rückwärtig sieht es ähnlich aus. Darüber hinaus scheinen sie eine Art .. Spitzel… zu haben. Ein Mann mittleren Alters, hager und wendig. Hilgert konnte gerade so verhindern, gesehen zu werden.” er sah die anderen eindringlich an. Und fixierte schließlich Lupius: “Er scheint die anderen über nachgeahmte Tiergeräusche zu warnen. Sollte er uns bemerken…” Die Worte blieben in der Luft hängen.

Lupius trat nervös von einem Bein auf das andere. Wartete ungeduldig bis Milian endlich endete. Ja, dann würden sie sich womöglich ihrer Geisel entledigen.

Dann blickte Milian zu Ira: “Und nein, von den Bewachern außen hat niemand einen Stab. Hilgert meinte, vermutlich Söldner. Die beiden am von uns aus hinteren Teil scheinen schon recht nervös. Dafür ist der Nahkämpfer größer und kräftiger, wohl auch etwas älter als der hier vorne, der scheint wohl jung und unerfahren, aber wird von der Armbrustschützin auf Linie gebracht. Hilgert meint, sie habe kalte Augen.”

“Kalte Augen?” Ira horchte erschrocken auf. Sie hatte in ihrem Leben schon manche Leute mit kalten Augen gesehen: und zwar in den Schwarzen Landen und der Vampir bei der Hochzeit hatte auch kalte Augen gehabt. Abgesehen von dem Baron zu Rabenstein, dessen Herz auch ohne Zutun der Niederhöllischen so grausam und kalt war und bereit, lieber den eigenen Knappen und Patensohn zu opfern, um ein blödes Pferd zu retten. Boronian wäre fast gestorben. Nein, das würde sie dem düsteren Baron nie verzeihen. “Unnatürlich… kalte Augen?” fragte sie daher vorsichtig. Sie mussten alle Risiken kennen, um auch alle Chancen zu haben.

Milian riss sich zusammen: “Er meint damit, dass sie bereit zur Konfrontation ist. Mehr als die anderen. Jemand, der …. du kennst doch sicher Menschen, die sich Ärger wünschen, weil sie es darauf anlegen, sich zu prügeln? Unter Söldnern gibt es einige dieser Art…. verstehst du?” er zögerte kurz, versuchte zu erraten, was Ira genau wissen wollte: “Diese Beobachtung zielte mehr auf ihren Charakter ab, nicht auf…. etwas Unnatürliches.” Womöglich hatte Ira durch die Kriege im Osten und die Umtriebe auf der roten Hochzeit einen anderen Fokus. “Es scheinen ganz normale Menschen.” setzte er überflüssigerweise noch nach.

Milian schloß seinen Kurzvortrag ab: “Hilgert hat ein Band an einem Baum angebracht. Bis dorthin können wir uns schnell bewegen, ab dann, müssen wir aber auf die Geräusche achten, die wir machen.” er sah Lupius an und sein Blick schwang über die ganze Gruppe.

Es gab nicht viele Optionen: Den Waldläufer außer Gefecht setzen; Die Hütte stürmen. Die Bewacher außer Gefecht setzen, wenn der Waldläufer gerade auf der anderen Seite war; Die Hütte stürmen. Niemand von ihnen hatte eine Fernkampfwaffe dabei. “Stehen sie an einer Stelle oder bewegen sie sich? Patrouillieren?”

“Der Spitzel.. der bewegt sich zwischen den Gruppen. Nicht .. regelmäßig. Aber scheint eine Tendenz zu der hinteren Gruppe zu zeigen. Die beiden Zweiergruppen scheinen feste Beobachtungsposten zu haben.”

Jede Option hatte ihre Tücken. Jede barg Risiken. Wollte man auf Nummer sicher gehen, wäre Imma noch länger bei diesen Drecksäcken. Ginge man zu schnell vor, würden sie womöglich ihr Heil in der Flucht suchen und Imma zurücklassen. Und dann nicht zwingend lebend.

Ira überlegte ebenfalls. 2 Wachen hinten, 2 vorn, ein Verbindungsmann, 1 Wache vor der Türe. Das ergab 6 Leute außerhalb der Hütte, Und sie waren zu fünft, was schon mal nicht schlecht war. Das Vorgehen aber war knifflig, denn die Crux war, dass man sie im Inneren nicht hören durfte, was nämlich bedeuten konnte, dass man sich drinnen durch die Bedrängnis der armen Imma entledigte, und, bei allen Zwölfen, die Vorstellung schnürte ihr die Kehle zu. Nein, man durfte sie einfach nicht hören! Ihr Blick fiel auf Lupius. Er war unter ihnen allen wohl derjenige, der Rondra am meisten verehrte. Der ihrem Vorschlag nicht so wohlwollend gegenüber stehen würde. Wobei, es ging hier um Imma, er liebte seine Schwester. Mehr als Rondra? Ira hoffte es.

“Onkel Helswin, beherrschst du diesen Anschleichzauber? Scheiße, mir fällt der Name nicht ein…” wandte sie sich an den Magus. “Rhys, der Leibmagier von Jost, hat ihn in der Rabenmark angewandt. Er war sehr effektiv, um einige Kämpfer ungehört an ein Lager heranzubringen. Das gleiche haben wir hier doch auch. Einmal lautlos in Position gebracht schlagen wir aus dem Hinterhalt zu, sind aber wesentlich näher dran als die vielleicht erwarten und die Stille schluckt den Kampfeslärm.” Beim Reden hatten Iras Augen begonnen begeistert aufzuleuchten. “Und wie sieht es aus mit solchen Sachen wie jemanden einfrieren, oder einschlafen lassen?”

Lupius runzelte die Stirn und brummte leise. Das Leben Immas in die Hände dieses Zauberers zu legen, passte ihm nicht. Aber ihm war klar, dass man diesen Spitzel ausschalten musste. Vermutlich ein Waldkundiger, der eine…, der alle warnen konnte. Er musste das erste Ziel sein, wenn man ihn nicht umgehen konnte. Daher schluckte der Schellenberg seine Abneigung und seinen Frust hinunter. Ob er wollte oder nicht. Dass Helswin da war, war womöglich doch nicht so schlecht. Er blickte zu Milian. “Denkst du, du kannst ihn ausschalten - ohne.. Hilfe?”

Milian wippte mit dem Kopf nach rechts und links. “Ausschalten. Sicher. An ihn herankommen, ohne dass er mich hört. Überhaupt nicht sicher. Hilgert ist wesentlich talentierter als ich es bin, wenn es darum geht leise und lautlos durch den Wald zu laufen. Und wenn er schon meint, fast entdeckt worden zu sein…also... ohne Hilfe.” und sein Blick schwang zu Helswin hinüber: “... Es wäre möglich, aber riskant. Ziemlich riskant.”

“Das finde ich auch zu riskant. Ich kann diesen Kerl übernehmen.” erklärte jener Magus trocken. Was machen wir mit den anderen vieren. Eine Ablenkung wäre gut. Eine ganz unverfängliche, die keinen Verdacht erregt.” Zuerst sah Helswin seine Nichte an, die Augen verengten sich, er brummte, dann musterte er den jungen Altenberg. “Und wir brauchen jemanden, der uns warnt, wenn sich andere nähern. Könnt ihr das übernehmen? Denn wie ein geübter Nahkämpfer seht ihr mir, verzeiht, nämlich nicht aus.” Es klang vielleicht abwertender, als Helswin es meinte, aber wer ihn kannte, wusste, dass er oft einen solchen Tonfall anschlug.

Elvan hielt sich absichtlich im Hintergrund. Das familiäre Gezanke war ihm wohl bekannt, von seiner eigenen Familie. Als die Aufmerksamkeit auf ihn ging zuckte er kurz zusammen. Die abfälligen Tonfall des Magiers störte ihn nicht. Dafür war er ja bekannt. Und er hatte recht. Elvan war ein Schreiber, kein Streiter auf einem Schlachtfeld. “Ihr habt recht, Helswin. Das Kämpfen liegt mir … sehr fern. Ich denke ich bin der unauffälligste von allen. Und ich bin auch sehr aufmerksam. Ich kann gerne das Beobachten und Warnen übernehmen.” Er nickte nochmals zur Bestätigung.

Lupius nickte. Er hatte verstanden. Es gab Ira und ihn. Den magischen "Beistand", Milian mit seinen Kneipenschlägereierfahrungen und… Jemanden, der… beobachten konnte.

"Was ist denn jetzt mit solchen Zaubern, Onkel Helswin!” krätschte Ira in die Unterhaltung. “Kannst du etwas beitragen diesbezüglich?” Sie fand seine Unhöflichkeit ihr gegenüber fehl am Platz. Gerade jetzt brauchte es Zusammenhalt und einen Austausch. Dringend.

Der Magier, der just eben noch mit dem jungen Elvan sprach, sah sie ein paar Herzschläge nur an, als wisse er genau um ihre Ungeduld, und seufzte dann müde: “Iradora...ich frage dich doch auch nicht, ob du weißt, was ein Passierschlag ist. Oder?”

“Also beherrschst du diesen Zauber?”

“Ich beherrsche einige Zauber, denn, oh, ich bin ein Magier, nicht wahr? Doch bevor du die Backen bläst: ich beherrsche einige, die uns hilfreich sein können und die Leute, die sich nicht auskennen, wohl für gemein ‘Anschleichzauber’ und ‘einfrieren’ nennen würden.”

Bevor du die Backen bläst? Ira grunzte grimmig. Für einen Moment hörte sie doch tatsächlich ihre Großmutter aus den Worten Helswins heraus. Das war keine schöne Erkenntnis. “Ich blase nicht die Backen,” gab sie knurrend zurück, “ich bemühe mich nur, mich über alle Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, zu informieren. Und dazu gehört, zu erfahren, wie das Arkane einzusetzen ist. Während des Rabenmarkfeldzugs…”

“Das Arkane, Iradora, überlasse mir.” schnitt ihr Onkel ihr ins Wort. “Aber weil du es wissen möchtest und ansonsten nicht locker lässt, wir kennen dein neugieriges Wesen ja: ich bin durchaus in der Lage, die Fäden des arkanen Gefüges in seiner Komplexität so zu gestalten, dass sie beispielsweise ein Schutzschild ergeben, eine Feuerlanze, einen Schlafzauber, dass Feinden der Kopf zerbirst, wörtlich gemeint, oder ganz salopp gesagt, ein Kampf ohne Waffen auch zum Erfolg führt.”

“Ihr könnt ihn also ausschalten, ohne ihn zu töten und ohne, dass er die anderen warnen kann?”

“Ja. Sie zu Boron zu schicken ist natürlich einfacher, aber wenn es denn von so hoher Stelle nicht gewünscht ist...” Er seufzte. Diese Kerle leben zu lassen war ein Frevel an der Ordnung. Dies würde er harsch kritisieren, wenn sie diese Brut ablieferten.

“Müssen wir denn alle vier ausschalten? Reicht es nicht, wenn der Waldläufer außer Gefecht gesetzt ist und wir uns dann über eine Seite nähern’?” fragte Milian und sah die anderen vier an. Ihm fehlte die Erfahrung, die Ira und Lupius hatten, wenn es ums Kämpfen mit Waffen ging. Hätten sie genügend Zeit, ja, ihm wären einige Möglichkeiten eingefallen, einigermaßen gewaltfrei ans Ziel zu kommen, aber so… “Wichtig ist doch nur, dass wir hinein kommen, ohne dass sie gewarnt sind?”

“Herr Milian, bitte stellt euch folgendes vor: Wenn der Spitzel als Verbindung beider Posten patrouilliert und plötzlich wegfällt, weil wir ihn aus dem Spiel genommen haben und plötzlich merkt jene Gruppe, die wir nicht ausschalten, dass der Besuch ausbleibt, wird jemand nicht erst nachsehen, sondern gleich Alarm geben. Spätestens dann holt uns die Schlampigkeit ein. Wir sollten daher sauber vorgehen.”

Lupius brummte nur widerwillig. Er würde diese Bande am liebsten zu Boron schicken. Jeden. Einzelnen. Jeden. Und so schmerzhaft. Es. Ginge.

“Es sei denn.. wir sind schneller?” warf Milian ein. “Das Risiko ist höher, wenn wir drei Gruppen ausschalten wollen. Oder nicht?”

Lupius hob die Schultern: “Womöglich. Beides ist riskant. Auf eine andere Weise.” Egal was war, sie mussten bald eine Entscheidung treffen. “Aber mit jeder Minute, die wir hier stehen, sinken die Chancen meiner Schwester.. zu.. überleben.” Bei so einem Aufgebot an Männern und Mühen, war der Drahtzieher sicherlich so mächtig, dass er nicht zögern würde, das Undenkbare zu tun. “Noch jemand einen Vorschlag? Wir sind uns scheinbar einig, den Spitzel zuerst auszuschalten. Doch was dann?” Beide Gruppen oder nur eine?

Milian sah seinem Vetter an, dass er Angst hatte. Und er kannte ihn. Wie Milian selbst, fürchtete Lupius um Immas Leben. Aber sein Vetter fürchtete auch um etwas anderes: Die falsche Entscheidung zu treffen, und damit Schuld an ihrem Tod zu sein.

“Teilen wir uns doch auf und schlagen zur selben Zeit zu. Ich, äh, gehe mit dir, Onkel Helswin?”

“Dein Onkel sagte doch, er könne diesen Kundschafter alleine außer Gefecht setzen. wäre es nicht besser du würdest mit einem von uns gehen?” er deutete auf Elvan und sich selbst.

“Ich gehe mit demjenigen mit, wo ihr denkt, es macht am meisten Sinn”, positionierte sich Elvan.

“Milian hat recht. wenn wir entscheiden, uns in drei Gruppen aufzuteilen, dann kann Ira nicht mit ihrem Onkel gehen. Da Milian und Elvan…. nicht unsere Fähigkeiten haben.” Er dachte nun laut nach, wer wusste, womöglich hatte jemand noch eine Idee. “Drei Gruppen sind riskant. Wir sind nur zu fünft. Und haben fünf Gegner. Jede Warnung, die abgegeben wird, kann tödlich für Imma ausgehen.” Seine Stimme brach am Ende des Satzes. Nicht darüber nachdenken! NICHT Darüber nachdenken!! “Nicht alle drei Gruppen gleichzeitig ausschalten ist riskant, falls es eine von ihnen mitbekommen könnte.” Lupius biss die Zähne zusammen. Sein Herz schlug wie verrückt in seiner Brust.

Der Geruch nach frisch gemähtem Gras umfing sie. Ihre Großmutter beugte sich zu ihr herunter und küsste sie. Das nie endende Rauschen der Wälder in den Eisensteinen…. ‘ Allmählich beginnt es mir keinen Spaß mehr zu machen…’ die Überheblichkeit war aus seiner Stimme gewichen. Und war von kalter Grausamkeit ersetzt worden. ‘Viel Zeit werden wir beide uns nicht mehr füreinander nehmen, meine Süße.’’ Die Erinnerung.. verblasste… Sie spürte das Pulsieren des Blutes hinter ihrer Schläfe und roch das schmutzige Stroh unter ihrem Körper. Und sah verschwommen...wer sie umarmte. Dann erbrach sie sich vor seinen Füßen.

“Vorallem sollten wir uns schnell entscheiden.” sagte Milian schlicht. “Ein Mehr an Hinweisen wird es nämlich nicht geben.”

Ira verdrehte angestrengt die Augen. Von effektiver Kriegsführung hatten die anderen wohl noch nie etwas gehört, oder? “Ich schlage folgendes vor: Elvan kommt bis zu dieser, dings… Anschleichmarkierung von deinem Kundschafter mit, Milian,” der Name war ihr entfallen, “und er bleibt dann dort, um uns zu warnen, wenn jemand kommt, mit dem wir jetzt noch nicht rechnen können. Im Kampf müssen Waffen sprechen, aber ein Mann im Hintergrund, der den Überblick behält ist auch Gold wert,” Dabei sah sie vorsichtig zu dem Altenberg. Sie wollte nicht sagen, dass er ihnen ansonsten beim Kampf im Weg wäre. Aber das musste wohl jedem klar sein. Elvan eingeschlossen. “Ich gehe mit Onkel Helswin mit, wir schalten den Späher aus und gehen dann eine der Gruppen an, sagen wir, die an der Frontseite. Ich hab schon oft mit einem Magier an meiner Seite gekämpft, ich weiß, auf was ich achten muss.” erklärte sie, warum sie es nach wie vor sinnvoll fand, wenn sie sich mit ihrem Onkel zusammentat. Sie hatte zwar nicht wirklich große Lust auf diesen arroganten Sack, aber das musste sie zurückstellen, denn hier ging es nicht um persönliche Befindlichkeiten. Sie hatten nur einen Versuch. Und der musste klappen. Also war die Wahl der effektivsten Variante die einzig sinnvolle. Iras Stimme hatte während sie sprach einen Ton angenommen, der sie reif und erwachsen und erfahren wirken ließ. “Während ihr beiden, Milian und Lupius, euch bestens kennt, euch einander vertraut seid. Das ist ebenfalls von Vorteil, den wir nutzen müssen.” sagte sie zu Milian und Lupius. Ein bisschen kam sie sich vor, als sei sie nicht Ira, sondern sie hörte in sich Jost, der die Fäden zog. “Es macht also keinen Sinn, diese Vorteile von der Hand zu wischen und Risiken einzugehen, in dem sich einzelne erst in ihrer neuen Konstellation finden müssen.” Herrje, jetzt verwendete sie sogar Josts Wort - was freilich nur Ira selbst auffiel. “Wir haben keine Zeit, um uns zu finden. Wir müssen das nehmen, was schon besteht. Und das ist meine Erfahrung im Kampf mit Magiern und eure lange schon bestehende Freundschaft.” Vergiss den Schreiber nicht, mahnte eine innere Stimme sie. Auch hier hörte sie Jost in sich. Man musste immer alle motivieren, nur zusammen erhob sich die große Waffe, die Gruppe hieß. “Und Elvan hat als Schreiber ein gutes Auge. Außerdem nimmt man ihm am ehesten ab, sich verlaufen zu haben - oder verrückt zu sein.” Es musste auch immer einen Rückzugstrategie geben, zumindest für den, der sich nicht wehren konnte. “Außerdem muss es immer jemanden geben, der im Zweifelsfalle zurück nach Elenvina…” jetzt biss sie sich auf die Zunge. Nein, ein Scheitern kam nicht in Frage.

Lupius nickte. “Also zwei Gruppen.” Sagte er sachlich. “Milian und ich nehmen die uns zugewandten Kämpfer. Erstens scheinen das die schwächeren zu sein - und wir sind weniger kampfkräftig. Zweitens ist der Spitzel seltener bei ihnen. Drittens sind die anderen wohl nervöser, so dass sie sich vielleicht durch die Andeutung von Magie schon … so ängstigen, dass es uns zum Vorteil gereicht.” er sah Elvan an, “ich würde allerdings vorschlagen, dass Elvan, sobald der Spitzel ausgeschaltet ist, bis zu einem Beobachtungsposten in der Nähe der Eingangstür vor rückt, damit jemand die Hütte im Blick hat. Sobald dort etwas Ungewöhnliches passiert, soll er uns warnen.” Er sah den Schreiber an: “Könnt ihr.. vielleicht einige Geräusche imitieren. Geräusche, die in einem Wald üblich sind?”

Das erste Mal schlich so etwas wie ein Lächeln in Elvans Gesicht. Er spitzte die Lippen und pfiff wie ein schirpendes Trällern eines Vogels. “In der Hesindeschule haben wir sowas ausprobiert. Ich hoffe das wird genügen?” fragend schaute er in die Runde.

Lupius nickte. “Gut, dann gebt ihr dieses Zeichen, sobald die Wache ausgeschaltet ist. Danach positioniert ihr euch so, dass ihr die Tür im Blick behalten könnt. Sobald -nach eurer Einschätzung- die Wache dort draußen vor der Hütte irgendeinen Verdacht schöpft oder etwas anderes auf unmittelbare Gefahr hindeutet, dann macht ihr dieses Geräusch erneut. Ab diesem Moment ist dann Heimlichkeit nicht mehr unser wichtigstes Mittel.” Er blickte Elvan an und dann in die Runde: “Ansonsten sammeln wir uns bei Elvan, wenn alle Wachen ausgeschaltet sind. In Ordnung?”

Helswin nickte und musterte dann seine Nichte. Er wusste nicht viel über dieses dumme Mädchen, das sich während ihrer Knappschaft hatte schwängern und später in einen Traviabund zwingen lassen. Wobei er letzteres verachtete. Für das Erste konnte er allerdings nur den Kopf schütteln, denn dafür fehlten Helswin die Argumente. Es konnte schließlich nicht alles mit Unerfahrenheit abgetan werden. Nun wusste er aber einiges mehr und wenn er über die Worte, die sie da von sich gegeben hatte, nachdachte, musste er zugeben, dass er etwas ähnliches wie Überraschtheit empfand. Und er empfand und das wunderte ihn am meisten, Respekt. Hatte ihr dieser Wicht, Baron von Dingens, ja doch etwas beigebracht. Wie erfreulich.

Ira nickte, bevor sie den Blick ihres Onkels bemerkte. “Was ist?” Bestimmt kam jetzt wieder ein blöder Spruch.

“Nichts,” antwortete der. “Ich stelle mir dich nur gerade an der Seite eines Magiers vor, Nichte.”

“Ja, tu das ruhig.” Ira fühlte sich nicht ganz ernst genommen. “Auf Hlutharswacht haben wir immer mit Magus geübt.”

Hlutharswacht, ah richtig. “Na, dann bin ich ja gespannt. Komm, wir haben einen Späher auszuschalten.” Ohne eine weitere Aufforderung wandte der Magus sich ab. “Iradora, los!” brummte er, während der Kristall an seinem Stab aufleuchtete. Helswin spürte die Kraft Madas in sich schon pulsieren. Er war wirklich gespannt. Aber vor allem wollte er jetzt endlich etwas tun, und nicht länger untätig mit Worten wertvolle Zeit verplempern. Elsterlein...halt durch. Hilfe ist unterwegs.

Er spürte die Wut in sich pulsieren. Dieses Gör raubte seine Zeit. Ein Schreiberling, der das Wort Diskretion zu ernst nahm, war ihm einfach nur ein Dorn im Auge. Das Menschenhäuflein, vor dem er kniete, bewegte sich nicht mehr. Ein Knacken hatte vom Brechen eines weiteren Knochens gezeugt, nachdem er ihr seine Faust unter das Kinn geschlagen hatte und sie gegen die Hüttenwand gekracht war. Vermutlich der Kiefer. Das war ungünstig. Das Rückgrat wäre ihm deutlich lieber gewesen. Er grinste über seinen eigenen Scherz. Wurde aber schlagartig wieder ernst. Dieses sture Ding! Immerhin war sie recht niedlich, was bedeutete, wenigstens konnte er sich noch ein wenig vergnügen, ehe er sie endgültig aufgab. 

Sie eilten in den Wald und drangen ohne Bemühen still zu sein rasch vorwärts. Ein Viertel eines Stundenglases benötigten sie bis zu der Markierung, die Hilgert ihnen hinterlassen hatte. Milian hatte Elvan noch einige kurze Seile und eine Handvoll Tücher in die Hand gedrückt, bevor er und Lupius sich etwas nach hinten fallen ließen, um den anderen in einigem Abstand, etwas seitlich zu folgen. Sobald der Schreiber das Zeichen gäbe, dass der Spitzel ausgeschaltet wäre, würden sie sich nach rechts absetzen, um die eine der beiden Spähergruppen auszuschalten.

´Also gut, jetzt wird es ernst´. Still und konzentriert folgte er der Gruppe, während er die Seile um die Schulter legte und die Tücher unter den Arm klemmte. Zumindest einen Arm wollte er frei behalten. Er blickte sich im Wald um, ob er etwas ungewöhnliches sah und wartete auf das Zeichen der zwei, wenn sie die Wachen entdeckt hatten.

Helswin machte ein Zeichen und Elvan und Ira blieben ein Stück hinter ihm zurück. Er musste den Späher ausschalten.

Der Späher seinerseits verharrte gerade auf der Stelle. Hatte er etwas gehört? War es nicht gerade verdächtig still geworden? Unerfahrene Waldtreter - wie er sie nannte- vergaßen allzuoft, dass es nicht nur um die Geräusche ging, die man selber machte, sondern vielmehr auch um die, welche man durch seine Anwesenheit verhinderte. Also stand er still und lauschte. Nach einer Weile entspannte er sich und marschierte weiter. Er irrte sich vermutlich. Wieso sollte auch jemand hierher kommen? Er wollte es glauben. Doch die Schreie, die er aus dem Haus gehört hatte, die halbe Nacht und den gesamten Tag, verhießen nichts Gutes. Sein Auftraggeber mochte reich sein, aber das, was er tat, war zweifelsohne nicht nur ein wenig an der Grenze des Erlaubten. Ein Schauer rann ihm über den Rücken. So lange hatte es nicht dauern sollen. Eigentlich hatten sie alle am Vormittag aufbrechen wollen. Aber… irgendwie dauerte alles länger. Das machte ihn nervös. Und nicht nur ihn. Er schlich weiter. Sein dünner, drahtiger Körper verursachte fast keine Geräusche und seine Tritte waren so sanft und wohlplatziert, dass nicht das leiseste Knacken unter seinen Stiefeln hervorkam.

Gespannt schaute er dem Magier hinterher. Als dieser aus der Sichtweite des Schreibers verschwunden war, fiel sein Blick auf Ira. Er bewunderte jedwede Person, die sich auf Schlachtfeldern bewiesen hatte und somit auch sie. Elvan war sich sicher, das sie genau wußte was zu tun war, falls es zu einem Angriff kam.

Als spürte sie sein Mustern, wandte die Ritterin sich um. Ihre Augen blickten streng, ihr Kiefer war angespannt, ihre ganze Haltung war wie die Sehne eines Bogens und die schlanke Klinge in ihrer Hand war der Pfeil, der auf ihr lag und nur darauf wartete, abgeschossen zu werden. “Wir kriegen das hin.” drang es flüsternd aus ihrem Mund. Natürlich wusste Elvan nicht, dass sie damit auch sich selbst Mut machen wollte.

Es dauerte nicht lange - stille Augenblicke - da tauchte Helswin am Rande ihres Gesichtsfeldes wieder auf und winkte Ira und Elvan herbei. Ira und ihr Onkel machten sich sodann auf, sich um die beiden hinteren Wachen zu kümmern. Und Elvan pfiff, damit sich auch Lupius und Milian zu ihren Zielen aufmachen konnten. Nur der Schreiber selbst blieb zurück. Vor ihm lag der Späher auf dem Waldboden: Ein dünner Körper, sehnig und ohne jeden Ansatz von Fett, starr wie ein Brett. Nur die Augen rollten in ihren Höhlen umher, angsterfüllt, wie es dem Schreiber schien. Der Magier hatte noch gesagt, dass Elvan den Kerl unbedingt fesseln und knebeln und auf versteckte Messer oder sonstige Dinge untersuchen sollte, die Immas Rettung gefährden konnten.

Vorsichtig näherte er sich dem Späher. ´Oh Hesinde. Deine Magie ist doch etwas machtvolles´, bewunderte er die Arbeit Helswins. Er nahm die Seile und machte sich daran den Mann zu fesseln. Zweimal prüfte er , ob die Knoten auch fest genug waren. Dann durchsuchte er ihn nach Waffen. Zu guter letzt drehte er den Versteinerten auf den Bauch, damit er nicht sehen konnte, was um ihn herum geschah.

Durch einen Nebel aus Ekel und Schmerz klang das Zwitschern eines Vogels an Immas Ohr. “Es ist deine letzte Chance du verkrüppeltes Dummchen.” kam es kaum später. “Deine allerletzte Chance.” Kalt griff eine Hand an ihre Brust. “Du hast Glück, dass diese hier...” Und die Hand riss an einer kleinen Kette, was das Mädchen aufschreien ließ. Dann umschlossen die Finger ihre rechte Brustwarze, um die sich bereits leichter Schorf gebildet hatte. “...mir wirklich gut gefällt. So du nicht reden willst, verschafft dir das ein paar wirklich unangenehme letzte Minuten.” Er lachte kehlig auf und stieß sie vor sich auf den Boden der kleinen Kate. Das Stroh, was sie dort ausgelegt hatten, war bereits feucht. Klebrig vom Blut. Und übelriechend von ihren Ausscheidungen. Er nestelte an seiner Hose herum. Sie erinnerte sich wieder an das Zwitschern. Sie liebte diesen Vogel. Ein leises Pfeifen drang von ihren Lippen als sie ihn imitierte. Und ein Lächeln verblieb darauf.

Das verzerrte Zwitschern eines Vogels drang dumpf an Elvas Ohren. Sofort musste er an Imma denken. ´Kann es sein … ist sie das vielleicht?´ Sein Herz schlug wieder höher und ein innerer Drang kam in ihm hoch, sofort zu Imma zu stürzen. Doch er hatte eine Aufgabe. Diesen verdammten Späher zu bewachen, damit er niemanden mehr schaden konnte. Am liebsten wollte er ihr zurufen ´Halte durch, wir kommen dich zu holen´, doch das war närrisch. Somit zwitscherte er noch einmal, diesmal etwas anders, damit die anderen es nicht als ein weiteres Zeichen verwechseln würde. ´Hesinde, ich flehe dich an, lass sie es als Botschaft verstehen´ betete er stumm.

Zeitgleich auf der anderen Seite etwas abseits der Hütte:

Milian und Lupius rückten zu den beiden Wachen auf. Er - ein junger, nervöser Kerl mit Armbrust - beobachtete die Umgebung. Sie - eine kräftige, blondbezopfte Frau um die 40 Götterläufe mit einer breiten Narbe am Kinn - hielt ein Kurzschwert in der Hand. Ihr grimmiger Blick war in den Wald gerichtet. Froh, als endlich jemand kam. Der Mann mit den braunen Locken, sah sie feindselig an. Und zog eine Waffe. Sie grinste. JA. Das war es was sie wollte. Sie trat auf ihn zu. Unter anderen Umständen wäre er sicher auch für etwas anderes gut gewesen. Ein Bolzen zischte an ihr vorbei und streifte den Arm des Mannes, der das ohne eine Miene zu verziehen hinnahm. Dann grinste er auch. Unmittelbar danach nahm ein entsetzlicher Schmerz hinter der Stirn ihr das Bewusstsein. “Das hat gedauert.” brummte Lupius, der das Rinnsal Blut, was seinen Arm hinablief begutachtete und die Wunde unter dem Riss in seinem Mantel abdrückte. Milian zog ein einigermaßen sauberes Tuch aus seinem Beutel und wickelte es fest um den Arm seines Vetters. “Tut mir leid. Der Kleine war wehrhafter als ich gedacht hatte.” Der Armbrustschütze lag mit hochrotem Kopf hinter der niedergestreckten Nahkämpferin. Milian zog einige kurze Seile heraus und fesselte beide. Ohne Hast und dennoch so, dass die Fesseln sich nicht lösen ließen. “Sie werden eine Weile schlafen. Aber sicher ist sicher.” Zwei Stofffetzen wanderten nicht eben zärtlich in ihre Münder. Das Stück Stoff an Lupius Arm verfärbte sich blass rosa und Milian sah besorgt darauf. “Keine Zeit dafür jetzt.” Murrte der Gardist. “Zurück zu diesem Elvan.”

Zeitgleich auf der gegenüberliegenden Seite in der Nähe der Hütte:

Bevor sie endgültig zu den Wachen vordrangen, hielt Helswin seine Nichte nur wenige Schritte nach Elvans “Lager” noch einmal an. Es ging ihm nicht noch einmal darum, mit ihr das Vorgehen durch zu kauen. Seinen Plan, wie sie die beiden hinteren Wachen ausschalten würden, hatte er eben erst noch erörtert, als sie dem Altenberg den Versteinerten übergaben. Es ging ihm diesmal um etwas anderes: “Nichte, ich will, dass wir uns einig darüber sind, dass dieser ...Schreiberling...im Notfall jemand ist, den wir opfern werden, denn er ist der schwächste Soldat. Sind wir das?” Er sah sie mit einer Miene an, die voll Ernst war.

Opfern...schwächster Soldat…? Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie begriffen hatte, was der Magus gesagt hatte. So ganz entfernt von ‘der Schwarm muss funktionieren und wenn er das nicht tut muss das Problem weichen’ war das nicht. Also nickte sie. Ihre Gedanken wollten schon auf Reisen gehen, um sich an die Möglichkeit zu gewöhnen, dass sie diesen Elvan zurückließen. Aber ihr Verstand gemahnte sie daran, dass sie nun alle Aufmerksamkeit hier im jetzt brauchte, so schob sie das Thema fürs erste von sich. Es blieb in ihr das Gefühl, dass ihr Onkel mit seiner Einstellung eigentlich ein brauchbares Mitglied in der Legio abgab… Wäre da nicht…. Nein, dafür war auch keine Zeit.

Der Weg zu den Wachen, welche die Rückseite der Hütte beschützten, wäre sicherlich in voller Montur anstrengend gewesen, hatte der Magus nicht einen Zauber gewirkt, der jegliches Geräusch schluckte. So hörte niemand, wie die Ritterin und ihr Begleiter sich eilig und dicht hintereinander durch das Buschwerk schoben. Kein Ästchen knackte, kein Blatt raschelte unter ihren Füßen. Sie rasten fast durch das unwegsame Dickicht, denn die Zeit arbeitete gegen sie. Lange würden die Astralfäden die gewobene Matrix nicht intakt halten. Dafür benutzte der Plötzbogen diesen Zauber einfach zu selten. Bei den Wachen angelangt, gingen sie wie von Helswin geplant vor. Ohne Vorwarnung drangen sie aus dem Gestrüpp. Ira voraus mit kampfbereiter Waffe. Ihr Onkel folgte, während er gestenreich bereits die nächsten Matrizen wob. Wie zu erwarten feuerte der Schütze seinen Bolzen ab, sobald er die beiden unbekannten Kämpfer sah, doch prallte das Geschoss an einer unsichtbaren Wand ab und fiel zu Boden. Zum Nachladen kam der Schütze nicht mehr, denn sein Körper überzog sich plötzlich mit einer dünnen Schicht Eis, sodass ihm zuerst seine Waffe aus den mit weißen Kristallen überwachsenen Händen fiel, ehe der Kerl frierend niedersank. Kurze Zeit später sorgte die glühende Stabspitze des Magiers an seiner Kehle, dass er nichts anderes mehr tun konnte außer sich bibbernd vor Kälte seinem Schicksal und den beiden ‘Besuchern’ zu ergeben. Sein Kamerad versuchte zuvor noch dem lähmenden Frost stand zu halten, doch trotz seiner Anstrengungen schränkte ihn die Kälte zunehmend ein, sodass Ira den Kerl schnell entwaffnen konnte. Die frierenden Männer waren bald zusammengetrieben. Sie gaben ein seltsames wie auch klägliches Bild ab.

Dass ihr Onkel mit Gefangenen nicht zimperlich umging, wurde Ira noch einmal mehr klar, als der Magus den beiden mit seinem Stab recht kaltblütig einen wohl gezielten Schlag gegen die Schläfe verpasste, woraufhin sie zusammensackten wie ein Segel bei Windstille.

“Äh…”

“Was ist? Du wirst mir doch sicher ein bisschen Genugtuung gönnen, wenn wir sie schon am Leben lassen müssen.” sagte dieser bei Iras überraschtem Blick kühl. “Los. Fesseln! Nimm die Gürtel.”

Drecksverdammte Hierarchie. Ira mochte es nicht, wenn er sie herumkommandierte, vor allem nicht in dem Ton, aber sie hatten keine Zeit für Diskussion. Außerdem wollte sie ihren Onkel nicht verärgern, denn irgendetwas in seinem düsteren Blick gefiel ihr nicht. Sie mochte dem Anverwandten wirklich nicht im Felde begegnen, und mit seiner kompromisslosen Art erinnerte ihr Onkel sie gerade sehr an den Eisensteiner. Er machte keine Anstalten mit anzupacken, sondern sicherte stattdessen die Umgebung, wie er sagte. Daher dauerte es einen Moment, bis Ira die beiden Ohnmächtigen allein und stöhnend an einen geeigneten Baum gezogen, ihnen die Gürtel aus der Hose gerissen und damit sowohl beide Handgelenke, wie auch beide Füße zusammengebunden hatte. Zwar lagen die Wachen Rücken an Rücken, doch der zwischen ihnen eingearbeitete Baumstamm einer jungen Erle würde verhindern, dass sie aufstehen bzw. irgendetwas tun konnten.

“Nette Idee, gut gemacht.” kommentierte ihr Onkel mit einem Anflug von ehrlicher Anerkennung, was Ira wieder etwas versöhnlich stimmte. Das Gefühl verflog jedoch schnell, als Ira den Fehler machte, die Armbrust des Schützen ebenfalls ins Gebüsch zu entsorgen wie zuvor bereits die Waffen des Schildkämpfers. Helswin schüttelte den Kopf, als er das sah. “Iradora…” seufzte er bedauerlich. “Hast du im Osten eigentlich nichts gelernt? - Armbrust mitnehmen!”

“Was? Aber sie bringt uns doch nichts, wenn wir damit nicht schießen dürfen,” entgegnete sie verärgert, weil er sie schon wieder wie ein kleines Mädchen behandelte.

“Ich sagte: holen! Umgehen damit kannst du, hoffe ich? Ist schließlich nicht sehr ritterlich, meine ich.”

War das seine Antwort? “Ja, Herr… General.” brummte sie, seine abwertende Bemerkung ignorierend, während sie auf dem Absatz kehrt machte, um die Armbrust aus dem Dickicht zu holen, in das sie sie eben erst geworfen hatte. Ach, was wusste der Magus schon von ihren Fähigkeiten. Er würde überrascht sein, was sie alles drauf hatte.

“Und beeil dich gefälligst, Nichte! Einen Bolzen brauchst du ja auch noch…”

Das erneute Zwitschern ließ Imma schaudern. Rettung? Oder ihr Verstand, der ihr einen Streich spielte? Oder war  es gar Hesinde, die ihr ein Zeichen sandte, dass sie nun bald in ihr Reich einziehen würde? Sie lauschte, hörte aber keine Schwingen. Hörte nur das widerliche, rasche Atmen des Mannes, der immer noch ihre Brust in seiner Hand hielt. Ihren Rücken im eisernen Griff. Im letzten Aufbäumen biss sie ihm ins Ohr, bis er sie schreiend von sich fort stieß.

“Ist hier alles in Ordnung?” flüsterte Milian Elvan zu, nachdem sich die beiden Männer leise zu Elvan gepirscht hatten. “Nichts Auffälliges?”

“Soweit ist alles in Ordnung. Ich bin mir sicher, dass Imma dort drinnen ist. Sie hat … auf mein Signal geantwortet.”, flüsterte er. Etwas unsicher setzte er zu einer Erklärung an. “Ich hatte das Zwitschern der Blaumeise gewählt … Immas und mein liebster Vogel. Nun, manchmal lauschen wir den Vögeln …”, Elvan unterbrach, dies war nicht der richtige Moment für lange Erklärungen. Dann hörte er den Schrei eines Mannes. Erschrocken schaute er zu Milian und Lupius. “Habt ihr den Schrei auch vernommen?”

Genau in diesem Moment schälten sich auch die beiden Plötzbogen aus dem Wald. Eigentlich kamen sie fast aus dem Nichts. Jedenfalls war von ihnen absolut gar nichts zu hören gewesen, bis sie unvermittelt neben den drei Männer auftauchten.

Ira trug eine geladene Armbrust bei sich. Sie schien mächtig angefressen - wer sie kannte, wusste, dass sie leicht Gründe fand, sich zu ärgern - und auch etwas entkräftet.

Helswins Miene hatte sich hingegen kaum verändert. Er tat hingegen etwas, was er bisher noch nicht getan hatte: er griff fast routiniert nach einem Fläschchen an seinem Gürtel, sprengte den Verschluss ebenso geübt mit dem Daumen derselben Hand auf und leerte sich die darin befindliche Flüssigkeit in die Kehle.

Kurz abgelenkt durch das Auftauchen seiner Frau und ihres Onkels, wandte er sich nun wieder Elvan zu. “Nein einen Schrei habe ich nicht gehört. Du?” Milian schüttelte den Kopf. “Und ihr?” Ira und Helswin zeigten ebenfalls, dass sie nicht wussten, was Lupius meinte: “War es Imma? Die geschrieen hat?” Besorgnis lag in seiner Stimme und Unruhe. Sie hatten einfach keine Zeit mehr. Und ausser dem einsamen Mann neben der Tür, waren alle Wachen ausgeschaltet. Nur diesen mussten sie noch leiser ausschalten als die anderen. Das leiseste Geräusch konnte eines zuviel sein: “War sie es?” fragte er gefasster nach. Sie waren weit gekommen und er würde sie retten. Oder…

Imma prallte gegen die Wand der Kate und spürte erneut, wie etwas brach. Sie atmete erschrocken auf und spürte, dass ihr das Atmen schwer fiel. Er war einige Schritt entfernt und funkelte sie wütend an. “Glaub mir, so einfach werde ich es dir nicht machen. Jetzt nicht mehr.”

“Nein, das war nicht sie, es hörte sich nach einer Männerstimme an. Es … es kommt aus der Kate.” Wieder horchte Elvan auf. “Da ist etwas gegen die Wand dort drinnen geprallt, wir sollten uns beeilen!” Mit weit aufgerissenen Augen deutete er zur Kate.

“Wenn wir es jetzt überstürzen, schneiden sie ihr womöglich die Kehle durch.” raunte Milian. Er zog sich langsam etwas zurück. “Ich versuche mich von der Seite an den Kerl da drüben anzuschleichen. Wenn er schreit oder eine Warnung ruft, kümmere ich mich um ihn.” Flink und relativ leise schlich der Rickenbacher davon.

Ohne einen Ton zu erzeugen, knirschte Lupius mit dem Kiefer. Das alles dauerte zu lange, aber das letzte, was er wollte war Imma zu gefährden. Sie mussten den Kerl an der Tür ausschalten. Er schaute zu Ira, die nun eine Armbrust bei sich trug, und ihrem Onkel, der womöglich…. Fragend deutete er auf die Waffe, den Stab und dann die Wache. Der Kerl schien nicht sonderlich wachsam seinen Posten zu bekleiden. Gerade bohrte er sichtlich desinteressiert in der Nase.

Jetzt ein Fehler und Imma würde sterben. Milians Worte lähmten noch ihren Geist, als ihr Mann auf die erbeutete Schusswaffe deutete. Ira schien kurz nicht zu wissen, was sie tun sollte. Doch eigentlich wusste sie es. Anlegen und schießen. Drei Bolzen hatte sie aus der Tasche des überwältigten Schützen mitgenommen, drei Versuche hatte sie also. Allerdings konnte sie sich nur einen erlauben, das war das Verzwickte. Und da war ja noch die Anweisung, dass keiner zu Tode kommen sollte. Was für eine arschige Anweisung. Was für eine scheißdrecksverdammtdämliche Scheiße, die hier abging. Ira dachte an die arme Imma und die Ritterin wünschte sich wirklich sehr, ein niederhöllisches Monster würde ihre Freundin peinigen, denn falls es nicht derisch war, brauchten sie es nicht befragen, sondern durften es gleich umbringen, was für sie und die Männer sicherlich eine befriedigende Genugtuung sein würde. Selbiges galt für Geschöpfe des Namenlosen. War Imma allerdings im Griff von Menschen… ganz gewöhnlichen Menschen… Ira seufzte. So vieles ging ihr durch den Kopf. So vieles, was es abzuwägen galt. Den Blick noch auf den Wachmann gerichtet, murmelte sie zu dem Magus neben sich: “Was, wenn wir ihn -”

“Scht!” zischte der nur, während er die Hütte ebenfalls mit strengem Blick fixiert hielt. Helswin Sinne waren scharf, wie immer, wenn er die Energie fühlte, die durch seine Adern und Glieder strömte, um sich in solch erhabenen Wunderwerken wie einem ausgereiften Caldofrigo zu entladen. Das Prickeln in seinen Fingerspitzen, kurz bevor und nachdem die Astralkraft seinen Körper verließ - jedes einzelne Mal erbauend. Während der Rickenbacher davon schlich sah Helswin sich die Hütte mittels Zauberkraft an: Das Geflecht aus Matrixfäden, jener Kraft, aus der alles bestand, leuchtete es? Und wenn ja, wo und wie? Da er sich konzentrieren musste, ließ er allein schon deswegen keine Störung zu. Aber nein, es gab nichts zu sehen. Nur der simple Nebelschleier und die grauen Schlieren, mit denen alles Nichtmagische dargestellt wurde, blickte ein Magier mit dem ‘Atem der Mada’ durch die derische Spähre.

Der Mann, mit dem sich alle beschäftigten, saß auf einer schmalen Bank direkt neben der Tür und gähnte ab und an. Stützte sich - nach vorn gebeugt - auf einen kleinen Wanderstecken. Neben ihm lag ein schmales, scharfes Schnitzmesser, mit dem er offensichtlich bereits Verzierungen in den Stab eingebracht hatte und diese nun eingehend musterte. Nun griff er nach seinem Messer, um weiter das Holz zu bearbeiten.

Mit einem bedauerlichen Seufzen drehte der Magus sich zu Lupius und Ira um: “Nichts Magisches.” Dann fiel sein Blick missbilligend auf die Ritterin neben sich. “Bei Praios! Auf was wartest du?” Sein Augenmerk fiel auf die Schusswaffe in ihrer Hand, die zwar geladen war, aber die nicht benutzt und deswegen wertvolle Zeit einfach ungenutzt verschwendet wurde.

“Aber wollen wir ihn nicht wie die anderen...?”

“Versteinern?” Helswin mochte dieses Wort nicht, obwohl es genau das bezeichnete, was ein guter Paralys tat. “Magier vor - was?” Er verzichtet verärgert auf eine Spiegelung ihrer dummen Worte - womöglich war sie doch nicht so hartgesotten wie sie immer vorgab. “Brauchst du Hilfe oder schaffst du den Dummbatz auch ohne, dass ich dir den Blick schärfe?”

“Ich würde lieber--” ein vorsichtiger Seitenblick zu Lupius, der die Anweisung erhalten hatte, dass niemand zu Tode kommen durfte.

“Ach, ihr mit eurer Ritterlichkeit.” Helswin blickte unwirsch von der Unentschlossenen zu ihrem Gemahl. Seine Brüder waren genauso - gewesen. Mit Ausnahme von Emmeran, der noch lebte - warum auch immer, - waren sie alle stets den Weg rondragefälligen Schwertes gegangen und man wusste ja, wo dieser endete. “Verstehe. Dann gib schon her!” Entschlossen, die Sache zu beenden, bevor er sich noch mehr über sie ärgerte, nahm er die Armbrust aus Iras Hand und drückte seinen Stab dem verdutzten Elvan in die Hand. “Halte das, Junge!”. Mit der freien Hand fasste er sich einen Augenblick lang an die Stirn und murmelte “Oculus aquilis!”. Dann legte Helswin auf den Ahnungslosen, der als letztes zwischen ihnen und Immas Rettung stand, an.

“Seid ihr versiert genug, ihn mit einem einzigen Schuss sofort zu töten? Wenn ihr da nicht sicher seid, trägt meine Schwester das Risiko.” kam es kühl von Lupius, der angespannt mit den Zähnen knirschte.

“Töten? Reicht es denn nicht ihn nur unschädlich zu machen? Der Tod ist mehr Gnade, als diese Person verdient …”, sagte der Schreiber mit schwacher Stimme.

"Nur ein Toter gibt keine Warnrufe mehr von sich." sagte Lupius kalt. Er sah in Richtung Hütte, wo sich Milian mittlerweile bis zur Ecke gepirscht hatte. "oder ihr gebt einen Schuss ab, der ihn zwingt nach rechts zu schauen. Nach oben. Oder nach unten." brummte er.

“...Und laufe Gefahr, dass der Bolzen entweder die Hütte trifft oder den Kerl ein Warnsignal ausstößt?” Entgegnete der Magus dem Flussgardisten, ohne die geschärften Augen und somit den Fokus vom Zielobjekt zu nehmen. “DIESES Risiko ist mir zu groß.”

“Dann sollte euer Schuss sehr sicher treffen.” Er zögerte kurz. “Und tödlich sein. Milian… kann ihn sonst auch ausschalten, wenn wir seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung lenken.”

Eine Entscheidung, die nur ein Kämpfer entscheiden kann. Was auch immer geschehen mag, es muss schnell geschehen, denn er hatte das Gefühl das Imma nicht mehr viel Zeit hatte. Gespannt wartete Elvan ab.

Ira knabberte nervös auf ihrer Unterlippe herum. Sie warf Elvan, der den Stab ihres Onkels wie ein heißes Stück Eisen gefasst hielt, einen Blick zu, der ähnlich dem seinen hohe Erwartungen enthielt.

Helswin indes atmete ganz bewusst ein und aus. Sein Blick war der eines Adlers, so klar und stechend und so gut, dass er sogar die Mücke wahrnahm, die der Kerl von seiner Stirn verjagte. Er staunte mal wieder selbst über die Möglichkeiten, die dieser Zauber eröffnete. Hatte dessen Studium doch nicht unbedingt zu den erbaulichen Dingen auf der Akademie gehört, endlich zahlte sich die Qual aus. Mit einem feinen Grinsen entließ der Magus den Bolzen und senkte im nächsten Augenblick die Waffe, als das Geschoss in die Stirn des schnitzenden Wächters einschlug und selbigen aus dem Spiel nahm. Für immer. “Ungefähr so?” sprach er an den Schellenberg gewandt, als er sich umwandte. Er warf seiner Nichte die Armbrust zu und streckte die Linke nach seinem Stab aus, welcher aus Elvans Griff zu seinem Herrn und Meister flog. Mit einem Kopfschütteln und einer Formel zur Aufhebung hatte er sich schnell der Wirkung des Zaubers entledigt, denn er wollte nicht die Schweißperlen auf dem porigen Nasenrücken der anderen zählen müssen.

Der Schellenberger hörte kaum, was Helswin sagte, denn er hatte sich umgedreht und eilte das Stück zur Hütte entlang.

Milian indes war noch bei der Wache gewesen, bevor diese ganz zu Boden fallen konnte. Vorsorglich lag seine Hand auf dessen Mund und der schwere Körper glitt vor dem Wirt zu Boden als wäre er leicht wie eine Feder. Dann griff er sich das Schnitzmesser, das auf den feuchten Waldboden gefallen war. Lupius postierte sich neben der Tür, während Milian sich auf die gegenüberliegende Seite stellte- bereit die Tür zu öffnen, sobald sich alle Gefährten nah genug befanden. Er deutete mit dem Arm in Richtung seines Vetters. Bedeutete sie sollten dort Stellung beziehen. Sobald er die Tür geöffnet hätte, konnten sie eindringen und Imma befreien. Ein letztes Stoßgebet schickte er zu Phex- für den glücklichen Moment- zu Rondra- für ein wenig Hilfe gegen diese unehrenhaften Gesellen- und zu Peraine - für seine Base und dass sich ihre Wunden als nicht tödlich herausstellen sollten.

Den beiden Rittern ließ Helswin den Vortritt. Elvan wiederum sollte als letzter in der Reihe stehen, um notfalls die Flucht ergreifen zu können, um Hilfe zu holen.

Der Stabkristall des selbstbewussten Magiers leuchtete stärker noch als bisher, was daher kam, dass der Plötzbogen den ihm größtmöglichen Vorrat an Madakraft in sich aufstaute, um auf alles reagieren zu können, was sie hinter dieser Tür finden würden.


Zum Angriff

‘Viele sterben zu spät, und einige sterben zu früh’ Der Mann kam mit dem Messer auf sie zu. Es war ein Langdolch. Wieso wusste sie das? Sie konnte sogar sehen, wer ihn hergestellt hatte. Es war ein schönes Stück. ‘Noch klingt es fremd: Stirb zur rechten Zeit’ 

“Bald, hast du es geschafft. Während das Blut deinen Körper verlässt und du die Schwingen Golgaris hörst, werde ich deinen Körper nehmen. Ohne Gegenwehr.” Er war nur noch einen Schritt entfernt. “Bis er kalt und schlaff in meinen Armen liegt.” Das kalte Grausame in seinen Augen nahm Imma gar nicht mehr wahr. Der Schmerz wich langsam aus ihr. Ihre Atmung wurde ruhiger.

Gerade wollte er den letzten Schritt auf sie zumachen als die Tür aufgerissen wurde. Verwirrt und wütend blickte er auf: “Godhart, was soll der Unsinn. Du sollst mich nicht stören.”

‘Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebte, wie soll der zur rechten Zeit sterben?’

Lupius sprang rasch und behände einige Schritt in den Raum hinein- genug Platz für Ira lassend, taxierte die Situation: Imma lag am Boden, verletzt, ob sie lebte, konnte er nicht erkennen. Ein Mann stand zwei Schritt von ihr entfernt. Einen Langdolch in der Hand, auf seine Schwester gerichtet. Er trug sein dunkles Haar zerzaust, obgleich es einen ordentlichen Schnitt hatte. Doch Blut und Staub klebten darin. Eine blutige Kruste zog sich von seinen vollen Lippen unter der leicht gekrümmten Nase zu seinem Kinn. Ein sanfter Flaum bedeckte seine Wangen, er schien in der Regel sein Gesicht haarfrei zu halten. Und wenngleich seine Kleidung schmutzig war und stank, war erkennbar, dass er einer anderen Schicht entstammte als seine Schergen. “Godhart macht keinen Unsinn mehr. Nie mehr.” brummte Lupius, um den Impuls zu unterdrücken, direkt auf den Mann zuzustürmen.

‘Ach was tun alle so wichtig mit ihrem Sterben. Wichtig nehmen wir alle das Sterben: Noch ist der Tod für uns kein Fest. Noch haben wir nicht gelernt, wie man die schönsten Feste weiht.’ 

Er wusste Ira an seiner Seite und machte ihr ein Zeichen, damit sie sich zwischen den Mann und Imma postierte. Nur so würde auch die Tür für die anderen frei.

Genau das hatte Ira auch vorgehabt. Sie war keine Offensivkämpferin, noch nie gewesen und Josts Schule hatte sie gelehrt, dass die Offensive tödlicher war als die Defensive. Sie verstand sich seit jeher als Beschützer - nicht als Schlächter. Daher eilte sie zu ihrer am Boden liegenden Freundin, um sich vor ihr aufzubauen. Sie zu schützen. Und den Männern das Schlachten zu überlassen. Nicht, dass sie dies nicht auch ‘beherrschte’, aber das Sichern nach hinten und von zu Beschützenden war ihr immer lieber.

Helswin fackelte nicht lange. Ein Blick ins Innere, die Einschätzung der Situation, ein Abwägen ob der Entfernung des Schellenbergs, und eine kleine Korrektur. Innerhalb weniger Herzschläge schoss aus der ausgestreckten linken Faust des Magier eine unsichtbare Welle schadhafter Magie auf das Kraftgeflecht, aus dem der Peiniger Immas bestand. “FULMINICTUS!” konnte jeder die laute Stimme des Plötzbogens vernehmen.

Der Schmerz traf den Mann völlig unerwartet, sein arroganter Blick schien wie festgeschmolzen als sein Körper einknickte und er auf die Knie sank. Mit rasselndem Atem und einem Blick aus dem eines sprach: Todesangst.

Lupius brauchte nur ein paar Schritte, um vor dem Mann zum Stehen zu kommen. Er zischte: “Gib mir einen Grund, dich nicht am Leben zu lassen und ich befördere dich höchstpersönlich in die Niederhöllen, in die du gehörst.” Seine Schwertspitze zeigte auf den Kehlkopf des unbewaffneten Knienden. Das Messer, das dieser in der Hand gehalten hatte, lag neben ihm und wurde von Lupius ignoriert. Vielleicht war es der unbewusste Wunsch, dass er doch einen Grund fände, dem Kerl vor ihm die Kehle durchzuschneiden.

‘Das Sterben sollte man lernen. Und es feiern, wenn ein Sterbender der Lebenden Schwüre weiht. Zu sterben ist das beste.’

Sobald von dem Kerl keine Gefahr mehr ausging, kniete sich Ira neben Imma nieder, wusste jedoch nicht, ob und ja wo sie die geliebte Freundin berühren sollte, um ihr zu zeigen, dass sie da nun waren und der Alptraum vorbei war. Schließlich nahm sie ganz ganz vorsichtig eine Hand der Schreiberin in ihre. Götter, sie sah furchtbar aus. Ira kamen die Tränen. Bei der gütigen Mutter Peraine! Oh Imma, wer hat dich nur so zugerichtet und warum… Ira war fassungslos. “Imma, hörst du mich? Ich bin’s, Ira. Du bist frei. Lupius ist hier. Und Milian…” Ein sorgenvolles Zittern begleitete ihre Worte und das anbrandende Meer von Tränen raubte ihrer Stimme an Kraft.

“Mach Platz, Nichte!” scheuchte Helswin sie im nächsten Augenblick zur Seite, indem er die Rittsfrau einfach ruppig beiseite schob. “Auch wenn du mich eben nicht erwähnt hast lass ich Imma sicher hier nicht sterben. Hilf deinem Mann! Ich muss mich konzentrieren.” Er verfiel sogleich in bosparanisches Murmeln. Dabei ließ er mit geschlossenen Augen vorsichtig die gespreizten Handflächen über Immas geschundenen Körper gleiten, um einen elfischen Heilzauber zu weben. Als Ira nicht gleich reagierte und verschwand, hielt er zornig inne und bellte. “Das ist ein Befehl, Plötzbogen!”

Tatsächlich riss Ira sich nur ungern von Imma los. Sie hoffte inständig, dass ihrem Onkel die Heilung gelang oder dass er Imma insoweit gepflegt bekam, dass sie sie hier raus und in die Stadt bringen konnten. Wieder auf den Beinen blickte sie durch den Schleier ihrer vom Weinen geschwollenen Lider den Mann an, der sich für dieses Leid verantwortlich zeigte. Und ihre Fassungslosigkeit wandelte sich in pure Wut. Wut, welche die Lahmheit von ihr abschüttelte und sie endlich wieder handeln ließ: entschlossen rauschte Ira im nächsten Moment auf den am Boden Liegenden zu. Sie wollte diese Ausgeburt des Schlechten in jenen Abgrund zurückstoßen, aus dem sie herausgekrochen war, um ihre frevlerische Existenz vom Antlitz Deres einen Denkzettel zu verpassen, auf dass sie niemals wieder irgendwem so etwas antat. Zuvor aber sollte der Kerl erfahren, wie sich Schmerz anfühlte. Lupius’ Schwert an der Kehle des Mannes entlockte ihr daher nur ein müdes Lächeln. Ohne Vorankündigung trat sie dem Kerl voller Wucht mit der Stiefelspitze in den Bauch. “Du drecksverdammtes Arschloch. Wie fühlt sich das an? Gefällt dir das?” Ein erneuter Kick.

Elvan stürmte hinein, nachdem es schien, das die Anderen die Situation unter Kontrolle hatten. Er würdigte Immas Peiniger nur einen kurzen Blick und ließ Ira an ihm vorbei stürmen. Dabei hatte er nur einen Blick für seine Freundin. Der Magier hatte sich zu ihr gesetzt und webte seinen Zauber. Der Schreiber ging vorsichtig in die Hocke und beobachtete Imma, die sich unter der Magie regte. Flüsternd sprach er zu ihr und sich selbst: “Alles wird jetzt wieder gut.”

Der Anblick Immas war mehr als grausig. Ihr Kleid, völlig verdreckt und zerrissen. Eine ihrer Brüste hing aus dem zerfetzen Mieder heraus. Der Mann, der nun zu Iras Füßen lag, hatte ein Loch in ihre Brustwarze gestochen und eine kleine, silberne Kette hindurchgezogen. Die Brust - normalerweise makellos und rein, wie Helswin wusste - wies eine Vielzahl blauer Flecken auf. Man konnte den großen Handabdruck erahnen, der diese Spuren hinterlassen hatte. Das kleine Kettchen, das vor ihrem zerstörten Kleid baumelte, war von geronnenem Blut verklebt. Die Beine der Schellenbergerin wiesen Spuren von Urin, Kot und Blut auf, die sich langsam von ihren Oberschenkeln an, den Weg zu ihren Füßen gebahnt hatten - nur sichtbar, weil ihr Kleid in Fetzen hing und den Blick fast bis zu ihrer Scham freigab. Die Füße der jungen Frau waren nackt und blutig an den teilweise schief stehenden Zehen. Ihr von Geburt an verkrüppelter Fuß war aufgerissen und verschorft. Als sie die Hände hob, sah man, was wohl auch mit ihren Füßen passiert war: Dort, wo ihre Nägel sein sollten, klafften blutige, teils verschorfte Löcher. Ihr Handgelenk, ebenso wie eines ihrer Fußgelenke war komisch in sich verdreht: Unmöglich konnten dort die Knochen noch intakt sein. Ihr Atem rasselte bei jedem ihrer leisen, langsamen Atemzüge. Unverkennbar war sie auch innerlich verletzt. Ihre Augenlider flackerten. Ihre rechte Wange war angeschwollen und in rot-bläuliche Farben getaucht. Ihr rechtes Auge kaum zu erkennen, die Lippen aufgesprungen. Ihr Haar klebte verdreckt und nass von Schweiß und Dreck an den Resten des Blutes, das ihren Mund, ihre Nase und ihre Wange hinuntergelaufen war.

‘Meinen Tod lobe ich euch. Den freien Tod, der kommt , weil ich es will.’

Milian war als letzter herein gekommen. Nachdem er registriert hatte, dass Helswin Imma scheinbar magisch zu heilen versuchte, näherte auch er sich dem Unhold, der stöhnend am Boden lag. Lupius Schwertspitze an der Kehle und Iras Fuß im Bauch. Er wollte die Sache beobachten und falls nötig einschreiten.

Noch einmal holte Ira aus. Sie hatte die bloße Lust und die Wut dazu, diesen Kerl niederzutreten, einfach nur, weil sie es konnte und der Arsch es nicht anders verdiente, nachdem, was er Imma angetan hatte. Imma, der armen Imma! Der, die überhaupt niemandem etwas zu leide tun konnte und die allein schon deshalb nichts von der Qual jemals verdient hätte. Ira schauderte, als sie hinüber blickte zu ihrer Freundin. Ihr Onkel tat sein Bestes. Er war ein guter Kerl. Doof, nervig und unhöflich, aber gut. Weil er heilen konnte. Denn Imma brauchte ihn jetzt. Und allein daher war es gut gewesen, ihn mitzunehmen. Ihr Blick glitt anschließend zurück und über das sich krümmende Häufchen Mann. Kaum zu glauben, dass dieser eben noch die Gewalt..... nein, sie durfte sich darüber jetzt keine Gedanken machen, sonst trat ihre Klinge wirklich noch zwischen seine Zähne ein und hinten im Nacken wieder hinaus. “Ach Scheiße!” drang es aus Iras Mund, als sie sich von Lupius und dem Kerl abwandte. Sie hatte so eine Wut in sich. So eine unbändige Dreckswut. Auf diesen Dreckskerl. Und dann durften sie ihn nicht mal umbringen!! Nicht mal ein bisschen quälen. Er hätte es sooo verdient. “Wer, verdammter Ogerdreck, hat sich nur diese scheiß Weisung ausgedacht… Was machen wir denn jetzt mit ihm, wenn wir in schon nicht seiner gerechten Strafe zuführen dürfen, häm?” fragte sie Milian und Lupius wirsch, als sie auch durch das Umhergehen und Umsehen in der Hütte keine wirkliche Ruhe fand.

Lupius sah sie genauso wütend und unwissend an. Ira konnte seine innere Zerrissenheit zwischen seinem Wunsch, dem Kerl die Fresse zu polieren und der herzöglichen Weisung, ihn wohlbehalten zurückzubringen, in seinem Gesicht sehen. Die Knöchel an seiner linken Hand, die er zu einer Faust geballt hatte, traten weiß hervor und sie hörte, wie seine Zähne knirschten. Er wand sich hilfesuchend Milian zu, der schief lächelnd das Messer des Ungeheuers vom Boden hob.

Der Mann wiederum hatte Ira sehr genau zugehört und ein schiefes Grinsen aufgesetzt. Die Information ließ ihn sich etwas aufrichten. “Sehr interessant, Frau Schwertgesellin. Ich danke sehr für diese Information.” brachte er immer noch hustend hervor.

Das war zuviel für Lupius, der Griff um sein Schwert wurde fester und sein Blick enthüllte seinen Zorn. Er würde auf alles scheißen. Auf alles, aber er konnte diesen Dreckskerl nicht damit durchkommen lassen. Er hatte es zu oft erlebt. Je weiter oben dieser Frevler in der Hierarchie stünde, desto eher käme er davon.

Sein Ellenbogen glitt zurück, doch bevor er zustechen konnte, stieß Milian seinen Vetter zur Seite, packte den Fremden am Kragen und rammte ihn gegen die Wand. Seine Oberarme spannten sich an und er hielt den Kerl einen halben Meter in der Luft, an die Kate gepresst durch sein eigenes Gewicht und die Spannung seines durch das Immanspiel trainierten Körpers.

Den fein gearbeiteten, mit Sicherheit ziemlich teuren Langdolch des Mannes hielt er ihm direkt an die Kehle. “Nun, der Herzog will euch lebend. Eine wirklich wichtige Information.” Dann fuhr er mit der Spitze der Waffe über den Mund des Mannes. “Ich denke, er ist am meisten interessiert an eurer Zunge. Daher werden wir sie dir lassen müssen.” Dem Mann stockte der Atem als Milian die Klinge weiter, langsam über sein Gesicht führte und fast sanft seine Ohrmuschel entlang fuhr: “Auch eure Ohren… nun ja, ihr müsst ja seine Fragen verstehen.” Dann tippte er dem Mann mit der Klinge auf die Nase: “Eure Nase hingegen….” Kalkweiß war der Unhold mittlerweile angelaufen: “Ach.. immerhin sind es hohe Herrschaften, ihnen soll ja bei eurem Anblick nicht schlecht werden.” Als Milian den Dolch langsam senkte, spürte der Wirt das langsame Aufatmen seines Gegenübers, wartete noch einen kurzen Moment, in dem er den Griff lockerte und sein Gewicht verlagerte, dann ließ er den Dolch unerwartet schnell nach unten sausen.

Der Mann heulte schrill auf, als die Spitze seiner eigenen Waffe schmerzhaft in sein Fleisch eindrang. Nicht tief. Nur einen winzigen Hauch. Dies genügte. Zumindest an der Stelle, die Milian sich ausgesucht hatte.

Milians Lippen näherten sich dem Ohr des anderens-seine kalte Stimme auch nur ein Hauch, nur für den anderen bestimmt: “Doch, ich bin mir sehr sicher, dass der Herzog keinerlei Interesse an diesem Körperteil hat. Und wenn - nun dann ist es mir auch herzlich egal. Es ist wohl besser für die Nordmarken und das Kaiserreich, wenn jemand wie Ihr, werter Herr, sich weder fortpflanzt, noch in anderer Weise Verwendung für seine Triebe hat.”

Angstvoll quiekte es unter Milian, doch der schwere Leib des Wirts erlaubte es dem Verängstigten nicht, sich zu bewegen.

“Eine solche Verletzung überleben nicht viele. Aber du hast Glück. Wir haben zum einen magische Hilfe dabei, und außerdem gehört unserer Familie ein Gestüt. Wie man aus einem Hengst einen Wallach macht, wissen wir also alle. Besonders Ira dort.” er deutete auf die Plötzbogen: “Sie ist übrigens die Schwägerin der Frau, die du gefoltert hast, und hat leider einen Hang zur Rachsucht.” er machte eine kleine Pause: “Rache ist wirklich etwas feines, aber wir möchten den Herzog ja auch nicht verärgern. Und dich …. töten.”

Nun war nur noch ein Schluchzen zu hören, während Milian die Klinge nur eine Wimpernbreite nach vorne schob, was die erbärmlichen Laute des Anderen erneut in die höchsten Tonlagen verschob, während Milian ihm weiter ins Ohr flüsterte:

“… Wenn du also WIRKLICH glaubst, nur weil wir dich nicht töten können, wäre das Glück auf deiner Seite. Nun, dann.” Mit einem großen Schritt ließ er Dolcharm und Körper zurückgleiten und ein wimmerndes Häufchen Elend zu seinen Füßen zurück, zu dem er - nun wieder so laut sprach, dass es auch Ira und Lupius verstehen konnten: “Also. Du bleibst da sitzen, und rührst dich keine Handbreit. Es sei denn, wir befehlen es dir.” Dann drehte er sich zu Ira um und legte ihr den Dolch in die freie Hand: “Du weißt, was du zu tun hast, sollte er sich mucken.”

Der Mann sah nun furchtsam zwischen den dreien hin und her. Vor allem Ira funkelte er mit Augen voller Todesangst an. Er sagte nichts. Bewegte sich aber nicht mal um Haaresbreite. Nur sein empfindliches, vermeintlich von der Frau vor ihm bedrohtes Körperteil versuchte er mit seinen Händen zu schützen. Dann verharrte er fast reglos - Die Augen stets furchtsam auf Ira gerichtet.

Die besah sich das Messer genau und deutete ein paar Haltungen an, wie man sie auch im Kampf mit der Linkhand verwendete. “Hab schon mit schlimmeren Klingen Dämonen perforiert. Das wird schon gehen.” Ihr gefiel die neuerliche Tatsache, dass der Dreckskerl nun Respekt besaß. Trotzdem wünschte sie sich, er würde sein Schandmaul aufreißen und weiterhin überhebliche Reden schwingen, damit sie ihm zeigen konnte, dass Angst vor ihr zu haben nicht das Dümmste war. Und dass sie ausgebildet worden war, mit spitzen Klingen umzugehen!

Lupius hatte den Griff um seinen Schwertarm gelockert. Er wusste nicht, was Milian gesagt hatte, aber es hatte offensichtlich gereicht, den Mann in ein jammerndes Häuflein zu machen. Er runzelte die Stirn. Seine Wut war immer noch da, kochte auf hoher Flamme. Er schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Wandte sich um. Seine Schwester war noch umringt von den anderen. Er fürchtete sich davor, sie zu sehen. Vor dem Versagen. Wäre er nur gestern zuhause geblieben. Er hätte ihr Verschwinden eher bemerkt. Ihr womöglich Stunden der Qual erspart. Wie groß diese gewesen war, wollte er nicht genau wissen. Obwohl er wusste, dass er genau das tun musste. Sich dem stellen. Für seine kleine Schwester.

‘Frei zum Tod und frei im Tod: heilig der Nein-sager, wenn es nicht mehr Zeit zum Ja ist. Er versteht sich auf Tod und Leben.’

Imma indes spürte, wie sanfte Hände über ihren Körper strichen, ihre Schmerzen langsam schwächer wurden. Seelenvolle Ruhe sie umfing. So war es also zu sterben. Die Luft roch nach etwas… Gerüche…. leise Geräusche… Iras Stimme… Lupius Wut…. Elvans beruhigende Worte…. Milians leise Anweisungen… und Helswin. Seine Stimme drang in sie ein. Sie spürte, dass es seine Hände waren, die über ihren Körper strichen, konnte noch nicht zuordnen, was diese Hände taten, aber es war angenehm. Wie auch nicht? Alles, was sie jemals mit ihr getan hatten, war angenehm gewesen. Eine Träne rollte über ihre Wange, als die Brüche in ihrem Gesicht sich langsam schlossen. War es der Ort zwischen den Welten… Zwischen dem Sein und dem Tod… War dies das Sterben….

‘Nun werde ich sterben. Und meine Freunde sollen um meinetwillen Dere mehr lieben denn zuvor. So ich werde selbst zu Erde, dass ich wieder in der Ruhe liege, die mich einst gebar.’

Datrix incanctantis vis, lass deine Macht durch mich fließen, um diesen Leib zu heilen! Bis an meine Grenzen will ich gehen, bei Praios, um dieses Unrecht zu tilgen!

Nur langsam drang in Immas Bewusstsein, dass sie nicht im Begriff stand zu sterben. Ihre Wimpern - verklebt von Blut und Tränen - wehrten sich, als sie blinzelnd versuchte ihre Umwelt wahrzunehmen, noch war alles verschwommen. Doch sie erkannte Helswin an seinem Geruch und unverkennbar waren es seine Finger gewesen, die über ihren Leib gestrichen waren. Es war kein Traum gewesen. Ihr Gesicht schmerzte nicht mehr, nur ihr Handgelenk pochte noch und die unangenehmen Stiche in ihrer Seite waren auch nicht ganz verschwunden. Sie blickte zu Boden, ihr Blick fiel auf ihre Hände und Zehen. Die Wunden brannten nicht mehr so stark. Doch erinnerten sie die junge Frau an die vergangenen Stunden, Tränen traten ihr in die Augen. Ihr zu Boden gerichteter Blick strich über ihre nackte, zerschundene Brust, immer noch zierte ein blasser Handabdruck ihr empfindliche Haut. Aus den Augenwinkel nahm sie Elvan wahr, der seitlich von ihr kniete und ihre Hand hielt. Ihre andere Hand. Mit ebenfalls herausgerissenen Nägeln. Scham überkam sie. Vorsichtig entzog sie Elvan ihre Hand. Ihr Bruder und Milian waren da, sie erkannte ihre Stimmen. Und Ira. Ihre Schultern hoben sich zuckend, zunächst still, doch immer stärker wurde der Tränenfluss. Sie schlang die Arme um den Magus, bettete ihr Gesicht auf seiner weißen Robe und schmiegte sich schluchzend an ihn.

Wie selbstverständlich schlang Helswin beide Arme um sie, drückte Imma dankbar, aber vorsichtig an sich und strich tröstend über ihr verklebtes Haar. “Es ist vorbei, Elsterchen.” raunte er mit leiser Stimme ganz, ganz sanft, als wolle er die gerade Zurückgekehrte nicht mit lauten Tönen verschrecken. Bei den Zwölfen, wie froh war er gewesen, als sie die Augen öffnete. Und ihn einerseits erkannte, andererseits sich auch wieder soweit regen konnte, um sich ihm entgegen zu stürzen. Seine Sorgen - groß und mächtig - waren nun kleiner, wesentlich kleiner, und das Gefühl, mit seinem Weben dem zerfaserten Netz ihres für diese Sphäre nicht minder wichtigen Körpers wieder eine gewisse Stabilität gegeben zu haben, war erbauend. Er konnte die elektrisierende Madamacht, die zuerst ihn und dann sie durchflossen hatte, noch fühlen. Ein Nachklang seiner Anstrengungen. Wie jener feine Tropfen Blut, der Helswin aus der Nase sickerte. Die Erschöpfung in sich ignorierend, hielt der Plötzbogen die Frau, die ihm auf irgendeine seltsame Weise mehr bedeutete, als er bisher angenommen hatte, im Arm und dankte den Göttern, dass sie alle noch rechtzeitig gekommen waren.

Imma schien nicht vorzuhaben sich in irgendeiner Weise von Helswin zu lösen. Ihre Hände klammerten sich in seine Robe. Er spürte ihren fingernägellosen Griff in seinem Rücken. Und ihr verzweifeltes Schluchzen an seiner Brust, das nicht nachzulassen schien.

“Ich bring dich hier weg. Du musst nicht länger hier sein. Es ist vorbei.” flüsterte er ihr zu, seine Lippen ganz nah an ihrem Ohr. Er musste den Impuls, Imma dabei zu küssen, unterdrücken. Es fiel ihm nicht leicht, aber er verschob die Liebkosung. Ein andermal würde wesentlich mehr Zeit sein dafür.

Innere Erleichterung überkam Elvan, als er sah, dass die Magie ihre Arbeit tat. Imma war gerettet, da war er sich sicher. Er betrachtete die beiden und war froh, dass der Magus Helswin es war, der Imma von der Schwelle des Todes holte. So oft hatte er seinen Namen von Imma gehört, doch beide schienen nicht aufeinander zuzugehen. Hier in diesem Moment war sich Elvan sicher, dass beide das gleiche fühlten.

Als nächstes fasste der Magier mit einer Hand an seinen Gürtel und drückte eine kleine Phiole mit rötlicher Flüssigkeit aus einer der ledernen Ösen: “Imma, Elsterchen, sieh mich an! Ich habe noch einen Heiltrank und ich möchte, dass du ihn nimmst. Er schmeckt genau genommen furchtbar, doch bis nach Elenvina, wo wir dich in die Obhut von gelernten Heilern geben können, ist es ein gutes Stück. Er wird dir bis dahin noch etwas mehr Linderung verschaffen. Aber du musst aufhören zu weinen und ihn trinken, und du musst ihn bis zum letzten Tropfen trinken, obwohl er - wie gesagt - grässlich schmeckt. Hörst du?” Liebevoll fuhr er ihr erneut übers Haar und sanft über den geschundenen Rücken. Er hoffte, dass seine Worte durchdrangen. Helswin wusste ansonsten nicht recht, wie er ihn der Schellenberg sonst einflößen sollte. Sie musste selbstständig trinken. Denn obgleich er selbst gerade alles gegeben hatte, ihre Verletzungen zu heilen, so wusste er um das Wenige, das er zu heilen vermochte und das Viele, das noch notwendig war, um Imma wieder gänzlich auf die Beine zu helfen. Er tauschte eine ernsten Blick mit Elvan. “Ist eure Anverwandte, die Doctora in der Stadt? Wir brauchen sie.”

Mit gewissenhaften und selbstbewussten Blick erwiderte er Helswins. “Ja, meine Mutter die Doctora ist da, ich kann euch sofort zu ihr führen!” Er erhob sich, schaute sich aber im Raum um, ob es etwas gab das Imma oder den Schurken gehörte.

Imma hatte ihre Finger immer noch in Helswins Robe vergraben. Als er sie zwang zu ihm nach oben zu schauen, sah er ihren benommenen Blick, fern jeder Wirklichkeit. Als hätte sie sich in eine andere Welt geflüchtet, mit ihm als einzigem Anker für das Hier und Jetzt. Die Blässe war immer noch so deutlich um ihre Nase ausgeprägt, dass sie fast wie tot wirkte - nur dass ihre Augen vor Feuchtigkeit so leuchtend lebendig schienen, dass das Grün funkelte wie ein blankpolierter Saphir. Ihre Atmung war kaum zu hören, doch der Magus spürte ihre sich schnell hebenden Brüste an der seinen. Ihr Atem raste, auch wenn er schwach war. Raste voller Panik und Furcht.

Die kleinen Phiolen waren gemacht dazu einhändig geöffnet zu werden, darum hatte Helswin auch keine Mühe, den Verschluss des Heiltranks abzubekommen. Sofort stieg ihm das Aroma wie das von zu lange benutzten Schuhen im heißen Praios in die Nase. Er selbst fand den Geruch schon ekelhaft, nur hatten gerade die Tränke dieser Qualitätsstufe eine effiziente Wirkung, die trotz des Schuhsohlengeruchs nicht von der Hand zu weisen war. Vorsichtig führte der Magus die Öffnung an Immas Lippen. Helswin lächelte sie dabei an. In seinem Blick lag mehr als nur Wohlwollen. “Trink das, Elsterchen. Zwei Schlucke. Mehr sind’s nicht. Vielleicht drei. Dann geht es dir besser.” sagte er und kippte die Phiole langsam in Immas Mund, während er sie mit dem anderen Arm fest hielt, um ihr Halt zu geben.

Imma wimmerte, während sie schluckte. Ihre Hände verkrampften sich noch mehr in seinem Kreuz und Helswin spürte ihren panischer werdenden Herzschlag, der sich erst wieder beruhigte als er die leere Phiole sinken ließ und sich seine Freundin wieder tiefer an ihn presste. Als wolle sie in ihn hineinkriechen, weil seine Arme für sie gerade der einzige sichere Ort waren. Und kaum lag sie wieder von ihm umschlungen an ihn gedrückt, verschwand auch das dumpfe Pochen in ihrem Handgelenk und ihrer Brust. Nur ihr Kopf fühlte sich weiterhin matt an. Als sei sie dabei aus einem Albtraum aufzuwachen, dieser Moment am Rande des Schlafens, an dem man nicht die Augen öffnen will, weil man sich fürchtet, dass alles doch kein Traum war.

“Gut gemacht. Ich bin stolz auf dich, Elsterchen,” raunte er ihr lobend zu, während er die leere Phiole fallenließ, um Imma einen weiteren Moment an sich zu drücken. Der Trank würde gleich seine volle Wirkung entfalten und ihr etwas mehr an Kraft geben. “Iradora, gib uns deinen Mantel!” warf der Magus in den Raum, ohne sich umzusehen. Es sollte gleichzeitig das Zeichen für die anderen sein, den Aufbruch einzuleiten.

Milian folgte Lupius, der Richtung Tür gegangen war und von dort Helswin und Imma beobachtete. “Ira, du schaffst das mit diesem Scheusal da?” fragte er die Frau seines besten Freundes, er selbst hatte gerade die Fesseln um die Handgelenke des Mannes nachgezogen: “Dein Onkel kümmert sich um Imma, Lupius und ich, werden die anderen holen. Wir treffen uns bei den Pferden, in Ordnung?”

Ira nickte Milian zu, dreht dann wieder den Kopf zu ihrem ‘Schützling’ und sah das furchtsame Würstchen auffordernd an. “Du hast es gehört, wir brechen auf, Arschloch! Kurz noch etwas für dich zum hinter die Ohren schreiben, weil ich nicht will, dass wir unterwegs, hm... in Streit geraten oder so... und ich dich dann leider töten muss: Ich hab keine Scheu davor, Dreckskerlen wie dir Löcher in den Körper zu stanzen. Ich war in den Schwarzen Lande. Zwei Mal. Und ich war schon mal tot. Mich schockiert so schnell nichts mehr. Kapiert?”

Ängstlich griff sich der Mann beim Aufstehen zwischen die Beine.

Während sie ihre Worte verhallen ließ, kam sie der Aufforderung Helswins nach, zog ihren Mantel aus und warf ihn ihrem Onkel und Imma hin. “Los jetzt, steh auf. Wir gehn. Und immer schön friedlich bleiben, dann passiert keinem etwas, deinem Schwanz am allerwenigsten.” Zwei Klingen blieben weiterhin eisern auf den Folterer ausgerichtet. Nur deutete nun Iras Schwertspitze von hinten auf die Kehle des Mannes, während sie den Dolch nach wie vor als Linkhand führte und mit diesem auf eher tiefere Regionen seines Körpers zielte.

Lupius warf einen Blick auf seine Schwester, die schluchzend an dem verdammten Magus hing. Und er spürte ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber dem Mann. Er hatte Imma berühren wollen, sie in den Arm nehmen, aber bei der Berührung hatte sie aufgeschrien und sich nur noch tiefer in die Umarmung des anderen gedrückt. Eifersucht. Das war das andere Gefühl, das vorherrschte und das er niederkämpfte. Denn es ging hier um Imma. Und nicht um ihn. Er wandte sich an Helswin: “Wohlgelehrter Herr, könnt ihr meine Schwester wohlbehalten zu unseren Pferden bringen? Oder benötigt ihr Hilfe? Mein Vetter und ich, würden uns … den Halunken annehmen.”

“Wir kommen klar” gab dieser von sich, ohne von Imma aufzusehen, um die er gerade den warmen Reitermantel der Ritterin wickelte.

“Elvan.” wandte Lupius sich schluckend an den vierten Mann im Raum: “Begleitet ihr Milian und mich? Wir könnten noch ein Paar Hände gebrauchen.”

“Wenn das der selbe Weg ist, um Imma zu meiner Mutter, der Doctora Maura von Altenberg zu bringen, sehr gerne!” Noch immer blass von den Ereignissen, war er jetzt aber sehr gefasst und beruhigt.

“Je schneller wir alle wieder bei den Pferden sind, desto schneller sind wir auch wieder in der Stadt.”

Der Weg zurück

Endlich waren sie alle bei den Pferden angekommen. Ira war der Weg von der Hütte bis aus dem kleinen Wäldchen elendig lange vorgekommen. Nun konnte sie ihren Gefangenen abgeben, den sie vor sich her scheuchte - während hinter ihr ihr Onkel die kraftlose Imma auf dem Arm durch das Unterholz trug. Sie bugsierte den Mann mit der Spitze des Dolches auf Lupius zu. Denn eigentlich war das hier sein Auftrag gewesen. “He, Herr Oberst, ich hab hier etwas, das dringend in eine schimmlige Zelle unter der Eilenwïd gehört.”

Milian schnürte gerade zwei gefesselte Männer auf sein Pferd, neben dem eine wütend funkelnde Söldnerin stand, die von Elvan mit einer Waffe in Schach gehalten wurde. Man hatte ihr einen ihrer leise stöhnenden Kameraden auf die Schultern gehievt und das liess sie zornig schnauben. “Murr nicht, das alles hast du dir selber zuzuschreiben.” sagte Milian munterer als er sich fühlte.

Neben Lupius lag, ebenfalls verschnürt, ein weiteres zappelndes Menschenpaket. An Händen und Füßen gefesselt. Mit einem Knebel im Mund.

Mit bangem Blick taxierte der Schellenberg den Magus, der seine Schwester trug: “Sie wird nicht reiten können.” es klang nicht wie eine Frage, dennoch ließ er seinen Blick auf Helswin ruhen.

Imma klammerte sich immer noch an die Robe des Magus. Das schlichte und geplättete Weiss war mittlerweile zerknittert und mit roten Fingerabdrücken übersät, überall dort wo Imma sich festgeklammert hatte. Ihr Gesicht ruhte träge auf Helswins Schulter und er spürte ihren ruhigen Atem an seiner Kehle. Jedesmal wenn er das Gewicht verlagert hatte, um sie besser tragen zu können, hatte sich ihre Atemfrequenz erhöht und ihr Griff war panischer geworden. Dann hatte es wieder eine ganze Weile gedauert ehe ihr leises Wimmern einem sanften Atemhauch gewichen war.

Lupius räusperte sich. “Milian, Ira und ich, wir kümmern uns um die Gefangenen.” es fiel ihm sichtlich schwer, das folgende zu sagen. “Elvan und …. den wohlgelehrten Herr, möchte ich bitten, Imma so schnell es geht nach Hause zu bringen. Und einen Heiler zu rufen.”

“Nichts anderes habe ich vor.” entgegnete Helswin und trat auf sein Reittier zu, dessen Zügel immer noch das von Milian beauftragte Mädchen hielt, welches noch bei den Pferden wartete, als sie aus dem Wald zurückgekehrt waren.

Milian übergab Lidda, wie er das Mädchen nannte, die Zügel seines Hengstes und griff dann nach dem verschnürten Mann auf dem Boden. Ohne große Probleme hievte er ihn unsanft über den Sattel von Immas Stute. “Ich nehme sie und Lidda wird mein Pferd führen. Sie da kann alleine laufen. Nicht wahr.” er grinste die große, gefesselte Frau an, die aussah als würde sie ihn jeden Moment anfauchen.

Lupius wendete sich an seine Gattin: “Ira, kannst du die Nachhut bilden und ein Auge auf sie haben?”

“Natürlich!.” entgegnete diese ihm fast ein wenig empört. Na, er konnte Fragen stellen...

Milian machte sich daran, den letzten der Gefangenen zu verschnüren. Der Folterer selbst machte keine Anstalten sich zu wehren, schaute nur immer wieder ängstlich zu Ira hinüber. Noch weniger sanft als seine Kumpane warf der Rickenbach ihn über den Rücken von Lupius Pferd.

Imma mit dem Magier aufs Pferd zu bugsieren war weitaus schwieriger. Sobald Lupius’ kleine Schwester nämlich das Gefühl hatte, jemand oder etwas wolle sie von Helswin trennen, begann sie zu wimmern und klammerte sich mit aller Kraft an ihn.

Es tat Lupius weh, sie so zu sehen. Warum nur sie? Sie, die sich nicht wehren konnte. Und warum er? Was hatte sie nur an ihm gefressen? Oder war es nur ein Zufall, weil er der erste war, der bei ihr gewesen war?

Aber um beide - Helswin und Imma - aufs Pferd zu bekommen, war es nicht anders gegangen: Mit aller Kraft hatten sie Imma vom Magus - oder wohl er ihn von ihr - befreit und sie, nachdem er aufgestiegen war, vor ihn aufs Pferd gesetzt. Imma hatte sich sofort wieder in ihn vergraben.

Der Flussgardist warf dem Magus einen argwöhnischen Blick zu. Imma und dieser Kerl. Eine furchtbare Vorstellung, die er gar nicht mehr aus dem Kopf bekam. “Bringt sie nur rasch fort.”

“Ihr könnt euch auf uns verlassen, Wohlgeboren.” Mit einem “Keine Sorge” gab er seinem Schimmel das Kommando und preschte davon. Imma klammerte sich so fest an ihn, dass er keine Angst besaß, dass sie herunterfallen könnte. Trotzdem hielt er sie mit einem Arm umfasst, während er davon ausging, dass Elvan ihm folgte. Er würde mit dem Altenberg unterwegs klären, ob es besser war, Imma in sein Elternhaus bringen zu lassen und die Doctora dazuzuholen, oder gleich zu der Doctora zu bringen.

“Wenn wir direkt zu meiner Mutter reiten, können wir Imma schneller helfen. Aber wenn ihr denkt es ist eine bessere Idee sie zu euch zu holen, kann ich das machen, Helswin.” teilte er seine Gedanken, wirkte dabei besorgt aber entschlossen.

“Dann auf zu eurer Mutter. Reitet voraus! Ihr kennt den Weg.” gebot der Magus, bevor er sich an die Fracht in seinem Arm wandte. Er wusste nicht genau, was Imma von alledem mitbekam. “Elsterchen, halt durch, wir sind gleich bei der Doctora.”

Als die Pferde sich von ihnen entfernten, atmete der Gardist aus. Für einen kurzen Moment lehnte er seine Stirn gegen das weiche Fell seines Tieres. Was ein Scheißtag. Ein wirklich echter Scheißlntag! Sobald eine Sorge weniger ihn beschäftigte, legte Lupius seine Oberbekleidung ab. Sein imposanter Oberkörper war im schwächer werdenden Sonnenlicht des ausklingenden Tages deutlicher zu sehen als es nachts der Fall gewesen war. Die Stränge seiner Bauchmuskeln waren deutlich ausgeprägt und sanfter Haarwuchs wanderte von seinem Nabel in seine Hose. Seine Brust war ebenfalls sanft behaart, aber breiter als seine Taille. Und sie ging in zwei kräftige Oberarme über, die ihrerseits ebenfalls eine kräftig ausgeprägte Muskulatur auszeichnete. Auf seinem Rücken sah man, während sich der Gardist das Obergewand seiner Uniform überzog, noch das Netz aus langgezogenen verblassenden Narben, das ihm aus seiner Knappenzeit geblieben war - Und ein paar frische rosig-feine Striemen, die nur von Fingern stammen konnten.

Ira überkam die Erinnerung an die letzte Nacht, die sie in den letzten Stunden verdrängt hatte, als es darum gegangen war, Imma aus der Gewalt dieser Leute zu befreien. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht. Bis eben. Interessiert und angewidert zugleich glitt ihr Blick über den Körper des Mannes, der sich zwischen ihren Schenkeln mit ihr gemeinsam vergnügt hatte, bevor sie sich verstört abwandte und sich ihr vielfach erregte Gemüt an der gefesselten Frau entlud, indem sie diese rüde zurechtwies, was dieser nur einfiel, Lupius so dämlich anzuglotzen.

Milian grinste, während Lupius die Szene nicht mitbekam, da er gerade in diesem Moment seinen Wappenrock überstreifte. Doch das kurze Aufflammen von Amüsement ließ der blonde Immanspieler sofort fallen: “Es bleibt nur noch….” er deutete auf das letzte Bündel am Wegesrand. Das unbewegliche. Feuchte Spuren am Untergewand zeugten von der letzten Tat des toten Körpers.

“Warum muss ICH ihn denn jetzt nehmen?” brummte Ira motzig, noch schlecht gelaunt wegen der Bilder von sich und Lupius im Kopf. Weil sie die Antwort natürlich schon kannte, schritt sie auch gleich fauchend zur Tat, den Toten auf Pirmins Rücken zu hieven. Der Wallach zeigte sein Missfallen deutlich und schnaubte nicht nur, sondern machte ein paar Schritte zur Seite. “Mann, jetzt stell dich nicht so an,” schimpfte sie das Tier. Wohl aber eher sich selbst.

“Bereit?” fragte Lupius seine beiden verbliebenen Gefährten, nachdem er sich das Obergewand und den Wappenrock der Flussgarde angezogen hatte, und aufgestiegen war.

“Ja!” antwortete sein Vetter. Dann schwang sich Milian auf Immas Stute, wobei das Bündel Mensch vor ihm ihn in keinster Weise zu behindern schien. “Lidda, wird es gehen?” Doch das Mädchen nickte nur resolut und schweigsam und trottete folgsam hinter Milian her, als der im Schritttempo hinter Lupius herritt.

Postübergabe

Es dauerte eine ganze Weile bis die Vier mit ihren Gefangenen durch das Stadttor Elenvinas ritten. Die Torwache ließ sie wie selbstverständlich passieren, und im Schritt folgten sie der Hauptstraße bis zur Eilenwid.

Um sich selbst davon abzulenken, dass sie eine versiffte Leiche mit sich trug, hatte sie sich darauf konzentriert, die Gefangene zu beobachten. Es war etwas anderes zu töten und die Leichen liegen zu lassen, so wie sie es während des Feldzugs in den schwarzen Landen gelernt hatte. Es war auch etwas anderes, einen Gegner mit einem Kopfschuss zu töten statt ihm die Klinge zwischen die Rippen zu rammen. Und Ira stellte fest, dass ihr letzteres mehr behagte, weil es ehrlicher, persönlicher war. Dennoch: es zeigte der Schuss ihres Onkels doch sehr lehrreich, wie nützlich dieses Können im Zusammenspiel mit dem richtigen Zauber sein konnte. Mit Lupius wollte sie so ein Thema lieber nicht erörtern - der hatte wohl etwas gegen Magie. Oder bezog sich seine Abneigung auf ihren Onkel, weil dieser mit Imma verkehrte? Irgendwann wollte sie ihren Gatten mal fragen. Aber erst einmal mussten sie diese Drecksäcke loswerden. Und dann hatte sie vor einen über den Durst zu trinken - vielleicht verschwanden dann ja die Bilder in ihrem Kopf.

Lupius und Milian schwiegen, ebenso wie Lidda, die Milians Hengst problemlos am Zügel führen konnte. Einige Elenviner Bürger schauten dem ungewöhnlichen Zug interessiert entgegen oder hinterher, doch der Wappenrock des Weibels war selbsterklärend. Getuschel würde es geben, aber so vermutlich weniger als wenn er in zivil gewesen wäre. Als sie in den Burghof der Eilenwid einritten, begegneten ihnen ähnliche Blicke, und es dauerte nicht lange und Alfons schnelle Schritte eilten ihnen über den Hof entgegen. Während Milian erst Ira von ihrer Last befreite und dann die Gefangenen von seinem und Immas Pferd, saß Lupius genau neben Alfons ab. “Die Götter zum Gruße. Wir überbringen euch eure Gefangenen.”

“Ihr habt alle am Leben gelassen?” fragte Alfons überrascht, was zu einem kurzen Zucken in Lupius Gesicht führte: “Soweit es uns möglich war. Leider gab es eine …. nicht zu vermeidende Ausnahme.”

Alfons Blick richtete sich auf das Paket, das Milian von Pirmin gehoben und auf den Boden geworfen hatte.

“Wir hielten es für das beste, die Ausnahme mitzubringen. Immerhin wäre es nicht sehr… diskret… sie dort zu lassen.” Dann zog er seinen eigenen Gefangenen mit einem wenig umsichtigen Ruck vom Rücken seines eisensteiner Riesen. “Mit diesem solltet ihr beginnen, wenn ihr Fragen habt.”

Alfons nickte und richtete den Blick wieder auf Lupius, während er einige der Wachen herbei winkte: “Ich sehe eure Schwester nicht.”

“Der Onkel meiner Gattin und der Herr von Altenberg sind mit ihr auf dem Weg zu einem Heiler.”

“Dann lebt sie? Das freut mich zu hören.”

“Ja, sie lebt. Das ist aber auch alles.” sagte der Gardist kalt. Es zog ihn zu ihr. Er wollte bei ihr sein. Sie beschützen, sehen, wie es ihr ging. “Verlangt ihr einen weiteren Bericht? Schriftlich?” Zynisch klang die Stimme des jungen Mannes: “Immerhin war es ja eine…. Familienangelegenheit.”

“Die wir selbstverständlich dokumentieren möchten. Immerhin hat sie zum Ergreifen einiger gesuchter Verbrecher geführt.”

Lupius hob eine Braue. So würden sie es also nennen.

“Nehmt eure Frau, geht zu eurer Schwester. Und, Weibel..”

“Ja.”

“Nehmt euch ein paar freie Tage. Kümmert euch um eure Schwester. Sie soll sobald möglich wieder ihren Dienst antreten können.”

Er zögerte kurz: “Ich weiß nicht, …, wie schnell das sein wird, wenn ich ehrlich bin.”

Alfons nickte. So schlimm also. Das hatte er befürchtet. “Ich habe bereits vor einiger Zeit nach einem Geweihten des Boron schicken lassen. Ihr wart lange fort und ich dachte so oder so wäre er bei eurer Rückkehr von Nutzen. Sobald er eintrifft, werde ich ihn zu euch schicken. Und die Rechnung der Doctora - lasst sie doch bitte auf die Eilenwid schicken.”

“Das wäre nicht nötig gewesen und das mit der Rechnung ist es ebensowenig.” erwiderte Lupius kalt: “Wir können uns selbst um unsere... Familienangelegenheiten kümmern.”

Alfons grinste schief und nickte, dann deutete er auf die Gefangenen, die neben Ira und Milian lagen. Zu den herbeieilenden Wachen sagte er knapp: “Diese dort müssen eingesperrt werden. Sorgt dafür- und diesen hier.” Er stieß den Mann neben Lupius einer Wachfrau unsanft in die Arme. “Bringt ihn in meine …. Arbeitsstube.” Dann winkte er kurz mit der Hand, damit Ira und Milian näher kämen:

Wer auch immer der Kerl war, er besaß Macht. Oder zumindest eine nicht unwichtige Position bei Hofe. Kennen tat Ira den seltsamen Kauz nicht. Aber die Eilenwïd war auch - bisher - kein Ort gewesen, an dem sie viel gewesen war. Eigentlich noch gar nicht zuvor, fiel es ihr auf.

“So, der Herr von Rickenbach. Sehr erfreut, euch persönlich kennen zu lernen, nachdem ich schon so viel von euch gehört habe.” Milian wirkte erstaunlich desinteressiert als er schlagfertig antwortete: “Ich freue mich, dass meine Taverne und mein Schlagarm einen so guten Ruf in eurem Umfeld genießen.” Alfons grinste den anderen spitzbübisch an. Beiden war klar, dass etwas gänzlich anderes gemeint war, ließen es sich aber nicht anmerken. “Das ist wahr.” Dann wandte er sich Ira zu. “Und dies ist wohl die werte Gattin? Ich bin hocherfreut, hohe Dame von Plötzbogen”

“Äh ja, ich auch. Nur, verzeiht, ich äh, weiß nicht, wie ich euch ansprechen darf….”

“Verzeiht. Wie konnte ich das vergessen. Alfons. Ist mein Name. Einfach nur Alfons.”

Einfach nur Alfons??

“Ich hatte bereits das Vergnügen mit eurem Gatten, eurer Schwägerin und eurem Onkel zusammenzuarbeiten. Und -natürlich- mit eurem werten Großvater.” Er musterte sie eingehend. “Habt ihr noch Fragen? Ich denke es zieht euch zur lieben Imma, wie es mich in meine… Amststube zieht.”

Lupius nickte. “Ja, so ist es wohl.”

Milian sagte nichts, sondern sah den Mann nur durchdringend an. Äußerst interessant.

“Fragen? Öhm,...im Moment… Nein.” Doch, eigentlich schon. Wer waren die Kerle, warum mussten sie alle am Leben lassen, warum hatten sie ausgerechnet Imma entführt, wem diente Alfons wirklich,... Um nur einige der Fragen aufzuführen, die in Iras Kopf herumspukten. “Oder doch, eine schon.” Die Neugier gewann Oberhand. “Werden wir über die näheren Umstände dieser...ähm...Sache… irgendwann Bescheid bekommen?” Oh Plötze, du dämliche Kuh, das werden die dir doch nicht sagen. Trotzdem, einen Versuch war es wert.

Eine Braue des Mannes flog kurz ungläubig in die Höhe, bevor er sein Gesicht wieder gänzlich im Griff hatte: “Denkt über folgenden Sachverhalt nach: Wäre eure Schwägerin mitteilsamer bezüglich der näheren Umstände gewesen, wäre sie nun ziemlich sicher tot.” Damit wandte er sich ab und nickte Milian zu. Der folgte Alfons ein paar Schritt in Richtung des Eingangs, wo sie sich einen Moment angeregt unterhielten.

Lupius trat auf Ira zu. Er sah müde aus. Abgekämpft. Wollte Ira in den Arm nehmen. Einen Moment verschnaufen. Während er seine Nase in ihr Haar graben konnte. Und an gestern denken konnte. An die Nacht. Er war betrunken gewesen, aber wesentlich weniger als es Ira gewesen war. Und nun war es fast erneut Nacht. Und er würde sie nicht so verbringen wie gestern.

Die blickte ratlos Milian und Alfons nach und wirkte unbefriedigt. Dass sie sich ärgerte könnte Lupius ihr ansehen, das war zum einen nicht schwer, zum anderen kannte er manche Regungen an ihr schon. Gerade ärgerte sie sich nicht nur über sich selbst, sondern über alles. Trotz ihres ungebrochenen Trotzes gegenüber der subjektiv empfundenen Ungerechtigkeit, sah die Plötzbogen ebenfalls müde aus. Schweiß klebte an ihren Schläfen. Ihr Haar war leicht zerzaust, weil der Knoten im Nacken, der ihre Mähne bändigte, nicht mehr richtig saß. “Was hat denn jetzt Milian mit diesem Kerl zu schaffen?” wollte sie grummelig wissen, als Lupius zu ihr trat.

Lupius zuckte mit den Achseln. Er konnte sich grob denken, was Milian wollte. Und er fand es nicht gut. “Das werden wir gleich sehen.”

Nach kurzer Zeit - Alfons verschwand in der Burg - kehrte Milian mit einem matten Grinsen zu den beiden Verwandten zurück.

“Sag mal bin ich hier eigentlich die einzige, die diesen Alfons noch nicht gekannt hat?” empfing Ira den Rickenbacher entsprechend brummig.

“Dein Onkel und Imma hatten bereits das Vergnügen” brummte Lupius. “Als du im Osten warst.”

Bei Lupius’ unnötiger Erklärung verdrehte seine Frau die Augen. Männer! Genau das meinte sie doch eben: Jeder hier kannte Alfons, nur sie nicht.

“Ich kannte ihn nur von Lupius’ Hasstiraden.” grinste Milian.

“Scheint dich nicht zu stören, dich mit ihm zu verbünden.” blaffte ihn Lupius an. “Wieviel hast du ihm abgeluchst?”

Milian setzte eine gespielt unschuldige Miene auf.

“Ich bin nicht begeistert.”

“Was meinst du? Deine idiotische Weigerung das Geld des Herzogs anzunehmen.“

”Ja, genau das meinte ich.”

“Es ist genug, um Iras Onkel zu bezahlen, den Heiler und… was Imma auch immer noch brauchen wird.”

Lupius zog erbost die Brauen zusammen. Würde dieser Drecksmagus etwa auch noch Geld verlangen? Er ballte die Fäuste und sah fragend Ira an.

“Oh nein, ihr regelt das unter euch! Lasst mich da raus” gab sie ihm als Antwort und deutete mit dem Zeigefinger zwischen den beiden ungleichen Vetter hin und her.

“Lasst uns gehen.” wütend stapfte Lupius zu seinem Pferd.

Ira folgte ihm auf den Fuß und zog sich auf Pirmins Rücken. “Ja, irgendwohin, wo es entweder etwas gescheites zu trinken, zu essen oder ein ordentliches Bad gibt. Idealerweise alles - Vorschläge, die Herren?”

“Ich will erst nach Imma sehen.” brummte ihr Ehegatte.

Kurz wollte sie etwas sagen, aber sie ließ es. Sie hatten ja ausgemacht nicht mehr zu streiten.

“Ich werde ins Nest gehen. Hab da noch was zu erledigen.”

Lupius Augen verengten sich zu Schlitzen. “Ja, das dachte ich mir.”

“Ich weiß, was du vorhattest. Sei nicht sauer, weil ich dir etwas verdorben habe, was ohnehin nicht dir entsprochen hätte.” Milian schnalzte mit der Zunge, während er zu Lidda lief, die bei seinem Hengst und Immas Stute stand. Der Wirt übernahm die Zügel beider Pferde und sprach währenddessen leise mit dem Kind, das nickte und sich dann in Richtung Tor entfernte. “Bis später.” rief Milian, schwang sich auf seinen Hengst und drückte seine Fersen in die weiche Seite des Tieres während er Immas Stute neben sich herführte. “Bis später. Kommt vorbei, wenn du dich wieder eingekriegt hast.” rief der Rickenbacher seinem Vetter zu. Er dachte bei sich, dass es Imma nicht mitbekommen würde, wenn sie alle an ihrem Bett säßen. Und es die Heiler vermutlich nur behindern würde. Aber zum einen würde sich sein Freund nicht davon abbringen lassen, zum anderen würde er es sich nie verzeihen, sie allein gelassen zu haben. Allerdings galt das nicht für Milian selbst. Er würde etwas anderes in dieser Angelegenheit erledigen. Als er durch das Tor ritt, zog er einen Mundwinkel nach oben. Niemand legte sich mit seiner Familie an, ohne richtigen Ärger zu bekommen.

“Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn ich auch noch zu Imma mitkomme. Ich denke, sie braucht jetzt erstmal Ruhe. In Sicherheit ist sie ja jetzt,” überlegte Ira laut, aber sie hatte das Gefühl, dass sie Lupius wohl nicht umstimmen können würde. “….und ich brauche jetzt erstmal was in den Magen! Und dann ein Bad!” Entschied Ira, und wartete kurz, ob ihr Gatte sich vielleicht nicht doch anschließend wollte.

Lupius nickte. “Ich… will mich zumindest vergewissern, dass es ihr gut geht. Vielleicht…” stößt sie mich ja diesmal nicht weg. Oder der Magus hat sich aus dem Staub gemacht. Der Mann war so… innerlich seufzte er. “Unser Zuber ist ohnehin zu klein für zwei.” Eine Sache, die ihn unter anderen Umständen ärgern würde. “Aber falls du magst, können wir nach Imma sehen und danach nacheinander baden. Ich hätte nichts dagegen, wenn mir jemand die Muskel lockern würde, während ich im Zuber liege. Und ich würde dir dasselbe anbieten.”

“Ähm...Mal sehen.” antwortete sie schnell, weil sie keine andere Antwort in dem Moment wusste und der Gedanke, sich von ihrem Mann berühren zu lassen, ihn zu berühren, sich in ihr mit den merkwürdigsten Ideen und Gefühlen mischte. “Ich, öhm, reite mal zum Hof raus. Das Wasser muss ja auch erstmal warm gemacht werden...und so… Also bis später.” Diesmal wartete sie keine Antworten ab, sondern ritt in einem leichten Galopp los.

Lupius selbst warf noch einen letzten Blick in den Hof, wo die Gefangenen gerade registriert wurden, bevor man sie ins Gefängnis bringen würde. Sollten sie dort verrotten. Seine Gedanken wanderten zu seiner kleinen Schwester. Er würde zu ihr gehen, und zuhause dann ein Bad nehmen.


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