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Version vom 19. März 2021, 21:10 Uhr

Wind und Wetter

Wind und Wetter in den Gebirgen der Nordmarken

Der Schneesturm

„Den Schneesturm fürchtet der Bergbewohner vielleicht noch mehr als die Schneelawine. Für gewöhnlich kündigt er sich durch einen wolkenverhangenen Himmel an, dessen schweres Grau zunächst die schneeweißen Berggipfel verschluckt. Sodann hebt der Wind zu pfeifen und zu tosen an und braust durch die Täler, besänftigt sich auch einmal kurz, nur um in noch größerem Übermut zurückzukehren. Alles verdunkelt sich. Tausend Flocken tanzen dir vor dem Gesicht, versperren dir in kürzester Zeit die Sicht. Bei jeder einzelnen Bö hebt der frische Pulverschnee sich hinweg, fährt in Mund und Augen, wirbelt in alle Richtungen, hält sich an jedem Hindernis fest, bildet hier Verwehungen und Wellen mit scharfen Graten, legt sich dort zu langen Dünen nieder, deren sanfte Neigungen in eine abrupte Steilwand übergehen. Fern an den Hängen treibt der Sturm weiße Wolken vor sich her, die alsbald verharren, schwebend wie ein Nebelstreif, um sanft zu verwehen und dahinzuschwinden, so der Windstoß sich für kurze Zeit legt.

Das Bergdorf duckt sich unter dem Orkan, der von allen Seiten zugleich zum Angriff bläst. Heulend braust er in die schmalen Gassen, ebnet Fußspuren ein und bedeckt sie mit einer schritthohen Schneedecke. Türen und Wände ächzen, von unbeschreiblichen Gewalten durchgeschüttelt, und noch durch die kleinsten Ritze dringt der Frost in das Haus. Allmählich verdunkelt sich die gute Stube, wenn der Schnee die niedrigen Fensterschlitze, ohnehin durch schwere Holzläden und Pergamenthäute abgeriegelt, von außen her nach und nach einschneit.

Keine Seele zeigt sich draußen. Man könnte das Dorf für verlassen halten. Dies ist die Stunde des Sturmes, der alles einebnet in seiner eisigen Wüste. Keine Spuren gibt es mehr und keine Wege; bei jedem Schritt die Gefahr, bis zur Hüfte einzubrechen oder mehr. Wer sich vom Schneesturm überraschen lässt, befindet sich in größter Gefahr; unmöglich, sich dem Nagen der Kälte zu entziehen, dem Wind, der dir ins Gesicht peitscht und dir den Atem raubt, zu entkommen; unmöglich auch, sich inmitten der dichten Schneewirbel, durch das angehäufte Weiß fortzubewegen; wenn du innehältst, droht dir der Tod durch Erfrieren; und du kannst von Glück reden, wenn die Gewalt des Orkans nicht über dir die alles verschlingende Schneelawine auslöst.

Doch langsam, ganz allmählich, lässt der Zorn des Weißen Mannes nach, und die windstillen Unterbrechungen verlängern sich. Bislang bis zum Horizont bedeckt, bricht der Himmel auf; es erscheinen die Hänge, sodann die Zinnen; nicht länger dampft weißes Schneegestöber von den Graten. Dann heißt es schnell an die Arbeit gehen, um sich zwischen den Hütten Wege zu bahnen. Im Stall blökt und muht das Vieh und will beruhigt und gemolken werden; der gebrechliche Witwer sitzt in seinen eigenen vier Wänden fest, unfähig, sich aus eigener Kraft ihrem frostigen Gefängnis zu entziehen; die Außenwand mit den aufgeschichteten Brennholzscheiten bedeckt ein mannshoher weißer Wall. Wo die Schneemassen sich am höchsten auftürmen, gräbt man sich mit der Schaufel durch; andernorts spannt man einige Maultiere vor einen Bauernkarren. In diesen Zeiten ist der Zusammenhalt unter den Bergleuten am stärksten, man vergisst die Streitigkeiten des Alltags oder gibt das zumindest vor…“

Aus den Erinnerungen des Firungeweihten Bärenzahn, letzter der Gletscherläufer von Bollharschen

Efferds Macht und Rondras Zorn

„Schlagartig dreht der Wind auf Ost. Die tiefliegenden, bleigrauen Wolkentürme, die eben noch gemächlich und beruhigend von unserem Trupp weg geglitten waren, treiben jetzt mit wahrhaft erstaunlicher Geschwindigkeit auf uns zu. Bald treffen uns erste Regentropfen, dick und schwer klatschen sie auf den Boden und auf unsere Kleidung. Schon nach wenigen Augenblicken ist ein jeder von uns durchnässt bis auf die Knochen. Fast unverzüglich wird es kühler. Von der lauen Sommerbrise von vorhin bemerken wir kaum noch etwas. Schon nach kurzer Zeit gefriert uns der Atem in kleinen Wölkchen vor den Nasen. Am gegenüberliegenden Hang rumpelt grollend eine Schuttlawine zu Tale, die sich, von zahlreichen angeschwollenen Bächen mitgerissen, von ihrer Geröllhalde gelöst hatte. Der feuchte Boden gefriert und überzieht sich mit einer spiegelglatten Eisschicht. Mörderisch für Mensch und Packesel, das. Und wieder dreht der Wind. Ebenso schnell, wie er eingekehrt war, setzt der Regen aus. Aber eine knisternde Spannung liegt in der Luft. Unser Hauptmann Radegerd treibt uns zur Eile an. Auf der Höhe führt die Straße an einer Grotte vorbei, ein Heiligtum der Travia, wie er sagt. Aber er ist sehr nervös, blickt immer wieder zum sich verdüsternden Himmel.

Darauf geschieht alles in Augenblicken. Ich höre ein Brummen wie von Hunderten von Bienen. Die klatschnassen Haare Radegerds und einiger Kameraden richten sich auf, wie von Geisterhand getrieben. Lichtfunken erscheinen auf dem nahen Grat, tanzen auf unseren Händen und Köpfen und auf den Spitzen unserer Hellebarden. Mindergeister, fährt es mir durch den Kopf. Dann hüllt Radegerd ein blendend helles Licht ein, und es gibt einen einzigen, ohrenbetäubenden Donnerschlag. Bevor ich überhaupt verstanden habe, was ich tue, habe ich mich auf den Boden geworfen – keine zwei Spann vom Abgrund entfernt, an dem sich die Straße entlang windet. Und das mir, die ich doch nicht einmal fähig war, mich sicheren Schrittes über die Eisenbrücke zu trauen…

Der Blitz hat Radegerd niedergestreckt, sein Puls ist nicht mehr zu fühlen; schwielige Brandblasen bedecken seine Hände in seltsamen Mustern, anscheinend dort, wo er die Hellebarde gehalten hat. Seine Haut ist bleich und geädert wie Eisenwälder Marmor. Fassungslos stehen wir um unseren Hauptmann herum, derweil der Regen mit unerbittlicher Stärke wieder einsetzt. Ich suche seine Halsschlagader, taste verzweifelt nach einem noch so geringen Lebenszeichen.

Da: Unvermittelt setzt der Herzschlag wieder ein! Ein Wunder – doch uns bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken. Radegerd ist verwirrt und redet zusammenhanglos; er kann uns offenbar nicht hören. Ein beträchtlicher Anteil seiner Kleidung ist verbrannt, seine Schuhe sind völlig zerstört. Wie wir jetzt erkennen, weisen auch seine Füße diese fremdartigen Brandblasen auf, an Gehen ist nicht zu denken. Nach kurzer Beratschlagung binden wir ihn mehr schlecht als recht auf eines der Packtiere und setzen unseren sturmgepeitschten Weg fort.

Der Traviaschrein ist tatsächlich nicht mehr als eine natürliche Grotte in einer lotrechten Steilwand, während sich auf der anderen Seite mehrere hundert Schritt Abgrund an den schmalen Karrenweg anschließen. Unzählige Wanderer haben hier Unterschlupf gefunden, scheint es, wenn man sich die gewaltige Menge an angesammeltem Brennholz ansieht, das fein säuberlich an der Rückwand der Höhle aufgeschichtet wurde. Wir entzünden ein prasselndes Lagerfeuer und rücken dicht zusammen, um uns vor der von außen eindringenden Kälte zu schützen. Über die züngelnden Flammen hinweg blicke ich hinaus ins Grau des Unwetters. So dicht ist der beißende Qualm, so nahtlos scheint der Vorhang von Regenschauern, der geradewegs vor den Eingang der Höhle hernieder fällt, dass es mir bisweilen gelingt zu vergessen, wie schmal der Sims ist, der uns von der Schlucht trennt. Aber bisweilen schlägt in der Ferne, von einem Donnergrollen gefolgt, Rondras Zorn ein und erhellt für einen kurzen Moment den Vorsprung und auf der anderen Seite des Tales die geisterhaft wirkenden Zacken des Eisenwaldes…“

Ausführlicher Rapport der Flussgardistin Iduberga an den Allwasservogt, Gorfang Reto von Bösenau-Brüllenfels und vom Großen Fluss, nach der überstürzten Rückkehr ihrer Truppe aus dem Bergdorf Eisenbrück

(von Lucas C.)

-- Main.IseWeine - 11 Feb 2021