Alte Bekannte

Alte Bekannte

Eine Briefspielgeschichte aus dem Leben eines jungen Ritters

Auf dem Marktplatz von Gratenfels, den 12. Rahja 1025 BF, ein warmer Frühsommertag

Gelangweilt stieß der Knabe mit dem Fuß gegen einen Kiesel, der klackernd über den nahezu menschenleeren Platz kullerte, gegen die weiß getünchte Seitenmauer einer Backstube prallte und von dort, als habe ihn ein Zauberbann zurückgeworfen, einen guten Spann wieder in Richtung des Jungen rollte. Die Sonne kitzelte in Gero von Schwingenbachs Nacken.
Er fühlte sich nicht wohl, trotz der mit Rosinen und allerlei Zuckerwerk verfeinerten Törtchen, die er eben für einige Heller erstanden hatte. Warum war er hier? Um die Pferde zu beaufsichtigen. Als ob das die Knechte im Gasthaus nicht genau so gut tun konnten. Er war ein Knappe, fast schon ein Ritter. Nur noch fünf Jahre würde es wohl dauern, bis er die Schwertleite absolvieren konnte.
Geros Magen schmerzte. Baron Bodar war nun bereits einige Stunden fort. Was hatte er mit dem Grafen zu verhandeln, wo er doch immer so schimpfliche Reden über diesen führte? Nur kein Wort darüber zu anderen, mit welch harschen Worten der Graf seinen Lehnsmann zu sich gerufen hatte, schalt sich der Junge. Das hatte sein Knappenvater ihm schon genug eingebläut: Noch bei der Erinnerung schmerzte Geros Wange, auf der eben ein heller Flaum gesprossen war; durch die Ohrfeigen hatte er seinen Stolz auf diesen – wenn auch schwächlichen – Bartwuchs fast vergessen.
Nun saß er schon den halben Tag in Gratenfels herum. Er war nicht das erste mal hier, auch wenn die Knappen, deren Herren Freunde des Landgrafen waren, öfter die Wunder der Stadt genießen durften. Wenn ein Turnier oder ein Jahrmarkt anstünde, ja, auch nur der kleine Wochenmarkt, das wäre etwas gewesen.
So herrschte auch im schwefelstinkenden Gratenfels nur wenig Betriebsamkeit, mit anderen Worten: es war genau so öde wie in Firnholz hinter dem Walde den Mägden beim Waschen zu zu schauen. Überhaupt, diese Mädchen: Neulich erst hatte er sich besondere Mühe gegeben, auf seinem alten Warunker bei der Übung zum Lanzengang ein ritterliches Bild abzugeben. Als das bockige Biest gescheut hatte und er im Sand des Hofes lag, wie hatten da die Jungfern gelacht! Sollten die es doch besser machen! Gero starrte bei der Erinnerung düster auf den mit geringer Kunst gepflasterten Boden und trat wütend gegen einen weiteren Stein, der im hohen Bogen davon sprang.
Der erste Schrei, der daraufhin an Geros Ohr drang, war eindeutig durch Schmerzen hervorgerufen. Der zweite durch Wut. Kaum hatte er den Blick heben können, da rauschte eine gedrungene Gestalt heran und stieß ihn von der Ziegelmauer, auf der er saß. Dumpf schlug Gero auf dem Boden in einem verlassenen Hinterhof auf, sein Blick war verschwommen, seine Sinne benebelt. Die Gestalt ließ nicht ab, warf sich auf ihn und presste ihn nieder. Der junge Knappe besann sich der Lektionen, die seine Lehrmeister ihm für den Kampf ohne Waffen gegeben hatten. Gero nahm alle Kraft zusammen und versuchte nun, die erstaunliche leichte Gestalt mit einem einzigen Stoß wegzudrücken. Aber sie war nicht nur leicht, sondern auch kräftig, und er musste sich eingestehen, das er an Stärke unterlegen war. Er täuschte rechts an und versuchte dann, den Angreifer zur Linken zu überwinden. Doch so leicht ließ sich sein Gegner nicht verwirren und pendelte ihn aus. Gero geriet in Panik.Was würde nun mit ihm geschehen? Er schloss die Augen. Der Gegner verharrte, vermutlich hatte er bereits die Hand zum Schlag erhoben.
Nichts geschah, Augenblicke lang, Äonen lang.
Als Gero die Augen wieder auftat, blickte er seinem Angreifer mitten ins Gesicht. Die Haare waren kurz geschnitten, leichte Sommersprossen scheckten die Wangen, eine kleine Wunde verunzierte die Schläfe, dunkelbraune Augen blitzten ihn an. Ein Mädchen! Ein Mädchen, etwa in seinem Alter, hatte ihn überwunden!
Bevor er etwas sagen konnte, spürte er ihre Lippen auf den seinen.

Als Gero am Morgen des nächsten Tages an der Seite des missmutigen Barons nach Norden ritt, war sein Groll verflogen.


In einer Schenke in Orgilsheim, am Abend des 28. Phex 1031 BF

Der Mann mit dem ausgeprägten Backenbart und den roten Wangen sprach auch mit vollem Mund weiter, während die Tischgesellschaft immer wieder zustimmend nickte oder grunzte. „Seit wie vielen Jahren ist Burg Elsternhöh Sitz der Landschads? Seit Hunderten! Und nun kommt dieses Blag von Gareth her und nimmt sie ihnen weg! Die Jungfer Lindwine ist gestorben vor Gram, das hübsche Ding. Nun ist die Burg eine Pfalz! Hat Rohaja noch nicht genug Schlösser? Sollte sie sich nicht um die Albernier kümmern, das Gesocks? Oder meinetwegen um den Osten? Soll sie sich dahin scheren und ihren Bastardgrafen gleich mitnehmen. Wir kommen gut ohne die zurecht! Da ist mir ja Selindian lieber, der hält es wenigstens mit der Tradition....“

Noch bevor das Gefolge sich abermals beifällig äußern konnte, war am Nebentisch ein junger Mann aufgesprungen, der, erst kurz zuvor eingetreten, noch in Reisekleidern auf sein Abendmahl gewartet hatte.

Er hieb mit seinem schweren und mit Nieten aus Eisen beschlagenen Lederhandschuh auf den Nachbartisch, so dass dieser erzitterte. Ein Humpen fiel dabei um und rötlichbraunes Bier ergoss sich über den eben noch so lautstarken Mann, der dem Aufgesprungenen seinen Rücken zuwandte. Seine Beinkleiner aus rotgefärbtem Bausch verdunkelten sich genau wie seine Gesichtsfarbe. Seine Tischgenossen legten ihre Hände an die Waffen. Mühsam beherrscht erhob sich der besudelte Edelmann – denn dass er das sein musste, legte seine Tracht nahe – und gebot seinen Gefährten schweigend Einhalt.
Schließlich überwandt er sich, drehte sich um, musterte den Gerüsteten vor ihm, der seine Rede so unwirsch gestört hatte, und hob an zu sprechen: „Wohlgeboren? Oder seid Ihr gar kein Ritter, gar kein Edelmann? Soll ich Euch lieber Trollgeboren nennen? Oder... Orkgeboren? Eure Tischsitten scheinen mir das nahezulegen.“
Nun war es Ritter Gero von Schwingenbach, der rot anlief, als er erwiderte: „Mich könnt Ihr beleidigen, wie Ihr wollt, Ihr trefft mich nicht. Aber vermesst Euch nicht, unser aller Kaiserliche Majestät in den Dreck zu ziehen, sonst werden Ihr mit meiner Faust und Klinge Bekanntschaft machen!“ Gero zitterte vor unterdrückter Wut, aber auch, weil ihm Stück für Stück klar wurde, dass er einen Mann mit vielen Freunden gefordert hatte; und diese Freunde starrten ihn unverwandt an. Alle hatten sich mittlerweile erhoben, Männer und Frauen, die aussahen, als wären sie gewohnt, Streitigkeiten auch mit Waffen auszutragen.
Doch der Junker lachte nur und sagte: „Schaut an, Ritter von Orkenheim minnt um die Kaiserin... Hör zu, Junge – soll sie sich doch selber aus dem Dreck ziehen. Wir Nordmärker und unser Herzog – wir brauchen ihre Schoßhündchen nicht zu fürchten.“ Er drehte sich zur Wirtin, die sich hinter dem Tresen postiert hatte, um die Vorgänge zu beobachten, und warf ihr ein paar Silberstücke hin. „Kommt, meine Freunde. Ritter Flaumwange hat mir den Appetit verdorben.“, sagte er noch und verließ mit seinen Gefährten schwankend die Schenke. Gero schaute sich um, aber die wenigen weiteren Gäste starrten angestrengt in ihr Essen oder setzten lärmend ihr Kartenspiel fort. Er redete sich ein, sich mit einem Betrunkenen zu duellieren sei ohnehin unehrenhaft. Aber diese Gedanken konnten das herbe Gefühl der Scham nicht verdrängen. Am liebsten wollte er nun allein sein So bemerkte er die kleine Gestalt mit dem gräflichen Wappenrock unter dem Reisemantel nicht, die ihn unter der Kapuze aufmerksam musterte.
Nachdem er hastig ein Bier heruntergestürzt hatte, beschloss Gero, trotz des Frühjahrsregens noch an diesem Abend weiter nach Wolfenhag zu reiten, wo sein alter Oheim auf ihn warten musste.


Auf der Grafenburg in Gratenfels, den 28. Tsa 1033 BF

„... und gleichviel, was den Wolfssteiner angeht - Boron sei seiner Seele gnädig – er ist nun einmal über das Nirgendmeer. Wir müssen vorausschauen. Was wissen wir über seine Gattin? Sie soll eine wahre Praiotin sein.“ Alrik Custodias-Greifax starrte versonnen aus dem Fenster. Die Frau an seiner Linken schien auf diesen Moment gewartet zu haben, um in die Diskussion einzugreifen.
„Und derenthalben blickt sie stets mit mindestens einem Auge nach Elenvina!“
Der Graf nickte auf diesen Einwurf bedächtig. „Die Frage ist – schaut sie mit dem anderen nach Gratenfels? Man hörte, ihr Gemahl und sie seien zuletzt nicht mehr mit einander ausgekommen. Das kann gegen uns sprechen, muss es aber nicht. Nun weiter: Was ist zu dem Lehnsvogt zu sagen, der den Nachlassverwalter spielt?“
„Roderich von Wolfsstein, ein Verwandter des verstorbenen Barons. Er hat in Punin studiert, wird aber vermutlich nicht so dumm sein, Selindin Hal in die Hände spielen zu wollen. Er scheint mir schwer zu durchschauen. Übrigens ist er sehr jung, vielleicht 25 Jahre.“
Ein älterer Mann mit einer goldenen Amtskette hustete vernehmlich. „23, Magister. Aber ansonsten schließe ich mich Euch an: Schwer zu durchschauen. In Wolfsstein ist uns nach den letzten Vorkommnissen in der Tat keine Person geblieben, die Euer Hochwohlgeboren mit Nachrichten versehen würde und seine Interessen wahrt.“ Vogt Odumir hustete abermals. Schnell fuhr er sich mit einem Leinentuch über den Mund, aber Praihild Greifax, die Nichte des Grafen meinte, Blutspuren daran gesehen zu haben. Schnell erhob sie das Wort: „Nun, ich denke, ich kann ausnahmsweise etwas zu euer aller Beratung beitragen“, wobei sie scheinbar unbeteiligt eine Zinnkanne mit dem Ärmel zu polieren versuchte. „Ich habe einen … entfernten Bekannten, der vielleicht diesen Dienst tun könnte. Ein junger, seit jüngstem in Wolfsstein begüterter Ritter – er dürfte, wenn Ihr mir diese Worte verzeiht, Euer Hochwohlgeboren aus der Hand fressen, lieber Onkel.“ --- Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.ChristophW - 02 Mar 2014