Auf Bruch Ins Ungewisse

Aufbruch ins Ungewisse

Erst, als sie in sicherer Entfernung vom Schloss waren, fanden die Bösenburschs die Sprache wieder. Harda fragte schnippisch: "Ich nehme an, allein nach Elenvina reisen zu dürfen, Wohlgeboren? Um dem Herrn Amtsrat zu erklären, warum der Herr von Bösenbursch die nächsten Wochen nicht zum Dienst erscheinen wird?" Gudo reagierte genervt. "Harda, bitte. Ich habe andere Prob-" "Oh ja, junger Mann, das kannst du glauben! "Nie wieder wirklich geprüft"? Was fällt dir eigentlich ein, du undankbarer Kerl?!" Er sandte ein Stoßgebet zu den Zwölfen, auf dass die Tirade kurz sein möge, doch er wurde enttäuscht- scheinbar hatte er sie verdient. Die nächsten Stunden vergingen langsam. Während Harda bald ihren Abschied nahm, bedachte Rahjalin ihren Enkel noch bis zur Lehnsgrenze mit allerlei Vorhaltungen. Zurück in Alt-Krapohl bedachte Gudo ihre Begleiter großzügig mit Schweigegeld, damit sie vergaßen, was sie gehört hatten- und nahm sich vor, Praios dafür alsbald um Verzeihung zu bitten. Bis über beide Ohren grinsend verabschiedeten sich die Soldaten von ihren Herren.

Einige Tage vergingen, in denen Gudo mit sich haderte. Der Firungeweihte des Krähenwaldes war mürrisch und wortkarg. Vielleicht langte es ja, sich von einigen Jägern... Nein, unmöglich. Diese Blöße konnte er sich nicht geben. Also brach er bald, in einen dicken Umhang gehüllt, in den Krähenwald auf. Der Schnee fiel kräftig dieser Tage. Seine Last wog schwer auf den Baumwipfeln und hin und wieder stürzte ein Haufen hindurch auf den Waldboden. Gudo hatte jedoch keine Zeit für solche Kleinigkeiten. Er wusste ungefähr, wo Firunians Hütte lag und achtete darauf, immer die Richtung im Kopf zu behalten. Er wusste noch aus seiner Kindheit, wie leicht man sich im Krähenwald verlief. Fast überall sah er gleich aus und häufig kam Nebel auf- eine unbewusste Drehung reichte aus, um die Orientierung zu verlieren. Gudo versuchte, seinen Kurs zu halten, doch irgendwann begann er, an sich zu zweifeln. Selbst nach einigen Stunden des Wanderns hatte er die Hütte des Geweihten noch nicht erreicht. Dabei hätte er längst daran vorbeikommen müssen. Fast schon wollte er umkehren und doch die Jäger des Ortes bitten, ihm zu helfen, da sah er die kleine Hütte des Geweihten vor sich auftauchen.

Es lag eine dünne Schneedecke auf dem Dach; kein Rauch drang aus dem Auslass in der Mitte. Auch auf Gudos Klopfen reagierte niemand. Der Geweihte war nicht zuhause. Natürlich. Unzuverlässig war er, das wusste Gudo schon aus mancher Ratssitzung, in der er vergeblich gewartet hatte. Dabei hatte sich doch das Wissen um seinen Auftrag- und, zu seinem Leidwesen, auch über den Rückweg aus Obena- wie ein Lauffeuer in Alt-Krapohl verbreitet. Der Firuni musste einfach davon wissen. War das hier eine Geduldsprüfung? Gut. Gudo setzte sich auf eine grobe Holzbank vor der Hütte und begann, zu warten. Es dauerte fast vier Stunden, in denen Kälte und Feuchtigkeit langsam durch seine Kleidung gekrochen war, bis Firunian endlich auftauchte. Der Geweihte hatte einige Hasen dabei. Also war er wohl auf der Jagd gewesen.

Der Mann war noch nicht auf der Lichtung angelangt, als Gudo ihn begrüßte. "Firun zum Gruße, euer Gnaden! Ich dachte schon, ich muss hier erfrieren!" Firunian sah den Adelsspross abschätzig an und antwortete hörbar verstimmt: "Praios zum Gruße, Gudo von Bösenbursch! Und wessen Problem ist das? Meines sicher nicht. Hab euch schließlich nicht eingeladen." Gudo schluckte eine Bemerkung herunter und setzte neu an. "Euer Gnaden haben sicher von der Aufgabe gehört, die der Baron-" "Ja, hab ich.", unterbrach ihn der Geweihte, während er seine Hütte aufsperrte. Gudo fragte sich, wozu sie überhaupt ein Schloss hatte. Als ob jemand freiwillig hierher käme. "Ein Hohn gegenüber dem Alten vom Berg und seiner Tochter, dass er ausgerechnet einen unförmigen Schreiberling wie euch auf diese Reise schickt." "Jetzt geht ihr aber-", entgegnete Gudo entrüstet, aber weiter kam er nicht. "Wie? Zu weit? Ich dachte, ihr wollt etwas von mir? Na, ihr könnt gern zurück ins Dorf gehen und euch überlegen, wie ihr die Reise überleben wollt. Könnt meine Hütte ruhig anstecken lassen und mich vertreiben, wenn der Ton nicht genehm ist, Wohlgeboren. Ich finde schon meinen Weg." Mit diesen Worten verschwand der Firuni in seiner Hütte und ließ die Tür einen Spalt offen. Einen Moment zögerte Gudo und überlegte ernsthaft, den Mann beim Wort zu nehmen. "Ach, was soll's", grummelte er dann und folgte Firunian nach innen.

[In den nächsten Wochen lernt Gudo Grundlagen des Wildnislebens (Feuer machen, Zeltbau, Falle für Hasen bauen, genießbar zubereiten). Dabei zeigt er sich etwas ungeschickt, lernt aber zumindest genug, sodass Firunian der Meinung ist, er "würde die Reise schon überleben". Zusammen mit dem Geweihten baut Gudo einen Dolch und einen Bogen. Um das Bogenschießen zu lernen, bleibt aber zu wenig Zeit, sodass der Firuni ihm bloß grobe Hinweise gibt, wie er es auf dem Weg üben solle.]

Am Tag seiner Abreise prüfte Gudo noch einmal sein Gepäck. Dolch, Bogen, improvisierte Pfeile, Proviant für einige Tage. Für mehr war kein Platz gewesen. Sein Pferd musste schließlich noch ihn und das Zelt tragen. Bevor er aufbrach, ging er noch einmal zum Praiosschrein des Dorfes. "Himmlischer Richter, mein Weg führt mich auf die Pfade des Herrn Firun, so hat es der Baron entschieden. Der weiße Jäger sendet uns einen harten Winter in diesem Jahr, und ich hoffe, dass das Opfer an seine Tochter ihn besänftigen kann. Bei Urischar will ich meinen Auftrag nicht anzweifeln, und doch fühle ich, dass meine Bestimmung anderswo liegt. Ich will schauen, dass ich schon bald wieder meinen wirklichen Pflichten nachkommen kann. Und eines noch- Ich bitte um Vergebung dafür, dass ich die Soldaten dazu verleitete, die Wahrheit geheim zu halten und danke dir dafür, dass du mich darin hast scheitern lassen. Ich handelte voreilig und will es nicht wieder tun." Das sollte reichen.

Auf dem Weg am Edlengut vorbei riskierte er einen Blick auf das Fenster im ersten Stock. Seine Großmutter saß nicht am Fenster. Sie hatte seit der Sache in Obena kaum ein Wort mit ihm gewechselt. Und so brach Gudo von Bösenbursch allein und ohne großen Abschied in Richtung Obena auf.

-- Main.CatrinGrunewald - 04 Feb 2020