Quo Vadis, Lapis Tristis?


Autor: StLinnart

Zeit: Boron 1043 BF

Ort: Elenvina

Kurzbeschreibung: Im Stadthaus der Familie vom Traurigen Stein zu Elenvina macht man sich Gedanken um die Familie und die Zukunft.

Dramatis Personae:


Elenvina, Boron 1043 BF:

Wiederholtes Fluchen schallte durch die witterungsbedingt menschenleeren Gassen Elenvinas. Der Herr Efferd spendete unaufhörlich seinen Segen und verwandelte die Straßen und Wege der Capitale in schlammig-rutschige Pisten. Über eben jenen Untergrund bewegte sich eine schmale Gestalt, gehüllt in einen langen, dunklen Kapuzenmantel, vom neuen Tempel der Rahja kommend, am Nordmarkentor vorbei in Richtung des Herzog-Garhelm-Bogens. Doch war eben jenes Monument nicht das Ziel ihrer Reise, nein, es war ein hübsches Stadthaus ganz in dessen Nähe. Die Frau war in der Vergangenheit öfters hier gewesen und nun schon länger nicht mehr, dennoch wollte sich in ihr keine wirkliche Wiedersehensfreude einstellen.

Sie wurde bereits erwartet, soviel war offensichtlich. Eine junge Dienstmagd öffnete das schwere, eichene Portal ins Haus, aus dem ihr sogleich wohlig warme Luft entgegen strömte. Wie es schien war das Haus der Familie seit längerem wieder durchgehend bewohnt gewesen. Auch die Lichter aus den, der Herzogenpromenade zugewandten Butzenglasfenstern sprachen eindeutig für ihren ersten Eindruck. Immer noch über das Wetter murrend streifte sie sich den Mantel ab und ließ ihn vor den ausgestreckten Armen der Magd achtlos auf den Boden fallen.

“Wo ist er?”, fragte die optische Mittdreißigerin, ohne das verdutzte Mädchen eines Blickes zu würdigen. Als keine Antwort folgte, ließ sie ein verächtliches Schnauben folgen. “Arbeitszimmer?” Nun lagen die dunklen Augen der neu angekommenen Dame erstmalig auf ihrem Gegenüber. Ihr Antlitz wirkte, gleich einer Statue, kalt und emotionslos. Den schlanken Körper kleidete sie in ein eng geschnittenes, langes Kleid aus rotem und schwarzem Stoff. Eine sehr mutige Farbwahl in einer so praiosfrommen Stadt wie Elenvina - doch eben auch eine, die sehr gut zum Rest ihres Aussehens passte; langes rabenschwarzes Haar, blasse Haut, kirschrote Lippen, sowie schwarz lackierte Finger- und Fußnägel. Inzwischen hatte die Unbekannte nämlich auch ihre nassen Stiefel ausgezogen und setzte, nach einem Nicken der Dienstmagd, ihren Weg alleine und barfuß fort.

Sie wusste schließlich wo er sich verkrochen hatte. Der Weg durch das schön renovierte und edel möblierte Haus hin zu ihrem Ziel war kein langer. Ohne zu klopfen trat sie in das Zimmer ein, in dem ein Mann an einem großen, dunklen Sekretär saß und ihre Ankunft bloß mit einem kurzen Hochblicken von seiner Arbeit würdigte.

Erst als die Frau direkt vor seinem Schreibtisch stand, erhob sich Rahjaman vom Traurigen Stein und lächelte dem Neuankömmling grüßend zu. “Ah, schön dich zu sehen … Tante …”

Die Angesprochene erwiderte das Lächeln nicht. Ohne sichtbare Regung im Gesicht zog sie ein zusammengerolltes Bündel Büttenpapier aus ihrer Umhängetasche und warf sie vor dem Mann auf den Tisch. “Wie von dir gewünscht …”, ließ sie unbeeindruckt folgen, “... du willst das nun wirklich durchziehen?”

Rahjaman ging erst nicht auf die Frage ein, entrollte stattdessen das Bündel und begann hektisch darin zu wühlen. “Seeeehr gut”, meinte er anerkennend, dann wandte er sich wieder der Frau zu, die immer noch stand. “Setz dich, die Steherei macht mich nervös.” Es sollte ihre Anwesenheit ansich sein, die ihn nervös machte - das Stehen wirkte dazu noch eskalierend.

Nur widerwillig kam sie dieser Aufforderung nach. Sie strich sich ihre rabenschwarzen Haare glatt und musterte ihn aus ausdruckslosen Augen. “Ich dachte mir schon, dass dir das gefällt, dabei kennst du das gewinnbringenste Dokument noch gar nicht.”

“So?”, fragte der Junker lauernd.

“Ja, ein Ehevertrag. Haldans Ehevertrag … Thymon muss ihn nur noch unterzeichnen”, sie schmiss ihm ein weiteres Stück Papier zu. “Die Großmutter der Braut hat das für die Familie der Braut bereits getan. Ich denke, dass unser Haus sehr gut dabei aussteigt.”

Den Traurigsteiner traf diese Neuigkeit unvorbereitet. Haldan war der Erstgeborene seiner Schwester, der im Horasreich geboren war und seine Eltern beim Thorwaler Überfall auf die Seestute 1022 BF verlor. Sein Bruder Thymon hatte sich ihm angenommen, ihn als Mündel aufgenommen und als seinen Knappen ausgebildet. Erst vor zwei Monden machte sich Haldan wieder ins Horasreich auf. Umso überraschender waren die jetzigen Neuigkeiten. Rahjaman überflog das Dokument. “Rizzi …”, murmelte er und hing dabei einem Gedanken nach, “... ich erinnere mich. Diese Travietta war auf meiner Hochzeit. Eine junge Bekannte meiner Frau.” Und natürlich kannte er auch den Bruder des Braut … diesen Travingo, genauso wie Rahjaman auch wusste, dass seine Frau diesen jungen Mann wohl immer noch liebte und mit Aquilia die Frucht dessen Lenden unter seinem Dach saß. “Schön.”

“Schön?”, meinte sein Gegenüber in einem höhnischen Unterton. “Das ist großartig. Eine der reichen Familien im Yaquirbruch und Travietta ist die designierte Erbin. Die haben Land am Zusammenfluss von Uras und Yaquir, größere Teile der Stadt Unterfels stehen de facto auf ihrem Besitz, den sie gewinnbringend verpachten … neben den Hotels und Gaststätten, die sie betreiben. Ja, nicht nur das … was man so hört kontrollieren sie die Gilde der Gastwirte in dieser Gegend und dass dies, direkt am Yaquirsteg, der das Alte und das Neue Reich verbindet, eine gute Sache ist, wird dir wohl bewusst sein?”

“Jaja …”, Rahjaman schnaubte, “... wie kommt er dann zu dieser Ehre?”

“Durch dich”, amüsierte sie sich. “Auf deiner Hochzeit haben sich die beiden kennengelernt und Haldan hat dann um diese Travietta gefreit. Welcher Dämon genau die Familie dann geritten hat, den Bund zu akzeptieren, weiß ich nicht. Soll mir aber recht sein. Ich habe die Verhandlungen geführt.”

"Hattest du denn überhaupt eine Vollmacht dafür? Hätte nicht Thymon …"

Ein Schnauben unterbrach seine Frage. "Ach bitte ... als würde ich so etwas brauchen. Von Seiten der Braut und Haldans wurde ich als Wortführerin für unsere Seite akzeptiert."

“Gut …”, entgegnete Rahjaman ihr resignierend, “... das ist in der Tat erfreulich. Es scheint als blicken die Götter wohlgefällig auf uns herab. Auch Linnart und Rahjalind sind nun …”

“... verlobt, ja …”, fiel sie ihm wieder ins Wort, “... ich hab davon gehört. Wiewohl ich mit der Enkelin Elvas von Altenberg nicht unbedingt glücklich bin.” Nun schien es als würde der Anflug eines Lächelns über ihre Lippen huschen. “Wir kennen uns von früher. Ist jetzt auch schon wieder beinahe 50 Sommer her ... ach wie die Zeit vergeht.”

“Ah …”, der Junker öffnete seinen Mund, empfand dann jedoch, dass er es wohl nicht so genau wissen wollte. “Ich denke nicht, dass sich die beiden besonders ähnlich sind.”

“Das will ich hoffen …”, die optisch junge Dame in schwarz und rot kaute für einen Moment an ihrer Unterlippe, “... Linnart …”, wechselte sie dann das Thema, “... wie geht es ihm? Er macht sich habe ich gehört. Habe ihn nicht mehr gesehen seit er ein kleiner Junge war.”

Rahjaman lächelte. “Du erwartest doch nicht etwa, dass ich dem Bannstrahler seine …”, er brach ab und kniff fragend seine Augen zusammen, “... 70-Jährige …”, nach einem knappen Nicken ihrerseits, fuhr er fort, “... Großtante Frenya vorstelle, die kaum älter aussieht als er selbst?”

“Du warst schon immer ein Charmeur, Rahjaman …”, gab sie gespielt lächelnd zurück, “... nein, natürlich nicht ... es freut mich nur zu sehen, dass die Familie ihren Horizont erweiterte. Dass die Sippe nun nicht mehr nur den Kontakt zur hier unbedeutenden Rahjakirche sucht und selbstverliebt auf ihrem Weingut sitzt. Wem sind die Bannstrahler denn eingefallen?”

“Es war Addas Idee … auch und gerade weil ihr Onkel eine hohe Position im Orden bekleidet und sich diesen Umstand auch Linnart zunutze machen konnte …”, der Mann schmunzelte, “... nun ja, sagen wir anders, er hat Menschen in seiner Familie, die dafür sorgten, dass es ihm zum Vorteil gereicht.”

Frenya lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Ihre Augen funkelten. “Adda … ja, dass sie damals eine gute Wahl für deinen Bruder war, wurde mir schon klar, als sie noch als junges Mädchen auf der Halburg diente. Die Frau hat ein Gespür für richtige Entscheidungen … wie du übrigens auch, mein Lieber.”

“So?”

“Ja natürlich …”, sie wies auf die Papiere auf seinem Tisch, “... dir deine Kontakte nach Almada und ins Horasreich zunutze zu machen und mit neu angebahnten Geschäften die Familie im Patriziat der Hauptstadt positionieren zu wollen ist intelligent. Diejenigen deiner Kontakte, mit denen ich gesprochen habe, waren allesamt angetan davon, dass ihnen der nordmärker Markt auf diese Art und Weise eröffnet wird. Es gibt alleine hier in Elenvina 700 Adelige und noch viel mehr Menschen, die Gold besitzen. Es ist nicht zu unterschätzen.”

Rahjaman nahm das Lob seines Gegenübers nur sehr vorsichtig an. “Aber auch ein Risiko”, meinte er reserviert.

“Ach …”, Frenya begegnete seinem Zweifel mit einer abwinkenden Handgeste, “... wer nichts wagt, der nichts gewinnt.” Ihr Blick ging abermals hin zu den Dokumenten. “Sieh doch mal an wen du als Geschäftspartner gewinnen konntest. Die Baltaris und Aranoris … niemand hier wird feinere Düfte verkaufen … den Brokat der Macatos, Bausch von den Ilsurern … Glas und Geschmeide der Desterzias … und über die Montazzis hast du gar Zugriff auf Waren aus Südaventurien. Dazu der Wein … unserer und für die anspruchsvollen Zungen den aus der Coverna. Das wird ein Selbstläufer.”

“Wenn du das sagst …”, die rechte Braue des Traurigsteiners wanderte nach oben. Er wusste, dass es nicht so einfach werden würde sich hier zu etablieren. Elenvina war ein hartes und umkämpftes Pflaster.

“Ja … und du hast nun auch Verstärkung in der Hauptstadt bekommen.”

“Redest du von Valeria?” Der Junker lachte auf - nicht höhnisch, sondern ehrlich amüsiert. “Ist das dein Ernst? Interessiert sie sich überhaupt für etwas anderes als ihr Spiegelbild?”

“Unterschätze die Kleine nicht …”, erwiderte Frenya scharf, “... sie ist viel mehr als sie zu sein scheint. Binde sie mehr in die Familie ein, es wird sich auszahlen.”

Rahjaman musterte seine Tante skeptisch. Nicht einmal er wusste wer oder was sie genau war … und ehrlich gesagt wollte er es auch nicht wissen. Was er wusste war, dass sie Intelligenz und Weisheit besaß und dass ihr Wort für ihn einiges an Gewicht hatte. Wenn Frenya vom Traurigen Stein einen Ratschlag erteilte, dann hörte er hin. Und das obwohl sie sich irgendwo in Chababien versteckt hielt und nie den Kontakt zu anderen Familienmitgliedern als ihm suchte. “In Ordnung. Wir werden demnächst die Eröffnung unseres Gewerbes hier in der Hauptstadt mit einem Bankett feiern. Ich werde ihr die Leitung der Zeremonie übertragen. Sie ist eine Rahjiani aus Belhanka, es sollte ihr ein leichtes sein den Gästen einen unvergesslichen Abend zu bereiten.”

“Schön …”, antwortete Frenya nun wieder emotionslos, “... dann war es das von meiner Seite.” Sie erhob sich aus ihrem Stuhl, nickte ihm knapp zu und ging hin zur Tür.

“Tante …”, Rahjaman wartete bis sie sich zu ihm umgewandt hatte, “... danke. Für alles.” Als Antwort folgte abermals der leichte Anflug eines Lächelns. Ja, es war dem Junker bewusst, dass dereinst der Tag kommen mag, an dem Frenya ihren Preis dafür fordern würde und es blieb ihm nur zu hoffen, dass dieser noch in weiter Zukunft lag.

-Fin-