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Version vom 19. März 2021, 21:10 Uhr

Unerwartete Hilfe

Nachdem Gudo den Ort erreicht hatte und das bunte Schlößchen noch ebenso wunderschön und kunstvoll auf dem alten Burgberg lag wie zuvor, musste er kurz seufzen. Warten musste er auch. Vielleicht sogar einen Moment länger als beim letzten Mal. Der Baron empfing ihn diesmal nicht persönlich, er sei nicht in der Stadt, so sagte man dem Bösebruscher. Stattdessen führte der Verweser seiner Hochgeboren den jungen Mann direkt in eines der Stallgebäude. Es schien der Stall für die Gäste zu sein, denn es waren einige leere Boxen, sauber, aber dem Geruch nach erst kürzlich in Nutzung- vielleicht für die Jagdgesellschaft. Dort stand ein Schlitten, darauf ein mindestens zwei Schritt breites und etwa ein Schritt langes mehrendiges Geweih. Es musste einmal einem prächtigen Tier gehört haben.

„Ich muss sagen, es verwundert mich, dass ihr alleine gekommen seid. Sehr firungefällig, mein Junge.“ Der alte Mann wirkte fast ein wenig beeindruckt. „Der Schlitten dort steht zu eurer Verfügung, das Geschirr hängt dort.“ Und er deutete auf einen großen Haken am Tor, an dem lederne Riemen hingen – in einer undurchsichtigen Systematik ineinander verwoben.

„Firun und Aves seien mit euch. Und Phex, den werdet ihr womöglich auch brauchen.“ Fast ein wenig mitleidig schaute der Alte ihn beim Abschied an. Seine Augen waren bereits trübe von den vielen Sommern, die sein Leben bereits zählte, und seine Gelenke knackten bei jedem Schritt. Das Tor glitt ins Schloß. Mit einem leichten Husten ließ der Verweser den jungen Mann alleine.

Zumindest fast, denn als von Hax verschwunden war, hörte Gudo ein Rascheln aus einer Ecke hinter dem Schlitten.

Phex brauchen? Na, immerhin wohl dann, wenn es um diese Riemen ging, dachte Gudo. Dann wandte er sich zu der Ecke, aus der die Geräusche gekommen waren. "Heda!"

Ein kleines Mädchen- unter den vielen Schichten aus Stoff, zuoberst eine dicke, gefütterte Jacke war ihr Alter schwer zu schätzen, trat hervor. Ihre Stiefel waren aus gut verarbeitetem Leder, ihre Beine steckten in ledernen Hosen, die unter der braunen, verdreckten Jacke verschwanden. Einige fast schwarze Locken lugten aus der Kapuze hervor, die sie sich über den Kopf gezogen hatte. Ihre meerblauen Augen musterten ihn interessiert. Eine freche Stupsnase spähte hervor und es erschien immer mehr von dem Gesicht des Kindes. Elf oder zwölf Götterläufe mochte sie sein, ihr Körper schien trainiert, jedoch anders als man es von den Knappen der Ritter kannte. Ihr Körper wirkte viel eher drahtig, als würde es ihr wenig Mühe machen einige Meilen zu Fuß durch den Wald zu laufen. Sie hatte noch etwas des Niedlichseins von Kindern, allerdings schienen ihre Arme bereits etwas zu lang für den Rest ihres Körpers. Aber sie würde sicher einmal eine schöne Frau werden.

Gudo musterte die Kleine und legte den Kopf schief. Merkwürdig. An wen erinnerte sie ihn nur? War sie eine von Keyserrings Töchtern? „Sehr erfreut, junger Herr. Ihr seid Gudo von Bösenbrusch, nicht wahr?“ Die Neugierde der Kinder hatte sie jedenfalls scheinbar noch nicht abgelegt. Dann blickte sie zu dem Pferd, das festgepflockt hinter ihm stand und ihr Blick verweilte einen Moment auf dem Schlitten. „Ich weiß, dass ihr heute aufbrecht, zu einem Schrein der Ifirn.“ Sehnsucht trat in ihre Augen. „Ihr habt es gut.“ Wir können gern tauschen, dachte er mit bitterer Miene. "Du bist gut informiert, Mädchen. Nur will sich die Freude darüber noch nicht so recht einstellen..." Er begann, den Schlitten und das Geweih Richtung Tür zu bugsieren.

„Äh… So.. also.. es so anzufangen ist nicht sonderlich schlau.“ Entfuhr es der Kleinen. „Wollt ihr … meine Hilfe?“ Gudo schaute sie schief an und blickte zu dem Geraffel am Haken. Eigentlich schon. Dann erinnerte er sich daran, was Firunian gesagt hatte. "Ich fürchte, das würde dem Herrn Firun nicht sehr gefallen." Als er den Schlitten ungefähr richtig positioniert hatte, ging er zum Geschirr und versuchte, sich einen Überblick zu verschafffen. Das Mädchen legte den Kopf schief. Dieser Mann war ein Sturkopf. Einen Sturkopf zu haben, war nicht das schlechteste für eine solche Reise. Allerdings war ein Sturkopf auch nicht das beste, wenn man überleben wollte. „Ihr habt etwas missverstanden, glaube ich.“ Sagte sie frech: „Der Herr Firun belohnt die Zähen nicht die Dummen. Und wenn ihr mit einem solchen Geknuddel und so unausgerüstet aufbrecht, werdet ihr erfroren sein, bevor ihr am großen Fluß ankommen könnt. – Wollt ihr also meine Hilfe?“ Sie trat auf ihn zu, breitete die Hände aus und ließ ihm die Wahl. Dumm zu sterben oder die Hilfe eines kleinen, vorwitzigen Kindes anzunehmen, dessen Namen er nichtmal kannte.

Als Gudo vorsichtig zugestimmt hatte, nahm sie ihm kurzentschlossen – fast gebieterisch- das Gewirr aus Lederriemen aus den Händen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie es entwirrt und war auf sein Pferd zugeschritten.

Dort zögerte sie. „Ihr solltet all euer Gepäck auf den Schlitten laden. Das vereinfacht es, wenn ihr abends das Pferd abspannt. Denn Ihr solltet nicht vergessen, dass auch euer Pferd Grenzen hat.“ Altklug plapperte sie daher. Das bestärkte seinen Verdacht, wer sie war. Denn wer, wenn nicht die verzogenen Kinder eines Barons würden sich wagen mit einem adeligen Erwachsenen so zu reden?

Die Kleine hatte im Handumdrehen Gudos Gepäck vom Pferderücken gelöst und entgegen seiner Befürchtung auch innerhalb kürzester Zeit auf dem Schlitten befestigt. Jetzt schüttelte sie den ernst den Kopf.

„Euch fehlt es an einigem Essentiellen.“ Verkündete sie. „Ich werde euch alles besorgen, aber das dauert etwas. Kommt doch solange mit in die Küche, erfrischt euch ein letztes Mal, sättigt euch. Dann brecht auf. Ich treffe euch dann kurz hinter Obena, an der großen Kreuzung.

Die Art der Kleinen, kaum Widerspruch duldend, ließ Gudo kapitulieren. Die Idee völlig gesättigt seine abstruse Mission zu beginnen, war durchaus vernünftig.

Die Bediensteten in der Küche waren zwar etwas verhalten, doch mit einem ehrehrbietungsvollem „Ja, euer Wohlgeboren, wir werden ihn natürlich verköstigen.“ Bekam er Reste des Frühmals der Baronsfamilie vorgesetzt. Und als er seinen Magen damit bereits gefüllt hatte, stand plötzlich ein dampfender Teller vor ihm. Wintergemüse mit hauchdünn geschnittenem, zarten Fleisch. Hirsch. Der Koch musste ein wahrer Künstler sein, es mundete so vorzüglich, dass Gudo beinah vergaß, warum er hier war.

Nach dem Essen, stellte man ihm in einem Nebenraum, der zur Latrine führte, eine Schüssel mit warmem Wasser, Seife und einige Tücher zur Verfügung.

Nach fast einem Stundenglas trat er wieder in den Stall.

Die Kleine hatte offenbar in der Zwischenzeit das Geschirr angelegt und es blieb ihm nur noch, das Tier anzuschirren und mit dem Schlittengespann, den Stall zu verlassen.

Bis er Obena verließ war die Lenkung des Schlittens ein leichtes gewesen. Die Wege waren ausgetreten und die Kufen glitten leicht und geschwind über die festgetretene Schneedecke. Erst als die weiße Pracht außerhalb Obenas lockerer wurde und die befahrenen Schneisen teilweise schon wieder sanft überdeckte, wurde das Vorankommen schwieriger. Kurz vor der Kreuzung im Norden Obenas stoppte dann das Zugpferd.

Schnaubend begrüßte es einen Artgenossen, auf deren Rücken das Mädchen saß. Zumindest erkannte Gudo ihre Stimme, ihr Kinn war von einem dicken grünen Schal bedeckt und ihr Gesicht lag im Schatten der Kapuze eines dicken Umhangs. Auf ihrem Rücken war ein Köcher befestigt und ein Bogen hing an der Seite des Pferdes.

Ihr lederner, durch häufigen Gebrauch matt aufgerauter Sattel war mit zwei prall gefüllten Taschen ausgestattet. Ohne weiteren Gruß stieg sie ab, und begann eine Vielzahl von Dingen von ihren in Gudos Taschen zu stecken.

Als sie fertig war, saß sie wieder auf und setzte ihr Pferd in Bewegung. Sogleich fiel Gudos Tier in den gleichmäßigen Trab mit ein.

Sie ritten eine ganze Weile nebeneinander her und Gudo wurde immer sicherer mit der Lenkung des Schlittens. Es dämmerte noch nicht und der Bösenbruscher hätte geglaubt noch bestimmt ein weiteres Stundenglas bis zur Dämmerung reisen zu können, da ritt das Mädchen in einen kleinen Pfad, der völlig mit Schnee bedeckt war und für den Uneingeweihten wohl überhaupt nicht zu erkennen war. Ob der jungen Mann wollte oder nicht, er musste ihr folgen, denn sein Pferd folgte stoisch dem Artgenossen.

Der Pfad führte, etwas abseits des Hauptweges in den Wald und nach kurzer Zeit zu einer kleinen Lichtung.

„Dies ist im Sommer der Lagerplatz für einige Holzfäller.“ Erklärte das junge Ding, ohne nähere Erklärung, saß ab und machte ihr Pferd an einer windschiefen Holzpflockung fest, die sicherlich genau zu diesem Zweck aufgestellt worden war.

„Schlagt hier euer Lager auf und macht Feuer.“ Ihr unpersönlicher, fast unhöflicher, scheinbar befehlsgewohnter Ton erinnerte ihn an Rajodan mehr noch aber an Firunian, den alten Einsiedler. Und bevor er widersprechen oder erwidern konnte, war das Mädchen mit ihrem Bogen in den Wald eingedrungen.

Etwa ein Stundenglas dauerte es bis sie wieder zurückkam. Sie hatte ein Kaninchen dabei. Gudo hatte sich abgekämpft mit dem Zelt, mit dem Zunder. Und erst kurz bevor das merkwürdige Mädchen an sein Feuer trat, war er fertig geworden. „Das wird ein Schmaus.“ Verkündigte sie stolz als sie sich neben ihn auf einen umgestürzten Baum setzte und begann mit einem großen, scharfen Messer aus einer Gürtelscheide das Tier auszunehmen. Die Situation war ebenso krotesk wie dieser ganze Auftrag. Diese Baroness, die ihm half ohne sich vorgestellt zu haben, und nun mit ihm am Feuer saß und ein Kaninchen zubereitete, das sie selbst geschossen hatte.

Die Dämmerung hatte eingesetzt kurz nachdem er das Zelt aufgestellt hatte und sein Lager war fast in borongefällige Dunkelheit gehüllt, als sie ihm das Kaninchen, das auf einem Stock über dem Feuer gedreht worden war, reichte. „Esst!“

Als Gudo, der zugeben musste, dass das Kaninchen durchaus wohlschmeckend gewesen war, mit seinem Mahl fertig war. Verabschiedete sich das Kind.

„Ich werde nun zurück nach Obena reiten. Ohne Schlitten werde ich schnell dort sein- keine Sorge. Und mein Pferd findet auch nachts ohne Probleme zurück in seinen Stall. Aves und Firun seien mit euch. Und vergesst nicht: Der Alte vom Berg möchte euch eure Grenzen finden lassen. Er möchte euch eure Grenzen erweitern lassen. Aber ihr solltet das nicht überstrapazieren. Manchmal – kann es auch firungefällig sein, um Hilfe zu bitten. Wenn ihr dadurch eure Grenzen weiter verschieben könnt.“ Mit diesem letzten, altklugen Rat auf den Lippen gab sie ihrem Pferd die Sporen und ritt in die Nacht hinaus.

-- Main.CatrinGrunewald - 04 Feb 2020