Quindan

Quindan

Der Mann sah alt aus. Verbraucht. Verwahrlost. Sein Bart hatte mit Sicherheit seit Wochen keine, Bürste geschweige denn Klinge gesehen und sein dünnes, graues Haar fiel ihm in langen, fizzeligen Strähnen in die Augen. Diese schauten den Ankommenden blutunterlaufen und verquollen entgegen. Leicht resigniert zog er einen Mundwinkel in die Höhe. „Ise.“ Mehr sagte er nicht. Nur ihren Namen. Und der alten Geweihten traten wieder Tränen in die Augen. Sie fühlte sich wie eine Verräterin und doch…. Er hatte all das verraten, an das sie beide immer geglaubt hatten, wenn ihre Schlussfolgerungen richtig waren.

Rhys blieb etwas abseits stehen und verschränkte die Arme. Er war offensichtlich nicht gewillt, Wort zu führen. [Rhys]

Verema war genervt, dieser Magier war nur ein schwacher Abklatsch des Mannes, an den er sie erinnert hatte. Sie schob ihn in Richtung der erbärmlichen Gestalt. „Jetzt macht schon, wir wollen hier doch nicht ewig rumstehen!"(Verema)

„Bitte?“ Die Stimme des Magus klang empört. Dafür sprach auch, dass es diesmal sogar beide Augenbrauen waren, die beängstigend weit nach oben gewandert waren.

„Glaubt ihr ernsthaft, ich ergreife noch einmal die Initiative, nachdem mir unmissverständlich klargemacht wurde, dass meine Mittel missbilligt werden? Lasst mich kurz nachdenken…“

Rhys kratzte sich in einer schauspielerisch grandiosen Leistung an das Kinn und mimte den Nachsinnenden. „Nein“, befand er schließlich. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir einer von euch beigestanden hätte in dieser ‚Diskussion‘. [Rhys]

Sie verzichtete nicht darauf, mit den Augen zu rollen. „Eingeschnappt und beleidigt, was für ein Mann!“ Dann schob sie den Magus erneut, diesmal aber aus dem Weg und ging auf den Schuldigen zu. „Es ist, wie es ist. Macht es uns nicht noch schwerer und kommt mit. Ein Gericht wird über alles weiter entscheiden.“

Ihre Miene war starr und ohne Gefühlsäußerungen geblieben, wie sie darüber dachte, wusste keiner, doch es gab Dinge, die man nun nicht mehr ändern konnte und die nicht in ihrer Hand lagen. (Verema)

Ise hatte sich zwischenzeitlich zu ihrem Freund gesetzt und ihre Hand mit der seinen verwoben. Leise Worte waren zwischen den beiden Tsa-Geweihten geflossen. Und als Verema nun auf sie zuschritt, traten wieder Tränen in die Augen der alten Frau. Sanft löste er seine Hand aus der ihren und erhob sich. Seine Augen ruhten beruhigend und freundlich auf der Freundin, als er ihr über das Haar strich und ihr kurz noch einmal den Mann zeigte, der er wohl einmal gewesen war.

Dann drehte er sich zu der Almadanerin um. Sein Blick schweifte über die Gruppe, leer und trostlos. Kurz verharrte er als er die beiden Töchter des Barons erreichte, um letztendlich wieder bei Verema innezuhalten. Er nickte und setzte sich in Bewegung. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er an der Gruppe vorbei.

Ise winkte Yolde zu sich und sprach leise Worte mit der jungen Frau, die merklich unzufrieden war mit dem Gehörten, und sich dann widerstrebend anschickte, Quindan zu folgen, während Ise auf der Bank verharrte und ihr traurig nachblickte.

Maeve schüttelte den Kopf angesichts der unnötig harten Worte Veremas, die bisher so gar nichts beigetragen hatte. Gleiches galt auch für Tassilo, den Geweihten der Lieblichen, der viel mehr noch als sie selbst doch der Harmonie verpflichtet sein musste? Besonders erstaunlich jedoch schien die Schweigsamkeit des Ritters an der Seite des Geweihten – vorhin hatte er sich noch maßlos aufgeregt, den Verlust seiner Base herausgekehrt und nun begegnete er dem Mann, der das Blut der Eisensteiner vergossen haben sollte, schweigsam? Er schien ihr genauso falsch und wankelmütig wie der Magier – die Liebliche verlangte viel von ihr, vielleicht zu viel. Wie sollte in all dem Harmonie entstehen? (Maeve)

Während die anderen noch zögerten, etwas zu tun, setzte sich Maeve an Ises Seite und ergriff die Hand der Tsa-Geweihten. Leise fragte sie: „Seid Ihr so sehr von Quindans Schuld überzeugt, dass Ihr ihn ziehen lasst? Er wirkt so betagt und gebrechlich, dass er doch unmöglich ins Schloss gegangen sein kann, um all das zu tun, was ihm vorgeworfen worden ist?“ (Maeve)

Ises Hand war warm und fühlte sich an, wie in die Jahre gekommenes, brüchiges Pergament. Zärtlich berührten ihre Finger die um so viele Götterläufe jüngeren der Albernierin. „Trauer und Hass sind manchmal viel mächtiger als wir zu glauben wagen, Maeve.“

Sie atmete schwer: „Hüte dich einen Menschen nach einer Begegnung, einer Tat oder einem einzelnen Eindruck zu beurteilen oder…“ ihr Blick schweifte über die Gruppe hinauf Richtung Obena;“ … oder zu verurteilen.“ Ein tiefer Seufzer entfuhr ihrer Kehle und Tränen stiegen in die alten Augen und Maeve war nicht völlig sicher, ob die betagte Nordmärkerin zu ihr oder zu sich selbst gesprochen hatte. Leise flüsterte sie: „Manchmal, Maeve, auch wenn du das merkwürdig findest: Manchmal sind Dinge genauso wie sie scheinen. Und manchmal sind die selben Dinge zur gleichen Zeit völlig anders als sie scheinen.“

Verwirrt von soviel Weisheit blickte Maeve die alte Geweihte an, (Maeve)

die ihrerseits nun der jungen Rahjapriesterin aufmunternd zulächelte und auf die anderen deutete, damit die Albernierin der Gruppe folgte. Die junge Novizin beugte sich vor und küsste Ise die Stirn: „Gebt acht auf Euch!“ Dann erhob sie sich, nickte der Tsa-Geweihten zum Abschied zu.

Erst nach den ersten Schritten wandte sie sich nochmals um: „Kommt Ihr später nach, Euer Gnaden?“ (Maeve)

Ise lächelte nur. Ihrem Nicken folgte ein Zucken ihrer Schultern.

Maeve nickte der alten Geweihten mit vor Tränen glänzenden Augen zu und beeilte sich zu den anderen aufzuschließen, die sich bereits etwas von der Hütte entfernt hatten. (Maeve)

Von beherrschtem Zorn durchdrungen stapfte Baldos schweigsam weiter bis zur Hütte und stieß unsanft die Tür des kleinen Hauses auf. Dieses Häuflein Elend von einem gebrochenen Mann zu stellen, war keine Herausforderung mehr. Konnte dieser Mann den Bolzen abgefeuert haben? Sollte es dann nicht auch Beweise für diese Tat geben? Irgendeinen Beweis der die Beteiligung Quindans bestätigte. Aufgewühlt vom in ihm lodernden Zorn ließ er deshalb seinen Blick durch das Innere der kleinen Hütte schweifen. (Baldos)

Sein Blick offenbarte eine schmutzige, unaufgeräumte Behausung, einige Mäuse, die sich auf einem wurmstichigen Tisch über Käsereste und Brotkrümel hermachten. Einzig einige an der äußeren Hauswand lehnenden Äste, die mit unerwarteter Präzision abgeschliffen waren und alle exakt dieselbe Länge zu haben schienen, deuteten Waffennutzung an.

Eine versiffte Bruchbude, eindeutig kein Ort an dem man leben möchte. Zielstrebig schritt Ritter Baldos seinem neuen Ziel entgegen, auf die an der Außenwand lehnenden Äste. Einen von ihnen klaubte er auf und besah ihn sich sehr genau. Kein Meisterwerk, aber durchaus eine solide Grundlage um als Pfeil gelten zu können. Handelte es sich bei dem Pfeil, der den Baron niedergestreckt hatte, um einen ähnlichen? Gleicher Machart? Hatte Quindan mit diesen Pfeilen das schießen geübt oder hatte er sich nur zum Wildern gebraucht? Sein Fundstück weiterhin in der Hand haltend, ließ der junge Rittersmann erneut seinen Blick schweifen. Würde er auch den Bogen zu diesen Pfeilen hier finden oder eine Zielscheibe mit deren Hilfe Quindan seine Fähigkeiten verfeinert hatte? (Baldos)

Nach einer eiligen Untersuchung der näheren Umgebung konnte Baldos nichts weiter zu Tage fördern als einige alte Sehnen und einen Baum der offensichtlich als Zielscheibe hatte dienen müssen. Von der gesuchten Waffe sollte jedoch auch weiterhin jede Spur fehlen. (Baldos)

Derweil suchte noch immer Tassilo seine innere Ruhe. Noch immer bemühte er sich, seine Gedanken zu ordnen. Noch immer versuchte er die beiden Welten, die sich in ihm vereinten, in Einklang zu bringen.

Harmonie, Fürsorge und Gleichklang im Namen der Schönen Göttin, während seine hochadlige Geburt ihn zu Ordnung, Gerechtigkeit und Führung verpflichte. Im Tempel-Alltag stieß man nicht auf derartige Situationen, er war erfüllend und wies zugleich Ordnung auf. Probleme wie dieses hier gelangten nicht in sein Haus, sie gingen in der Stadtwache, im Rondra- oder Praios-Tempel ein – das waren Orte an denen man sich dieser Dinge annahm.

„Warum?“ rief er laut. „Was treibt einen Anhänger der Jungen Göttin zu einer derartigen Tat?“ (Tassilo)

"Weil er verblendet seiner eigenen Überzeugung gefolgt ist, nicht sehend, dass sie der götter-gewollten Ordnung widerspricht. Er hat die Dogmen der Herrin TSA ad absurdum geführt.", grummelte Lares, die Fäuste in den Taschen geballt. Ihm stand es (noch) nicht zu zu urteilen. Aber eine Meinung würde ihm ja gerade noch zustehen. Er stapfte hinter Tassilo hinterdrein, um sicherzugehen, dass der alte Greis seinen Pfad auch nicht verlassen würde. Die Zeit für große Fragen war jetzt nicht - diese würde der Baron in seinem Gerichtssaal sprechen oder er würde diese Ehre der kirchlichen Justiz überlassen. (Lares)

Ein angewidertes Schnauben ertönte von Yolde, die dabei war, sich zu Quindan zu gesellen, der auf dem Pfad wartete, der den Berg hinaufführte. „Tsas Dogmen ad absurdum führen. Ein Widerspruch in einem Widerspruch. Könnt ihr euch nicht vorstellen, dass man keine Dogmen braucht? Keine unbrechbaren Regeln? Keine…“ Sie war in ihrem Reden wieder lauter, aggressiver geworden, bis sie Quindans Hand auf ihrem Arm spürte und sich fast erschrocken umwandte. Der Tsageweihte schüttelte nur sanft den Kopf. Und Yolde blieb in diesem Moment wirklich eins. Still.

Als der Großteil der Gruppe zum Pfad nach Obena aufgeschlossen hatte, schickte sich der ältere Tsageweihte an, weiter zu gehen. Yolde folgte ihm, noch einen giftigen Blick auf Prianna und Rhys werfend, die sich beide, ebenso wie Lares in der Nähe des Kindes aufhielten.

Ganz am Ende der kleinen Gruppe - mit einiger Entfernung folgten Baldos und die junge Rahjani den anderen, die sich anschickten, aufzuschließen.

Da Maeve kleiner als der Ritter war, kam dieser bald an sie heran: „Habt Ihr etwas in der Hütte gefunden?“, fragte die Novizin in bemüht neutralem Tonfall. (Maeve)

Mit nüchternen Worten beschrieb der so Gefragte den Zustand der Hütte und machte dabei keinen Hehl daraus, dass diese eigentlich kaum mehr als ein schimmelndes Loch war.

„An die Außenwand gelehnt fanden sich jedoch einige primitive Pfeile. Auch wenn ich es nicht mit Sicherheit sagen kann, wurden diese wahrscheinlich zum Üben genutzt – zumindest deutet der Zustand eines nahen Baumes und die dort liegenden, gerissenen Sehnen dergleichen an.“

Die Absicht hinter diesen Übungen konnte Baldos jedoch nicht erahnen, der abgefeuerte Schuss auf den Baron konnte genauso wie die eigentlich verbotene Jagd auf Wild das Ziel gewesen sein. (Baldos)

„Ich kann nicht glauben, dass er damit auf etwas Lebendiges geschossen hat“, stieß Maeve hervor und schob eingedenk der Worte Ises leiser und schuldbewusst hinterher: „Quindan scheint alt und gebrechlich zu sein, kaum in der Lage...“, sie brach ab und schwieg. (Maeve)

„Ich habe nicht gesagt, dass er dafür geübt haben mag, denn Beweise dafür konnte ich keine finden, doch lasst euch gesagt sein, dass der Schein von Gebrechlichkeit trügen kann.“

Es brauchte keine dicken Muskeln um einen Bogen zu spannen, verborgen unter den Kleidern dieses alten Mannes konnte sich noch immer sehnige, wohltrainierte Arme verbergen. Aus persönlicher Erfahrung wusste Baldos nur zu gut, dass ein erfahrener Kämpfer einem jüngeren, allzu ungestüm drauflos dreschenden Kontrahenten durch Erfahrung und Geschick mit Leichtigkeit überwinden konnte. (Baldos)

Verwirrt blickte Maeve nun doch direkt den Ritter an, da er eben noch genau das gesagt hatte - das geübt worden war. Schon wollte sie aufbegehren, als sie innehielt und stattdessen fragte: „Waren es kurze oder lange Pfeile? Ich glaube nicht, dass ich ohne weiteres einen Albernischen Langbogen spannen könnte“. (Maeve)

Es war nicht an ihm darüber zu urteilen, ob die vorgefundene Szenerie am Haus die Schuld des Alten bestätigte. Es war nicht an ihm, über ihn zu richten. Für die von Quindan gestandene Tat, verurteilte er diesen. Zog er hingegen ausschließlich die ‚Beweise‘ vom Haus heran, konnte er wenn überhaupt nur Verdächtigungen anstellen. Er hatte nur Stöcke finden können, Stöcke aus denen man einen Pfeil herstellen konnte – der ungefähr die Länge des abgeschossenen Pfeils entsprach.

Von einem Bogen war bisher jedoch noch immer keine Spur, also hielt sich Baldos bei seiner Antwort an das, was er mit eigenen Augen hatte sehen können. „Ihr würdet euch wundern, nicht jeder Bogenschütze sieht übermäßig kräftig aus und vermag dennoch den Bogen für einen tödlichen Schuss zu spannen. Doch zu eurer Frage, die gefundenen Rohlinge passen von der Länge zum blutbesudelten Pfeil im Bunten Schloss.“ (Baldos)

Maeve nickte langsam und schloss leise: „Aber nicht jeder, der nur die Sehne loslässt, trifft auch sein Ziel… nicht wahr?“ (Maeve)

„Das mag sein, Quindan aber hat seinem Glück durch Übung auf die Sprünge geholfen.“ Antwortete er nüchtern und verwies damit auf die am Baum vorgefundenen Spuren. Unbestritten hatte die junge Novizin mit ihrer Aussage Recht, allerdings mochte bereits ein wenig Praxis ausreichen um selbst einem unerfahrenen Schützen zu einem Treffer zu verhelfen. Ein echter Schütze vermochte bei verschiedenen Situationen, Distanzen, Lichtverhältnissen und Zielgrößen Treffer von gleicher Qualität abzuliefern. Ein Laie der all diese Parameter auf ein Minimum reduzierte, vermochte jedoch für genau diese Situation ebenfalls einen solchen Schuss abzuliefern. (Baldos)

Eine volle Kerzenlänge brauchte es, bis der Magus seine schlechte Laune zumindest soweit abgelegt hatte, dass er das Wort in einem vertrauten Ton an Prianna richtete. „Was denkst du was nun geschehen wird, wie wird dein Vater reagieren und für mich ebenfalls von Bedeutung, wie stehst du dazu?“ [Rhys]

„Ich weiß nicht recht, was er.“ Und sie hob ihr Kinn in Richtung des Tsageweihten, „vorhat. Aber wenn er seine Tat zugibt, wird der Baron sicher nicht allzu erfreut sein. Er ist .. ohnehin nicht unbedingt der größte Anhänger dieser… Kirche. Glaubst du denn, dass es …. meinem Vater.. wieder gut genug geht? Vielleicht sollten wir ihn lieber meiner Großtante und Rahjan übergeben, den Hofgeweihten?“ Diese gesamte Situation war sehr verfahren. Sie seufzte.

Rhys schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht und könnte dahingehend auch nur Mutmaßungen anstellen Prianna. Aber er wird leben, davon bin ich überzeugt. Falls er jedoch noch nicht ausreichend bei Kräften ist, bist es dann nicht du, die als seine älteste Tochter die Zügel kurzzeitig in die Hand nehmen sollte?“ [Rhys]

Sie nickte. Ja, dazu war sie bestimmt, bis der Baron offiziell den neuen Verweser ins Amt hob. „Dieser Fall… ist sehr speziell. Ich kenne die Regeln, zumindest im Groben. Aber in diesem Fall glaube ich, das reicht nicht aus. Die Rechtsprechung ist etwas anspruchsvoller, wenn es um Geweihte geht. Womöglich braucht es mehr Erfahrung, um …. Weise zu richten.“

Ein undeutlich - gemurmeltes „hmmm“, war alles, was Rhys zu diesem Thema noch beitragen mochte. Nun erneut stumm führten sie den Weg fort. [Rhys]

Lares schwieg den Aufstieg über. Die Hand über dem Schwertknauf schwebend, immer bereit zuzugreifen, traute er der 'friedlichen' Atmosphäre noch immer nicht. Trotzdem versuchte er immer wieder ein Auge auf die kleine Baroness zu werfen. Sie war an dem ganzen Schlamassel nun einmal nicht schuld. Jetzt, wo auch sie so plötzlich still wurde, machte er sich Sorgen um sie. (LAres)

Und er bemerkte, dass obgleich sie still war, ihre Aufmerksamkeit dem älteren Tsadiener galt. Sie runzelte häufiger die Stirn und schien in Gedanken versunken, ihre Weltsicht mit dem Geschehenen in Einklang zu bringen. Da dies selbst einigen der Erwachsenen schwerfiel, war das vermutlich mehr als verständlich. Wie sollte ein Kind all das auch begreifen können?

Lares beugte sich zu der Kleinen herunter. "Du siehst aus, als würde dich etwas beschäftigen. Erzähl. Was ist los?" (LAres)

„Ich verstehe das alles nicht“, gab die Kleine unumwunden zu. „Ist dieser Tsageweihte der Mann, der geschossen hat?“ Man hatte ihr auf dem Weg zur Hütte des Alten erklärt, wen sie aufsuchen wollten. Und nun, kam dieser Mann einfach mit. Ohne Erklärung. Das alles passte nicht ins Weltbild des kleinen Mädchens. Fragend und hilfesuchend blickte sie den Knappen an.

"Ja, zumindest scheint es so. Manche Leute sind sich ihrer Schuld bewusst, ohne sie aussprechen zu müssen. Und manche Menschen bereuen die Fehler, die sie begehen. Natürlich wäre es für uns einfacher, sie würden uns erklären, warum! Aber manche können im Nachhinein selbst nicht mehr sagen, was sie bewegte. Der Baron wird selbst entscheiden, wie viel er zu hören gedenkt. Über manches breitet der Herr Boron zu Recht sein Schweigen - denn der Herr Praios hat die Wahrheit auch ohne Worte gesehen." (Lares)

Es dauerte einige Stunden, bis sie den teilweise steilen Pfad in den Isenhag hinauf hinter sich gebracht hatten. Quindan hatte sein Tempo, das zunächst dynamisch gewesen war, nicht halten können. Sein Atem ging nun schwer und er hatte vor allem auf dem letzten Stück einige Male halt machen müssen. Yolde war ihm kaum von der Seite gewichen, schaute immer wieder zu dem Magier hinüber, den sie scheinbar für die schlimmste Gefahr für den Tsa-Geweihten hielt.

Maeve gesellte sich nach der ersten Rast zu den beiden und begab sich wortlos an Quindans andere Seite. Notfalls um ihn zu stützen.

Nach einem besonders steilem Wegstück geleitete sie ihn mit Yolde zusammen behutsam zu einem Felsblock, wo er sich sammeln konnte für den letzten Teil des Pfades. Es schien nicht mehr weit, aber etwas zu trinken, würde ihm gut tun. Rasch blickte sie sich um, ob einer der anderen eine Trinkflasche oder einen Schlauch dabei hatte. (Maeve)

Und die kleine Baroness, die die Pause zu schätzen wusste, zog ihre Trinkflasche hervor und reichte sie ein wenig schüchtern der jungen Götterdienerin.

Dankbar nahm die junge Götterdienerin die Flasche entgegen. Fast wollte Maeve ihr über den Kopf streichen, doch sie zögerte auf halbem Wege – unsicher, da sie selbst in dem Alter widerspenstig gewesen war, wie sie sich erinnerte.

Dann durchfuhr sie die Erkenntnis, dass sie keine Bitte formuliert hatte: Kein Wort war über Lippen gekommen. Unsicher über die Gaben, die das Kind von den Göttern verliehen bekommen hatte, berührte Maeves Hand die Baroness nur leicht an der Schulter: „Habt Dank für den Trunk, Wohlgeboren – und Euer Mitgefühl“. Die Kleine nickte nur und lächelte müde.

Sie wandte sich zu Quindan um und reichte ihm die Trinkflasche: „Nehmt einen Schluck, Euer Gnaden...“ (Maeve)

Der nahm dankbar die Flasche an und gab sie nach einigen Schlucken an die junge Baroness zurück.

Die Kleine lächelte und er sah beschämt zu Boden.

Nach der kurzen Rast ging es zügig weiter und die Jüngste der Gruppe fiel etwas zurück. Selbst der alte Quindan schien mittlerweile einen schnelleren Schritt zu haben als die Kleine.

Basilissa hatte der beschwerliche Weg den Stadtpfad hinauf zu schaffen gemacht. Sie war schon eine Weile quengelig und müde – man hatte den Eindruck, die Herausforderungen und Abenteuer der letzten Stunden schlugen endlich bei ihr durch. Lares schien dies unmittelbar zu merken, doch hatte er vorerst vorgegeben, das Murren zu ignorieren. Nach kürzester Zeit konnte er allerdings der kleinen Dame nicht mehr wiederstehen. Mit einem freundlichen Seufzen ging er nun in die Hocke und schaute ihr direkt in die Augen. „Sagt mal, junge Dame, wo habt Ihr für diesen weiten und beschwerlichen Weg eigentlich euer edles Ross gelassen? Eine stolze Ritterin wie ihr würde doch nicht im Staub schreiten wollen? Sollte euch tatsächlich euer wertes Pferd verraten haben, so kann ich nur meine Schultern zum Reiten anbieten. Wollt Ihr aufsteigen?“, feixte er – vor der Unschuld des Mädchens die prekäre Situation verdrängend. [Lares]

Die Kleine sah ihn nur schief an. Nickte dann aber heftig und glitt geschmeidig auf seine Schultern noch ehe ihre Schwester einschreiten konnte und sich seufzend ergab. Sollte der Kleinen doch diese Freude nicht verwehrt bleiben. Es war für sie alle ein anstrengender Tag gewesen. Und Lissa war nur ein Kind.

Und endlich…. Das Stadttor Obenas tauchte vor ihnen aus und dahinter erhob sich das bunte Schloss - das Ziel ihres Fußmarsches.

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-- Main.CatrinGrunewald - 21 Jul 2020