Rahjagarten

Rahjagarten

Eine Vielzahl blühender Pflanzen umwanden zunächst die in sattem Grün erstrahlende Hecke, die den vielfarbig glänzenden Rahjagarten umgab. Lavendel blühte zu Füßen der hohen Rosenstöcke und zwischen all dem gedeihenden Liebreiz standen auf steinernen Sockeln die schönsten Werke der Bildhauerkunst, die im Laufe der Jahre in Obena entstanden waren. Ein Weg aus feinstem Sand führte in einem vollendeten Kreis an all den Skulpturen vorbei. Aus dem Rund heraustretend konnte man unter zwölf von Heckenrosen umrankten Bögen in den hinteren Teil des Gartens gelangen. Hier stand inmitten der blühenden Pracht eine versteckte Laube. Aus Rosenholz passgenau in den Felsen gezimmert und vollständig von wildem Wein umrankt schien sie geradezu zu intimen Stunden zu zweit einzuladen. Eine junge Dienerin mit dunklen, dichten Locken und einem liebreizenden Gesicht, umhüllt nur von luftigen, rotschimmernden Seidengewändern, flanierte mit einem Tablett duftender Süßigkeiten den Weg entlang, um sie den Gästen anzubieten. Außerdem schenkte dort der zweite Hofkaplan, ein etwa dreißigjähriger Rahjageweihter, lächelnd süßen roten Wein aus einer silbernen Karaffe aus, wenn er darum gebeten wurde.

In traumwandlerischer Sicherheit flanierte der albenhuser Tempelvorsteher durch den Garten und das obwohl er noch nie in Eisenstein gewesen war. Tief atmete er den Duft der Blüten ein und ließ die rahjagegebene Schönheit Deres auf sich einwirken. „Seid gegrüßt Bruder, was für einen Tropfen schenkt ihr denn aus?“, eröffnete er mit einer vor Fröhlichkeit übersprudelnden und wohlklingenden Stimme.

Rahjan Bader war seit einigen Monden Hofkaplan in Eisenstein. Er sollte dem Tempel vorstehen, den der Baron zu gründen gedachte. So lange wollte er sich in der Baronie heimisch machen und die alternde Praiotin in ihren seelsorgerischen Tätigkeiten unterstützen. Der Mann war groß und trug luftige, eher ungewöhnliche Kleidung für diese Region des Mittelreichs. Seine blonden, lockigen Haare hatte er sich im Nacken gebunden und seine sanften braunen Augen musterten Tassilo interessiert.

„Ich habe mehrere im Angebot. Dies hier ist ein klarer Rotwein von reifem, satten Rubinrot. Wenn ihr das Buket in eure Nase steigen lasst, bemerkt ihr die kräftige, wenngleich nicht ganz reintönige Qualität. Doch das würzige Aroma überzeugt am Gaumen, das kann ich euch versprechen. Rassige Säure – Perfekte Trinkreife. Nicht enden wollender holzbetonter Abgang.

Sollten euch eher die fruchtigen Aromen ansprechen, so habe ich auch einen klaren, jungen Roten im Angebot. Angenehme Qualität mit dem Aroma von Kirsche und Rose. Schwache Struktur, aber milde Säure. Keine sehr dominante, aber bestens balancierte Harmonie.“ Er lächelte. „Ich kann euch auch einen Weißwein bieten, aber ich persönlich finde ihn etwas fehlerhaft und seine Intensität verhalten. Etwas zu floral um ausgewogen zu sein.“ Fragend schaute er den anderen an.

„Ich muss gestehen, die Wahl fällt mir nicht leicht“. Mit einem Auflachen, das gleichermaßen mitreißend und warmherzig war, traf Tassilo jedoch schnell seine Wahl: „Im Augenblick ist mir nach etwas F ruchtige m, die anderen Tropfen probiere ich gern später.“

Herzlich lachend sah er Rahjan erwartungsvoll beim Einschenken des Weines zu.

Bevor Rozen den Garten betrat, ließ sie den Anblick erst einmal auf sich wirken. Die Anordnung der Skulpturen harmonierte gut mit der feinen Akzentsetzung durch die Blumen. Obwohl künstlich angelegt, wirkte das Bild natürlich, in sich stimmig. Hier hatte jemand mit Sinn für Schönheit gestaltet.

Kaum hatte Rozen den Pfad betreten und das kitzelnde Knirschen des Sandes unter ihren Schuhen wahrgenommen, da trat auch schon die Dienerin an sie heran und reichte ihr das Tablett mit den Süßigkeiten entgegen: „Hochwürden, wünscht Ihr eine kleine Stärkung?“ Rozen lächelte der jungen Frau freundlich entgegen: „Oh, das ist sehr aufmerksam. Sehr gerne, danke.“ Mit Achtsamkeit wählte Rozen eine der lecker aussehenden Köstlichkeiten vom Tablett. Zunächst nahm sie den Geruch war – süßer Honig, Mandeln, Rosenwasser, perfekt gebackener Teig – die feine Nase Rozens unterschied die einzelnen Komponenten, doch Rozens Sinne erfassten die Gesamtkomposition mit Freude. Dann führte sie das Stückchen zum Mund, genoss die Vorfreude, die Erwartung auf das kommende Erleben. Schließlich schloss sie genüsslich die Augen und biss in das süße Stückchen. „Hm, welch ein Genuss.“ Entfuhr es ihr, als sie die Augen wieder öffnete, nachdem der Bissen vergangen war. „Bitte, richte dem Koch oder der Köchin mein Lob aus.“ „Das werde ich,“ erwiderte die Dienerin erfreut. „Bitte, nehmt euch doch noch ein Stück.“ Rozen lachte: „Na, da kann ich nicht wiederstehen…“ Sie griff noch einmal zu und ging dann weiter den besandeten Weg entlang und schloss zu den beiden anderen Rahjageweihten auf.

„Möchtet ihr auch etwas Wein probieren.“ Und erneut erläuterte Rajhan die Vor- und Nachteile der Weine, die er in einem kleinen Körbchen mit sich trug.

Der albenhuser Tempelvorsteher war sichtlich erfreut, so viele Diener seiner Göttin hier versammelt zu sehen – Geweihte, die nicht mit ihm im gleichen Göttinnenhaus dienten. Während der erneuten Erläuterung des Angebotes hatte Tassilo noch einen genießerischen Schluck aus seinem Kelch genommen, den er sogleich auch als äußerst schmackhaft weiterempfahl.

„Dann schließe ich mich euch gerne an.“ Erwiderte Rozen mit einem bezaubernden Lächeln. „Ich bin Rozen, die Vorsteherin des Tempels der Schönen im albernischen Orbatal. Wen hat unsere Herrin denn noch an diesen wunderbaren Ort entsendet?!“

Die Arme zur Seite gestreckt verbeugte sich Tassilo formvollendet in Richtung Rozens: „Tassilo Timerlain, sehr erfreut Eure Bekanntschaft zu machen Schwester. Wie auch Ihr stehe ich einer der Hallen unserer Herrin vor, um genau zu sei dem Rosentempel in Albenhus.“ Sanft umschmeichelte seine Stimme das Ohr seiner Zuhörer, doch auch beim Rest hatte Rahja nicht mit ihrer Gunst gegeizt. Sein langes, dunkles Haar hing seidig glatt herunter und sein wohlgeformter Leib war in dem weiten Hemd aus durchscheinenden Stoff mehr als nur zu erahnen, genauso wie das Zeichen seiner Weihe vom Oberarm sich bis auf die Brust erstreckte. „Darf man fragen wie es kommt, da s s es Euch aus dem albernischen hierher verschlägt?“

„Das dürft Ihr gerne, lieber Tassilo.“ Mit einem reizenden Lächeln nahm Rozen einen der Becher und ließ sich von Tassilo Wein einschenken. „Es ist eigentlich ganz einfach – uns erreichte eine Einladung, der wir in diesem Jahr endlich folgen konnten. Meine Novizen haben sich inzwischen fast alle den Weihen der Schönen verschrieben, so kann ich unser Haus getrost in ihren Händen lassen. Es sind ja nur ein paar Tage. Diese Erfahrung wird lehrreich für sie sein.“

„Ich denke dieses Fest wird für jeden von uns eine lehrreiche und angenehme Erfahrung werden. Viel zu selten erlebt man es, das unserer Herrin dergleichen gewidmet wird.“

Fast schon klang er für einen Augenblick etwas betrübt, doch dies legte sich schnell wieder. „Wir sollten diese Gelegenheit nutzen, der schönen Göttin und der schönen Künste huldigen, wo immer sich die Gelegenheit bietet.“

Fröhlich auflachend nahm er einen weiteren kleinen Schluck aus seinem Kelch und genoss das sich entfaltende Aroma des Weins. „Ich muss schon sagen, dies ist wirklich ein sehr angenehmer Tropfen...“

Ein Moment der Stille trat in das Gespräch der drei Rahjadiener, doch es war kein achtsame, genießende Stille. Alle drei spürten: etwas geschah. Etwas, dass sie innehalten ließ, erschaudern. Etwas … Schreckliches? Etwas Schönes? Die Blicke der Drei trafen sich unwillkürlich.

Ihm war bewusst, dass diese Feier seiner Herrin zu Ehren gehalten wurde, dennoch hatte er nicht erwartet, etwas Derartiges hier zu erleben. Wenn auf dem Höhepunkt der Festivität, aber doch nicht jetzt, wenn alle noch eintrafen…

„Maeve!“ seufzte Rozen auf. Der halbleere Becher fiel ihr aus der Hand, seinen kostbaren Inhalt auf den Boden ergießend. Ohne darauf zu achten floh Rozen zurück in Richtung de r Tsawiese und des Firunstiegs.

Etwas verwirrt stellte Tassilo seinen Kelch ab und eilte anschließend Rozen hinterher. Nicht wissend wer diese Maeve war, doch schien die albernische Schwester im Glauben zu wissen oder zumindest zu ahnen, was soeben geschehen war. ---

Kategorie: Briefspielgeschichte

-- Main.CatrinGrunewald - 11 Dec 2018