Bande und Bünde 1042 - Traumahilfe

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Eingebeten

Der Brief mit dem herzöglichen Siegel, war kurz gehalten. Man bat ihn, auf die Eilenwid zu kommen. Man würde in Kürze dringlich Hilfe benötigen - Seelenheilkundlerischer Art.

Der Hüter des Raben faltete den Brief zusammen und verstaute ihn tief im Ärmel seiner Robe. Dann nickte er dem jungen Mann zu, der die Botschaft überbracht hatte und dem sichtlich unwohl war in Gegenwart des Schwarzberobten: ”Eilt voraus, ich komme gleich nach.” Als dieser sich umwandte, kniff er kurz die Augen zusammen und rieb sie mit den Fingern. Der Widerglanz des Praiosmals auf dem Pergament hatte ihm Schmerzen zugefügt. Er schob die Kapuze tiefer ins Gesicht und rief. ”Wartet! Führt mich erst zu einem Arzt.” Bevor er der `Einladung` Folge leisten konnte, brauchte er etwas gegen die Kopfschmerzen, die gleich einsetzten würden. Dann schob er seine Hände tief in den entgegensetzen Ärmel seiner Robe und folgte dem Boten.

Der junge Mann kannte nur eine Adresse, die auf dem Weg lag und führte den Boroni zum Haus der Doctora von Altenberg, wo er klopfte und sich dann neben die Tür stellte, um dem Baldurstolzer Platz zu machen.


Professionelle Hilfe

Elvan und Helswin ritten in schnellem Tempo in die Stadt.

Imma saß halb schräg vor dem Magus im Sattel, hatte ihm das Gesicht zugedreht und klammerte sich an ihn. Verbarg ihr Gesicht in seiner Robe, die nicht nur schmutzig wirkte, sondern auf der gesamten Rückenseite blutige Abdrücke aufwies - von Händen, die sich in sein Gewand gebohrt hatten. Er merkte, wie ihr Körper immer schwächer und entspannter wurde, als wäre es einzig sein Geruch, der sie beruhigte.

“Halt durch, Elsterchen,” raunte Helswin ihr immer wieder aufmunternd zu. Beim Haus der Doctora von Altenberg angekommen, schwang der Magus nur das Bein über den Pferdekopf und ließ sich mitsamt seinem menschlichen Bündel vom Pferderücken gleiten. Nach der Misere vorhin beim Aufsteigen würde er nicht noch einmal von Imma verlangen, dass ein anderer sie hielt. Der bevorstehenden Trennung blickte er daher mit Graus entgegen. Es tat ihm so leid, Imma leiden zu sehen. Sie hatte diese Qual nicht verdient. Niemand. Aber sie schon gleich gar nicht. Was nur weißt du, was Leute so grausam macht? “Wir sind bei der Doctora. Sie kann dir helfen. Deinen Schmerz lindern. Noch mehr. Sie ist eine gute Frau, vertrau ihr.” erklärte Helswin der Schellenberg, damit sie sich darauf einstellen konnte - falls dies überhaupt zu ihr durchdrang. Er streichelte ihr über den Rücken und deutete Elvan an, vorzugehen.

Elvan fackelte nicht lange und rann zum Haus. Er stieß die Tür zur kleinen Stube regelrecht auf und schrie. “Mutter, Mutter schnell, Imma ist verletzt und braucht Hilfe!” Der Raum war sauber und ordentlich eingerichtet. Es gab eine Sitzgruppe und zwei Liegestätten für Patienten. Zwei Schränke waren verschlossen und von der Decke hingen gebündelte Kräuter zum trocknen. Neben dem Fenster waren Regale voller Tiegelchen und Amphoren. Ein Divan war hinter einem seidenen Vorhang für die gehobenen Erkrankten. Die Luft war geschwängert mit Kräuterduft. In einer Wandnische stand ein kleines Figürchen, das die Heilergöttin Peraine darstellte. Mit ernstem Gesicht trat die Doctora aus der Küche in die Stube. Die schlanke Fünfzigerin hatte ihr blondes Haar streng zurückgebunden. Ihre blauen Augen waren wie immer mit Kohlenschminke betont und ließen ihren Blick tiefgründig wirken. Gekleidet war sie in einem hochwertigen, grünen Leinenkittel. “Elvan … was ist los?” fragte sie überrascht. Da kam aber auch schon Helswin mit Imma durch die Türe. Reaktionsschnell deutete sie auf den Divan.

Imma klammerte sich immernoch an Helswin. Der Geruch im Haus der Doctora war ihr fremd. Also krallte sich die wimmernde Schreiberin in die nicht mehr so blütenweiße Robe des Weißmagiers. Ihre Zähne klapperten leise und ängstlich waren ihre Augen aufgerissen. Es ging ein unangenehmer Geruch von ihr aus, nach Fäkalien und Blut. Das Kleid der jungen Frau war zerrissen, legte Teile ihres Körpers frei. Ihre üppigen Brüste quollen aus dem zerissenen Stoff. Sie auf die Polster zu legen war ein Ding der Unmöglichkeit, da sie sich weiterhin an Helswin festhielt. Und nichts würde sie daran hindern. Nur dort war es sicher. Nur in seinen Armen.

Also setzte sich der Plötzbogen, in dem Maura den jüngsten Sohn ihrer Freundin Perdia erkannte, kurzerhand einfach selbst auf den Divan. Er verlor keine Zeit. “Sie ist aufs grausamste misshandelt worden. Eine Folter. Ich habe sie mittels Balsam-Cantus zurück ins Leben geholt und ihr einen Heiltrank Qualität D eingeflößt.” Dass Immas Seele ebenfalls gelitten hatte, brauchte er niemandem hier erklären, ebenso, dass der Heiltrank sich nicht um alle Gebrechen hatte kümmern können. Helswin ging davon aus, dass man dies auch ohne Erklärung sah. Er streichelte stattdessen über das verkrustete Haar und fuhr fast zärtlich mit den Fingerspitzen die Stirn der Schellenberg nach. “Imma, du kannst mich jetzt loslassen. Du bist in Sicherheit. Ich bin und bleibe hier, falls du mich brauchst, ich werde deine Hand halten, versprochen. Aber wenn du mich weiterhin festhältst, kann die Doctora dir nicht helfen. Und dann wirst du weiterhin Schmerzen haben.” Versuchte Helswin auf Imma einzureden, um sie ablegen zu können. Es war notwendig. Nicht nur wegen seiner eingeschlafenen, kribbelnden Hand.

Es kostete ihn einige Mühe sich mit der Schreiberin auf dem Diwan niederzulassen. Es gelang ihm schließlich, indem er ihre Beine nach vorne zog und sie so wie zu einem kleinen Päckchen geschnürt auf seinen Schoß bettete. Imma wimmerte und schlang ihre Arme weiterhin fest um die Brust ihres Freundes. Sein Geruch war es, der sie beruhigte. Sie traute ihren Sinnen nicht mehr. Ihre Augen hatten ihr mitunter den Dienst versagt. Ihr Menschen gezeigt, die nicht dort gewesen waren. Nur ihre Nase war ihr immer treu gewesen. Daher wusste sie, dass Helswin echt war. Er musste es sein. Doch sie fürchtete auch, dass es nicht so war. Also verdrängte sie alle fremden Gerüche und drückte ihre Nase in seine Brust. Er roch nach seinem Schweiß, nach ihrem Blut, und nach Seife. Es war seine ganz individuelle Komposition von Aromen, die sie so sicher machte. Ihr Herz schlug immer noch bis zu ihrem Hals. Sie war so müde. Aber sie traute sich nicht die Augen zu schließen, traute sich nicht den Mann unter sich loszulassen. Zu sehr fürchtete sie, dass er doch nicht echt wäre. Und sie in Wahrheit noch immer in der Kate lag.

“Imma...Elsterchen,” seufzend versuchte Helswin ihr weiterhin gut zuzureden. Er merkte allerdings schnell, dass sein Einfühlungsvermögen keine Früchte trug und dass ihn das langsam, ganz langsam anfing zu zermürben. Er mochte die Schellenberg gern, jedenfalls gerner, als es ihm vor diesem Abenteuer bewusst gewesen war, und er konnte ihre Ängste durchaus verstehen, aber wenn sie sich weiterhin so eng an ihn klammerte, würde die Doctora sie nicht behandeln können. “Elsterchen, mein kluges, liebes und so wahnsinnig tapferes Elsterchen, du bist hier in Sicherheit. Ich da. Ich lasse dich nicht allein. Du hast mein Wort. Aber jetzt musst du dich entspannen und mir vertrauen, hörst du mich?” Mit der Zeit merkte man der Stimme des Plötzbogen an, dass dieser mehr und mehr an Geduld verlor. Tatsächlich spielte Helswin, der nur äußerst ungern die Kontrolle verlor, mit dem Gedanken, sich mittels Magie aus Immas Umklammerung zu lösen. Er verwarf diese interessante Möglichkeit jedoch bald wieder, weil er ebenso große Furcht um das Seelenheil seiner Freundin hatte und vor ihm sollte sie nun wirklich keine Angst haben. Ihr hatte man genug Grausamkeiten angetan.

Maura nickte verständig. Mit einem Blick erkannte sie nicht nur die schlimmen Verletzungen, sondern dass Imma in ihrem Seelenpein gefangen war. ´Das arme Täublein´. Sie drehte sich zu Elvan, der zusammen mit der jungen Graute aus der Küche mit dem Wasser kam. Graute war ihre neue Schülerin, die ihr ihr Schwager Vater Winrich von Altenberg-Sturmfels aus dem Traviatempel empfohlen hatte. “Elvan stelle das Wasser dort ab und besorg mir eine Leinen aus dem Schrank. Und du, Graute, hole mir das grüne Fläschchen dort aus dem Regal!” Das junge Mädchen mit dem weizenblonden Haar und den einprägsamen Grübchen fackelte nicht lange und ging sofort los. Die Doktora griff nach der ihr gereichten Flasche und ging zu Helswin. “Ich werde versuchen ihr das einzuflößen. Es ist ein leichtes Sedativum. Wir müssen sie erst einmal ein wenig ruhig stellen, damit ich mir die Verletzungen anschauen kann.” Dann Klopfte es an der Türe.

Helswin war es mittlerweile gelungen, Imma so zu drehen, dass sie mit dem Gesäß auf dem Divan saß. Ihre Beine lagen nun über seinen Oberschenkeln, aber sie drückte sich immer noch ängstlich an seine Brust und umklammerte sie nun seitlich. Ihr Blick skeptisch auf Maura gerichtet.

“Gebt mir das Fläschchen. Ich werde es probieren.” Was er sogleich tat.

Doch Imma drehte den Kopf zur Seite und ein leiser Klagelaut, gefolgt von einem lauteren Weinen waren die Antwort auf Helswins Bemühen.


Behandlung

Genau in dem Moment, in dem von einer Bediensteten der Doctora Altenberg die Tür geöffnet wurde, hörte der Borongeweihte ein flehendliches Aufheulen, das von tiefer Seelenqual sprach. Es drang ihm aus den Behandlungsräumen der Doctora entgegen.

Ohne zu Zögern glitt der Baldurstolzer in das Haus und ging weiter ruhigen Schrittes zum Quell der Pein. Vor der Tür zu den Behandlungsräumen hielt er kurz inne, konzentrierte sich und atmete tief ein und aus. Ohne zu klopfen trat er durch die Tür, besah sich die Szenerie und sprach:”Pax tecum, filia.” Gleichzeitig ging von ihm eine wohltuende Ruhe aus, welche von den Anwesenden besitz ergriff. Sie füllte den Raum, wie eine wärmende und tröstende Decke. Der Geweihte schlug seine Kapuze zurück und enthüllte ein kantig, aristokratisches Gesicht mit wachen, schwarzen Augen. Mit Ausnahme der Augenbrauen, war nicht ein einzelnes Haar auf seinem Kopf zu finden. “Was ist geschehen? Wie kann ich helfen?”, fragte er mit sanfter Stimme.

“Euer Gnaden. Diese junge Frau bedarf der Heilung, sie wurde grausam gefoltert. Wir versuchen ihr gerade zu helfen, aber sie ist in ihrer Pein gefangen, und.. Nun ja...” Wie zur Verdeutlichung streckte der Mann in der ursprünglich weißen Robe eines Magiers die Arme weit von sich, damit man sah, wie schwer sich nur die Patientin von ihm lösen wollte. Nämlich gar nicht.

“Boron sei dank. Eure Hilfe kann ich hier sehr gebrauchen.”, meinte die Doctora mit besorgter Stimme. Wieder hielt sie selbst das grünliche Fläschen mit dem Sedativum in der Hand.´Welch ein Zufall brachte den Diener des Schweigsamen her?´ Auch Elvan wunderte sich über den plötzliche Auftritt des Geweihten. War das etwa ein Omen? Die Einzige die recht unbefangen war, war die junge Graute. “Boron zum Gruße” sagte diese und ging ein Schritt auf den Geweihten zu, bereit diesen in jedweder weise zu unterstützen.

“Boron zum Gruße”, antwortete er freundlich. “Wie heißt denn die Patientin?”, fragte er und trat vorsichtig näher.

“Imma. Imma von Schellenberg.” sagte der Schreiber Elvan geistesgegenwärtig.

Nachdem er den Namen erfahren hatte, wandte er sich der jungen Frau zu. Er nahm einen Schemel und setzte sich neben den Magier und die junge Frau, um mit ihr auf Augenhöhe sprechen zu können. Mit sanfter Stimme und leichtem Lächeln sprach er sie an, während er weiterhin die beruhigende Präsenz seines Gottes durch seinen Körper fließen ließ. “Sei mir gegrüßt Imma. Ich bin Bruder Hrabanus. Ich bin gekommen, um Dir zu helfen. Möchtest Du, dass ich Dir helfe?”

Die junge Frau schien ein wenig ruhiger zu werden, dennoch umklammerte sie immer noch die Arme des Magiers neben ihr. Helswin bemerkte allerdings, dass das Zittern ihrer Finger etwas nachließ und er ihren Herzschlag weniger wummernd an seiner Brust spürte.

“Macht weiter!” Helswin nickte dem Borondiener aufmunternd zu.

Dem Boroni entging nicht, wie sehr sich die junge Frau an den Magier klammerte.”Du vertraust diesem jungen Magier, nicht wahr Imma? Er ist dein Beschützer. Ich will ehrlich zu dir sein, du hast schwere Wunden und die Doctora hier, kann sie versorgen. Aber dafür musst du dich von ihm lösen. Du musst dich nicht fürchten. Hier bist du sicher und dein junger Freund ist bestimmt ein hervorragender Magier. Er wird nicht zulassen, dass dir hier etwas geschieht. Magst du ihn los- und dafür die Doctora an dich herantreten lassen?”

Immas Herz klopfte in ihrer Brust. Aber langsam drang die Ruhe und das Gefühl in Sicherheit zu sein, an sie heran. Leider bedeutete das auch, dass das real wurde, was sie erlebt hatte. Ihre Hände griffen nicht mehr so fest um Helswin, dafür rannen ihr wieder Tränen aus den Augen. Sie zog die Knie an und ließ Helswin ganz los. Schlang ihre Arme um ihre Beine und bettete ihre Stirn darauf. Rhythmisch hob sich ihr schlanker Körper mit jedem stärker werdenden Schluchzer.

Der Geweihte bedeutete dem jungen Magus Platz zu machen,

was dieser gerne tat, um sich die steifen Glieder zu schütteln, die Halswirbel und Gelenke knacken zu lassen, sich zu strecken und für einen Moment mit Freude Atem zu holen.

Hrabanus setzte sich neben Imma. Behutsam legte er einen Arm um sie. “Sssschhh. Alles wird wieder gut. Lass den Tränen freien Lauf.” Sanft strich er ihr über den Kopf, wie ein Vater, der sein Kind tröstet. Aus den Falten seines Gewandes strömte der sanfte Geruch von Weihrauch, Myrrhe und Sandelholz. Es war ein schwerer, einlullender, aber nicht unangenehmer Duft, und auch irgendwie tröstlich. “Du bist sehr tapfer gewesen. Und nun ist es an uns Dir zu helfen. Alle hier sorgen sich um Dich und wollen nur Dein Bestes. Du kannst nun ruhen, während wir uns um Dich kümmern. Deine beiden Freunde beschützen Dich. Die Doctora kümmert sich um Deine Wunden und ich werde über Deine Träume wachen.”

Kaum war Helswin fort gerutscht verspannte sich die junge Frau merklich. Sie versuchte nach ihm zu greifen, aber da war der Boroni schon an seine Stelle gerutscht. Die Ruhe, die ihn umgab, war aber sehr beruhigend und verhinderte, dass sie zu schreien begann. Dennoch zuckte sie zusammen als er sie berührte.

Hrabanus ließ daraufhin den Arm wieder sinken: “Alles ist gut. Halte dich an mir fest, wenn du magst.” Er wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, spürte er doch den klebrigen Lebenssaft an seiner Hand, doch galt es auch die Ruhe zu bewahren. Er blickte nacheinander die Anderen im Raume an und fragte: “Hat sie noch Eltern, Geschwister?” An Helswin direkt: ”Liebt sie Euch?”

“Niemand, der in der Nähe wäre. Ich … ich bin ihr bester Freund.” sagte Elvan. Maura derweilen ließ sich von Graute alle Utensilien zu einer Wundbehandlung bringen. Abwartend schaute die Doctora den Magier und den Boroni an.

Der sah einen Moment lang skeptisch zu dem Schreiberling. ‘Ihr bester Freund? So so. Du Würstchen arbeitest doch nur mit ihr,” dachte der Magus sich, ein bekanntes Brennen in seiner Brust fühlend, das er aus der Kindheit her kannte, wenn seine älteren Geschwister Anerkennung bekommen hatten und er für den Moment leer ausging. Während er seinen Ärger über Elvans Worte und das Gefühl der Eifersucht in sich zur Seite schob, sah er zu dem Boroni und zuckte mit den Schultern. Lügen verboten ihm seine Prinzipien, aber auch, jedem alles auf die Nase zu binden. “Wer soll das bei den Weibern immer wissen,” brummte er, bevor er etwas zu Elvans Antwort ergänzte: “Sie hat sehr wohl einen Bruder und einen Vetter, die beide hier in der Stadt sind. Und eine Schwägerin. Sie wissen um ihren Zustand, denn mit ihnen haben wir” er deutete auf sich und Elvan, zuletzt auf Imma, “sie schließlich gefunden.”

Hrabanus blickte Helswin einen Augenblick lang streng und durchgehend an, dann lächelte er sanft und sagte:”Eure Antwort war nicht für mich bestimmt”. Er wandte sich nun wieder Imma zu: ”Imma, hier sind so viele Menschen, die Dich lieben, so viele, die Dich vermissen würden. Bitte denke an Ihre Liebe und sei noch einmal tapfer. Lass die Doctora Deine Wunden behandeln. Es wird wehtun. Aber sie hat ein Schmerzmittel. Danach werde ich meinen Herrn darum bitten Dir einen erholsamen Schlaf zu schenken. Möchtest Du das für Deine Lieben tun?”

Die junge Frau nickte sachte. Griff mit der Hand in Helswins Richtung als wolle sie ihn an sein Versprechen erinnern ihre Hand nicht loszulassen. Ihre Unterlippe zitterte. Sie war müde. So müde. Und seit dieser Mann hier war, glaubte sie auch schlafen zu können. Die Bedrohung, die auf ihrer Brust gelastete hatte, war mit einem Mal so viel kleiner geworden.

Er seufzte. Ach ja, stimmt, er hatte gesagt, ihre Hand nicht loszulassen. Also setzte der Magus sich wieder und griff mit beiden Händen nach der ausgestreckten Hand Immas. Drückte sie sanft.

Der Boroni winkte auch Maura näher zu treten. Als beide in Position waren, winkte er auch Elvan zu sich: “Ich brauche eine Lagerstatt für Imma. Könnt Ihr dafür sorgen, dass hier im Hause eine bereitet wird?”

Wortlos wies die Doktora auf einer der zwei Lagerstätten für ihre Patienten, die nicht allzu weit entfernt waren. Graupe verstand die Geste ihrer Lehrmeisterin und ging hinüber, um die Decke aufzuschlagen. Elvan lief gleich hinterher und schüttelte das Kissen auf.

“Vielen Dank. Imma, die Doctora wird jetzt beginnen.” Er nickte Maura zu. “Tretet näher und zögert nicht mir zu sagen, wie ich helfen kann, auch wenn die Kenntnisse Eurer Schülerin die meinen bei weitem übersteigen, so verfüge ich über ein paar Grundkenntnisse.”

“Bringt sie bitte nach dort drüben.”, bat sie den Magier die Schreiberin auf das Bettlager zu legen. Nachdem dieser das getan hatte, entfernte die Doctora schnell und mit geschickten Fingern Immas Kleidung und ließ sich von der Gehilfin ein langes Leinenhemd bereit legen. Konzentriert tastete sie den schlanken Leib ab und begann dann Salbe und Verbände anzulegen.

Sie sah an den immer blasser werdenden Rötungen und spürte unter ihren geschickten Fingerkuppen, was die Magie von Helswin und der Heiltrank bewirkt hatten. Das Jochbein und der Kiefer waren vermutlich gebrochen gewesen, ebenso einige Rippen und eines ihrer Handgelenke. Das leichte Rasseln beim Atmen zeigte ihr außerdem, dass die Brüche des Brustkorbs wohl auch die Lunge verletzt hatten. All das hatten die Bemühungen des Magus nicht zur Gänze zu heilen vermocht, aber doch so ausreichend, dass die Verletzungen in ihrer Gesamtheit nicht mehr lebensbedrohlich waren. Außerdem registrierte Maura, dass Immas Brustwarzen kürzlich wohl durchstochen worden waren und die Reste von Blut und anderen Körperflüssigkeiten zeigten der versierten, erfahrenen Medica, dass man sich der jungen Frau auch auf anderer Art bedient hatte. Imma zuckte bei den Berührungen von Elvans Mutter immer wieder zusammen, was Helswin, der weiterhin ihre Hand hielt, am Zusammenpressen seiner Hand bemerkte.

“Elsterlein, alles ist gut. Ich bin da.” Raunte er ihr zu.

Erst als Imma mit dem Leinenhemd bekleidet war, drehte sich Maura zu den anderen um. “Sie hat einige Verletzungen, aber nichts Lebensgefährliches. Nichts, das in einigen Tagen nicht von selbst verheilt wäre. Die Finger brauchen eine Weile, bis die Nägel wieder nachgewachsen sind. Aber ich befürchte, dass ihre Seele sehr gelitten hat, ich hoffe da könnt ihr uns jetzt weiterhelfen, Bruder Hrabanus.” Mit besorgten Blick stand sie auf und stellte sich zu ihren Sohn Elvan.

Der Praetor nickte und fühlte in sich hinein. Es würde noch eine Weile dauern, bis das Praiosmal hinter dem Horizont verschwinden würde, daher entschied er sich den Ruf in Borons Arme anzuwenden. “Imma”, sagte er sanft, ”Du brauchst nun Ruhe und Schlaf. Ich werde meinen Herrn und seinen Alveraniar bitten über Dich zu wachen, so Du einverstanden bist. Und wenn Du erwachst, dann reden wir über Deinen Traum. Nur wir zwei. Ich werde Deine Geheimnisse bewahren. Sorge Dich nicht.”

Imma lag dort. Weiterhin Helswins Hand in ihrer. Das helle Leinenhemd kontrastierte ihr dunkles Haar und die Male an den offenliegenden Hautstellen, die nicht vorhandenen Fingernägel erinnerten trotz der friedlichen Aura, die ihr sanfter Atem suggerierte, die Pein, der sie ausgesetzt gewesen war. Langsam wurden ihre Finger schlaffer und lösten ihren Griff um Helswins Hand.

Helswins Innerstes krampfte sich bei dem Gedanken, Imma allein lassen zu müssen, zusammen. Zum Glück hatte er ihr versprochen, sie nicht allein zu lassen. Liebevoll nahm er ihre kleine Hand und hielt sie weiterhin sanft gedrückt. Er wollte, dass sie spürte, dass er Versprechen ernst nahm und an ihrer Seite blieb. Helswin hatte die Hoffnung, dass sie so nämlich etwas besser zur heilenden Ruhe fand. Um ihr diese durch sich selbst zu vermitteln, kämpfte der Magus all die Wut auf Immas Peiniger und auch auf diejenigen, die an anderer Stelle für Immas Schicksal verantwortlich waren, nieder und fokussierte sich auf seinen Atem.

Die Doctora nickte nach den Worten des Rabenpriesters. “Ihr habt gehört, lassen wir die beiden alleine. Ich kann uns einen Tee in der Küche machen.” flüsterte sie den Wartenden zu und winkte sie in eine Richtung. Elvan und Graupe gingen in die Küche.

Der Boroni griff an seinen Gürtel, wo ein Beutel aus dem selben Stoff hing, aus dem auch seine Robe war, weswegen er leicht in den Falten versteckt bzw. übersehen werden konnte. Aus seinem Inneren holte er ein schwarzes Holzkästchen hervor. Es war mit schwarzem Samt ausgeschlagen und enthielt zum einen ein weiteres Kästchen und ein Fläschchen aus schwarzem Silber. Er schaute sich im Behandlungszimmer um, bis er eine feuerfeste Schale fand, dann fischte er ein kleines Stück Kohle aus der Feuerstelle, welches bereits eine graue Haut hatte und holte ein paar Krümel Weihrauch aus dem silbernen Kästchen hervor und streute sie über die Kohle in der Schale. Das Gefäß positionierte er auf einem Regal in der Nähe des Bettes. Dann strich er Imma eine Strähne aus dem Gesicht und öffnete das Fläschchen. Er träufelte sich ein paar Tropfen geweihten Lotusöles auf seine Fingerspitzen und salbte damit Immas Stirn. Stumm betete er dabei zu seinem Herrn. `Herr Boron, die hier vor Dich tritt, ist mit Angst beladen. Bishdariel, begleite ihren Schlaf und halte Deine schützenden Schwingen über sie. Gnädige Marbo, Freundin der Menschen, lass ihre Gedanken zur Ruhe kommen. Nimm Furcht und Sorge und schenke ihr Frieden.´ In aller Seelenruhe packte er alles wieder ein, obwohl er von draußen ein Klopfen und kurz danach Stimmen vernahm, welche ihm seine Kopfschmerzen wieder in Erinnerung riefen. Dann wandte er sich Helswin zu: “Sie wird jetzt bis zum nächsten Morgen schlafen und träumen, aber nicht erwachen. Die Träume sind von Bishdariel gesegnet, so kann sie beginnen das Erlebte zu verarbeiten. Trotzdem liegt noch ein langer Weg vor ihr.”

Helswin, der während der Zeremonie den Fokus auf seinen inneren Ruhepunkt gelegt hatte, öffnete die Augen wieder und nickte erst stumm, bevor er dem Geweihten flüsternd mitteilte, dass er hier bleiben werde. “Falls sie einen Freund braucht. Und weil es ihr Wunsch war.”

“Das freut mich zu hören”, flüsterte dieser zurück, “denn eigentlich war ich nur hier, um mir ein Mittel gegen Kopfschmerzen geben zu lassen. Ich wurde zur Eilenwid gerufen und sollte mich dort bald blicken lassen. Ich werde danach hierher zurückkehren, um mich weiterhin um Imma zu kümmern. Sollte sie während des Schlafes sprechen, dann bitte haltet es schriftlich fest. Ich muss jedes Wort wissen, auch, wenn es Euch unwichtig oder wirr erscheint. Kann ich mich auf Euch verlassen?”

“Selbstverständlich!”

Hrabanus nickte lächelnd und begab sich zur Tür, um diese lautlos zu öffnen und leise auf den Flur zu treten. Wo nur mochte die Doctora gerade stecken?

Maura vernahm das Geräusch vom Flur her und trat aus der Küche. Fragend schaute sie den Boroni an.

“Euch wollte ich sprechen. Eigentlich war ich gekommen, weil ich ein Mittel gegen Kopfschmerzen benötige. Es muss schnell wirken, da ich einen wichtigen Termin wahrnehmen muss. Danach werde ich zurückkehren und nach Imma sehen.”

“Na, kommt kurz mit, euer Gnaden.” Sie ging in die Küche und löste ein Pulver in einem Tonbecher voll mit Wasser auf. Dann drehte sie sich wieder zu dem Geweihten. “Setzt euch kurz und trinkt das. Es wirkt schnell. Falls der Schmerz später wieder kommt, kann ich euch mehr davon geben.” Freundlich schaute sie ihn an.

Er lächelte zurück: “Habt Dank.” Dann nahm er den Becher und leerte ihn in einem Zug.

Kaum hatte sich der Boroni in der Küche niedergelassen, klopfte es dreimal laut und bestimmt an der Haustür.

Elvan reagierte als erster und ging vorsichtig zur Haustür. Mit erwartungsvollen Blick erwartete er den Klopfenden.

Es war Immas Bruder. “Wie geht es ihr? Was sagt eure Mutter?”

“Sie ist versorgt und ein Boroni ist da, der sich ihrer Alpträume annimmt. Imma ist in Sicherheit.”,sagte der Schreiber knapp und ließ ihn ein.

Nachdem er erfahren hatte, dass seine Schwester versorgt war und er den Borongeweihter sah, wirkte der Weibel erleichtert.

Maura fiel auf, dass der Gardist blasser war als er sein sollte und seinen Arm ein wenig unnatürlich abwinkelte. Sie konnte sich denken, dass die Rettung der armen Seele auf ihrer Bettstatt nicht gewaltfrei abgelaufen war. Und wusste, dass manchmal, wenn die Anspannung abfiel, Wunden, welcher Art auch immer, plötzlich präsent wurden. Hatte man sie zuvor - im Eifer des Gefechts - noch gar nicht bemerkt oder ignoriert.

Sogleich ging die Doctora behutsam auf den jungen Mann zu und wollte ihn zu seiner Schwester führen, damit er einen kurzen Blick erhielt. Dabei musste sie ihn aber allein schon Berufs wegen auf die Verletzung ansprechen. “Ihr habt auch etwas abbekommen. Lasst mich euch zuerst versorgen. Jeder hier ist jetzt in Sicherheit.” Freundlich schaute sie ihn an und führt ihn in ein anderes Zimmer, damit er nicht durch seine Schwester abgelenkt wäre.

Das Ziehen im Arm wurde ihm jetzt erst bewusst. “Das ist nichts Schlimmes. Ich wollte mich nach meiner Schwester erkundigen. Weiß sie hier sehr wohl in guten Händen. Aber ich dachte, womöglich….” wollte sie, dass er in der Nähe war? Was, du Hornochse, sollte sie in so einer Situation willentlich wollen? Außer der vermeintlichen Anwesenheit dieses Zauberers: “Der werte Herr von Plötzbogen ist ja noch anwesend, nehme ich an, das wird vermutlich reichen” seine Stimme klang zusammen gebissen, ob aufgrund der Schmerzen oder aufgrund des Gedankens an den Magier, war nicht ganz ersichtlich. Während er sprach mühte er sich, sich seiner Uniform zu entledigen, was ihm nur mit Hilfe gelang. Dann setzte er sich auf den Diwan, den ihm die Doctora gewiesen hatte. Dort saß er, mit nacktem Oberkörper- Der Bolzen, der ihn getroffen hatte, war nicht ein so leichter Streifschuss gewesen, wir er angenommen hatte. Den Verband, den ihm sein Vetter in der Eile angelegt hatte, war für eine schnelle Versorgung durchaus in Ordnung gewesen, aber eben nur dafür. Mittlerweile war dieser Verband durchgeblutet und nachdem Maura ihn entfernt hatte, lag eine klaffende, blutende Wunde am Oberarm vor ihr. Groß genug, um richtig schmerzhaft zu sein und die Bewegung einzuschränken, aber oberflächlich genug, so dass nicht die Hauptschlagader verletzt worden war.

Maura rief sogleich ihre Schülerin und ließ sich Tuch, Wasser und Alkohol bringen. “Streifschuss, würde ich sagen. Am liebsten würde ich das Nähen. Es ist nicht tief, aber wir wären auf der sicheren Seite, Wohlgeboren.”sagte Maura, während sie anfing die Wunde zu säubern. “Ja, Herr Plötzbogen ist anwesend.”, kam beiläufig hinterher.

„Ja, wohl an, näht.“ Dann fiel sein Blick erneut auf den Borongeweihten, der ihnen still gefolgt war. “Ihr seid aber schnell hierher gekommen. Man sagte mir auf der Eilenwid zwar, man habe bereits vorsorglich nach euch geschickt, damit ihr euch um meine Schwester kümmern könnt, ich hatte aber nicht angenommen, dass ihr schneller hier wäret als ich.” Er biss die Zähne zusammen als der Alkohol auf die offene Wunde tropfte, gab aber keinen Laut von sich.

“Die Wege des Herrn sind unergründlich und lehren uns Demut! Ein altes Leiden führte mich hierher und ersparte mir einen Weg” , war seine kryptische Antwort. Er holte ein Schreiben aus seinem Gewand hervor. “Dann ist dies wohl von Eurer Hand?”

Lupius schüttelte den Kopf. “Man sagte mir auf der Eilenwid nur, dass man nach einem Borongeweihten geschickt habe, als man meine Ankunft längst für überfällig hielt, da man vom Schlimmen oder Schlimmsten ausging. Man meinte wohl, entweder meine Schwester oder ich selbst, würden eines Priesters des Totengottes bedürfen.”

“In der Tat, Eure Schwester benötigt den Beistand meines Herrn. Ich könnte ihr besser dienen, wenn Ihr mir sagen könntet, was genau geschehen ist. Und dann sagt mir, ob ich auch Euch hilfreich zur Seite stehen kann.”

Lupius schluckte: “Meine Schwester…. Arbeitet als Schreiberin auf der Eilenwid, gemeinsam mit Elvan, dem Sohn der Doctora.” Er machte eine Pause, um den Arm etwas seitlich zu drehen, damit Maura die Wunde erreichen konnte: “es gibt wohl Gestalten, die dies zum Anlass nahmen, sie zu entführen. Fragt nicht warum genau, dies entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls wollten sie wohl Informationen. Und alles daran gesetzt den Geist meiner Schwester zu brechen. Sie haben sie immer wieder an den Moment geführt, an dem man sich zwischen Verrat und Leben oder Treue und Tod entscheiden muss.” Wieder machte er eine Pause, in der er Luft durch seine Zähne einsog, während die Heilerin seine Wunde nähte. “Wären wir nicht gekommen….. Sie war kurz davor…. Golgari….” Wieder machte er eine Pause und sah den Boroni an.

Der Hüter des Raben lächelte den Weibel an: “Der Herr hat mich hierher geführt, um Eure Schwester in die tröstenden Arme der Heiligen Etilia zu geleiten und nicht auf den Rücken Golgaris. Ihr habt sie gerettet, weil Er es so wollte. Ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Doch ihr steht noch eine schwere Prüfung bevor. Ein langer Weg, auf dem sie straucheln kann. Sie wird nicht nur meine, sondern auch Eure Hilfe brauchen. Doch zuvor will ich mich um Eure Last kümmern. Erzählt mir alles, was Euch bewegt, was Ihr fühlt. Die Sorgen, Ängste, die Wut und den Hass. Die Liebe zu Eurer Schwester. Lasst alles raus. Ich bin mir sicher, dass die Doctora darüber schweigen wird. Wir können aber auch warten, bis Eure Wunde versorgt ist. Ganz, wie es Euch beliebt.” Aufmunternd nickte er Lupius zu.

Der Flussgardist räusperte sich: “Wenn ihr etwas passiert wäre… ich meine, wenn er sie getötet hätte…” seine Stimme brach als er letzteres aussprach: “würde ich sicherlich darauf eingehen, doch, da sie am Leben ist, bleibt mir um ihre Gesundung zu beten. Ich selbst brauche dafür keinerlei seelsorgerische Unterstützung, aber habt Dank für das Angebot.”

“Falls Euch doch noch nach Reden sein sollte, ich werde noch eine Weile in Elenvina verbleiben”, lächelte der Geweihte und neigte kurz sein Haupt.

Lupius nickte. “Danke, euer Gnaden.” sagte er.


Badegespräche (Herr und Frau Rickenbach)

Das Bad tat gut. Die Kräuter, die Dari zur Entspannung hineingetan hatte, entfalteten nach diesem harten Tag schnell ihre Wirkung, der wohltuende Wasserdampf, das warme Wasser, … all das erzeugte eine Schwere, der Ira sich nicht entziehen konnte. Noch während sie in dem Zuber lümmelte und sich sowohl der gestrige verrückten Tag, als auch die Nacht mit Lupius und die heutige Befreiung Immas noch einmal vor ihrem inneren Auge abspielten, und sie all die Gefühle zuließ, die sich ihrer während der Mission bemächtigten, aber welche sie bisher nicht zugelassen hatte, ging ihr bald sehr müder Geist auf Reisen. Den Nacken am Zuberrand aufgelehnt, die Arme und den Körper bis knapp über die Büste wohlig vom Wasser eingehüllt, dämmerte sie dahin. So bekam Ira nicht mit, dass Dari ganz oft nach ihr sah, aus Sorge, die Herrin möge im Schlaf ertrinken. Auch die Ankunft von Lupius verschlief sie, und ebenso, dass die aufmerksame Hausmagd längst damit begonnen hatte, immer mal wieder kaltes Wasser vom Zuber abzuschöpfen, um anschließend neues heißes hinein zu geben, damit die Temperatur angenehm blieb.

Irgendwann wurde Ira wach. Das Wasser umfing sie mit Behaglichkeit und die Muskeln in ihrem Nacken fühlten sich weich und angenehm warm an. Erst als ihr Bewusstsein langsam wieder näher an das irdische Sein rückte, merkte sie, dass die Wärme in ihrem Nacken von einer großen Männerhand rührte, die Muskelstränge an ihrem Nacken knetete. Der Daumen dieser Hand fuhr immer wieder über eine der Stellen, die Ira vor ihrem Bad noch als unangenehm hart empfunden hatte und die sich unter seinen fast sanften Berührungen zusehends entspannt hatten. Gerade im Moment wandte sich der Daumen allerdings einer anderen Stelle zu und begann dort mit ebendiesem sanften Druck unter kreisenden Bewegungen fortzufahren.

Lupius merkte den Zeitpunkt von Iras vollständigem Erwachen am Verkrampfen ihrer Muskeln, die er erst gerade lockerte. “Lupius… Oje...Ich bin wohl eingenickt,” murmelte sie entschuldigend dafür, dass sie sich in dem Holzbottich fluchtartig aufsetzte, worauf seine Hand ins Leere glitt und etwas Wasser über den hinteren Rand schwappte. Mit selbem Reflex schlang sie die Arme vor die Brüste. “Wie...öh.. lange bist du schon da?” Ihre Frage zielte darauf ab, zu wissen, ob er sie schon lange so beobachtete. Immerhin war das Wasser klar und die Gestalt ihres Körpers zeichnete sich deutlich darin ab.

“Eine Weile.” antwortete er. “Imma bleibt heute Nacht bei Elvans Mutter. Morgen werden wir weitersehen.” Seine Hand glitt in das warme Wasser. “Ich würde gerne auch noch in den Zuber. Aber lass dir Zeit. Es sei denn wir…” er brach den letzten Satz ab. Was für eine idiotische Idee. Und noch mehr, dass er sie ausgesprochen hatte. Irgendwie sehnte er sich nach diesem grauenhaften Tag nach etwas Geborgenheit und menschlicher Nähe. Nach einer Vertiefung ihrer Annäherung von gestern. Nach einer Erinnerung, die nicht für sie beide halb verschwommen war. “Ach, vergiss es.”

Kurz überlegte sie. Der Zuber war zu klein für zwei. Außerdem wusste sie nicht, ob sie das wollte. Ob er etwas anderes meinte traute sie sich irgendwie nicht zu fragen. Stattdessen besah Ira sich ihre Hände, welche schon ganz so verschrumpelt waren wie ein alter Apfel und wandte den Kopf, um über die Schulter hinweg mit ihm zu sprechen, ohne ihn dabei anzusehen. “Ich glaube, ich war lange genug im Wasser. Bist du so lieb und reichst mir das Handtuch, das da irgendwo neben dir liegen muss?” Dabei streckte sie einen Arm aus, bedacht, sich immer noch mit dem anderen zu bedecken.

Er griff nach dem Tuch und breitete es aus. Er hielt es so, dass Ira aufstehen und er es ihr umlegen konnte.

Sobald sie das Gewebe auf dem Rücken spürte, griff sie selbst danach und wollte sich einwickeln.

Er half ihr dabei, ließ dann aber die Arme sinken. “Kannst….kannst du dich eigentlich…. an … gestern Nacht erinnern?” fragte er leise mit rauher Stimme.

Kurz war ihm, als schrecke sie bei seiner Frage zusammen. Ira lag ein feiges ‘Nein’ auf den Lippen, denn tatsächlich wusste sie dank dem Nüchternheitszauber ihres Onkels doch einiges von letzter Nacht, was ihr augenblicklich rotes heißes Blut in ihre Wangen presste und der Nachhall der erregenden Erinnerungen auch anderswo ein Kribbeln verursachte, dem sie sich nicht verwehren konnte. Es war ein verstörendes Gefühl, zu dem sie keine Worte besaß. Sie fand es allerdings auch nicht richtig, Lupius ins Gesicht zu lügen, drum vermied sie weiterhin Augenkontakt. “...Du?”

“Das ist keine Antwort.” sagte er, während er dachte, irgendwie war es doch eine. Seine dunklen Augen blickten fast sanft auf Ira hinab. “Aber ja. Kann ich. Und… die Erinnerung ist nicht gänzlich unangenehm, abgesehen von…” er grinste. “Nun, mein Rücken ist nicht zwingend meiner Meinung.”

Ira stand immer noch starr im Wasser, das Handtuch um sich geschlungen, aber ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. Gerade war ihre wenn auch leise Hoffnung gestorben, er wüsste nichts mehr. Anscheinend war das Gegenteil der Fall. War also weiterhin Flucht die Lösung? Oder musste sie sich dieser...Sache...stellen? Bisher waren die Rahjadienste, auf die sie zurückblicken konnte, ja durchweg schön gewesen; naja, genau genommen gab es schon ein paar Ausnahmen, eben wie bei allem, aber die vergangene Nacht mit Lupius war seltsam gewesen. Verrückt, neu, ungewöhnlich und schockierend aufregend. Dank des Zaubers hatte sie eine Ahnung, von welchen Erinnerungen Lupius da sprach. Das allerdings zuzugeben dafür fehlte ihr im Augenblick der Mut. “Tschuldigung… wegen deinem Rücken, meine ich. Also….wenn ich daran schuld bin,” flunkerte sie heimlich. Dabei erinnerte sie sich an die Striemen auf Lupius’ Rücken noch genau. Sie hatte vorhin schon einen Blick auf das ‘Werk’ werfen können, als er sich vor der Rückkehr nach Elenvina die Uniform anzog. Das trieb Ira noch mehr Schamesröte ins Gesicht. “Äh... Kannst du dich wirklich an alles erinnern? An echt...alles??”

“Nun.” er zögerte. Wirkte er wie ein Saufbold, nur weil er mehr vertrug als sie? Immerhin war er schwerer und … viel zu oft bei Milian im Nest, das stimmte auch. Dann seufzte er auf und fuhr fort. Ehrlich. Nach diesem Tag vertrug er kein bisschen mehr an Heimlichtuerei. “Ja. An alles. Ich erinnere mich daran, wie du ohne all die Stofflagen aussiehst und wie du dich angefühlt hast. Daran wie du riechst. Und wie sich deine Schreie anhören, wenn du nicht auf Streit aus bist. Und daran, dass mir alles viel besser gefallen hat, als es sollte.”

“Meine Schreie?” wiederholte sie. Oh nein, hatte sie das gerade laut gesagt? Verdammt, das war ihr jetzt einfach rausgerutscht. Schnell biss Ira sich auf die Lippe. Natürlich wusste sie, welche Schreie er meinte. Jene Ausrufe der Lust, als ihr Spiel der Leiber dem höchsten Punkt der Ekstase zutrieb. Laute, für sie sich gerade sehr schämte, dass Lupius sie überhaupt gehört hatte. Andererseits was war so schlecht daran? Fragte sich ein anderer Teil in ihr, der, der es gerne sah, wenn sich Männer zwischen ihren Schenkeln verausgabten. Er hatte sie beide in Rahjens Umarmung gestoßen, und sie hatte sich bereitwillig stoßen lassen. Ganz zu schweigen von küssen und berühren und in einer Weise verwöhnen lassen, die sich normalerweise nicht gehörte. Sie hatte ihn selbst mehrere Male hemmungslos geküsst, sogar, als sie noch bei Milian im Nest waren. Ira hatte dieses neue Miteinander auch sehr gefallen. Wie er schon treffend ausgedrückt hatte: mehr, als es sollte. Verdammt. Wenn sie jetzt nicht aufpasste, was sie sagte, würde er davon erfahren. Also riss sie sich zusammen und wechselte in einen Plauderton. “Scheiße, da haben wir ja wohl gestern ziemlich was weggetrunken, was?” Nebenbei stieg sie nun doch aus dem Zuber.

Er grinste schief. “Na ja. Sowas ist vielleicht manchmal einfach nötig.” Heute zum Beispiel. Ohja, ganz sicher heute. “Dieser Dreckstag heute verdient es mehr noch als der gestrige Tag in Alkohol ertränkt zu werden... denkst du… er könnte so enden wie gestern?” Seine Augen ruhten viel sanfter als sie sollten auf ihr, seine Stimme war dunkel und rau und der Abstand ihrer beiden Körper viel näher als unbedingt nötig.

“Ähm... weiß nicht…” murmelte sie, verunsichert durch die aufgebaute Nähe ebenso wie durch seine Frage und mehr noch durch die Tatsache, dass der weniger gehemmte Teil in ihr Lust bekam, es herauszufinden. “Willst du...Nochmal ins Nest?”

“Den Teil meinte ich nicht.” raunte er mit belegter Stimme.

“Ähm, verstehe.” Tat sie wirklich. Mehr als ihr lieb war. “Dann….tun wir….was?” Ihre Stirn runzelte sich leicht, während sie ihn ansah und um ihre Unsicherheit zu überspielen: “Öh, du wolltest baden!”

Er nickte und trat einen Schritt zurück und begann seine Oberbekleidung abzulegen,

während Ira sich für den Moment höflich abwandte und das Handtuch um sich enger zog. Verstohlen beobachtete sie ihn aus dem Augenwinkel heraus.

Seine Bewegungen waren nicht so fließend wie sonst, es schien ihm Mühe zu bereiten das Hemd und den Wappenrock abzulegen. Und als er schließlich halb nackt vor ihr stand, sah Ira, dass ein neuer, strahlend weißer Verband den Oberarm des Gardisten zierte. Er begann an seiner Unterkleidung zu nesteln, was noch weniger simpel aussah, und der Gürtel schien ziemlich widerspenstig.

“Brauchst du Hilfe?” Der Teil in ihr, der sich für die letzte Nacht schämte, hoffte auf ein Nein. Andererseits: was war eigentlich dabei, sie hatte schon Baron Ulfried und letztlich auch Jost beim Entkleiden geholfen, außerdem war doch nun wirklich nichts dabei, einem verletzten Kameraden beim Ausziehen zur Hand zu gehen. Mit einem seufzenden “Warte,” kam sie auf ihn zu, noch ehe er etwas antworten konnte und griff beherzt an seine Gürtel, zog die Schnalle auf und lockerte anschließend auch den Knopf am Hosenbund. Da sie beide Hände für diese Arbeit brauchte, konnte sie das Handtuch nicht länger halten. Sie klemmte sich zwar mit einem faden Hoffnungsschimmer einen Zipfel davon unter dem Kinn fest, aber natürlich rutschte der Stoff an ihr zu Boden.

Lupius Reaktion auf ihre neuerliche Nacktheit spürte Ira deutlich unter ihren Händen, wo plötzlich der Stoff immer mehr spannte, was es nicht unbedingt leichter machte diesen einen Knopf zu lösen: “Lass dir Zeit.” seine Stimme klang viel zu nah bei ihr.

Ein kurzes Innehalten. Doch nur für den einen Moment, den sie brauchte, um den Mut zu sammeln, nicht zurückzuweichen. Das tat sie erst, nachdem sie Hose und Brouche soweit gelockert hatte, dass beides zu Boden fallen konnte - was wegen seiner Erregung natürlich nicht ganz so einfach war. Ira musste zugeben, dass seine Nacktheit auch in ihr ein gefährliches Verlangen auslöste, denn, scheiße verdammt, Lupius war von so …. erregender Gestalt.

“So fühlt es sich besser an.” leise raunte er die Worte in ihre Richtung. Seine Zehen berührten schon das Wasser als Ira - nun wieder bedeckt durch das Handtuch - seinen Rücken betrachtete, weil er den Blick abwandte. Nicht nur Kratzspuren waren darauf zu sehen, auch zeichneten sich langsam an einige Stellen blauunterlaufene Flecken ab. “Dein Rücken sieht nicht besser aus, Liebes.” murmelte der Schellenberg als er in das warme Wasser glitt und dabei leise aufstöhnte. “Nicht so gut wie etwas anderes, das ich nun lieber täte, aber… verdammt fühlt es sich gut an.”

Etwas anderes, das ich nun lieber täte… Ira bekam eine Gänsehaut. “Äh, ist das Dings eigentlich noch warm genug? Das Wasser, mein ich. Sonst sag ich Dari, dass sie noch was Warmes äh du weißt schon.. Soll ich?” plapperte sie in ihrer Verwirrung drauflos, aus der Not heraus, dass sie nicht recht wusste, was sie jetzt tun oder reden sollte. Das gerade war eine merkwürdige Situation, fand sie, denn wenn sie alle seine Anspielungen deutete, kam sie nicht dran vorbei, an letzte Nacht zu denken, und daran, dass es sich gut angefühlt hatte, mit Lupius zu schlafen. Zum ersten Mal. Und das, obwohl sie beide sich doch diesen Schwur vor Rahja gegeben hatten, sich damit alle Zeit der Welt zu lassen. Verwirrend. Extrem. “Oh, ähm, da muss übrigens noch das Stück Seife am Boden zu finden sein. Ist mir vorhin reingefallen. Ich wollt’s ja rausholen, aber dann bin ich wohl eingenickt. Naja, hm, also, öh, falls du sie suchst, die dings, die Seife, meine ich ...die muss irgendwo da drin sein… Soll ich Dari nun eigentlich um einen Eimer warmes Wasser bitten? Oder lieber heißes, für die Muskeln? Kann ich machen. Kein Problem. Ich kümmere mich um dich, äh, das Wasser, mein ich. Also, ähm, ja, sag einfach, wie du’s brauchst und ich werd’s dir dann schon --.” An dieser Stelle brach ihr Redefluss abrupt ab. Blut presste sich in ihre Wangen. War sie gerade echt und ernsthaft im Begriff gewesen, diesen beknackten Satz zu sprechen? Scheiße, Plötzbogen, was redest du da für einen jenseits Stuss. Sie hoffte wirklich schwer, dass Lupius nicht aufgepasst hatte, was da für ein Blödsinn aus ihrem Plappermaul floß.

Doch der ließ nicht erkennen, dass ihre Worte bis zu ihm gedrungen waren, denn er hatte gleichzeitig einige Male versucht die Seife zu greifen, was mit einer Hand schlecht funktionierte. Dann seufzte er und brummte: “Da du sie hineingeworfen hast, wäre es doch nur gerecht, wenn du sie wieder heraufholst. Der Verband soll nicht nass werden, hat Elvans Mutter gesagt.” Seine Stimme klang immer noch rau, während er sich bemühte seine Augen auf Iras Gesicht zu lassen.

Bevor sie sich stöhnend über den Zuberrand beugte, bat sie Lupius, er möge bitte den Kopf fortdrehen und ihr wenigstens sagen, wo er die Seife spüre. Sie wolle nämlich nicht alles absuchen. Dankbar nahm sie zur Kenntnis, dass er auf ihre blödsinnigen Worte nichts erwiderte. Sicher, ob er sie nicht doch mitbekommen hatte, konnte sie jedoch nicht sein.

“Ich bin mir nicht sicher.” seine Stimme klang sehr rauh und es schien Ira, deren Augen auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche blickten, dass er keineswegs den Blick abgewandt hatte. Womit sie nicht unrecht hatte, denn gerade im Moment betrachtete er ihr Hinterteil, das sich in ästhetisch ansprechender Form in die Höhe reckte. Eigentlich hatte er genug von den Spielereien. “Etwas weiter links”. Kurze Zeit später ertastete sie die Seife, die direkt in seinen Schritt getrieben war,

doch statt sie herauszuholen, zog Ira kopfschüttelnd die Hand aus dem Wasser, ein Grinsen konnte sie sich dabei nicht verkneifen: “Oh neineinein, Schellenberg, DA kommst du selbst ran.”

“Natürlich, aber es ist trotzdem schöner, wenn es jemand anderes tut.” grinste er zurück, dann fischte er die Seife seufzend heraus und Enttäuschung stand in seinem Blick, als er wieder aufsah. “Was spricht eigentlich dagegen? Wir sind verheiratet und der Tag war götterverdammt scheiße.” fluchend fuhr er fort. “Verdammt, hatte ich eine Scheißangst. Ein götterverfluchte Scheißangst. Ich …” er brach ab. brauche dich. jetzt. Das wollte er sagen. Aber er tat es nicht. Stattdessen schleuderte er die Seife ans Ende der Wanne, wo sie mit einem lauten Platsch spritzend in den Zuber fiel. Er hasste nichts mehr als hilflos zu sein. “Orkendreck noch eins. Rahja sollte doch genau dafür da sein. Genau für solche Dreckstage!” brummte er. Und sehnte sich wie so oft in den letzten Stunden nach ihren Lippen auf seinem Mund.

Er hat ganz Recht, sprach die Stimme der Wollust in ihr, die mit so Argumenten daherkam wie ‘letzte Nacht hast du dich nicht so angestellt’ oder ‘es hat dir doch auch gefallen’. Daneben sprach die Vernunft mit erhobenem Zeigefinger und ihre Argumente waren weniger subtil: ‘du hast mit ihm geschlafen, weil du betrunken und enthemmt warst. Das darf dir nicht noch einmal passieren!’. Und wiederum ein leises kaum hörbares Stimmchen am Rande dieses Streits, der gerade laut in Ira tobte, kitzelte in ihr das Gefühl wach, Lupius’ Sehnsucht nach Nähe zu erwidern. Es war nicht aus dem selben Holz geschnitzt, aus dem die beiden Kontrahenten um die Vorherrschaft über die Gefühle der noch nicht ganz 20-jährigen es waren. Es war auch nicht alt. Es war verstörend neu und jung, aber angenehm, denn es bestand weder aus Ablehnung oder Gier, sondern aus einem warm glimmenden, wachsenden Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie hatte auch eine furchtbare Drecksangst um Imma gehabt. Imma so...zerstört...zu sehen, hatte Iras Herz wie eine Faust in eisernen Griff gehalten, ja, beinahe zerquetscht. Am liebsten hätte Ira diesen Kerl noch an Ort und Stelle gerichtet. Jetzt, im Nachhinein war sie froh, dass sie sich nicht mehr damit befassen musste und dass sie nur noch Fokus auf Immas Genesung legen brauchte. Und auf das Verarbeiten des Erlebten. Vielleicht, so schlug ihr das zarte Stimmchen vor, konnte es ja helfen, wenn sie beide über das Erlebte sprachen? Wenn sie ihm mitteilte, dass auch sie von der Angst um Imma fast aufgefressen worden war? Es mochte hilfreich sein, ihm das Gefühl zu vermitteln, dass sie ihn verstand. Natürlich freute das die animalische Begierde, denn wenn nichts mehr zwischen ihnen stünde ficke es sich gleich unbeschwerter. Woraufhin die Vernunft einschob, dass sie die Fakten nicht verdrängen dürfe. Lupius sei erschöpft und außerdem auch nur ein Mann und sie wisse doch, was weibliche Nacktheit mit Männern mache, also wäre es das Beste, wenn sie ihn wie eine gute Ehefrau zum Schlafen brächte, damit er bei Boron wieder zu sich selbst und zu Kraft finden könne. Darüber hinaus wies die Vernunft auch noch völlig überflüssigerweise darauf hin, dass Lupius nicht Travingo sei, sondern eigentlich nur der Fremder, der sie aus selbst auferlegten travianischen Pflichten heraus zur Frau genommen hätte, sie diese Großtat aber nicht mit ihrem Körper bezahlen müsse, weil dies unter ihrer Würde sei. Sie müsse das so sehen, entkräftete wiederum die Begierde, sie, Ira, habe da einen absolut attraktiven Manne abbekommen, der an jeder Stelle des Körpers bestens gebaut sei und der sich zwischen den Schenkeln einer Frau wohl zu verhalten wisse. Das müsse sie doch einfach nützen. Oder wolle sie nun mehr für immer keusch bleiben? Das Martyrium ewigen Hungers wolle sie sich doch hoffentlich nicht antun, wenn sie schon im Besitz eines so leckeren Früchtchens sei. So dumm könne sie doch nicht sein. ...

Während sich all dies unbemerkt in ihr abspielte, wusste Ira nicht wirklich, was sie sagen sollte. Ihr lag so vieles auf den Lippen. Ein aufmunternder Scherz,... eine anzügliche Bemerkung,... ein wohlwollender Trost,... die Einladung, mit ihm noch einmal bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken,... selbst eine ehrliche Antwort auf seine Frage, was dagegen spräche, sich einander hinzugeben… Einen langen Moment sagte Ira tatsächlich nichts, sondern stand nur stumm im Raum. In ihrem Gesicht der Ausdruck von Unentschlossenheit.

“Ja, du hast recht, es war ein Scheißtag.” sagte sie dann doch irgendwann und ihr fiel etwas auf, was wieder ein Schmunzeln in ihrem hübschen Gesicht aufbrechen ließ: “Das ist wohl unser...Ding. Ähm, also Scheiße zu erleben, meine ich.” Sie musste dabei nicht nur an das verkorkste Essen bei ihren Großeltern am gestrigen Tag denken, sondern auch an Josts grauenvolle Hochzeit, die sie gemeinsam besucht hatten, an demütigende, zermürbende Besprechungen mit dem Baron, und an ihren erst einen halben Götterlauf zurückliegenden verrückten Hochzeitstag mit der seltsamsten Hochzeitsnacht aller Zeiten. Sie erinnerte sich plötzlich auch wieder daran, dass Lupius dabei gewesen war, als Leuhart sein Kommen so ungebührlich und regelrecht auf die Etikette scheißend angekündigt hatte. Sie dachte an die merkwürdige Verlobungsfeier im Haus ihrer Großeltern, ihren Ehe-Vertrag, ihren Rahjaschwur. Selbst der Moment, als Lupius mit verstörenden Worten um ihre Hand angehalten hatte, ploppte in ihr auf. Darüber legte sich das Wissen, dass er gar nicht so ein übler, sondern ein wirklich netter Kerl war, in dem sie einen Verbündeten wusste und von dem sie sich wünschte, dass er mit der Zeit, die sie miteinander verbrächten, so etwas wie ein guter Freund würde. Er hatte seinerseits schon so viel Scheiße erlebt, genauso wie sie.

Ja wirklich, dies war IHRE GEMEINSAMKEIT! Nicht unbedingt das Impulsive, das Streitlustige, das Verbohrte, der Ritterstand. Sondern DAS DURCHMACHEN VON SCHEISS-SITUATIONEN! Die bittere, sich immer wieder bewahrheitenden Erkenntnis, dass Scheiße passierte und dass das Schicksal ausgerechneten ihnen beiden gegenüber nicht damit sparte!

Sein Rücken. Ihre Wange. Beide im Streit mit Hagrian, der sich nicht mehr klären ließ. Beide keine Freunde, doch im Dienste des Barons. Beide in großer Liebe zu Imma. Selbst in ihrem bisher unerfüllten seltsamen Liebesleben glichen sie sich: er hatte Prianna auf-, aber trotzdem nicht gänzlich aus seinem Herzen gegegeben, genauso wie sie Travingo. Und beide waren sie nun unfreiwillig Eheleute wie auch Eltern. Die Scheiße verband sie. Dies musste man sich auch erst einmal durch den Kopf gehen lassen…

Ebenfalls gemein hatten sie, dass sie beide gerne derb fluchten - wie Ira sogleich bewies, während sie sich mit beiden Händen das Gesicht rieb, dann mehr überwältigt von ihrer neuesten Erkenntnis als lasziv über das offene rote Haar fuhr. “Oh mann, was für ein Drecksscheiß,” seufzte sie dabei. ”Aber jetzt überleg mal, Lupius. Das stimmt doch irgendwie. Wir haben beide einen Hang dazu, in dumme Scheißsituationen zu geraten oder anderweitig irgendwelche Scheiße zu erleben.”

Sie sah seinen skeptischen Gesichtsausdruck und ging vor dem Zuber in die Hocke, um sich mit den Händen an seinem Arm, den er auf der Kante abgelegt hatte, fest zu halten und beseelt von dem Gedanken, ein Rätsel gelöst zu haben, mit funkelnden Augen zu ihm aufzublicken. “Aber das heute, das war auch irgendwie...gut...weißt du. Weil keiner von uns das allein erleben musste. Deine Angst um Imma - verdammt nochmal, die hatte ich auch! Ach was sag ich, die hab ich immer noch. Also das, was du sagst...scheiße, ich kann das verdammt nochmal so gut verstehen. Sie ist doch auch für mich wie eine Schwester…. Mann, ich hätte den Dreckskerl erwürgen können, ach was, entleiben!” Ihre Stimme bekam einen düsteren Unterton: “Scheiße, hätt ich’s nur mal getan. Oder zumindest ihn kastriert! Der Arsch hätte es so was von verdient, denn was er unserer Imma da angetan hat kann nichts und niemand auf dieser Welt entschuldigen! ”

Vernunft und Begierde hielten überrascht inne, als die bis dato leise Sehnsucht nach einem Wir laut aus der Ritterin sprach. Was für den Moment zwar mehr den Austausch von Ängsten statt Körpersäften vorsah, gleichzeitig aber auch offen ließ, wie tief diese neue Verbundenheit gehen und was daraus entstehen würde.

Ihr Gatte seufzte: “Womöglich, hast du recht.” Unbeholfen im Versuch den Verband nicht nasswerden zu lassen, fischte er nach der Seife, die sich irgendwo im nun trüben Wasser an seinen Füßen bewegte. “So ein Dreck.” fluchte er, als das kleine Stück Sauberkeit erneut durch seine Hände flutschte. “Ich hätte es getan.” kam leise von ihm, “Ich hatte mein Schwert schon gezückt. Zum Stoß angesetzt. Milian hat mich zur Seite gestoßen. Und ich weiß nicht, ob ich ihm dafür dankbar sein soll oder ihm morgen eine verpasse.” Frustriert ließ sich der Gardist zurückgleiten, weil diese Seifensache ihn massiv frustrierte. “Könntest du mir helfen? Die Seife herausfischen und mich einseifen? Zumindest meinen Rücken.” Seine Schwester wurde gefoltert, seine Ehefrau schlief nur mit ihm, wenn sie sich fast besinnungslos gesoffen hatte und noch nicht mal ein Scheißstück Seife konnte er aus dem Wasser fischen. “Bitte.” Schob er grummelnd nach. Er hasste es hilflos zu sein und hasste es noch mehr um Hilfe zu bitten.

“Verpass ihm eine. Tut sicher gut.” Mit einem sanften Lächeln zog Ira sich auf die Beine, um gleich darauf wieder den nackten Po in die Höhe zu strecken auf der Suche nach dem glitschigen Stück Sauberkeit. Als sie es endlich gefunden hatte, ging sie um ihn herum und stellte sich ans Kopfende, tauchte die Hände in Seifenschaum und wartete, bis er soweit vorgerückt war, dass sie tun konnte, um was er sie bat. Dann legten sich ihre Hände sanft auf seine Schultern. Es war das erste Mal, dass Ira Lupius so berührte, daher war sie sehr vorsichtig, fast ein wenig scheu. Sie hielt anfangs ein paar mal inne in ihren Bewegungen, um seinen warmen Rücken ganz bewusst unter ihren Handflächen zu fühlen, und verteilte dann den Seifenschaum mit einer wohltuende Aufwärtsbewegung, als sie ihre Hände bis in seinen Nacken gleiten ließ, um von dort den beiden Muskelsträngen zu folgen, die dort links und rechts der Wirbelsäule nach unten führten. “Was... hast du eigentlich da am Arm gemacht? Ist mir vorhin gar nicht aufgefallen, dass du verletzt bist.” fragte sie.

“Ich hatte es bis eben vergessen.” brummte er, bemüht, ihre Hände auf seiner nackten Haut zu verdrängen: “Milian ist kein Kämpfer. Er sollte den Armbrustschützen ausschalten und während ich die Nahkämpferin ablenke, ihr von hinten eins überbraten. Leider war der junge Mann wehrhafter als angenommen und konnte noch einen Schuss abgeben. Der hat dummerweise gesessen. Die Doctora hat es neu verbunden. Milians Tuch war nicht ganz sauber und die Wunde nicht so geringfügig wie ich dachte. Sie hat irgendeine brennende Pampe draufgeschmiert und irgendwas von Wundfieber gemurmelt.” er zuckte mit den Achseln. “Das wäre schlecht. Aber hab schon schlimmeres überlebt. Der Muskel wird allerdings etwas brauchen, bis er wieder völlig gesundet ist.” Er hatte die Augen geschlossen, genoss die Wärme ihrer Handflächen auf seinem Rücken. Still ließ er sie gewähren. Ihre Finger sollten erkunden, was sie erkunden wollten. Er genoss.

“Ich kenne diese brennende Pampe,” sagte sie, mehr zu sich selbst, während in ihr die Erinnerung an ihr Kennenlernen mit Hagrian auftauchte, als er damals nach dem Kampf mit den Charyptorothdämonen ihre frische Wunde im Gesicht versorgte. Seltsamerweise konnte sie jetzt an Hagrian denken, ohne, dass es weh tat. Das war neu. Die Verwunderung darüber konnte Lupius leider nicht sehen, da er ihr ja seine Rückseite zuwandte, wohl aber an ihrer Stimme heraushören, dass sie die Erwähnung nicht mehr scheute. “Dein Bruder hat mir an der Tesralschlaufe meine verbrannte Wange damit bestrichen. Furchtbares Zeug. Brannte gleich nochmal wir die Niederhöllen und ich hätt ihn dafür erwürgen können, das kannst du mir glauben. - Meine Güte, bist du hart hier,” kommentierte sie die Entdeckung seiner vor Anspannung regelrecht wie versteinert wirkenden Rückenmuskulatur. “Scheiße. Das muss doch weh tun. Hm, soll ich das hier ein bisschen versuchen zu lockern?”

Er brummte zustimmend. Dachte sich dabei aber, dass er an anderer Stelle noch viel härter war und dort noch dringender Abhilfe bräuchte.

Zuerst drückte sie nur mit den Daumen, vorsichtig und bemüht, ihm nicht weh zu tun. Es war ja das erste Mal, dass sie ihn massierte, aber sie fand es gar nicht schlimm und verlor bald gänzlich die Scheu. Bald schon nahm sie die Fingerknöcheln, die Handkanten und auch den Ballen zur Hilfe gegen den Widerstand unter Lupius’ Haut, rieb, klopfte und knetete. Dabei fragte sie sich, wie jemand so steif sein konnte. Machte das die Anspannung des heutigen Tages oder sein harter Dienst in der Flussgarde. Sie wusste von Imma, dass ihr Gatte seinen Dienst besonders hart versah, weil er seinen Fehler an der Altherzogin wiedergutmachen wollte. “Wird’s dir da,” sie drückte auf die gerötete Haut an seinem Rücken, “etwas besser?”

Er brummte angetan und angeregt. „Etwas.“ schließlich wollte er nicht dass sie aufhörte.

Also legte sie sich weiter ins Zeug, um seine Verspannungen zu lösen, bis ihr die Hände schmerzten. Als sie es fast nicht mehr aushielt, drückte sie ein letztes Mal mit ganzer Kraft ins harte Fleisch, dann hörte sie stöhnend auf. Sie brauchte eine Pause, um sich selbst die Arme und Hände zu lockern. Und sie brauchte Kleidung, denn allmählich ward ihr kühl. “Tut mir leid, Lupius, das kriegen wir heut wohl nicht besser hin.” entrann Ira ein Seufzen, dann fiel ihr auf, dass ihre Anmerkung vor dem Hintergrund des heutigen Tages unschicklich klang. “Äh, ich meine natürlich deinen Rücken!” fügte sie daher schnell noch an.

“Danke.” er fühlte sich schon etwas entspannter. “Das war hilfreich.” Sein Wunsch nach Alkohol hatte sich merklich gelegt. Stattdessen war eine gewisse Bettschwere über ihn gekommen. “Ich werde mein Bad beenden und noch einen Schnaps trinken. Dann zu Bett gehen. Möchtest du….?” Er sah zu ihr auf. Ihre Brustwarzen waren durch die Kälte hart und alle Körperhäarchen hatten sich wie eine Gänsehaut aufgerichtet. Verdammt. “Ich meine. Wenn du willst, hole ich dir auch ein Glas.” beeilte er sich zu sagen.

Sein Blick war ihr unangenehm, daher griff sie schnell nach dem am Boden liegenden Handtuch, um sich darin einzuschlagen. “Ja. Ähm, ich meine: Nein, lass! Das kann ich doch machen. Naja, ich meine, bei Dari zwei Becher besorgen, das, öh, krieg ich hin. Also, ähm...Wasch dich ruhig zu Ende. Lass dir Zeit. Ich kann dir diesen Dings...Verband...da auch nochmal neu machen, wenn er nass wird. Kein, ähm, Problem.” Sie hatte es plötzlich recht eilig, zu verschwinden. Wenn er wollen würde, dass sie bei ihm schlief, und wenn sie selbst vorhatte, mit ihm in der selben Kammer zu schlafen, ohne zu wissen und ebenso mit der Vorstellung, was erneut passieren könnte, würde sie Schnaps brauchen. Viel Schnaps. Um ihre wilden Gefühle zu beruhigen und die vielen Stimmen in ihr zum Verstummen zu bringen. Denn irgendwie wollte sie ihn nach diesem Tag nicht alleine lassen. Scheiße. Es war eine ganz merkwürdige Empfindung - die sich aber trotzdem kein bisschen falsch anfühlte.

Lupius seufzte als Ira Merkans Kammer verlassen hatte, wo Dari den Zuber aufgestellt hatte. Er sah zu dem kleinen Rahjaschrein herüber, den sein Onkel neben seinem Bett aufgestellt hatte. Und seufzte erneut. Die Gefühle, die er für Ira hatte, waren immer weiter gestiegen. Über die leise Eifersucht, dass Hagrian sie besessen hatte, über die lautere Eifersucht, dass sie ihren Geliebten zu ihrer Hochzeit geladen hatte. Der Lust, die ihn jedesmal überkommen hatte, sobald sie in seiner Nähe war und nun die stille Hoffnung, dass sie mit ihm im Bett schlafen würde. Nicht mit ihm. Nein, bei ihm. Dass er seine Nase in ihr Haar versenken konnte. Sie riechen. Schmecken. Er war zu nah dran, zu viel für sie zu empfinden. Viel zu viel. Er war so viele Schritte auf sie zugegangen. Zumindest in seinem Empfinden. Noch ein Schritt mehr und er würde sich selbst verlieren. Und sein Herz. Zu viel von seinem Herzen. Seine Faust landete im Wasser des Zubers, dann drückte er sich mit den Armen ab, um aufzustehen, vergaß dabei aber seinen Arm und mit einem lauten Schmerzenschrei ließ er sich wieder fallen.

Sie kam augenblicklich zurück gehechtet, den Ausdruck von tiefer Besorgnis auf dem Gesicht. “Scheiße, was ist los??”

“Ja, Scheiße verbindet uns wirklich.” murmelte er, als Ira durch seinen Schrei aufgescheucht wieder in der Kammer stand. Sie sah wie sich der weiße Verband langsam rötlich färbte.

Einem ersten Impuls nachgehend, rief Ira nach dem Hausmädchen, während sie die Enden des um sich geschlungene Handtuchs so ineinander schlug, dass es ihr nicht gleich wieder über die nackten Brüste rutschte. “Mann, wieso hat die Doctora dir den Arm eigentlich nicht ordentlich vernäht? Das kann man doch von ihr erwarten.” grummelte sie verärgert, als sie sah, dass seine Wunde wieder aufgerissen sein musste. Zumindest glaubte Ira, dass es so war, denn sonst würde es ja nicht bluten.

“Hat sie schon, sie sagte nur, ich dürfe auf keinen Fall den Arm bewegen oder müsse eine Armschlinge tragen.” Verdammt. Jetzt kam er sich obendrein auch noch wie ein Vollidiot vor. Aber auf der armen Doktora wollte er die Kritik doch nicht abwälzen.

“Weißt du was...” Eine rhetorische Frage, denn sie fuhr sogleich fort, “Ich mach das schnell! Dir das wieder nähen. Krieg ich hin. Kannst du dich abtrocknen und dann vor’s Feuer setzen? Oder wir brauchen einen Tisch und Kerzen… Ah, Dari! Ich brauche eine dünne Nähnadel und dünnes Nähgarn. Hast du sowas da?” fragte Ira das Hausmädchen, als es in der Tür stand.

“Ähm, ja Herrin.” und die junge Frau hastete davon, um alles zusammen zu suchen.

“Es ist nicht so schlimm. Wirklich. Ich brauche nur Hilfe beim Aufstehen.” hatte er abgelehnt. Verdammt. “Orkendreck!” Er wollte nicht hilflos in der Wanne liegen, während seine Frau ihn halbnackt berührte. “Kannst du mir erstmal heraushelfen, bitte.” Brummte er, sich der Unausweichlichkeit dieses Schrittes bewusst.

“Äh...Ja, klar.” sagte sie aber sie musste sich trotzdem überwinden, Lupius anzupacken, ohne, dass ihr Blick nicht immer in seinen Schritt fiel. Sie legte sich einen seiner Arme um die Schulter und stützte ihn, als er sich aufdrückte, ebenso beim Verlassen des Wassers. Es war natürlich zu erwarten gewesen, dass sich der provisorische Knoten von Iras Handtuchs irgendwann in naher Zukunft in Wohlgefallen auflösen würde, aber dass er es ausgerechnet tat, als ihr Mann nach dem Aussteigen aus dem Zuber so dicht neben ihr stand, dass sich ihre nackten Leiber sogleich berührten, hatte fast schon etwas von schlechtem Witz. Er konnte gar nicht sehen, wie schnell Ira ihn losließ und zurückwich, um sich nach dem heruntergefallenen Stoff zu bücken.

Am liebsten hätte er ihr das Handtuch aus der Hand gerissen. Stattdessen trat er einen Schritt auf sie zu und nahm sie in den Arm. “Weißt du, was ein nackter Ritter ist?” fragte er dabei leise.

Unweigerlich spannte sich ihr Körper an, als sie den nackten Ritter deutlicher spürte, als ihr lieb war. “Äh...Etwas...zu essen?” Mit Klamauk gegen die Zerrissenheit.

“Entrüstet.” entgegnete er die Pointe des Witzes. “Bist du aber gerade gar nicht.” seine Hände strichen sacht über ihren Rücken, während seine Lippen ihren Hals berührten und eine Welle wohligen Schauers durch Iras Körper jagten, dass sich ihre Hände wie von selbst auf seine Taille legten und ihre Augenlider einen Moment lang zufielen, weil ihr diese sanften Zärtlichkeiten gefielen. Sie mochte es, wenn man sie sachte, einer Feder gleich, streichelte.

Seine Finger waren sanft und liebkosten sacht ihren unbedeckten Rücken, während seine Lippen zärtlich die dünne Haut hinter ihrem Ohr berührten. Sie schmeckte dort so… gut.

Ihr entrann ein unbedachtes Seufzen. Eindrücke von letzter Nacht streifte sie. Der verheißungsvolle Hauch von Wollen und Können. Ein Wunsch nach mehr, aus dem angenehmen Nachhall jener Eindrücke und dem just empfundenen Wohltun geboren. Dennoch ein leises Mahnen, das irgendwo in ihr existierte, und das mit der Stimme absoluter Vernunft ihr von Lust entflammtes Herz versuchte zur Raison zu bringen. Weil er nicht der war, den sie im Herzen trug. Zumindest nicht so, wie er es verdiente. Noch nicht.

Doch immer wieder berührten seine Finger neue, jungfräuliche Stellen ihres Körpers, seine Lippen tasteten sich ihren Hals entlang. Gerade war es Ira als wolle Lupius ihr etwas zuflüstern, da hörte sie das Knarzen der Tür und dann hektische Schritte, die sich entfernten, gefolgt von dem Zuschlagen der Haustür.

Das Geräusch machte sie schlagartig ‘wach’ und als sie sich in der Umarmung mit Lupius fand, gewann die Scham. “Was…” ‘machen wir da’ war eigentlich ihre entsetzte Frage. “...wer?...Dari?” Ira fiel wieder ein, was sie eigentlich hatten tun wollen. Sie zumindest. “Ach! Das Nähen!” Ihren Blick zur Tür nutzte sie geschickt, um sich ein wenig aus seiner Umfassung zu winden.

“Kann warten” murmelte er und zog sie zurück in seine Arme. Diesmal umschlossen seine Lippen ihren Mund und seine Hände glitten sanft in ihr Haar, während er ihren Geschmack kostete.

Nun hielt er tatsächlich eine entrüstete Ritterin im Arm, die sich seinem Mund mit einer verzweifelten Selbstbeherrschung entzog, die genau wusste, dass sie nicht bestehen können würde, blieb er mit Nachdruck auf diesem Weg - weil Initiative etwas war, was Ira nicht nur, aber schon immer gut gefiel. “Was...machst du da?” kam ihr der Protest fast ein wenig lächerlich über die hübschen Lippen.

Sie immer noch im Arm halten, zog er sie zurück an seine Lippen und murmelte: “Ich küsse dich.” und wieder lagen seine Lippen auf den ihren. Weich und warm.

Für einen Augenblick war ihm, als erwidere ihr Mund sogar seine Zuneigung. Ihr Verstand allerdings war noch meilenweit entfernt, sich fallen zu lassen, wie ihr plötzlicher Ausbruch von Gegenwillen zeigte. “Nein...lass das!” murmelte sie empört und drückte sich ein wenig von ihm ab. Es klang allerdings auch recht unsicher, als wolle ein Teil in ihr, dass er sie losließ, und ein anderer wiederum nicht.

Er seufzte. Und fasste sie an den Händen. “Der Tag war Scheiße. Und ich möchte jetzt nicht denken! Ich möchte mich in dir verlieren. In uns.” oder einer Illusion davon. “Ich… Oh Orkendreck nochmal.” Wieso musste sie immer alles so kompliziert machen. Er ließ sie los. “Ich trinke nochwas, dann gehe ich zu Bett. Ich würde mich freuen, wenn du zu mir kommst. Das Bett mit mir teilst. Auf die eine oder andere Art.” Dann nahm er nochmals ihr Gesicht in seine Hände und zog sie ein letztes Mal an sich. Zu einem tiefen, ehrlichen Kuss. Nahm ihr Handtuch an sich, wickelte es sich um die Hüften und ging hinaus.

Seinen Geschmack noch auf den Lippen blickte Ira ihrem Gatten ideenlos hinterher. Sie hatte das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. War er gekränkt? Sie wusste aber nicht genau wieso. Sie wusste gerade gar nichts mehr. Zu viele Dinge, die sich in ihr aufbäumten. Abertausende. Sollte sie der Stimme folgen, die ihr auftrug ihm nachzugehen, ihn in ein Bett zu zerren und sich dann kopflos von ihm lieben zu lassen, weil es das war, was er wollte, und sie im Grunde genommen auch? Kopflos war in dem Falle schwierig, weil ihr Geist hellwach war und ihr etliches durch den Kopf ging. Gefühle, Erinnerungen, Wünsche, Bedenken. War Schnaps die Lösung? Ihr fiel ein, dass ein kleiner Rausch das Wirrwarr in ihrem Innern schon einmal beruhigt hatte. Gut, danach war sie am nächsten Morgen neben Lupius aufgewacht - aber, verdammt nochmal, so richtig schlecht hatte sie die Nacht nicht in Erinnerung. Und wie er sie gerade küsste, so voller irrsinnig schöner Hingabe. All seine Zärtlichkeiten. Wider dem Mahnen, dass sie beide sich doch noch gar nicht gut genug kannten und er darüber hinaus weder Travingo noch Hagrian war, zog es Ira irgendwie doch zu ihm hin. Ohne, dass sie sagen konnte, warum genau, folgte sie seiner Spur nach draußen.

Nur Augenblicke später hörte er ihre Schritte. Sie trug nichts als ihre Narben und die blauen Flecke. Ihre Wangen glühten, das Haar hatte sie sich zum Seitenscheitel über den Kopf gestrichen und in ihrem Blick stand irgendetwas zwischen jungfräulicher Neugierde, unerfüllter Lust, nüchterner Skepsis und wilder Entschlossenheit.

Gerade hatte er ein Becherchen auf den Tisch gestellt, daneben stand bereits eine Flasche Brand. Als er sie kommen sah, stellte er eines für sie daneben. Oh Rahja, sie war so schön. Er würde sie so gerne küssen. In den Armen halten. Sich in ihr verlieren. Sehnsuchtsvoll sah er sie an.

Mit feinem Lächeln, das ihre Aufregung kaum verbarg, trat sie an Lupius heran - näher und forscher, als er es wahrscheinlich erwartet hätte. “Also gut.” Einmal schnaufte sie noch durch. “Nicht denken.” fügte sie dann dem Einverständnis - oder ihrer eigenen Mutmachung? - hinzu, griff mit ihre Händen sein sein Gesicht und zog ihn an sich zu einem hungrigen Kuss voller Antworten und Fragen gleichzeitig.

Er umschlang sofort ihre Hüfte mit seinem gesunden Arm und hob sie einhändig an, damit ihre Hüfte etwas über seiner lag, er drückte sie an sich, so dass sie seine männliche Gier noch deutlicher spüren konnte und bei ihr die Entscheidung lag, ob sie ihn mit ihren Beinen umschlingen wollte, um den Kontakt zu intensivieren.

Fasziniert, wie viel Kraft in nur einem seiner Arme steckte kam sie seiner Aufforderung nach und zog ihn eng in die Umklammerung. Das Verlangen, ihm nahe zu sein, machte die Stimme der Vernunft mundtot. Ira wollte jetzt nicht denken. Sie wollte nur fühlen. Ihn, Lupius. Seinen faszinierenden, kraftvollen, stahlharten Körper. Teilen. Seine verzweifelte Leidenschaft. Einen schönen Moment an diesem drecksdämlichen Scheißtag. Sie wollte erleben wie es war, wenn sie all ihre Streits, ihre Unterschiede, ihre Narben und Wunden, die jeder von ihnen trug, für einige Augenblicke vergaßen.

Ihr Mann hob sie auf den Tisch in der Küche, in der sie nun standen. Mit zwei gesunden Armen hätte er sie die Treppe hinauf getragen. Aber so umging er dies. Nahm ihr Gesicht in seine Hände, während ihn ihre Beine noch immer umschlungen hielten. Und küsste sie. Zärtlich. Hingebungsvoll. Sanft. Dennoch spürte sie, dass die Triebe Rahjas Früchte trugen. Mehr als deutliche.

Fast scheu erwiderte sie seine Küsse und schloss abermals genießerisch ihre Augen. Seine Sanftheit hatte etwas Berauschendes. Wohingegen sie ihr Beisammensein mit einem Tisch unter sich etwas zu sehr an jenen Rahjadienst erinnerte, den sie mit Hagrian vor Mendena erlebt hatte, an jenem Tag, als er ihr Leuhart in den Leib pflanzte. Riss die Wunde in ihrem Innern deswegen nicht auf, weil Lupius anders, oder weil dieser Augenblick ganz besonders war? Das Feuer in ihr beeinträchtigte die Erinnerung jedenfalls nicht im Geringsten. Und während ihre Küsse immer fordernder wurden, gefiel sie sich gut als Geliebte des Schellenbergs. Auf der anderen Seite: es gab schönere Plätze in diesem Haus als die Küche! Für einen Moment schlug sie die Augen auf und zwang ihren Blick in den seinen. Echte, nicht durch Zweifel verfälschte Begierde stand darin, ebenso eine Erlaubnis, die keine Worte brauchte. Ihre Rechte fasste nach seiner Hand und der Griff ihrer Schenkel ließ nach. Für vorerst. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Hauchen: “Komm, lass uns die arme Dari nicht in Nöte bringen...” Schmunzelnd dirigierte sie ihn mit einem neuerlichen Kuss ein Stück rückwärts. “Lass uns nach oben gehen. Das war doch dein Wunsch...” raunte sie ihm verheißungsvoll ins Ohr, rutschte von der Tischkante, nahm seine Hand und deutete an vorauszugehen. Götter, hatte sie das gerade wirklich zu ihm gesagt? Doch der Wunsch nach Nähe verpasste der vom Hauch von Unanständigkeit in Aufregung versetzten Angst vor dem Kontrollverlust einen Betäubungsschlag.

Lupius ließ sich von seiner Frau die Treppe hinaufziehen und in seine Stube führen. Beide standen vor seinem großen, stabilen Bett, das Dari nach der letzten Nacht wieder ordentlich gemacht hatte. Als Ira seine Hand losließ, zog er sie sofort zurück in seine Arme. Ließ seine Lippen ihren Hals hinabgleiten, weiter hinab als zuvor. Drehte sie dabei immer weiter von sich weg, damit seine Lippen bis hinab zu ihrem Schlüsselbein finden konnten, wo er die zarte, dünne Haut darunter mit seiner Zunge liebkoste, während er sie schließlich von hinten umfing, so dass sie seine ganze Härte an ihrem Gesäß spüren konnte.

Es erregte sie noch mehr, zu spüren, wie sehr er sie wollte, ebenso die Vorstellung, er würde sie bitten, sich nach vorn zu beugen. Aber Ira wollte Lupius in die Augen sehen, wenn sie sich vor der Schönen vereinigten. Sie wollte den Moment mit allen Sinnen kosten, schmecken, fühlen und sehen, seine Leidenschaft, die Lust in seinen Augen...einfach alles. Darum wandte sie sich um, und zog ihn mit sich hinab auf sein Bett.

Er kam über ihr zum Liegen, spürte ihre feuchte Scham unter seiner prallen Lust und ihre festen Brüste unter seinem Oberkörper. Doch im Moment stand ihm der Sinn einfach danach sie zu küssen. Er würde dies Stunden tun können. Seine Lippen senken sich auf ihre, mit seinen braunen Augen schaute er sie dabei an, immer wieder unterbrach er den Kuss, um ihr lächelnd in die Augen zu blicken und die Vereinigung ihrer Lippen danach fortzusetzen. Zärtlich, intensiv. Er berauschte sich an ihrem Geschmack, an ihrer Lust. Immer wieder strich er über ihr Haar, ihre Wangen. Fuhr mit seinen Fingern über ihre wunderschönen, weiblichen Züge.

Sie griff ihm ihrerseits seufzend in das zausige Haar, fuhr durch die braune wirre Mähne mit ihren Fingern wie mit einem Kamm und strich mit den Fingerspitzen sehnsüchtig über seine kräftigen Schultern und den muskulösen Rücken entlang. Ihre wachsende Ungeduld merkte er sowohl an ihren Küssen, in denen immer mehr Verlangen steckte, als auch an der Art, wie sie sich unter ihm räkelte. Geradezu um Aufmerksamkeit heischend stieß ihr Becken immer wieder gegen das seine.

Langsam wanderten seine Hände an der Seite ihres Körpers hinab, während er sie weiter küsste und sich durch ihre zustimmenden Lauten und das verlangende Reiben weiter in eine unsägliche Gier nach der finalen Vereinigung treiben ließ. Als er ihr Becken berührte strich er sacht über ihre Scham und sie spürte die Spitze seines Schafts in sich und dann wieder seine Hände an ihrer Taille, seinen Mund auf ihren Lippen. Er eroberte sie dort wie er ihren Mund eroberte: Langsam und sanft.

Bei Rahja Zu wissen, dass sie es schon einmal so getan hatten, war am Ende doch etwas völlig anderes, als es zu erleben. Sie spürte die angenehme, deutliche Dehnung in ihrem Inneren, die sie mit dem langsamen Vordringen seiner Männlichkeit erfüllte.

Die feuchte Enge um sich spürend, vertiefte Lupius den Kuss zunächst weiter. Eins mit ihr zu werden fühlte sich verdammt gut an.

Ja, tatsächlich. Hätte ihr irgendwer vor einem Götterlauf prophezeit, dass er nun zwischen ihren Schenkeln liegen würde, dass sie ihn so innig spüren würde, ganz, und dort, wo sie ihn nie hatte spüren wollen, hätte sie denjenigen sehr wahrscheinlich ausgelacht. Aber nun war es so, dass sie bei ihm lag, ihn innig und tief fühlte, dort, wo sie Lupius so schnell auf keinen Fall spüren wollte - und sie wollte mehr. Sie wollte nicht nur die Vereinigung mit ihm, sondern sie wollte, dass er sie und sich in Rahjas Arme stieß. Wie in der letzten Nacht. Und als Belohnung dafür, dass sie sich ihm auf diese Weise geöffnet hatte. Deswegen fing sie an, sich unter ihm ein klein wenig zu bewegen. Sie mochte nicht nachdenken. Sondern fühlen.

Und das tat sie. Seine pochende Härte glitt fast zartfühlend immer wieder in sie, gerade als er sie so schon ein ganzes Stück zum Gipfel aller Empfindungen empor getragen hatte, verlagerte er seine Position, glitt mit dem Mund in ihre Halsbeuge und saugte zärtlich an der zarten, duftenden Haut. Auch sein Atem ging schneller, wie sie erfreut feststellte. Weiterhin füllte er sie aus, doch etwas war anders. Mit jedem Stoß seines Beckens, erklomm sie schneller den Weg, dem Höhepunkt entgegen.

Ihr Innerstes zuckte um sein Gemächt herum, immer unaufhaltsamer näherte sie sich jenem Moment völligen Vergessens, an dem Körper und Seele einen Augenblick lang gemeinsam der Wirklichkeit entrückten. Sein Spiel mit ihrer innersten Weiblichkeit, ihre Empfindungen rissen jegliche Selbstbeherrschung in ihr mit sich fort. Hörbar keuchte sie vor Lust, jedes verdammte weitere Mal, wenn er hart und mächtig und immer schneller in sie fuhr, um sie noch eine weitere Stufe auf ihrem Weg in die Umarmung der Schönen anzuheben, während hinter ihren geschlossenen Lidern Punkte zu tanzen begannen, immer mehr, immer schneller, immer funkelnder…. Ihre Finger krallten sich erneut in seinen armen Rücken, denn irgendwo musste sie sich ja festhalten, um nicht mit fortgerissen zu werden von der Flut an Gefühlen, die im Moment des Stillstands von Zeit und Raum und Herz über sie hereinbrachen.

Sie spürte wie sich ihr Atem abflachte, ihr Herzschlag die Frequenz hinabschraubte und dann seine Lippen auf ihren. Und ihn in immer noch in sich. Immer noch bereit für ein eigenes Ende ihres Liebesspiels.

Für einen Moment hatte Lupius den Takt seines Beckens unterbrochen und ihren Anblick genossen, doch nun regte sich erneut sein Wunsch in sie zu dringen. Was er auch tat - langsam und vorsichtig beschleunigte er wieder den Rhythmus, mit dem er in sie drang und spürte, wie sich erneut ihr Innerste anzuspannen begann. Spürte wie sich ihr Körper erneut bereit machte in Höhen katapultiert zu werden, die man schwerlich alleine erreichen kann. Und dieses Mal sollte der Höhepunkt Ira noch weiter in Rahjas Bann ziehen. Noch stärker spannten sich die Muskeln unwillkürlich um seine Männlichkeit, und immer wenn das geschah verharrte er kurzfristig, um ihr einen winzigen Moment zu gönnen zu verschnaufen, nur um sie im nächsten Moment erneut noch näher an Rahja zu katapultieren.

Sie verlor sich im Rausch der Vereinigung, die mehr einer aufregende Jagd nach dem immer wieder neuen, stärkeren Glücksgefühl glich. Ihr Körper und ihre Seele waren irgendwann aufgegangen in dem befriedigenden Gefühl, den Tempel der Leidenschaften betreten und von der schönsten Gabe der Herrin gekostet zu haben. Durch das wohltuende Zucken in ihrem Unterleib und der alles überragenden Entspannung, die von ihrer pulsierenden Weiblichkeit ausging, brauchte sie gerade nichts anderes mehr auf der Welt. Atemlos genoss sie ihren wundervollen Höhenflug.

Irgendwann konnte auch Lupius seinen eigenen Höhepunkt nicht mehr zurückhalten. Zu oft hatte ihr innerliches Zusammenziehen ihn erregt, ihn nahe an den Gipfel getrieben. Aber er hatte an dem Moment, an der Vereinigung festhalten wollen. An dieser kurzfristigen Flucht aus der Realität. Doch nun, da Ira erneut von der höchsten Ekstase auf dem Weg hinab war, spürte sie, wie er noch ein wenig mehr in ihr anschwoll. Wie durch einen Nebel nahm sie wahr, dass er noch einige Male schneller werdend in sie stieß und spürte seinen schnellen, warmen Atem neben ihrem Ohr und schließlich die erlösenden Laute seiner tiefen Stimme, als er selbst die Spitze seiner Lust erklommen hatte.

Einen Augenblick oder mehr lagen sie so da. Er auf und in ihr, ihre bezaubernde Wärme genießend, die Arme aufgestützt auf seinen Ellbogen, das Gesicht in ihrer Halsbeuge vergraben, ihren betörenden Duft in der Nase. Sie unter ihm, entrückt der Welt und festgekrallt in seinen Rücken. Bald schon aber wurde ihr Griff in sein Fleisch milder und mit einem tiefen Behaglichkeitsseufzen fielen ihr die Arme links und rechts aufs Bett. Götter, was war sie jetzt müde….

...was nicht minder auf ihren Gatten zutraf. Im Halbschlaf spürte sie nur noch, wie er sich von ihr herunterdrehte, ohne seine Lippen von ihrer Halsbeuge zu entfernen. Kurz fühlte sie sich leer und verlassen, als er aus ihr hinausglitt, aber sein Geruch und sein Körper waren noch so nah, dass sie lächelnd in tiefen Schlaf fiel, während er einen Arm um sie schlang und so in vertrauter Zweisamkeit ebenfalls zu Bishdariel fand.


An nächsten Morgen (Herr und Frau Rickenbach)

Der Schatten der Nacht hob sich zu dieser Jahreszeit nur langsam. Bis sich das Licht des neuen kurzen Tages in die Augen der Plötzbogen schob, war es der liebevolle Blick ihres Gatten, den sie einfing, als sie blinzelte. Unwillkürlich musste Ira lächeln. Sie errötete aber auch und, ebenfalls in Folge der Erinnerungen der letzten Nacht, zog sie sich die Decke, die ihr nur auf der Hüfte lag, nach oben bis über die nackte Schulter. Auf der Seite liegend kuschelte sie sich in einem Anfall von Scham in die Umhüllung ein und schloss die Augen.

Als sie sie wieder öffnete, lag er ihr immer noch gegenüber und zwirbelte eine Haarsträhne ihres kupferfarbenen Haares mit den Fingern. Sie war so schön. Aber auch stark und stellte sich dem Leben entgegen. Das mochte er an ihr. Das hatte er schon immer an Frauen gemocht. Einzig, dass er ein Teil dessen war, dem sie sich - mitunter - entgegen stellen wollte, missfiel ihm. Doch das sollte nun nicht seine Sorge sein. “Kein Grund sich zu schämen, Liebste.” brummte er mit seinem tiefen Bass an ihr Ohr. Dann strich er mit seiner schwieligen Hand ihre Wange entlang und vereinte ihre Lippen zu einem weiteren Kuss. Und der prickelte und schickte Schauer durch beide Körper, obgleich sie bereits die halbe Nacht mit Küssen verbracht hatten.

Ira seufzte, als er ihre Empfindungen erneut entführte. Zuerst ließ sie es sich gefallen. Dann schob sie jedoch sanft ihre Fingerkuppen zwischen ihren und seinen Mund. “Das gestern…. Was war das?...ich meine, ich weiß, was wir… Aber,...warum…?” Ganz klar schien sie sich über ihre verwirrten Worte nicht zu sein. Ihre Frage nach einem Namen für das, was sie da nun irgendwie verband, war greifbar.

“Es war schön.” Mehr als das eigentlich: “Und wir taten es, weil es nötig war.” brummte er unzufrieden mit dem Entzug ihrer Lippen, daher strich er zärtlich über ihren Hals. “Und es war nötig, weil wir uns zu gern haben, um immer zu streiten.”

Aus großen Augen sah sie ihn überrascht an: “Du hast mich...gern?” Ein ‘seit wann’ verkniff sie sich, doch die Frage stellte sich ihr unweigerlich. Eigentlich war es ja auch egal. Oder? Nein, war es nicht. “Seit wann..ähm…ich meine,..ich dachte, dass du mich.... Jedenfalls sagst du immer, ich wäre,...naja… Und jetzt sagst du.... Ich versteh nicht ganz…” Iras Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben.

“Natürlich hab ich dich gern. Und du hast mich auch gern, sonst würdest du dich nicht so gerne mit mir streiten.” er lächelte sie an und küsste ihre Nasenspitze. “Meine Großmutter hat immer gesagt, man streitet nur, wenn einem eine Sache oder ein Mensch etwas bedeuten. Du musst das mal beobachten, es trifft tatsächlich zu. Es … tut mir leid, dass du das…. dass ich das…. Ach Orkendreck.” er zog sie ein wenig näher an seine Brust. “Ich hätte mit dir früher darüber sprechen sollen. Aber es…. war so schwierig zwischen uns… und dann diese…. diese furchtbare Hochzeit. Ich …. ich hab es nur noch geschafft, dir den Brief zu geben. Und hatte gehofft, du verstehst…. was ich damit sagen wollte.”

Sein Brief? Ira hatte diesen Brief von ihm unzählige Male gelesen, ihn nach der Sache mit Boron und Travia immer bei sich getragen. Seltsamerweise wusste sie in diesem Moment nicht, wo er hingekommen war. Aber sie wusste sehr detailliert, was darin stand. Einiges machte eben erst so richtig Sinn. Ein wenig die Stirn zusammengeschoben, sah sie ihn an. “Du hast geschrieben, dass du den Brief nur verfasst hast, weil Imma dich getrietzt hat, es zu tun.”

“Nun, sie ist eben klüger als ich.” brummte er. “Ich selbst hätte es in diesem Moment nicht getan. Ich hätte den Moment verstreichen lassen. Und so wäre es wieder gewesen wie….” Er brach ab und seufzte. “Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn wir sie gestern…. Wenn dieser Dreckskerl sie…” Er schloss die Augen. “Jemanden lieb zu haben, ist nicht leicht. Weil….” man dadurch schwach ist. Man ist angreifbar, weil jemand anderes dein Herz besitzt.

“Wir hätten sie gerächt.” murmelte sie und legte ihm eine Hand auf seine bärtige Wange. Sie mochte seinen Bart. Irgendwie. Er war so ganz anders als der von Travingo. Braun und weich, passend zu Lupius’ Augen und der Nase, eigentlich zu seinem ganzen Gesicht. - Genauso wie der freche Schnauzer und das neckische kleine Kinnbärtchen Travingos Augen diesen spitzbübischen, sorglosen Ausdruck verliehen, den sie so an ihm mochte. Seltsam, dass sie gerade jetzt wieder an den Rizzi denken musste. Ira seufzte und hörte auf, Lupius den Bart zu kosen. Ja, jemanden lieb zu haben brachte einen früher oder später um den Verstand. “Also...laut deiner Großmutter… streiten wir so oft, weil… weil wir uns öhm…dings… gern... haben, ja?” Was das eine mit dem anderen zu tun hatte war ihr rätselhaft. Ob er sie gern hatte? Gut möglich, denn sonst würde er nicht so daherreden. Aber ob sie ihn gern hatte? Hm. Sie konnte ihn gut leiden, das ja. Doch gern haben im Sinne von lieb haben das ging ihr dann doch zu weit. Zugegeben, ihr Gatte verstand es, eine Frau in die Umarmung Rahjas zu stoßen und das war eine Eigenschaft an Männern, die Ira sehr hoch schätzte, weil sie es mochte Rahja zu loben. Und er schien es gut mit ihr zu meinen, ehrlich, hingebungsvoll,... ernst. Trotzdem. Auch wenn irgendetwas in ihr drin sich für ihn interessierte und sie seine Anwesenheit angenehm fand, so sah sie doch im Moment nicht mehr als einen Gleichgesinnten, einen Gefährten in ihm, denn ihr Herz hing noch an einem anderen. Nicht ausschließlich, aber zu einem großen gewichtigen Teil.

“Naja, sie war der Meinung, dass wenn einem der Mensch und die Sache egal sind, dann würde man sich nicht streiten. Weil man aus sich selbst heraus wüsste, dass die Kraft, die ein Streit kostet, den Aufwand nicht wert ist.” Er strich ihr eine der roten Locken nach hinten, “Ich möchte ungern darüber reden, ob sie recht hatte. Ich möchte lieber nicht nachdenken.” er küsste wieder Iras Mund: “Nur einen Moment noch. Nicht. Denken.”

Vielleicht hatte er recht. Nicht denken - das war sicherlich angebrachter, als sich in seinen Armen nach einem anderen zu verzehren. Also schloss sie bei seiner Liebkosung die Augen und seufzte. Dabei löste sich ihre angespannte Haltung ein wenig auf.

Sie spürte wie seine Hände unter der Decke ihren Körper entlang fuhren und seine Lippen an ihrem Ohr, schließlich den Druck des kräftigen, muskulösen Männerkörpers auf sich. Eines seiner Beine hatte er während dieses morgendlichen Liebesspiels zwischen ihre Beine geschoben und die deutliche Bereitschaft seiner Lust presste sich seitlich gegen ihre Hüfte.

Als er sie gebieterisch auf den Rücken drehte und unter der Decke über sie stieg, erfasste auch Ira einerseits die Lust, ihn in sich spüren zu wollen, andererseits machten ihr gleichzeitig hadernde Gedanken die Aufwartung. Sie stemmte sich hoch auf die Ellbogen. “Lupius! Wir können doch nicht schon wieder…”

„Oh.“ erst sah er sie betreten an, ließ aber sogleich ein neckisches Grinsen folgen: „wenn es dir noch unangenehm ist, weil du dich noch zu gedehnt und wund fühlst, werde ich wohl ausweichen müssen.“ und schwups war sein Kopf unter der Decke und zwischen Iras Beinen verschwunden.

“Verdammt, ich meinte doch, dass...Oh!... Oooh!” begann sie zu schimpfen, aber dann schickte er wieder diese Empfindungen durch ihren Körper, dass augenblicklich jeder Hader schmolz. Ergeben ließ sie sich auf das Laken fallen und nahm sein Geschenk an. Bei Rahja! Woher wusste er nur, was und wie sie es mochte? Es war beinahe unheimlich, wenn es nicht so erregend gewesen wäre sich seinem verrückten Zungenspiel hinzugeben. Ja, verrückt! Das hier, das mit ihnen beiden im Bett, das war wirklich verrückt. Völlig verrückt. Oh ihr Götter! Etwas in ihr sprach genau auf das, was er da rat, an. Definitiv verrückt. Ihr verzücktes Seufzen drang nur Augenblicke später an sein Ohr. Ihre Hände krallten sich derweil lustvoll in die Unterlage, während sich ihm ihr Becken gierig entgegenreckte, bereit, mehr zu verzehren als seinen Mund, aber ebenso erfreut, die wohlige Wonne zu empfangen, die seine zuckende Zunge und seine saugenden Lippen spendeten. Seine Zunge traf die empfindliche Spitze, die sonst so wohlverborgen lag, so intensiv, dass Ira meinte aufschreien zu müssen. Scharf fühlten sich dann die Blitze an, die durch ihren Körper schossen. Ein Hauch Belhankaner Unanständigkeit streifte Ira, als sie ihre Lust doch laut von sich gab. Im Moment wollte sie sich jedoch nicht erinnern, sondern Erfüllung.

Abwechselnd zärtlich tastend und sanft fordernd spürte Ira seine Finger, die seine Zunge unterstützten und in ihre zarte Feuchte vordrangen.

Ihr Schoß vibrierte und sie wusste nicht, ob sie ihn von sich stoßen sollte, weil diese Wonne gleichsam Pein war, bis sich ihre Muskeln wieder und wieder erlösend um diese zusammenzogen. “Bei...Rahja…” keuchte sie mit trockener Kehle, als sich ihr Herzschlag langsam beruhigte und auch die Anspannung ihres Körpers mehr und mehr schwand. Bei den Göttern, woher wussten bloß immer alle Männer, mit denen sie es zuletzt zu tun hatte, wie sie es tun mussten? “Ehrlich...Lupius,...wenn du das...jeden Morgen....machst… muss ich wohl jede Nacht...bei dir...schlafen...” Sie schmunzelte bei diesem Scherz. Eigentlich ein schöner Gedanke. Ja. Wirklich. Denn sie wollte wissen, was er noch alles so..tun konnte.

“Ich hätte nichts dagegen.” Seine pochende Gier drückte gegen ihren Bauch - verdeutlichte seine Worte - als er sich über sie legte und seine Lippen auf die ihren presste. “Denn du schmeckst so unfassbar gut.”

Angetan von weiteren Sinnlichkeiten war seine Frau hingegen weniger. “Uah.... Du hast mich da überall im Gesicht...” kam sogleich ihr Protest, unter dem sie sich seiner Liebkosung entzog. Das hatte sie noch nie gemocht. Bei keinem Mann. Der Ekel vor etwas, was eigentlich zu ihr gehörte, sogar etwas sehr Ureigenes von ihr war, ergoss sich wie kaltes Wasser auf die eben noch empfundene Hochfreude.

Er entzog ihr grinsend seine Lippen - sie war manchmal so niedlich jung - senkte sie stattdessen an ihren Hals und rollte sich einmal mit ihr herum, so dass sie auf ihm zu liegen kam. Somit war die Freiheit nun an ihr: ihn zu verlassen, obwohl seine pochende Männlichkeit noch immer gegen ihren Bauch stieß, oder sich anderer Gefälligkeiten hinzugeben. “Fühl dich frei dir einen passenderen Platz für deine Lippen zu suchen.” klang seine Stimme ihr leise und kehlig entgegen, während seine Hände ihre Seitenlinie auf und ab wanderte.

Er sah einen unwilligen Ausdruck über ihr Gesicht huschen, im nächsten Moment drückte sie sich auf und blickte ihn auf seinen Schenkeln sitzend an. Ihr Blick fiel auch auf seine vor ihr aufragende Männlichkeit. “Bist du mir sehr böse, wenn…” Sie hielt inne. Ärgerte sich über ihre Worte, aber das Thema war ja auch ein blödes. Vielleicht war sie die einzige Frau, die das beste Stück des Mannes zwar wahnsinnig gern in sich spürte, aber nicht gern in den Mund nahm? “Mir ist nicht danach.” Dabei glitt sie von ihm und saß dann mit schuldbewusster Miene und sogar etwas hilflos im Kniesitz neben ihm auf dem Bett. Er verdiente die Wahrheit. “Tut mir leid, Lupius. Doch ...das ist etwas, was ich nicht kann. Also ich meine, ich kann es schon. Ich weiß, wie es geht...und ich hab’s auch schon getan...Aber ich, äh, möchte nicht.” Irgendwie hatte Ira das Gefühl, dass es noch mehr Erklärung bedurfte. “Scheiße….Die Sache ist die. Wenn ich es tue fühlt es sich seltsam für mich an, daher mag ich es nicht. Ja, ich weiß, andere tun das immer und mit Freude” sie gestikulierte dabei wild mit den Armen. “...aber...naja…” Ich find’s einfach nur doof deinen Schwanz zu lutschen konnte sie ja schlecht sagen. Weil sie das Thema auf den (ehelichen) Tisch gepackt hatte, schloss sich ein ähnliches gleich an: “Und ich mag es auch nicht, wenn man mich, öh, auf mir verteilt.” So, jetzt wusste er Bescheid. “Aber alles andere an diesem neuen…’uns’...mag ich!!” Entweder würde er jetzt vor Zorn eingeschnappt oder verständnisvoll-liebenwürdig sein - oder sie auslachen.

“Aber wir haben uns doch schon geküsst?!” Verwirrt sah er sie an und versuchte herauszufinden wo ihre neuerliche Abneigung ihre Lippen mit ihm zu vereinigen herkam. Irritiert und mit gerunzelter Stirn sah er sie an. Sie war so schön und er schmeckte sie immer noch. Und er wollte sie. Immer noch.

“Auf den Mund, ja. Aber ohne, dass du vorher...du weißt schon...” Die Ritterin, die nackt und natürlich schön neben ihm saß, hatte tapfer gegen Dämonen, Schwarzamazonen und Vampire gekämpft - und doch fehlten ihr nun die Worte, deutete ihre Hand mit unbeholfenen Kreisen auf ihre Scham und dann auf ihren Mund, wirkte sie gerade mehr wie ein unerfahrenes Mädchen als wie jemand, der sich schon an vielen Orten des Reiches vergnügt hatte, nicht nur in der Stadt Rahjens auf Dere. “Du kannst mich da unten gerne küssen,” sie deutete peinlich berührt auf ihr sinnliches Dreieck mit dem weichen braunen Kräuselhaar “...aber bitte verlang’ nicht…” Ein Riesenseufzer. Warum war er nur so schwer von Begriff? ”... dass ich das auch bei dir mache - denn das kann ich nicht.”

“Ich habe aber doch verstanden, dass du nicht geküsst werden magst, wenn ich noch nach deiner wirklich wundervollen Weiblichkeit schmecke.” brummte er frustriert, “und ich… habe das andere gar nicht verlangt. Ich meinte doch nur, dass du mich küssen kannst, wo immer du willst.” fast verlegen grinste er sie an. “Ich mag es sehr wenn du mich küsst. Du darfst gerne all deinen Ideen nachgehen….” Er strich ihr wieder über die sanfte Haut an ihrer Seite. “Ich bin offen für alle Wege Rahjas, die du einschlagen magst.”

Ira wollte sich nicht von ihm entfernen, noch wollte sie ihn durch Zurückweisung brüskieren, weil er, hach so verdammt nett, ja, geradezu liebenswert und irgendwie echt süß war, und sie das nicht erwartet hatte. Nun bog sie sich doch, um seiner Berührung zu entfliehen und rutschte gar ein Stück fort. Denn das aus dem Konzept gebrachte Verlangen konnte sich gegen die verärgerte Abneigung, die nun in ihr aufblühte, nicht länger behaupten. “Ich...hab, was das angeht, keine Ideen,” entgegnete sie eilig und nahm weiter Abstand, in dem sie aufstand. Dabei über sich selbst den Kopf schüttelnd. In Iras Vorstellung passte es auf einmal nicht mehr zusammen, dass sie mit ihrem Gemahl plötzlich wie selbstverständlich Rahja lobte, ganz so, als seien sie beide...verliebt. Oh nein. Wie konnte sie nur denken, dass sie sich in seiner Gegenwart so gehen lassen konnte? Die vergangene Nacht und ihre Verzückung gerade eben wurden ihr so peinlich. Sie konnte Lupius gut leiden. Wirklich. Aber in ihren Augen reichte zarte anfängliche Sympathie nicht aus, um derart...eng...miteinander zu sein, dass man sich küsste und aneinanderschmiegte und gemeinsam auf Rahjas Wege neue Abzweigungen ausprobierte. Scheiße verdammt, sie waren doch kein Liebespaar! Nur verheiratet. Verbündete, gewissermaßen. Aber trotz dass da etwas war, was sie in seine Nähe trieb, konnte sie gerade nicht anders, als ihn jetzt mit seiner Lust alleine zu lassen. Mit schnellem Blick erfasste sie, dass sich kein einziges ihrer Kleidungsstücke hier in seinem Zimmer befand, was sie sich ihrem Impuls folgend überziehen konnte. Also griff sie nach der Decke und schlug sich selbst unter den Augen ihres Mannes, dem ihr Körper spätestens nach dieser Nacht nicht mehr fremd sein sollte, darin ein.

Lupius seufzte und erinnerte sich, was der Vorteil an älteren Geliebten war. Sie wussten, was man alles konnte und ihre Zungen und Hände waren vielfach erprobt. Er sah Ira hinterher, ihren Geschmack noch im Mund. Aber… Iras Körper war es wert gewesen auf Erfahrung zu verzichten. Seine Hände glitten an seinem Körper herunter und er schloss die Augen. Konzentrierte sich auf ihren Duft, der in den Kissen und auf seiner Zunge hing. Und opferte Rahja.

Kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, kam ihr ihre Flucht falsch vor. Zu bleiben wäre hingegen auch nicht richtiger gewesen. Ach, wie ärgerlich, dass sie nicht recht wusste, was das Beste in dieser verfahrenen Situation war. Sie wusste nur, dass - nein, eigentlich wusste sie gar nichts. Nur, dass sie sich in diesem Moment so anders fühlte, und dass sie sich anziehen und zur Bächerle gehen würde, um ihren Vorrat an Rahjalieb aufzufüllen. Gleich eine ganze Kiste würde sie kaufen. Sicherheitshalber. Dari wollte sie in dem Zusammenhang das Fläschchen zurückgeben, welches sie von ihr gestern morgen bekommen hatte. Anschließend wollte sie zur Doctora Altenberg, um nach Imma zu sehen. Oder sich zumindest nach ihr zu erkundigen. Aber zuvor musste sie sich waschen. Sie hatte das Gefühl, dass die verschiedensten… Dinge… an ihr klebten.

Am Krankenbett

Dreimal klopfte Lupius rhythmisch gegen die Tür. Ira stand neben ihm. Beide wirkten nervös. Was hatte die Nacht Imma gebracht? Wie ging es ihr? Als die Tür sich öffnete, sahen die beiden eine schlanke Gestalt in tiefschwarzer Robe. Auf der Brust waren zwei silberne, einander zugewandte Raben eingestickt. Dunkle Schatten unter seinen Augen zeugten davon, dass er nur wenig Schlaf gefunden hatte. Stumm blickte er die beiden an. Im Haus war es still und auf dem Flur flackerte eine einzelne kleine Kerze, kämpfte mühsam mit der Dunkelheit.

“Euer Gnaden,” grüßte der Gardist den Geweihten, “wie geht es meiner Schwester?”

Dass die junge Frau, die mit dem Schellenberg gekommen war, sehr überrascht wirkte, las jeder deutlich aus ihrem Gesicht. Ihr Blick ging prüfend zu eben jenem Flussgardisten, während er einen Ausdruck von Angst annahm.

Der Hüter des Raben antwortete: "Sie ist gerade erwacht und bat um einen Becher Wasser. Vielleicht möchtet Ihr ihn ihr bringen? Sie würde sich gewiss freuen." Dann trat er beiseite und lud die beiden mit einer Geste ein das Haus zu betreten. Dabei musterte er die Plötzbogen und sie hatte das Gefühl, als würde sie ein Rabe beobachten und kein Mensch. Als sie an ihm vorbei treten wollte, hielt er sie auf. "Ihr nicht, mein Kind, ich habe mit Euch zu reden."

Ira rutschte ein verdutztes ”Äh was?” heraus und warf ihrem Gatten einen hilfesuchenden Blick zu, nickte allerdings schon gleich darauf demütig, da die Etikette es nicht erlaubte, sich gegen den Willen eines Geweihten zu stellen. “Ja, gut.” Sie konnte sich wirklich nichts vorstellen, warum der Boroni sie sprechen wollte, außer, dass er vielleicht nicht wusste, dass sie Immas Schwägerin und so was wie eine kleine Schwester war. Das wollte sie dem Götterdiener aber gleich erklären.

Hrabanus führte Ira in einen freien Raum und schloss die Tür. "Der Herr sendet mir Träume, schlimme Träume. Und in einigen davon taucht ihr auf", begann er unvermittelt, " erzählt mir alles über diese Hochzeit, bei der sich ein Feind zeigte, der vielleicht stärker ist, als wir derzeit noch erahnen." Wieder schaute er sie eindringlich an.

Erneut schaffte die junge Frau es nicht, sich in Zurückhaltung zu üben. “Ist das Euer Ernst?” fragte sie immer noch völlig verwundert, aber mit einem Ton, der ein kleines bisschen zu belustigt klang. Ihr Blick war skeptisch und es stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass sie sich fragte, was es den anderen eigentlich anging. “Ich tauche wohl in Euren Träumen auf, weil ich da war. Bei dieser Hochzeit. Und weil ich einem dieser Verfluchten mit der Waffe gegenüberstand. Und nicht besiegen konnte.” Antwortete sie anschließend nüchtern. “Verzeiht mir die Frage, euer...Gnaden?... Doch was genau habt ihr denn geträumt und was genau wollt ihr von mir wissen? Dann kann ich gerne konkreter werden. Sofern Ihr mir dazu auch noch sagt, wer Ihr seid. Versteht bitte meine Verwunderung, jedoch kommt es nicht vor, dass ein Diener des Boron von mir...träumt. Noch hatte ich erwartet, hier und jetzt mit so etwas konfrontiert zu werden. Ich wollte eigentlich nur zu meiner Schwägerin und Freundin, um zu sehen, wie es ihr geht. Ich war gestern bei ihrer Befreiung dabei, müsst ihr wissen, und würde wirklich gerne erfahren, ob ich derzeit noch etwas für sie tun kann, bevor ich zurück in unser Lehen in den Eisensteinen reite.” Eigentlich wollte sie den Geweihten nicht belehren, nun hatte sie es aber doch getan und schämte sich geradewegs mit roten Wangen für diesen Bruch an Etikette. “Ähm, tut mir leid. Ihr.. Oh Mann,” sie fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. “Ihr habt mich da gerade ganz auf dem falschen Fuß erwischt.” seufzte sie entschuldigend.

Der Boroni lächelte. “Nein, Ihr habt recht. Wir haben unterschiedliche Prioritäten, doch darf ich deswegen die Euren nicht geringer schätzen. Ich bin Bruder Hrabanus und ihr dürft Euch gern im Tempel über mich erkundigen, wenn Ihr wollt. Was Eure Freundin angeht, sie durfte durch die Gnade des Herrn letzte Nacht ruhig schlafen. Zudem habe ich über ihren Schlaf gewacht. Aber sie hat schwer gelitten. Ich werde mich in den nächsten Tagen um sie kümmern und entscheiden, ob sie stark genug ist, um die Erinnerungen zu verarbeiten, was der bessere Weg wäre, oder ob ich den Herrn Boron darum bitten soll ihr die Erinnerung zu nehmen. Es würde mir helfen, wenn Ihr mir erzählen könntet, was vorgefallen ist.”

Ira nickte stumm und lächelnd, ihr Lächeln gefror jedoch zu Eis, als sir anhob zu erzählen, was passiert war. “Sie wurde entführt und in einer Hütte im Wald gefoltert, weil man ihr Informationen entlocken wollte. Welche weiß ich selbst nicht. Sie müssen der anderen Seite aber so wichtig sein, dass sie vermutlich jede Folter an Imma ausprobierten, die es gibt. Ich gehe auch davon aus, dass man sich mehr als einmal an ihr…” Der Geweihte merkte, dass sie Mühe hatte, es auszusprechen, denn Ira schluckte schwer. “...vergangen hat. Mein Mann und ich und zwei andere...wir befreiten sie im letzten Moment. Sie wäre ohne uns wohl längst..” Scheiße ja. ”...nicht mehr am Leben.” Und während sie das sagte glitzerte etwas in ihren Augenwinkeln.

"Lasst alles raus", sagte er freundlich und wartete kurz, bis sie sich gefangen hatte. "Wichtig ist, dass ihr sie gerettet habt. Nun kann die Heilung beginnen. Wenn ihr etwas tun wollt, so könnt ihr für sie beten und vielleicht dafür sorgen die Verbrecher ausfindig zu machen. Oder deren Auftraggeber."

Sie blinzelte die steigende Flut mühsam fort. “Ich fürchte, euer Gnaden, dass das nicht in meiner Macht liegt zu entscheiden. Der Herzogenhof war diesbezüglich recht stumm. Wir haben die Kerle, die sie festgehalten haben, bereits gestern der Eilenwïd übergeben und wenn man dort gewollt hätte, dass wir weitere Köpfe jagen, hätte man uns sicher bereits darüber in Kenntnis gesetzt.” brummte sie unzufrieden. Dabei konnte der Geweihte aus ihrem Murren deutlich Frust heraushören. Denn natürlich hätte Ira gerne mehr gewusst über die Hintergründe der Entführung Immas. Sie musste sich wohl jedoch damit abfinden, dass man ihr zwar für ihren Einsatz freudig gedankt hatte, doch ihr auch freudig Dinge vorenthielt.

Der Schwarzberobte hatte keine Wahl, als ihr ihre Befürchtungen zu bestätigen: “Das tut mir Leid, Ihr müsst leider akzeptieren, dass Ihr alles getan habt, was in Eurer Macht stand. Nun bleibt Euch nur noch für Eure Schwägerin da zu sein. Wollen wir gleich damit beginnen und zu ihr rüber gehen?”

Verwirrt ging ihr Blick zur Tür, fiel dann jedoch wieder auf den Geweihten. “Was ist mit euren Träumen, sind eure Fragen diesbezüglich ausreichend beantwortet, oder kann ich Euch vielleicht noch bei etwas...helfen?” fragte sie nicht ohne Neugierde. Das Thema war zwar auch nicht angenehm, aber angenehmer als das vorherige in jedem Fall. “Ich gestehe, es verwundert mich, dass gerade ICH in den Bildern vorkomme, die Euch der Traumbote schickt. Ähm….” Ein Gedanke streifte Ira plötzlich und der machte ihr Angst. Wie weit reichte sein Wissen? “...hm...was genau träumtet Ihr denn nun... von mir?”

“Es begann vor einigen Jahren, als ich wieder in Almada unterwegs war. Ich träumte von den Nordmarken. Ein Schatten fiel auf unsere schöne Heimat und Dunkelheit quoll an verschiedenen Stellen hervor. Ich träumte von Personen und Ereignissen, von Gefahr und Blut, von spitzen Zähnen, die in dunklen Gassen und hinter verschlossenen Türen sich tief in das Fleisch Unschuldiger bohrten. Ich sah nicht nur Euch, als tapfere Streiterin, doch lenkte der Herr meinen Blick auf ein Schmuckstück, dass Ihr trugt. Dann sah ich einen blonden Jüngling mit demselben Schmuck. Er wurde von der Widersacherin berührt und ist damit anfälliger für diese Dunkelheit. So, wie die Familie, die auf der Hochzeit auftauchte und dort sogar ein Baronshaus auslöschte. Zudem hat er sich gegen die Gräfin gestellt. Der Feind, den ich noch nicht erkennen konnte, ist vielleicht schon auf euch aufmerksam geworden. Ich brauche Eure Hilfe im Kampf gegen die unheilige Dunkelheit und ihr braucht die meine.“

Bei den Worten des Geweihten wallte allerdings nur noch mehr Unbehagen und Angst in Ira auf. Jost war von der Widersacherin berührt worden? Ihr nächster Schritt war jedoch nicht panisch abzustreiten, was sie gehört hatte, sondern sie sann angestrengt darüber nach, was von dem Zeug, das der Geweihte da von sich gab, wirklich wahr sein konnte. Wenn auch nur im Ansatz. Ihr war sofort ein ganz besonderes Schmuckstück eingefallen, das sowohl sie als auch ein blonder Jüngling einst getragen hatte: ihre kleine goldene Shinxirhornisse. Jenes Erbstück von ihrem Schwertvater, ihrem blonden Schwertvater. Allerdings war Shinxir in ihren Augen keine Widersacherin. Shinxir war ein Gott, ein mächtiger, alter, der zwar nach seinem alten Thron in Alveran blickte, aber ihn als ‘Widersacher’ noch dazu in weiblicher Form zu bezeichnen war einfach nicht sinnig. Auch war der Herr der Legionen kein Feind göttlicher Ordnung. Er hatte sogar in gewisser Weise viele Aspekte der Ordnung an sich. Wie passte das aber mit dem verfluchten Rimbert von Finstertann zusammen? Eigentlich ja gar nicht. “Ein Schmuckstück? Öh...Welches denn?... Und, äh...welche äh Widersacherin meinen euer Gnaden?” fragte sie vorsichtig. Innerlich machte sie sich Gedanken darüber, ob sie es tun können würde, den Geweihten im schlimmsten Falle des Falles zu seinem Gott zu schicken. Sie wollte das nicht. Aber falls er ihr und Josts Geheimnis kannte, wenn auch nur durch ein kryptisches Traumbild, dann… Sie verdrängte den Gedanken und zwang sich zur Ruhe.

"Es war ein gebogenes Stück Metall, Silber vermute ich, mit zwei Perlen daran, eine weiße und eine rote." Er schaute sie prüfend an. "Eure Frage lässt vermuten, dass ihr noch andere Schmuckstücke tragt, die Euch mit anderen verbinden, abgesehen von Eurem Ehering. Die Widersacherin, die ich meine, ist die meines Herrn. Der innere Tempel dieses Mannes wurde stark erschüttert."

“Ach…” Die junge Frau griff erleichtert lächelnd in ihren Ausschnitt und holte eine kleine silberne Spore an einem Lederband hervor, die von einer weißen und einer roten Perle gekrönt war. “...das?”

Hrabanus nickte.

Nun wusste sie auch, dass der Geweihte sich eben sein Leben zurückgekauft hatte. “Verzeiht mir, dass ich nicht gleich bei euch war. Natürlich habe ich weitere Schmuckstücke, mit einem davon bin ich beispielsweise mit Imma verbunden, wenn ihr es so sagen wollt.... Aber nun weiß ich, wer der blonde Jüngling war, den ihr gesehen habt und was ihr bezüglich der Widersacherin eures Herrn meint.” Sie schien nicht mehr verwirrt, sondern froh, dass sie den Geweihten nun verstand.

Das sie seiner Frage ausgewichen war, ignorierte der Hüter des Raben und lächelte. "Würdet Ihr mich denn aufklären, um wen es sich handelt?"

“Ihr habt einen meiner Bundbrüder gesehen. - Ähm, wir sind Mitglieder eines Ritterbunds, das hier ist unser Erkennungszeichen,” erklärte sie. ”Die Spore des Rondra-Heiligen Sankt Orgils, der unser Vorbild ist. Sozusagen. Wir nennen uns auch so: Schwurbund nach Vorbild des Heiligen Orgils.” Ihr Gesicht bekam einen stolzen Glanz. Selbiger verlor sich allerdings sofort wieder. “Und eben jener Bundbruder wurde in der Rabenmark Opfer der Widersacherin, das stimmt. Sie kam in einer Traumreise zu ihm. Es… war…” Ihre Stimme brach vor Besorgnis, die er ihr ebenso ansehen konnte wie ihre aufkeimende Wut. “Wie sagtet ihr? Sein innerer Tempel?” Bei diesem Sinnbild wurde ihr fast schlecht, denn es traf leider in allen Details zu. “Ich fürchte das trifft es leider genau”

“Nun, dann werde ich mich wohl seiner annehmen müssen, nachdem ich mich um Eure Schwägerin gekümmert habe”, lächelte der Boroni, “er scheint Euch am Herzen zu liegen. Sorgt Euch nicht weiter. Der Herr ist weit mehr, als das Ende. Er führt meine Hand und das schon seit Jahren. Ich werde mich um beide kümmern und ihnen helfen ihre persönliche Nacht zu überstehen. Kann ich Euch noch etwas von Eurer Last nehmen?”

“Meine Last? Ich..” sie zögerte kurz, entschied sich dann aber für die Ehrlichkeit. “...würde euch anlügen, wenn ich sage, dass ich keine habe. Aber mit diesen Dingen muss ich alleine klarkommen. Sie sind eher, öhm, weltlicher Natur.” Sie lächelte vorsichtig, als sie an Rickenbach, Leuhart, Lupius und den Baron denken musste. Aber es verlor sich, ohne dass sie es merkte, als ihr Gedankenkarussell sich weiter drehte. Vampire, Jost, die Rabenmark, ihr dortiger Tod… “Also, mein Freund heißt Aureus Praioslaus von Altenwein,” riss sie sich von ihren inneren Fragen los. “Er dient mir zukünftig eine zeitlang als Dienstritter in, äh, dem Lehen, das ich für meinen Mann führe.” sagte sie und fügte hinzu, “Auf Gut Rickenbach in der Baronie Eisenstein.”

“Nun, dann werde ich ihn, und Euch, dort mal besuchen kommen, wie mir scheint…”, er unterbrach sich selbst und lauschte, “Verzeiht, aber ich glaube meine Patientin braucht mich, wir sollten hinüber gehen.”

“Ihr sollt uns willkommen sein. - Gut, gehn wir.”

Lupius selbst hatte schon in der Küche ein Glas Wasser entgegengenommen und sich zu seiner Schwester begeben, die still die Flüssigkeit trank, während sie Lupius Hand hielt.

Man hatte ihm gesagt, dass der Wohlgelehrte Herr Magus just gerade ausgetreten sei und sich, da die Schellenberg bis eben noch unter Aufsicht des Geweihten tief geschlafen hatte, ein wenig die Glieder bewegte, nachdem er doch die ganze Nacht treu, aufopfernd, aber steif neben der Kranken gesessen und ihre schwache Hand gehalten hatte.

Lupius war froh, Imma allein anzutreffen. Er strich sanft über ihre Hand und mühte sich nicht an die Bilder ihres geschundenen Leibs zu denken, die ihn nun wieder quälten, nachdem er sie wieder gesehen hatte.

Der Schellenberg war jedoch noch nicht lange anwesend, als die Tür aufging und sich Iras Onkel hinein schob. Er trug eine neue schneeweiße Robe. “Schellenberg,” grüßte Helswin den Gleichaltrigen mit militärisch knappem Knicken, während er Imma ein sanftes Lächeln zuwarf, als er an ihr Bett trat. “Elsterlein, du bist ja wach.” Lupius fiel auf, dass Helswins Stimme eine ganz andere war, wenn er mit Imma sprach.

‘Ein Magus, wieso musste es ein Magus sein’. “Plötzbogen” knurrte er und registrierte, dass auch Imma in Helswins Nähe etwas mehr Farbe bekam und ein stilles Lächeln auf ihren Zügen erschien.

“Ja. Gerade eben bin ich erwacht.”

Und Lupius musste erkennen, dass auch ihre Stimme einen anderen Klang bekam.

Helswin ließ sich wie selbstverständlich auf den Stuhl sinken, der neben dem Bett stand. “Wie fühlst du dich?”

Imma wurde rot und zog die Decke etwas nach oben, wie um eine Barriere zwischen sich und der Welt aufzubauen. “Ich… weiß es nicht.” seufzte sie und ihre grünen Augen funkelten, weil Tränen darin zu glitzern begannen. Feucht schluckte die Schellenbergerin als sie Helswin und Lupius ansah. Ihr Blick glitt nach unten. Sie schämte sich. Dass sie sich wie ein dummer Hase hatte fangen lassen, dass sie sich nicht hatte wehren können. Ira wäre das sicher nicht passiert. Die hätte sich gewehrt und sich selbst befreit, sich gar nicht erst fangen lassen. Während sie selbst, wie stets eine einzige Last war. Für jeden. Nicht in der Lage ihr eigenes Leben zu beschützen. Leise rannen Tränen über ihre Wangen. Und dann hatte ihr Bruder sie finden müssen. Und Helswin. Geschändet und halb tot. Sie schlug ihre Hände vors Gesicht und schluchzte lautlos. Nur das zuckende Heben und Senken ihrer Schultern deutete auf eine innere Qual, die sie nicht nach draußen lassen wollte.

Lupius blickte unsicher über seine Schulter. Wo war der Boroni. Was konnte der tun? Was konnte er selbst tun?

“Und wie hast du ….geschlafen?” versuchte Helswin auf andere Weise sanft zu ihr durchzudringen. Er sah sie durchaus interessiert an, allerdings förmlicher, als sein eben noch verflogenes Lächeln. Nach außenhin wirkte er kühl, abgeklärt, als könne ihn ihre Hilflosigkeit nicht erschüttern. Der Blick Immas in die Augen des Magus zeigten jedoch seine Sorge um die kleine Schellenberg sehr gut.

Ihr Schlaf war erstaunlich erholsam gewesen. “G...Gut.” sagte sie, bemüht ihr Schluchzen zu unterdrücken. Nur jetzt... waren die Bilder wieder da. Brachen über sie herein. Und sie schalt sich selbst einen Dummkopf in so eine Situation gekommen zu sein. Die Erinnerungen trafen ihre angegriffene Seele. Und so sehr sie sich mühte, sie wollten nicht weichen, erstanden immer wieder in ihrem Geiste, so oft sie sich mühte sie mit den Tränen aus ihrem Kopf fortzuspülen.

Die Hand des Magus legte sich erstaunlich sachte auf ihr Bein, dass sich unter der Decke befand. “Vielleicht solltest du dich wieder hinlegen und...ausruhen...schlafen.”

Es klopfte. Hrabanus wartete fünf Herzschläge ab, bevor er eintrat. Zeit genug, damit sich alle im Raum in eine unverfängliche Position bringen konnten. “Guten Morgen”, grüßte er alle im Raum. Dann wandte er sich Imma zu…

...aber die Ritterin, die ihn begleitete, kam ihm zuvor. Sie machte schnelle Schritte um den Geweihten herum, ein “Tschul’gung euer Gnaden” murmelnd und war rasch an das Bett der Versehrten geeilt. Am liebsten hätte Ira die Schellenberg umarmt, was sie jedoch aus Angst, sie könne ihr wehtun, nicht tat. “Imma!! Wie gehts dir?” fragte Ira stattdessen überschwänglich. Gleichzeitig ärgerte sie sich unglaublich, dass sie diese Frage gestellt hatte. Denn noch plumper ging es ja wohl nicht mehr. Wir sollte es ihr schon gehen, nach dieser furchtbaren Zeit. “Äh, wie war die Nacht, konntest du denn...schlafen?”

Die blasse junge Frau nickte. Eingekeilt zwischen Helswin, ihrem Bruder und Ira, fühlte sie sich zunehmend unangenehm bedrängt. Ihre Lippen zitterten. “G … gut.” antwortete sie einsilbig. Sah dabei aber Ira nicht an. Würde sie ihr jemals wieder in die Augen sehen können, oder Lupius… oder Helswin? Würden sie je wieder….. Sie schluchzte laut auf, während sich der Gedanke in ihr manifestierte für alle Zeit nun beschmutzt zu sein… Würde er sie jemals wieder…. Würde irgendwer sie jemals wieder….. Und dann…. Vor Rahja. Wie sollte sie jemals wieder einem Mann Lust schenken oder selbst solche empfinden? Mit einem Körper, der verdorben worden war. Und einer beschmutzten Seele, die ihre Unschuld, ihre Reinheit verloren hatte. Würde sie überhaupt ins Totenreich eingelassen, mit so einer Seele… oder würde man sie ablehnen und in die Seelenmühle stoßen. Während all diese Gedanken sie durchströmten, sich überschlugen und sie tief und immer tiefer in unlösbare Seelenqualen drückten, klammerten sich ihre Hände in die Decke über ihrer Brust, ihre Schultern zuckten mit jedem Schluchzen und ihr Blick war mit geschlossenen Augen auf ihre Finger gerichtet.

Ihr Bruder musste schlucken und sah hilfesuchend zu seiner Frau und Hrabanus.

"Geht jetzt bitte", war die sanfte, aber bestimmende Aufforderung des Geweihten, als er merkte, wie aufgewühlt Imma war," sie braucht jetzt etwas Ruhe." Mit ausgebreiteten Armen, den einen Richtung Tür gestreckt, den anderen um die Gäste zu umfangen und hinaus zu geleiten, wirkte er beinahe wie das Tier seines Herrn. "Ich lasse euch rufen, wenn sie bereit ist einen von euch zu empfangen. "

Helswin strich über Immas Bein und zog sich dann als erster auf die Beine. “Elsterlein, ich werde heut Abend wiederkommen. Ruh dich aus!” Er schenkte ihr eines seiner seltenen Lächeln. Auch wenn sie es nicht sah. Dann wandte er sich mit ernstem Gesicht um und nickte jedem kurz zu. “Euer Gnaden...Weibel...Iradora.” Er musterte die beiden Eheleute jedoch einen Augenblick aus zusammengekniffenen Augen länger. Ihm lag ein Kommentar auf den Lippen. Doch er ließ ihn unausgesprochen und verließ stattdessen das Zimmer. Nur sein Geruch, der von gepflegtem Mann, welcher der Körper-Hygiene mit Duftwässerchen nachhalf, hing noch in der Luft.

Ira suchte hilfesuchend Lupius’ Blick. “Ja, dann, äh…” Der Rausschmiss des Geweihten hatte sie kalt getroffen und der Blick ihres Onkels hatte das seinige zu ihrer Verwirrung beigetragen. Da war doch so viel, was sie wissen wollte, so viel, was sie Imma sagen musste. Sie wollte das nicht aufschieben. Ihr blieb allerdings wohl keine andere Wahl

Lupius ignorierte im ersten Augenblick den GEweihten und strich seiner kleinen Schwester über die Wange. “Alles wird gut, Imma.” sagte er leise, ehe er nach Iras Hand griff und seine Hand mit ihrer verschränkte, ob nun für sich oder für seine Angetraute, ließ sein Blick nicht erkennen.

Als die beiden Männer nicht mehr an ihrem Bett saßen, fühlte sich die Welt um die Schreiberin noch düsterer an. Nun war sie allein. Ganz allein. Tränen rannen ihr die Wangen hinab und sie umfing ihre angewinkelten Beine unter der Decke mit ihren Armen. Drückte ihre Stirn gegen die Knochen ihres Knies und begann sich auf und ab zu wiegen.

Hrabanus kam näher und setzte sich zu ihren Füßen auf die Bettkante. Sanft sprach er sie an: “Imma? Möchtest Du mir sagen, was Du gerade fühlst und denkst?”

Ihr Kopf war leer. Ihr Herz sollte es sein. So fühlte es sich an. Sie hatte alles hinausgepresst, um nicht zu fühlen. Nichts. Sie brauchte Abstand. Um diese Leere erhalten zu können. “Nichts.” hauchte sie rauh. Und begann wieder leise zu weinen. Als liessen sich all die fürchterlichen Gefühle aus ihren Augen herausdrücken, bis sie sie alle verloren hatte.

Die Besucherschwemme hatte ganze Arbeit geleistet. Er musste versuchen sie wieder zurück zu führen, oder sie wäre nicht mehr zu einer Mitarbeit zu bewegen. “Kannst Du Dich daran erinnern, wie Du Dich letzte Nacht gefühlt hast? Hast Du vielleicht etwas geträumt?”

“Ich habe gut geschlafen. Nicht...geträumt…. Nichts….gefühlt….nur… Wärme.” abgehackt und von leiseren SChluchzern unterbrochen antwortete die junge Frau.

“Nimm diese Wärme. Erinnere Dich an sie und lass sie Dich durchfließen. Sie ist ein Geschenk des Herrn.” Der Hüter ließ Imma Zeit sich auf das Gefühl zu konzentrieren. Sie musste es selbst schaffen, sie zu drängen hatte keinen Sinn.

Doch Imma war abgelenkt. Das Geschehene zurückzudrängen war anstrengend. Am liebsten wollte sie schlafen. Ohne aufzuwachen. Bis der Schmerz fort wäre. “Kann ich… nach Hause?” fragte sie zitternd. Dort wäre niemand. Sie könnte ihre Türe abschliessen. Und in ihrem Bett liegen. Dort die Wärme suchen. Nicht hier. In dem fremden Haus von Elvans Mutter. “Wenn ihr nur…. Meinem Bruder sagen könnt..et...dass er nicht….mich nicht…. “Sie seufzte und schlang die Arme fester um ihren Körper.

Der Geweihte griff nach einer weiteren Decke und legte sie Imma um die Schultern, damit ihr Rücken nicht weiter auskühlte und ihr mehr Geborgenheit verschaffte. “Wenn die Doctora Eure Wunden nicht weiter versorgen muss, dann sehe ich nichts, was dagegen spricht. Allerdings werde ich Euch begleiten. Habt Ihr Personal in Eurem Hause?”

Imma nickte.

“Möchtet Ihr, dass sie Euch so sehen, oder möchtet Ihr, dass sie für eine Woche, oder auch zwei, ihre Verwandten besuchen, privaten Aufgaben nachgehen oder ähnliches?”

Die Frage überforderte die Arme ein wenig. “Vielleicht…. Ein paar Tage?” krächzte sie unsicher.

“Gut. Dann werde ich mit ihnen reden. Wollt Ihr sonst noch irgendwas? Euer Lieblingsessen? Eine bestimmte Person? Oder etwas anderes?” Sie schüttelte langsam den Kopf: “Niemand, den ihr mir bringen könntet.” sagte sie so leise, dass Hrabanus sie fast nicht hören konnte.

Lupius und Ira betraten die Küche, um nach Elvan und seiner Mutter zu schauen. Die Hände trugen sie wieder sittsam jeder für sich. Der Magus schien tatsächlich gegangen, wie sie erfahren konnten. Hrabanus folgt kurze Zeit darauf, um -zwar mitfühlend, und dennoch mit Nachdruck- darum zu bitten, Imma eine Weile alleine zu Hause zu lassen. Mit ihm und Dari. Lupius nickte widerwillig. Wenn es das beste für sie wäre, würde er sich natürlich fügen. Auch wenn es ihm ganz und gar nicht passte.


Streit und Freundschaft

Nachdem Lupius und Ira von Immas Krankenbett komplimentiert worden waren und sich noch ein wenig mit Elvans Mutter ausgetauscht hatten, standen sie nun vor deren Haus.

Lupius Magen knurrte und er sah Ira an. “Frühstück?”

Die nickte, obwohl sie keinen rechten Hunger hatte. Immas Anblick und Verwirrtheit, Iras Gespräch mit dem seltsamen Borongeweihten, letztlich dann der Rauswurf durch den Wunsch Immas nach dem Alleinesein hatte Ira auf den Magen geschlagen. Außerdem lag ihr noch der kleine ‘Disput’ mit Lupius von heute nach dem Aufwachen schwer im Magen...

“Das Nest ist noch nicht geöffnet, aber ich kenne zufällig den Wirt.” sein Versuch mit Humor die Situation zu lockern missglückte an seinem Blick, in dem immer noch die tiefe Besorgnis um seine Schwester zu lesen war.

Der Innenhof der Taverne war aufgeräumt und strukturiert. Es gab einen großen Stall und einen geräumigen Schuppen. Zwischen beiden Gebäuden war ein robustes Gatter angebracht, hinter dem Hühner herumliefen und einige Ziegen uninteressiert auf etwas Heu herumkauten. Eine Stiege führte in das obere Stockwerk des geräumigen Fachwerkhauses. Die überdachten Stufen endeten vor einer dicken, hölzernen Tür mit einem unerwartet hochwertigem Schloss.

Lupius’ Faust flog dagegen und es dauerte eine Weile bis ein verschlafen dreinblickender Milian die Tür öffnete.

Schon mit dem Ausschwingen fluchte er: “Lupius, was machst du für einen Lärm, um diese Tageszeit.”

Lupius drückte sich an seinem Vetter vorbei in die Stube.

“Oh, Ira, du auch hier?” er seufzte. “Komm rein.”

“Morgen Milian,” grüßte sie den Vetter ihres Mannes. “Wir waren gerade bei Imma,” versuchte Ira ein Gespräch anzufangen, welches Lupius’ Vorhaben noch etwas verzögern und andererseits davon ablenken sollte, dass sie nicht recht wusste, wie sie Milian begegnen konnte, nachdem sie zweimal mit Lupius im Bett war - an zwei Nächten hintereinander und einmal davon auch durch Wut auf Milian. “Äh, wollen wir vielleicht zusammen frühstücken? Ich kann mich gern nützlich machen…also mit dem Frühstück meine ich….Öhm, haben wir dich geweckt?”

Der gähnte. “Macht nichts. Hatte gestern noch einige…. Angelegenheiten zu regeln.”

Er deutete auf eine Sitzecke am Fenster. Polstersessel standen dort um einen kleinen Tisch. “Nicht gerade geeignet für ein Frühstück.” Im Kamin daneben prasselte ein Feuer. “Am besten gehen wir hinunter. Geht ihr beide doch schon vor. Ich werde mich etwas pässlicher kleiden.” Jetzt erst, als sie ganz eingetreten war, fiel Ira auf, dass Milian nicht angekleidet war und in einem Nachtgewand mit einem übergeworfenen Mantel die Tür geöffnet hatte.

Lupius hatte eine der vier Türen, die ins Innere des Hauses führten geöffnet. “Ja, wir gehen hinunter, ich weiß ja, wo alles ist und wen ich fragen muss.”

Ira überlegte kurz, ob sie Lupius folgen sollte, und entschied sich dagegen. Stattdessen ging sie Milian nach und klopfte vorsichtshalber an das Türholz zu seiner Kammer. Sie wollte ihn ja nicht beim Umkleiden erschrecken, oder in seiner Nacktheit (obwohl da ja nichts dabei war), sie musste ihm aber zumindest eine Vorwarnung geben, weil sie ihn ja doch im Grunde sehr mochte. “Hör mal, Milian. Lupius ist irgendwie wegen etwas, was du gestern getan hast, nicht gut auf dich zu sprechen und könnte womöglich… Also jedenfalls solltest du dich vielleicht, hm, vorsehen? Ich, öh, wollte dir das nur mit auf den Weg geben.”

Die Tür öffnete sich und Milian streckte den Kopf heraus: “Danke, Ira. Ich weiß das zu schätzen.” Dann grinste er schief: “Ich kenne Lupius schon mein ganzes Leben lang. Und ich weiß, dass er mit einer Sache große Probleme hat: Die Kontrolle zu verlieren. Er HASST es geradezu. Und was gestern passiert ist, kann man wohl ziemlich trefflich mit dem Wort Kontrollverlust beschreiben.” Dann glitt das Türschloss sanft zurück und Milian war wieder in seiner Kammer verschwunden.

Verwundert starrte Ira das Türholz an, das Milian ihr vor der Nase zufallen ließ. “Sag mal, wird das jetzt zur Gewohnheit, dass du die Tür vor mir zumachst?” konnte er sie hören und auch die mit Verwunderung gewürzte Belustigung in ihren Worten. Eigentlich hatte sie sogar gerade mit dem Gedanken gespielt, Milian auch noch ein anderes Beispiel für Lupius’ Kontrollverlust zu nennen. Das verwarf sie nun aber zugunsten ihres empfundenen Ärgers, weil sie es doch sehr unhöflich fand, dass er sie aussperrte, nachdem sie ihm eine Nettigkeit getan und vorgewarnt hatte. Und kurz spitzte sie die Ohren, weil ihr der Gedanke kam, dass es möglich war, dass er das nur getan hatte, damit sie nicht mitbekam, dass Milian gar nicht allein gewesen war. “Ja, ja, schon gut. Ich geh dann mal,” warf sie dann noch gegen das Holz und wandte sich dem Durchgang zur Treppe zu. Aus Neugier blieb sie jedoch nach einigen Schritten stehen.

Es dauerte nur wenige Augenblicke bis Milian, angekleidet, vor ihr stand. “Oh noch da?” fragte er mit amüsiertem Unterton. “Da gehts lang.” Und er deutete auf die Treppe, die hinter der geöffneten Tür, in der Ira wartete, nach unten führte.

Ira deutete allerdings auf seine Kammer. “Was versteckst du denn da drin, hm?” Fragte sie neugierig, um gleich auch ihre Vermutung in den Raum zu stellen. “Wenn du Besuch hast, kannst du’s ruhig sagen…”

Er sah sie irritiert an. Es war Ira als zucke ganz kurz ein Muskel in Milians Gesicht. Dabei fiel ihr plötzlich auf, dass Milian stets… so beherrscht war, dass sie noch nie Emotionen in seinem Gesicht gesehen hatte. Dann schüttelte er den Kopf. “Nein, Ira.” Er drehte sich zur Treppe und stapfte diese nach unten.

Ira war noch etwas auf der Zunge gelegen, aber sie hatte wegen dem merkwürdigen Ausdruck in Milians Gesicht glatt vergessen was. Daher trottete sie ihm nach.

Unten hatte Lupius sich schon aus der Küche bedient. Eine ältere Frau mit matten roten Haaren, schmaler Taille und kleinen, hängenden Brüsten, die von vielen Kinderhänden sprachen, die an ihnen gezerrt hatten, trug gerade eine Schüssel mit rohem Gemüse an den Tisch, den Lupius hergerichtet hatte.

Ansonsten war die Gaststube leer. So früh am Vormittag war sie nicht geöffnet.

Milian nickte ihr lächelnd zu und sagte ein paar Worte zum Morgengruß ehe er sich Lupius zuwandte. “Hunger?” er ließ sich auf einen der Stühle nieder.

“Ja” kam die gebrummte Antwort von Iras Ehemann.

Brot, Schmalz und Schinken stand schon auf der Platte, ebenso drei Teller mit Besteck.

“Oh ist das Gänseschmalz?” Schnell hatte sich auch Ira neben Lupius niedergelassen und nach dem Tiegel und einer Scheibe Brot gegriffen. “Ich liebe Schmalz.” frohlockte sie dabei, bevor ihr auffiel, dass ihre Euphorie von den beiden Männern nicht erwidert wurde. “Mann, hab ich einen Hunger,” sagte sie stattdessen, während sie sich das Brot dick mit der weißen fettigen Paste bestrich und sich ihre Wangen rot färbten, als sie kurz zu Lupius sah und dabei an die vergangene Nacht dachte.

In seinem Blick lag eine Spur Zärtlichkeit bevor er sich Milian zuwandte. “Gestern noch… gearbeitet?” brummte er verdrießlich.

“Japp.” kam die knappe Entgegnung und Milian schaufelte sich etwas von der Rohkost auf den Teller. Dann kam die Rothaarige zurück und Milian nahm ihr die Kanne mit dem warmen Tee aus der Hand: “Danke Edda. Bring noch die Eier und dann kümmere dich bitte um die Ziegen.” sagte er dabei.

Die beiden Vettern kauten still bis das Rührei auf dem Tisch stand. Angerichtet in einer großen Schüssel, die mitten auf den Tisch gestellt wurde.

Als die Hintertür in den Hof ins Schloss fiel, fragte Milian: “Ist alles in Ordnung? Du wirkst etwas ungehalten.”

“Weißt du woran das liegt? Daran, dass ich ungehalten bin.” kam die prompte Antwort.

Milians Augenbrauen wanderten seiner Stirn entgegen. Wie bei seinem Vater schien seine Stirn die Tendenz zu haben, im Alter größer zu werden.

Unweigerlich kaute Ira etwas langsamer und entfernte sich auch körperlich ein wenig vom Tisch, harrend der DInge, die ihr gleich womöglich um die Ohren fliegen würden.

“Was ist dein Problem?” fragte Milian ruhig.

“Das weißt du genau.” kam die mürrische Antwort

“Ja.”

“Warum fragst du dann so blöde?”

“Weil ich gehofft hab, du erkennst deine eigene Idiotie, wenn du es laut aussprichst.”

Nun ließ Lupius sein Besteck auf den Teller klatschen und sprang auf die Füße. “Ich hasse es, wenn du so überlegen und dreimal schlau tust.”

“Du hasst es wohl eher, dich dreimal dümmer zu fühlen.” entgegnete sein Vetter mit weiterhin gefasster, ruhiger Stimme.

Lupius ballte die Fäuste und knurrte.

“Schlag zu, wenn du dich dann besser fühlst.” bot Milian ihm an: “Aber erwarte nicht, dass du es nicht mit gleicher Münze zurück bekommst.”

Da traf ihn schon die Faust des großen Gardisten direkt unter den Kiefer.

Ira zuckte vor Schreck zusammen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es wirklich passierte.

Milian kippte mit dem Stuhl zurück und konnte sich gerade so abfangen und auf die Füße taumeln.

“Du hast sein Gold genommen.”

“Ja, und damit werde ich die Dottora bezahlen. Und der Boronkirche eine Spende erbringen.” Milians Stimme klang weiterhin beherrscht, wenngleich die Spannung in seinem Körper zugenommen hatte. Er war offensichtlich bereit für einen Gegenschlag.

“Wir brauchen das Gold dieses heuchlerischen…”

“Alfons ist nur der Bote. Es ist das Gold des Herzogs. Sie stand in seinen Diensten. Und wegen dieser Dienste ist alles passiert. Da ist es nur gerecht, dass ihr Dienstherr zahlt.”

“Nein.” dieses Mal verfehlte die Faust des Offiziers den Verwandten. “Sie ist meine kleine Schwester, ich bin für sie verantwortlich.”

Da traf Lupius der Hieb seines besten Freundes unters Auge. “Das bist du nicht. Sie ist mündig und du nicht das Oberhaupt eures Hauses.” keuchte Milian, während er sich die geschwollene Hand schüttelte. “Und du hast einen verdammten Dickschädel.”

“HALT!” Ira sprang auf die Beine und streckte die Arme nach beiden Seiten aus, um einerseits ihren Mann davon abzuhalten, den Rickenbacher zu schlagen und andersrum. “Wer ist Alfons? Und, scheiße nochmal, was hat Imma da wirklich gemacht? Ist sie überhaupt keine Schreiberin, oder was??” Sie verstand gerade kein Wort. “Warum hab ich das Gefühl, dass ich die einzige hier bin, die hier irgendwas nicht weiß, hä?” fordernd blickte sie zwischen den Männern hin und her.

Lupius schnaubte und Milian blies sich die Haare aus der Stirn: “Alfons ist der gesittete Herr, der gestern die Gefangenen entgegengenommen hat.”

“Ein Freund von Milian.” entgegnete Iras Gatte kalt.

“Wie...Freund?” fragte Ira verwirrt.

Sein Vetter lächelte nur, während sein Kiefer leicht anschwoll: “Freund ist zuviel gesagt. Ein Geschäftspartner - ab und an.”

Lupius schnaubte und ließ sich auf seinen Stuhl zurück plumpsen, während sein Verwandter sich in Richtung der Treppe ins Obergeschoss drehte: “Ich hole etwas, bin gleich zurück.”

Nur kurz sah Ira Milian nach, weil ihr eine Frage unter den Nägeln brannte, die sie sogleich Lupius stellte. “Was meint er mit ‘Geschäftspartner’?”

Der zuckte mit den Achseln. “Manche Sachen will ich nicht so genau wissen.”

“Das hört sich ja gerade so an, als würde Milian phexische Dinge tun... Für das Herzogenhaus!” Das brachte sie doch wieder in Rage, denn über ihre Aktionen regte sich stets jeder auf, während andere Leute anscheinend machen konnten, was sie wollten. Die Ungerechtigkeit, die Ira in dem Moment empfand, konnte Lupius ihr ansehen. “Wer von euch weiß davon?”

“Wer weiß was?” Irritiert sah Lupius sie an. “Von was redest du? Er ist einfach gut informiert. Selbst ich nutze manchmal sein Wissen, wenn ich etwas oder jemanden suche. Kein Grund sich aufzuregen.”

“Sagt der, der hier alles und jeden zur Rede stellen wollte,” erwiderte sie in der selben Weise gereizt.

“Ja, und das werde ich. Aber nicht über Dinge, die ich schon weiß.” blaffte ihr Mann zurück.

“Und was ist es, was du weißt? Ich weiß hier irgendwie gar nichts und es hat auch anscheinend keiner Lust mir irgendwas zu sagen. Das find ich scheiße. Imma bedeutet mir auch etwas!”

“Bei den Göttern, Ira. Milian macht sich daran in der Gilde der Wirte aufzusteigen. Einige sind glücklich mit ihm einen Adeligen zu haben, der ihnen - in ihrer Vorstellung - gewisse Tore öffnen kann. Andere sind froh, dass jemand da ist, der wirklich mit Zahlen umgehen kann. Aber einige sind genau gegenteiliger Meinung. Jedenfalls ist er der bestinformierte Mensch, den ich in Elenvina kenne. Und ich kenne hier viele. Sowas bekommt jemand, wie dieser Alfons eben mit. Mehr.. ist da nicht dran.” Zumindest hoffte er das. Und weiter darüber nachdenken wollte er auch nicht.

Ihr lag eine Rüge auf der Zunge, aber sie ließ das mal so stehen und brummte nur “Ja gut. In Ordnung. Verstehe.” Ganz tat sie es nicht, aber auch das sollte erstmal so bleiben. Dann wandte sie sich nun wieder ihrer Mahlzeit zu, die Dinge, die sie erfahren hatte, geisterten ihr im Kopf herum. Mit einem unwohlen Gedanken, den die Flut an Land gespült hatte, drehte sie Lupius wieder den Kopf zu: “Milian macht aber nichts...Gesetzloses… Oder?”

“Nein.” kam die Antwort etwas zu schnell: “Hoffe ich für ihn.” schob Iras Gatte leise hinterher. Diesen Aspekt pflegte er zu verdrängen.

Nach einer Weile hörten die beiden seine Schritte, die seine Milians Rückkehr ankündigten. Er hatte ein gepflegtes, wenn auch abgegriffenes Ledermäppchen unter dem Arm. “Imma ist schon eine Schreiberin am Herzogenhof, aber … um deine Frage zu beantworten, Ira: ich habe einen Verdacht….” er entnahm dem Etui ein Stück Pergament, ein Tintenglas und eine gläserne Feder. “Und Lupius, mein Herz, halt dich einen Moment mit deinen Fäusten zurück, solange ich die Tinte offen habe. Denn ich möchte weder die Tinte verschwenden, noch meine Kleidung oder den Tisch verderben.” Er öffnete das Glas und tauchte die Feder ein. “Lupius, du weißt, einige in der Familie verfügen über ein ausgeprägtes mathematisches Gespür.”

Wieder schnaubte Lupius nur: “Ja, das ist mir bekannt.”

“Nur kein Neid.” stichelte der Rickenbacher während seine Feder über das Papier strich.

“Neidisch? Wenn ich mir unseren alten Onkel so ansehe, sollte ich glücklich sein, dass dieser Kelch an mir vorüber gegangen ist.”

“Ah, Hesindiard.” Ira musste unwillkürlich in schmunzeln, als sie an den penetranten Alten dachte - der sich doch am Ende sehr für sich eingesetzt hatte. Dafür spürte sie immer noch große Dankbarkeit. Daher kam sein Name auch mit Bewunderung über ihre Lippen.

Milian lachte auf, als er Iras Gesicht sah. “Ja, es kann ein Segen oder Fluch sein.” wieder hörte man einen kurzen Moment nur das Kratzen der Federspitze. “Sprachen sind auch nur ein mathematisches System - sagen einige.” erneut wurde es still in der ansonsten leeren Taverne. Dann hob der Wirt schließlich das Pergament hoch. Es war eine völlig unzusammenhängende kurze Reihe von Zahlen.

“Was soll das sein.” ungehalten herrschte der Gardist seinen Freund an

“Zahlen.” war die kurze Antwort. “Aber auch eine Schrift.”

“Hübsch. Aber was willst du uns damit über Imma eigentlich sagen, Milian? Komm schon, wir sind dumme Ritter, wie du weißt. Falls du also eine Erkenntnis von uns erwartest, fürchte ich, müssen wir dich enttäuschen,” forderte Ira ungeduldig und selbstironisch. Sie hatte sich auch wieder auf ihren Stuhl gesetzt und während Milian auf das Papier kritzelte immer wieder in Lupius’ Gesicht versucht herauszulesen, was in diesem vorging.

Lupius starrte übellaunig vor sich hin. “Sag das nicht zu laut. Es ist vielleicht wahr.”

Milian schickte ihm einen skeptischen Blick. “Ach, lass das doch. Fang nicht wieder an.”

“Jetzt sag schon was das ist!”

“Das ist ein einfaches Beispiel einer Geheimschrift. Ein Kinderrätsel, das unsere Großmutter uns einmal gegeben hat.” Lupius verdrehte die Augen. “Es gibt viele von ihnen. Man verwendet sie für verschiedene Zwecke. Private…. Verbotene…..Spionage. Man braucht kluge Menschen, um solche Nachrichten zu lesen. Kluge Menschen, die sich mit Sprachen auskennen. Und mit Mathematik.”

Lupius ballte die Fäuste und zog die Augen zusammen. “Du meinst?”

“Nur ein Verdacht.”

“Und wie lange hast du den schon? Diesen Verdacht?” Ira konnte die Kälte spüren, die von Lupius Stimme ausging und wie sich sein Körper erneut vor Unmut und Wut anspannte.

“Milian, warte, du willst uns gerade sagen, dass Imma auf diese Art und Weise Nachrichten für den Herzog geschrieben hat?” stellte Ira die Frage, die Summe allens war, was er bisher erzählt hatte.

Milian zuckte mit den Achseln. “Das weiß ich nicht. Vielleicht das. Vielleicht etwas in dieser Art. Es ist nur ein Verdacht. Einer der unter uns bleiben muss, im übrigen…… In jedem Fall ist es durchaus wahrscheinlich, dass sie als Schreiberin in irgendeiner Art Zugang zu Informationen hat, die einigermaßen exklusiv sind. Und Imma ist klug und loyal. Mit besonderen Fähigkeiten” und er tippte auf das Blatt Pergament vor ihm: “Da sind wir uns sicherlich einig…. Und es wäre eine schlüssige Erklärung. Jemand hat erfahren, dass Imma solche Informationen hat. Und entführt und foltert sie, um ihr diese zu entlocken. Da sie noch lebt… hatte sie diese Informationen nicht, oder sie hat sie nicht preisgegeben.”

“Können wir denn irgendwie erfahren, wer diese Dreckskerle waren? Ich meine, die sind bestimmt ja befragt worden.”

Milian und Lupius sahen sich an. Und schüttelten beide den Kopf. “Vermutlich wird davon nichts an unsere Ohren dringen.” Lupius runzelte die Stirn als er antwortete. “Sie schienen im Herzogenhof nicht sehr erpicht darauf, mehr preiszugeben als nötig.”

“Dieser Weg ist keiner, den wir gehen könnten.” sagte Milian kryptisch.

“Was meinst du wieder damit?”

“Nichts. Nichts über das ich reden kann.”

“Orkendreck noch eins! Jetzt spucks aus!” Lupius war auf die Füße gesprungen.

Ira fuhr sich nachdenklich übers Kinn, während sie Milian einem skeptischen Blick unterzog. “Du sagtest ‘dieser Weg ist keiner’, was bedeutet, dass es einen anderen Weg gibt,” übersetzte sie sinnierend, bevor sie fordernd wurde: “Welchen!” Dabei dachte sie an ihre und Lupius’ Befürchtung, Milian könnte in gesetzlose Dinge verwickelt sein. “Milian du musst es uns sagen, komm schon, wir sind eine Familie und wollen einfach nur Klarheit. Du kannst ruhig offen sein, denn wir halten ja zusammen und verpfeifen einander nicht. Nicht wahr?” Sie zog an Lupius Arm. Das letzte war klar erkennbar an den Schellenberg gerichtet, auch ohne, dass Ira ein “...Schatz?” hinzufügten musste (was sie aber tat). Von beiden anwesenden Rittern besaß sie am wenigsten Probleme mit Diensten des Herrn Phex zu Ehren.

Lupius blinzelte wütend, aber Milian schüttelte den Kopf: “Die klare Weisung war, dass wir uns nicht in diese Angelegenheit einmischen sollen. Und Lupius hat schon oft genug Ärger gehabt. Wir sollten seine Karriere nicht unnötig aufs Spiel setzen.”

“Unnötig?” kam die wütende Frage. “Heißt, du willst dich einmischen? Und ich soll die Füße still halten?”

“Aber das geht nicht!” rief Ira und zog sich ebenfalls auf die Füße. Ihr Stuhl fiel dabei um, als sie sich so ruckartig nach hinten schob. “Wir verdienen es zu erfahren, wer diese Arschlöcher waren, verdammt noch mal!” Dabei tippte sie beim Sprechen mit dem Zeigefinger vor sich auf den Tisch, bevor sie wieder den Arm nach Lupius ausstreckte, diesmal aber um einfach nur ihre Hand in sein Obergewand zu graben, während sie Milian zornig ansah, der in ihren Augen gerade einfach nur eine Ausrede vorschob. Aus irgendwelchen Gründen, die Lupius vorhin angedeutet aber sie nicht recht verstanden hatte. Gerade fiel es ihr auf und das machte sie rasend. “Vor allem verdient es Lupius, denn sie ist seine Schwester. Wie soll das bitte seiner Karriere schaden, häm? Genaugenommen hat er dem Herzogenhaus ein Problem vom Hals geschafft. Mit uns natürlich, aber ihr wisst doch wie ich das meine. Mann! Ich will auch wissen, was da los war! Ich verdiene es genauso. Wir alle. Selbst...selbst mein Onkel sollte wissen, für welche Sache er getötet und gezaubert hat und --” Sie war gerade dabei, immer lauter zu werden, sich in Rage zu reden, so wie sie es gerne tat, aber dann hielt Ira abrupt inne, fasste sich an die Stirn und sank auf ihren Stuhl zurück. “Tut mir leid, ich ...weiß nicht, was mit mir gerade los ist.” erklärte sie den beiden Männern vor sich. Ihr Herz schlug dabei immer noch wild in ihrer Brust. “Dieses Thema macht mich irgendwie… wahnsinnig. Dieses Unwissen. Nein, es ist eher….dieses… ‘Danke, gut gemacht aber jetzt scher dich vom Fleck!’”

“Ja, das verstehe ich. Aber ihr habt keine Optionen.” sagte Milian ruhig. “Wollt ihr in die Eilenwid poltern und verlangen, mit den Gefangenen zu sprechen? Was denkt ihr wird passieren?” Er sah die beiden an.

“Hä, wieso poltern? Nein! Natürlich nicht…”

“Wollt ihr Imma fragen? Nehmen wir einen Moment an, sie wusste nicht, was die Entführer wollten, dann kann sie nichts sagen. Nehmen wir hingegen an, sie wusste um was es ging. Und hat sich fast zu Tode foltern lassen, um das Geheimnis zu bewahren. Aus Loyalität. Wollt ihr sie in weitere Seelenqualen stoßen? Sie zwingen euch etwas preiszugeben, was sie mit ihrem Leben verteidigt hat? Die Loyalität zu euch gegen die zum Herzog abzuwägen? Ihr so weitere Herzensqualen bereiten?”

Iras Mund ging zwar schon wieder auf, eine Erwiderung erwarteten aber beide Männer vergebens. Denn sie dachte über das, was Milian gerade in Bezug auf Imma gesagt hatte, nach. Er hatte recht. Imma zu fragen würde keine Option sein.

Währenddessen sprach der Rickenbacher weiter: “Und was heißt übrigens verdienen? Ihr glaubt, dass jemand euch etwas vorenthält. Habt ihr daran gedacht, dass womöglich selbst das Herzogenhaus nicht weiß, wer genau dahinter steckt? Meine Prognose ist, sie werden Imma dazu befragen. Je nachdem, was sie von ihr erfahren, werden sie handeln: Sie haben einen Schuldigen. Seine Hintermänner - und ich gehe davon aus, dass es solche gibt - werden gesucht werden … oder nicht. Es ist im schlechtesten Fall möglich, dass wir uns tief in diplomatische Verstrickungen begeben haben. Und glaubt mir, dass ist keine sonderlich günstigste Position.”

“Ach. Echt. Sag bloß.” brummte die Plötzbogen missmutig, dann war sie wieder still und stand stattdessen auf. Immer wenn in ihrer Wut nicht weiter wusste, musste Ira umhergehen. Was sie sogleich auch tat und dabei kamen ihr weitere Gedanken, von denen sie zu wissen glaubte, dass Milian sie nur wieder niederschmettern würde. Ihr Blick fiel auf Lupius, der bisher noch gar nicht gesagt hatte. “Wie denkst DU denn darüber?” fragte sie alsdann herausfordernd einerseits, neugierig andererseits.

“Ich denke, dass mein Vetter uns nicht alles sagt.” sagte er ruhig und mit kalter Stimme.

“Lupius, ich habe andere Möglichkeiten als du.”

“So langsam glaub ich das auch.” kam es spitz aus Iras Mund

“Und sie ist meine Schwester.” gab der Flussgardist von sich.

Milian seufzte. “Ich werde euch erzählen, wenn ich etwas Wichtiges in Erfahrung bringe.”

“Schwör uns das!”

Milian zog eine Augenbraue hoch und musterte Ira, während Lupius ihn wiederum skeptisch musterte. “Ich werde es Lupius erzählen und dir auch, wenn du da bist.” ergänzte er lakonisch.

Er sah Ira förmlich an, dass ihr das nicht reichte. “Komm schon, Milian, ehrlich jetzt, das ist kein Spiel. Du musst uns alles sagen, was du herausfindest - wenn du uns schon nicht sagen willst, wie du es anstellst. Versprich es! Versprich, dass du uns alles sagst! Auch, wenn das nur ein kleiner Teil von der großen Scheiße ist!” Während sie so sprach hatte sie sich neben Lupius gestellt und am Ende in einer sehr intime Geste ohne es zu bemerken eine Hand auf dessen Schulter gelegt.

„Sagt ihr mir dann im Gegenzug auch alles, was ihr wisst?“

Lupius schüttelte den Kopf. “Das kann ich nicht, und das weißt du.“

„Wie könnt ihr das dann von mir verlangen? Ihr gesteht mir keine Geheimnisse zu, während ihr sie für euch selbstverständlich in Anspruch nehmt? Aber in Ordnung, ich informiere euch, wenn ich etwas wichtiges herausfinde.“

Dann war die Hand auch schon wieder von der Schulter des Flussgardisten gefallen, denn Ira fuhr sich mit derselben über den Schopf, während sie dem in ihr weiter auftürmenden Genervtsein standhielt. “Entschuldigung, aber ICH werde da so schnell nichts mehr beitragen können. Ich muss zurück in die Eisensteine, sonst tobt der Baron und auch dein Vater. Vergessen? Also von mir dürft ihr mal so gar nichts erwarten. Und da ich auch nicht mehr in Elenvina bin, kann ich der Sache auch nicht weiter nachgehen. Aber ja, um des lieben Friedens Willen: falls ich zuhause etwas herausfinde, was uns von Nutzen sein könnte, dann erfahrt ihr es natürlich. Beide.” lenkte sie schließlich ein. “Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass in Immas Zimmer auf dem Gestüt ein Hinweis versteckt sein soll. Ihr werdet ja hoffentlich nicht von mir verlangen, ihre Post oder gar ihr Tagebuch zu lesen… falls sie nicht alles Wichtige längst hier hat.” Dabei zeigte sie mit dem Finger nach oben.

“Die Frage ist, was ihr beide wollt. Geht es euch um Imma oder geht es euch lediglich um Rache? Fragt euch, was am besten für sie wäre.”

“Oh, du hättest Prediger werden sollen.” durchbrach Iras sarkastisches Brummen Milians Worte, während sie die Arme vor der Brust verschränkte.

“Meinst du?” kam die ironische Antwort, nach einer kurzen Pause, in der Milian Ira zuzwinkerte fuhr er fort: “...Fraglos wohl, dass wir dafür sorgen, dass es ihr gut geht, nach dem, was passiert ist, soweit sind wir uns einig. Aber da ist noch etwas…. wie reagieren wir auf ihre Angst, dass es wieder passieren wird? Denn diese Angst wird zweifelsohne in ihr wachsen. Meint ihr es reicht, die Übeltäter zu fangen? Das ist nicht meine Meinung. Darum kann sich der Herzog kümmern. Wir aber müssen ihr die Fähigkeit zurückgeben, nicht an dem zu zerbrechen, was passiert ist. Denn das ist unsere Aufgabe. Damit hat der Herzog nichts zu tun.”

“Der Herzog, Milian, soll ihr verdammt nochmal zukünftig keinen so einen Dreckscheißauftrag mehr geben!” grummelte die Plötzbogen ungehalten und wütend ob der Ohnmacht, die sie empfand.

“Es ist ihre Aufgabe und ihre Loyalität gebietet es ihr. Was würdest du denn sagen, wenn Lupius zu dir käme und von deinem Dienstherrn verlangen würde, dich nicht mehr in Gefahr zu bringen?” interessiert sah Milian Ira an, während Lupius seinen Vetter mit zusammengezogenen Brauen musterte.

Die Dummheit in seinen Worten entlockte ihr ein übertrieben aufgesetztes Lachen. “Schlechtes Beispiel. Ganz schlechtes Beispiel.”

“So? Deine Reaktion beweist mir das Gegenteil. Daher will ich mal meinen es sei kein so schlechtes.” konstatierte der Wirt. Er sah darüber hinweg, dass Ira ihn daraufhin zornig ansah. “Lupius - das, was du für dich selbst in Anspruch nimmst, das gewähre auch den anderen. Auch deiner Schwester!”

“Oh, ich weiß, auf was du hinauswillst!” erboste sich Lupius stattdessen.

“Es geht nicht darum, was du meinst. Es geht um Imma.” sagte Milian ruhig. Und Ira merkte, wie sich Lupius Rückenmuskulatur wieder gefährlich anspannte.

“Ich weiß, was du meinst. Was ich tun soll. Aber ich sage dir, das werden wir nicht tun.”

“Moment. WAS werden wir nicht tun, Lupius?” Fragend sah sie ihren Gatten an.

“Akzeptieren, dass sie im Dienst bleibt. Sie bestärken ihrer Tätigkeit weiter nachzugehen. Und… ihr das Kämpfen beizubringen.” seine Stirn war gefurcht.

Milian nickte.

Ira war versucht laut zu lachen. Eine Schwert schwingende Imma, halt, noch besser, eine Axt schwingende, mit dem Dolch um sich stechende Imma… auf den ersten Blick ein absurder Gedanke.

Gesicht und der Tonfall ihres Mannes sagte ihr aber, dass er keine Witze machte.

Das genau meinte Milian scheinbar.

Dennoch barg der Gedanke, so absurd er auch war, auch etwas sehr Sinnvolles, das musste sie zugeben. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir etwas an der Arbeit von Imma ändern können. Dass wir über diese...Macht...verfügen. Wir können versuchen, sie ihr natürlich auszureden, sie zu überzeugen, das selbst zu tun. Aber wir kennen doch alle Imma. Vielleicht ist es tatsächlich besser, Lupius, wenn wir ihr ein paar Dinge beibringen, damit sie nicht mehr so...hilflos...ist.”

“Nein.” sagte ihr Mann nur. Und verschränkte die Arme.

“Selbst deine Frau ist meiner Meinung.” erklärte der Wirt und Lupius ballte die Fäuste. “Andererseits können wir auch Iras Onkel fragen. Vielleicht versteht er sich auf den Kampf mit einem Stab. Imma benutzt nun häufiger einen Gehstock. Womöglich kann sie lernen diesen einzusetzen. Und von ihm wird sie sich sicher mehr sagen lassen als von dir.”

“Das w e r d e n w i r a u f g a r k e i n e n F a l l t u n.” betonte Lupius sehr deutlich und mit kalter Stimme.

“Lupius! Ich mag diesen großkotzigen Kerl auch nicht unbedingt, aber ihm scheint etwas an Imma zu liegen. Er macht das sicher ihr zuliebe gerne ohne etwas dafür zu verlangen.” Ein Gefühl sagte ihr zwar, dass das nicht das eigentliche Problem war, doch erwähnen wollte sie es trotzdem.

Lupius schaute sie finster an.

“Und wenn er sich anbietet, wird er es sich sicher nicht von dir verbieten lassen.”

“Aber warum sollte er es von sich aus tun?” herrschte Lupius seinen Vetter an. Der nur unschuldig mit den Schultern zuckte, “sie ist zu zart. Bei den Göttern. Ihr Fuß. Wie soll das gehen? Es wird sie nur… frustrieren!”

“Die Welt ist da. Und Imma ist da. Du kannst sie nicht ewig voneinander fernhalten.”

“Willst du mir jetzt die Schuld geben? An dem was ihr passiert ist? Dass ihr das passiert ist, weil ich ihr nicht das Kämpfen beibringen wollte?” brüllte der Gardist Milian an, der erst nur schwieg.

“Ich? Nein.” und seine Stimme schien nun einen Hauch sanfter zu sein: “Doch das ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob du dir die Schuld gibst?”

Lupius schwieg und ballte die Fäuste.

“Mann, ihr seid solche blöden Sturschädel! Es hilft doch nichts, darüber zu streiten, wer vielleicht was irgendwann in der Vergangenheit hätte tun können oder was falsch gelaufen ist…” erklärte Ira, genervt von dem unsinnigen Hin und Her. Denn eigentlich hatte sie keine Lust mehr zu schlichten. “Echt mal, was hast du gegen meinen Onkel? Außerdem weißt du doch überhaupt gar nicht, wie Imma darüber denkt. Stell dir vor, vielleicht ist der Stockkampf ja etwas, was ihr hilft, und was dir hilft, dass du etwas ruhiger schlafen kannst. Es wäre doch zumindest einen Versuch wert.” sagte sie, bevor sie angestrengt mit den Augen rollte und seufzte. “Ja, ich frage ihn auch. Kein Problem. Für Imma mach ich das.” Dabei schwang mit ‘obwohl das eigentlich nicht meine Aufgabe ist, das weißt du.’

“Hör auf deine Frau.” sagte Milian und rieb sich den Kiefer, der allmählich einen leichten Blaustich bekam. “Und hör auf dir die Schuld zu geben. Es ist die Schuld von diesen Stinkmorcheln.”

Ira fand ja, dass die große Schuld an Immas Misere tatsächlich beim Herzogenhaus lag. Immerhin war ein Dienstherr seinen Untergebenen in einer gewissen Weise verpflichtet und musste Sorge tragen, dass… Nein, fiel es ihr auf, als sie ihren Denkfehler bemerkte: nicht, wenn sich diese wissentlich in Gefahr brachten, sei es durch einen Kriegseinsatz oder durch, wie in Immas Beispiel, Geheimniskrämerei. Umso ohnmächtiger und wütender machte einen nun das Ganze, weil es dadurch keinen wirklichen Schuldigen gab. Aus Lupius’ Sicht war er selbst der wahre Schuldige, weil er seiner kleinen Schwester nicht gezeigt hatte, wie man sich mit Gewalt wehrte. Und so wie sie ihn zu kennen glaubte, würden weder Milian noch sie ihn von dieser Meinung so leicht abbringen. “...Aber wenn du dir unbedingt die Schuld geben willst, Lupius, dann können wir daran wohl nichts ändern.” ergänzte sie Milians Worte jovial und zuckte schicksalsergeben mit den Schultern. “Dann haben wir aber jetzt auch alles besprochen: wie scheiße wir das alle finden, dass das Herzogenhaus Imma diesen Auftrag gegeben hat, wie glücklich wir sind, dass wir sie in letztem Augenblick retten konnten, wie kacke ich das finde, dass man uns nichts über die Hintergründe erzählt, wie gerne Milian verhindern will, dass Imma all das aufarbeitet, weil er Angst hat, dass sie daran kaputt gehen kann,” ein stimmt-doch-?-Blick untermauerte ihre Worte, wurde allerdings durch eine skeptisch hochgezogene Braue des Wirts begleitet: “Wie doof du das findest, dass Milian Geld vom Herzogenhaus annimmt und wie ungern du möchtest, dass Imma sich verteidigen kann, gleichzeitig gibst du dir die Schuld, obwohl du keine hast. Hei. Prima.” Sie klatschte in die Hand und warf sich auf einen der Stühle, legte demonstrativ die Beine auf einen anderen hoch. “Dann können wir ja jetzt was trinken!” beschied sie ganz einfach. “Milian, hast du was da? Natürlich hast du was da. Bring am besten das starke Zeug. Mein Mann braucht ein Mittel gegen sein Schuldgefühl, du solltest endlich mal mit der Wahrheit rausrücken, und ich brauche was, damit ich nicht gleich da rüberlaufe, und jemandem die Nase breche.” Sie deutete in eine unbestimmte Richtung. Dass sie die Eilenwid meinte, war klar. “Wahlweise einem von euch.” murmelte sie noch.

Lupius verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich tief in seinen Stuhl zurückrutschen, während Milian in Richtung der Theke ging. “Ich war dagegen, dass sie diese Stelle antritt. Dass sie in diese Stadt kommt. Hier ist es gefährlich. Hier gibt es Halunken. Zuhause in Rickenbach wäre sie sicher gewesen.” brummte er.

“Ja, vielleicht. Aber du kannst sie nicht einsperren. Scheiße, sie ist doch kein kleines Kind mehr....” brummte seine Frau zurück ohne ihn dabei anzusehen. Lieber trommelte sie mit den Fingern nervös auf dem Tisch herum.

“Ihr Fuß… Sie ist zu hilflos. Außerdem war sie dort immer glücklich. Sie wäre ja nicht gefangen. Nur eben überwiegend in Sicherheit.” murrte er.

Milian knallte eine massive tönerne Flasche auf den Tisch. “So. Jetzt ist gut, Lupius, wir haben diese Sache oft genug diskutiert. Und es ist völlig irrelevant. Völlig. Sie ist hier und Punkt. Sie wird nicht wieder nach Rickenbach zurück gehen. Wir müssen uns etwas anderes überlegen. Ich finde die Idee gut, dass Ira ihren Onkel bittet. Wenn er Gold dafür will, bezahlen wir natürlich.”

“Tun wir das?” brummte Lupius, griff sich sofort einen der kleinen Becher, die sein Vetter ebenfalls mitgebracht hatte und soeben mit dem klar Gebrannten gefüllt hatte.

“Außerdem irrst du.” Milian ignorierte den Freund und wandte sich stattdessen an Ira, die innehielt, und mit dem Trinken wartete, bis sie Milians Worte kannte: “Ich will mitnichten verhindern, dass Imma das verarbeitet, was passiert ist. Ich bin lediglich der Meinung, dass wir sie nicht bedrängen sollten, Dinge preiszugeben, die sie mit ihrem Leben zu schützen bereit war. Damit würden wir ihr nur das Gefühl geben, dass wir ihre Loyalität nicht schätzen, dass wir der Meinung sind, sie habe dumm gehandelt.”

“Sie hat dumm gehandelt!” echauffierte sich Lupius, während er sich seinen Becher nachfüllte.

Milian runzelte die Stirn: “Lupius, das ist Unsinn. Sie hat, so glauben wir, Informationen geschützt. Informationen haben einen höheren Wert als du eingestehen willst.”

Der Offizier knallte seinen Becher auf die hölzerne Tischplatte, was ein unangehmes, lautes Geräusch erzeugte. “Ich kenne den Wert von Informationen. ABER sie sind nicht ihr Leben wert!”

“Das hat sie aber anders gesehen. Informationen können Herrscher stürzen, Imperien verschlingen. Ein Leben kann so etwas nicht immer aufwiegen.” Milian setzte den Brand an die Lippen und stürzte den Schnaps die Kehle hinab.

Fast andächtig hatte die Plötzbogen während der sich erneut aufheizenden Debatte ihr noch gefülltes Glas wieder abgestellt, nur, um jetzt direkt nach der Flasche zu greifen. Das hielt man ja nicht im Kopf aus. Kurzerhand setzte sie das Gefäß an die Lippen und trank kommentarlos.

“Verdammt, Lupius, lassen wir Imma entscheiden. Ira fragt ihren Onkel und wenn er ja sagt, fragen wir Imma. - Und alles weitere bleibt ihre Entscheidung!”

Lupius funkelte ihn an, sah dann zu seiner Frau: “”Hältst du das auch für eine gute Idee?”

“Haben wir andere?...sinnvolle, mein ich? Also ja. Hab doch schon gesagt, dass ich ihn fragen gehe,” knurrte Ira zurück. Viel Lust auf dessen herablassende Art besaß sie zwar nicht, aber hier ging es nicht um sie.

“Na schön. Dann halt so.”

Milian grinste ihn an.

“Aber hör mit diesem Grinsen auf. Ich halte das für eine dämliche Idee. Und nun schenk nach.”

Milian nahm Ira die Flasche aus der Hand und schenkte allen nach. Dann hob er das Glas. “Auf den Abschluss eines Scheißtages mit einer Möglichkeit - was auch immer sie bringt.”

“Hoffentlich viel Gutes! - Naja, es kann ja eigentlich kaum schlimmer werden….” lachte Ira halbernst, während sie zurück prostete. Was für eine Scheiße! Sie errötete allerdings mehr als ihr bewusst wurde, als sie dem Gedanken folgend zu ihrem Mann sah und just an das denken musste, was sie festgestellt hatten, nämlich, dass es genau diese Scheiße war, die sie verband.

“Alles Schlechte kann zu Gutem führen, wenn wir Möglichkeiten fokussieren und nicht Schwierigkeiten.” Er zwinkerte Ira zu,

die das Zwinkern irritierte. “He! IHM musst du das sagen! Nicht mir.” brummte sie und verwies auf Lupius.

“So?” fragte Milian, beide abwechselnd ansehend. “Ihr BEIDE scheint mir da Nachholbedarf zu haben, den ihr womöglich endlich….. aufzuholen gedenkt.”

“Nachholbedarf an was?”

“Ja. Was willst du damit sagen?”

“Ja, was will ich damit sagen? Soll ich das Offensichtliche wirklich aussprechen?”

“Oh, du gehst mir manchmal so sehr auf die Eier, Milian von Rickenbach. Das kann ich dir gar nicht sagen!” brummte Lupius und stürzte seinen neuen Kurzen die Kehle hinab.

“Och, echt? grinste der Wirt seinen Vetter an.

“JA, echt.” brummte der andere zurück.

Sie besaß einen Hauch von Ahnung, was er meinen könnte, das wollte sie jetzt aber genauer wissen, deswegen wartete sie ab, bis die beiden ihren neuerlichen Schlagabtausch hinter sich gebracht hatten, um denn das Kinn in Milians Richtung zu recken: “He Adlerkralle! Nachholbedarf in...was!?”

“Ihr beide könnt euch leiden.” sagte er schlicht und grinste Ira an: “Das ist für andere immer schon offensichtlicher gewesen als für euch selbst. Obwohl … allmählich beginnt ihr es wohl auch zu verstehen.”

“Was? Also das ist doch… Scheiße - Nein!” empörte sich die Plötzbogen da sogleich laut, während ihr die Röte ins Gesicht schoss, sich gleichzeitig aber Flecken auf ihren Wangen bildeten, verräterische Spuren der Wahrheit, da, wo sie sich im Folgenden völlig übertrieben kratzte. Ihr Blick huschte wirr zu ihrem Angetrauten hinüber, als ihr ihre völlig übertriebene Reaktion und die Falschheit ihrer Aussage bewusst wurde. “...Ich meine, NATÜRLICH können wir uns leiden, warum sollten wir das denn nicht…” ruderte sie eilig zurück und errötete noch etwas mehr.

Milian grinste. Und zuckte mit den Achseln: “JA, warum solltet ihr es nicht. Das ist eine gute Frage, Ira.”

“Lass den Mist jetzt, Adlerkralle!” schimpfte Lupius, der den Blick seiner Frau aufgefangen hatte. “Es geht dich einen Orkendreck an, wie gut wir uns verstehen.”

“Sicher, sicher. Ist allein eure Sache.” grinste der andere weiter.

“Ja, das ist ganz allein unsere Sache. Nicht wahr - Schatz?”

Lupius stöhnte und griff nach der Schnapsflasche, um sich nachzuschenken: “Jawoll!” und er lächelte schief in Milians Richtung,

der sich ob des grotesken Schauspiels kaum das Grinsen verkneifen konnte. “Sag ich doch.” konstatierte er nur in Richtung der beiden Angetrauten.

“Also hör gefälligst auf, dich über uns lustig zu machen! Das braucht’s nicht! Außerdem fragen wir ja auch nicht, mit wem du ins Bett gehst…” Verdammt, hatte sie das gerade wirklich gesagt? Genau so? Ihr wich alles Blut aus dem Kopf und ihr schwindelte, als sie sich beschämt und verärgert über sich eigenes Mundwerk auf die Beine zog, dann zwischen ihrem Mann und Milian hin und her sah. “Ähm - ich muss mal. Wo ist nochmal die Latrine? Draußen? Gut...” und dann eilte sie hinaus.

Ein immer breiter werdendes Grinsen von Milian folgte ihr.

“Ich soll Imma ein paar Nächte allein im Haus lassen.” sagte Lupius nachdem er Ira eine Weile nachgesehen hatte.

“Sagt….”

“Dieser Borongeweihte, den sie von der Eilenwid geschickt hatten.”

“Ah.” Ein Geweihter. Eine der Möglichkeit seinen Vetter von etwas zu überzeugen; “Fühlt euch wie zuhause” grinste Milian.

“Sie wird nach Rickenbach gehen. Du musst also mit mir Vorlieb nehmen” blaffte Lupius und stürzte einen weiteren Schnaps.

“Das ist mir auch recht. Dann fühl DU Dich wie zuhause.”

Dann schwiegen beide. In eigenen Gedanken vereint.



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