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Version vom 19. März 2021, 21:10 Uhr

Epilog: Ein Urteil im Sinne Tsas

Die alte Tsageweihte stapfte beschwingt durch das weiche Gras des 12-Göttergartens. Und lächelte. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen und doch so wunderschön. Gestern früh hatte sie mit Prianna, Praiotrud und Rahjan gesprochen. Prianna hatte einen sehr zurückhaltenden Preis genannt, das war allen Anwesenden klar gewesen. Einen Preis, der hoch genug war, juristischen Ansprüchen zu genügen, und nicht mehr. Dem Baron freilich wäre der Preis zu niedrig gewesen. Auch das war allen Anwesenden klar gewesen.

Ise lächelte. Sie hatte sich beeilt. Hatte ihr breites Netzwerk in den Eisensteinen angestoßen. Ihre Freunde, alte Bekannte und die anderen Geweihten und Akuluthen des Tempels hatte sie ausgeschickt. Sie war lange genug Hebamme in der Baronie gewesen, dass dies eine Menge Menschen umfasste. Eine ziemlich große Menge.

Sie hatte Männer auf die Welt geholt, die heute selbst schon mit schlohweißem Haar Enkelkinder auf den Knien schaukelten. Sie hatte Witwen getröstet und Kinder gehütet. Mit den Menschen gelacht und mit ihnen geweint. Und niemals etwas dafür gefordert. Bis gestern. Gestern nämlich hatte Ise etwas getan, das sie noch nie zuvor getan hatte: Sie hatte Spenden gesammelt. Für ihre Kirche. Breiter wurde das Lachen der alten Frau mit den blitzenden, jugendlichen, dunklen Augen. Selbst sie hatte noch Neues zu entdecken. Immer noch.

Die Eisensteiner hatten gerne gegeben. Weil sie Ise mochten. Weil sie es als gerecht empfanden, ihr etwas zurückzugeben. Weil sie Quindans Frau als Hebamme gekannt hatten oder seine Tochter als freundliches und fröhliches Kind. Weil sie trotz seiner Tat Mitleid hatten und weil so viele von ihnen verstehen konnten, wie ein Vater sich fühlte, der sein einziges Kind verloren hatte. Und das überbordernde Gefühl der Rache nachempfinden konnten, das Quindan getrieben hatte, und auch- das durfte Ise nicht unterschlagen, nicht vor sich selbst, wenn auch vielleicht vor anderen- weil viele sich insgeheim freuten, dem Baron eins auszuwischen. All die Menschen, die durch den kaltherzigen Mann im Schloss geschädigt worden waren. All die, die seiner harten Hand und seinen harten Strafen ausgeliefert gewesen waren. All die hatten gestern die Möglichkeit gehabt etwas gegen seinen Willen zu bewegen. Etwas, das ihn zutiefst ärgern würde. Etwas, das zudem völlig gesetzeskonform war und für das niemand von ihnen zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

Glockenhell klang ihr Lachen über die einsamen Blumen hinweg, die in der Abendsonne langsam ihre Kelche schlossen. Jeder hatte gewusst, dass es eilte. Dass Quindan, Yolde und die anderen ausgelöst werden mussten, ehe der Baron wieder bei Kräften war. Dennoch waren alle überrascht gewesen, als Gillis Wagen bereits einen Tag später, gezogen von seiner alten, treuen Schindmähre, vorgefahren war und die Gaukler Säcke abgeladen hatten. Säcke mit Münzen. Ein krotesker Anblick, der ihre Herrin in Alveran sicherlich erfreut hätte.

Praiotrud hatte DAS jedenfalls nicht erwartet und Ise hatte ihr angesehen, wie sehr sie innerlich kochte. Dennoch oder gerade deswegen hatte die Priesterin des Götterfürsten darauf bestanden, höchstselbst die Münzen zu zählen. Und derer waren es viele gewesen. Und so hatte es zum Verdruss der alten Praiotin Stunden gedauert, ehe sie all die Metallplättchen zu kleinen Stapeln aufgereiht hatte, um sie zählen zu können. Wie langweilig! Das Menschen so etwas freiwillig und mit Vergnügen taten, war eines der wenigen Dinge, die Ise niemals begriffen hatte.

Mit gerunzelter Stirn und sichtlich genervt hatte Praiotrud dann die Tore zur großen Halle öffnen lassen, damit alle, die wollten, der Auszählung beiwohnen konnten. Die Alte wollte sich nicht nachsagen lassen, falsch gezählt zu haben oder irgendwie die Fakten zu verdrehen.

“Nicht genug. Nicht für alle zumindest.” Befriedigt hatte ihre Stimme geklungen, als die alte Keyserring dies verkündet hatte. Ise hatte so etwas befürchtet. Einige wenige Dukaten fehlten. Sie hatte geseufzt und sich schon mit Grausen überlegt, wer ausgelöst werden sollte und wer nicht. Quindan hatte schon angesetzt zu sprechen, vermutlich um anzubieten, sich dem weltlichen Urteil zu stellen. Doch da war Priannas Stimme erklungen und hatte gefordert noch einmal nachzuzählen. Praiotrud tat dies- offenkundig beleidigt, dass man ihr einen Fehler unterstellte. Doch tatsächlich waren es beim erneuten Zählen, wenige Dukaten mehr. Und nach einem weiteren Mal, lag der volle Preis vor. Auf den Kreuzer genau. Praiotrud hatte das noch zweimal verifiziert- wie sie es nannte. Doch das Ergebnis änderte es nicht. Die alte Praiotin funkelte die Umstehenden erbost an, hatte doch offenkundig einer von ihnen das fehlende Geld erbracht. Mit mahlendem Kiefer erkärte sie die Delinquenten als offiziell ihrer Kirche überstellt und verliess ohne ein weiteres Wort das Schloss.

Ises Herz hüpfte bei dem Gedanken an diesen Moment. Ihr Lächeln hatte sie nicht ablegen können, auch nicht, als sie Yolde und die anderen anwies in den Tempel zurückzukehren und dort auf sie und ihr Urteil zu warten.

Noch etwas, das sie noch nie getan hatte: Ein kirchlisches Urteil fällen. Ihr gefiel die Vorstellung nicht, aber es musste wohl sein.

Ihre Augen blitzten und glitzerten als sie am Rande des Gartens angekommen war und vom Geländer hinab blickte. Dies war ihr Zuhause. Die Weiten der Wälder, der große Fluss im Hintergrund. Den Isenhag im Rücken. Die aal Bosch, wo sie aufgewachsen war und zu ihrer Herrin gefunden hatte, wo sie einige Kinder geboren und etliche mehr auf die Welt geholt hatte, in der ein oder anderen Weise.

Sie liebte dieses Land und die Menschen darin. Die letzten Tage hatten soviel Gutes gebracht, obwohl vieles davon ausser ihr niemand sah:

Prianna, die das erste Mal erfahren hatte, dass sie ihrem Vater etwas bedeutete. Die nun die Macht dahinter nutzen konnte, für ihr eigenes Glück und das ihrer Schwestern.

Quindan, der endlich aus seiner Lethargie erwacht war und sich wieder ihrer Herrin zuwandte.

Grif, Ful und Sulvana, die sich aus Yoldes beherrschendem Griff befreit hatten und für ihr Handeln eingetreten waren.

Yolde, die Liebe und Zuneigung durch Maeve erfahren hatte, ebenso wie umgekehrt. Zwei junge Frauen, die sich viel geben konnten, wenn sie sich darauf einzulassen trauten.

Verema, die nun wusste, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug,

Rhys, der in sich selbst geblickt hatte, die Zwerge, die die Menschen auf eine andere Art erlebt hatten.

Der junge Lares, der sich vielleicht etwas hatte öffnen können. Dem Leben und dem vielen Wundervollen, das es bereit hielt.

Baldos, der eine Chance für seine todtraurige Anverwandte war, und sein Schutzbefohlener, der in Maeve eine Gegenstimme gefunden hatte, vielleicht seinen eigenen Zwiespalt zwischen Herkunft und Berufung zu beleuchten.

Die vielen Eisensteiner, die sich daran erfreuen konnten, dem Baron ein Schnippchen geschlagen zu haben. Womöglich das einzige Mal in ihrem Leben zumindest vermeintlich Macht über einen Adeligen hatten.

Und der Baron selbst, der zumindestens die Möglichkeit hatte in sich zu blicken und Liebe zu finden.

Dann breitete sie die Arne aus. Das Herz Ises öffnete sich. Ja, es waren gute Tage gewesen. Wenn man es aus ihrer Perspektive betrachtete. Aus der Perspektive einer alten Geweihten, die schon viel gesehen hatte und wusste, dass Wahrheit und Gerechtigkeit stets nur eine Sache des Blickwinkels waren. Nichts, was es in absoluter Form gab. Dann liess sie sich kopfüber den Fels hinunter fallen. Glücklich schlugen ihre Hände dabei in der Luft und ein bunter Schmetterling glitt in den Wald hinunter.

-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020