Samt Seide

Eine Studie in Samt und Seide

Ort: Elenvina

Zeit: Efferd 1042 BF

Personen: Baronin ShanijaVonRabenstein und Ihre Wohlgeboren MauraVonAltenberg. Und andere.

Eine Briefspielgeschichte von DanSch und IseWeine.

Inhalt: Der Versuch, den letzten Menchalsaft der Alchemistin Bächerle zu ergattern, führt zwei Abgängerinnen der Akademie zu Vinsalt in konträrer Mission zusammen (Dokument hängt an).

Eine Studie in Samt und Seide

Elenvina, Efferd 1042 BF.
Der Sommer war vorbei. Auch schon in der Stadt am Fluss. Zuhause in den Bergen wären die Nächte nun schon kalt, die ersten Flocken ein Tanz vor dem Fenster.
Hier prasselten Regenschauer auf die Dächer und trommelten auf das Dach der Kutsche, die in langsamem Schritt über das Kopfsteinpflaster Elenvinas rollte, als schütte der Launige seinen gesamten Grimm – oder Segen – über der Stadt aus.
In der Kutsche war es trocken – und dennoch fand die Feuchtigkeit überallhin ihren Weg. Shanija Stragon von Rabenstein, die Baronin zu Rabenstein, schüttelte sich und hüllte sich fester in ihren Umhang aus dickem, am Kragen mit Fell besetztem Loden und betrachtete durch das gläserne Fenster die verzerrten Bilder der Häuser, die bald hinter dem Stadttor abgeernteten Feldern wichen – und kaum hundert Schritt später eine Landestelle am großen Fluss Platz machten, neben der sich einige Gebäude auf einem Steg bis ans Wasser wagten – ihr heutiges Ziel: die Alchemisten Bächerle, deren aktuelles Sortiment ihr Leibarzt (inzwischen eher ein guter Freund – und wohlgeschätzter Kollege) in Elenvina, Meister Gutweynn, ihr wärmstens empfohlen hatte – zusammen mit den wohlgemeinten Worten: ‚eilt euch, ehe sie ausverkauft sind. Von mir wisst ihr aber nicht, dass sie gestern eine frische Menchalsaft-Lieferung erhalten haben’.
Diese selten Gelegenheit wollte sich die Abgängerin des Anatomischen Instituts zu Vinsalt nicht entgehen lassen – und so kam es, dass sie in der kleinen Stadtkutsche ihres Gemahls, komplett mit Kutscher und zwei Bütteln (die triefnass und pflichtschuldigst hinter der Kutsche herritten), zu den Alchemistinnen unterwegs war, um ihre in den vergangenen Monden arg in Mitleidenschaft gezogenen Vorräte wieder aufzufrischen. Im Winter auf Rabenstein würde sie keine Gelegenheit mehr haben, irgend etwas einzukaufen.

Doch sie war, wie sie rasch feststellte, als sie leidlich trocken unter ihrem dicken Umhang, den Eingangsbereich des kleinen Ladens unter Wasser setzte und Alrigor ihren Umhang übergab (der Büttel zog ein saures Gesicht, wie meist), nicht die einzige, die von dieser Lieferung erfahren hatte.

„Werte Doctora von Altenberg, ich habe leider nicht mehr von dem Menchalsaft, als dies zwei Phiolen“, sagte die Alchemistin Bächerle, eine braunhaarige Frau in den Vierzigern, mit neugierig blitzenden Augen zu der Frau, die vor ihrer Verkaufstheke stand. Diese war die Doctora Maura von Altenberg. Die Fünfzigerin, die deutlich jünger wirkte, hatte heute ein weinrotes Kleid aus feinstem Stoff an, darüber ein Ausgehmantel aus grauen Filz. Ihr blondes, langes Haar war unter einem ebenfalls weinroten Hut gesteckt, dem eine silbrig-schimmernde Blaufalkenfeder schmückte. Bedächtig hielt sie ihre behandschuhten Hände vor ihrem Bauch. „Ach, das ist aber bedauerlich!“, sagte sie mitleidig und zog sich dabei ihren rechten Handschuh aus.“ Gerade erst hatte die Edle von Weinbergen einen tragischen Unfall in ihrer Familie, eine Vergiftung. Nun ist die hohe Dame so besorgt, das sie mich gebeten hatte, ihr etwas zur Vorbeugung zu besorgen. Und kaum als sie mich gebeten hatte, kam dann auch gleich eine ähnliche Anfrage aus dem Hause Brüllenfels ...“ Sie lächelte und legte vorsichtig ihr Hand auf die der Alchimistin. Sie blickte ihr tief in die Augen. „Seid ihr euch absolut sicher, das ihr nicht doch noch mehr habt, Meisterin Bächerle?“ Die Alchemistin schaute sie an und blinzelte zwei, drei mal etwas schneller. Für ein Moment schien es, das die Alchimistin gedankenverloren war, sie fasste sich jedoch wieder und lachte kurz auf. „Wie vergesslich ich doch bin. Für ein Moment hatte ich doch vergessen, das ich noch vier Phiolen habe. Das sind die letzten, aber für eine alte Freundin, wie ihr es seit, Maura, gebe ich sie doch gerne her. Ich hoffe ihr könnt die hohen Damen und Herren zufriedenstellen!“ Mit diesen Worten wandte sie sich um, und verschwand in einem Hinterzimmer. Zufrieden zog Maura ihren Handschuh wieder über und griff nach ihrer Geldkatze. Von der Frau, die mittlerweile den Verkaufsraum des Alchimisten betraten hatte, bekam sie erst jetzt etwas mit.

Diese mochte vielleicht einmal Ende der 30 erreicht haben, war schlank und hatte ihre langen, hellbraunen Haare zu einer aufwendigen Flechtfrisur aufgesteckt. Gekleidet war sie in ein langes, dunkelgrünes Gewand, das am Saum und den Ärmeln mit aufwendigen Silberstickereien verziert war, Schmuck trug sie nicht, doch steckten ihre Hände, wohl dem nassen und ungemütlichen Wetter zu schulden, in feinen, glatten, weißen Handschuhen. Ihr grauer, mit einem breiten Pelzkragen (Nerz mochte es sein – oder feiner Graumarder) besetzter Lodenmantel war gerade in den Händen eines äußerst unansehnlichen, buckligen Waffenknechtes gelandet, dessen breite Schultern von enormer Kraft, aber sicher nicht von gewandtem Auftreten berichteten. Der grobe Klotz trug ein Kettenhemd, Eisenhut und eiserne Arm- und Beinschienen, darüber einen Wappenrock, der einen aufsteigenden silbernen Raben auf schwarzem Grund zeigte, geteilt durch einen Schrägrechtsbalken in verwechselten Farben.
Er musterte Maura aus schwarzen, funkelnden Schweinsäuglein, schmatzte aufdringlich und machte keine Anstalten, sein Starren zu beenden.
Die Frau schien das ungebührliche Verhalten nicht zu bemerken. Sie klemmte sich einen weißen, mannshohen Stab, den sie bisher getragen hatte, und der mehr als alles andere ‚Magier!’ schrie, mit einer nebensächlichen Bewegung unter den Arm und musterte die Doctora aus wachen, rauchgrauen Augen.
„Ist Meisterin Bächerle unterwegs?“ Neugierig betrachtete sie die Doctora. „Und mit wem habe ich die Ehre?“

Maura drehte sich um und betrachtete die Magierin. Die Blicke des Buckligen begrüßte sie mit einem Lächeln. Das Männer sie oft anstarrte war sie gewohnt. Ihr Blick viel auf das Wappen. `Aufsteigender Rabe auf schwarzen Grund? Das kenne ich doch - ja, Haus Rabenstein. Düstere Gesellen habe ich gehört.´, dachte sie bei sich. Die Doctora drehte sich ganz der Frau zu. „Ja, Meisterin Bächerle ist kurz meine Ware holen gegangen. Und, Hesinde zum Gruße! Mein Name ist Doctora Maura von Altenberg, zu Euren Diensten, gelehrte Dame!“ Überraschenderweise hielt sie der Magierin die linke Hand zur Begrüßung hin. Noch immer trug sie ihre Handschuhe aus grauen Wildleder, während sie in der Rechte ihre Geldkatze hielt. Kaum zu übersehen war der Ring, den sie am linken Ringfinger trug. Die silberne Fassung umrahmte einen runden Rauchquarz, in dem das Symbol eines Rabentieres eingelassen war. „Und mit wem habe ich es zu tun?“, fragte Maura, noch immer lächelnd.

„Hesinde auch euch zum Gruße, Doctora.“ Jäh huschte ein warmes Lächeln über die Züge der jungen Frau. „Verzeiht meine Manieren. Shanija Stragon von Rabenstein ist mein Name.“ Sie überlegte einige Augenblicke und legte den kleinen Finger ihrer Linken vor die Lippen, ehe sie hinzusetzte. „Altenberg. Seid ihr nicht die Heilerin, die dem Vogt der Stadtmark vor zwei Jahren die Steine gestochen hat?“ Aufrichtiges Vergnügen ob dieser Erinnerung – die Operation war einige zeitlang bewundertes Thema unter den Heilern der Herzogenstadt gewesen - zeichnete sich in ihre hübschen Züge.

Der Doctora entglitt kurz ihr Lächeln. „Oh, nun müsst ihr aber meinen Manieren verzeihen, Euer Wohlgeboren. Ihr seit die Baronin von Rabenstein, oder?“, kurz setzte sie zu einem Höflichkeitsknicks an. „ Natürlich kenne ich die Familie von Rabenstein, auch wenn es mir bis jetzt nie vergönnt war, jemanden aus Eurer Familie zu treffen.“ Sie fasste sich wieder und lachte kurz auf. „Oh ja, das war ich gewesen. Die Steine haben dem guten Vogt ja schon eine Weile zu schaffen gemacht. Nun, ich hatte von der Praktik des Stechens noch in meinem Studium in Vinsalt gelesen. Und ich muss zugeben, es war erst das zweite mal, das ich es angewandt hatte. Ich glaub auch nicht, das der Vogt sich noch nach einer zweiten Runde sehnt. Verzeiht mir wenn ich frage, aber seit ihr auch in der Wund- und Heilkunde bewandert?“ Neugierig blickte sie sie mit ihren blauen Augen an, als sie plötzlich die Schritte der Meisterin Bächerle hinter sich hörte.
Die Baronin lachte. „Es freut mich, euch kennenzulernen, Doctora. Immerhin hat er es wohlbehalten überstanden und sollte euch besser dankbar sein. Ihr habt ebenfalls in Vinsalt studiert? Dann war gewiss schon Professore Hanskar euer Lehrer in Anatomie, nicht wahr?“ Sie blickte hinter Maura, wo die Alchemistin mit einigen Phiolen in den Armen aus ihrem Lager und Labor, das auf Stelzen über das Wasser des Großen Flusses gebaut war, zurückkehrte.
„Ich will Euch nicht bei euren Einkäufen abhalten, Doctora.“ Neugierig kniff sie die Augen zusammen, um die Etiketten auf den Fläschchen zu lesen, und ihre Miene erstarrte.

„Das hier ist alles, was ich Euch anbieten kann, Doctora von Altenberg.“ Korina warf einen Blick auf die neu Angekommene und verbeugte sich. „Hochgeboren von Rabenstein, seid mir willkommen. Wie kann ich euch helfen?“ Aufmerksam betrachtete sie die beiden Damen und zeigte Maura die vier ordnungsgemäß verkorkten und versiegelten Phiolen.
„Doctora, das hier sind meine letzten vier Flaschen Menchalsaft, jeweils fünf Unzen. Für einen Dukaten pro Flasche kann ich sie euch überlassen.“

Die Altenberg wandte sich der Alchemistin zu. „Wundervoll, Korina!“, sagte sie und öffnete ihre samtene Geldkatze. Leise vor sich hin zählend, ordnete sie die Münzen auf der Verkaufstheke. Währenddessen wandte sich Korina der Baronin zu und schaute diese erwartungsvoll an. „Was sagtet ihr doch gleich, euer Hochgeboren? Wie kann ich Euch helfen?“

Shanijas Miene vereiste. „Indem ihr nicht Euren letzten Menchalsaft an die Dame vor mir verkauft, Meisterin Bächerle.“ Sie stützte sich schwer auf ihren Stab. „Und jetzt sagt mir, dass ihr davon noch mehr in Eurem Lager habt.“
Die Rabensteinerin betrachtete die Alchemistin Bächerle mit einem Blick, in dem Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit und schierer Ärger um die Oberhand rangen.

Korina stieg die Röte ins Gesicht. ´Wie konnte mir das nur passieren? Eigentlich verkaufe ich nie soviel auf einmal an einen Kunden. Doch wenn eine alte Freundin danach fragte, wie konnte ich da ausschlagen.?´. Ging es ihr durch den Kopf. Die Alchemistin stutzt.´ Alte Freundin? Hatte ich die Doctora nicht erst letzten Götterläufe kennengelernt und das auch nur hier im Laden.?´ Gedankenverloren wanderte ihr Blick zur Baronin. Der eisige Blick holte sie wieder in die Realität zurück. Noch bevor sie zur Antwort ansetzen könnte, mischte sich die Doctora ins Gespräch.

„Bevor es hier zu einer Walpurgensbotschaft kommt“, Maura drehte sich zu Shanija um,“ was haltet Ihr davon, wenn wir uns die letzten Phiolen teilen. Zwei für Euch, zwei für mich. Ich denke, ich kann die Portionen für die Weinbergen und den Brüllenfels etwas strecken. Was haltet ihr davon, Euer Wohlgeboren?“

Die Baronin betrachtete die verwirrte Alchemistin, die offensichtlich besorgte Doctora und zuckte schließlich die Schultern. „Ihr wart vor mir hier, Doctora.“ Sie runzelte die Stirn, wog Notwendigkeit gegen Zurückhaltung und befahl letztere dann mit einem kräftigen Tritt in die Kehrseite von dannen. „Ich gehe gern auf Euer Angebot ein. Dafür erlaubt aber, dass ich euch zu einem Nachmittagstee einlade.“ Sie grinste. „Oder hattet ihr heute Nachmittag bereits anderweitig Verpflichtungen?“

Maura überlegte kurz. „ Es wäre mir eine Ehre Eurer Einladung zu folgen, Frau Baronin!“ Mit deutlich gehobener Stimmung, zählte sie ihre Dukaten, steckte die überschüssigen wieder zurück in ihre Geldkatze. Sie steckte die zwei Phiolen in ihre lederne Doctorentasche, die sie neben der Theke abgestellt hatte. Die Doctora wartet höflich, bis die Magierin ihre Ware bezahlt und verstaut hatte. Nachdem die beiden Frauen sich von der Alchemistin verabschiedet hatten, warteten sie, bis der bucklige Büttel die Tür öffnete. Kaum war diese offen, war ersichtlich, das der Regenfall deutlich stärker war, als zuvor. „Ach her je, der grimme Efferd hat wohl nach etwas drauf gelegt“, sagte Maura mit einem Seufzer. Die Alchemistin beobachtete die drei und wunderte sich, wer wohl als erstes in den Regen treten würde.

Die Frage löste sich rasch, als der Büttel seiner Herrin wieder ihren Mantel zurückgab, zur Kutsche lief und mit einem lederbezogenen Schirm, wie ihn eher eine Liebfelderin getragen haben mochte, zurückkam, diesen diensteifrig über seine Herrin hielt, Maura einen Seitenblick zuwarf, überlegend schmatzte, fragte „Die da auch?“, seinen Dienst auf ein Nicken der Baronin auf beide ausweitete und die beiden Damen zur Kutsche geleitete.
„Was für ein Wetter.“ bemerkte die Rabensteinerin im Plauderton, als sie es sich auf der mit schwarzem Leder bezogenen Sitzbank gemütlich machte, die – gleichfalls schwarzen – Gardinen an dem Fenster des Kutschenkastens zur Seite schob und die an das Pergamentene Fenster klatschenden Regentropfen beäugte.
„Jetzt erzählt mir aber, Doctora – wann habt ihr denn in Vinsalt studiert? Gewiss einige Jahre vor mir.“

Sanft strich die Doctora ihre linke Hand über das weiche Leder der Sitzbank. „Ich muss zugeben, es gibt Momente, wo ich das Leben in Vinsalt vermisse. Die Leute, die Kleider und die Feste. Nun ja,“ sie richtete ihren Blick wieder Richtung der Magierin,“ Ich habe 1011 nach Bosparans Fall als Jahrgangsbeste abgeschlossen und meinen Titel erhalten. Eigentlich sollte ich eine Position als Assistentin eines Inspektors in der Connetabila Criminalis Capitale anfangen, aber der tragische Tod meines Vaters kam dazwischen. Ich reiste zurück in die Nordmarken, tja, dann kam Rahjas Wille dazu. Ich lernte meinen Ehegatten Juno kennen. Seitdem bin ich hier. Nun, euer Wohlgeboren, wann habt ihr abgeschlossen?“

Die Baronin lächelte. Sollte sie die Doctora, die in solchen Dingen offensichtlich weniger Erfahrung hatte, darauf hinweisen, dass die Anrede ‚Hochgeboren’ die richtigere gewesen war? Ihr Gemahl hätte dies sicher längstens getan – oder sie einfach so lange (Lidschläge, allerhöchstens) angesehen, bis sie von allein auf den Lapsus gekommen wäre. Aber sie war nicht ihr Gemahl.
„Ich habe 1020 BF mein Studium abgeschlossen. Im selben Jahr kam ich dann auch zurück in die Nordmarken, um den Travienbund einzugehen.“
Noch während die Rabensteinerin erzählte, hielt die Kutsche abrupt an, so das sich die beiden Frauen festhalten mussten, um nicht von der Sitzbank zu rutschen.
Vom Kutschbock erscholl ein wüster Fluch, zu dem sich nur Atemzüge später ein weiterer des Büttels gesellte. Und, kurz darauf, „Dem Karren vor uns ist der Esel zusammengebrochen, Hochgeboren. Alles gut. Bleibt im Wagen.“
Shanija schüttelte den Kopf und blickte die Altenbergerin an. „Wir sollten tun, was er sagt. Es wird gewiss gleich weitergehen.“

Maura schob ein wenig die dunklen Vorhänge zur Seite und schaute neugierig aus dem Fenster der Kutsche. Es regnete immer noch und niemand war in den Gassen Elenvinas zusehen. Plötzlich jedoch sah sie einen Mann in bläulicher Kleidung in einer Gasse wanken. Er torkelte und hielt sich krampfhaft den Unterleib, bis er stürzte und liegen blieb. Durch das pergamentene Fenster und dem Regen könnte sie leider keine Einzelheiten erkennen. Sie schreckte ein wenig auf. „Oh bei Peraine, ich glaube da ist jemand, der Hilfe benötigt! Er ist gerade gestürzt und bewegt sich nicht mehr, schaut doch einmal!“ Die Doctora zog nun die Vorhänge ganz zur Seite, damit die Baronin herausschauen konnte.
„Au weh.“ Auf Shanijas Gesicht zeichnete sich Bestürzung ab. „Der arme Kerl.“ Sie machte kein Anstalten, aufzustehen und in ihrem Gesicht arbeitete es. Vorsicht, Mitleid und Misstrauen huschten als kurze, deutliche Schlaglichter über die feinen Züge der Baronin. Sie betrachtete den Regen, der in dicken Tropfen am Fenster zerschellte. Sie senkte den Kopf, biss sich auf die Unterlippe und klopfte dann an die Fronst der Kutsche, woraufhin der Büttel mit einem „Jo, Hochgeboren? Was wünscht sssie?“ den Kopf zur Tür hereinstreckte. Alrigor hatte eine übel feuchte Aussprache.
„Der Mann, der da gerade eben gestürzt ist. Bring’ ihn her.“ beschied ihn die Baronin. Sie betrachtete die Altenbergerin. „Hätten wir ihn liegenlassen sollen?“

Der Büttel setzte sich in Bewegung, direkt auf den Regungslosen zu. Er musterte ihn kurz, versetzte ihn einen kurzen Tritt. Noch immer bewegte sich der Mann nicht. Alrigor packte ihn am Kragen und schleifte ihn zur Kutsche.

„Das ist das einzige Richtige, was wir jetzt tun können, Euer Wohl..“ Maura stoppte kurz, um sich zu berichtigen,“ Euer Hochgeboren!“. Die Doctora öffnete die Tür der Kutsche und folgten mit dem Blick dem Buckligen. `Was für ein Klotz. Und jetzt schleift er den Mann auch noch hier her. Peraine sei gütig, lass ihn keine inneren Verletzungen haben.´

„Jo, uff der Straße oder soll’s in die Kutsche, Hochgeboren?“, fragte er mit seiner üblen Aussprache.

„Mit Verlaub, euer Hochgeboren, hier im Trocknen, ist es leichter den Mann zu untersuchen.“ Maura packte den Regungslosen an der Kleidung und hievte ihn in die Kutsche. Nun hatten die beiden Frauen die Möglichkeit ihn genauer zu betrachten – nicht ehe der Büttel den Reglosen genauestens auf Waffen untersucht und ihn im Zuge dessen auch um sämtliche möglicherweise gefährlichen Habseligkeiten erleichtert hatte – die indes nun einen unordentlichen Stapel auf einem Sitzpolster bildeten.
Alrigor blieb unnachgiebig und fest wie ein Fels im Eingang der Kutsche stehen und machte keine Anstalten, wieder nach draußen zu gehen.
Shanija blickte von dem höchst interessanten Studienobjekt auf und seufzte. „Der ist wirklich ohnmächtig, Alrigor. Er wird uns nichts tun. Du kannst gehen. Wir fahren nach Hause.“
Mit einem zweifelnden „Eu’r Hochgebor’n.“ tat der Büttel wie geheißen.

Der Ohnmächtige erwies sich als ein recht gut aussehender Mann in seinen Zwanzigern. Er war vollkommen durchnässt und in einen dunkelblauen Umhang gehüllt. Sein Hemd und Hose waren aus blauen Samt, ebenfalls die schwarzen Schnallenschuhe. An den Fingern trug er recht kostbare Ringe. Seine nassen, dunkelblonden Haare waren zu einem Eslamszopf gebunden und er trug einen gepflegten Kaiser-Alrik-Schnauzer. Seine vollen Lippen waren leicht geöffnet, aber recht farblos. Generell war der Mann sehr blass. Auch die halbgeöffneten Lider seiner Augen ließen nichts Gutes vermuten.

Die Doctora bekam einen ernsten Gesichtsausdruck. Weder Sorge, noch Mitleid waren darin zu erkennen. Eher ein Blick eines Handwerkers, der sich ein kaputtes Werkzeug anschaute.
„Zeigt einmal her.“ Ohne viel Federlesen kniete sich die Baronin neben die Doctora und begann ihrerseits, den Ohnmächtigen zu untersuchen. Das durchweichte Wams mochte alles mögliche verbergen – von einer Stichwunde angefangen. „Das muss da weg.“ entschied sie.

Augenblick später setzte sich der Wagen rumpelnd und polternd wieder in Bewegung und polterte in Richtung Eilenwïd-über-den-Wassern, passierte die weiß verputzte Herzogenburg und bog schließlich auf die Herzogenpromenade parallel zum Fluss ein.

Maura zögerte nicht lange, öffnete den Wams und legte die Brust frei. Der Mann atmete nicht und zeigte auch sonst keine Lebenszeichen. Mit geschickten und gewohnten Griffen fühlte sie Hals und Brust ab. „Ich befürchte Boron war schneller als wir. `Alrik´ hier hat keinen Herzschlag mehr. Habt ihr etwas entdeckt?“, fragte sie Shanija, ohne aufzublicken.
Diese betastete den Unterbauch des Mannes, runzelte die Brauen und forschte einen guten Teil ausgiebiger, löste den Gürtel ihres Patienten und klopfte mit geübten Fingern über Seiten und Bauchdecke.
Ein halben Fingerlang unterhalb des Bauchnabels hielt sie inne. Sie spürte eine etwas walnussgroße Verhärtung.
„Das da – das gehört nicht hier hin.“
Was das aber war, fiel dem Ruckeln der Kutsche zum Opfer, die vor einem grauen, abweisenden Gebäude an einer Parallelstraße der Herzogenpromenade anhielt, während vor ihr das zweiflüglige Portal zu einer Durchfahrt geöffnet wurde und die Kutsche wenige Augenblicke später anruckte, einige wenige Schritte fuhr und dann anhielt. Der Büttel öffnete die Tür.
„Hochgeboren, da sin’ wir. Soll der da mit?“ Er wies mit zusammengekniffenen Augen auf die halb entkleidete Gestalt am Boden und warf sie sich auf das kurze Nicken Shanijas hin kurzerhand über die Schulter. „In’n Keller?“ fragte er.

Maura wartete schweigend ab, um zu sehen was die Baronin vorhatte.

Zwei Diener – einer steinalt, der andere kaum dem Knabenalter entwachsen und noch vor seinem ersten Bart – traten zu der Kutsche, hier unter dem Torgewölbe bestens vom noch immer prasselnden Regen geschützt, und halfen den beiden Damen aus dem Gefährt. Beide waren sie vollständig in Schwarz gekleidet, den aufsteigenden Raben ihres Herrn stolz auf der Brust.

Die Halle, in der die dienstbaren Geistern der Herrin des Hauses und ihrem Gast ihre durchnässte Kleidung abnahmen, war verschwenderisch ausgestattet. Der Boden bestand aus spiegelnd poliertem, schwarzem Stein, die Wände aus weißem Putz, der, ebenso wie die hohe Decke, mit Malereien und vergoldetem Stuck verziert war. Bis zur Kopfhöhe war die Wand mit dunklem, matt schimmerndem Holz vertäfelt, auf dem Boden in der Mitte der Halle lag ein offensichtlich tulamidischer, dicker Teppich. Eine elegant geschwungene Treppe mit vergoldeten Handläufen führte ins Obergeschoss, an ihrem Fuß wachten zwei spärlich bekleidete Damen, Statuen von Rahja und Peraine, letztere hielt ein überquellendes Füllhorn in Händen.
`Etwas düster, aber was für eine Pracht! Dieser spiegelnde Boden, fantastisch!´, dachte die Doctora bei sich und betrachtete dabei ihre eigene Spiegelung auf dem Boden.

Shanija betrachtete den Büttel mit seiner tropfenden Last auf den Armen nachdenklich. „Bringt ihn in mein Gemach und sagt Madija, sie soll den Tisch freimachen und noch ein paar Laternen aufstellen. Das reicht.“
Sie warf Maura einen überlegenden Blick zu. „Da ist das Licht am besten. Wenn ihr mich begleiten wollt?“

„Nichts lieber als das, euer Hochgeboren! Ich bin sehr gespannt was ´Alrik Brunnenmann´ uns über sein Unglück erzählen kann. Ich muss zugeben, das fühlt sich fast genauso an, wie in den alten Tagen an der Anatomischen Akademie. Nur die Zimmer waren nicht ganz so schön, wie in eurem Heim.“ Das Lächeln der Doctora hatte seinen Weg wieder zurück in ihr Gesicht gefunden. Während sie der Baronin folgte, bestaunte sie weiterhin die Inneneinrichtung.

Die Gemächer der Baronin besaßen einen eigenen Kamin, an dem an diesem Regentag ein munter prasselndes Feuer wohlige Wärme spendete. Die Decke des Damenzimmers war mit einem Fresko geschmückt, dass eine wohlgestalte Rahja im Kreise ihrer Geschwister inmitten zierlicher Rankenornamente zeigte. Den Boden bedeckte ein dicker, herrlich weicher Khomteppich, an einer Wand stand ein zierliches Frisiertischchen aus poliertem Kirschenholz mit einem funkelnden Spiegel, ein Waschtisch, eine passende Kleidertruhe und ein Tisch mit zwei gedrechselten Stühlchen mit weinrotem Samtbezug. Die Wände waren mit demselben Holz getäfelt, das im Schein des Kaminfeuers matt glänzte. Eine Kristallkaraffe auf dem Frisiertischchen mit einem dunkelroten, süßen Likör und eine Schale mit zuckerbestreutem Gebäck auf einem polierten Silbertablett stellten einen kleinen Gruß aus der Küche dar. Zwei Türen führten in weitere Kammern.
Der Tisch in der Mitte des Raumes war freigeräumt und bot gerade genug Platz für die leblose Gestalt des unbekannten Mannes.
Shanija wusch sich die Hände und betrachtete mit professioneller Neugier das Vorgehen ihrer neuen Bekannten.

Als der tote Mann auf dem Tisch lagt, wurde die Altenberg wieder ernst und entkleidete den jungen Mann komplett.

´Alrik Brunnenmann` hatte einen wohlgeformten Körper, der es gewohnt war regelmäßig Leibesübungen zu vollziehen. Bis auf einer alten Narbe am rechten Bein, waren keine offensichtlichen Verletzungen oder Schnittwunden zu erkennen. Maura schaute sich die Augen an. Sie stellte fest, das viele Äderchen in seinen Augäpfeln geplatzt waren. „Wie es scheint, hatte er große Schmerzen, eine starke Hyposphagma in beiden Augen. Der Hals weist keine Hämatome auf, erdrosselt wurde er jedenfalls nicht“, bemerkte sie sachlich. Sie beugte sich vor, öffnete seinen Mund und roch daran. „Wein, er hat Wein getrunken.“ Sie blickte rüber zu Shanija. Die gerade dabei war den Unterleib des Mannes zu untersuchen.

Diese ließ sich Zeit, trieb ihrer Finger mit geübten Bewegungen in verschiedene Weichteile des Toten und zog überlegend die Stirne kraus. In Ihren Augen funkelte die Spannung und das Interesse an diesem ungelösten Rätsel.
„Vielleicht eine Appendizitis mit folgender Perforation.“ Sie drückte und zog und schloss überlegend die Augen. „Doch unwahrscheinlich.“ Sie hob den Kopf und blickte Maura an. „Ich vermute eine Leistenhernie. Wenn sich diese eingeklemmt hat, haben wir unseren Befund. Was denkt ihr?“
Sie zog ihre Zähne über die Unterlippe.
„So bedauerlich, dass er nicht mehr lebt. Sonst hätten wir ihn einfach aufschneiden und nachsehen können.“

Maura nickte bestätigend. „Eine Möglichkeit. Aber auch zu bezweifeln. Es ist eher selten das jemand wegen Leistenhernie verstirbt. Und wenn, dann ist das ein langwieriger Prozess . Mir scheint es das er recht schnell verstorben ist.“ Sie überlegte kurz. „Ja, sehr bedauerlich, das Boron ihn schon zu sich gerufen hat. An der Akademie haben wir das ja ein wenig anders gehalten, zumindest zu meiner Zeit.“ Nun blickte sie die Magierin direkt an. „ Genau genommen ist er ja noch warm. Professore Hanskar war immer davon überzeugt, solange der Corpus noch warm ist, solange wartet die Seele auf Golgari. Sprich, der eigentliche Tod lässt noch ein wenig auf sich warten. Ich hätte da ein Satz scharfe Messer in meiner Tasche, was mein ihr, sollten wir es wagen?“ Der Arbeitseifer war regelrecht der Doctora ins Gesicht geschrieben, während sie die Frage stellte.

Die Magierin zog ein Gesicht, als habe sie in einen sauren aranischen Apfel gebissen. „Ein Heilzauber wird jetzt auch nichts mehr nützen – also ist er tot. Und es ist eine ganz, ganz schlechte Idee, es hier zu handhaben wie auf der Akademie.“ Sie blickte die etwas Ältere an und ein Zug, in dem Neugier und starke Versuchung sich die Waage hielten, huschte über ihre Züge. „Leider. Ich war Jahrgangsbeste in Anatomie ... .“ Sie hob die Schultern. „Mein Gemahl ist ein Mitglied der Kirche des Raben. Ich würde seine Missgunst riskieren, wenn ... .“
Sie seufzte.
„Lasst ihn uns noch einmal gründlich ansehen – und dann lasse ich ihn zum Borontempel bringen. Unversehrt. Mehr bleibt uns nicht.“
„Verzeiht mir, euer Wohlgeboren. Ich vergaß für einen Moment, wo wir sind. Ihr habt natürlich recht.“, nickte Maura verständnisvoll, ebenfalls mit einem Seufzer endend.
Viel zu viele Zeugen und Mitwisser barg dieses stille Haus – und so seufzte die Magierin ein weiteres Mal und machte sich an eine zweite, gründlichere Leichenschau.
Diesmal fühlte sie wieder die Verhärtung unter seiner Haut im Unterleib. Sie übte mehr Druck aus. Was auch immer es war, es ließ sich hin und her schieben, war etwa walnussgroß. Nichts organisches, vielleicht etwas metallisches. aber definitiv ein Fremdkörper im Verdauungstrakt des Verstorbenen.

Die Doctora schaute sich nochmal die Arme, die Finger und den Kopf genauer an. „Ich kann leider nichts finden. Es scheint er ist erstickt, vielleicht eine Vergiftung. Allerdings gibt es dafür kaum Anzeichen . Könnte es ein Zauber gewesen sein?“, fragte sie die Magierin.
„Möglich. Eventuell finde ich noch eine Reststrahlung. Aber so ganz glaube ich nicht daran. Wenn wir wüssten, was er da geschluckt hat, würde uns das sicher weiterhelfen. Aber ich werde einen Odem wirken – hinterher sind wir klüger.“ So oder so.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Formel, band das Gewirr der unsichtbaren Fäden, die sie umgab, in eine elegante Form und legte es über den Körper des Verstorbenen.

Kaum war der Zauber gesponnen, tastete ihr Blick den Körper ab. Ein leichtes rötliches Glimmen erschien, direkt an der Stelle, wo sie die Verhärtung im Unterleib entdeckt hatte. Genauer hingeschaut, konnte sie zwar nicht feststellen, welcher Art der Zauber war, dennoch offenbarte das Glimmen, die Form des Objektes. Sie war sich sicher, das es sich um einen Ring mit eine Aufsatz handelte.

„Ungut.“ Eine stärkere Bewertung verkniff sich die Baronin, obwohl ihre Miene Bände sprach. Sie seufzte tief auf. „Er scheint einen magischen Ring verschluckt zu haben. Schade, dass wir ihn nicht in Vinsalt haben. Wer weiß, für wen der Ring Wichtigkeit besaß.“

Sie zog sich ihre Zähne über die Unterlippe, ohne indes eine befriedigende Lösung für das Dilemma zu finden. „Wir hätten ihn nicht hier herbringen dürfen.“ stellte sie schließlich fest und ließ alle Implikationen in der Luft hängen.
„Ich lasse ihn fortbringen.“ Doch auch wenn ihre Klugheit genau dieses empfahl, ihre Neugier tat sich schwer, ihren Frieden damit zu machen.

„Und was haltet ihr jetzt von einer guten Tasse Tee?“

Während die Baronin ihre Zauber sprach, ging die Doctora die Hinterlassenschaften des Toten durch. Ihr Blick blieb an zwei Dingen hängen. Das erste war eine Geldkatze aus dunkelroten Samt mit einem Wappen aus Seide darauf. Das andere war ein gerolltes Dokument. Sie nahm beides.

„Was für ein Dilemma. Aber ihr habt recht, Hochgeboren. Es ist besser ihn zum Tempel bringen zu lassen. Wir können eh nichts mehr für ihn tun. Und wer verschluckt schon freiwillig einen Ring?“, sagte Maura mit einem folgenden Seufzer.
„Ein Tasse Tee wäre jetzt gut. Das hatte er übrigens bei sich“, und hielt die Geldkatze und das Dokument der Magierin entgegen. „Ich kenne das Wappen. Es gehört der Edlen zu Weinbergen. Ich glaube sie kommt aus Almada. Sie hatte mich vor kurzem kontaktiert. Die Arme war besorgt, ob sie einer Vergiftung unterlag. Es war allerdings nur eine leichte Bauchverstimmung“, sagte sie mit misstrauischen Blick.

„Weinbergen – ist das irgendwo in der Nähe von Ragath?“ Die Baronin legte die Stirn in Falten, als sie ihre Hände reinigte und dann neugierig die Beute der Heilerin betrachtete.

Die samtene Beutel war mit Münzen gefüllt, das hörte man am klimpern.

Das Pergament war unversiegelt und einfach gerollt. Es war ein leichtes sie zu entrollen. In dunkler Tinte und in Schönschrift geschrieben stand dort folgendes:

„Geschrieben am 3. Tag des Herren Praios im Jahre 1040 nach Bosparans Fall, Burg Grötz in der Baronie herzöglich Fuchsgau im Herzogtum Nordmarken.

Ich, Dargen von Starkenrast, erkenne die Edle von Weinbergen, Rahjalinda von Weinbergen, Tochter der verstorbenen Edlen von Weinbergen, Consoela von Weinbergen, als Sproß meiner Lenden an. Hiermit bekommt sie das Recht, den Guten Namen des Hauses Starkenrast zu tragen. Im Falle meines Versterbens will ich sie als meine Erbin und Nachfolgerin anerkennen.
Ritter Dargen von Starkenrast.“

Das Dokument ist unterschrieben, aber nicht mit einem Familienwappen gesiegelt.


„Gehen wir nach unten. Um diesen Unglücksraben hier wird sich das Gesinde kümmern.“
Maura nickte und folgte der Baronin, während sie dabei weiterhin die Einrichtung des Hauses still bewunderte.
„Dann werden wir der Edlen von Weinbergen wohl die traurige Nachricht überbringen müssen.“ Der Tee war vorzüglich. Noch immer prasselte der Regen an die Fenster und von draußen klangen die Geräusche der kleinen Kutsche und die Stimme eines der Büttel, der die Bediensteten anwies, die Leiche auf den Wagen zu laden.
Shanija suchte sich eines der leckeren Gebäckstückchen auf der Platte vor den beiden Frauen aus und biss genussvoll von der kleinen Köstlichkeit ab.
„Wisst ihr, ob die Edle Kinder hat?“

Die Doctora wartete ab, bis die Baronin sich ein Stück vom Gebäck nahm und vom Tee genippt hatte. Dann griff auch sie zu. „ Mit Verlaub Euer Hochgeboren, das Gebäck und der Tee sind ja sehr vorzüglich!“ Genüsslich aß sie das Gebäck, bevor sie antwortete. „Die Edle hat keine Kinder. Sie hatte bei der Leibesvisitation keinerlei Anzeichen dafür, das ihr Leib jemals von Tsa gesegnet war. Soweit sie mir erzählte, war sie hier, um den Tod ihrer Schwester zu beklagen und sich um den Nachlass zu kümmern. Sie war sehr besorgt um ihr leibliches Wohl. Wie gesagt, es war nur eine leichte Verstimmung. Ich versprach ihr etwas Menchalsaft zu besorgen, um ihr ihre Sorgen ein wenig zu erleichtern. Indirekt ist die Edle dafür verantwortlich, das wir beide hier bei einem genüsslichen Tee zusammen sitzen!“ Freundlich lächelte sie Shanija an.
„Dann habe ich ihr für diese überaus angenehme Unterhaltung zu danken.“ Die Baronin erwiderte das herzliche Lächeln und ließ sich von dem Kräutertee nachschenken.
„Ich bin gespannt auf die Edle von Weinbergen. Die Starkenrast kenne ich – das waren die Burgsassen auf Burg Grötz im Fuchsgauer Land, doch sind sie nach meinem Wissen inzwischen ausgestorben. Oder wohl doch nicht so ganz.“
Die Familie Grötz indes – Vorläufer unter anderem der Grangorer Garlischgrötzens – waren einmal mit die größten Grundbesitzer der Nordmarken, so einflussreich, dass schließlich der damalige Herzog Jast in seiner Zeit als Reichsregent die Erbansprüche der Garlischgrötz mit dem Windhag abfand. Damals war mehreren Dutzend Adelshäuser der Nordmarken ob dieser klugen Geste ihres Herzogs ein wahrer Steinbruch vom Herzen gepoltert – über mancherlei Regale und Landesrechte, die hierdurch dem Herzog zugefallen waren, schwiegen die Geister klugerweise.
„Wenn der arme Kerl einen Siegelring verschluckt hat, wird es unangenehm für einige Seiten. Doch wann wäre ein Siegelring einmal magisch – davon habe ich bisher noch nicht gehört.“
Kein Siegelring indes schmückte ihre eigene Hand, was Maura bei diesem Thema auffiel. Vermutlich war die Baronin als Baronsgemahlin – und zudem Magierin – nicht berechtigt, selbst die Herrschaft auszuüben.

Gespannt hörte Maura der Baronin zu. Tatsächlich interessierte sie sich brennend darüber, wenn es um das Thema „Adel“ ging. „Wißt ihr, euer Hochgeboren, meine Vorfahren waren selbst einmal Grundbesitzer in den Nordmarken“, dabei streifte sie sich einen Ring von ihrem Finger und hielt es der Baronin entgegen. „Unser Haus waren die Dohlenberg. Mein Vater hinterließ mir den einzigen Ring mit unserem Hauswappen. Mit meiner Heirat in die Familie Altenberg, gilt auch meine Linie als erloschen.“ Der Ring war aus Silber und umfaßte einen runden Rauchquarz, in dem das Symbol eines Rabentieres eingelassen war. Der Vogel war seitlich dargestellt, mit schwarzen Gefieder und gedrungenen Kopf, dem ein blaues Auge zierte.

Nochmals vom Tee genippt, griff sie das Gespräch wieder auf. „Wie es scheint, könnte die Edle, die Linie der Starkenrast fortführen. Mir ist aufgefallen, das es zwar unterschrieben, aber nicht gesiegelt wurde. Hat es dann eigentlich eine Gültigkeit? Nun ich bin mir sicher, sie wird betrübt über den Verlust des jungen Mannes sein, aber vielleicht ganz froh darüber, das Dokument zurück zu bekommen. Hättet Ihr Heute noch Zeit, sie zu besuchen? Ich würde Euch natürlich begleiten, wenn es euch lieb ist, Euer Hochgeboren.“

Nach einem weitern Stückchen vom Gebäck, mußte die Doctora doch nochmal das Thema wechseln.“ Habt ihr eigentlich Kinder?“, fragte sie mit einer gewissen Neugier in der Stimme.

Shanija lächelte. „Sieben, Doctora. Drei Mädchen und vier Jungen – Amaldus, unser Nesthäkchen, ist zwei. Ravena, meine Älteste, 20. Sie wird bald ihren Ritterschlag erhalten. Und selbstverständlich habe ich Zeit, euch zu begleiten. Ich habe heute nichts weiteres vor.“ Sie trank grübelnd einen weiteren Schluck des exquisiten Tees.
„Ich bin keine Rechtskundlerin. Doch meiner Meinung nach ist das Dokument ohne Siegel lediglich ein Entwurf – und damit ungültig.

Fast hätte sich Maura am Tee verschluckt. „Bei den gütigen Schwestern Tsa und Peraine! Ganze sieben? Das sieht man euch aber nicht an. Wie habt ihr das geschafft, solch eine Figur zu behalten?“ Die Doctora fand zu ihrer Fassung zurück. „Ich habe es nur zu dreien geschafft. Meine älteste Tochter Praiona ist eine Donator Lumini in der Wehrhalle zu Elenvina, mein Sohn Elvan macht gerade seine Ausbildung zum Schreiber und Kalligraph in der Hesindeschule und die jüngste, Elvrun ist Novizin im Traviatempel zu Elenvina. Bis jetzt sind alle unvermählt.“ Mit etwas bedrückter Stimmung beendete sie den Satz. „Praiona ist schon ganze 30 Götterläufe alt, Elvan 23 und Elvrun 19. Ich hätte sie gerne jetzt schon alle in gute Familien eingeheiratet gesehen. Doch bis jetzt hat sich noch nichts gefunden“.
“Sind Eure Kinder dann zumindest schon versprochen? Dreißig ist schon ein beachtliches Alter.“
„Leider nein. Erst dachte ich, dass meine Praiona ihr Herz ganz dem Herrn Praios versprochen hatte. Dem ist allerdings nicht so. Sie ist ein wenig…schüchtern. Bis jetzt habe ich keine passende Partie für sie gefunden. Und ehrlich gesagt, es wird jetzt immer schwieriger. Sie hat ja fast ihre besten Jahre hinter sich. Nun, ein kleines Fenster gibt es ja noch.“ Sie seufzte. “Und für die Jüngeren auch noch nichts. Zumindest nichts, was passend währe. Mein Gemahl ist da auch keine große Hilfe. Und der Rest der Familie ist es auch gänzlich egal, solange das althergebrachte nicht verrückt wird. Praios sei Dank, dass ich nicht von diesem Schlag bin.“
Maura wurde jetzt ernst. „Die Familie meines Mannes hängen einen merkwürdigen Aberglauben an. Sie glauben daran, dass es Unglück über das Haus Altenberg bringe, sollte jemand das Schwerterhandwerk aufgreifen. Kein Wunder, das sie ihr Lehen verloren haben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte mein Elvan an der herzöglichen Knappenschule gelernt. Ein ordentlicher Ritter wäre er ganz bestimmt geworden. Aber“, nun ergriff sie wieder ihre Teetasse und lächelte wieder,“ vielleicht läßt sich ja eine Ritterin oder ein Ritter für meine Kinder finden, so Travia es den will!“ Maura schaute Shanija mit ihren blauen, tiefgründigen Augen an.
Die Baronin gab den Blick der Edlen aus ihren rauchgrauen Augen zurück. „Es gibt schlimmere Familientraditionen, finde ich, Auch wenn mir ein wackerer Ritter hier sicher ganz entschieden widerspräche.
“ Es freut mich sehr, dass ihr mich begleiten wollt, euer Hochgeboren! Die Edle ist im Hotel „Zum Güldenen Greifen“ untergekommen. Ich denke bei diesem Wetter werden wir Glück haben sie dort anzutreffen. Wie sieht es aus, euer Hochgeboren, wollen wir uns auf machen und der guten Dame ihr Dokument wiedergeben und ihr die Walpurgensbotschaft überbringen?“ Erwartungsvoll schaute Maura die Magierin an.
„Sie lächelte. “Ich lasse die Kutsche anspannen. Mit etwas Glück sind wir vor dem Abendessen wieder zurück. Das bedeutet, wenn ihr mir hierzu Gesellschaft leisten mögt? Wir könnten noch einige Anekdoten aus Vinsalt austauschen.“
„Es währe mir eine Ehre, euer Hochgeboren! Und es gibt nichts Feineres als über Vinsalt zu plauschen!“, sagte die Doctora begeistert.
´Was für ein aufregender Tag´, dachte Maura bei sich. Währen die Damen wieder ausgehfertig gemacht und beide wieder zur Kutsche geführt wurden, hielt der Regen weiter an. Dennoch konnte das Dauergefälle und der graue Himmel die Laune der Doctora nicht mindern. Die Kutschfahrt war eine kurze und diesmal kündete ein Donner an, dass die beiden Frauen ihr Ziel erreicht hatten. Beide schauten aus dem pergamentenen Fenster, betrachteten das Hotel und warteten, bis der bucklige Büttel die Tür der Kutsche öffnete.

Das Hotel war ein prächtiger Bau, vollständig aus weiß verputztem Stein, drei Stockwerke hoch und mit prachtvollen, schwarzen Schieferschindeln gedeckt. Die Stürz über Fenster und Tür bestanden aus dunkelbraunem Stein und waren sorgfältig mit allerlei götterfürchtigen Motiven, insbesondere Greifen, und schmückendem Rankenwerk verziert.
Im Erdgeschoss der dreiflügeligen Anlage befanden sich die Gasträume – die Gaststube und drei kleinere Räume sowie die Küche, während die Gästeräume den ersten Stock einnahmen.

Auch der Raum der Edlen von Weinbergen – ein vergleichsweise übersichtliches Zimmer mit zwei Nebenräumen, das mehrere Goldstücke pro Nacht kosten würde – befand sich dort, wie Maura der Baronin erzählte.

Empfangen wurden die beiden Damen von dem Hotelier. Der ältere Mann der sich als „Gorwin Altbarsch“ vorstellte, fragte nach ihren begehren. „ Frau Baronin von Rabenstein, was für eine Ehre, euch in unserem bescheidenen Haus willkommen zu heißen! Die Edle von Weinbergen befindet sich gerade nicht auf ihrem Zimmer. Aber sie ist im Tee-Salon. Wenn ihr möchtet, euer Hochgeboren, könnten wir euch dort hinführen“, sagte er mit freundlichen Lächeln.
Nach dem die beiden Frauen diese Frage bejahrt hatten, wurden sie von einer Hausdienerin, namens „Lidda“, zum Salon geleitet.Vor dem Eintreten, kümmerten sich zwei Pagen darum, der Baronin und der Doctora, ihre Mäntel abzunehmen.

Während die Altenbergerin den Pagen bat, ihr die Schuhe noch kurz sauber zu polieren, fiel Shanija eine Frau auf. Sie war recht hoch gewachsen, schlank und schätzungsweise Mitte Zwanzig. Sie trug ihr rötliches Haar hochgesteckt und trug ein grünes Kleid aus Seide, ohne das es mit aufwendigen Verzierungen bestickt war. Sie kam gerade die Treppe hinunter und hielt dann auf den Hotelier zu. Ihr Gesichtsausdruck war blass und voller Verzweiflung.

Liddas wohltönende Stimme lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Das, euer Hochgeboren, ist unser Tee-Salon, der „Raum der Gerechtigkeit“ !“, sagte sie und öffnete eine doppelflügelige Holztür.

Der Raum war recht groß und aufwendig eingerichtet. Am Boden war ein roter Teppich ausgelegt, die Wände waren weiß getüncht und immer wieder von vergoldeten Paneelen unterbrochen, die mit Greifen-Motiven verziert waren. Es gab zwei Fenster, vor denen rote Vorhänge hingen. Ein prächtiger Kronleuchter spendete ein warmes, aber etwas schummeriges Licht. Als Möblierung gab es sechs Sitzgruppen, von jeweils zwei, samt-bezogenen Ohrensessel und einem Teetischchen und einmal eine vierer Bestuhlung. Dominiert wurde der Raum von einem großen Ölgemälde in einem kunstvollen, goldenen Rahmen über einem Kamin. Der göttliche Herr Praios war dort abgebildet, als ein gestrenger Mann mit einem Greifenkopf, der die Waage der Gerechtigkeit vor sich hielt. Die vierer Bestuhlung war direkt davor platziert, aber momentan nicht besetzt. Alle anderen Gruppierungen waren belegt, bis auf eine. Bis auf die Gespräche einiger Gäste, wurde die Stimmung vom Prasseln des Regens an den Fenstern untermalt.

Beim Eintreten musterten die beiden die anwesenden Gäste.
Gleich links neben der Tür und dem ersten Fenster, saß ein älterer Mann. Er trug eine dunkelblaue, saubere Robe, wie es nur Gelehrte taten. Sein graues, volles Haar war schulterlang, doch von seinem Gesicht konnte frau nur die dichten Augenbrauen sehen, da er ein dickes Buch davor hielt und darin las. Seine Hände waren feingliedrig und mit Altersflecken übersät. Ein Pokal auf dem Tischchen deutete darauf hin, das er ab und zu an einem Wein nippte.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Fenster an der Westseite saß ein Pärchen, das auf dem ersten Blick nicht ganz zusammenpasste. Der erste war ein Mann in den Vierzigern. Die helle Robe und der hölzerne, leicht rötliche Stab an seiner Seite wies ihn als Magier aus. Eine Rohalskappe zierte sein Haupt. Er hatte offenbar eine Glatze, lugte doch kein einzelnes Haar unter der Kappe hervor. Auch hatte er keine Augenbrauen oder Bart, das im Zusammenspiel mit seiner Hakennase, ihn ein unfreundliches Erscheinungsbild verlieh. Seine dunklen Augen schauten misstrauisch auf die neuen Gäste.

Ihm gegenüber saß eine Frau, ebenfalls in ihren Vierzigern. Ihr dunkelblondes Haar, war zu einem dicken Zopf gebunden, ihre Augenbrauen hatte sie etwas ungeschickt mit einem Kohlestrich verstärkt. Ihr kleiner Mund hatte etwas Mürrisches an sich. Gekleidet war sie in einer grünen Hemd, das von einem braunen Mieder zusammen gehalten wurde und in einem grauen Wollrock endete. Ihr Erscheinungsbild und ihre schwieligen Hände verrieten, das sie nicht oft in gehoben Kreisen verkehrte. Auch sie schaute kurz rüber und flüsterte dem Magier etwas zu. Auf dem Tisch stand eine Karaffe Wein, der Kelch beim Magier und eine Tasse Tee bei der Frau.

Rechts neben der Tür saß ein Pärchen, das Karten spielte. Die rüstige Frau hatte ihr lockiges Haar in einem silbrig-lavendelfarbenden Ton gefärbt und kunstvoll aufgesteckt. Ihr Gesicht war leicht weiß gepudert, die Augen mit Kohlestift und zarten Blau betont und die Lippen mit Lippenrot geschminkt. Die Fältchen um ihren Augen herum deutete auf eine humorvolle Person hin. Sie trug kostbaren Silberschmuck und auch das Kleid war aus edelsten Stoffen, das ihr Dekolleté sehr betonte. Zart blaue Seidenhandschuhe und Edelsteinringe zierten ihre Hände. Konzentriert schaute sie in ihre Karten.
Der Mann ihr gegenüber war in seinen Sechzigern und trug einen mächtigen, gepflegten Schnauzer und Backenbart. Ein Monokel zierte sein rechtes Auge und ein Schmunzel lag auf seinen schmalen Lippen. Er trug eine goldene Amtskette und seine Kleidung deutete auf einen herzöglichen Angestellten hin. Auch er war auf seine Karten konzentriert. Beide teilten sich eine Karaffe Wein und ein wenig Gebäck auf einem Teller.

In der Mitte des Raumes war das auffälligste Paar. Nicht unbedingt vom Aussehen, aber von der Lautstärker ihrer Unterhaltung her. Der großgewachsene Mann war durch und durch von breiter Statur. Sein schwarzes Haar hatte er im Wehrheimer Bürstenschnitt und trug einen Backenbart, das sein Doppelkinn er betonte, als es zu verbergen. Seine breite Nase war gerötet, sowie seine Wangen. Der Endvierziger trug die Kleidung eines Edlen, wobei das seidene Hemd von einem auffälligen grünen Farbton war. Während er polternd lachte, setzte er ein Kelch zum trinken an. Dabei verschüttet er ein wenig von dem Rotwein, das sein seidenes Hemd nicht verfehlte. Als er die Magierin erblickte, ebbte das Lachen ab.

Die Dame ihm gegenüber war deutlich jünger. Sie war gerade einmal Anfang Zwanzig und trug ihr dunkles, glattes Haar offen. Es fiel ihr etwas über ihre Schultern und umrahmte ihr hübsches Gesicht. Die großen, ausdrucksstarken blauen Augen standen etwas weiter auseinander, als beim Durchnittsgesicht. Die Stupsnase und das schmale Kinn, gab ihr etwas elfenhaftes. Ihr Körperbau allerdings, hatte nichts elfenhaftes an sich. Der volle Busen sprachen von einem sehr weiblichen Körper. Gekleidet war sie in einem roten Samtkleid, das mit schwarzer Spitze verfeinert war. Auch sie lachte laut auf, allerdings mit einer er hellen Stimme. Als sie die neuen Gäste im Blickwinkel hatte, nickte diese den beiden freundlich zu.
Der Tisch wirkte beladen, denn zwei Karaffen, zwei Kelche, eine Schale Obst und ein Teller mit Käse standen darauf.

Shanija kannte zwei der Leute in diesem Raum. Der erste war der kräftige Mann am mittleren Tisch: Leodegram von Starkenrast, der Verwalter von herzöglich Fuchsgau.

Der zweite war der Magier Farold von Elenvina, von der Akademie der Herrschaft. Der unangenehme Geselle, war nicht gern gesehen an der Akademie und hatte das Talent, immer dann in Erscheinung zu treten, wenn niemand es erwartete.

Auch Maura kannte zwei der Gäste. Sie erkannte die Edle von Weinbergen sofort. Ihr fröhliches Wesen zog die Aufmerksamkeit auf sich und saß in der Mitte des Raumes. Überrascht war sie allerdings über die Quacksalberin Afra Kolber, die zusammen mit einem Magier an einem Tisch saß. `Was macht den diese Stümperin hier an so einem feinen Ort?´, dachte sie bei sich.

Lidda führte die beiden zu dem einzigen freien Platz mit zwei Sesseln, der an der Ostwand und direkt neben den kartenspielenden Gästen lag. „Wenn euer Hochgeboren etwas wünscht, so benutzt einfach die Kordel und ich werde sofort zu euch kommen“, sagte die Hausdienerin und deutete auf die rote Kordel, die an der Wand hing und am anderen Ende in einem kleinen Loch in der Wand verschwand. „Soll ich euch ein wenig Gebäck und Tee bringen? Unser Koch hat heute tulamidisches Gebäck gebacken, das ich nur empfehlen kann!“ Abwartend schaute sie die Baronin an.

“Gerne.” Shanija schmunzelte angesichts der zu erwartenden Genüsse – der Küchenmeister war wohlgerühmt ob seiner Kunst. Sie betrachtete die Anwesenden aufmerksam, doch nicht über Gebühr neugierig – oft genug war sie in Gasthäusern unterwegs, und die nachgesagte Paranoia, die ihr Gemahl manches mal an den Tag legte, war ihr fremd – so berechtigt diese auch sein mochte.
“Wer ist denn nun die Edle, wegen der wir hier sind?” Sie musterte ihre Begleiterin und blickte ihr in die Augen. “Es bringt nichts, wenn wir lange auf eine gute Gelegenheit warten. Wollt Ihr sie nicht zu uns bitten?”

„Ihr habt recht, euer Hochgeboren, ich werde sie zu uns bitten.“ Maura erhob sich und ging zu dem Tisch in der Mitte des Raumes.

Währenddessen vernahm Shanija ein paar Worte vom Nebentisch.
„Baronessa von Immengrün, euer Boltansgesicht ist nicht das Beste , heute werdet ihr verlieren!“, sagte der ältere Mann mit dem mächtigen Schnauzer, leicht amüsiert.
„Vergesst nicht, lieber Baronet von Schwanenfels, das ich eine Meisterin bin, im durchschauen von Lug, Trug und Intrigen, und gerade eben hat sich das Blatt gewendet!“, antwortete die ältere Dame mit einer rauchigen Stimme. Shanija fiel auf, das die letzten Worte stärker betont wurden. Ein unbestimmbares Gefühl sagte ihr, das die Worte an sie gerichtet waren.

Maura sprach die Edle an, die sie sichtlich erfreut begrüßte. „Mit Verlaub,Werteste, die Baronin von Rabenstein und meine Wenigkeit, würden euch gerne zu einer privaten Unterhaltung an unseren Tisch einladen“, sagte sie vorsichtig und blickte dann zu dem Mann mit dem seiden Hemd, „Es würde auch nur einen Moment dauern und..“ Weiter kam sie nicht, den die laute Stimme des Mannes unterbrach sie. „Die Baronin von Rabenstein? Wie erfreulich!“ Der kräftige Edle erhob sich und stapfte in die Richtung der Baronin.

Auch Shanija wurde nun auf den Mann aufmerksam, wie auch die meisten anderen Gäste im Raum, die nun in ihre Richtung blickten.
„Leodegram Grimbald von Starkenrast, Verwalter von herzöglich Fuchsgau, euer Hochgeboren. Ich grüße euch. Es sind ja schon viele Götterläufe her, das ich euch das letzte mal sah. Wie geht es euch und euren Gemahl, dem Baron?“, sagte er mit einem leicht zynischen Unterton. Das letztemal als Shanija den Verwalter sah, war er noch etwas schlanker und ansehnlicher, doch die Liebe zum Wein und Feste zeigten sich jetzt von ihrer unschönen Seite.

Maura und die Edle von Weinbergen folgten zögerlich und warteten höflich ab.

“Sehr erfreut, Euer Wohlgeboren.” Shanija reichte dem Herrn von Starkenrast die Hand, und er beugte sich pflichtschuldig über sie und deutete einen Handkuss an. “Mein Gemahl befindet sich wohl. Wie Ihr gewiss schon erfahren hat, hat er vor zwei Götterläufen die Ordination in die Kirche des Schweigsamen erhalten.” Sie lächelte höflich. “Ich würde gerne weiter mit Euch plaudern, Wohlgeboren, doch bin ich in Begleitung einer Freundin, die mich einer Bekannten vorstellen möchte. Weilt ihr noch länger in der Stadt?”

Während der Verwalter die Hand der Baronin hielt, um ihr den ehrbaren Handkuss anzudeuten, fiel ihr auf, das an seinem linken Zeigefinger ein tiefer, ringförmiger Abdruck war. Ganz so, wenn man langzeitig einen Ring trug und ihn dann abnahm. Dem Starkenrast fiel der kurze Blick auf seine Finger auf und zog diese recht schnell zurück. „Nun, liebste Baronin, wie ich sehe, seit ihr an meiner Verwandten interessiert.“ Shanija bemerkten den merkwürdigen Unterton im Worte „Verwandten“. „Es gibt einige rechtliche Angelegenheiten die mich hier in Elenvina noch für ein paar Tage halten werden.“ Er verneigte sich noch einmal und machte den Weg für die beiden wartenden Damen frei.“Möge Boron mit eurem Gemahl sein, euer Hochgeboren“, sagte Leodegram verabschiedend und ging zurück zu seinem Tisch.

Maura wurde ungeduldig.´Was für ein unangenehmer Kerl´, dachte sie bei sich. ´„Möge Boron mit eurem Gemahl sein“´, ließ sie sich die letzten Worte des Verwalters nochmals durch den Kopf gehen. ´Wie hat er das den gemeint? Man könnte ja fast meinen das der Starkenrast nicht gut auf den Baron von Rabenstein zu sprächen wäre. Nun die Baronin scheint nicht besorgt zu sein.´ Als der Herr von Starkenrast endlich zu seinem Platz zurück kehrte, bot sie der Edlen ihren Platz an. Dann griff sie sich selbst einen freien Stuhl vom neben Tisch und setzte sich dazu. Sie zog ihre Handschuhe aus, bereit einer Damen eine tröstende Hand zu bieten.

Die junge Edle machte ein etwas unbeholfenen Knicks, um die Rabensteinerin zu begrüßen und nahm dann platz. Ihre ausdrucksstarken, blauen Augen schauten ein wenig unsicher, aber ihr Lächeln war perfekt und drückte Selbstsicherheit aus. Sie strich sich eine Haarsträhne ihres dunklen Haares aus dem Gesicht und sprach mit angenehmer, heller Stimme. „Praios zum Gruße, euer Hochgeboren. Ich bin die Edle von Weinbergen, Rahjalinda von Weinbergen. Wie komme ich zu der Ehre an euren Tisch eingeladen zu werden?“, fragte sie vorsichtig.

“Wir, Wohlgeboren von Altenberg und ich, würden gerne mit Euch sprechen.” Shanija wartete, bis sich die junge Frau, in deren Augen sich bereits erster Argwohn zeigte, gesetzt hatte.
“Ihre Wohlgeboren erzählte mir, dass ihr miteinander bekannt wäret.
Nun, wir haben euch leider keine gute Nachricht zu überbringen. Es ist wohl so, dass ein junger Herr aus Eurer näheren Bekanntschaft kürzlich verschieden ist.” Sie betrachtete die junge Dame mit teilnahmsvoller Miene. “Es tut mir leid, dass wir es sind, die Euch diese Nachricht überbringen müssen.”

Rahjalinda´s Blick weitete sich, doch sie verstand nicht ganz, wen die Baronin meinte. „Euer Hochgeboren, ich verstehe nicht ganz, von welchen jungen Herr sprecht ihr?“, fragte sie, doch schon die erste Vermutung schlich sich in ihre Gesichtszüge.
Es war Maura, die ihre Hand griff und somit die Aufmerksamkeit auf sich richtete. „Kanntet ihr einen jungen Edelmann, mit dunkelblonden Haar, Kaiser-Alrik-Bart und ganz in blauen Samt gekleidet? Falls ja, müssen wir euch mitteilen, das Boron ihn tragischer Weise zu sich gerufen hat.“ Die Doctora schaute sie mitfühlend an. Die junge Edle stieß plötzlich einen hohen Schrei aus, wobei sie ruckartig über die Schulter blickte. Shanija fiel auf das sie in Richtung des alten Mannes in der blauen Gelehrtenrobe schaute, der jetzt über sein Buch lugte. „Das kann doch nicht sein“, schluchzte sie,“ Oleanton, mein lieber Oleanton!“ Mit tränenüberströmten Gesicht, schaute sie Shanija wieder an. „Was ist ihm den zugestoßen?“ wimmerte sie.

Maura hielt die Hand der Edlen ganz fest. Sie konzentrierte sich und stellte sich die Frage, was die junge Dame jetzt fühlte. Wie immer spürte sie das Kribbeln in ihren Nacken als erstes, das dann langsam sich über den linken Arm, bis in ihre Fingerspitzen ausbreitete. Sie liebte das fließende Gefühl ihrer Kraft. Die astrale Kraft. Langsam öffnete sich die Gefühlswelt der Trauenden und Maura konnte fühlen, was diese gerade fühlte. Das starke Gefühl von Trauer und Traurigkeit übermannte sie fast, doch das jahrelange Üben dieses Zaubers, ließ sie ihre Fassung bewahren. Sie ließ sich noch ein wenig tiefer in die Gefühlswelt von Rahjalinda ein und stieß plötzlich auf Angst. Die Doctora wunderte sich, ließ die Kraft versiegen und legte nun ihre Hand auf der Edlen Schulter. ´Vor was fürchtet sie sich bloß?´, dachte Maura bei sich. Ihr Blick wanderte zu dem Verwalter, der misstrauisch rüber schaute. Dann fühlte sie den Blick der Baronin auf sich ruhen. Sie fuhr kaum merklich zusammen. ´Hat sie mich gesehen? Hat sie gespürt, das ich die Kraft eingesetzt habe?´, schoss es Maura durch den Kopf.

Die Baronin betrachtete die beiden mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck, der nichtsdestotrotz von großer Neugier sprach. “Wer war der Herr Oleanton?” Shanija sprach die offensichtliche Frage aus. “War er von Eurer Familie?”
Längst nicht alle Edlengeschlechter der Nordmarken kannte sie, die gebürtige Koscherin – und ihr Gemahl pflegte nicht unbedingt das, was man einen großen Freundeskreis nennen mochte.

Die Edle schluckte kurz und unterdrückte sich weitere Tränen. „Oh nein, Baronin. Oleanton stammt aus dem Haus Wolfsstein. Er war mir ein treuer Gefährte und stütze auf dieser schweren Reise hierher. Ihr müsst wissen, meine Schwester ist vor kurzem hier in Elenvina verstorben.“ Ein neuer Schwall Tränen bahnten sich über die Wangen von Rahjalinda.

Die Doctora schaute besorgt. „Davon habe ich gehört. Boron hat eure Schwester viel zu früh zu sich gerufen.“ Maura blickte Shanija an. „Die Gute hat wohl ein Hitzschlag erlitten, an eine der letzten heißen Tage im Rondra.“

Die Tür zum „Raum der Gerechtigkeit“ öffnete sich und Lidda kam mit einem großen Tablett, bestückt mit Gebäck und Teekaraffe herein. Gleich hinter ihr schritt die junge, hochgewachsene Frau im grünen Seidenkleid. Ihr Gesicht sprach noch immer Verzweiflung und sie strebte den Tisch des Herrn von Starkenrast an.

Angesichts dieser Worte legte die Baronin ihre Stirn in sehr, sehr nachdenkliche Falten. “Wie ist der junge Herr Oleanton denn mit dem Haus Wolfsstein verwandt? Ich dachte, ich hätte erst vor kurzem den Stammbaum des Hauses gesehen, doch so ein junger Ritter wäre mir gewiss ins Auge gefallen.” Jung war kein Adjektiv, das man mit dem guten Odewin von Wolfsstein, dem Wolfssteiner Dienstritter in ihrem Haushalt, guten Gewissens in Verbindung hätte bringen können. Doch von einem Oleanton hatte sie noch nie gehört – was auch ein sehr eigenwilliger Vorname für diese Familie war.
“Wie habt ihr ihn kennengelernt, wenn ich fragen darf?” Wandte sie sich wieder an ihre Gesprächspartnerin.

Mit verklärten Blick schaute Rahjalinda die Baronin an und blinzelte einige male schnell hinter einander. Es schien, das diese Frage etwas unerwartet kam. „Ich..ich meine..also ich kenne Oleanton,“sie machte eine kurze Pause und schluckte,“wir kennen uns aus, ähhmm, aus Punin. Ja, aus Punin.“ Die letzten Worte sagte sie mit Nachdruck. „Ein entfernter Verwandter. Ja, genau. Das hat er mir erzählt.“ Sie schien jetzt selbst zufrieden mit ihre Antwort und vergaß das Weinen dabei. Die Situation wurde jäh unterbrochen, von Lidda, die jetzt mit dem Tablett vor dem Tisch stand. „Entschuldigt die Störung, euer Hochgeboren. Möchtet ihr, das ich serviere?“, sagte die Dienstmagd und schaute dabei besorgt zur Edlen.

Maura derweil beobachtete den Tisch des Verwalters und verfolgte nur halbherzig das Gespräch mit der Edlen. Der misstrauische Blick, den er immer wieder dem Tisch der Baronin zuwarf ,war ihr nicht entgangen. Auch die Frau im grünen Seidenkleid nicht. Diese flüsterte dem Starkenrast etwas zu, wobei einige Worte das Ohr der Doctora fanden. Als sie die Worte „Ring“ und „verschwunden“ verstand, wurde Maura hellhörig und lenkte nun ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das Gespräch des Verwalters.

“Ja bitte.” Etwas geistesabwesend nickte Shanija der Magd zu und wandte sich wieder an Rahjalinda. “So habt ihr euch also gekennengelert. Sagt, hat euch Oleanton um irgend einen Gefallen gebeten?” Hah – ihr Gemahl wäre stolz auf sie – wenngleich sich das auch mit ihrer eigenen Wissbegierde deckte. Wie sagte doch einmal ein kluger Geist? ‘Wenn sich Neugier auf wichtige Dinge richtet, nennt man sie Wissendurst.’ – Eine Aussage, die sich die Akademikerin nur zu gerne auf ihre Fahnen geschrieben hatte.

„Ich kann euch leider nicht ganz folgen, euer Hochgeboren. Oleanton hat mich um nichts gebeten. Außer seine Frau zu werden.“ Mit diesen Worten füllten sich die Augen der Edlen auch schon wieder mit Tränen. Die Anspannung der Frau wurde immer offensichtlicher für Shanija und gab ihr das Gefühl ,das diese, ob der Fragen, unwohler fühlte.

Leodegram wirkte sehr verstimmt und schickte die junge Frau im grünen Kleid wieder hinfort. Dann erhob er sich und kam zum Tisch der Baronin zurück. Maura senkte ihren Blick und versuchte wieder zurück zum Gespräch mit der Edlen zu finden.

Der schwere Mann unterbrach das Gespräch der Frauen. „Mit Verlaub, Edle von Weinbergen, wie es ausschaut, habt ihr eine schlechte Nachricht erhalten. Auch ich habe schlechte Kunde bekommen. Ich muß bedauerlicherweise unsere Treffen vertagen. Meine Anwesenheit ist unverzüglich wo anders erfordert. Wir sprechen.“, sagte er kurz und knapp. „Und verzeiht die Unterbrechung, Frau Baronin.“ Mit angedeutender Verbeugung machte er sich auf dem Weg, den Raum zu verlassen.

„Bedauerlich.“ Shanija nickte dem Edlen zu. „Wir sehen uns.“
Sie wandte sich wieder Rahjalinda zu und legte ihre Hand auf die der jüngeren Frau. „Euer Verlust dauert mich sehr. Wenn wir euch helfen können, so lasst uns dies wissen.“
Ihre Augen suchten Maura. „Gibt es noch etwas, das ihr fragen wollt, Wohlgeboren?“

´Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.´, dachte die Doctora bei sich. Die Frage der Baronin holte sie endgültig zurück zu dem Gespräch der Frauen. ´Maura, wir sind nicht in Vinsalt. Halt dich da raus. Es gibt wichtigere Dinge. Und die Baronin scheint nicht beunruhigt´, schoss es Maura durch den Kopf. „Ich glaube nicht das es noch weitere Fragen bedarf, euer Hochgeboren.“ Sie strich der Edlen aufmuntert über die Schulter. „Liebste Rahjalinda, ihr musstet viel verkraften. Ich würde euch raten, euch ein wenig auszuruhen und eure Gedanken zu sammeln.“ Die junge Frau nickte. „ Ihr habt recht, Doctora von Altenberg. Wenn ihr mich entschuldigen würdet, Baronin von Rabenstein.“ Schluchzend erhob sich Rahjalinda , verneigte sich kurz und verließ den Raum. Beide Frauen bemerkten den Mann in der Gelehrtenrobe, der der Edlen zügig folgte. Sobald die Tür wieder geschlossen war, griff Maura zum Gebäck. „Was für ein aufregender Nachmittag, findet ihr nicht auch, Hochgeboren?“ In diesem Moment ertönte die Stimme der Baroness vom Nebentisch. „Ha, ich habe euch geschlagen, werter Baronet!“, gefolgt von einem herzliche Lachen.

„Unbedingt, Wohlgeboren.“ Die Rabensteiner Baronin testet den Tee, der mittlerweile kalt geworden war. Egal. Sie wartete, bis Rahjalina sicher außerhalb des Raumes war, ebenso wie der Starkenraster samt Begleitung. „Irgendwas geht mit der Erbfolge der Burg Grötz vor sich – die Starkenraster halten die schon seit Generationen, aber der aktuelle Herr dort ist bislang der letzte in der Erbfolge. Der Ring, den der arme Kerl verschluckt hat, hat irgend etwas mit der Besiegelung der Legitimation zu tun. Doch wenn wir da die Finger hineinbekommen, stechen wir in ein sprichwörtliches Wespennest – und letzten Endes ist dies eine Sache der jeweiligen Lehensinhaber und ihrer Barone. Ich für meinen Teil bin nicht rechtskundig genug, als dass ich mich hier in die vorderste Front wagen würde.“
Sie schüttelte den Kopf, nahm sich ein Gebäckstück und betrachtete Maura. „Wie pflegt ihr so etwas zu halten?“

„Ihr habt absolut Recht. Ich glaube auch das da etwas nicht stimmt. Und mir deucht der verdacht, das die gute Edle auch nicht ganz ehrlich war.“ Maura nahm ein Schluck vom Tee. „Wären wir in Vinsalt und für die Connetablia Criminalis Capitale arbeiten, hätte ich mir die beiden genauer angeschaut.“ Die Doctora lächelte und seufzte zugleich.“ Ach ja. Nun wir sind aber Elenvina und leben ein anderes Leben. Ich glaube wir beide würden ein gutes Gespann abgeben. Meint ihr nicht auch?“ Sie strich sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht. „Mir ist da eine Idee zu einem ganz anderen Thema gekommen. Als wir über unsere Kinder gesprochen haben, ist mir bewusst geworden, das es auch Familientraditionen gibt die gebrochen werden müssen. Wie habt ihr die richtigen Partien für eure Kinder gefunden, Euer Hochgeboren. Und was haltet ihr von Brautschauen?“

„Ich habe nichts dagegen, unseren Austausch fortzusetzen.“ schmunzelte Shanija. „Vorausgesetzt, dass dafür nicht jedesmal ein armer Tropf auf den Rücken des Raben klettern muss.“
Maura lachte kurz auf. „Da hätte ich ganz und gar nichts dagegen. Frau trifft ja selten jemanden, der die gleichen Interessen teilt.“
Die Baronin schob ihren leeren Kuchenteller von sich – zu viel von diesem Naschwerk, und sie würde es über bekommen. „Die Knappeneltern und späteren Heiratspartner meiner Kinder sucht mein Gemahl aus – nach politischen Gesichtspunkten. So gesehen geht er durchaus auf Brautschau – ich halte diese für die einzig gangbare, dem Adel gemäße Lösung. Wo würden wir hinkommen, wenn unsere Kinder selbst entscheiden wollten, wen sie ehelichen?“ Neugierig blickte sie Maura an. „Ihr wünscht dieses Vorgehen nicht tatsächlich in Frage zu stellen, oder?“

„Travia bewahre, auf keinen Fall“, antwortete die Altenbergerin. „Es ist nur so, das die Altenberg so etwas noch nie veranstaltet haben. Und wir haben tatsächlich viele unvermählte in der Familie. Wie ich schon erwähnt hatte, das Haus Altenberg hängt oft einen seltsamen Aberglauben an und ist etwas zurückhaltend mit Entscheidungen. Ich denke es ist Zeit, etwas zu ändern. Und mein Gemahl ist da keine besondere Hilfe.“ Die Doctora wirkte sehr nachdenklich, kurz in Gedanken gefangen, um dann wieder die Aufmerksamkeit wieder auf die Baronin zu lenken. Mit leiser Stimme sprach sie weiter.“ Mir ist gerade eingefallen, das wir der guten Edlen nicht das Pergament zurück gegeben haben. Wenn es euch nicht stört, würde ich es meinem Schwager Tassilo von Altenberg übergeben. Er ist Rechtsgelehrter, der könnte das ihr zurückgeben und ihr Gegenfalls auch rechtliche Hilfe anbieten. Was meint ihr, euer Hochgeboren?“

„Das ist nett von Euch – macht das bitte so.“ Die Baronin schmunzelte. „Und was die Vermählungssache anbelangt – schaut euch die Häuser gut an. Die große Kunst ist es, eine Familie zu finde, die politisch passt – und deren Spross dennoch eurem Kinde zusagt.“ Sie schwieg einen Atemzug lang. „Welchen seltsamen Aberglauben meint ihr? Darf ich fragen?“ Neugierig blitzten ihre Augen.

Die Doctora rollte mit den Augen und lachte kurz auf. „Ja, wo soll ich da bloß anfangen. Ich glaube ich hatte das schon erwähnt, aber das Haus Altenberg steht sehr ablehnend dem Schwerthandwerk gegenüber. Deshalb schicken sie ihre Kinder auch nicht zu Rittern oder Kriegerschulen. Die letzte Altenberg, die an der herzöglichen Knappenschule in Ausbildung war, ist unsere Familienälteste. Sie hat sie allerdings nicht zum Abschluss gebracht, weil wohl irgendein Übel über die Familie kam. Da schweigen sich alle drüber aus. Um es kurz zu machen. Sie glauben, dass es Unglück über die Familie bringt, sollte ein Altenberg zum Schwerte greifen.“ Maura verzog das Gesicht, während sie nachdachte. „Auffallen und Veränderung sind nicht gut, da Altbekanntes sich bewährt hat und deshalb gut ist. Oder sie heiraten nur auf ein Zeichen der Götter hin. Keine politische Entscheidung, auch keine Entscheidung aus dem Herzen, sondern die Götter wählen. Meine Schwägerin Prianna zum Beispiel. Einst wurde sie von der Reflektion der Sonne in einem Schild eines Sonnenlegionäres geblendet. Sie verstand das als Zeichen des Götterfürsten und heiratete den Legionär.“ Die Altenbergerin griff zur Teetasse. „Mein Schwager Hamar von Altenberg heiratete eine Ritterin. Die Geschichte wird wie folgendes erzählt. Seine zukünftige Gemahlin Rondela war zu Besuch in Elenvina und schaute sich den Traviatempel an. Die Tempelgänse liefen wohl gezielt und schnatternd auf sie zu und plötzlich löste sich ihr Schwertgurt und ihr Schwert fiel zu Boden. Hamar war derjenige, der es wieder aufhob. Er war sich sicher, dass es ein Zeichen Travias war.“ Dann schmunzelte sie.“ Ich selbst habe meinen Gemahl bewusstlos am Ufer des Großen Fluss gefunden. Er ist ein Geweihter des Efferd. Nun ja, die Familie sah es als ein Zeichen.“ Jetzt wurde die Doctora wieder ernst. „Die Götter aber haben für die nächste Generation keine Zeichen gesendet, bis jetzt.“ Ein Seufzer folgte. “Ich habe ja in das Haus eingeheiratet und teile nicht alle Ansichten. Zum Glück gibt es einige wenige in der Familie, die ähnlich denken wie ich.“ Das Lächeln fand wieder zurück in ihr Gesicht. „Die Idee, eine Brautschau zu veranstalten und so die richtigen Häuser für unsere Kinder auswählen zu können, gefällt mir. Vielleicht gelingt es mir ja, die Familie zu überzeugen. Dann sollten ihr unbedingt unser Gast sein, Hochgeboren!“

Shanija hatte interessiert der Geschichte gelauscht.
„Vielleicht ist es auch ein bißchen viel von den Göttern verlangt, für jeden Traviabund um ein Zeichen zu bitten – oder zumindest eines zu erhoffen.“ Bot sie schließlich an.
„Eine Veranstaltung, um nach geeigneten Gemahlen Ausschau zu halten, ist zumindest eine erfrischende Idee. Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich Euere Einladung sehr gerne annehmen, Wohlgeboren. Ich werde dieses Jahr auch auf der Einweihung der Nilsitzer Jagdhütte zu Gast sein, habe aber leider noch nicht den genauen Zeitpunkt, wann dies stattfinden wird. Die Zwerge haben sich einige sehr interessante architektonische Lösungen einfallen lassen – ich bin neugierig, wie sich diese im Betrieb auswirken werden, aber sie versprechen einige Neuerungen zu sein, die auch der Rabenstein gut zu Gesicht stünden.“

Jetzt war es an der Doctora interessiert zu lauschen. „Das hört sich sehr spannend an. Wenn ihr Interesse habt, vielleicht könnten wir im Kontakt bleiben. Ihr könntet dann in einen Brief mir davon berichten. Oder wieder einmal bei einem Tee, falls ihr Elenvina wieder besucht. Ich würde mich sehr freuen darüber. Was meint ihr, Frau Baronin?“ Ihr Blick wanderte zu einer der Fenster. Maura stellte fest, das der Regen aufgehört hatte, aber gleichzeitig auch wie spät es jetzt sein musste. „Ach herrje!“, sagte sie etwas überrascht. „Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen, euer Hochgeboren. Mir ist gerade aufgefallen, wie spät es schon geworden ist. Ich hatte der Baroness Perdia von Plötzbogen - Schwertleihe versprochen, ihr heute noch eine Schlafmedizin vorbei zubringen.“

„Dann solltet Ihr eurer Verabredung folgen – es ist nicht gut, Patienten warten zu lassen.“ Shanija erhob sich. „Wir bleiben in Kontakt, Wohlgeboren – und sei es nur auf einen Brief oder einen gemütlichen Tee. Ich freue mich darauf.“

Maura von Altenberg stand ebenfalls auf und verbeugte sich. „Ich freue mich schon auf unsere nächste Studie in Samt und Seide, euer Hochgeboren!“

Nachdem die Baronin das Hotel verlassen hatte, kontrollierte die Doctora den Bestand ihrer Arzneitasche, um sich dann auf dem Weg zur Frau des Stadtvogtes zu machen. Kaum spürte sie die feucht-kühle Abendluft Elenvinas, ließ es sie frösteln. Aber dennoch lief sie frohgemut und mit einem Lächeln auf den Lippen die Gassen herunter, den sie hatte die Gewissheit, eine neue Freundin gewonnen zu haben. ---

Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.IseWeine - 17 Aug 2019