Von Hexenjagd und Pflichtvergessenheit

Ort: Ein Dorf in Nordgratenfels
Zeit: Praios 1042 BF

Personen:

Eine kurze Briefspielgeschichte von StLinnart.

Inhalt: Nach dem Verlust seines Sohnes geht ein Bauer auf Hexenjagd. Hilfe erwartet er sich dabei vom Orden vom Bannstrahl Praios.

In einem Dorf in Nordgratenfels, Praios 1042 BF

Ein kratzendes Geräusch ließ Vea hochschrecken. Sie hatte allem Anschein nach das Bewusstsein verloren und nur langsam kehrten ihre Sinne ins Hier und Jetzt zurück. Als erstes machte sich der hämmernde Schmerz an ihrem Hinterkopf bemerkbar und sie fühlte sich als würde Ingerimm mit seinem Hammer Mal-mar darin wüten. Was war hier geschehen? Das letzte woran sich die junge Frau erinnern konnte war, dass der alte Pirmin sie zu sich gebeten hatte. Vea erinnerte sich daran, dass sein Sohn war krank geworden war und auch sie ihm mit Satuarias Gaben nicht mehr helfen konnte. Was dann kam … sie versuchte in sich zu gehen, doch übertönte der Schmerz in ihrem Kopf jeden Gedanken.

Der nächste Eindruck, welcher sich langsam im Bewusstsein der Frau manifestierte war die beinahe vollständige Dunkelheit um sie herum. Vea quälte sich dazu ihre Augen zu öffnen, konnte jedoch nichts erkennen, das über die Farbe schwarz heraus ging. Es sollte noch einige Herzschläge lang dauern, bis die junge Tochter Satuarias den Grund dafür erkannte.

Über ihren Kopf wurde ein Erdäpfelsack gestülpt und ihr Versuch sich dessen zu entledigen scheiterte daran, dass ihr die Hände hinter den Rücken gebunden waren. Langsam kam sie nun wieder in den Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und in ihr wuchs die Angst vor der Ungewissheit warum sie hier so in diesem Zustand verharren musste. Der Boden unter ihr stank nach Ausscheidungen und sie war sich dabei unsicher ob von Mensch oder Tier.

Kurz sann sie darüber nach ob es denn nicht angebracht wäre nach Hilfe zu schreien, doch entschied sie sich dagegen. Jene Menschen, die sie hier an einem Stuhl festgebunden und gefesselt hatten, waren wohl noch hier - immer wieder konnte Vea dumpfe Schritte und Gemurmel vernehmen, das von außerhalb einer geschlossenen Tür kam. Sie beschloss zu warten, ruhig zu bleiben und zu lauschen.

“Was für ein Glück, dass die Geißler gerade im Nachbardorf weilen …”, es war eine dumpfe Männerstimme, die ihren Ursprung vor der Tür hatte, “... hätte sonst ewig gedauert.”

“Hmmm … ja …”, antwortete eine ebenso gedämpfte Frauenstimme.

“Was die wohl mit der Hexenschlampe machen werden … ich will sie nämlich brennen sehen.”

“Verbrennen … ersäufen …”, ergänzte wiederum die Frauenstimme, “... ist mir egal. Nach allem was sie unserem Tobor angetan hat hoffe ich nur, dass es nicht allzu schnell vorüber ist. Sie soll leiden wie wir gelitten haben.”

“Ja…”, stimmte die Männerstimme zu, “... meinst du die lassen uns dabei sein? Weiß ja nicht wie sowas bei den Weißen abläuft.”

Vea verfolgte das Gespräch mit immer größerem Unwohlsein. Fünf Sommer war sie nun schon die Dorfhexe gewesen und war den Menschen hier bei ihren alltäglichen Problemen zur Hand gegangen. Sie wurde zwar von vielen furchtsam gemieden, doch von allen akzeptiert. Sie hatte geholfen Kinder zur Welt zu bringen, war bei Tiergeburten zugegen und half wenn es hier und da einmal zwickte. So auch beim angesprochenen Tobor. Der Junge war bereits an der Schwelle des Todes gestanden als sie von Pirmin und seiner Frau gerufen wurde und man konnte nichts mehr für ihn tun. Es verwunderte die junge Tochter Satuarias nicht, dass bei der Suche nach einem Sündenbock auf sie gezeigt wurde. Es verblüffte sie nur, dass es gerade Pirmin war, der ihr auf diese Art in den Rücken fiel. Vor einem Mond noch hatte sie seinem Enkel das Leben gerettet, als es bei der Niederkunft seiner Tochter Komplikationen gab.

Tränen der Enttäuschung und der Wut bahnten sich den Weg über die Wangen der jungen Frau und eben jenes Aufkochen ihrer Emotionen verhinderte auch, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Stattdessen versuchte sie sich mit Gewalt und Ungeduld aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Dies führte jedoch nur dazu, dass sie sich ihre Fessel - wohl dünner Draht - noch weiter in ihr Fleisch trieb und ihr der Schmerz, gepaart mit Erschöpfung abermals das Bewusstsein raubte.

Etwas später

Vea schreckte hoch als die Tür in das Zimmer geöffnet wurde in dem sie sich befand. Sogleich hörte sie das Knallen schwerer Absätze, das Klirren von Kettenrüstungen und das Klimpern eines Schwertgehänges.

“Das ist die Hexe, Herr …”, es war Pirmins gehetzt wirkende Stimme, die die Stille brechen sollte.

“Soso …”, antwortete die tiefe Stimme eines jungen Mannes, “... und gibt es auch einen Grund warum du ihr das Gesicht verdeckt hast? Und was ist das hier überhaupt für ein Gestank?”

Die junge Frau konnte hören wie der Mann einmal um sie herum ging. Es umgab ihn ein leichter Geruch von Sandelholz. Kurz herrschte Stille im Zimmer, dann entfernten sich die Schritte wieder etwas von ihr.

“Deine Gefangene ist es schon einmal nicht …”, Vea konnte einen beleidigenden Unterton in der Stimme des Jüngeren mitschwingen hören, “... wie hast du sie denn überhaupt zu fassen bekommen?”

“Ha, das war ganz einfach.” Pirmins Stimme war vom Gefühl des Stolzes durchzogen gewesen, auch das war einfach herauszuhören. “Ich habe die Hexe in mein Haus bestellt und sie dann überwältigt?”

“Überwältigt?”

“Ja Herr, ein Knüppel auf den Kopf. Hab der Schlampe keine Möglichkeit gegeben mich zu verhexen.”

“Soso …”, die Tonfall der Stimme des Jüngeren schwang von beleidigend auf belustigt um, “... du bist ja ein wahrer Held wie ich sehe. Kannst stolz auf dich sein. Und nun lass uns mit der Gefangenen alleine.”

“Aber Herr … ich dachte.”

Der junge Mann schnalzte mit seiner Zunge. “Na na na, du hast schon genug nachgedacht. Die Gefangene muss befragt werden und wird dann der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Ordens übergeben. Und nun entferne dich.”

Vea kam nicht umhin als die Unterhaltung unter dem Sack mit einem leichten Lächeln zu verfolgen, auch wenn sie ziemlich tief im Schlamassel saß. Der junge Mann war allem Anschein nach einer der Bannstrahler, die Pirmin hatte holen lassen. Weiter konnte sie ihre Gedanken nicht spinnen, da abermals der Jüngere das Wort erhob.

“Ucurian, nehmt der Gefangen diese … Fesseln … ab und legt ihr die Eisen an.”

“Ja Herr.” Die junge Frau konnte deutlich hören wie sich Schritte entfernten und dann nach wenigen Momenten wieder näher kamen. Sie konnte fühlen wie schwielige Hände ihr den Draht abnahmen, sie dann vor ihren Körper zwangen und ihr Handeisen anlegten. Vea schwieg während der gesamten Prozedur. Mit ihren Beinen sollte dasselbe geschehen - Fesseln ab, Eisen an. Beinahe genoss sie die Kühle des Stahls auf den geschundenen Stellen an Hand- und Fußgelenken.

“So, jetzt kann sie sich wieder etwas bewegen.”, tönte der Bariton des jungen Mannes und für einen Moment war sie sich unsicher ob die Worte ihr selbst, oder dem anderen Mann im Zimmer galten. “Lass mich jetzt allein mit ihr.”

“Aber Euer Ehren, die Befragung …”

“... sollte man niemals alleine machen, ich weiß.” Die tiefe Stimme unterbrach den anderen sofort. “Ich kenne diese Empfehlung. Du darfst jetzt gehen.”

“Jawohl, Euer Ehren.” Die Schritte entfernten sich und die Tür fiel hinter ihnen in die Angeln. Danach sollte es nicht lange dauern bis ihr nun endlich der Erdäpfelsack vom Kopf gezogen wurde.

Das fahle Licht in der Kammer bereitete ihren an die Dunkelheit gewohnten Augen Schmerzen und es benötigte einige Momente des Blinzelns, bis sie sich ersten Überblick verschaffen konnte; Vea befand sich tatsächlich in einem kleinen Raum. Ein kleines Fenster zu ihrer Rechten ließ genug Tageslicht in den Raum, doch war wohl zu klein dafür um dadurch fliehen zu können. Vor ihr stand ein junger Mann mit einem blütenweißen Wappenrock über einer Kettenrüstung. Ein goldenes Sonnenamulett hing auf seine Brust und sein Geruch nach Sandelholz war nun viel stärker zu vernehmen. Der Mann war ansehnlich; groß gewachsen mit der Statur eines Kriegers. Er war gepflegt, sein blonder Bart und die Haare waren gestutzt und das dunkle Leder der Stiefel poliert. Es war ein Mann wie man ihn sonst wohl nur auf größeren Adelshöfen oder in den Städten finden konnte.

Wortlos nahm sich der Mann einen Stuhl und setzte sich dann ihr direkt gegenüber hin. Seine grauen Augen musterten sie und auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln. In den Händen hielt der junge Ritter ein Stück Pergament.

“Hexerei, dunkle Magie …”, las er in ruhiger Stimme davon vor, “... Ermordung von Kranken und Verwundeten, Lästerung des Herrn Praios, Kannibalismus …”, er brach ab und räusperte sich, “... ich muss dir wohl nicht erklären was das für dich bedeutet.”

“Nichts davon habe ich getan …”, begehrte Vea tonlos auf, bevor ihr ihre Stimme vollends brach.

Der Ritter runzelte seine Stirn und sein Lächeln erstarb. “Haben sie dir zu trinken gegeben?”

Es folgte ein wortloses Kopfschütteln.

Der junge Mann quittierte dies mit einem Seufzen. Er nahm seine Feldflasche vom Gürtel und hielt sie ihr hin. “Trink erst einmal was.”

Die junge Frau stürzte den Inhalt der Flasche gierig hinunter. Die Eisen ließen ihr gerade so ausreichend viel Bewegungsfreiheit um die Flasche an ihren Mund führen zu können. Doch sollte ihr ihr Körper einen Streich spielen. Überfordert mit der plötzlichen Menge an Wasser übergab sich die junge Hexe direkt vor die Stiefel des Bannstrahlers. Dieser blickte wortlos an sich herab und seine Augenbrauen wanderten nach oben.

“Also … die Anschuldigungen …”, der Ordensritter schien den Vorfall nicht weiter kommentieren zu wollen und legte stattdessen das Pergament zur Seite. Zwischen seinen Fingern ließ er einen kleinen Schlüssel kreisen. “Wie lange lebst du schon hier im Dorf?”

Vea ließ beschämt ihr Haupt hängen. “Ich bin hier geboren, war dann ein paar Jahre fort und bin seit 5 Sommern wieder hier im Dorf.”

“Und wie alt bist du?”

“24 Winter, Herr …”

“Der Mann in dessen Haus wir uns befinden. Er hat dich … niedergeschlagen … und dich all dieser Dinge beschuldigt. Sein Weib ist ihm Zeuge und auch im Dorf soll es Bewohner geben, die die Punkte der Anklage gegen dich bestätigen. Warum?”

Die junge Hexe blickte wieder hoch und dem Ritter ins Gesicht. Kurz lief ihr ein Schauer über den Rücken. Er musterte sie mit schief gelegtem Kopf wie ein Raubvogel eine Feldmaus, die dieser als Beute auserkoren hatte. “Tobor, der Sohn des Herrn … er war schwer krank und sie haben nach mir geschickt. Ich bin heilkundig, doch konnte ich nichts mehr für ihn tun und jetzt…”

“... und jetzt …”, unterbrach der Ritter sie, “... bist du ein willkommener Sündenbock, nachdem du seit 5 Sommern hier unter den Menschen gelebt hast und niemand auf die Idee kam, du wärst eine Gefahr.”

“Ja g…genau…”

Der Ordensritter nickte ihr leicht zu und kurz meinte Vea in seinen Augen so etwas wie Mitgefühl aufblitzen zu sehen. “Welcher Schwesternschaft gehörst du an?”

“Herr … ich … verstehe … nicht …”, stammelte sie zur Antwort und wandte sich leicht ab.

Sie konnte seinen Blick deutlich fühlen. “Welche Schwesternschaft und was war deine Aufgabe hier im Dorf?” Der Ton wurde härter und es war klar, dass er von nun an keine Widerworte duldete.

“Krötenschwester …”, flüsterte Vea dann, “... ich war die Dorfhexe. Geweihte gibt es hier keine. Ich habe den Menschen bei Geburten und Krankheiten geholfen.” Sie sah dem Ritter in seine Augen und versuchte eine Reaktion abzulesen, die jedoch ausblieb.

“Gut …”, er nickte ihr zu, dann dämpfte er seine Stimme, “... ich werde dir jetzt sagen wie das hier weiter ablaufen wird.” Der Ritter nahm einen Apfel zur Hand und drückte den kleinen Schlüssel in das saftige Fruchtfleisch, dann reichte er die Frucht seinem Gegenüber. “Du hast ein halbes Stundenglas, dann werden wir dein Verschwinden bemerken und dich jagen. Geh fort von hier, weit fort.” Sein Blick ging gen Norden. “Andergast soll schön sein und dort wird man deinesgleichen auch nicht behelligen. Es ist wichtig, dass du dich hier nicht mehr blicken lässt. Fang ein neues Leben an und danke dem Herrn Praios, dass ich es war, der heute hier her zu dir kam.” Der Bannstrahler erhob sich von seinem Stuhl und strich Vea eine schweißnasse Locke aus dem Gesicht. Dann küsste er ihre Stirn. “Leb wohl und viel Glück.”

Der junge Mann wandte sich von ihr ab und ging mit kräftigem Schritt aus der Kammer. Zurück blieb die junge Hexe mit offenem Mund und es sollten einige Momente vergehen bis sie ihre Verblüffung soweit abgeschüttelt hatte um den Anweisungen folge zu leisten.

Als ein halbes Stundenglas später der Knappe Ucurian die Kammer betrat fand er einen leeren Stuhl und einen angebissenen Apfel vor, aber die Hexe war verschwunden. Die Suche nach der Gefangenen wurde zwei Tage später beendet und der junge Knappe dafür diszipliniert, dass er die Fesseln der Gefangenen nicht ordnungsgemäß angelegt hatte. Ein paar Wochen später überquerte eine junge, barfüßige Frau in einem dunkelgrünen Reisemantel die Nabla hin nach Andergast. Um ihren Hals trug sie eine Kette mit einem Schlüssel. Ein Andenken an jenen Mann, der ihr das Leben gerettet hatte.