Ander Ansichten

Andere Ansichten

Am Lagerfeuer wanderte Yoldes Kopf in Richtung des Unterholzes, indem ihr junger Freund vor einiger Zeit verschwunden war. Besorgnis zeichnete sich auf ihren Zügen ab: „Wer kann heute sagen, was morgen gut oder schlecht sein wird? Welche Anmaßung ist es von denjenigen, die uns diese Regeln aufdrücken wollen, die Zukunft vorher sehen zu wollen? Selbst den Göttern ist dies nicht möglich. Ihr müsst diesen Ängsten begegnen. Pläne und Ziele… Sie alle sind nichts - gemessen an den Möglichkeiten des Morgen. Warum engt ihr euch selber nur so ein?“

Maeve nickte langsam und setzte hinzu: „Und seit wann muss der Prophet bereits die Wahrheit seiner Worte beweisen? Genauso wenig wie der Adel, dass er seinen Rang verdient hat! Am Anbeginn der Zeit - als alle Menschen gleich waren, da wusste auch der Adel noch nicht, dass er dereinst adlig sein würde. Erst Taten haben ihn über seinesgleichen erhoben. Und wenn die Taten die Aufmerksamkeit der Götter erregen, dann können wir unsterblich werden – als Helden wie der Heilige Ascendear oder die Heilige Thalionmel!

So wie ich meine Lehren verstanden habe, steht Tsa für den Wandel – gleich ob gut oder schlecht. Yolde hat nur vom Glück für den Einzelnen gesprochen, so wie bei den Kindern. Sie hat nicht von einer besseren Ordnung gesprochen, sondern von Freiheit. Innerer Freiheit!

Und was den Schubs angeht, von dem sie sprach: ich glaube, wir alle können einen Anstoß von Göttern und anderen Menschen...“ und mit Blick auf Borindarax, fügte sie hinzu: „… oder Zwergen, erhalten: du selbst bist das beste Beispiel, Lares! Als ich heute am Wasserfall ein Gesicht hatte, hast du mich ins Leben zurückgerissen!“ [Maeve]

Der Knappe lief in Sekundenbruchteilen rot an. Mit dieser Schützenhilfe hatte er nicht gerechnet. „Ja, aber ich wollte dich doch gerade davor bewahren, dich in einen Eiszapfen zu verwandeln!“

Er sah Maeve durchdringend an. „Du hast heute die Nähe deiner wunderschönen Göttin hautnah erlebt. Dieses Gefühl muss so absolut und atemberaubend gewesen sein, dass es dich vergessen ließ, in welcher Gefahr du dich befandst. Der faszinierende Anspruch der Herren und Herrinnen Alverans ist manchmal etwas zu groß für uns kleine Menschen. Er ist schlicht mit den alltäglichen Bedürfnissen der Menschen in Einklang zu bringen – ein Kompromiss zu schließen. Alle Ketten abzuschmeißen bedient diese Bedürfnisse nicht.“

Während er seine Sorge um Maeve in Worte fasste, war die Röte wieder aus seinem Gesicht gewichen. (Lares)

Maeve legte den Kopf schief und runzelte die Stirn, da sie anderer Meinung war, doch (Maeve)

Lares wandte sich wieder an Yolde. „Absolute Freiheit, grenzenlose Chancen, abertausende Möglichkeiten bedeuten nämlich auch: Zahllose Gefahren, ungebändigte Willkür, zügellose Gewalt. Manche Menschen können mit dieser von Euch geforderten Freiheit nicht umgehen. Sie missbrauchen Freiheit! Sie anerkennen die Freiheit ihres Nächsten nicht. Ich muss kein Hellseher sein, noch muss ich dem Hüter der Zeit freveln, um diese Vorhersage treffen zu können. Es reicht ein Blick in den schrecklichen Rahja unserer schönen Lande. Auch dort wurde absolute Freiheit, absolute Gleichheit versprochen. Und was entstand? Terrorherrschaft.“ Er stockte kurz, dann setzte er erneut an. „Ich verstehe Euch, so meine ich, sehr wohl. Ihr gewichtet die Risiken anders als ich – Ihr hofft auf eine bessere Zukunft. Doch Hoffnung ist nicht genug. Wir müssen sie gestalten. Und dazu brauchen wir Raum – also vier Wände und nicht nur den freien Himmel über uns.“ (Lares)

Fast unbemerkt trat der Magus mit verschränkten Armen und neugierigem Blick an die angeregt diskutierenden heran. Rhys, hörte zunächst nur zu, beobachtete und versuchte scheinbar in den Mienen der Umstehenden zu lesen. (Rhys)

Die Augen und der Blick der Tsapriesterin hatten einen kurzen Moment wieder denselben skeptischen, fast feindseligen Ausdruck angenommen, den die Gäste vorhin bereits wahrgenommen hatten: „Ich sagte doch schon - es geht nicht um eine bessere Zukunft. Auch nicht um die Hoffnung darauf. Es geht auch nicht darum alle Ketten abzuwerfen. Das ist schlicht nicht möglich. Aber sich noch mehr Fesseln anzulegen als man ohnehin schon am Leibe hat, das scheint mir doch reichlich unangebracht. Ihr habt diese Einschränkungen bereits so sehr verinnerlicht, dass ihr sogar bereit seid, unser Streben im Sinne Tsas mit dem Treiben von Dämonenpaktierern, Borbaradianern und all diesem anderen Gesindel im Osten zu vergleichen? Seid ihr so gefangen in eurer Regelvernarrtheit, dass ihr den Unterschied nicht erkennt?“ Ihre Stimme klang immer noch hell und klar, doch hatte sie eine ganze Spur an Weichheit verloren.

Maeve hatte bei den letzten Worten Yoldes ihre Decke abgeworfen und kniete sich rasch zwischen diese und Lares. Sachte, fast zärtlich, ergriff sie beider Hände: „Tassilo meinte vorhin, dass wir alle Geschöpfe der Götter sind. Wenn das stimmt, wohnt jedem von uns etwas Göttliches inne… und wir können über uns selbst hinauswachsen“, flüsterte Maeve besänftigend.

Dann blickte sie Lares an: „Ich weiß, dass du mich begehrst, Lares. Aber dein Verstand verweigert mit Scham und Anstand deinem Herzen die Leidenschaft und das Glück. Aber wenn du bei mir, oder einer anderen Frau, oder einem Mann liegst, Lares, wirst du mit der Lieblichen Weisung genau das Glück finden können, von dem Yolde gesprochen hat: Du wirst deine Fesseln abstreifen können und frei sein. Und du wirst verstehen , was Yolde meint, weil du es selbst erlebt hast.“

Dann wandte sich Maeve an Yolde und flocht ihre Finger in ihre: „Ich bewundere deine Leidenschaft, deinen Mut und dass du dir keine Fesseln auferlegen lässt. Doch Leidenschaft alleine ist ein schlechter Ratgeber ohne Geduld oder Güte. Übe dich darin, dann wird es dir gelingen, die Wände nicht länger zu verstärken, die andere um sich errichtet haben. Du wirst sie durchbrechen und ihnen nicht nur die Sterne zeigen können, sondern das was du dir wünscht.“ Zur Bekräftigung ihrer Worte hob Maeve den Blick hinauf zum dunkelnden Himmelszelt auf dem sich bereits glitzernd das Geschmeide des Nachtherrn zeigte. [Maeve]

Tassilo wollte für Harmonie und Vertrauen sorgen, doch die Worte des Knappen waren dem nicht unbedingt zuträglich. Die junge, selbst noch verwirrte und unschlüssige, Novizin stellte sich hingegen deutlich klüger an.

Hier prallten Glaubensvorstellungen aufeinander wie Heere in der Schlacht. Wogten mit ihren Argumenten wie eine Angriffswelle nach der Anderen gegen die Verteidigung des Gegners. Doch bedurfte es hier eines Parlamentärs, der durch das jeweilige Bollwerk hindurch gelangte, um mit wohlgewählten Worten Verständnis zu säen. „Meine Mutter sagte einmal zu mir: Ein Soldat wird zum Kämpfen ausgebildet, nicht zum Reden. Ein Diplomat hingegen wird zu Reden ausgebildet und nicht zum Kämpfen. Wir wählen immer jene Mittel, von denen wir glauben, dass wir unser Ziel mit ihnen erreichen können, und wir wählen jenen Weg dessen Verlauf wir glauben, vorhersagen zu können.“

Daraufhin ließ er allen einen Augenblick, um zu begreifen welche Tragweite sich aus diesem Gedanken entspannte. Was dies für jeden Einzelnen bedeutete! (Tassilo)

Als Tassilo schwieg, ließ Maeve fast widerstrebend die Hände von Lares und Yolde los. Es kam ihr nun falsch vor, dass sie beide verbunden hatte – wenn auch durch ihren eigenen Körper.

Sie hatte versucht, den Prinzipien der Lieblichen zu entsprechen und Harmonie gepaart mit gegenseitigem Verständnis zu stiften, glaubte nun aber, ihren Ohren nicht recht zu trauen. Angestrengt lauschte sie auf die Worte Tassilos, als er fortfuhr: (Maeve)

„Wir sehen uns mit einem schwerwiegenden Problem konfrontiert, denn wir müssen das Glück des Einzelnen mit der Gemeinschaft in Harmonie bringen. Allein mögen wir einfacher glücklich werden, doch nur die Gemeinschaft bietet uns jene Sicherheit, der wir bedürfen. Allein sind wir nicht unbedingt hilflos, aber unvollkommen. Ich allein mag mich in der Schönheit der Schöpfung ergehen können, mag mit Kunst und Harmonie mein Leben bestreiten – kann mich jedoch nicht eines Angreifers erwehren. Mein Begleiter hingegen kann sich verteidigen, aber verfügt er auch über die Begabung mit künstlerischen Mitteln die Schönheit Deres zu mehren?

Wir brauchen einander, denn so haben es die Götter für uns verfügt. Ein Miteinander jedoch, bedarf gewisser Regeln. Regeln, die die Gemeinschaft schützen. Regeln, die nicht jeder gerecht finden mag.“ [Tassilo]

Rhys schüttelte den Kopf über die ganzen, ach so schönen Worte. Wenn er eine Wahl gehabt hätte, wäre er sofort wieder gegangen, wie er es bei derartigen Diskussionsrunden, wie Symposien in akademischen Kreisen tat. Dieses um jeden Preis um den heißen Brei herumreden widerte ihn nur noch an und so verzog sich sein Mund zu einer Mischung aus Arroganz und offen zur Schau gestellten Abscheu. Aber er schwieg, noch. (Rhys)

Lares dem entgegen war sprachlos geworden. Er brachte kein gerades Wort mehr heraus. Im Umgang mit Frauen war er bei Weitem nicht offen genug für eine so direkte Ansprache und kam sie auch von einer Geweihten der schönen Göttin. Er hatte die Waffen gestreckt - deshalb hörte er auch nicht, was Tassilo meinte. Viel zu sehr fühlte er sich zurückversetzt an den Wasserfall. Viel zu sehr wollte er die Welt um sich herum vollends vergessen. Doch solange kein ruhiger Moment eintrat, würde er seine Umgebung nicht vollkommen ausblenden können.

Deswegen nickte er bei den Worten des Rahjanis nur noch; völlig ungeachtet dessen, dass der Geweihte tatsächlich sagte, was er selbst dachte. (Lares)

Maeve sah kurz zu Yolde und wandte sich zu Tassilo um: „Aber dies hier ist doch eine Gemeinschaft. Es gibt Alte und Junge. Wir sind als Gäste freundlich empfangen worden. Wir werden gespeist und uns wird Obdach angeboten. Wenn wir frieren, werden wir gewärmt.

Sie folgen den grundlegenden Regeln jeder Gemeinschaft und sind doch anders. Warum sollte ihr Streben falsch sein? Weil hier in diesem Tal die gleichen Fehler begangen werden, wie in den weiten Landen außerhalb, wo seit Äonen so viel mehr Blut vergossen wurde?“ [Maeve ]

Yolde lächelte Maeve an, die Nähe der jüngeren Frau schien sich positiv auf ihr inneres Gleichgewicht auszuwirken. „Selbstverständlich achten wir aufeinander, wenn wir gemeinsam hier sind.“ Sie deutete auf Gelindio, der fasziniert die Szene verfolgte.

„Gilli und seine Familie beispielsweise würden ohne einander nicht zurechtkommen. Doch sie leben auch von der Veränderung. Würden sie immer dieselben Stücke aufführen oder dieselben Darbietungen und Späße vorführen, wer würde ihre Unterhaltung wollen? Wenn ihr schon unbedingt Regeln wollt, weshalb ändert ihr sie nicht regelmäßig? Anstatt sich ihnen sklavisch zu ergeben? Ihr wollt Regeln, die euch dienen und merkt nicht, dass ihr es am Ende seid, die den Regeln dienen.“

Sie hatte lächelnd gesprochen und wieder nach Maeves Hand gegriffen. Ihre Augen trafen sich und die Tsadienerin strich sachte über die Hand der Albernierin: „Ein Lebensweg hat keine Fehler. Wir erkennen erst dann, wenn wir den Weg beschritten haben, wie anstrengend, unwegsam oder unbequem dieser ist. Und uns dann damit auseinanderzusetzen, dass wir irgendwo falsch abgebogen sind, dafür müssen wir uns umblicken. Dann verharrt aber unser Blick anstatt in Richtung Zukunft in der Vergangenheit.“

Maeve schluckte schwer, da sich Yoldes Worte mit denen der Lieblichen am Nachmittag überschnitten: "...dann wirst du wissen, wohin dich mein Weg trägt und zu deinem wird."

Ein weiterer Fingerzeig? Maeve war bewegt und doch hegte sie noch immer Zweifel, da ihr auch die eigene Vergangenheit teuer war, besonders nun, da ihr deren Bürde genommen und Vergebung geschenkt war. Hastig sah sie Tassilo auf als (MAeve)

sich ihr der Rahja-Diener lächelnd zuwandte: „Natürlich ist dies hier eine Gemeinschaft. Wir wurden freundlich in ihr willkommen geheißen und sie harmoniert. Die von mir gemeinte Gemeinschaft erstreckt sich jedoch über wesentlich mehr Menschen. In diesem Tal…“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, verwies er mit einer Drehung seines Zeigefingers auf das umgebende Tal. „… haben sich Kinder der Jungen Göttin zusammengefunden. Sie alle verbindet ein Weltbild in dem sie leben wollen. Die von mir erwähnte Gemeinschaft, ist die Gemeinschaft derer die den himmlischen Zwölfgöttern und ihren Kindern in Alveran im Glauben folgen. Auch dieses Kollektiv folgt gemeinsamen Idealen, ist jedoch mit einem viel weiteren Feld an Meinungen und Ansichten gesegnet.“ Wie um den Unterschied zu unterstreichen, schwang er diesmal ausladend den Arm. „Beide, die Gemeinschaft dieses Tals und die der Zwölfgöttergläubigen, haben Regeln des Zusammenlebens, angesichts der Differenzen innerhalb dieser Gemeinschaften gibt es jedoch auch andere Regeln zu beachten.“ Nun wandte sein Blick weiter zu Gelindio, auch wenn seine Worte eigentlich Yolde galten. „Das Leben eines Künstlers ist wahrlich kein Leichtes. Sie wandeln nicht nur ihre Darbietungen, auch die Orte wo sie aufspielen ändern sich im Laufe des Götterlaufes. Für sie kann es die Erfüllung ihres Lebensweges sein, andere, die sich einem festen Heim und einem wärmenden Herdfeuer am immer gleichen Platz verwurzelt fühlen kann dies hingegen ein Graus seien und so zu gegenseitigen Anfeindungen führen.“ Erst jetzt blickte wanderte sein Blick zu Yolde hinüber. „Welchen Weg jeder Einzelne beschreiten möchte, sei ihm selbst überlassen. Allerdings sollte er die Regeln der Gemeinschaft respektieren und die Zwölfgötter ehren.“ Den Kopf in den Nacken legend blickte Tassilo nun auf den nächtlichen Hort des Listenreichen. „Die Menschen sind verschieden wie die Sterne. Einige stehen einzeln oder kleinen Gruppen oder sammeln sich Sternenbildern und dennoch sind sie alle Bestandteil des Himmelsgefüges.“ [Tassilo)

Deutlich hörbar stieß der Magus die Luft aus. „Haben die hier Anwesenden auch solch schöne Worte zu dem Mordversuch an einem unschuldigen Kind?“ Sagte er dann leicht spöttisch, aber nicht ohne Ernst in der Stimme. Rhys wusste, dass er provozierte, aber er ertrug das leere Gerede nicht länger. (Rhys)

Einer der jungen Männer senkte schamvoll seinen Kopf, während das Mädchen und der zweite Junge sich still anblickten. Yolde erhob sich langsam: „Es ist also wie ich anfangs dachte. Wirklich schade.“ Ihr Blick hatte wieder etwas der anfänglichen Feindseligkeit: „ich hatte geglaubt, unsere kleine Diskussion hätte diese Frage unnötig werden lassen. Diese Frage und die ihr innewohnende Andeutung. Wir hier...“, und sie machte einen große Bewegung mit ihrer Hand: „…wir fühlen uns dem Leben verbunden. Dem Leben und dem Wandel, der ihm innewohnt. Jedes Leben endet einmal und ja – ich bin der Meinung, dass man Menschen manchmal stoßen muss, wenn sie sich diesem Wandel völlig verschließen und andere mit sich in diese rückwärts gerichtete Starre reißen. Doch niemals würde ich einen Mord gutheißen.

Den Regeln, denen ihr zumindest mit euren Worten so gerne folgt, gehorche ich nicht. Das ist wahr. Ich gehorche Regeln dann, wenn ich sie für vernünftig halte und streiche sie aus meinem Leben, wenn sie nicht mehr passen. Doch das macht mich nicht zu einer Mörderin.“

Yoldes Stimme war lauter geworden während sie gesprochen hatte. Und hatte sie die letzten Worte zu allen gesprochen, wandte sie sich nun nur an den Magus: „Ich habe noch niemals getötet. Ihr hingegen schon - wie ich annehme. Ihr wart im Osten, das sagtet ihr vorhin. Habt ihr dort Menschen getötet? Oder Kinder? Woran macht ihr denn fest, welches Leben es wert ist, weiterzugehen, und welches nicht? Woran macht ihr fest, wann ihr eure ach so feinen Regeln aufgebt und ein Leben mit einer Bewegung eurer Lippen beendet? Ihr seid ein Mörder. Ich bin es nicht.“

Dann ließ sie sich von jetzt auf gleich auf ihren Hintern plumpsen und starrte erregt in die Flammen des Feuers. Trotzig hatte sie ihre Stirn gerunzelt. Trotzig ihr Kinn nach vorne geschoben. Trotzig schwieg sie, bestätigte mit ihrem Ausbruch all das, was Maeve Augenblicke zuvor über sie gesagt hatte.

Maeve fing Yoldes Hand wieder ein, die ihr entglitten war, als die junge Frau sich erhoben hatte, um den Anschuldigungen des Magus zu begegnen. Langsam erhob sie sich. (MAeve)

Das arrogante Lächeln des Magus wurde noch breiter. Selbstgefällig sprach er weiter, offensichtlich zufrieden, dass seine Worte gesessen hatten.

„Um euch eure Frage zu beantworten, auch wenn ich fürchte sie ist rhetorischer Natur gewesen. Oh ja, ich habe getötet, im Krieg, wann immer es notwendig war - und nein, mich plagt deswegen kein schlechtes Gewissen, noch schlafe ich schlecht.“

<a name="_30j0zll"></a>Er seufzte theatralisch und fügte dann wieder ernst und mit Nachdruck an. „Wir wollen nichts weiter als denjenigen, der den Mordanschlag verübt hat. Dies ist ein Verbrechen nach dem Gesetz des Raulschen Reiches, dessen Schutz und Frieden ein jeder von uns genießt.“ Bewusst ließ er die Götter aus dem Spiel. „Wer von den Bilderstürmern ist ins Bunte Schloss vorgedrungen? Meinetwegen klärt selbst wer auf die Tochter des Barons angelegt hat, dann händigt ihn oder sie uns aus und wir gehen wieder.“ (Rhys)

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„Es sollte Dich nicht mit Stolz erfüllen, getötet zu haben, selbst wenn es notwendig schien, was immer das auch heißen mag! Du bist damit nicht besser als die, die du bekämpft hast, da jeder wohl glaubte, dass das Töten notwendig gewesen sei.“

Sie schluckte und holte erneut Anlauf: „Aber du solltest doch besser wissen, dass die Gesetze der Menschen, die Gesetze dieses Reiches, auch göttergemacht sind. Und beruft sich nicht auch das Kaisertum auf die Götter?

Nein, an diesem Ort – auf geweihtem Boden – muss niemand ausgeliefert werden, der sich nicht selbst ausliefern will. Sollte jemand ein Verbrechen begangen haben, genießt er auf dem Grund eines Tempels Asyl, das ihm die Möglichkeit gibt, zu bereuen!“

“Wie töricht.” Die Miene des Magus wurde plötzlich ausdruckslos, seine Stimme nüchtern, fast ein wenig traurig. “Hat euch schon einmal jemand versucht euch blanken Stahl in den Körper zu treiben oder hat ein Verfluchter einen Gehörnten auf euch gehetzt?” Rhys ließ seine Worte wirken.

“Allein darin liegt die Bedeutung der Notwendigkeit zu töten. Eine Erfahrung, die ihr wohl noch nicht machen musstet. Ich hoffe aufrichtig, dass es so bleibt, denn sie verändert einen Menschen.

Viele aufrechte Männer und Frauen haben im Osten ihren Seelenfrieden eingebüßt oder sind gestorben, damit Menschen wie ihr in Frieden leben könnt.

Und es ist nicht Stolz, es ist die Bedeutungslosigkeit meines eigenen Lebens und Wirkens im Angesicht des Schreckens von außerhalb der Sphären dessen ich ansichtig wurde, die meine Stimme ihren Ton verlieh.” Starren ins leere folgte auf seine Worte.

Dann straffte sich Rhys. “Gut, dann versteckt euch hinter Kirchengeboten, Diener des Götterfürsten werden entscheiden was schwerer wiegt, Mord, oder das Recht eines Verbrechers auf Asyl. Dann soll es so sein.”

Schon wollte er sich abwenden, dann kam ihm doch noch etwas in den Sinn. Der Magus legte den Kopf schräg und schmunzelte. “Der Eisensteiner ist einer der größten Gönner der Rahja-Kirche der mir bekannt ist.” Rhys schüttelte den Kopf. “Was er wohl dazu sagt, dass ihr denjenigen schützen wollt, der es darauf anlegte seine Tochter zu morden und ihn selbst fast getötet hat? Ich möchte wetten, dass ihn speziell eure Wortwahl interessieren wird.”

Nicken folgte. “Ja, das wird ihn interessieren.” (Rhys)

„Allerdings…“, wandte der erfahrene Diener der Schönen Göttin ein: „… kann man einem Diener der Göttin kaum vorwerfen, die Harmonie zu suchen. Einer Novizin, die ihren Weg noch sucht schon gar nicht und dies wird auch seine Hochgeboren wissen.“

Tatsächlich war er sich bewusst, dass trotz aller Verehrung für seine Herrin der Eisensteiner die Aussage wohl hinnehmen, anschließend jedoch nach den Geboten der praiosgefälligen Ordnung handeln würde.

„Doch ein Angriff auf das Leben des Barons, auf das Leben eines Menschen, ist so oder so ein Verbrechen wider die Gebote der Götter und die Gesetzte des Raulschen Reiches. Egal wer diese Tat begangen hat, ob Adlig oder nicht, ob Götterdiener oder nicht – er oder sie wird für diesen Frevel am Geschenk der jungen Göttin seine gerechte Strafe empfangen. Wer den Täter schützt oder sich der Täter nicht selbstständig stellt, bewirkt nur eines. Zorn, der zukünftige Begegnungen belasten wird, Vorbehalte und Misstrauen die künftig mit dieser Stätte, diesem Tal verbunden sein werden.“

Genau musterte er die anwesenden Tsa-Anhänger, blickte ihnen im schwachen Licht in die Augen und führte ihnen vor Augen in welche Gefahr sie dieses Tal brachten. Dabei gefiel ihm die Art des Magiers keineswegs. Er hatte nicht nur seinen philosophischen Disput unterbrochen, in dem er zugegeben etwas sein Ziel aus den Augen verloren hatte, nein schlimmer wog noch seine ganz persönliche, frostig, steife Mentalität bar jeder Harmonie.

„Weder wir, noch Seine Hochgeboren oder die Diener des Götterfürsten – kein Gefolgsmann Alverans wird den Frieden dieses Tals brechen und der Göttin unter deren Schutz es gestellt wurde, freveln.“

Erstmals klang seine Stimme nicht nach der eines friedfertigen Geweihten, sondern nach dem Befehl eines hohen Geistlichen dessen zuwiderhandeln seine Konsequenzen nach sich ziehen würde. Damit stand er geschmeidig auf und wandte sich Richtung Waldrand.

„Stellt sich der Angreifer nicht, wird dieses Tal umstellt und jeder, der es verlässt, unter dem Verdacht der Mittäterschaft verhaftet. Er wird diesen Ort des Friedens auf immer mit Misstrauen, geboren aus seiner Bluttat, besudeln. Er wird dafür Sorge getragen, dass dieses Heiligtum verwaisen wird!“ Mahnte er nochmals, bevor er sich endgültig abwandte.

„Ich denke ich mache jetzt erstmal einen Spaziergang, um den Kopf wieder frei zu bekommen.“ Waren seine letzten Worte, bevor er sich gemächlichen Schrittes entfernte. [Tassilo]

Ein ehrliches, anerkennendes Nicken, zugleich aber auch Verwunderung brachte Rhys dem Götterdiener nach dessen Rede entgegen, die ihm wie eine Standortbestimmung vorgekommen war. Ja, der Rahja- Priester hatte seine Linie verdeutlicht und war damit zumindest in die Nähe des Magus gerückt, von unbedeutender Wortwahl und Motivation einmal abgesehen. Vielleicht könnte man sich in Zukunft mit Respekt begegnen, doch das würde sich wohl erst herausstellen müssen. Zunächst jedoch gab nichts weiter zu sagen. (Rhys)

Maeve fröstelte und sie fühlte sich in das weiße, kalte Land ihrer Traumgesichter zurückgeworfen. Blut, Tränen und Einsamkeit waren ihr wohl bekannt. Doch was hier – an diesem gesegneten Ort – soeben passiert war, vermochte sie kaum glauben: Nicht nur war ihr und auch der Kirche gedroht worden - dann verlor auch noch Tassilo seine Beherrschung und stieß seinerseits Drohungen aus. Aber was noch wichtiger war: Er verstieß gegen die Prinzipien der Lieblichen… (Maeve)

Eigentlich fühlte er sich stets der Harmonie verpflichtet, eben jedoch hatte er sich einem anderen Aspekt seiner Göttin hingegen, der Leidenschaft. Während er sich vom Lagerfeuer entfernte brodelte die Sorge in ihm hoch, dass seine Worte der Mahnung, die aufzeigen sollten welches Schicksal diesem Ort bevorstehen mochte, als Drohung aufgefasst worden sein könnten. In seiner Leidenschaft hatte er die Harmonie dieses Ortes in die Waagschale geworfen, aber als erwählter Diener der Zwölfgötter war er dazu verpflichtet mehr zu wahren als das Weltbild einiger Radikaler.

Verstanden sie nicht in welche Gefahr der Schütze diesen Ort brachte? Er hatte nichts gegen Änderungen, aber es bedurfte Verstand und Fingerspitzengefühl. Hier aber wurde wie die Axt im Walde gewütet. Verstanden sie nicht das das erschüttern der Grundfesten ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen konnte? Er selbst hatte den Feldzug nicht begleitet, nein – es war viel Schlimmer. Er wusste nicht mehr wie vielen Veteranen dieses Feldzugs er beigestanden hatte, dafür wusste er jedoch das er vor seinem geistigen Auge weit mehr Schrecken zu sehen bekommen hatte als viele andere. Er war auf die Blockade der Tesralschlaufe zugeritten, war durch den flankierenden Wald gezogen und hatte den Ausfall des Herzogs begleitet. Er hatte das Rote Haus und das Borbaradial erstürmt und gesehen wie Kameraden im Hafen von Mendena verbrannten. Jede Schlacht hatten ihn die Veteranen aus verschiedenen Stellungen heraus beschrieben, mit all den schrecklichen Einzelheiten die ihre Seelen noch immer plagten. [Tassilo]

„Ihr habt Recht, Rhys!“, stieß sie so laut hervor, dass auch Tassilo es noch im Weggehen hören konnte. „Ihr habt Recht, es ist töricht! Wir sind töricht! Jeder von uns auf seine Art.“ Rasch schlüpfte sie zwischen Gili und dem Mädchen hindurch und schritt auf Rhys zu, dessen Gesicht durch das Feuer wie eine fürchterliche Fratze wirkte.

„Dieser Ort hier ist geweiht. Nichts Böses gibt es hier, nur Frieden und Harmonie. Alles was wir gerade erlebt haben, das haben wir selbst mit hierher gebracht: Angst, Unsicherheit, Hass, Hochmut…

Und Ihr habt wieder Recht, wenn Ihr vermutet, dass ich noch nie töten musste. Aber haltet mich deshalb nicht für schwach: im albernischen Freiheitskampf erschlugen Nordmärker meinen Vater vor meinen Augen, sie töteten auch meine Mutter und nahmen mir die Unschuld. Durch Wut und Hass habe ich mich fast selbst verloren und durch Zufall oder Bestimmung gelangte ich in den Tempel der Lieblichen nach Orbatal. Dort fand ich mit Hilfe der Göttin und ihrer Diener einen Weg zu leben. Die Wut und den Hass aber, habe ich tief in mir vergraben. Erst heute, dort oben am Wasserfall, erschien mir die Liebliche inmitten eines funkelnden Schleiers aus tausend Farben.“

Maeve blieb vor Rhys stehen und griff sachte nach seiner Hand. (Maeve)

Er ließ es geschehen, doch erwiderte er ihren Händedruck nicht. Deutlich sah sie sein Unverständnis, spürte sein wachsendes Unbehagen. (Rhys)

Sie sah zu ihm auf und fuhr fort: „Dort erhielt ich meinen ersten wahrhaftigen Kuss von der Göttin selbst….“ Sie schluckte und fuhr fort: „Sie sprach zu mir am Scheideweg meinem Herzen zu folgen, wenn ich zwischen dem Neuen und dem Alten entscheiden müsste...und als der Ifirndiener Mikail kam… vernahm ich eine Stimme, die mir den Weg der Silberweißen Schwänin verhieß. Und ihre Güte empfing ich, da kurz darauf - durch alte Melodien geweckt - mein Hass aufflammte, aber von mir genommen wurde… ich wurde durch das eisige Wasser und die Güte der Schwänin geläutert, ich war fähig zur Vergebung…

All das aber wäre nicht möglich gewesen ohne Rozen, Lares oder Mikail, die Menschen sind und auch voller Liebe, Güte und Vergebung sein können.

Du bist verbittert und begegnest mir mit Verachtung oder zumindest Geringschätzung. Ich will dir verzeihen, wie ich mich bei dir auch entschuldigen will, da ich dich für stolz gehalten habe. Ich fühle, dass du den Göttern dein Schicksal zürnst und verbittert bist. Vielleicht weil du getan hast, was notwendig war, vielleicht weil so viele getötet wurden, wie du gesagt hast. Aber dein Wesen ist spröde und hart… andere treibst du von dir weg, obwohl doch die Menschen, die einzigen sind, die dir vielleicht bleiben. Deshalb will ich dir ein Geschenk machen, um dich dran zu erinnern, den Menschen zugewandt zu bleiben: einen Kuss. Willst du ihn annehmen?“ Maeve griff nun auch nach seiner zweiten Hand. (Maeve)

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020